Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Erntesegen war ja eingetrieben. Jubelnde Menschen, von hochaufgethürmten Kornwägen herab mit geschwungenen, bebänderten Hüten grüßend, hatten ja in die Scheuern des Ullagrundes, von Randhartingen, Schönau, Plessen die ersten Erfolge eingefahren, die Ackermann für seine Betriebsamkeit lohnten... Die Fruchtbarkeit des Jahres hatte sich mit dem Eifer der Kultur in Wettlauf gesetzt, um ein überraschendes Resultat zu erzielen. Ein neuer Geist wehte über diese Landstrecken hin, die so viel pflegende Hände, so viel wartende und hütende Augen nie gekannt hatten. Von der ersten Ernte der ölbringenden Rapssaat bis zur Kartoffelfrucht, die den Schluß der Einsammlung machte, hatte sich Ceres in ihrer ganzen reichsten Gunst gezeigt. Sie schien Ackermann ihre eigne Sichel in die Hand gedrückt zu haben.
Zwar noch nicht am Ziele seiner Wünsche war Heinrich Rodewald angelangt, doch steuerte er ihnen mit glücklichem Winde nach. Zuviel Sternennächte, wo er im Abendwinde hätte träumerisch seines wunderbaren Lebens gedenken können, fand er nicht; er arbeitete selbst und erlag dann auch den Geboten der Natur, die ihre Tribute verlangte. Es war ihm ja bei jedem Gang durch's Feld, bei jedem Liedchen, das er pfiff, bei jedem Gruße Selma's, bei jedem Handschlag eines jungen ihm zugesellten Arbeiters im leichten Kittel, gelbem Sommerhut, bartlosem Kinn, eines halben Feld-, halben Stubenarbeiters, in dem wir Dankmar Wildungen wiederfinden, gegenwärtig, was ihn daher geführt hatte, die Hunderte von Meilen zurück, durch die er wie jener Knabe im Märchen, um den Weg wieder zu finden, wenn er zurück wollte, doch eigentlich nichts Andres gestreut hatte, als was die Vögel – wegnaschen konnten. Dachte er an Wiederkehr?... Ein jugendlicher Heros, rüstig an geistiger und körperlicher Kraft, war seine Entwickelung in jene Zeit gefallen, wo die Wissenschaft dem Leben dienen sollte, die Begeisterung für die Musen die geheime Waffenübung halten für den einst hervorbrechenden Angriff auf die französische Usurpation des Vaterlandes. Er hatte sein Elternhaus, die Wohnung eines kleinen Stadtrichters am Fuße des Harzes, einst als Schüler verlassen, später einer schönen Schwester, die mit den Eltern in Leipzig und Halle, wo er studirte, ihn besuchte, unter einer großen Zahl von Freiern den Faden der Ariadne in die Hand gegeben, sie von solchen seiner Genossen wie Gelbsattel entfernt, aber auch vor dem kränklichen träumerischen Wildungen sie gewarnt, den sie dann doch wählte, um mit ihm ein in damaliger Überschwänglichkeit nicht geahntes Leben voller Mühen zu theilen. Von Halle folgte Heinrich dem Aufruf zu den Fahnen, als die Rückkehr Napoleon's von Elba einen neuen Kampf der Völker in Aussicht stellte. Die Schlacht bei Belle Alliance war die einzige, an der er Theil nehmen konnte. Bis in das Jahr 1816 blieb er in Frankreich und kehrte mit einem Ehrenzeichen und dem Entlassungspatente als Offizier zurück an den Heerd der Musen. Aber diesen Heerd fand er nicht so still, wie ihn die Eule Minervens liebt. Das aufgeregte Kampfblut wallte stürmisch in den Adern der damaligen Jugend. Auch ein neues Volksleben, eine Wiedergeburt des Vaterlandes wollte man erkämpft haben. Rodewald, Offizier, mit einem Ehrenzeichen geschmückt, fügte sich nicht den engen Schranken, die die bureaukratische Inquisition der Kabinette den Akademieen stecken wollte. Er studirte Philosophie und die Rechte. Er trieb sein Studium in der damaligen weltstürmenden Titanenhaftigkeit, zugleich aber doch als Forscher; er zielte auf einen Lehrstuhl. Der Gegenwart entzog sich dabei sein freier unerschrockner Sinn um so weniger, als ihn, wie alle Edlen damals, der Drang beseelte, die gewonnenen Ergebnisse des Wissens in die offnen Furchen des mit Blut gedüngten und neugeackerten Vaterlandes zu werfen. Wenn eine Zeit günstig war, den Völkern Freiheit und Einheit zu geben, war es nicht diese? Heinrich Rodewald beendete seine Studien mit einer sehr ehrenvollen, durch bizarre, damals beliebte Paradoxen auffallenden Promotion. Er war der Liebling, ja der Beherrscher Halles, er war der mit Jubel empfangene Gast in Jena geworden; ja in Würzburg, Gießen, Marburg holten ihn Komitate der Studentenschaft ein, wenn er die Kreise des neu erwachten höheren Jugendlebens besuchte, wo man in die jungen politischen Doktrinen die Sätze Hegel's, Steffens', Schelling's, Baader's mischte. Bald aber verwandelten sich diese Olympischen Kränze in prosaische Dornen. Die bekannten Verfolgungen begannen. Schon stand Rodewald als Gelehrter den kleinen Quälereien der Jugend entrückt, doch bezeichnete auch ihn die gemeine Servilität der damaligen meist neueingesetzten Behörden mit ihrem gefährlichen Hic niger est! Rodewald lebte jetzt in der Hauptstadt. Seine erste Schrift über einen Gegenstand des römischen Rechtes im Mittelalter erregte Aufsehen. Man bemühte sich, ihn für jene bald um sich greifende absolutistisch mystische Theorie zu gewinnen, die von obenher so begünstigt, so reich mit Auszeichnungen belohnt wurde, diese Philosophie vom objektiven Gedanken, diese beflissene Wiedererweckung der alten Kunst und Literatur, diesen neuen Kultus vor den großen Genien der vergangenen Literaturepoche, besonders dem weltbezwingenden, aber höfischen Goethe, in dessen west-östlichem Divan auch Rodewald ebenso schwelgte, wie ihn Faust und Tasso umstrickten. Der junge, schöne, hochgewachsene Gelehrte mit dem feurigen Auge, dem braungelockten Haare, den feinen, weltmännischen Manieren, der gewaltigen einschmeichelnden Rede wurde fast gegen seinen Willen vom politischen Makel befreit, in die genialkünstlerischen Cirkel gezogen, den Räthen der Krone vorgestellt. Rodewald gewann eine Professur, wie man dem wilden Rosse der ungarischen Ebene eine Schlinge über den Kopf wirft. Andre sah er zurückgesetzt, ihn den nicht mehr Verdächtigen hob man. Andre wurden verfolgt, ihn, den vom burschenschaftlichen Standpunkt auf den philosophisch-ästhetischen Übergesprungenen zog man hervor. Rodewald gerieth in Widersprüche mit seinen Freunden, mit seinem eignen Schwager Wildungen, in dessen Hause er nie mehr genannt werden durfte, er gerieth in Widersprüche mit sich selbst. Die Verhaftungen, die Absetzungen – erschreckten ihn endlich. Er sann ernster über die Zeit nach und hoffte einen Ausweg in dem System der konstitutionellen Politik zu finden, deren Lehre damals neu war. Aber nun kam er wieder in Konflikte mit den Ministern und Räthen, die ihm seiner wissenschaftlichen Richtung wegen so wohlwollten. Um ein gefährliches Element zu entfernen, gab man ihm auf drei Jahre die Mittel, in Italien zu reisen, Handschriften zu vergleichen, Klöster und Abteien zu durchstöbern, den Wandelungen des alten Rechts in den italienischen Municipalinstitutionen nachzuforschen. Rodewald, einen Bruch ahnend, nahm diesen Vorschlag an. Die Frauenwelt, die Lust, das Leben ergriffen ihn. Auf der Reise an den Ufern des Oberrheins, im Kanton Graubündten, im Abteigarten von Ragaz, an dem Sturz der von Pfäffers herabschäumenden wilden Tamina lernte er Pauline von Ried, eine leidende, aber interessante und sehr reiche junge Wittwe, eine geborne von Marschalk, kennen. Die Rosen- und Epheukränze, mit denen sich Faust schmücken wollte, als ihm das Studirzimmer zu eng wurde, wand ihm die Hand einer poetisch gestimmten, bizarren Frau. Drei Jahre blieb Rodewald mit der reichen, leidenschaftlichen, in Allem excentrischen Pauline in Italien, bald in Rom, bald in Florenz, bald in Neapel wohnend. Charlotte Ludmer sorgte für die großartigste Bequemlichkeit, die das liebende Paar mit Poesie und Schwärmerei genoß. Rodewald konnte sich sagen, daß er damals ein Wesen unendlich glücklich machte, Pauline hätte erwidern müssen, daß sie es nicht immer verdiente. Ihre Launen und Kapricen waren die einer Frau, die in einem Augenblick zu sterben fürchtet und im andern eine Lebenslust zeigt, die sie zum Trotz, zur Eitelkeit, zu hundert kleinen Konflikten mit der Gesellschaft hinriß. Es ist ein unverwüstlicher Trieb vieler Frauen, die bedeutendere Natur der Männer sich gleich zu machen, die allzuhohen Thürme und Dächer in der Manneskraft abzutragen und die Stockwerke des gegenseitigen Baues zu nivelliren, wenn nicht gar den Mann ganz auf das Erdgeschoß zu verweisen. Sie ruhen nicht, bis derselbe Mann, den sie zu lieben vorgeben, klein, endlich, geringfügig vor ihnen steht. Sie ruhen nicht, bis es nicht den Anschein hat, daß ein Mann mit all seinen irdischen oder geistigen Vorzügen, mit allen seinen Erfahrungen und seinem gereifteren Wissen doch ihrer als tief-bedürftig und vor ihnen pygmäenhaft klein erscheint. Dasselbe Gefühl, das hochherzige Frauen treibt, den Mann ihrer Liebe zu schmücken, ihn zu erheben, sein Wesen zu verschönern, ihn bedeutend selbst im Kleinen, liebenswürdig selbst in Schwächen zu finden, wird bei Andern durch das Streben ersetzt, die Gegenstände ihrer Liebe hülflos, arm, pedantisch, komisch, kleinlich darzustellen... bis dann endlich die Vergleichung eintritt, bis der Schleier der Selbstlüge fällt und erkannt wird, was man verlor, vergleicht, was man besitzt und besaß, bejammert, daß man sich den schönen Traum des Glückes, das Ideal der möglichen Vollkommenheit, muthwillig zerstörte... Pauline kehrte nach drei Jahren mit Rodewald in den Norden zurück. Der Erfolg dieses Wiedersehens des vaterländischen Bodens und seiner Verhältnisse war kein glücklicher. Heinrich Rodewald fand in den officiellen Meinungen und herrschenden Thatsachen nichts, was ihm wohlthun konnte; doch versuchte er eine Anknüpfung an seinen alten Lebensberuf, der ihm unter dem italienischen Himmel fast abhanden gekommen war. Darauf blickte Pauline von Ried mit Mistrauen, sah seinen Fleiß sogar mit Neid an. Während sie an Brustkrämpfen auf ihrem Sopha, im innersten Athem zusammengeschnürt, lag und stöhnte, litt sie noch qualvoller an der Vorstellung: Dein Angebeteter weilt jetzt in dieser Gesellschaft, wird bewundert, verehrt, hervorgezogen in jener! Sie konnte nicht hören, daß man seinen Geist, seine Schönheit rühmte. Alle Frauen erschienen ihr Feindinnen, die ihr den Tod geschworen hatten. Sie fesselte Niemanden, sie war nie schön. Nur ihre Gestalt hob sie und ihr Reichthum; und da sie kränkelte, konnte sie weder jene, noch diese geltend machen. So endete die Krisis damit, daß die Ärzte ihr einen dauernden Aufenthalt im Süden vorschrieben. Von Heinrich Rodewald wurde stillschweigend vorausgesetzt, daß er sie begleite. Als er zögerte, welche Scenen! Welche Thränen, welche Kämpfe! Er widerstand diesem Jammer nicht. Ohnehin in keiner der Voraussetzungen des damaligen politischen und religiösen Lebens sich zurechtfindend, folgte er Paulinen willenlos. Welche qualvollen vier Jahre! Eben der Anblick irgend eines reizenden oder majestätischen Schauspiels der Natur, dann Eifersucht, physische Leiden, lange Reisepausen in kleinen elenden Städten, um nur Paulinen Ruhe zu gönnen, bis sich ihre unverwüstliche Natur erholt hatte. Er war in Paris, in Spanien sogar, in der Schweiz, in Italien und Griechenland mit dieser Frau, die ihn nicht heirathete, eingestandenermaßen, um ihrem Adel nicht zu entsagen. Es folgten ihnen immer zwei Fourgons mit Geräthschaften, zwei Bediente, zwei Kammerzofen außer der Ludmer und einem Kurier. Es war die Zeit der großen Reisen. Die Friedensepoche, der Sturz und Tod Napoleon's hatten wie nach einem Gewitterregen das ganze Erdreich lebendig gemacht. Es wimmelte von Anmaßungen, Verschwendungen, Tollheiten und dazwischen stand Absolution ertheilend eine Religion, die den unbedingten Glauben lehrte, und eine Philosophie, die, Austern und Gänseleberpasteten verzehrend, vor Geheimrathspolitik sich beugend, behauptete: »Alles was ist, ist vernünftig.«
