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Siebentes Capitel.

Ein Land-Diner mit Honoratioren.

Am Vormittage des folgenden Tages herrschte im Amtshause, der Wohnung des Justizdirektors von Zeisel, eine erhebliche Unruhe. Frau von Zeisel, geb. Nutzholz-Dünkerke, war vollkommen überzeugt von der Nothwendigkeit, den, wie man allgemein wußte, vertrautesten Freund des Fürsten, trotz seines geringen Standes, irgendwie feiern zu müssen. Sie tröstete sich bei ihren Anordnungen damit, daß Louis Armand doch wol nur ein verkapptes Mitglied der höhern Gesellschaft wäre und ebenso auf wunderlich versteckten Wegen ginge, wie sie ja den Fürsten Egon selbst hatten kennen lernen. Jeder Blick auf den Thurm, der in schräger Richtung dem Amthause gegenüber stand, feuerte ihre kleine rundliche Figur zur lebendigern Sorge an, um heute dem jungen Freunde des Fürsten einen Eindruck für die Residenz mitzugeben, der auf die gute Meinung von der Hingebung ihres Mannes eine dauernde Nachwirkung üben sollte.

Was gehört nicht dazu, mit beschränkten Hülfsmitteln auf den gebahnten Straßen täglicher kleiner Ordnung plötzlich ein solches außerordentliches Mittagsmahl herzustellen! Jetzt in der Morgenfrühe, wo man ohne Lauscher war, konnte man sich in der ganzen Verwirrung solcher Zurüstungen noch gehen lassen. Das war ein Laufen und Rennen! Die Thüren schlugen zu und klappten auf. Frau von Zeisel rannte ohne Toilette mit aufgewickelten falschen Locken bald hier-, bald dorthin und machte eine Bewegung, die öfter wiederholt sicher ihr Embonpoint gemildert hätte. Was gab es da zu befehlen, zu klagen, zu verzweifeln! Welche Töne drangen schneidend durch das stattliche Amtsgebäude, unbekümmert um die Justizkanzlei, die Kammerkanzlei und alle die ehrwürdigen Zwecke dieser Amtswohnung, die heute für Frau von Zeisel nicht vorhanden waren! Herr von Zeisel kam nicht zu einem einzigen vernünftigen Avis, den er an einen Ortsschulzen hätte aufschreiben können und doch hatte er gestern von der Regierung einen wichtigen Brief erhalten. Und die Kammer war entlassen! Neue Wahlen sollten angeordnet werden! Ein Oppositionsblatt sprach von einem neuen aus der Willkür der Majestät fließenden Wahlgesetze! Wenn nach diesem gewählt werden sollte, welche neue Mühen, welche Weitläuftigkeiten, um die Wahlkörper zu bilden, die Stimmberechtigten auszuscheiden, die Wählenden und Wählbaren zu prüfen! Und nun dies Diner!

Pfannenstiel, der Gerichtsbote und Amtsvoigt, der mit einigen Akten hinter dem Schreibpulte des Justizdirektors stand, hatte tiefes Mitleid mit seinem Vorgesetzten.

Das auch heute noch, sagte er antheilnehmend, wo die Frau von Zeisel so nicht weiß, wo ihr der Kopf steht!

Ja, Pfannenstiel, ich weiß nicht, was ich unterschreibe. Alle Buchstaben laufen mir durcheinander.

Eine Magd kam und wollte wissen, wie viel Flaschen Wein wol herausgestellt werden sollten.

Wieviel meinte meine Frau?

Sechs, sagte die Magd.

Kathrinchen! Hat meine Frau sechs gesagt?

Pfannenstiel ergänzte, daß die gnädige Frau wol hätte sechszehn gemeint.

Sechs! hieß es.

Herr von Zeisel räusperte sich in großer Verlegenheit, legte die Feder auf das Pult, schlug den Schlafrock über die langen Gliedmaßen und begab sich, ohne ein Wort weiter zu sagen, zur Thür hinaus, um mit seiner Frau über diesen Gegenstand eine nothgedrungene freie Conferenz zu halten.

Wer kommt denn Alles? fragte inzwischen Pfannenstiel.

Die Magd klagte, daß sie keine Besinnung hätte. Diese Aufgabe wäre zu groß! Die Justizdirektorin käme nicht mehr aus dem Zanken heraus. Sie selbst wisse nicht mehr, was ein Teller und was eine Schüssel wäre.

Wenn wir nur Alle dafür ordentlich avancirten! meinte Pfannenstiel mit verzeihlichem Egoismus. Wir haben nun Alles aus erster Hand! Der Fürst ist Minister! Ich schreib' an ihn, daß er sich des Thurms da und meiner Höflichkeit erinnert und mir ein gutes Fortkommen für's Alter gibt.

Indem brach Frau von Zeisel herein:

Mein Mann!

Er sucht Sie, gnädige Frau.

Ich kann nicht mehr. Diese Menschen, von denen man umgeben ist! Das ganze Jahr erträgt man den hülflosen Zustand, weil man nachsichtig ist, seinen Ärger verschluckt; nun kommt es einmal darauf an, nun soll man einmal seinem Stande gemäß sich der Welt zeigen, nun verräth sich's, was ein Haus ohne Bedienung ist!

Christoph nimmt sich doch ganz gut aus in der Livree, meinte Pfannenstiel und suchte die auf den Ledersessel ihres Mannes niedergesunkene Dame zu trösten.

Aber wer sagt ihm, daß er schon jetzt damit in die Küche kommt, jetzt schon mit der Livree die Wände abschabt!

Er hat sie seit drei Jahren nicht getragen und freut sich, daß er stärker geworden ist.

Drum dehnt er sich so aus und reckt sich, daß alle Nähte platzen!

Die Magd, die durch das ganze Haus den Justizdirektor gerufen hatte, kam mit dem endlich Gefundenen zurück.

Kind, sagte er mit ängstlicher Miene, sechs...

Acht! gab die Gemahlin gleich zu. Ich suche dich überall! Ich war im Keller und du bestimmst nichts, du sorgst für nichts, du bist für nichts, du denkst an nichts. Die rothen oder die gelben? So sag' doch! Vier rothe, zwei gelbe –

Aber Herzchen, wir sind –

Achtzehn –

Neunzehn!

Der Alte mit der schwarzen Binde kommt nicht –

Also siebzehn –

Was rechnest du denn!

Aber die Frau Pfarrerin Stromer! Pfannenstiel, hier, schreiben Sie einmal auf!

Pfannenstiel setzte sich zum Schreiben.

Erstens, dictirte Frau von Zeisel, Herr Louis Armand –

Der Schreinergesell! ergänzte Pfannenstiel.

