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Dreißig Wochen und mehr schon saß Dankmar unmuthsvoll und in sich selbst versunken im Kerker. Was des Zufalls Gunst ihm überraschend genug wie einen goldnen Regen und wundergleich wie aus der kahlen Decke der Mauer, die sich über ihm wölbte, herniederströmen ließ, den Gewinn des altergrauen Rechtshandels... er nahm ihn einige Tage hin wie das Seltsamste und Trostreichste, was ihm in dieser Lage grade hätte kommen können; aber wie bald gewöhnt man sich nicht grade auch an das Glück und verbirgt seine Freude grade da auch sogleich hinter den Sorgen, die das Glück in seinem Gefolge hat! Man will Den, der ein Glück gewonnen, mit allen Bezeugungen unsrer Freude überschütten und er erwidert schon grämlich, schon verdrießlich, er hat entweder das Glück nicht ganz erobert, er hat es theilen müssen, oder kann es nicht unterbringen und wie diese Grillen sonst sprechen, mit denen wir schlimmen Menschen gleichsam vor der Welt zeigen wollen, daß uns das Glück mehr plage als erfreue.
Ein solcher Winzer, der da nun laut geklagt hätte, daß er für seinen Herbstessegen gar nicht einmal Fässer genug hätte, war freilich Dankmar Wildungen nicht. Ihn mußte ohnehin die Sorge reizen, daß man das Errungene ihm jetzt vorenthielt. Aber auch ohne diese neue Gefahr würde sich gegenüber seinem persönlichen Loose und der Betrachtung der Zeit seine Freude gemildert haben. Daß er sie im ersten Augenblicke groß und mächtig genoß, bewiesen die Worte, die er zu Oleander, dem ihn vielbesuchenden Prediger der Gefangenen sprach:
So hätt' ich es denn erreicht, mein neuer Freund! Das dunkle Ziel, nach dem Generationen in meiner Familie steuerten wie nach einem Fabellande, für das es keinen aus irdischen Stoffen gezimmerten Nachen gäbe, verwandelt sich nun in ein wirkliches Eiland, schroff und schwer im Anfang zu erklimmen, aber an dem brandenden Ufer merk' ich durch Felsenritzen die grüne Vegetation und glaube selbst Vögelstimmen und Spuren von Leben auf dem eroberten Lande schon zu unterscheiden. Denk' ich zurück, was mußte Alles geschehen, bis es dahin kam! Nicht kann ich reden wollen von Dem, was vor meiner Zeit liegt, nein, seit ich selbst in Angerode die Entdeckung jenes Schreins machte, welche Wanderungen durch das Leben, durch die Herzen der Menschen, welche Fülle von erhebenden und beschämenden Erfahrungen in mir selbst und in Anderen! Und woran hing das Schicksal dieser Eroberung, die ich hoffe für eine große Sache gemacht zu haben? Zwei kleine Striche, übersehen, fast ausgelöscht, entscheiden Sinn und Werth, Auffassung und Anwendung! Stubenfreude des Gelehrten wird Saatkeim für die Welt! Ich überschätze diesen Handel nicht, aber mir selber darf er bedeutungsvoll sein. Ich habe an ihm meine Kraft erprobt, ein Ziel zu erringen gelernt, das Maaß der Tage verlängern, den Luxus der Nächte verkürzen, ich bin bewahrt geblieben vor der unbestimmten Leere, in der jetzt die Empfindungen der Jugend hin und her tasten. Viele rufen durch dies Chaos mit mächtigerer Stimme als die meine und man glaubt, Homerische Helden schritten zur Schlacht, und nur das Echo war es, der Widerhall der Leere, der ihrem Worte die scheinbare Größe gab, die Thaten blieben aus und nach den vorweggegebenen Prahlereien sinken die Recken nieder und ihr Leben siedelt sich am nächsten besten Heerde an, wo sie dem Weibe die Holzscheite zum Feuer tragen, das ihnen beiden die armselige Suppe kocht.
Oleander war wohl berechtigt, Dankmar'n zu erinnern, daß er trotz der von ihm gepriesenen Studien der Gelehrtenkammer doch nicht vergessen hätte, grade auch dem Idealismus der Zeit zu opfern...
Nun wohl! Laßt uns dazu auch diese luftige Welt! sagte Dankmar. Mein Bund! Dies große Verbrechen, das mich an diesen Ort geführt! Diese Wolkenbilder, die ich den Menschen in die Hand gegeben! Diese Sternenschrift, die sie auch schon entziffert haben wollen! Sie wird mindestens nichts so Geringes enthalten wie die Inschriften der viel ehrwürdiger gehaltenen alten Hieroglyphen. Ich gab kürzlich zu Protokoll: Betrachtet uns wenigstens als Das, was Ihr ja selber seid, als Freimaurer! Wieviel habt Ihr die nicht geschmäht, die Euren Ritus, Eure Symbole, Eure Urkunden an die profane Menge verriethen! Habt Ihr auf den Universitäten, in Euren Schulstuben, auf einsamen Spaziergängen mit befreundeten Genossen nicht hundertmal darüber geklagt, daß in unsern Tagen kein Messias mehr erstehen könnte, er würde an der polizeilichen Organisation unsrer Epoche zu Grunde gehen und sich nicht lange in den Wolken bergen können, in denen sich alles Große und Bedeutende an ihm zur Mythe verwandelte? Nun, so laßt doch wenigstens einem armseligen Vorläufer künftiger Gottessöhne, einem Täufer mit gewöhnlichem Wasser, einem Heuschreckenfresser der Wüste, das Vergnügen, von Euch behandelt zu werden wie ein Wunderdoktor, dem Ihr das Handwerk nicht grade legen, aber erschweren wollt nach den und den Paragraphen der Medizinalordnung! Sucht meine Straffälligkeit aus dem Landrechts-Kapitel über Traumdeuter, Zauberer herzuleiten, seht, ob noch ein alter Paragraph über die Hexen auf mich paßt, Zigeuner, verbotene Kollektanten, fahrende Gaukler, was weiß ich! Aber eine Verschwörung! Fragen über Kommunismus, Maschinenarbeitervereine, Handwerkervereine, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Militärverschwörungen, Schilderhebungen, Flüchtlings-Umtriebe! Menschen, sag' ich, das ist ja Alles mein Kreuz und Leiden so gut wie Eures! Ich finde, daß in diesen Erscheinungen die edelsten Kräfte sich zersplittern, Leidenschaften der zweideutigsten Ichsucht genährt werden. Ich war in Handwerkervereinen und sprach, ja ich ließ durch Louis Armand eine neue Regelung der Klubs versuchen, indem ich die großen Versammlungen auflöste und nur kleine Sektionen von drei, fünf, sieben Menschen schuf, die sich in wöchentlicher Vereinigung mehr nützen, als wenn ihrer dreihundert zusammensitzen und berauscht jeder bombastischen Phrase Beifall brüllen...