Zu Paulinen's Eigenthümlichkeiten gehörte ein ausgedehnter Briefwechsel. Sie hatte große Befriedigung davon, mit aller Welt in Verbindung zu stehen. Da sie wußte, daß das beste Mittel, Briefe zu ernten, Das ist, Briefe zu säen, so war Rodewald froh, sie sich doch am Schreibtisch sammeln, da sich bilden und beruhigen zu sehen. Ihre Nerven bedurften der Schonung. Ihr Leben war nicht ohne Gefahr. Sie befand sich in jenen Krisen eines Körpers, der lange mit drohenden Übeln kämpft, bis die Natur sich gleichsam gefunden hat und nach solchen Störungen oft ein wunderbar gutes Befinden zurückläßt. Aus diesen Briefen ergab sich eine sehr zärtliche Beziehung zwischen Paulinen und Amanda von Bury, einer jungen, schönen Adligen, die das Glück hatte, man nannte es Glück, den Liebling der damaligen Monarchenwelt, den tapfern Haudegen Grafen von Hohenberg, zu fesseln und seine Gemahlin zu werden. Wir kennen jenes Glück! Die junge Gräfin hatte einige Jahre der Qual durchgelitten, als sie es bei den für sie immer beschränkten Mitteln ihres Gatten durchsetzen konnte, eine Schweizerreise mit einem Aufenthalt in Landeck zu verbinden und ihre geliebte Freundin, Pauline von Ried, dort wieder zu sehen. Wir kennen die Geschichte dieses Wiedersehens... Der menschliche Geist hat seine geographischen Bedingungen. Was ihm unter einer deutschen Eiche zu fassen, zu empfinden unmöglich ist, weht ihm die Luft unter einem italienischen Orangenbaume zu. Heinrich Rodewald lernte eine vornehme, aber gedemüthigte, mishandelte, ihre Hand hülfeflehend nach Schutz und Rettung ausstreckende junge Frau kennen; ein gutes, sanftes, schwärmerisches Herz, aber einen wenig gebildeten Geist. Ihm that diese Mischung wohl, er liebte Amanda von Hohenberg. Pauline wurde getäuscht. Sie hatte das Recht, in ihrer Sprache von Dolchen zu sprechen, sie dachte an Gift, Mord und Verrath und doch glaubte sie nicht. Sie war zu stolz dafür, anzunehmen, daß in vier Wochen, während ihr das Wiedersehen der Freundin durch ein Krankenlager verdorben wurde, sich ein so folgenreicher Roman anspinnen konnte wie der zwischen Rodewald und der Gräfin Hohenberg, die in dem stolzen Manne einen Unglücklichen, einen nach Erlösung von sich selbst Schmachtenden antraf. Es stand zwischen ihnen fest, daß sie das damals nicht seltene Schauspiel einer Ehescheidung und einer Mesalliance aufführen wollten. Und bald sollte Das geschehen, in kürzester Frist, mit offnem Geständniß aller dabei nothwendigen Rücksichten. Amanda reiste ab. Der erste Brief schon kommt verspätet: der Graf – ist ein Millionär geworden! Der zweite kommt noch verspäteter: der Graf – ist Fürst geworden! Pauline ahnte... triumphirte... Rodewald bekämpfte seinen Schmerz und brütete über einen Entschluß. Schon jetzt hätt' er ihn ausgeführt, schon jetzt sich losgewunden, aber Pauline war krank, wurde bedenklicher, mußte nach Haus zurück, glaubte zu sterben. Die Entdeckung, die sie über Landeck machte, stieß ihr das Herz ab. Das Verlangen nach Rache zerwühlte die Eingeweide. Sie sah, daß die Fürstin Amanda sich mit Rodewald verständigen, nach ihrem möglichen Tode oder selbst wenn sie noch siechte, mit dem Vater ihres Kindes sich aussöhnen und sich die Anlehnung an eine bedeutende ihr so nahestehende Persönlichkeit nicht würde entgehen lassen. Da fiel sie auf den Gedanken, ein junges Mädchen, das zu ihrer Pflege nach Ems gekommen war, das von ihrem Leben, ihrem Vermögen abhing, die Nichte ihrer armen Schwester, einer Wittwe des jung verstorbenen Landraths von Harder, zu Rodewald's Frau zu machen. Dieser in solchen äußersten Lagen oft vorgekommene Plan gelang ihr. Dem jungen sechszehnjährigen Kinde wurde Rodewald als das Ideal eines Mannes geschildert, als eine in menschlicher Gestalt auf Erden wandelnde Gottheit... Rodewald, erschöpft und lebensüberdrüssig, zwischen Faust und Don Juan schwankend, ließ sich die Liebe dieses reinen Kindes gefallen... Egon von Hohenberg wurde inzwischen geboren. Pauline sah Rodewald's Bewegung, zitterte vor seiner Unruhe, die Ludmer entdeckte Briefe der Fürstin, er schien ihnen verloren für sie und ihre maßlosen Bedürfnisse... er grübelte so verdächtig, er brütete so wehmüthig, er schloß sich so oft ein, er sah so ernst auf Karten, die vor ihm ausgebreitet lagen... Wenn er sich mit Amanda wiederfände? Nein! Selma von Harder mußte ihn umschweben wie ein neckender Luftgeist, der ihn in heitre Regionen zog. Er sah des Kindes Verehrung, des Mädchens reine Liebe. Selma erkannte, daß dieser Mann von acht und zwanzig Jahren wie ein hohes Standbild unter dem gemeinen Gestrüpp der Alltäglichkeit emporragte. Sie liebte den Mann, den auch ihre Tante – so hoch verehrte. Der Einspruch ihrer Mutter, die in der Ferne von diesen Wirren erfuhr, war der entschiedenste. Selma wurde zurückgefodert, aber von Paulinen nicht gegeben. Anna kam selbst. Sie verrieth ihren tiefsten Abscheu vor Rodewald, einen Abscheu, den er unter Umständen bis zur Vernichtung begründet erkannte. Aber Selma blieb von ihm bezaubert. Festgebannt von seinem Auge, von seinem Ernst, von seinem ganzen Wesen gebunden, blieb sie in der Residenz nur bei Paulinen. Anna hatte alle Mutterrechte verloren. Damals jünger, eifriger, noch nicht gebrochen wie jetzt, noch nicht geknickt in ihren Aufflügen zu einem freien eignen Willen, benutzte Anna alle Mittel ihrer natürlichen Autorität. Sie verfehlten aber ihren Zweck. Die Verbindung zwischen Rodewald und Selma hatte Pauline einmal als Mittel erfaßt, sich diesen Mann auf immer zu sichern, ihn wenigstens nicht Denen preiszugeben, die sie betrogen hatten. Die Fürstin von Hohenberg, noch nicht wiedergeboren, noch nicht versöhnt mit ihrem Erlöser, lechzte nach Aussöhnung mit dem Vater Egon's. Sie schrieb, sie bat, endlich war der Augenblick einer Wahl über die Zukunft seines Herzens so dringend vor seinen nächsten Willen gestellt, daß er tief über sich selbst erschaudernd den Entschluß faßte, diesem Elend ein Ende zu machen, sich zu einem neuen Leben zu sammeln, mit Selma von Harder über die Meere in einen neuen Welttheil zu ziehen.
Das reine, hingegebene Herz hatte keinen andern Willen als den des geliebten, angebeteten Mannes. Sie entfloh mit ihm. Anna, ihre Mutter, glaubte die Spur in Frankreich suchen zu müssen, sie verlor sie und konnte sich nur trösten in der Ergebung an das Unabänderliche.
In Amerika begann der Vater Egon's von Hohenberg jene Läuterung, zu der empor sich nur Derjenige schwingen kann, der einst nicht aus Armuth, sondern aus Überfülle des Herzens fehlte. Ein karges Gemüth, eine leere Phantasie kann nie anders als nur einmal leben. Ein reicher glühender Geist setzt wie der Baum Ring an Ring und baut auf Trümmer neue Welten. Rodewald war ein Sieger, wo er auftrat. In seinem alten Sinne wollte er nicht mehr siegen, er wollte kämpfen und sah im Siege nur den Lohn der Mühe. Menschenfeindlich war allerdings sein Herz geworden; Das mußt' er sich zum Vorwurf machen und an diesem Übel krankte er lange. Er suchte die Einsamkeit, er floh die Menschen, er haßte sie. Amerika bot ihm die Fülle neuen Lebens, aber den Egoismus sah er grade hier in seiner vollsten Blüthe und so erfüllt von Poesie und Romantik war noch sein Herz, daß er sich in die neuen Formen des Staates, der Gesellschaft, der Sitten hier nicht finden konnte. Die Schauer der Natur suchte er, die hoben ihn. Dem Urgeist sich nahend, der in den Wäldern, an den wallenden Strömen rauschte, beugte er sein Knie und sein Haß milderte sich, da er Manchen sah, den es wie ihn getrieben hatte, sich in diese Uranfänge des Lebens zu flüchten. Manches Jahr blieb seine Ehe kinderlos. Dann wurde ihm Selma geboren, er nannte sie wie die Mutter. Er sagte sich: Du bist zuweilen noch zornig, zuweilen noch aufbrausend, du willst dein Kind nennen wie die Mutter; so wirst du erschrecken, wenn du mit dem Kinde sanfter sprichst wie mit deinem Weibe, oder sanfter mit deinem Weibe wie mit deinem Kinde; also ein Ton für Beide!... Rodewald kaufte nach manchem gescheiterten Experiment, nach mancher harten Erfahrung eine Niederlassung am Missouri. Diese erweiterte sich. Hier begünstigte ihn das Glück. Er fand gute Nachbarn, die ihm Geschäftsgenossen wurden. Es bildete sich eine Kolonie von Freunden, die das Glück in guter Laune erhielt... Auch die Herzen trüben sich so, wenn der Himmel trübe wird. Diesen Genossen blieb er heiter. Sie verkauften Bauholz, Getreide, Thierhäute; sie erwarben Alle. Es war ein Landstrich von einigen Meilen; zwischen jeder Niederlassung ein Stück Wald und Feld; aber meilenweit machte der ganze Bund sich verständlich. Sie hatten Zeichen, die immer den Zusammenhang sicherten. Viele Bürger der Union, viele Reisende besuchten Missouri-Garden, wie die Kolonie sich nannte, und Meister Harry war der Gärtner dieses Gartens oder in ihm die majestätische Baumkrone. Hier war es, wo Otto von Dystra zuweilen vorsprach, zuweilen jener Morton aus Newyork, in dem sich ein Deutscher vermuthen ließ, ohne daß der doch gleichfalls deutsche Farmer Harry forschte. Harry erwarb, wurde wohlhabend, für den Kontinent vermögend. Aber Selma starb und mit ihrem Tode bedrängte den Vater der Gedanke an die Zukunft seines Kindes. Er hatte dem Chaos der eignen Brust genug gethan. Mit dem Tode der Frau, die er sich durch eine Umwälzung der Seele gewonnen, war ein alter Ring seines Lebensbaumes abgesetzt, ein neuer drängte. Er wollte zurück um seines Kindes willen. Er hatte der Mutter versprochen, sich mit Anna von Harder auszusöhnen und ihr Selma zu bringen, falls sie sie besitzen, die Enkelin anerkennen wollte. Er rechnete auf eine harte Prüfung. Er wollte sie tragen.