Der Stand, bemerkte Frau von Zeisel empfindlich, der Stand ist hier nicht nöthig. Wir waren nie stolz.

Die rechte Hand des Fürsten und Sekretair des Premierministers! bemerkte Herr von Zeisel und schnitt damit alle weiteren Erörterungen ab. Zweitens –

Herr Ackermann! bemerkte der Amtsvoigt kräftiglich.

Nun, nun, sagte Frau von Zeisel pikirt, der Name brennt Ihm ja recht auf der Zunge. Wer weiß, wie bald die Komödie zu Ende ist. Der Fürst wird bald erkennen, daß er es mit einem Projektenmacher zu thun hat! Den neuesten Briefen des Justizrathes nach zu urtheilen, wird die Welt binnen Kurzem von Dingen überrascht werden...

Drittens, sagte der Justizdirektor –

Laß mich! unterbrach ihn seine Frau – Zweitens –

Nummer Zwei, Frau von Zeisel, sagte Pfannenstiel, der sich in die Umstände zu fügen wußte. Nummer Drei, Herr von Zeisel.

Nummer Vier, Herr Ackermann! sagte jetzt der Justizdirektor selbst.

Nummer Vier, Herr Oleander! unterbrach determinirt seine Gemahlin. Wer ist dieser Ackermann? Kann er sich einen Studierten nennen? Wer weiß, wo er herkommt und wo er noch hinfährt!

Nummer Fünf, die Frau Pfarrerin Stromer! bemerkte der Justizdirektor und um nur Ackermann ganz hinten zu bringen, setzte er hinzu:

Nummer Sechs, Herr Doktor Reinick aus Randhartingen.

Nummer Sieben, Herr Ackermann! bemerkte aber der unermüdliche Amtsvoigt wieder, dem einmal dieser Name so werthvoll und bedeutend war wie allen Bewohnern des kleinen Fürstenthums.

Nein! schalt Frau von Zeisel fast zornig.

Nummer Sieben, verbesserte ihr Gemahl, Herr Apotheker und Spezereihändler Sonntag aus Randhartingen –

Nummer Acht, fuhr seine Gattin fort, Herr Aktuar Weiße aus Plessen...

Nebenan hustete Jemand, der unstreitig Herr Weiße war und sich gleichsam für die Ehre, der Achte zu sein, bedanken wollte.

Nummer neun, Ihr Herr Schwager, bemerkte der Justizdirektor verbindlich zu Pfannenstiel, Herr Drossel vom Gelben Hirsch – die Frau nebst Lenchen ist auf dem Heidekrug.

Also Fräulein Emmeline Drossel und Fräulein Alwine Drossel – setzte seine Gattin hinzu, als wollte sie sagen: Unsre Herablassung!

Pfannenstiel verbeugte sich und bemerkte nur in den Bart hinein:

Macht Zehn und Elf oder eigentlich das Doppelte, denn Drossel speist und ißt für Zwei – auf die heutige Zeitung hin vielleicht...

Dann Zwölf – unterbrach Herr von Zeisel, um seine Frau nicht durch einen vielleicht dreifach gesteigerten Appetit des gefürchteten Radikalen zu erschrecken.

Jetzt glaubte aber der Schwager des Wirths vom Gelben Hirsch in der That sagen zu dürfen:

Zwölftens, Herr Ackermann.

Aber wieder schnitt ihm die Justizdirektorin den Namen ab, indem sie fast gleichzeitig diktirte:

Zwölftens und dreizehntens, Herr und Frau Rentmeister von Sänger aus Randhartingen –

Vierzehntens, Herr A—

Herr Anverwandter, Ökonom aus Randhartingen, sagte Frau von Zeisel. – Mit seinem Besuche aus Schönau – wie heißt er doch? Dem Ortsvorstand Marx –

Macht fünfzehntens –

Und vielleicht noch dem Herrn Maler – bemerkte Herr von Zeisel.

Welchem Herrn Maler?

Den Marx mit nach Randhartingen gebracht hat, um Herrn Anverwandter zu malen – zum Weihnachtsgeschenk für seine Tochter –

Ich las den Brief so flüchtig... ich besinne mich...

Also fünfzehntens, Herr Marx, sechszehntens, der Herr Maler aus Schönau, recapitulirte Pfannenstiel und glaubte nun für ganz bestimmt endlich sagen zu können:

Siebzehntens, Herr Ack—

Aber auch hier beugte der besonnene Herr von Zeisel vor und bemerkte:

Siebzehntens, Fräulein Ackermann – Achtzehntens –

Dies Auskunftmittel war sehr fein... Nun verstand sich von selbst, daß der achtzehnte Herr Ackermann war. Denn es war auch wirklich der Letzte.

Jetzt begann die Erörterung der Weinvorräthe.

Zwölf Herren, sechs Damen, sagte Frau von Zeisel, seufzend über die Nothwendigkeit, einmal so unebenbürtige Menschen, nicht die Adligen der Umgegend, bei sich zu Tisch zu sehen.

Acht Flaschen auf den Tisch, liebes Kind, erörterte ihr Gemahl.

Und zwei in Reserve! bemerkte die vortreffliche Wirthin.

Hier räusperte sich Herr von Zeisel und sah Pfannenstiel an, als hofft' er von diesem Succurs.

Acht auf den Tisch, fiel dieser ein, und acht unter'n Tisch! Macht sechszehn. Wie ich gesagt habe.

Sechszehn? rief Frau von Zeisel. Das wäre ja ein Trinkgelag!

Frau Justizdirektorin, wenn die Männer lustig werden und für meinen Schwager, der die Ehre hat, geladen zu sein und weil's wieder unruhig in der Hauptstadt ist –

Nur wegen der Wirthschaftsräthin Pfannenstiel und Frau Justizräthin Schlurck – fiel Frau von Zeisel berichtigend ein.

Dero- oder Derowegen! Wenn Drossel auf die Politik und die neuen Wahlen und die geladenen Kanonen kommt, ladet Der zwei Flaschen mehr für sich allein.

Ich will hoffen, bemerkte Frau von Zeisel, daß er uns mit seinen demokratischen Reden verschonen und sich erinnern wird, bei wem er dinirt. Es hat lange genug gedauert, bis wir uns entschlossen haben...

Den wahren Grund der Entschließung, der darin bestand, daß Emmeline und Alwine Drossel, die ältesten Mädchen vom gelben Hirsch, viel häßlicher als die jüngere Lenchen waren und nur als Folie ihrer eignen Reize gebeten wurden, verschwieg Frau von Zeisel, die sich nun erhob, um sechszehn Flaschen, theils Roth- theils Gelbsiegel, aus dem Keller zu holen. Schlurck hatte dafür gesorgt, daß sein guter Freund und seine gefällige Freundin in ihren kleinen Weinvorräthen anständig ausgestattet waren. Schlurck hatte mit Melanie gemein, daß er gern schenkte und sich von allen seinen Bekannten die Geburtstage merkte.