Aber... Dankmar war selbst Schuld an der Verzögerung seines Prozesses. Er gefiel sich eben darin, Antworten zu geben, die die Richter irre führten. Seine Absicht war den Freunden in der Nähe und Ferne kein Geheimniß. Er wollte sich so nicht vertheidigen, wie er sich einzig vertheidigen konnte. Er wollte den Bund der Ritter vom Geiste nicht herabsetzen zu einem bloßen Phantome erhitzter, polizeilicher Einbildung. Er wollte nicht geringfügig sprechen von einer Thatsache, die so tiefe Wurzeln in den Gemüthern geschlagen hatte. Er sah, auch durch die Riegel seines Gefängnisses hindurch, die segensreiche Ausbreitung seines Wirkens. Er erhielt Andeutungen, daß diese Stiftung weit über die Grenzen Dessen hinausging, was man in neuester Zeit an Piusvereinen, innern Missions-, Märzvereinen, Friedensvereinen erlebt hat. Sollte er von einem Advokaten, der ihm gegen seinen Willen vielleicht bei den Assisen beigegeben wurde, hören müssen, daß dieser das Schreckphantom in eine Gaukelei auflöste und den Spott und die Ironie zu Hülfe rief, um die Sache seines Klienten als gefahrlos darzustellen? Dankmar hielt es für seine Pflicht, groß und stolz von Dem zu denken, was man in ihm fürchtete. Er erbitterte das Gericht durch seine Hartnäckigkeit, er führte es irre durch seine Aussagen, die mehr zugestanden, als man fragte. Er wollte der Träger aller der Schreckengebilde sein, mit denen sich die Feinde der Freiheit ängstigten, er wollte so lange nicht an persönliche Freiheit denken, als sein Gefängniß dazu diente, den Saamen, den die Freunde ausstreuten, zum Aufgang zu bringen. Denn die Macht, die Leidende auf höhere Fragen der Sittlichkeit ausüben, ist größer als die Macht der Glücklichen.
Freilich litt der junge Kämpfer selbst am schwersten unter diesem Opfer, das er brachte. Eine geläuterte reine Flamme der Liebe loderte in seinem Herzen für Selma, nun seine eigne Verwandte. Längst hatte sich ihm Ackermann in seiner wahren Herkunft als Rodewald enthüllt, wenn er mit ihm Abends beim Leuchten der Johanneswürmchen an den Weidenufern der Ulla entlang schritt und Dankmar seine nächtliche Lagerstatt in einem einsamen Gehöft aufsuchte. Als er später Rodewald's Kummer erfuhr über des Fürsten Egon Absicht, sich seiner Güter zu entäußern und ihn aus seinem Pachtverhältnisse zu entfernen, konnte er freilich nicht begreifen, was den Oheim so tief dabei verletzte. Dieser schrieb selten, desto eifriger Selma. Oleander war es, der den Vermittler dieser zärtlich schmerzlichen Grüße machte. Er selbst hätte, da Dankmar die Briefe nicht verbrennen mochte, die der Sicherheit wegen zurückgegebenen lesen können, er selbst, der Selma liebte und seinen Schmerz in der Dichtkunst und dem ernsten Berufe eines Seelsorgers der Gefangenen und Trösters der Leidenden zu vergessen suchte.
Jungen Liebenden kann ja nichts Glücklicheres geboten werden, als nach dem ersten aufflammenden und die Herzen entzündenden Erkennen ihrer Neigung die Trennung und in ihrem Gefolge die Nothwendigkeit eines längeren Austausches ihrer Empfindungen auf dem Papiere. Die Lüge wird hier reine Herzen nie beschleichen. Die Sehnsucht wird um den Ausdruck ihres Verlangens nie verlegen sein. Aber dazu, daß ein Verkehr der Gedanken, wie er bei dem süßen Gekose der unmittelbaren Nähe selten stattfindet, den Verkehr der Gefühle nun ablöse, bietet sich so die reichste Gelegenheit. Nun wird Das, was unbewußt und wie im Traum gekommen schien, nach seiner irdischen Möglichkeit noch einmal durchgedacht; die magnetische Kraft, die ohne Erklärung um so wirksamer fesselt, stärkt sich nun durch die sittliche Begründung Dessen, was da so eng zusammenhielt, und stählt die Herzen für eine Zeit, wo auch das Urtheil und die weisere Erwägung sich sagen sollen: Du hast das gute Theil erwählt! Das Leben selbst in seinen tausend Erscheinungen, in seinen oft grade dieser Liebe sich feindselig genug zuwendenden Stacheln wird in seinen drohenden Gefahren dann früh erkannt und die ganze Höhe schon übersehen, bis zu der die zärtliche Verschlingung der liebenden Arme ausdauern, sich stützen, sich fortgeleiten soll. Sieht man nach solchem Briefwechsel sich dann wieder, so kommt es wohl, daß man sich völlig neu und anders erscheint. Man hat ein altes Bild verloren, aber ein neues gewonnen. Es währt eine Weile, bis man sich rein menschlich wiederfindet, aber es währt nicht lange, das Befremden ist nur das des größeren Glückes, und man hat sich größer gewonnen, größer gefunden, gestärkter für des Lebens ganze Dauer und die ernsten Klippen aller seiner kommenden Prüfungen.