Amanda's Tod hatte Rodewald erfahren, auch Paulinen's neue Heirath mit Anna's Schwager. Diese Verbindung schien bedenklich. Er beschloß, erst unter dem Namen Ackermann den Kontinent wiederzusehen. Der Pächter Harry verpachtete seine Niederlassung in Missouri-Garden, nahm nicht für immer von dort Abschied, erhielt mancherlei Aufträge für Europa, auch jenen von dem unglücklichen Morton und kehrte auf den Boden der Heimat zurück mit seinem Kinde, das ihn als Knabe begleitete. Er sah die Residenz später als Schloß Hohenberg. Er war in Plessen, betrachtete das Denkmal der heimgegangenen Fürstin; wir sahen seine Rührung. Er erfuhr die Wendung aller der Verhältnisse, die einst hier geherrscht hatten, er entdeckte Irrthümer, Wahn, Verblendung, Elend sogar und Armuth da, wo sein Herz so betheiligt schlug. Er lernt Dankmar Wildungen kennen. Der junge Mann fesselt ihn; er fesselt sein Kind. Sie liebt ihn schon, als er mit bebendem Entsetzen erfährt, damals am gelben Hirsch erfährt, dies wäre Prinz Egon. Fast besinnungslos folgt er dem Zuge, der vom Schlosse in die Residenz fuhr, nach dem Heidekrug. Er will seinem Sohne, wenn er es wäre, sich zu nähern suchen. Er kommt zu spät in der Herberge an. Es ist schon Nacht... es ist Mondschein... Alles schläft. Daß Egon unter diesen zusammengewürfelten Menschen der Alltäglichkeit, diesen Gläubigern des Fürsten Waldemar, im Incognito lebte, schien ihm so natürlich! Wie lockte ihn der Familienzug, der in Dankmar Wildungen, seinem Neffen lag, schon mit natürlicher, blutsverwandter Gewalt! Er kommt in die Lage, Abends, als er Geräusch auf dem Korridor hört, im Mondschein sich Dankmar's Schlafzimmer zu nähern, er empfängt von dem schönen, vor dem unheimlichen Störenfried Hackert erschreckenden Mädchen ein Bild, das er bedeutet wird, in jenes Zimmer zu tragen. Sie entschlüpft. Er betrachtet das Bild. Es ist die Fürstin Amanda! Zitternd nähert er sich dem nun gewiß gefundenen, schlummernden Sohne, legt das mit seinen Küssen bedeckte Bild unter Dankmar's Haupt und nimmt eine Locke von seinem Haupte. Diese Locke, wie hielt er sie hoch! Wie verehrte er sie als das Einzige, was er von Egon besitzen durfte, von Egon, auf den er Dankmar's Männlichkeit und Adel übertrug! Daß er sich entschloß, seine Kenntnisse von der Pflege des Bodens der Rettung seines Kindes zu widmen, war ein Gedanke, der ihn mit blitzschneller Begeisterung ergriff. Da ist mein Geld, da meine Hand, nimm, mein Sohn, dein Vater wird für dich sorgen! So hätte er sprechen mögen zu dem kranken Prinzen im Schlosse, als er diesen Schlurck fast vor Zorn niederwarf. Aber konnte er so sprechen? Konnte er sich verrathen, als Louis Armand die Nachricht brachte: Dein Wunsch ist erhört! Wie glücklich war er in der Werkstatt der Maschinenbauer in jener Nacht, als er bei Willing und Leidenfrost die Hülfsmittel seines ihm liebgewordenen Berufes bestellte! Wie freudig griff er seine schwere dem früheren idealischen Leben so fremde Aufgabe an, wie ergeben räumte er die sich ihm bald darstellenden Schwierigkeiten aus dem Wege! Es gilt deinem Sohne, dachte er, deinem Sohne, der dir gehört vor Gott und Amanda's unsichtbarem Genius! Kein Mensch auf Erden kann wissen, welcher innern Mahnung du hier folgst und welches der wahre überschwengliche Lohn deiner Mühen, die gottgefällige Himmelsblüthe deiner Arbeit ist!
Freilich bekümmerte ihn nun Alles, was er von Egon erfuhr. Er erlebte das Verletzendste. Nichts konnte so gefährlich sein als die Entdeckung, die er über Selma und des Mädchens liebende Neigung machte. Schaudervoll ergriff es ihn, als er dies keimende Regen und Wachsen in des Mädchens Brust beobachtete. Die Tragödie der alten Welt, der Fluch des Schicksals schien mit dunkeln Fittichen über ihn niederzuschweben. Welcher Beherrschung bedurfte er damals, als Louis Armand zum Besuche kam, die Anklagen gegen Egon wuchsen und Selma, sein Kind, immer parteiischer, immer gereizter für das Ideal aufloderte, das einmal von ihrem Auge nicht weichen wollte. Ein qualvoller Winter für ihn, der ihn unfähig machte, irgend etwas zu beginnen, was nicht in nächster Verbindung mit seiner Pachtung stand. Er hätte doch nun seinen wahren Namen sagen, Verbindungen mit Anna von Harder anknüpfen, Erkundigungen einziehen müssen; er war nicht im Stande sich zu sammeln, nicht fähig, den geringsten auf die Lösung dieser Herzensaufgabe bezüglichen Entschluß zu fassen. Dann aber – die Wonne – die Erleichterung der beschwerten Brust! Dies selige, jauchzende Aufathmen des gepreßten Herzens, als Selma in den Armen eines jungen Mannes lag, der sie zu umarmen den Muth besaß, weil er sie nur für den Knaben nehmen wollte und sie, sie nahm ihn für ein Wunder; denn Egon, der Verfolger seiner Freunde, konnte ja nicht der Verfolgte selber sein, es war ein Wildungen, Dankmar, der Sohn der eignen Schwester des Vaters, Dankmar, des Vaters Neffe!
Der Flüchtling wurde auf die leichteste Art verborgen gehalten. Der entfernte Bart, die gestutzten Haare, eine sommerliche ländliche Tracht, ein großer, breitrandiger Strohhut gaben ihm bald ein Ansehen, das Niemanden an den im vorigen Sommer hier so räthselhaft aufgetauchten Doppelgänger des Fürsten erinnern konnte. Die Zahl der Menschen, die vom Generalpächter zu seinen Unternehmungen verwandt wurden, war über Hundert gewachsen. Unter ihnen verlor sich Dankmar um so mehr, als er nicht etwa im Ullagrunde bei Ackermann wohnte, sondern in dem entlegeneren Randhartingen, wo er für einen jungen Ökonomen galt, der sich besonders im Schreiberfach dem Generalpächter nützlich erwies. Glücklicherweise hatte Dankmar eine Wohnung gefunden, die ihm gestattete, fast in allen seinen Bedürfnissen für sich selbst zu sorgen. Mehr, als er wünschen konnte, fühlte er sich allerdings im Verkehr mit Selma gehemmt. Allein ohnehin lag es schon in der nothwendigen Rücksicht auf den Vater begründet, daß zwischen ihnen, gleichfalls still und verborgen, mehr die verwandtschaftlichen Bande, als die der Liebe geltend gemacht wurden. Rodewald hatte die Freude, als er sich Dankmarn in seiner Eigenschaft als jener schlimmberufene Oheim zu erkennen gegeben hatte, in diesem Verwandtschaftssinne die zwischen den jungen Liebenden herrschende Vertraulichkeit mehr deuten zu dürfen, als in dem leidenschaftlichen Charakter eines die Andern ausschließenden zärtlichen Besitzes. Es ist ein so wehmüthiges Gefühl für einen Vater, der seines Gemüthes einzige Befriedigung in der Liebe seines Kindes fand, diese plötzlich mit einem Eroberer theilen, ja wol ganz an ihn verlieren zu sollen. Ein Vater, der einzige Schutz und Hort seines Kindes, sieht, ist dies Kind ein Sohn, diesen plötzlich nur für das Wohl und Wehe einer fremden Familie, deren schönstes Kleinod er liebt, erglühen, oder es geschieht, daß seine einzige Tochter, das Pfand der Liebe eines dahingeschiedenen Weibes und die letzte Erinnerung an seine eigne Jugend, ihm an einen Mann verloren geht, der unter seinen eignen Augen die reinen Lippen, die nur ihm sonst in kindlicher Liebe schmeichelten, mit seiner Leidenschaft bestürmt. Manche Väter, manche Mütter wissen oft nicht, daß das Gefühl, das sie gegen einen Bewerber um die Gunst ihres Kindes hart erscheinen läßt, eine in ihnen tief wurzelnde Eifersucht ist. Dankmar, mit dem in allen Dingen ihm innewohnenden Takt, erkannte dies Gefühl. Wo ihn nicht Ort und Stunde begünstigten, verlangte er für seine heiße Liebe nie die Linderung durch sichtbare Zärtlichkeit. Und weil Rodewald diese Schonung fühlte, wurde ihm der wackre Sinn des neugewonnenen Sohnes nur um so ehrenwerther und mit wahrer Freundschaft schloß er ihn in sein Herz.
Es gibt auch wenig so gefällige Verhältnisse im Leben, als in dem mystischen Bunde, dem vielverspotteten und zur Prosa des Lebens herabgewürdigten Schwieger- und Schwäherbunde, Gleichartigkeit der Gesinnung und Stimmung. Rodewald hatte die Freude, in Dankmar einen Sohn zu gewinnen, der neben ihm stand wie das jüngere Abbild seiner selbst. So fast nahm er selbst einst das Leben, ehe seine Bahn von Andern durchkreuzt wurde. So fast ging, stand, hielt er sich, wie Dankmar! Welche ruhige Erörterung mit ihm über die nächste und entferntere Zukunft! Welches Maß in der richtigen Abschätzung des Möglichen! Welche besonnenen Zumuthungen an das Leben, welche richtigen Voraussetzungen über die Charaktere, ihren Egoismus, ihre Schwächen, wenn es sich um Personen handelte! Dankmar war durch Natur, durch Studium und frühe Lebenserfahrung der Philosoph, der sein Oheim erst durch die bittersten Prüfungen und jene läuternde edle Reue wurde, die Dankmar nicht in sich mit Beklommenheit zu hegen brauchte, da er, was er begann, immer besonnen überdacht und auf ein ehrliches Gelingen angelegt hatte. Es ist ein Himmelssegen für einen Mann in den Jahren Rodewald's, sein Kind unter der Leitung eines Charakters zu wissen, wie Dankmar Wildungen war.