Nach dieser wirthschaftlichen Erörterung erbat sich Pfannenstiel nur noch einige Augenblicke zu einer amtlichen Wahrnehmung.

Ich habe, sagte er, Ihre gestrige Weisung, auf alle verdächtigen Personen der Umgegend zu wachen, auch dem Förster Heunisch mitgetheilt, Herr Justizdirektor. Bis jetzt ist uns nichts aufgestoßen außer den zwei Arbeitern, die vorgestern mit einem Bauerwagen hier eintrafen und in der Krone abstiegen, um bei Herrn Ackermann's neuen Anlagen Arbeit zu suchen. Ich fragte sie nach ihren Papieren. Sie hatten ganz schöne, neue Pässe und gaben sich der Eine für einen Schlosser, der Andre für einen Klempner an. Genauer besehen, kamen sie mir sonderbar vor. Beides alte Knaben schon. Der Eine, der Schlosser, war sicher schon an die Funfzig. Ihre Hände glatt, eher wie zum Spazierengehen als zum Arbeiten. Der alte Zeck nahm sie, weil er Arbeit vollauf hat. Heute früh aber hör' ich, schmälte und tobte er, daß sie wenig von rechter Feuerarbeit verstehen, faul und unbeholfen sind und besser thäten, weiter zu ziehen. Da haben sie ganz volle, schwere Beutel gezogen und ihr Handgeld zurückzahlen wollen. Zeck aber hat's nicht nehmen wollen, sondern gesagt: Bis Samstag sollten sie's in allerhand kleinen Arbeiten abverdienen. Das rief er mir heute zu, als er nach dem Ullagrund ging mit seinem Jungen. Er bat mich, ein Auge auf die beiden alten Kerle zu haben. Ich ging auch zu ihnen in die Schmiede und fand, daß sie in Verlegenheit waren, als ich eintrat. Bis Sonntag, sagt' ich ihnen, könnt ihr noch dableiben! Dann trollt euch! Wir gestatten hier keinen Aufenthalt! Dazu zogen sie eine Miene, daß ich fast grimmig wurde. Heunisch rief mir einen guten Morgen zu. Er ging gerade vorüber und wollte auf's Schloß. So kam ich von den beiden Gaunern ab. Ich will sie scharf im Auge behalten.

Thut Das! Thut Das! Pfannenstiel, sagte der Justizdirektor zerstreut. Gebe der Himmel, daß das heutige Diner in Ehren überstanden ist. Es ist eilf Uhr. Ich muß mich nun wol anziehen.

Damit überließ Herr von Zeisel den Staat, die Wahlen, die Krisis, die öffentliche Sicherheit dem Gerichtsboten und Amtsvoigte, der in seine Thurmwohnung ging, um sich nun doch auch etwas festmäßig anzukleiden. Der Gedanke: alles Das um einen ausländischen Tischlergesellen! ließ ihn manchmal erstaunt genug dabei den Kopf schütteln.

Der Mittag kam heran und gleich nach zwölf Uhr gerieth ganz Plessen in Bewegung. Die am entferntesten wohnten, kamen früher als die näher Wohnenden. Doktor Reinick war einer der Ersten. Er besuchte einige Patienten und Genesene. Leider mußte er statt in Plessen in Randhartingen wohnen, weil der Spezereihändler und Apotheker Sonntag dort ein Gut bewirthschaftete und deshalb nicht in Plessen wohnen konnte. Auch Herr Sonntag fuhr in einem kothbespritzten Einspänner vor. Der Wirth in der Krone sah es in seinem Hofe einmal wieder recht lebendig werden. Drossel aber, der Hirschwirth, jagte mit seinem Einspänner wie im Schuß beim Kronenwirth vorbei. Seine beiden ältesten Töchter saßen neben ihm. Aber hier und da rief er, von der Krone an langsamer fahrend, diesem oder jenem bekannten Bauer zu: Neue Wahlen! Was sagt ihr? Neue Wahlen! Unser Fürst! Neue Wahlen! Kanonen! Wir erleben etwas! Justus hat geschrieben. Heut' Abend kommt mehr. Es sieht unten schlimm aus! Schlimm! Hurrah!

Er schickte seinen Einspänner, aus Brotneid, nicht in die Krone, sondern auf einem beschwerlichen, morastigen Wege durch den Wald in die Sägemühle. Der Sägemüller war sein Freund. Sie hatten beide das eigne Schicksal erlebt, daß vor Jahren ihre Schwestern, die den Förster Heunisch heirathen sollten, durch unglückliche Zufälle um's Leben kamen.

Herr Rentmeister von Sänger, ein ehemaliger Offizier und alter Kamerad aus dem Husarenregimente, das nach dem Generalfeldmarschall das Fürstlich Hohenbergische hieß, fuhr mit seiner Frau Gemahlin in einem Zweispänner. Sie stiegen am Amthause aus und ließen, ein Vorrecht alter Zeiten benutzend, ihre Kalesche dem Schlosse zufahren, wo sich leere Remisen und Ställe genug fanden.

Louis Armand im schwarzen Frack, ein leichtes Tuch nicht steif, sondern leicht um den Hals geschlagen, in Stiefeln, die er sich selbst geputzt hatte und unbekümmert mit schwarzen Handschuhen, begegnete dem Wagen und schloß aus seinem Aussehen auf eine gewähltere Gesellschaft. Er hatte den Vormittag mit Briefen in die Heimat, an Märtens zugebracht, auch Fränzchen ein paar freundliche Worte geschrieben, die Heunisch mitnahm, der gekommen war, nochmals den ihm immer mehr gefallenden Plan zu besprechen, daß seine Nichte zu dem Generalpächter kommen könnte... Murray hatte ihm viel Vergnügen gewünscht und ihn getröstet, daß er sich schon zu unterhalten wissen würde...

Wer die Einsamkeit nicht liebt, hatte er gesagt, ist nur ein halber Mensch. Wer nicht einsam sein kann, ist auch nicht versöhnt mit sich. Die Verbrecher fürchten sich vor nichts so sehr als vor der Einsamkeit. Es ist ihre fürchterlichste Strafe. Dennoch muß sie, wie jede Strafe, mäßig angewandt werden. Einsamkeit soll bessern, nicht abstumpfen. Sie soll anfangs nicht gleich ganz gegeben werden, sondern nur nach und nach. Dann wird sie zu einer heilenden Strafe. Man gewinnt die Einsamkeit lieb und spricht mit ihr und versöhnt sich mit seinem Schatten.