Selma erwartete mit krankhafter Ungeduld des Freundesschicksals endliche Entscheidung. Sie erzählte in ihren Briefen an Dankmar von Anna von Harder, von Oleander's treuen Besuchen, seinem fortgesetzten Unterricht, von Olga Wäsämskoi... Von dieser Letztern bestätigte sie, was alle Kreise über die Freundschaft der Mädchen erfahren und selbst beobachtet hatten. Selma nannte Olga einen stillen See, den träumerisch der Mond beschiene und von dem man Märchen erzähle, die uns erschrecken sollten, wenn sie auf Wirklichkeit begründet wären. Da wären gleichsam Götzenbilder einst wie von den ersten Christen in diesen See geworfen worden und nächtlich am ersten Tage des Mai rühre und reg' es sich in dem See und die Heidengötter blickten aus dem aufgewühlten Gewässer mit düstern Augen empor und sähen sich die Welt an, wie sie nach ihrem Reiche inzwischen geworden. Aber nie wären es bei Olga doch solche Jungfrauen, die dann auftauchten mit falscher Liebe und jene Knaben in die Tiefe lockten, denen sie mit Wasserlilien gewinkt hätten oder gar böse und spukhafte Fratzen. Nein, Olga wäre wohl eine schlummernde Tragödie voll Leidenschaft, ja Zorn, ja Wildheit zuweilen, wenn sie ein schriller Ton wecke, aber ebenso auch könnte sie dem Idyll gleichen, wenn ihr ein Süßes, die Nachtigall, ein Schönes, die Kunst, riefe. Helene d'Azimont hätte dem armen reichen Mädchen den Glauben an die Menschen genommen und doch liebe sie Helenen und weine auch um deren Irrthümer! Sie hätte von Rafflard einst in Venedig das Schlimmste über Siegbert gehört, da hätte sie wollen wahnsinnig werden, sterben, hätte ein Kloster gesucht, aber – an der Hand des Teufels. Selma erzählte, daß Olga sich selbst gemalt hätte auf wilder Alpenhöhe, als Pilgerin herabblickend zu einem Kloster im Thale und der Teufel hätte ihr die Stufen gezeigt, die sie hätte betreten sollen, um hinüber zu kommen zu dem lockenden Glöcklein im Thale. Da hätte sie denn Rudhard ergriffen, gerettet vom Wahnsinn. Einer Todten gleich wäre sie nach Tempelheide zurückgekommen und Selma erst hätte sie zum Leben, wie es ist, geweckt, sie an Siegbert Wildungen wieder glauben gelehrt, den sie liebe, aber wie einen Verlornen. Olga Wäsämskoi, obgleich eine Fürstentochter, würde sich zur Königin erhoben fühlen durch die Liebe eines Künstlers und nie, nie würde man von Olga etwas Anderes vernehmen, als daß sie die Liebe selbst wäre und das Abbild der Treue. Und Siegbert schweige und thäte nichts und ließe Alles schlummern!
Oleander, Siegbert's Freund, billigte Siegbert's Handeln. Oleander hatte sich recht in diesen Bund verloren. Er sprach nie von Siegbert, wenn er in Tempelheide war und Olga seine Lehren mit denen Rudhard's verglich. Siegbert konnte ja nicht, wollte ja nicht, daß diese Leidenschaft durch ihn genährt wurde! Er war zu selbstbeherrschend, Rudharden zu sehr verpflichtet. Er hatte sich von Brüssel, wo die Fürstin weilte, wohl ferne gehalten, aber auch nichts gethan, was den Plan, aus Olga zuletzt doch die Baronin Dystra zu machen, stören konnte. Olga sah darin Schwäche, geringen Lebensmuth, das einzige Unpoetische an Siegbert. Sie ließ sich einmal ihre Welt nicht nehmen und Oleander legte, ob er gleich wie Siegbert dachte, doch ihren Empfindungen gern Gedichte unter, die er Dankmarn vorlas, wie dieses:
O laßt mich zieh'n, ich kenne meine Straße!
Was frag' ich viel! Ihr wißt nur was Ihr wißt! Von Eurer Liebe nicht, von Eurem Hasse Lern' ich den Weg, der mir der rechte ist! Die Pappeln und die Weiden laß' ich Andern!