Wol gab es auch zwischen ihnen manche Differenz. Die noch jugendliche Auffassung mancher Dinge, besonders der Gefahr, der lebendigere Farbensinn für das Kolorit und die Poesie des Lebens, die Pläne über den Abschluß einer Verbindung mit Selma gaben noch Gelegenheit zu manchem Widerspruch. Doch hoben diese streitigen Ausnahmen nur die herrschende Regel des Friedens. Einer verstand den andern; beide lebten sich wie in eine Seele ein. Selbst der Prozeß, selbst die Sache des Bundes gab keinen Anlaß zu einem Scheidewege. Dankmar sprach über beide Angelegenheiten mit der dem Juristen eignen kritischen Prüfung aller Möglichkeiten. Die Entgegnungen Rodewald's widerlegte er nicht durch einen blinden, den Thatbestand übersehenden Enthusiasmus, sondern ließ Das, was unwiderleglich war, gelten und gestand es zu, wenn sein Suchen nach Abhülfe vergeblich gewesen war. Rodewald kannte die Familientradition und lobte Alles, was Dankmar zu ihrer Geltendmachung versucht hatte. Der Prozeß schwebte nun in dritter Instanz beim Obertribunal. Ein räthselhaftes Dunkel umspann eine Angelegenheit, die um so verwickelter wurde, seit Dankmar und sein Bruder Flüchtige, Verfolgte waren. Doch wußten Beide, daß darum eine civilrechtliche Frage nicht stocken konnte. War sie doch aus dem trüben Sumpf der ersten Gerechtigkeitsstadien, wo die polizeiliche Gewalt an der Waagschale der Themis nur zu oft die Gewichte zu verfälschen sucht, glücklicherweise herausgetreten zu einer Region, wo man ein Europäisches Aufsehen wol fühlen mußte und eine Entscheidung zu geben hatte, ähnlich der, wie über die bekannte Mühle bei Sanssouci! Bedenklicher konnte die Anwendung scheinen, die Dankmar einem möglichen Gewinne bestimmt hatte. Es war die Überzeugung in den Brüdern fest, daß mit Ehren diese Güter nur zum Besten einer Idee verwandt werden konnten und diese Idee, wie war sie gewachsen, wieviel Blüthen und Früchte trieb sie nicht schon, wie konnte sie sich entfalten, wenn das Erbtheil des Komthurs Hugo von Wildungen in den Bund zurückfloß, der sich an die Ritter vom Grabe zu Jerusalem anschließen sollte! Aber Rodewald folgte auch diesem Labyrinthe von Träumen und gefährlichen Hoffnungen nicht mit der platten Logik der Alltagsüberlegung, die hier unbedingt gesagt haben würde: Ihr seid Thoren! Er dachte sich in den Zusammenhang der Ideen Dankmar's hinein, staunte, daß er selbst die Veranlassung gegeben, diese Gedankenreihe einst anzuspinnen, bewunderte, wie weit schon ein nur so flüchtig in einige Gemüther geworfener Funke gezündet hatte... War ihnen Beiden doch geschehen, daß sie bei einem kleinen Ausfluge in nahegelegene Ortschaften Spuren entdeckten, daß der Bund der Ritter vom Geiste da lebte und wirkte, wo sie den Weg der Verbreitung kaum ahnen konnten! Es ist damit, sagte Rodewald, wie mit dem Entstehen von Wäldern an Orten, wo sie Niemand säete. Die Vögel tragen den Saamen durch die Luft! Eine eigenthümliche auf das vierblättrige Kleeblatt deutende Handbewegung hatte Beide, Rodewald und Dankmar, schon mit Begegnungen in Verbindung gebracht, die sonst die flüchtigsten gewesen wären. Sonst stumm und kaum grüßend an ihnen vorübergegangene Menschen waren ihnen durch ein einziges Wort vertraut geworden. Man sprach allgemein von einem weitverzweigten Bunde, dessen Obere Niemand kannte, dessen Statuten noch ungeschrieben waren, der aber mächtiger hervortreten würde, wenn eine gewisse Hoffnung, über die verschiedene Versionen liefen, sich erfüllen würde. Nicht einmal, daß diese Hoffnung der Prozeß der Gebrüder Wildungen war, ja nicht einmal, daß Dankmar Wildungen für den Stifter des neuen Templerordens gelten mußte, war Jedem außer der forschenden Regierung bekannt. Dennoch blieben die Pflichten des Bundes kein Geheimniß. Die Theilnehmer wußten Alle, daß er auf den Grundsatz geschlossen war: Du sollst Gott mehr dienen, als den Menschen! Du sollst die grade Straße deiner Überzeugung gehen, nicht Noth, nicht Überfall und Gewaltthat auf ihr fürchten, sondern in jedem Loose auf die Hülfe warten, die dir zur rechten Stunde von Denen wird, die über dir wachen!
Rodewald, seit lange schon so wenig Idealist, wie es ein auf Erde, Regen und Sonnenschein angewiesener Arbeiter nur sein kann, Rodewald ging in seiner Übereinstimmung mit Dankmar so weit, daß er gradezu von unsrer Zeit zugab, sie wäre reif zu einer neuen Messiasoffenbarung. Was würden denn die Mächtigen der Erde beginnen mit einer Persönlichkeit, die alle Bedingungen eines großen Propheten trüge? Sei er nur rein in seinen Anfängen, achtbar in seiner Bildung, begabt mit der Macht der Rede, sei er nur tief in seinen Studien, um vor dem Dünkel der Gelehrsamkeit nicht erschrecken zu dürfen, sei er nur sittenrein in seinem Wandel, enthaltsam, bescheiden, feßle er den Menschen durch eine gewinnende Persönlichkeit und sei er ein großer Dichter des Lebens, der würdig ist, sein eigner Gegenstand zu sein, wer wollte ihn dann in Banden halten, fesseln, vernichten, mürbe machen durch die kleine Quälerei unsrer Civilisation? Er würde nur zu lehren brauchen: Ich komme als ein andrer Christus, der Das der Welt sein muß, was dieser den Juden war! Ich komme als ein Richter und Strafredner über den Pharisäismus dieser Tage, der mit den Unterdrückern des geistigen Lebens buhlt, statt die Menschen von der Geschichte zu befreien, das Individuum von der Gesellschaft, die Gesellschaft vom Staate, den Staat von den Personen und den Vorrechten der Geburt! Was würde man ihm denn Höheres thun können als sein Leben nehmen? Würde dieser Tod, freudig ertragen nicht grade zu den Merkmalen gehören, die ein neuer Erlöser der Menschen tragen müßte? Es ist eine Stille in den Seelen der Menschen eingetreten, die das Ohr schärft, das Wehen und Nahen der Gottheit zu vernehmen.
Und wenn Dankmar fortfuhr, daß jetzt nicht mehr ein Individuum allein Das vermöchte, was ein Märtyrer vor zweitausend Jahren, sondern daß sich wol der rein und klar herausgestellte Begriff der Menschheit an sich selber zum Befreier würde, so widersprach Rodewald nicht, sondern dachte nur darüber nach, wie man den Bund der streitenden Brüder vom Geiste zum möglichen Abbild der reinen Menschheit, zum Sammelplatze aller wahren Lebenskeime der Geschichte erheben und man nach Abzug der endlichen Bedingungen, die allerdings jede irdische Unternehmung verkürzen, mit der Zeit diejenigen Wohlthaten segnend über die Jahrhunderte ausgießen könnte, die nicht mehr in der Macht eines einzelnen Messias liegen würden. Die stillen Abendstunden und der Sonntag wurden dem Austausch von Gedanken und Vorschlägen für diesen Zweck gewidmet. Die Erfahrungen der Politik, der Theologie, der Seelenlehre, des Rechtslebens wurden zwischen ihnen ausgetauscht. Dankmar, der für den Schreiber des Generalpächters galt, las und schrieb genug, aber es waren Studien über die Gesellschaft. Was er von Büchern brauchte, verschaffte Rodewald aus Bibliotheken, selbst entfernten. Er entlieh für sich, was für Dankmar bestimmt war. Auch der Briefwechsel, den Dankmar zu führen hatte, nahm seine Zeit in Anspruch. Auf Umwegen, mit schützenden Adressen kamen ihm Nachrichten von den Freunden, vom Bruder zu. Die Rettung Leidenfrost's und des Majors von Werdeck, herbeigeführt durch Jagellona, die auf der Veste Bielau einen greisen Invaliden entdeckt hatte, Max Brüning, den Vater Leidenfrost's, jenen Bayer, der nach französischer Gefangenschaft und langem Krankenlager in der Fremde die Spur der im Kloster zum Herzen Jesu niedergelegten Kinder, jenes auf den Eisfeldern Rußlands dem sterbenden Stanislaus Kaminski abgenommenen Mädchens und seines eignen ihm von seinem in Gnesen gestorbenen Weibe hinterlassenen Sohnes, nach Polen hin verloren hatte und für eine Befreiung des Majors leicht zu gewinnen war, nachdem sie selbst mit Hülfe des von Schlurck endlich erhobenen Geldes Leidenfrost's Fesseln zu sprengen gewußt hatte, diese fernweilenden Menschen vergrößerten den Kreis Derer, mit denen Dankmar in Beziehung bleiben konnte. Man drängte in ihn, jetzt ihnen nachzufolgen, man fand sein längeres Verweilen auf einem Boden, den der reaktionäre Terrorismus Egon's von Hohenberg so gefährlich gemacht hatte, für Vermessenheit. Er schrieb den Freunden, er fände schwerlich im Auslande die Muße, so im Zusammenhänge der Aufgabe zu bleiben, die er sich zunächst hätte stellen müssen, die Vorarbeiten zu zeitigen zum ersten großen Bundestag, den er auf den September des nächsten Jahres ansetzte.
Rodewald freilich hatte einen andern Grund, Dankmar'n oft an die Nothwendigkeit, nun doch in's Ausland zu gehen, zu erinnern. Die Zeit rückte heran, wo er über Selma einen Entschluß fassen mußte. Er fühlte, daß an seiner einmal festgehaltenen Absicht, sein Kind zu Anna von Harder zu führen, nichts geändert werden durfte. Auch entging seiner Erinnerung an die Sitten und die Bildung der großen Welt keineswegs, wie sehr Selma noch die nachhelfende Hand einer höhern weiblichen Erziehung bedurfte. Zwar sagte Dankmar auf solche bang' ihn erschreckenden Worte: Du wirst mir den Blüthenstaub von meinem Mädchen streifen! Du wirst ihr nehmen, was grade ihr schönster Schmuck ist! Aber bei aller Freude an der Selma eignen, heitern kindlichen Naivetät schüttelte der Vater das Haupt und blieb dabei, sie hätte erst noch eine Prüfungszeit zu überstehen unter den Augen ihrer Großmutter, wenn sie sie annehmen will. Es ist das Haus, wo ich um ein lateinisches Wort: propinqui equites den Prozeß verliere! sagte Dankmar. Und Rodewald erwiderte: Wenn sie Selma wie ihr Kind begrüßt und mir vergibt, so laß' es uns ein gutes Zeichen sein, daß wir beweisen: Hugo von Wildungen trat die Erbschaft seiner ganzen Familie und nicht den im Orden befindlichen Verwandten ab, die du in den Verzeichnissen von Angerode nicht hast entdecken können, falls in der That die Equites geistliche Ritter sein sollen und nicht vielmehr Adlige und Ritterbürtige überhaupt, denen allein die Erbfolge in großen Lehnen gestattet sein konnte... So mischte sich auch der alte Sachsen- und Schwabenspiegel in die Idylle des Herzens.