Am Eingange des Amtshauses begegnete Louis seinem entfernten Verwandten, dem Vikar Oleander und der Frau Pfarrerin. Jener kam einfach, diese mit ängstlichem, ärmlichem Putz. Sie grüßte Louis als wär' es Egon selbst gewesen. Die Ärmste war eine durchweg eingeschüchterte Natur, lebte nur in ihren Kindern und der äußeren Sorge für ihren Gatten, der ihr auf so überraschende, seltsame Art plötzlich entschwunden war. Gewiß war es eine Frau, die in ihrer Sphäre erkannt sein wollte, um bei aller Einfachheit nicht ohne Werth zu erscheinen. Was konnte sie dafür, daß sie von einem Manne gewählt, als Gattin heimgeführt war und ihm nun nicht mehr genügte? Unter ihren Kindern fand sie sich in ihrem ewigen Mutterrechte. Ach und im Grunde, murrte sie denn über ihr Loos? Ließ sie es sich nicht genügen, so einfach und freudenleer es war? Wenn eine Frau von geringen Fähigkeiten und ohne äußeres Verdienst durch den Misgriff eines Mannes zu Rechten kommt, die sie anspruchsvoll geltend zu machen sucht, so wird man dem Worte: Er hat mich doch nun einmal genommen! wenig Überredung und Bindekraft beimessen können. Wenn aber ein so zu einer gewissen Haltung gekommenes Wesen doch wie eine niedrig wachsende Schlingpflanze nur an dem festen Stamme ihres Rechtes sich hinzieht und nur dahin sich ausdehnt, wo er ihr und ihren Kindern wärmer von der Sonne beschienen dünkt, wer möchte da nicht duldend herabblicken und dem bescheidenen Dasein jede Freude wünschen?

Zu den Gästen, die ein großes aufgeputztes Zimmer empfing, gesellten sich bald auch Ackermann und Selma.

Es lag eine eigne Ironie in den Zügen des geistreichen Mannes, wie er so mit seinem lieblichen Kinde in diesen geputzten Kreis ländlicher Bedeutsamkeit eintrat. Freundlich neigte er sein Haupt mit der offnen freien Stirn nach allen Seiten und Selma bot Jedem die Hand, der ihr nahe stand, nur Louis nicht, den sie zu vermeiden schien und nur flüchtig grüßte.

Oleander, der für Äußerlichkeiten sonst keinen Sinn hatte, pries ihren Anzug, zum Erstaunen der in einem blau- und rothschillernden Seidenkleide die Honneurs machenden Frau Justizdirektorin, die sein Entzücken verspottend, ihm sagte:

Herr Vikar, Sie bewundern und wissen sicher nicht, worin eigentlich der wahre Reiz dieser geschmackvollen Toilette besteht!

O stellen Sie mich nicht auf die Probe! antwortete Oleander. Ich analysire Ihnen sonst das schöne himmelblaue Kleid so, daß ich unten die Besätze abtrete.

Oleander verlor sich im Anschauen. Er folgte Selma, wie sie den Damen sich näherte und deren Bekanntschaft erneuerte, mit strahlendem Blick.

Louis aber benutzte den Umstand, daß man noch auf den letzten Randhartinger Wagen wartete, um Ackermann bei Seite zu nehmen. Ohnehin von allen Anwesenden mit der größten Neugier betrachtet, kam ihm die Gelegenheit, sich zurückzuziehen und den vielen Fragen auszuweichen, sehr erwünscht. Er stellte sich, da zwei Zimmer geöffnet waren, in das Nebenzimmer zu Ackermann und trug ihm sein Gesuch wegen Fränzchens vor...

Diesem kam der Antrag ganz erwünscht. Erst heute, bei den Vorbereitungen zu dieser Einladung, hätten sie ein Wesen vermißt, das seiner Tochter näher stünde als eine gewöhnliche Dienerin.

Mit Freuden! sagte er. Wenn Sie für das junge Mädchen bürgen! Doch warum werden Sie nicht, da eine Liebe wie die des jungen Sandrart beweist, daß sie deren würdig ist! Schon um den Alten ein wenig zu ärgern, nehmen wir das Kind.

Selma trat hinzu und erfuhr, worüber es sich hier handelte.

Nun, sagte sie, da ist ja all' mein Wünschen heute erfüllt! Wie sehr hab' ich mich der Rücksichten, ein Mädchen zu sein, entwöhnt! Wie verlassen bin ich, wenn ich einmal glänzen und den Menschen gefallen will!

Sie küßte den Vater. Die kastanienbraunen sich ringelnden Haare hingen auf den Nacken herab und das Auge, das sich emporrichten mußte, bekam dadurch einen Aufschlag von durchdringender Kraft und schwärmerischer Milde.

Darüber sind wir nun einig! sagte Ackermann. Die Gründe, warum Sie sie vom Forsthause entfernen wollen, erzählen Sie mir ein andermal. Wenn sie ein leichtes Gepäck hat und bis fünf Uhr etwa zur Hand ist, bis wohin ich hier mancherlei Geschäfte abzumachen habe und Selma bis dahin bei der Pfarrerin bleibt, nehmen wir diese Pflegebefohlne sogleich heute mit uns.

Indem rasselte endlich der ersehnte, verspätete letzte Wagen vor. Die Justizdirektorin hatte schon vor Ungeduld und der Angst, ihre Speisen möchten verbrennen, keine zusammenhängende Antwort mehr geben können, sondern war von Gast zu Gast gewandert und hatte zu Jedem über die Unschicklichkeit der Verspätungen gesprochen. Herr von Zeisel hatte Mühe, sie nur zu beruhigen. Endlich kam ein großer Vierspänner, aus dem drei Männer stiegen. Herr Anverwandter, ein reicher Gutsbesitzer in Randhartingen, der Ortsvorstand Marx aus Schönau und ein Dritter, den Niemand kannte.

Louis stand gerade im politischen Gespräch mit dem sehr lebhaften, aufgeregten Ökonomen vom gelben Hirsch, Herrn Drossel, als die Thür aufging, der starke Herr Anverwandter eintrat, nach ihm Herr Marx und der Dritte, der von allen Anwesenden wenig Notiz nahm, sondern mit scharfem Blicke sich gleich Louis hervorsuchte...

Louis wandte sich und erschrak, Siegbert Wildungen zu sehen.

Die Frage: Wie ist Das möglich! ging in der Umarmung verloren.