Am Rand der Alpen, wo die Gletscher ragen,
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Dankmar freilich, in seinem unverwüstlichen Humor, sagte, er sähe doch, daß Siegbert sich noch einmal Muth fasse und zu den Adlern und Gemsen nachklettere. Ich wünsch' es dir, rief er aus, Siegbert! Olga würde deine Phantasie werden! Olga! Das ist die Königin der Kunst im Strahlenglanz, der dir gefehlt hat, guter Bruder! Dies Mädchen würde dich umschweben wie ein ewiges Madonnenbild, selbst wenn sie eine Langschläferin wäre und Morgens Federn in den Haaren hätte! Denn, bester Oleander, darauf kommt es an, daß eine Frau eine Göttin bleibt, auch wenn sie unsre Strümpfe stopft! Siegbert, diese Olga wird als dein Weib vielleicht in niedergetretenen Hausschuhen, etwas salopp in ihrem Negligé, mit ungeordnetem Haar in der römischen Villa walten, die das Ziel deiner Wünsche ist, aber sie würde immer eine Hebe, eine Psyche sein, immer die Poesie selbst und deine wahre Erhebung, Bruder, auch wenn Ihr Schulden hättet und Eure Kinder halb nackt mit den Gänsen im Hofe um die Wette schrieen. Ja, ja, so käm' es! Wenn man Euch besuchte, würde kein Stuhl zu haben sein. Da liegen deine Kleider, dort die Nähtereien der Frau, hier die Spielsachen der Kinder, Alles ist voll Farbe, voll Zeichnungen, voll poetischen Schmuzes, aber deine Bilder werden genial sein, dein Weib wird dich den Muth lehren, an die Götter der Schönheit und der Liebe zu glauben! Sie wird uns lachen machen, wenn es heißt, sie ginge selbst in die Küche und sorgte für Salat mit Eiern und holte den Wein aus dem Keller, aber wenn sie käme im blauen oder rothen Gewande, wie eine junge Römerin, wenn sie den Krug erhöbe mit schöngerundetem Arm und den Wein uns in die Gläser gösse, die wir uns inzwischen selber ausgewaschen haben, dann, Bruder, würd' es doch ein Bild zum Malen werden und wir selber würden mitten in dem Rahmen von Epheu, Myrthen und am Fenster zum Trocknen hängenden Kinderwindeln uns schön erscheinen durch Olga, dein poetisches Weib!
Aber Siegbert's Briefe sprachen nicht von Olga. Es kamen viel Briefe an Dankmar von Siegbert aus Antwerpen, von Leidenfrost vom Tempelstein, von Werdeck aus Paris, von Louis Armand bald da- bald dorther. Dankmar lebte im lebendigsten Verkehr. Auch Dystra schrieb und sprach von seinen Bauten und dem entscheidenden Ja oder Nein! das zwischen ihm und Siegbert wählen sollte, wenn die Ritter vom Geiste zum ersten Male in seiner Tempelabtei im Walde tagen oder turneien würden... Oleander lächelte über die Theilnahme eines Dilettanten, der sich durch sein Vermögen und seine Bizarrerie über die üble Nachrede der vornehmen Welt hinwegsetzte und seit dem glücklichen Verkaufe seiner Güter in Rußland vor der Macht des Czaren geborgen war... aber Dankmar rief aus:
O wär' ich frei, frei!
Oleander rieth zu einem Worte mit Egon von Hohenberg. Er wollte selbst zu ihm gehen, er wisse, daß er einer Erörterung zugänglich wäre, die Fürstin brächte wöchentlich Trost und Hoffnung nach Tempelheide, ja er hatte selbst sogar durch ein Gedicht eine sonderbare Beziehung zum Fürsten gewonnen, ein Gedicht, das Olga mit grausamer Bitterkeit »Cypressen am Grabe Helenen's, gepflanzt von Egon« nannte... Oleander, der sich in die Stimmung aller dieser Seelen versetzte, hatte es eines Abends fast scherzhaft in Tempelheide improvisirt, Olga schrieb es sich sogleich verstohlen ab und schickte es anonym nach Paris; Helene, wahrscheinlich auf's Tiefste verletzt, schickte es zurück an Egon, als wenn es doch wohl nur von Diesem gekommen wäre. Egon staunend zeigte das Gedicht Melanie und Melanie erkannte der zu solchen romantischen Umtrieben über und über geneigten Olga Hand, wodurch Egon dann die Autorschaft Oleander's erfuhr und diesen veranlassen mußte, die ausführliche Erläuterung eines schlimmen Misbrauchs zu geben, den man mit seinem poetischen Interesse an fremdem Seelenleid getrieben hatte. Dies eigenthümliche Gedicht, das in Egon in der That wach rief, was er zuweilen über den Maler Heinrich Heinrichson empfand, hatte gelautet:
Wehe! Welche Lippen läßt du schlürfen
Wieder deiner Liebe Taumelwein? Ist es denn dein innerstes Bedürfen, Andern Alles, Nichts dir selbst zu sein? Nichts der Frauen größtem Liebesruhme,
Eine luftgetrag'ne Orchidee,
Rosen träumst du? Ach nur aufgerissen
Opfre! Doch im Leidenschaftgeloder
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Dies, wenn Helene es selber las, entsetzlich grausame Gedicht hatte Oleander als einen einfachen »Schmerzensruf der schwachen Seele an die schwache« niedergeschrieben. Für Olga war es aber ein wahrer Triumphgesang geworden. Sie konnte diese Verse mit einer Gebehrde vortragen, als hätten sie ihre Tante erdolchen sollen. Oleander berichtete, der Fürst hätte ihm gütig, sogar heiter auf seine ängstliche Entschuldigung erwidert; aber Dankmar erklärte, er könnte die fast komische Veranlassung dieser Bekanntschaft zu seinem tragischen Falle nicht benutzen. Carlos und Posa würden ebenso geendet haben, wenn nicht Philipp zu früh zwischen sie getreten wäre! Er ist nicht klein, dieser Egon! sagte Dankmar. Hätte ihn Philipp leben lassen seinen Carlos, dessen erstes Wort wäre auch Aussöhnung mit Alba gewesen, Carlos wäre selbst nach den Niederlanden gezogen, hätte Egmont selbst hinrichten lassen, hätte selbst sich von ihm sagen lassen, was Egmont dem milchbärtigen Ferdinand sagte: Du wirst sie nicht verachten, weil sie mein war... Ja! Ja! Oleander! Sie frommer, übel mitgespielter Frühlingssänger, was ist Das für eine Welt! Welche Menschen wetteifern mit dem Wesen, das sie geschaffen hat! Welche Titanen möchten den Himmel stürzen und von ihm Rechenschaft fordern für seine dunkle Geheimnißkrämerei... ich habe Mitleid mit Egon. Er wird herabfallen von seiner Höhe, wie in seinem Gartenpavillon der gemalte Phaeton. Alle Bernsteinspitzen des Pfeifenkabinets seines Vaters werden nicht hinreichen, ihm noch einmal eine einzige Cigarre zu versüßen. Er wird ein elendes Leben führen, wenn er gestürzt ist und nur noch sich und Melanie quälen kann. Sie werden erleben, daß Melanie von Hohenberg nicht etwa in die Kirche geht, aber für sich in ihrem Kabinet fromm wird und eine gewisse Ausgabe des Thomas a Kempis mit wirklichen Schmerzensthränen benetzt. Das nenn' ich doch Herzen durcheinandergerüttelt! »O schnöde Welt!« Sagt das nicht Shakespeare?