Selma sah mit Bangen den Tag heranrücken, wo sie vom Vater und Geliebten zugleich scheiden sollte. Jenen konnte sie doch wiedersehen! Dieser aber, auf die Verborgenheit angewiesen, verbannt in die Ferne, verschwand ihr, wie die rettende Hand einem Ertrinkenden verschwinden mag, sie glaubte ohne ihn vergehen zu müssen. Dankmar! Dankmar! So bebend, so jammernd konnte sie diesen Namen rufen, als wenn sie sich auf ewig nun von ihm hätte trennen sollen und sie jener Königstochter gliche, die, von den Göttern als Opfer für die glückliche Fahrt der Griechen gefordert, von den herzlosen Eltern auch auf den Altar der Diana hingegeben wurde! Ihre Seele war in dem letzten trüben Winter zu schwer belastet gewesen. Es waren Klänge durch ihr Herz gezogen, wunderbar traurige Klänge, die das Glück der Täuschung, des wunderbaren Entdeckens eines ihr verwandten, sie liebenden Mannes wol mit leichten Melodieen verdeckte; nun aber brachen sie melancholisch, klagend genug wieder hervor und oft sagte sie zum Vater: Laß uns ewig Ackermann heißen, laß uns bleiben, was wir sind, die Mutter segnet das Glück ihrer Tochter! Nur du, nur Dankmar haben Ansprüche auf mich!... Es war ein ernstes Sinnen, das nach diesem im Spätsommer fast täglich wiederholten Drängen seines Kindes den Vater überfiel, aber immer entschied für die alte Verabredung das Gelöbniß an die sterbende Mutter, der Hinblick auf Selma's nicht ausreichende Bildung und ein Ahnen, das der Vater in den Worten aussprach: Ich weiß nicht, was mich in die verschwiegene Behausung zieht, die Anna von Harder vor den Thoren der Residenz bewohnt! Wir fuhren zwei Mal an ihr vorüber. Weißt du, einmal mit jenem unheimlichen Begleiter, dem Nachtwandler, der uns den Namen Tempelheide und die Bewohner nannte und dann, als wir von der Maschinenfabrik kamen, von der rauschenden Musik des wilden Balles? Jedes Mal klang ein melodischer Lufthauch von dem dunklen Gehöfte her. Du schliefst. Aber mir war's, als mahnten mich die Töne, die ich hörte, als riefen sie: Du gehst hier vorüber, richtest nicht die Grüße deines sterbenden Weibes aus? Hörst sie nicht, wie sie dich mahnt? Es muß sein, Selma! Die Liebe wird sich bewähren. Es hindert mich nichts, nichts, Rodewald zu heißen. Dankmar wird in zwei Jahren dich heimführen in eine Welt, die bis dahin in tausend Dingen kann eine andere und unendlich bessere Gestalt gewonnen haben.
So blieb es bei der Trennung. Sie konnte nichts auflockern, was zwischen den Liebenden feststand. Selma war Dankmar'n gleich anfangs als das Abbild jener Weiblichkeit erschienen, die dem starken und gesunden Mannesgeist allein genügen kann. Fern von jeder grellen, berechnenden Gefallsucht hatte sie ihr gut Theil Evanatur, wie alle aus der Rippe Adam's Gebornen. Sie sah weit lieber, daß sie gefiel, als daß sie abstieß oder gleichgültig ließ. Aber sie eroberte ihren Beifall nicht durch unerlaubte Mittel. Sie gab sich kein Air von Empfindungen, die ihr fremd waren. Sie schlug die Augen nicht auf, um schwärmerisch zu erscheinen, sie lächelte nicht süß, um ihre blendenden Zähne zu zeigen, sie kämpfte ihre Wallungen, ihre Meinungen, ihre kleinen Reizungen sogar nicht nieder, sondern gab sich, wie sie dachte und wie sie oft nur zu natürlich empfand. Da fehlte es an Thorheiten gar nicht, besonnener Zuspruch fand bei ihr immer zu thun. Nur kam es auf den Redner an, auf seinen Ton, seine Lehre, seine Absicht. Selma sprang mitten in eine Predigt ihres Vaters und erstickte sie mit Küssen und Thränen. Wie flogen da die braunen Locken, wie glänzten die dunkelblauen Augen, wie lieblich klangen die Schmeichelworte und wie konnte sie dann bitten, sie nur ja nicht an Dankmar zu verrathen! Grade verrathen! Grade, weil du den Freund täuschen willst! sagte dann Rodewald. Nein Vater, weil er schon soviel selbst an mir zu dulden hat und weil ich ihm keinen Abscheu vor mir einflößen will; sprach sie. Aber Dankmar duldete und trug gar nicht, wie sie fürchtete. Wenn er in seinem kurzen Sommerrock und unter seinem breitrandigen Strohhut so spät Abends mit ihr die Ulla hinauf schritt, dem stilleren Waldrücken zu, und die Cigarre weggeworfen hatte, um am Duft seiner Lippen nicht unwürdig zu erscheinen einer flüchtig erhaschten Zärtlichkeit, lächelte er nur. Er hatte eine Ruhe Selma gegenüber, die sie oft Phlegma nannte und wegen der sie ihn durch tausend kleine Neckereien in Harnisch zu bringen suchte. Es gelang ihr aber nicht. Dankmar setzte allen ihren Seitensprüngen von der geraden Straße der Langenweile und Monotonie, an der die sogenannten gediegenen Frauennaturen oft bis zum Nichts zu Grunde gehen, nur ein ruhiges ergebenes Lächeln entgegen, nicht etwa das träge Lachen des Phlegma, sondern ein Lächeln, von dem Selma einmal in wirklichem Zorn sagte: Und meinem glühendsten Behagen streckst du die kalte Teufelsfaust entgegen! (Sie hatte eben Göthe's Faust zum ersten Male kennen gelernt;) aber der Vater nannte dies Lächeln der Überlegenheit den höchsten Sieg, den die Majestät der Leidenschaft, die Löwenhoheit einer bedeutenden Natur, über sich selbst gewinnen könnte. Da zerfloß sie denn in Liebe und schmiegsame Anmuth. Dankmar besaß in Selma eine Natur. Von der Lüge der Salons, von der Prüderie der üblichen Erziehung war ihr nichts angeweht. Sie stand im unmittelbarsten Verkehr mit den Dingen, wie sie sind. Und viele hüteten sich vor ihr; die Schlechten, die Trägen, die Lügner gewiß. Gewisse Mittlere schwankten noch. Aber die Guten trugen sie auf den Händen, nannten sie einen Engel und priesen Den glücklich, der sie einst gewinnen würde. Daß dies schon des Generalpächters hübscher Schreiber war, sah man nicht.
Das Glück dieser stillen, verschwiegenen Liebe und eines süßen, heimlichen Trostes für manche grobe äußere Mühe, der sich Dankmar des Scheines wegen unterziehen mußte, wurde nur gestört durch den Hinblick auf die Zeit und Egon's Art sie zu lenken. Verschiedenartig wirkte diese schmerzliche Erfahrung. In Dankmar war es der beleidigte getäuschte Freund, der die Möglichkeit eines solchen Irrthums, solcher trügerischen Voraussetzungen, wie sie bei dem Fürsten Egon stattgefunden, in einem Menschen kaum begreifen konnte. In Rodewald dagegen war es noch ein herberer Schmerz. Er konnte wohl zu Dankmar sagen: Sieh da die Macht der Umstände, den furchtbaren Zwang der Stellungen! Aber was er selbst innerlich fühlte, war noch ein Anderes. Egon von Hohenberg stand ihm durch die dunkelsten Verirrungen seines Lebens so nahe! Er bereute jene Tage nicht, in denen diesem jetzt gereiften jungen Manne das Leben gegeben wurde; sie waren ihm nur von Wehmuthsschleiern überwoben. Könnten diese Schleier je sich heben! hatte er gedacht, könnte je das helle Licht der Sonne und der Wahrheit bescheinen und an den Tag bringen, wer du diesem jungen, so rauh über die Erde fahrenden Staatenlenker sein könntest! Er dachte sich, wenn du nun einst einmal vor ihn hinträtest! Wenn er dich empfangen wird, hier im Schlosse oder in der Residenz, falls er deine Gegenwart wünscht, und nun steht er gnädiglächelnd, leidlich wohlwollend, vielleicht aber auch gereizt, vielleicht streng vor dir? Wenn er wüßte, daß du Dankmar Wildungen bei dir aufnahmst? Wenn er wüßte, warum du dich jetzt Rodewald nennst und wie du auf diese Wandelungen deines Wesens gekommen bist? Pauline von Harder, (die einzige, deren Leben Rodewald fürchtete) diese dir jetzt so Verbundene, sie wird nie, nie sagen, daß du mein Sohn bist, aus Haß gegen die Mutter nicht! Und sonst kennt keine Seele die Tage von Landeck vor dreißig Jahren. Ich und du! Du und ich! Wir Beide durch ein Geheimniß verbunden! Wenn ich es ausspräche, wenn ich im Zorn über deinen Stolz, deinen Hochmuth, deinen Dünkel, deine Unsittlichkeit, deine Herzlosigkeit, deine männliche Schwäche, die eine Melanie Schlurck zur Fürstin von Hohenberg erheben konnte – und diese That kommt nicht aus meinem Blute, nicht aus dem Blute des Plebejers, der mehr Stolz hat als du – wenn ich mich hinreißen ließe und Vaterrechte geltend machen wollte, wenn auch nur unter vier Augen... Und dann? dann?... Wenn dieser junge Tyrann dich von seinen Dienern zur Thüre hinauswerfen ließe... ha, und du griffest in deine Brusttasche und zögest die Papiere hervor, die deine Behauptung beweisen, die Briefe der Fürstin... Und dann? dann?... Wenn er die Säcke Geldes nähme, die du für ihn erwarbst, in hingebender, nur vom Himmel erkannter Liebe und Aufopferung für ihn sammeltest, um der innersten Pflicht zu gehorchen, und er dies Geld vor dir hinschüttete und riefe: Da behalte, Elender, aber schweige! Schweige oder meine Rache ist gränzenlos... Diese Gedankenreihe, furchtbar peinigend für seinen Stolz und für sein Herz, verließ Rodewald nicht mehr, steigerte sich sogar, als der Herbst nahte, alle seine Pläne reiften, gesegnete Früchte sanken und Egon ihm schrieb, er würde bald selbst auf seinem Schlosse erscheinen, sich eine Weile von seinen Mühen ausruhen und ihm für »die guten Geschäfte,« die er mache, danken... Rodewald kannte bei allen diesen Voraussetzungen die Natur Egon's, die ohne Zweifel tiefe und bedeutsame Entwickelung auch dieses Charakters noch nicht.
Aber des Fürsten eisernes Walten war nicht hinwegzuläugnen. In nächster Nähe ja sah Rodewald die traurigsten Spuren davon. Sein Nachbar, der Bauer Sandrart, der Reiche, Überzufriedene, Stolze, der auf seinen Sohn so stolze Vater, wie schlich der Ärmste, zum Tod gebeugt, an einem Stabe von Haus zum Bach, vom Bach zum Hause, und blickte kaum auf, wenn man ihn grüßte: Vater Sandrart, wie geht's? Was macht die Ernte? Thut Euch der Sonnenschein gut? Ihm that nur gut, wenn er sich die Augen wischen und Niemanden sehen konnte, als zwei Menschen, die ihm nun die liebsten auf dieser Erde geworden waren, den Jäger Heunisch und Franziska, des Jägers Nichte. Der Dritte von Denen, die er liebte, auf die er alle seine Sehnsucht nach dem einzigen, unglücklichen, unwiederbringlich geopferten Sohn übertragen hatte, der Vikar Oleander, war nicht mehr in Plessen. Es hieß, er hätte die Stelle eines Gefängnißpredigers in der Residenz übernommen. Der hatte sich recht das Schwerste unter den Ämtern der Diener am Worte auserlesen... Und nicht, weil es der Sohn so geheißen in seiner letzten Stunde, sondern der innere Drang schon machte, daß der unglückliche, um seine liebsten Hoffnungen betrogene Vater Heunisch, den Guten und Sorglosen, und Fränzchen, die Bewährte, auch beim Nachbar Treuerfundene, wie die Seinigen annahm und erbenlos den Besitz des Sohnes ihnen vermachte. Franziska war zwischen dem Generalpächter und dem Bauer, der sie liebte wie ein Kind seines Kindes, fast so getheilt, wie einst zwischen Louis Armand und Heinrich Sandrart. Jener schrieb zuweilen von der Fremde. Der immer wiederkehrende Schmerzenston seiner Briefe lautete: Ein Meer ist zwischen uns! Ich darf nicht in das Land, wo Sie weilen, Franziska, und Sie bindet die Pflicht, ja selbst das Glück an ein Unglück, das Sie trösten sollen und Sie mit Schätzen belohnt, die Ihre Flügel schwer macht: Gold ist schwer... Die reiche Erbin denkt wohl des fernen Freundes nur mit Schonung. O Franziska, diese rauhe Welt! Diese elenden Götzen der Pflicht, denen zu Liebe man so kalt morden konnte! Das Bild steht unverwischt vor meinen Augen. Der Gute, der sterben mußte, weil ihn für Andere das Loos traf und ein Beispiel gegeben werden sollte, ein Beispiel der Abschreckung für Menschen... Menschen! Alle Bitten an Egon, alle Briefe der Besten blieben unerhört. Das Kriegsrecht hatte seinen Lauf, wie die Kugel! Ich denke des Tages, wo ich in der Werkstatt bei Märtens mit ihm über den Eid sprach! Und was muß uns trösten? Daß das Unglück nicht allein steht, daß es eine täglich wachsende Reihe von Gräbern gibt, eines neben dem andern. Vergeben Sie, Franziska, wenn ich Ihnen, der Reichen, solche Worte schreibe! Vergessen Sie das Loos der Armen nicht! – Louis schrieb diesen Brief aus Antwerpen, wo er bei Siegbert verweilte und für die Einrichtung des Schlosses Tempelstein thätig arbeitete.