Die Anwesenden nahmen das lebhafteste Interesse an dieser Begrüßung und waren, als sie den Namen hörten, gleich davon unterrichtet, daß auch dieser junge Maler zu dem engeren Freundeskreise des Fürsten gehörte, dieser Wildungen, der in den vielbesprochenen Johanniterprozeß verwickelt war, dessen Kunde schon überall hin gedrungen schien.

Siegbert, auf dem die Blicke der Frauen mit Wohlgefallen ruhten, erzählte mit wenigen Worten, daß er in dem vier Meilen von hier gelegenen Örtchen Schönau das freundlichste Entgegenkommen gefunden hätte. Herr Marx hätte ihn aufgefordert, mit ihm nach Randhartingen zu fahren und Herrn Anverwandter zum Geschenk für seine Frau, die Herrn Anverwandter's Schwester wäre, zu malen. Er hätte diesen Antrag angenommen, um, flüsterte er Louis mit gedämpfterer Stimme zu, in seine Nähe zu kommen, da er vermuthet hätte, daß er sich noch auf dem Hohenberg befände.

Eine weitere Auseinandersetzung war nicht möglich, da eben die Aufforderung zu Tische erfolgte. Paarweise schritt man über einen steingepflasterten Corridor nach einem sehr schön gelegenen Eckzimmer, das an freundlicheren Tagen eine herrliche Aussicht in die Ebene bieten mußte. Siegbert wurde dabei von der Justizdirektorin wie im Traum entführt, Louis wagte Niemanden die Hand zu bieten. Ackermann gab ihm seinen eigenen Arm; denn Selma, auf die es der Vater für Louis abgesehen hatte, war schon von dem Hauptmann und Rentmeister von Sänger entführt, der trotz seiner Jahre die Frauen liebte, wie sein alter Chef, und schon die dritte Gemahlin hatte. Frau von Sänger, eine hübsche, lebhafte Blondine, schien nicht zufrieden, daß sie mit dem einfachen Doktor Reinick vorlieb nehmen mußte.

Auf dem Corridor sagte Ackermann zu Louis:

Wer ist der junge Mann, der mit Herrn Anverwandter kam?

Hörten Sie ihn nicht nennen? sagte Louis. Derselbe Siegbert Wildungen, von dem Sie gestern erzählten, daß Sie ihn als Kind auf den Armen trugen.

Ackermann war von dieser Mittheilung so erschüttert, daß er den Arm sinken ließ und sprachlos neben Louis in das helle heitere Eßzimmer trat. Starr blieb er hinter dem entferntesten Stuhle stehen und richtete den Blick auf Siegbert, der seinerseits auch ihn, dessen Kopf ihm so wohlgefiel, flüchtig fixirte.

Frau von Zeisel duldete aber nicht, daß schon Alles Platz nahm; denn gestern Abend schon war ihre Sorge gewesen, mit Oleander, den sie deshalb vom Whistspiele dispensirte, gründlichst zu überlegen, wie jeder Gast placirt sein sollte. Der Aktuar Weiße hatte in sauberster Canzleihandschrift alle Zettel geschrieben, die auf den etwas altmodischen Gläsern lagen und Jedes Namen in einer auf Psychologie und die Schule der Höflichkeit begründeten Ordnung möglichst orthographisch wiedergaben. Für Siegbert lag ursprünglich neben einem der Fräulein Drossel ein leerer Zettel und Frau von Zeisel hatte Herrn Ackermann neben sich trotz der Rivalität. Gleich aber wußte die kleine Frau diesen Irrthum zu eskamotiren und vertauschte die Zettel so, daß Siegbert Wildungen, der blonde Maler mit den blauen Augen, den frischen Lippen und den weißen Zähnen, die bei seinem geistreichen Lächeln so freundlich hervortraten, an ihre Seite, Ackermann aber zu den Gelben Hirschtöchtern in die Nähe des ultrademokratischen, aber wie man sagte, auch ultrafinanzzerrütteten Ökonomen Drossel kam.

Endlich saß die Gesellschaft zu großer Beruhigung des Herrn von Zeisel, dem einige gelinde Schweißtropfen schon auf der Stirn standen. Er gab heute ein Diner der Herablassung, ein Diner der Rücksichten, als Stellvertreter des Fürsten, dem Freunde des Fürsten zu Ehre. Es war nur der einzige Adlige, Herr von Sänger, zugegen und auch dieser nur als fürstlicher Rentmeister. Dennoch setzte ihn selbst diese Aufgabe, wo er doch nur gnädig, nur herablassend zu sein brauchte, in Verlegenheit. Er hatte dabei den Takt, Louis Armand neben sich zur Rechten zu setzen und ihm die Unterhaltung der Frau Pfarrerin zuzuweisen.

Frau von Sänger war eine sehr heitre, eine sehr kokette Frau. Sie zeichnete sich durch schöne Gesichtsfarbe aus und erweckte durch ihre Lebendigkeit eine große Vorstellung von dem ihr innewohnenden Temperament. Sie pflegte mit der Justizdirektorin in Kleidung, Lebensweise und Neigung zu wetteifern und hatte eigentlich, seitdem Frau von Zeisel Gefallen an Oleander fand, in der ganzen Gegend Niemanden ihres Attachements Würdigeren gefunden, als geradezu Selma's Vater, der wohl im Stande war, noch auf mittlere Frauen einen lebhaften Eindruck zu machen. Nun aber war ein junger Franzose, Louis Armand, und ein hübscher Maler, Siegbert Wildungen, in den meist philisterhaften und bequemen Kreis getreten. Da ihrem Stolze denn doch Louis' Stand zu geringfügig erschien, so ergrimmte sie nicht wenig über ihre Rivalin, die den andern neuen Ankömmling so ohne Weiteres schon in Beschlag nahm. Ihr Gatte entfaltete inzwischen gegen Selma jene Liebenswürdigkeit der alten Herren, die in gewissen Schranken sich haltend den Frauen immer gefällt und von den jungen Männern nur zu selten zum Muster genommen wird.

Frau von Zeisel hatte ein zwischen der Malerei und der Küche getheiltes Herz. Ihre Blicke schossen bald auf ihren Nachbar, bald auf die Schüsseln, die die Mägde hereintrugen. Sie erntete alle Anerkennung. Man begrüßte jede neue Speise mit einem Blicke auf die präsidirende Wirthin, die zwar die Würde des Standes im Allgemeinen vortrefflich behauptete, zuweilen aber doch, besonders wenn es sich um Ergänzung der leergewordenen Flaschen handelte, sich hinreißen ließ, Winke zu geben, ja sogar selbst einmal fast aufstand, wofür Herr von Zeisel aber den Muth hatte, sie mit einem ernsten Blicke zu bestrafen.