In solchen und ähnlichen Betrachtungen und Unterhaltungen, verbunden mit der Nutzung von Büchern, Federn und Papier lebte Dankmar bis in den Monat Mai. Das Erbe hatte man ihm in feierlicher Sitzung überwiesen und ihm die Gründe angegeben, warum es noch unter dem Verschluß der Richter bleiben müßte. Seine ganze Antwort war gewesen, daß er sich ein Protokoll dieser Prozedur ausbat und die Angabe eines eisernen Schreines machte, in dem die leichte Papiersumme verwahrt werden sollte; es sollten auf dem Deckel vier kreuzförmig verschlungene vierblättrige Kleeblätter von Silber ausgeprägt werden. Bis zur Anfertigung dieses Schrankes blieben die Stadtkämmereischeine, von denen man ihm vorläufig nur den mäßigsten Gebrauch gestattete und eingeschlossen in jener hölzernen Truhe, in der einst Dankmar zu Angerode die Dokumente gefunden hatte, im Gewahrsam der strengbewachten Kasse des Gerichts, die mit ihren eisernen Thüren und Schränken nur einen Hof entfernt von Dankmar's Gefängniß lag. Oleander, als er einmal Eintausend dieser Scheine in der Hand hatte, die er nach Dankmar's Wunsch an Arme geben sollte, sprach die etwas umgemodelten Verse aus dem alten bekannten Gedichte:
Nun möget ihr von dem Horte Wunder hören sagen:
Soviel zwölf ganze Wagen allenfalls mochten tragen In vier Tagen und Nächten vom Berge zu Thal, Und ihrer jeglicher mußte fahren an jedem Tag dreimal. So war der Hort nichts Andres als Gestein und pur Gold
Wie von den Nibelungen sich da in Burgunden
Aber den Wildungen allein gehörte der Hort noch im Land,
Den Armen und den Reichen begannen sie da zu geben,
Egon-Hagen sprach zu dem König: Es sollte ein weiser Mann
Und nun schützten keine Eide des Erbes sichre Hut,
Der König sogar sagte viel lieber: Eh' Wir immer Müh' und Pein
Und wie nun der grimme Egon den Hort im Rheine barg,
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Gegen Ende Mai war es dem nun erst recht in Aufregung gekommenen Gefangenen in einer Nacht, als hörte er ein sonst ungewöhnliches Geräusch. Es kam von der Verbindungsthür eines Vorplatzes seines Gefängnisses mit einem großen von Militairposten bewachten Korridor her. Dankmar glaubte, als er deutlich die Zeichen zu unterscheiden anfing, die sonst den Besuchen des Kerkermeisters, des Richters oder Oleander's vorherzugehen pflegten, an einen Irrthum in der Zeit. Es war ihm oft genug schon geschehen, daß ihm Tag und Nacht zusammenrannen und er in der im Winter dunklen Zelle Eins mit dem Andern verwechselte. Aber ein Blick an die Öffnung, die hoch oben am Ende einer in die Mauer gehenden Rundung einen Lichtschimmer zeigte, bewies ihm die Nacht, denn dieser Schimmer kam von den grellen Gaslampen des Korridors, auf den diese Fenster engvergittert hinausgingen. Plötzlich erlosch draußen das Gaslicht. Sein Zimmer war dunkel. Er stand auf, machte sich Licht. Und zugleich war es ihm, als suchte im Korridor Jemand den Schlüssel, der zu den Einlässen führte, und erprobte bald diesen, bald jenen. Brachte Dankmar die Dunkelheit, die auf dem Korridor eingetreten sein mußte, mit dieser unsichern Kenntniß der Örtlichkeit in Verbindung, so mußte die Ahnung gerechtfertigt erscheinen, die ihn plötzlich überfiel, ob nicht irgend eine böse Absicht sich ihm nähere, irgend ein ungesetzlicher Befehl oder wohl gar – sein Blick fiel in diesem Moment auf ein Portefeuille, in dem er eine ihm neuerdings zugestandene Summe von mindestens mehreren hundert Thalern aufbewahrt hielt. Wenn es unter dem Schutze der Gesetze, unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit auf diesen Besitz wäre abgesehen gewesen? Sein Verdacht verließ ihn, als er in der That die Vorplatzthür geöffnet hörte und in der tiefen nächtlichen Stille das Knirschen des Sandes unter dem Fußtritte eines sich Nähernden unterscheiden konnte. Jetzt glaubte er auf's Neue an einen Irrthum in der Zeit und sah auf seine Uhr. Aber sie zeigte Eins. Er hielt die Uhr gegen das Ohr, sie ging. Es war Eins in der Nacht. Man holt dich, um dich in irgend ein anderes Gefängniß abzuführen; diese Zelle bietet nicht Sicherheit genug oder man hat sie einem Andern bestimmt, da man glaubt, daß ich nun erst recht nicht entweiche ohne das Erbe... Aber diese mit Beklommenheit angestellten und von der Vorstellung, es wäre wohl ein Traum, was er erlebe, unterbrochenen Vermuthungen steigerten sich zur fieberhaftesten Unruhe, als wiederum jetzt an der zweiten Thür mit Vorsicht ein Schlüssel nach dem andern erprobt wurde wie aus einem großen Vorrathe von Schlüsseln. Das war der Gefangenwärter nicht! Dieser