Franziska hielt auf diese Empfindungen, deren zweifelnden Theil sie mit ihrer Feder widerlegte, wie auf ein Evangelium, aber Der, der es lehrte, war jetzt ihr verloren. Im Ullagrunde fesselte sie die ernsteste Pflicht. Das große Hauswesen des Generalpächters hatte aus der kleinen Nähterin ein Verwaltungstalent hervorgelockt, das zwar manche Personen, die um Ackermann festen Fuß zu gewinnen gehofft hatten, sehr verletzte, diesen selbst aber aufs angenehmste überraschte. Fränzchens Herzensgüte im Verkehr mit dem gebrochenen, an sie voll Wehmuth sich anklammernden Sandrart rührte alle Herzen. Und Onkel Heunisch, der taumelte gar wie in der Irre! Die »gute« Urschel war ihm nun hin, aber seine Hunde waren ihm doch geblieben und es hieß sogar, wenn der Winter käme und er mit einem Burschen, den er sich nahm, im Amt nicht fertig werden könne, sollte ihm Drossel die beste seiner Töchter, das flinke Linchen, geben zur Führung seiner Wirthschaft! Aber nur Franziska gab ihm rechten Ersatz für eine Lebensgewohnheit, deren Schattenseiten seinem gläubigen Sinne nie eingehen wollten; ihm scharrte sich nichts aus der Erde heraus, unter der Jakob und Ursula Zeck schliefen, ihm kam der Glaube an den Doppelmord, den Jakob Zeck und Ursula Marzahn an seinen beiden Verlobten begingen, indem sie auf dem Gelben Hirsch Feuer anlegten und an dem Waldbache die zur Kirche gehende Tochter des Sägemüllers vom Felsen stürzten, nie zu klarem Gemüth. Die Beweise fehlten. Die Untersuchung wegen Tödtung des Schmied's im Forsthause wurde von der Residenz aus, wo man mehr, als man wissen wollte, zu entdecken fürchtete, plötzlich abgebrochen, und Herr von Zeisel, der bequeme, seinen Garten, seinen Schlafrock, seine Whistpartieen liebende Justizdirektor, an dem auch glücklicherweise die Gefahr einer nicht verbessernden Versetzung vorüberging, Herr von Zeisel war nicht der Mann, der solchen Dingen à tout prix auf den Grund zu kommen trachtete. Nur Pfannenstiel, Drossel, der Sägemüller grübelten. Die lärmten, die drohten, aber nicht im Einverständniß. Die Polizei ging mit der Demokratie nicht Hand in Hand. Onkel Heunisch mit der Meerschaumpfeife und dem rothen, nun recht winternden Fuchsbarte genoß in vollen überfließenden Zügen das Glück seiner Nichte, so schmerzlich es erkauft war. Er hatte die Hinrichtung mit angesehen, war voll Jammer über sie, aber doch wurde er fast eifersüchtig auf den alten Bauer und grämelte mit ihm. Er sah nur Das, was auf sein nächstes Behagen ging. Seine Hunde, sein Wild, seinen Wald kannte er. Aber mit Menschen konnte er reden, die er kennen sollte und er hätte geschworen, daß er sie nie gesehen. So mit Dankmar, der oft an derselben Stelle mit ihm stand, wo er ein Jahr vorher mit ihm geplaudert hatte. Aber den Veränderten und Umgestalteten für den Doppelgänger Sr. Durchlaucht zu nehmen, wäre ihm nicht im Traume eingefallen. Er war für ihn ein völlig Anderer, als der er jetzt, ein ahnungsreicher Jurist, die Data über die in Liebe zu einem so guten Waidmanne entbrannte Ursula und ihren heimtückischen Bruder wohl am klarsten in Händen hatte, ohne daß er jedoch in der Lage und Laune sein konnte, sie öffentlich zu verknüpfen und von Andern seinen Scharfsinn prüfen zu lassen.
In diese Zustände der Ruhe, des Schmerzes, der Freude, des Harrens und Hoffens kam dann die Ankunft des Fürsten auf dem Schlosse. Rodewald hatte die Sammlung nicht, sie abzuwarten. Auf einem Wege, wo er ihm zu begegnen vermied, entschloß er sich, Selma ihrer nächsten Bestimmung entgegen zu führen. Der Abschied von Dankmar war der schmerzlichste. Denn auch ihn mußte es drängen, von einem Orte sich zu entfernen, wo ihm die Luft nun den Athem abpressen mußte. Melanie als Fürstin Hohenberg, Egon selbst, Selma von ihm hinweggenommen – er wartete nur des Vaters Rückkunft ab, um sich nach dem Westen nun auch zu entfernen. Hatte er doch hier und da schon Verdacht erregt und glaubte er doch von einer Person, die noch dazu nicht die beste von Sinnesart war, halberkannt zu sein, von jener Liese, die früher im Heidekrug bei dem jetzt schmollenden konstitutionellen Patrioten Justus diente und zu Fränzchen Heunisch's Erhebung immer nur scheel genug gesehen hatte. So war denn Rodewald von seinem Hause endlich frei geworden und hatte die in Schmerz zerflossene Selma mit der Zukunft getröstet, mit jenem Zauberbalsam, der sich kühl und linde auf alle Wunden legt.
Anna von Harder nahm die ihr so wunderbar Geschenkten nicht wie eine Genugthuung des Schicksals, sondern wie eine Mahnung, sich zu demüthigen, auf. Die Freude und der Schmerz, die Wonne, in Selma ein Abbild zu besitzen von der, deren Tod sie zu bitterster Gewißheit nun bestätigt sah, alle diese Empfindungen machten sich in denselben Thränen geltend und jede Betrachtung, jeder erörternde Rückblick blieb ausgeschlossen von den ersten Schrecken und Wonnen dieser Begegnung. Rodewald wollte sogleich scheiden, Anna ließ ihn nicht. Sein Pferd wurde von den Dienern versorgt, doch wollte er zur Stadt, Selma sollte da bleiben, wenn Anna sie zu behalten gedächte. Anna war keiner Anordnung fähig, nur Das wußte sie, daß sie das jetzt Gewonnene nur mit dem Leben wiedergeben wollte. Die edle Frau umhalste Selma und hielt sie gegen das Sternenlicht, gegen den Lampenschimmer im Hause, um sich an den Ähnlichkeiten, deren sie Hunderte mit ihrem Kinde schon entdeckte, zu erheben... aber daß dies Kind wirklich todt war, daß es auf fremder Erde, zerstoben und verwesend schon, ruhte, Das umwehte sie mit Geisterhauchen, als müßte sie nun bald selbst hingehen in die Wohnungen des Friedens und könnte sich nicht mehr zurechtfinden in dieser schmerzlichen Sinnenwelt.
Olga nahm ihr etwas von den nächsten Pflichten, die sie fühlen mußte, auffallender Weise schon ab. Olga begrüßte den Ankömmling mit einem Ton, der ihrer geistigen Vornehmheit sonst nicht eigen war. Sie bewirkte sogar, daß man die Geräthschaften abpackte, erinnerte an Vergessenes, reichte dar, was ihr Selma entgegenzunehmen zu wünschen schien, Dinge, die sie kaum nennen konnte. Sie schlang zuletzt sogar ihren Arm um Selma und führte sie mit einem allerdings sonderbaren, stummen Willkommen an der Hand ihren Zimmern zu, wo sie hoffte, die Enkelin Anna's als Nachbarin zu gewinnen. Anna ließ Alles geschehen und Selma hatte nur Augen für den Vater, der ihr so tief zu leiden schien und der von Abschied sprach. Ich sehe Dich morgen früh wieder! beruhigte er, aber ihre erste Freude zeigte sich bald als die Erregung des Momentes; die aufgespannten Nerven ließen nach und die Lust verwandelte sich in Wehmuth. Wie war dies Haus so düster, so einsam, wie dunkel diese Wände, wie fremdartige Töne vernahm sie da und dort... die alten Bedienten, das leise Sprechen, um den Greis nicht zu stören, den man morgen erst langsam vorzubereiten gedachte, alles Das erfüllte sie mit einer Beklommenheit, die fast den Wunsch auszusprechen schien: Laßt mich beim Vater bleiben, hier wohnt der Tod und ich will dem Leben angehören!
Anna sammelte sich mit Olga's Hülfe. Olga schien ein wenig aufgeweckt aus ihrer Traumwelt. Sie sah etwas, was sie verstand, mit der höheren Poesie ihrer Empfindungen vergleichen konnte, wenn auch Kaktus, Pinien, Palmen und das Meer dabei fehlten. Aber die Enkelin Anna's kommt aus Amerika und bringt sich selbst für die todte Mutter! Sie fühlte eine solche Erfahrung fremden Lebens wie ihre eigne nach und war so voll Eifers, das Rechte und Nothwendige zu treffen, daß Selma schon die sie umschlingende und nur ruhig neben ihr hingehende Großmutter fragen mochte: Welches seltsame Wesen hast du nur da bei dir? Und wem hab' ich da gleich an Werth für dich und Vollkommenheit nachzueifern? Dystra, hätte er die Scene beobachtet, würde gesagt haben: Comtesse Olga ist wie die Memnonssäule, à l'ordinaire kalt und starr, wohllautend aber doch, wenn nur die rechten Sonnenstrahlen auf sie fallen!
Während sich Selma in der für sie vorläufig bestimmten Lokalität zurecht fand, wollte Rodewald gehen, aber Anna zog ihn in den stillen klaren Abend, zog ihn unter den Pavillon und drückte ihm voll Vergebung die Hand. Er wollte sprechen, erzählen. Anna duldete es nicht, weil er sich selbst anklagte. Ich bin Schuld, sagte sie, ich, daß ich an der unverwüstlichen sittlichen Kraft eines edlen Mannes zweifelte! Welcher Hochmuth war es, der mich trieb, Sie zu verurtheilen, Rodewald! Alle Steine, die die Welt auf Sie warf, hätten sich mir selbst in Blumen verwandeln sollen, da mein Kind Sie liebte. Pauline konnte nichts erfinden, als sie vor Selma von Ihnen wie von einem Ideale sprach! Ich zerstörte es, aber mit ohnmächtigen Werkzeugen. Jeder Fehler, den ich Ihnen nachsagte, verwandelte sich vor dem einmal bezauberten Kinde in eine Tugend. Ich war so durchdrungen von Paulinens Verrätherei, ich glaubte nichts Anderes, als, sie bindet, wie Das täglich geschieht, den Mann ihrer Liebe an ein unbedeutendes Mädchen, um ihn stets in ihren Fesseln zu behalten, nie mehr zu verlieren, denn selbst die Rechte der Verwandtschaft mußten Sie zuletzt in ihre Nähe bannen. Ich sah Das vor mir, sah Arrangement, sah Verabredung frivoler Gemüther. Ich habe nie so in Flammen gestanden wie damals, als ich in meinem Zorn mich selbst verzehrte und all mein Lebensglück. Ich danke Ihnen, Rodewald, daß Sie mir verziehen und mir auf die letzten Tage meines Lebens diese überschwängliche Gnade schenken, Ihr Kind bringen, Selma's Kind, und daß Sie's Selma nannten!