Ackermann beobachtete voll Rührung die Freundschaftsblicke, die Siegbert und Louis zuweilen über den Tisch wechselten. Er war unstreitig der schweigsamste am Tisch. Selma plauderte mehr, als ihm lieb war. Das junge Mädchen, die Blume der Tafel und der eigentliche Mittelpunkt der Gesellschaft, schien nur zu sprechen, um eine innere Aufregung zu verbergen. Oft warf sie einen verstohlenen Blick zu Louis und einen ganz flüchtigen zu Siegbert hinüber, der seinerseits von dem Reize dieses frischen Kindes träumerisch gefesselt war.

Oleander, der Vikar, stand natürlich zuerst auf und brachte einen Toast auf den Fürsten. Er nannte Egon von Hohenberg Einen, der auf der Menschheit Höhen ebenso scharfblickend empor, wie niederwärts zu schauen verstünde. Er hat, schloß er in gebundener Rede, er hat des Lebens tiefste Wurzeln aufgesucht, das innere Sein und der Erscheinung Flucht mit Denkerblick erspäht; den Thron der Wolken fand sein Alpenstab und was ihm schon das Schicksal selber gab, er nahm es nur als seines Wanderns Lohn!

Der Beifall war einstimmig. Nur Drossel brachte sogleich, bitter genug, die neuen Wahlen und die geladenen Kanonen auf das Tapet. Es war ein Miston, den Louis und Siegbert, sich gegenseitig bedeutsam ansehend, wohl in der ganzen Dissonanz zu dem Akkord, den Oleander's Worte hervorgerufen hatten, fühlten. Ihre Freundschaft für Egon gab dem Rentmeister Recht, als er Drosseln drohte, den Rand zu halten. Freilich ließ der alte Herr auch sogleich eine Anzahl grimmigster Verwünschungen über die Demokratie aufprasseln, die nun endlich in dem Sohne des alten Generalfeldmarschalls ihren rechten Bändiger fände. Er richtete dabei mit einer gewissen Absichtlichkeit, die dem amerikanischgesinnten Ackermann nicht entgehen konnte, ein förmliches Pelotonfeuer gegen die Republikaner, die er mit Stumpf und Stiel ausgerottet verlangte. Auch der Apotheker Sonntag, der Aktuar Weiße und der Ortsvorstand Marx waren ganz derselben Meinung und konnten die Gefahr, die dem Staate durch seine neuen demokratischen Grundlagen drohe, nicht bedenklich genug schildern. Herr Anverwandter war zu sehr Fettmasse, um eine Meinung über das Princip der Bewegung zu haben. Herr von Zeisel lavirte. Er meinte, die Politik des Fürsten läge wohl noch nicht ganz offen da. Heut' Abend wär' er vorläufig auf die Zeitung gespannt...

Nicht offen? rief Drossel. Wer mit dieser gemäßigten Kammer nicht regieren kann, wem selbst solche Moderirte, wie Justus, zu liberal sind, der kann nur mit einer Beamten-Kammer regieren oder wird als Absolutist enden, falls sich solche Komödien noch aufführen lassen.

Ja, Herr, rief der Rentmeister, nach Pulver und Blei sollen Sie noch Ihre Puppen tanzen sehen... Dabei vergoß vorläufig Herr von Sänger schon mehr von dem Rebenblute, als Frau von Zeisel lieb war.

Es ist doch gut, sagte der Arzt Reinick, ein kleiner Mann von schlichtem Aussehen und verständiger Mäßigung im Ton und seiner ganzen Haltung, es ist doch gut, daß es dabei außer Todten manche Verwundete geben wird, die man durch unsre Kunst wiederherstellen kann. Man muß auch wieder an die Ärzte denken.

Diese scherzhafte Wendung gefiel Siegbert, der schon in Randhartingen mit dem Doktor Reinick Bekanntschaft gemacht hatte.

Drossel aber stellte gegen die Kanonen gleich auch Kanonen. Er meinte, daß Salpeter überall in der Erde läge, Blei auch und Schießen wäre jetzt ein Kinderspiel. Die gefüllten Blechbüchsen, die man Kartätschen nenne – wollte er eben sagen –

Herr Drossel! unterbrach ihn aber Frau von Zeisel. Ich bitte mir aus! Hier werden keine Schlachten geliefert und keine Revolutionen gemacht. Essen Sie meine Cotelettes und bewundern Sie meine jungen Gemüse, die ich auch in Blechbüchsen verwahre.

Man mußte über den Übergang lachen. Frau von Zeisel verrieth, daß sie nicht ohne Verstand war. Ihre eigentliche Absicht merkte aber doch nur ihr Gatte. Er sah, wie die Aufregung des Gelben Hirschwirthes, den man als Mittelpunkt der noch nicht niedergeworfenen Demokratie der ganzen Gegend schonen mußte, sich in der Entleerung der in seiner Nähe stehenden Flaschen vorzugsweise zu erkennen gab. Er rechnete, daß, wenn Das so fortginge und sich die Männer hier politische Scharmützel lieferten, mehr Blut fließen würde, als durch die Adern der disponiblen sechszehn Flaschen rann. Frau von Zeisel begann auch bereits, gewisse auf diese Beobachtung hindeutende Blicke des Herrn von Zeisel zwar mit Ingrimm, aber doch mit weltkundigem Takte zu verstehen. Glücklicherweise zeigte sich Siegbert Wildungen, der Nachbar der Wirthin, von einer mannichfach liebenswürdigen, höflichen, aufmerksamen Seite und erzählte ihr von seiner Absicht, in der That den dicken Herrn Anverwandter zu malen und sich längere Zeit in der Gegend zu halten, so viel Fesselndes, daß sie mit einem rasch verklingenden Seufzer die Kellerschlüssel wirklich hinterrücks durch den Stuhl der Bedienung zureichte und den Weinvorrath auf Gnade und Ungnade in fremde Hände gab.

Man brachte einen Toast auf die Wirthin, den Wirth, die Damen, die Gäste, ja auch auf Louis Armand, den Freund und Genossen des Fürsten. Diese Aufmerksamkeit hatte Oleander gehabt, der Alles, was poetisch war, lebhaft ergriff und jenen Muth besaß, unter Schaalheit und Philisterei sich an das Bedeutendere zu halten, mocht' es erst auch wunderlich erscheinen. Er erlebte aber damit den eigenthümlichen Fall wie Jeder, der an das Edle im Menschen glaubt, daß das Poetische immer verstanden, immer freudig aufgenommen wird, selbst unter nüchtern Scheinenden und rein materiell Gestimmten. Er sagte hier einige schöne Worte über Egon's allbekanntes, vergangnes Leben und Jeder verstand sie und Jeder fühlte, wie sie diesen einfachen Fremdling verklärten und hoben.