konnte selbst in nächtlicher Verschlafenheit nicht unsicher sein in der Wahl des rechten Schlüssels. Und da diese Versuche nicht endeten, eine stille, fast geisterhafte Hand an dem Schlüsselloche immer mit neuen Schlüsselbärten kratzte und wenn sie eingingen, vergebens an den Federn drückte, so konnte er entweder nur an Befreiung oder an einen bösen Überfall denken. Was sollte er thun? War es ein Befreier, wie konnte Dankmar da in der Besorgniß eines Überfalls rufen, das Werk fremden Muthes, vielleicht einen Auftrag des Bundes zerstören! Und doch sammelte die Brust von dem stockenden Athem so viel Spannung, daß ein Schrei nach der Öffnung des Fensters zu, ein donnerndes: Wer da! schon auf seinen Lippen schwebte. Dankmar wagte ihn nicht aus Befangenheit. Er konnte nicht an ein Verbrechen glauben. Der Gedanke der Befreiung erfüllte ihn plötzlich mit einem so aufwallenden Lebensmuthe, daß er sich wohl für den Fall des Irrthums vorzusehen beschloß, sich aber auch auf den Empfang jedes bessern Besuches von Herzen rüstete. Das Licht stellte er entfernt, um es vor dem Auslöschen zu schützen. Er ergriff den hölzernen Schemel, auf dem er saß, steckte das Portefeuille in seine Brust und wandte sich eben zur Vertheidigung gerüstet gegen das unheimliche Walten der Thür, als diese aufsprang und im fahlen Dämmerlichte ein Mensch vor Dankmar stand, den in diesem Augenblicke wiederzusehen ihm das Haar emporsträuben mußte. Es war Friedrich Zeck's Sohn.
Hackert! rief Dankmar, und hob den Schemel, um diesen unerwarteten Gast beim ersten Schritte vorwärts niederzuschlagen.
Hackert hob die Hand abwehrend und zum Stillschweigen bedeutend; mit der Linken streckte er einen gewaltigen Schlüsselbund dem möglichen Angriff entgegen.
Es war in der That Hackert mit offnen Augenlidern, nicht träumend, wie Dankmar, in Erinnerung an den Heidekrug, im ersten Augenblick glauben konnte. Sein zweiter Gedanke war eine Bestätigung seiner Befürchtung, die er in den halblaut ausgestoßenen Worten aussprach:
Was wollen Sie?
Aber schon hatte Hackert die Finger an die Lippen gelegt und so entschieden die Gebehrde des Schweigens gemacht, daß Dankmar keinen Zusammenhang begreifen konnte, seine Waffe senkte und nur im Rücken das Licht zu schützen suchte...
Hackert winkte...
Dankmar sah nur den Überfall, nur die böse Absicht, nur den Angriff auf sein Geld, er ahnte einen Hinterhalt und blieb stehen.
Hackert winkte dringender und zog sich fast in das dunkle Vorzimmer zurück...
Dankmar wollte ihm nicht folgen.
Spitzbube! flüsterte er, soll ich schreien? Dich an den Galgen bringen?
Hackert verzog seine blassen Gesichtszüge zu einem bittern Lachen. Er hätte mit jener Sprache reden mögen, in der er sich Schmelzingen zu verstehen gab, als er schon einmal diesem Ungläubigen einen Liebesdienst erwies. Er konnte nur winken, nur die Zeichen der dringendsten Eile machen...
Dankmar sah die geöffneten Thüren, aber das Dunkel schreckte ihn. Hackert wird sich wie eine Katze auf dich werfen! Was sollst du thun? Die Posten scheinen verändert. Auf dem Korridor ist Alles still. Dennoch, wie von der magnetischen Kraft der Situation überwältigt, hätt' er sich jetzt entschlossen, vorzugehen, wenn ihm nicht, da sein Auge sich inzwischen an die Dunkelheit schon gewöhnt hatte, plötzlich auf fünf Schritte von Hackert im Korridor entfernt eine hohe, stämmige Riesengestalt, verwachsen und doch wie ein Hüne anzuschauen, aufgefallen wäre. Nun stand in ihm fest, daß Hackert im Bunde mit Helfershelfern ihn überfiel und nichts hielt ihn ab, ihm jetzt zuzurufen:
Denkst du, Bösewicht, daß ich so leicht wie Pferde zu morden bin?...
Aber weiter konnte er nicht reden. Hackert sprang auf ihn zu, zeigte, um Dankmar's Aufmerksamkeit abzuwenden, auf die Fensterrundung in der obern Mauer und sprach mit heisrer, nachdrucksvoller Stimme:
Soll ich wieder hundert Thalerscheine auf's Pflaster werfen? Kommen Sie in Teufels Namen –!
Dankmar blickte ihn starr an. Der große Ungeschlachte in der Dunkelheit war verschwunden...
Wir haben noch drei Thüren zu öffnen, fuhr Hackert heiser und leise fort. Die Schlüssel, die zu Ihrem Gelde führen, kenn' ich. Die sind's!
Und auf drei gewaltige Schlüssel, die er aus der Rocktasche zog, deutend ging er voran.
Dankmar folgte. Wie konnte er jetzt zurückbleiben! War es auf einen Diebstahl seines Vermögens abgesehen, warum sollte er den Anlaß nicht benutzen, da nun gewiß zugegen zu sein? Er fühlte Hackert's knöcherne feuchte Hand. Sie hatte ihn mit krampfhafter Aufregung ergriffen; er folgte willenlos.