Thränen erstickten die Stimme der Vielgeprüften, die seit dem frühen Tode eines jungen, gutmüthigen Gatten ihr Leben zu einer Schule der Entsagung gemacht hatte. Rodewald gestand ihrer Abneigung gegen ihn jede Berechtigung zu. Das Tragische unserer Lebenserfahrungen, sagte er, bestünde eben in dem Zusammenstoß von Interessen, wo jedes auf seinem Standpunkt rein und wohlbegründet wäre, und das seinige wäre es nicht einmal im Anfange gewesen, sondern erst geworden durch die Hingebung, die unaussprechliche Güte und das kindliche Vertrauen jenes Mädchens, das er zur Gattin wählte und dem er kein besseres Angebinde hätte verehren können als einen neuen Menschen. Fort von diesem Boden der Lüge, fort aus diesen Fallstricken ewig wiederkehrender Gefahr – denn, beste Mutter, sagte Rodewald, Das werden Sie auch als nothwendig im Leben anerkannt haben, die Versuchung darf nicht zu nahe stehen, wenn zweifelnde Augenblicke über uns kommen. Oft hatt' ich selbst noch in Amerika, nachdem wir Frankreich, England bereist hatten, irgend eine kleine Irrung mit Selma, irgend einen nicht stimmenden Akkord, aber wir mußten ihn unter uns auflösen, wir konnten nicht mit unserm Kummer falsche Tröster finden, die die Wunde statt zu heilen, nur weiter aufrissen, wir mußten uns selber wieder erkennen und es ging. Diese Ehe hat mir nach vielfach zerfahrner, oft poetischer Irrung – ich will nicht wie ein Büßender sprechen – die Sammlung meiner selbst gegeben. Ich wurde zufrieden und lernte die Grenze würdigen, die dem Leben gezogen ist.
Anna hielt Rodewald's beide Hände und saß so ruhig neben ihm unter den Sternen. Noch sprach er von der nächsten Zukunft, Anna billigte Alles, wenn sie nur Selma behielt. Ihr will ich mich widmen, ihr die letzte Kraft meines Lebens geben! sagte sie und erst nach längerm Träumen kam ihr die Frage: Und Sie, Rodewald? Der Vater, der höhere Rechte hat, als ich? Vergeben Sie, wenn ein Jahrelang so ungestilltes Sehnen unersättlich ist!
Wie staunte Anna, als Rodewald von seiner Pachtung der Hohenbergischen Güter sprach! Sie wußte nichts von Rodewald's Beziehung zur Fürstin Amanda, die ihr eine theure Freundin in erster Jugend gewesen, aber seit der Heirath des Generalfeldmarschalls entrückt war. Sie konnte mit stiller Freude vernehmen, daß Selma's Vater in ehrenvollen Verhältnissen ihr so nahe bleiben würde und als sie von seinem vorläufig angenommenen Namen Ackermann hörte, als sie sich beklagte, daß ihr über ein Jahr lang Selma entzogen war, wo Ackermann schon in Deutschland weilte, hatte sie jetzt nur die eine Sorge noch auszusprechen, die sich in dem Namen Schwester Pauline! kundgab.
Wie lebt Pauline? fragte Rodewald.
Sie lebt, wie sie als Kind lebte! sagte Anna. Nach jedem zerbrochenen Spielzeug ein neues. Es verschenken, verlieren, oder selbst zerstören, gleichviel, nur rasch ein Ersatz! Ihr Leben liegt wie ein aufgeschlagenes Buch vor der Welt. Ich mag Ihnen nicht darin blättern, Rodewald! Lesen Sie es bei Andern. Manches hat sie selbst verrathen, im günstigeren Lichte darstellen wollen, sie hat die Feder ergriffen und geschrieben. Ich konnte mich erst nach Jahren, wo alle Welt ihre Bücher vergessen hatte, entschließen, sie zu lesen. Da fand ich mehr in ihnen, als Bosheit und der Neid in ihnen hatte wollen gelten lassen. Ich fand ein wirklich unglückliches, nur durch die Eitelkeit und früheste Verwöhnung verdorbenes und unverbesserliches Herz. Mich rührte das Meiste von Dem, was Andere belachten. Ich haßte sie weder, noch verachtete ich sie, aber ich mußte sie meiden. Ihre Nähe wirkte auf mich, wie die Nähe der Mörder auf die Erschlagenen wirken soll. Die Wunden fangen wieder an zu bluten. Ich mied sie nur. Sie war zu stolz, zu schwindelnd hoch in ihrer wilden Lebensphilosophie, als daß ich jemals auf das Anerbieten einer Versöhnung hätte rechnen können. Jetzt, wo sie auf's Neue eine große Rolle spielt...
Rodewald wußte, daß Egon ihr ganz gehörte...
Jetzt sucht man selbst von Seiten des Hofes mich für eine Annäherung zu gewinnen; ich weiche aus. So lange Dämonen wie jene Charlotte Ludmer in ihrer Nähe weilen...
Lebt die Ludmer noch? sagte Rodewald gelassen staunend...
O die ist zäh wie Schlangen, die auch zerstückt noch nicht sterben können, sagte Anna. Ich tröste mich immer, wenn ich von dem Vielen, was die Welt Bedenkliches über Paulinen sich erzählt, die Schuld auf jenes Wesen werfen kann, das wohl zu tief mit Paulinens Vergangenheit verwachsen ist, als daß sie jemals wagen könnte, sich von ihm zu befreien.
Rodewald kannte Paulinens Lage und Verhältnisse. Von der Irrung, die der seinigen folgte, von der Geschichte des Baron Grimm, den er so oft am Missouri in der Person jenes Morton erblickt hatte, während Morton in ihm den englisch gewordenen Master Harry, jetzt nur den Generalpächter Ackermann kannte, wußte er nichts. Anna fühlte sich nicht veranlaßt, über das Leben ihrer Schwester dem Manne Enthüllungen zu geben, den sie in diesem Augenblick froh und glücklich sehen wollte. Sie gestand zu: Es wird Aufsehen machen, großes Aufsehen, wenn es heißt, jener einst von der schönen Welt ebenso wie von den Staatsmännern und Gelehrten bewunderte Heinrich Rodewald ist zurückgekehrt, ist ein einfacher Ökonom geworden, hat die Güter des Fürsten von Hohenberg gepachtet, hat der alten Landräthin von Harder auf Tempelheide ein Abbild ihrer hingeschiedenen Tochter, eine Enkelin, überbracht... ja, Rodewald, sagte sie, als dieser lächelte, ja man hat das Gedächtniß für die alten Tage nicht ganz verloren und spricht Das, dessen man sich fernher erinnert, mit großer Schonungslosigkeit aus...
Nein, nein, unterbrach Rodewald, die neue Freiheit Deutschlands macht nur, daß solche Verhältnisse geringfügig erscheinen...
Anna aber ließ sich nicht nehmen, daß noch Tausende lebten, die da staunen, die Köpfe zusammenstecken würden... Und schon die einzige Pauline, die Ludmer! sagte sie. Erschrecken Sie nicht, ihnen wieder zu begegnen?
Meine Wege sind nicht die ihren...
Aber Selma! Ich gestehe, daß ich mich rüsten muß! Die überfallen mich gewiß und geben sich das Ansehen, dies Kind mit ihrer Liebe erdrücken zu müssen! Wenn Das wäre – ha, ich werde bitter... Kommen Sie, Rodewald!
Anna wollte aufstehen, aber eben kam Selma und Olga Arm in Arm aus dem Hause ihnen entgegen. Rasch benutzte Anna die noch übrige Zeit, dem Schwiegersohne zu sagen:
Dies blasse Mädchen ist die Tochter einer Fürstin Wäsämskoi, die mir dies Kind, weil es aufmerksamer Führung bedarf, zur Pflege hinterließ. Ich bin erstaunt, welchen Eindruck Selma schon auf diese eigne Natur gemacht hat! Ich wäre glücklich, wenn sich diese Mädchen verständen und jede zu ihrem Guten noch das Gute der Andern sich hinzuthäte.
Indem noch Rodewald lächelnd sagte: an Schlacken, die dann ausgestoßen werden müßten, würd' es auch bei Selma nicht fehlen, kamen die Mädchen und gaben die Absicht zu erkennen, durch das offen dargestellte Bild ihrer schnell gewonnenen Vertraulichkeit die Ältern zu erfreuen. Selma sagte, daß sie schon wisse, wo sie nun der erste Morgenstrahl wecken würde, aber sie wäre unruhig und würde ihre Nachbarin viel plagen, von der sie hörte, daß sie bis neun Uhr schliefe. Mit der Möglichkeit zu scherzen war hier schon viel gewonnen. Rodewald lehnte jede weitere Gastfreundschaft ab, trat an seinen Wagen, mit dem er in der Residenz einzukehren gedachte und verließ Tempelheide mit dem Versprechen, morgen in den ersten Stunden wieder bei den Frauen zu sein.
Drei Tage hatte Rodewald für diese Reise bestimmt. Er fühlte die Nothwendigkeit, sich bei Zeiten am Fuße des Hohenbergs einzufinden und dem Fürsten seine Aufwartung zu machen. Dennoch hinderte ihn daran eine unüberwindliche Befangenheit. In Tempelheide hob ihn Alles, auf dem Hohenberg hätte ihn Alles erniedrigen müssen. Dort konnte er sein Haupt erheben und im Licht der Wahrheit verklärt wandeln, hier hätte er die Augen niederschlagen, sich vor sich selbst entwürdigen müssen. So wurden aus drei Tagen fünf, aus fünf acht. Es fesselte ihn außer Oleandern wenig in der großen Weltstadt. Er sah sich wohl die neuen Denkmäler und Bauten, die Sammlungen der Kunst an, aber die Eindrücke konnte er erst bei Anna und den Kindern zurecht legen. Auch dem Obertribunalspräsidenten wurde er vorgestellt und, wie sich von dem Humanitätsfreunde erwarten ließ, mit Nachsicht beurtheilt. Die Urenkelin stand dem Greise bald näher als Olga, nicht durch die Verwandtschaft allein, sondern auch durch die leichtere Art, aus sich herauszugehen. Wie aufmerksam lauschte Rodewald dem weisen Freunde der Natur und des Lebens! Wie schnell fand er sich in die wunderliche Neigung zu den Thieren! Er verglich diese Richtung einer auf die allgemeine Seelenlehre sich gründenden Weltauffassung mit den herrschenden Doktrinen des Tages, dieser größeren Fülle an Material, strikteren Form der Beweisführung, aber geringeren Rückwirkung auf die Bildung des Herzens. Da Rodewald zufällig in der amerikanischen Union Freimaurer geworden war, konnte er sich bald überzeugen, daß in der alten Excellenz der Naturalismus seiner Anschauungen nicht ohnmächtig als todtes Pfund in der Erde lag, sondern oft genug nach außen hin auch über die Grenze seines nächsten durch die Gesetze gebundenen Berufes gewirkt hatte. Der Greis klagte über die Richtung der Loge. Er hatte sie ganz an Gelbsattel, Rodewalds Schulpforter Genossen, überlassen müssen. Sie hat, sagte er, einen Trieb zur Nüchternheit, zur leersten Verschönerung des Lebens bekommen, der mich abschreckte, länger für sie zu wirken. Ich weiß wohl, die tiefere und geheimnißvolle Richtung der Loge ist zu unwürdigen Zwecken misbraucht worden, die sich in Lug und Trug verloren. Aber so ganz diesen Bund auf Nichts zu stellen, wie es jetzt eingerissen ist, so ganz ihn alles Zusammenhanges mit großen geschichtlichen Ideen entkleiden und ihn nur in eine Art feinerer Liedertafel umzuwandeln, wer möchte da noch mitgehen? Man hat Diejenigen steinigen wollen, die wie einst Bruder Krause und Moßdorf unsere Geheimnisse verriethen, aber man ist hinter diesen, die nur zur Reform unsres Bundes Öffentlichkeit wollten, weit zurückgeblieben. Wohl weiß ich, daß das graue Alter unsrer Kunsturkunden nicht zu ermitteln ist, aber der Geist, der sich in der Loge sammelte, war jener immer landflüchtig gewordene Geist der Johanneslehre, die vor Christus schon bei Plato, Sokrates, Virgil christlich dachte, d. h. jener Lehre der überall vorhandenen Christlichkeit, wo reines Menschenthum waltet. Das ist der Angelpunkt der Welt und der Geschichte. Die Humanität beginnt mit Duldung gegen Alles, was außer uns lebt, mit dem Thiere, der Pflanze. Was ist der Mensch? Ein Ursachenthier, sagt Lichtenberg. Die andern Thiere sind Wirkungsthiere. Wir sehen, was da wird, blüht und vergeht. Wir fragen, warum ist die Schöpfung? Aber daß wir keine Auskunft wissen, stellt uns allem endlich Lebenden gleich. Dieser allgemeine Glaube ist der, der immer parallel ging mit den rohen und brutalen Erscheinungen der Geschichte, der Theologie, der Politik, der Sittenlehre. Neben dem Heiden- und Christenthum, neben den Staaten der Griechen, Römer, Franken, zog sich doch dieser einige Faden der reinen Menschheitslehre von Pythagoras und Thales herab bis auf diejenige Philosophie unserer Tage, die des Namens würdig ist. Für diese Lehre ist der Menschheitsbund die größte Geschichtsthat. Zu ihr gehörte Jeder, der Humanität übte. Die Loge wollte die Lehre vom wahren Tempel wieder aufnehmen. Wie oberflächlich hat sie es gethan! Sie konnte Größeres wirken. Das Christenthum war erst auch ein Geheimbund. Es war erst auch eine Religion bei verschlossenen Thüren. Das Christenthum war auf Logen begründet, die man Agapen nannte. Man speiste zusammen und feierte seine Erinnerungen. Die Loge hat viel gut zu machen, wenn sie nicht zerfallen will. Als sie vor vierzig Jahren in Deutschlands wüstester Zeit sich weigerte, ihre Mission zur Heranbildung eines Menschenbundes anzuerkennen und sich nur der Lehre von einer laxen Brüderlichkeit und gegenseitigen Förderung innerhalb der gegebenen Lebensverhältnisse ergab, hatte sie ihre Bedeutung für die Geschichte verloren und wird in Apathie, Überschuldung und bei vielen Einzelnen in Mangel an Appetit zu Grunde gehen.