Louis Armand aber, der schon längst bemerkt hatte, daß man sich des Justizdirektors wegen Zwang auferlegte, offen und frei die Verehrung vor Ackermann auszusprechen, Louis erhob sich mit raschem Entschluß, lehnte den Einfluß, den man ihm auf den Fürsten zuschrieb, bescheiden ab und sagte:

Denen wollen wir Dank sagen, die dem Fürsten die Hand geboten haben, festzustehen auf dem Boden seiner Väter! Es lebe Herr Ackermann!

Dieser Toast, so kurz, so einfach, so natürlich, drückte doch Aller Stimmung aus und die langverhaltene Empfindung machte sich in dem freudigsten Jubel Bahn, der nur noch von Drossel, der gleich hinzusetzte: Der Republikaner hoch! unmelodisch genug überschrieen wurde.

Ackermann hielt sich an den herzlichen Gruß, der ihm in den Gläsern widerklang, die Reinick, Oleander, Sonntag, Anverwandter ihm entgegenhielten und sagte, dem Justizdirektor die Hand bietend, die dieser auch gerührt ergriff und schüttelte:

Lassen Sie den Frühling leben, meine Freunde! Lassen Sie die Hoffnung leben! Der Winter rüttelt schon an der Thür, ein schlimmer Gast, der uns noch eine lange Prüfungszeit bringen wird! Wenn aber dann der Schnee auf diesen Höhen schmelzen wird, wenn die Lerche steigend singt, die Erde, zerschnitten vom Pfluge, Frühlingsodem ausströmen wird, dann wollen wir Alle zusammenwirken und im Glücke eines Mannes, den wir lieben, unser eignes finden. Auf treue, gute, fröhliche Nachbarschaft!

Das war wieder ein Wort, so recht alle Herzen entzündend; denn nun bekam Jeder doch auch etwas für sich! So sind die Menschen. Erst allenfalls Einer, dann aber auch gleich Alle. Die Gläser klangen, die Hände wurden geschüttelt. Als man dann saß und sich von den angeregten schönen Gefühlen sammelte, um wieder zur Tafelfreude zurückzukehren, kam noch ein Glas als Nachzügler zu Ackermann hinüber. Selma hielt es hin, mit schalkhaftem, lächelndem Blick. Dem Kinde glänzte eine Thräne im Auge, die der Vater durch einen Scherz nicht entfernen konnte. Auch er war gerührt und drückte die Hand der holden Tochter über den Tisch hinüber.

Wie vorauszusehen war, mußte zuletzt auch der Gegenstand berührt werden, den damals alle Welt an den Namen Wildungen anknüpfte. Gleich bei Siegbert's Eintreten hatte man geflüstert, ob dies jener Wildungen wäre, der... ja, ja! hatte es geheißen und mit um so gespannterem Interesse betrachtete ihn jedes Mitglied der Tischgesellschaft.

Herr von Zeisel war es, der das Eis dieser Spannung brach und mit den beziehungsreichen spürend belauschten Worten Siegberten sein Glas entgegenhielt:

Zwar hat sich Vieles in unserm Hohenberg geändert! Alte Irrthümer sind erkannt worden und neue Hülfe ist gefunden. Aber man soll Niemanden verleugnen, der uns Freund ist, wenn er auch irrte. Der Justizrath Schlurck mag der Zukunft des Fürstenthums nicht gewachsen gewesen sein. Dennoch schätz' ich ihn als meinen Freund. Ich wünsch' ihm die reichsten Belohnungen für seinen allbewunderten, vielgerühmten Scharfsinn. Nur in einem Gegenstande soll er unterliegen, in einem Punkte die Waffen strecken müssen, in einem eine schmähliche Niederlage erleiden – Herr Siegbert Wildungen, ich meine in Ihrem Prozeß!

Da war der Damm weggerissen. Alle Blicke, alle Fragen der Neugier hatten nun eine freie Strömung. Jeder sah nun in Siegbert Wildungen den künftigen Krösus und Louis besann sich durch die Röthe, die den Freund überflog, sogleich auf die Äußerungen, die noch vor kurzem über diesen Gegenstand Siegbert im alten Rathskeller der Residenz gethan hatte.

Mit wärmerem Interesse aber, als alle Übrigen, ließen Selma und Ackermann ihre Blicke auf Siegbert ruhen und bald wußten es Alle, daß Ackermann in jüngern Jahren den Fremden wollte auf den Armen getragen haben.

Wo Das? rief Siegbert erstaunt.

In Thaldüren!

Kannten Sie meinen Vater?

Vater und Mutter!

Ich entsinne mich nicht, Ihren Namen –

Wie geht es der Mutter?

Sie kränkelt...

Siegbert begriff nicht, wie ihm wurde, als er Ackermann in's Auge sah. Es stiegen ihm Empfindungen auf, denen er keinen Namen geben konnte. Ganz verloren in die Züge Ackermann's und Selma's hörte er nicht, daß man ihn um Auskunft über den Stand seines Prozesses bat.

Erst Frau von Zeisel mußte ihn erinnern, daß man mit ihm sprach.

Er sagte nun:

In erster Instanz hat mein Bruder, der diese Angelegenheit mit Eifer verfolgt, unsre Ansprüche, von denen er so fest überzeugt ist, nicht behaupten können. Wir haben verloren. Jetzt ist der Bruder in Angerode, wo wir schon einmal über diese alte Streitfrage Dokumente fanden. Es handelt sich um die genauere Feststellung unsres Stammbaumes. Mein Bruder schreibt mir, daß es ihm gelungen ist, Thatsachen, die ein neues Licht verbreiten, aufzufinden. Schon ist die Appellation im Gange.

Wissen Sie, sagte Oleander, daß Propst Gelbsattel, dem ich die hiesige Vikarstelle verdanke, einer der heftigsten Gegner Ihrer Ansprüche ist?

Nicht blos der Propst, sagte Siegbert. Ich fürchte, daß wir alle Welt zu Gegnern haben.

Diese bescheidene selbstlose Äußerung bestritt man. Drossel meinte, so müsse es mit allem Unrecht gehen, das durch Verjährung Recht geworden wäre. Er verwünschte dabei die Pfaffen, die Tyrannen, die Advokaten, die Menschenschinder, die verthierten Söldlinge, die Staatsanleihen, Alles durcheinander. Der Apotheker war sehr für den Satz: Jeder ist sich selbst der Nächste! Frau von Zeisel bedauerte unendlich, daß es der schönen Melanie nicht mehr möglich sein würde, fast alle Tage ein andres Kleid anzuziehen, allein darum gönne sie doch Herrn Siegbert Wildungen ein Vermögen, das sicher einem Halbdutzend großer Rittergüter gleichkäme.