Halten Sie sich an mich, sprach Hackert. Die Pantoffeln aus! Auf den Zehen! Einen Schnupfen ist die Abreise schon werth. St! Reden Sie nichts!
Dankmar ließ mit sich geschehen, was geschah. Die Erinnerung an Hackert's Rechtfertigung damals mit dem Pferde Lasally's hatte ihn entwaffnet. Er folgte und bewunderte die Gewandtheit, wie Hackert mit der einen Hand ihn, mit der andern den Unbekannten führte, der sich im dunkeln Korridor ihnen wieder zugesellte.
Dieser tappte und trat so ungeschlacht auf, daß ihn Hackert einen Bären und Elephanten über dem andern schalt.
Wer ist Das? fragte Dankmar.
Vorgesehen! war Hackert's Antwort.
Die Wanderung dauerte mehre Minuten. Endlich stand man still. Hackert flüsterte:
Das ist die Verbindungsthür! Still! Die Wache wird im Hofe abgelöst...
Es schlug grade ein Uhr von den nahegelegenen Rathhaus- und Johanniskirchenthürmen. An die Wand gedrückt, wartete man das Verhallen der militärischen Tritte ab, die über den steinernen Fußböden der Höfe hörbar waren. Durch ein Fenster glaubte Dankmar, der diese Räumlichkeiten kannte, wol unterscheiden zu können, daß die Schildwache auch eben an dem Eingang der Gerichtskasse erneuert war. Doch auch die Thür, die Hackert eben aufschloß, führte in das scharfbewachte Nebengebäude. Jetzt versagten ihm die Schlüssel nicht. Der Große, dessen Konturen Dankmarn allmälig an irgend eine ihm schon vorgekommene Persönlichkeit erinnerten, trappte schweigend, nicht einmal auf Socken, sondern mit bloßen Füßen dem Führer nach, der endlich eine Stiege herab, dann wieder eine hinaufschritt. Alles war hier dunkel, still und schauerlich einsam. Aber Hackert kannte jeden Gegenstand. Einige Stufen empor blieb er stehen und begann die noch zwei übrigen Schlüssel erst an einer eisenbeschlagenen Thür zu prüfen. Der eine paßte. Nach kurzer Weile trat man in den Kassenraum. Ein großer Schrank wurde vom zweiten Schlüssel geöffnet. Jetzt hörte Dankmar nur die an den Andern gerichteten Worte:
Tasten Sie nach dem hölzernen Kleeblatt! Richtig! Da! Die Silberarbeiter sind mit dem Luxus noch nicht fertig. Aufgehoben!
Und der Dritte bückte sich und Hackert half einen Gegenstand den mächtigen Schultern aufladen. Dankmar wußte nicht, wo ihm die Besinnung blieb. Er fühlte den hölzernen Schrein, in dem einst seine Dokumente von Angerode gelegen hatten. Er fühlte das Kreuz auf dem Deckel. Er wußte ja, daß man zu den Dokumenten die Stadtkämmereischeine gelegt hatte. Die Truhe war trotz des papiernen Inhaltes ihrer plumpen Gestalt wegen nicht leicht.
Nun zurück! flüsterte Hackert, lehnte die Schrankthüre nur eben an, ließ den Schlüssel stecken und tappte vorwärts. Aber krachend stieß der Träger mit seinem Schrein an die Wandecken.
Donner! Wenn wir nicht Licht haben, rennt Der noch eine Säule um...
Und Licht verräth dich! flüsterte Dankmar. Und Licht zeigt mir den Kameraden! Wer ist's? Hackert, ich folge wie ein Taumelnder; aber Gott sei deiner Gurgel gnädig, wenn Ihr die Frechheit habt, mich mit dem Schein einer Spitzbüberei, die nur Ihr, nur Ihr begangen habt, entfliehen zu lassen...
Nur keine Reden gehalten, Herr! Es schallt hier! war Hackert's ganze Antwort.
Man ging denselben Weg zurück, den man gekommen war...
Jetzt galt es die Korridore zu vermeiden, in denen die vielen andern Gasflammen noch brannten und die Schritte der Wachen hörbar waren. Sie befanden sich wieder im Profoßhause. Dankmar begriff nicht, wie man die Ausgänge desselben gewinnen, wie man mit einem so auffallenden Gegenstande, dem Schrein, sich aus ihm entfernen konnte.
Hackert lenkte aber in einen Seitengang. An dem äußersten Ende war ein kleines Fenster, das auf die Straße führte. Es war nur ein Luftloch, ein schmaler Streifen in der Wand. Hackert schien Dankmar'n toll, als er die Miene machte, durch diese kaum handhohe, aber breite Öffnung müßte man nun auf die Straße gelangen.
Der Schrein und wir? Hierdurch?
Der Dritte setzte den Schrein ab. Hackert deutete nur auf Stillschweigen.
Unwillkürlich schauderte Dankmar wieder vor einem Gedanken zurück, der ihn plötzlich berührte. Er kam ihm mit Stricken, die er fühlte. Wo diese Stricke herkamen, sah er nicht. Er fühlte sie nur, hörte nur das Auseinanderwinden... er dachte sich die Folgen gefährlicher Prozeduren, die Hackert wagte, zu seinem Vortheil wagte und ihn dann allein kompromittirt zurückließen...
Hier soll bald Licht werden, flüsterte Hackert. Wir haben vorgearbeitet. An dieser Säule machen wir die Stricke fest. Sie ist stark genug und die Stricke reichen zehnmal bis hinunter. Hinter der Johanniskirche fast an der Ecke, die zu Schlurck's führt – Sie kennen die Gasse – steht ein Wagen... Daß wir ja zusammenbleiben! Hören Sie?