Der Greis hatte seine Rüge scherzhaft geendet, zum Bedauern Rodewald's, der von einer Annäherung an Dankmar's Ideen überrascht war und fast verstummte über die wunderbare Fügung, daß der Präsident, er wußte es selbst nicht, die Gelegenheit in der Hand hatte, seinen Traum von einer großartigeren Entwickelung der Freimaurerei wahr zu machen. Gern hätte er Dankmar'n Kunde von etwaigen Aussichten seines Prozesses gebracht, aber Otto von Dystra, den er in seiner Wohnung in der Stadt Rom begrüßte, bemerkte ihm sogleich, daß ihr gemeinschaftliches Interesse für die Gebrüder Wildungen von diesem in Amtssachen drakonisch strengen und gewissenhaften Greise nichts hervorlocken würde. Dystra's Beziehung zur Comtesse Olga schien Rodewald, der an die anorganischen Verbindungsgesetze der großen Welt gewöhnt war, nicht so komisch wie dem Touristen selbst. Von Siegbert's Beziehung zu Olga wußte Rodewald nichts. Dankmar hatte sich wohl gehütet, seinem im Ullagrunde nicht sehr empfohlenen Bruder noch die Bürde einer solchen in der Luft schwebenden Liebe aufzuhängen. Dystra war in der Hauptsache der Alte, an Allem interessirt und für nichts auch nur einen Tropfen Bluts, dafür mit Freuden einen Beutel Geld lassend, ganz wie es in der Oberflächlichkeit einer Zeit liegt, die auf Kommunikation und Beschleunigung der Mittheilungen, auf den leeren Formalismus der Gedankenwelt, auf Stenographie, Autographie, Lichtbildnerei u. s. w. ihr größtes Gewicht legt; doch überraschte ihn Dystra eines Abends durch das Zeichen der Ritter vom Geiste. Sind Sie Mitglied des Bundes? fragte Rodewald erstaunt. Ich baue vorläufig dem Bunde eine Kapelle, sagte Dystra, ich baue ihm ein Archiv für seine Statuten, im Nothfalle Kasematten für seine Märtyrer. Sie werden staunen, wenn wir den ersten Bundestag halten. Am Ufer eines majestätischen Stromes erhebt sich, in der Nähe des Königlichen Schlosses Buchau, ein bewaldeter Bergesrücken, auf dessen Mitte der Tempelstein eine Warte des schon staunenden Reisenden ist! Schon erheben sich Mauern und Thürme. Arkaden verbinden die Höfe, die vom Schutte gereinigt sind und neu wieder sprudelnden Quellen Raum lassen mußten. Die Sommerhalle und die Winterhalle harren schon des wohnlichen Schmuckes, den ich in Belgien, Holland, am Mittelrhein und in Franken für sie fertigen lasse. Parkanlagen schafft ein königlicher Gärtner, er weiß es nicht, welche Orakel unter diesen Bäumen gesprochen werden sollen. Rodewald, es war schön unter Ihren rothbraunen Urwaldsbäumen! Aber es ist schöner, sich einen Garten zu zaubern, wo uns nicht Wilde, höchstens die Häscher der weltlichen Hermandad überfallen können. Komme, was kommen mag! Ich eröffne im nächsten Jahre zum September Nachts um zwölf Uhr meinen Tempelstein. Unten an meiner interimistischen Wohnung melde sich wer kommen will, Ritter oder Knecht, Mönch oder Laie, vermummtes Visir oder offnes, eine Reiterstandarte in der Hand oder eine Oriflamme oder eine Orlogsflagge! Von meiner untern Villa schreitet man über eine Brücke, die ich zwischen zwei Abgründen aufführen lasse mit hochgeschwungenen Bögen, dem Untenwandelnden scheinen sie ein Thor. Dann hinauf zur Burg! Die Zacken, die Mauern, die Verzahnungen sollten Sie sehen, die unter hundert hämmernden und klopfenden Händen schon aufwachsen! Die Säulen dann umwunden mit Kränzen, von Altane zu Altane Guirlanden wie zu einem Sängerkriege, die Fahne mit dem vierblättrigen Kleeblatt hoch vom Söller wehend... Sie lachen? Genug Meister Harry! Vorläufig fühl' ich mich nur verpflichtet, für den Komfort dieser neuen Institution zu sorgen und es den Geistern der alten Ritter, die bei uns zur Nacht speisen werden, auch nach Rumohr's Geist der Kochkunst bequem zu machen. Sorgen Sie nur dafür, daß Dankmar endlich sein Arkadien bei Ihnen aufgibt und sich an die Sicherheit der Grenze begibt, die mein Tempelstein fast selber ist. Auf waldiger Höhe, zugänglich nur den Schmugglern und Grenzwächtern, liegt eine einsame Grenzhütte, bewohnt nur von einem Greise in weißem Bart! Halte man ihn für einen Verwandten Rübezahl's oder einen Gnomen andrer Seitenlinien, der Alte vom Berge empfängt Besucher, deren Namen nur in Steckbriefen zu lesen. Dankmar wird von dem Greise längst erwartet; längst hat er das Wort, das ihm oben an der Tannenhütte Einlaß verschafft bei'm Alten am Kaffeetopf, den er immer sieden hat, man sagt, um den fernen Gästen durch den Rauch die fast unzugängliche Lage der Hütte zu verrathen. Es ist Zeit, den Alten mit dem Wort aufzujagen und Dankmar'n alle kleinen Bequemlichkeiten zu verschaffen, die die Gäste der Hütte vom Tempelstein geliefert erhalten. Sie sollten unsre kleine romantische Existenz dort unter den Eulen und Füchsen kennen! Ich nehme Abschied, weil meine Anwesenheit dort nöthig wird; ich reise, um die Zimmer zum Empfang der Baronin Dystra herzurichten.
Rodewald würde schon, gedrängt von diesem neuen Beweis der wachsenden Idee des Bundes, beruhigt über Selma's nächste Zukunft und Anna's sorgfältig mit ihm besprochenen weitern Bildungsplan der Tochter, zurückgereist sein, hätte ihn, nach einem Besuche bei dem in Trauer um Selma's ihm abgewandtes Herz vom Ullagrund geschiedenen und in Liedern und dem schwersten Lebensberuf sich tröstenden Oleander, nicht Murray gefesselt, den er zu seinem wunderbarsten Erstaunen von Dystra als jenen todtgeglaubten Morton bezeichnen hörte. Sie leben, alter Freund? rief er Murray zu. Sie leben als Geizhals in dieser Mördergrube? Sie stellen sich todt, um von Ihren Verwandten bei Ihrer Rückreise nicht geplündert zu werden? Was treiben Sie hier? Wer ist um Sie? Wer sorgt für Sie? Erfuhren Sie, daß ich Ihr Geld richtig abgegeben, an Menschen, die sie für Ihren Bruder erklärten? Sind Sie der Bruder jenes Schmieds, der von der Hand eines Fremden tödtlich getroffen wurde? Und Sie waren wirklich selbst dieser Fremde, Sie selbst das Werkzeug dieser Strafe, die einen Menschen traf, der, wie Louis Armand beschworen hat, eben die eigne Schwester tödten wollte? Sie heißen Friedrich Zeck, nicht Morton, nicht Murray, wie ich nicht Harry, nicht Ackermann, sondern Rodewald?
Die Folge dieser Begegnung, die Wirkung dieser Fragen war für Murray, der an einer Kupferplatte saß und wie aus Träumen auffuhr, so furchtbar, daß sich zwischen ihm und Rodewald dieselben Stunden wiederholten, die im vorigen Herbst zwischen ihm und Louis Armand auf dem Schlosse von Hohenberg nur der Sturmwind, der an den Fenstern rasselte, die knisternde Flamme des Ofens, das singende Heimchen im siedenden Theetopf belauscht hatten...
Sie jener Rodewald, auf den Baron Grimm folgte? sagte Friedrich Zeck fast sprachlos.
Rodewald wußte nichts vom Baron Grimm... aber was er von ihm, über und durch ihn jetzt erfuhr, ließ ihn schaudern. Diese Pauline! rief es in ihm wie im wildesten Aufruhr aller Seelenkräfte. Und Ihr Sohn?
Ist gefunden... Lebt!
Die Thür ging auf. Hackert trat ein...
Das ist er! sagte der Vater, der ihn vor Rodewald nicht verläugnen wollte.
Rodewald stand wie erstarrt. Er erkannte diesen blassen, jungen, verdrießlichen Mann. Er erkannte dies röthliche Haar, dies hellblaue Auge, dieses fragende, bittre Lächeln... Es war der Gefährte von der Landstraße, der Nachtwandler vom Heidekrug...
Hackert erkannte auch den Fremden und grüßte ihn mit dem Scheine, als wollte er sagen: Was ändert denn nun Das? Ihr hättet mir die Theilnahme, die ich jetzt finde, auch früher schenken können, denn ich denke doch, ich bin derselbe Mensch!
Aber Rodewald erkannte mehr in ihm, er erkannte Paulinen... er sah sich Egon, dem Fürsten von Hohenberg, gegenüber, Paulinen diesem Hackert... er unterdrückte, was er empfand.
Er mußte sprachlos scheiden von dieser ihm jetzt aus Friedrich Zeck's Mittheilungen über den mit dem Sohn befolgten Erziehungsplane erklärlichen armseligen Raume, er mußte scheiden voll innigsten Jammers, herzzerreißenden Schreckens, er bedurfte der ganzen friedlichen Sammlung, die in Tempelheide über ihn kam, um sich endlich, gehoben nur durch das Gefühl, daß das Gute in der Welt mit dem Bösen zwar mit ungleichen Waffen, aber doch nicht ganz ohne siegreiche Erfolge kämpfe, auf den Weg zu machen, die verhängnißvolle Rückreise nach dem Schlosse Hohenberg zu dem Ullagrunde anzutreten zur Meldung bei dem Fürsten Egon.