Die Erwähnung Melanie's, der Übergang auf ihre Anwesenheit in Hohenberg, die Nachfrage wegen ihrer wieder abgebrochenen Verlobung mit dem Stallmeister Lasally, der hier durch sein mürrisches Benehmen Alle verletzt hatte, die lächelnden Mienen über Melanie und den Fürsten, alles Das war ein Durcheinander, das für Niemand chaotischer und unbehaglicher wurde als für Selma. Siegbert, Louis, Alle wurden ihr in diesem Augenblicke verhaßt. Es kreischte um sie her wie von Dissonanzen. Das war Alles unaufgelöst widerlich. Wahrhaft frei fühlte sie sich von einem lästigen Drucke, als man in diesem Tumult aufstand und sie sich an den Vater hängen konnte, dem sie zuflüsterte:

Fort! Fort! Vater! Hier ist es erstickend! Die Brust zerspringt mir!

Ackermann küßte ihre brennende Stirn und sagte in mildem Tone:

Gewöhne dich, Kind, an Rechnungen, die nicht aufgehen! Ich fühle dir das Peinliche solcher Dinge, die du alle nur halb verstehst, wohl nach. Das Leben ist so! Es ist aus Gegensätzen und unvermittelten Widersprüchen zusammengesetzt. Wenn man so sieht, daß Alles anders ist, als man es gern haben will, möchte man verzweifeln und in die Wildniß fliehen.

Nach den gesegneten Mahlzeiten, die man nun, weingeröthet, speisenduftend, gegenseitig sich noch wünschte, wurde Kaffee gereicht und manches vertrautere Wort gesprochen. Frau von Sänger rechnete darauf, jetzt auch von dem jungen Maler einige Vortheile der Unterhaltung zu ziehen und war nicht wenig verstimmt, als dieser nur mit Louis allein zu sprechen Lust zeigte. Sie ging ohne Zwang Beiden nach und duldete nicht, daß sie sich isolirten. Zu ihrem Verdrusse hörte sie hier, daß Siegbert nicht einmal mit ihnen nach Randhartingen zurückfahren, sondern die Nacht, wie schon zwischen ihm und Louis verabredet war, auf dem Schlosse bleiben würde. Für morgen erst versprach er ihr seine Aufwartung zu machen.

Himmel, sagte sie, man ist hier so verlassen von Menschen, die uns einmal über das Gewöhnliche hinwegführen, daß Sie sich nicht wundern dürfen, wenn ich Ihnen gestehe, ich dulde Ihr Hierbleiben nicht.

Nein, nein! sagte Siegbert lächelnd. Ich muß mich vor dem Reize, Sie zu erobern, bewahren.

Keine Eroberung! erwiederte die hübsche junge Frau. Nur Nächstenpflicht! Haben Sie sich einmal verschlagen in eine Gegend, wo nur Wilde wohnen, so müssen Sie sich Denen widmen, die Sie zähmen sollen...

Siegbert konnte die pikante kleine vertrauliche Unterhaltung nicht fortsetzen, denn Ackermann, der auf ein Kanapé sich niedergelassen hatte, richtete einen so bedeutungsvollen, theilnehmenden Blick zu ihm hinüber, daß er sich losmachte und zu ihm entschlüpfte.

Frau von Sänger erfuhr von Louis, daß Beide, er und Siegbert, die Absicht hätten, gemeinschaftlich nach dem Forsthause zu wandern. Das Wetter wäre schön. Gegen fünf Uhr wollten sie wieder zurück sein. Siegbert würde dann auf dem Schlosse über Nacht bleiben und am Morgen eine Gelegenheit suchen, nach Randhartingen zurückzukommen.

Dies war genug, um Frau von Sänger zu bestimmen, Siegbert nachzuspringen und ihm zu sagen, daß er ihren Wagen, der in der Schloßremise stünde, hier behalten und mit ihm morgen nachkommen solle. Sie würde mit ihrem Manne in dem großen Wagen des Herrn Anverwandter fahren. Und ehe noch Siegbert ablehnen, danken konnte, war sie schon ihre langen aufgegangenen Locken schüttelnd zu den Männern hinüber, um diese Anordnung kurz- und rundweg anzuzeigen, es ihren Kutscher wissen zu lassen und sich dann die Locken vor'm Spiegel als Scheitel zu ordnen.

Siegbert erfuhr bei Ackermann, daß Selma schon zu den Kindern des Pfarrers hinüber wäre, wo sie bliebe, bis er einige Geschäfte geordnet und auch vielleicht die neue Begleiterin aus dem Forsthause in Empfang genommen hätte. Einer weitern Nachfrage über seine Beziehungen zu Siegbert's Eltern wich er sonderbarerweise jetzt aus. Er war einsylbig, nachdenklich geworden. Fast schien es, als bereute er die Hingebung, die er über Tisch verrathen. Siegbert fand, daß dies Antlitz, das ihn seiner männlich schönen Formen wegen so gefesselt hatte, auch den Ausdruck eines tiefen Ernstes annehmen konnte und erschrak fast vor dem Anflug von Kälte, der ihm plötzlich aus Ackermann's Benehmen entgegen wehte.

Louis flüsterte ihm zu, sie wollten gehen und von der Gesellschaft ohne viel Aufsehens scheiden. Doch gelang ihnen dieser Rückzug nicht ganz. Die Justizdirektorin und ihr Gatte wenigstens sahen scharf genug, um sie nicht so entschlüpfen zu lassen. Louis gab das Versprechen baldigster Wiederkehr und Siegbert gelobte, so lange er in Randhartingen an Herrn Anverwandter male – und Sie sehen, fügte er auf den starken Herrn deutend, es gehört Farbe dazu – wenigstens einen Tag um den andern sich in Plessen sehen zu lassen. Für heute Abend schon zur Whistpartie wiederzukehren, mußte er ablehnen, da er sich ganz dem Wiedersehen Louis Armand's widmen wollte.

So gelang es denn den Freunden, davon zu kommen.

Wie sie allein waren, Jeder sich mit einem Paletot gegen die Novemberluft, die sich schon rauh genug ankündigte, gerüstet hatte und nun sogleich auf dem nächsten Wege dem Forsthause zuschritten, reichten sie sich nochmals die Hand, um ihre Freude über dies glückliche Zusammentreffen auszudrücken. Und die Worte entfuhren ihnen Beiden fast wie im Zusammenklang:

Gott sei Dank! Dies Diner wäre überstanden.


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