Und während Dem schon öffnete sich die Lücke. Ein Stein wich unter Hackert's Hand vom andern, immer größer, immer weiter, immer heller wurde der Raum. Bald war er so groß, daß ein Körper hindurch konnte, bald so groß, daß der Schrein sich konnte einfugen lassen, bald so, daß Dankmar schon die Johanniskirche sah und das Scharren von Pferden auf dem nächtlich stillen, einsamen Straßenpflaster hörte...
Jetzt hieß es, Dankmar sollte zuerst durch diese im Stillen längst gebrochene Öffnung und an dem Seile, das um den Pfeiler geschlungen war, hinuntergleiten.
Ich zuerst? sagte Dankmar zögernd und auf's Neue voll Mistrauen...
Keine Komplimente! Rasch! Rasch! Die Wachen, seh' ich, sind gar nicht schläfrig –
Hackert! sprach Dankmar mit letzter zusammengenommener Kraft. Wenn das Alles ein Bubenstück wäre –
Aber Hackert drängte ihn an die Mauerlücke mit der Antwort:
Zum Teufel! Sie sehen ja, es ist bloße Höflichkeit.
Ich bleibe zuletzt, sagte Dankmar entschlossen, ich steige nicht, ich bleibe bei meinem Schrein...
Eine Fluth der scheußlichsten Verwünschungen kam nun aus dem Munde des von Schweiß triefenden Paul Zeck, der am liebsten dem ewigen Zweifler an die Gurgel gesprungen wäre und ihm die Halsbinde zugeschnürt hätte. Der Dritte, der mit seinem Schrein auf dem Kopfe ruhig wie eine Karyatide des Alterthums stand, diesen freischwebend und doch so festgeklammert hielt, wie Etwas, das er nur mit seinem Leben lassen würde, flüsterte in einer eigenthümlichen weichen Lispelsprache:
Steigen Sie! Steigen Sie! Die Runde kommt...
Ich gehe nicht... erwiderte Dankmar.
Wir kommen aber doch vom Tempelstein! sprach der Fremde jetzt mit kräftigerer Betonung und gleichsam ihren Beistand beglaubigend.
Dankmar erstaunte über dies Wort. Der Tempelstein war das Erkennungswort des Bundes für die Zeit bis zu den nächsten Solstitien...
Vom Tempelstein? fragte er betroffen und nun glaubte er den Träger seines Schreines zu erkennen... Sie sind...
Danebrand! flüsterte Hackert. Hören Sie denn drüben nicht die Pferde aus dem Pelikan? Sie wittern Ihre Nähe! Peters kann sie nicht beruhigen... es geht direkt nach Angerode zu. Hoffentlich ist Bello im Stall geblieben.
Und nun war Dankmar schon in der Lücke, schon preßte er sich auf die von Hackert nächtlich zum Zweck der Flucht mühevoll gelockerten Steine, schon glitt er das glattgestrichene Seil hinab...
Aber die Ahnung Danebrand's, daß die Runde käme, war keine Täuschung... Dankmar, unten auf dem Straßenpflaster angelangt, hörte Geräusch. Hackert's Kopf sah er schon durch die Bresche. Er folgte in der That. Er war nicht von ihm betrogen, aber die Eile, mit der Hackert katzengleich herunterschoß, erschreckte ihn. Hackert war unten.
Die Runde! flüsterte er drängend. Fliehen Sie! Fort! Fort!
Dankmar blieb aber. Er sah eben den Schrein durch die Lücke gedrängt, sah eine Hand um die Pranken des Holzes geklammert, sah das Seil schwanken hin und her von der gewaltigen Last... Da donnerte oben ein vielstimmiges Wer da?
Hackert stößt Dankmarn fast gewaltsam fort und zeigt auf die Johanniskirche und ihre majestätischen Schatten...
Der Schrein ist heraus aus der Lücke, Danebrand's Kopf wird sichtbar, die linke Hand hält den Schrein schwebend in der Luft, während die rechte halb sich stemmend in der Mauerlücke, halb das Seil ergreift...
Da kracht ein Schuß... Der Schrein stürzt hinunter, Hackert ruft: Fort! und man müßte die panische Gewalt des Schreckens und den Einfluß der Situationen auf die Seele selbst des Muthigsten verkennen, wenn man nicht natürlich finden wollte, daß Dankmar im Augenblick des Schusses hinübereilte zu dem Wagen. Auf halbem Wege hielt er jedoch schon inne. Er sah, daß Hackert den Schrein, den man hätte in tausend Stücke zerkracht glauben sollen, wie mit übermenschlicher Gewalt auf seine sonst so schwachen Schultern lud. Nun floh er an den Wagen, fand diesen, fand ihn schon geöffnet, es war Peters, der ihn bebend grüßte und während er kaum den Schlag mit der Hand gefaßt hatte, schon die Pferde anpeitschte... Hackert taumelte herüber, ihm nach... Aber Danebrand! Danebrand!... hätte Dankmar rufen mögen... Da erschallt ein Trommelwirbel in dem Profoßhause, Fenster werden erleuchtet, Stimmen hörbar, die Pferde ziehen an... Hackert! Hackert! ruft Dankmar von dem nur halb betretenen Tritt herab. Er sieht ihn plötzlich nicht mehr, er hört ihn plötzlich nicht mehr... Hackert! Hackert!... Der Trommelwirbel wird stärker. Die Thüren des Profoßhauses öffnen sich schon. Halt! Halt! hört man rufen. Da läßt Peters die Zügel schießen und hohl und dumpf widerhallend in der nächtlichen Stille braust der Wagen davon, geschützt von den riesigen Schatten der gewaltigen Gebäude, die in diesem altergrauen Viertel fast gespenstisch nebeneinander stehen.