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Heute ist Auktion des Louise Mühlbachschen Nachlasses! Nicht ihrer Manuskripte – denn diese gingen mit noch nicht getrockneter Tinte sofort in die Druckereien – sondern ihrer Möbel, Teppiche, Vorhänge, Pendülen, Gemälde, Vasen und der ägyptischen Andenken, die alle in einer Etage der Potsdamer Straße charakteristisch gruppiert standen! Hoffentlich hat die enthusiastische Überschätzung, die der so plötzlich der Welt Entrückten jenseits des Ozeans zuteil wurde, ein reiches Kontingent von amerikanischen Steigerern herbeigeführt, das auch für eine alte Stahlfeder, die von ihr gebraucht wurde, fünfzig Dollars zu zahlen bereit ist! Denn ganz Berlin ist erstaunt über die Zerrüttung der Louise Mühlbachschen Vermögensverhältnisse! Die Verstorbene hatte die glänzendsten Honorare bezogen. Sie soll vom Khedive außergewöhnliche Geldspenden erhalten haben. Sie gab Diners und Soupers von lukullischer Fülle. Sie reiste ohne die mindeste Einschränkung wie eine Fürstin. Bei alledem soll für ihre noch unversorgte Tochter nichts als eine Schuldenlast vorhanden sein, wodurch die Bedauernswerte vielleicht genötigt sein dürfte, die Erbschaft nur »unter der Wohltat des Inventars« anzutreten.
Mitten aus angefangenen Romanen, die des Morgens gegen 10 Uhr einer Stenographin zwei bis drei Stunden lang diktiert wurden, ist die merkwürdige Frau durch den Tod abgefordert worden, den unerbittlichen Tod, den sie durch kein Zeichen ihres Lebens und Verhaltens als auch für sie schon herannahend geahnt hatte. Wenn es vollständig »diesseitige« Menschen gibt, Individuen, für die man sich im Jenseits, falls man nicht mit den alten Ägyptern an die Seelenwanderung glauben wollte, nirgends eine passende Unterkunft und Anknüpfung denken kann, so sind dies die reinen Lebens- und Genußnaturen. Louise Mühlbach war eine solche. Sie war die ewig Unerschrockene, immer Mutige, immer auf der Bresche Stehende. Imperterrita hätte sie irgendein Romantiker der Spanier in einem Drama genannt, das sich vielleicht aus ihrem frühern romantischen Leben selbst hätte formen lassen. Ihren Freunden wird der resolute, mutige, keine Gefahr oder Anstrengung scheuende, etwas breit-mecklenburgische Klang ihrer Stimme unvergeßlich bleiben. Keine Niederlage drückte sie zu Boden. Die freudigste Zuversicht, Siegesgewißheit, Trotz bei jedem Unternehmen lag in ihren Zügen, in ihren Worten. Widersprachen die Tatsachen, so hatte sie der Auswege so viele wie ein Feldherr, der nach einer verlornen Schlacht doch noch seinen Rückzug imposant zu maskieren versteht.
Auf den »Berliner Büchertisch« könnte nur ihr letztes, von Flüchtigkeiten wimmelndes Werk »Kaiser Wilhelm und seine Helden« gehören, verlegt von einer hiesigen Buchhandlung (Werner Große), die nur einen massenhaften Absatz in den mittlern und untern Regionen anstrebt. Es war eine schon von ihren zerrütteten Finanzen herstammende Unsitte, daß sich die in den Stoffen bedrängte Frau, die durchaus ihre alten Erfolge wieder erobern wollte, an lebende mächtige Persönlichkeiten anschloß, schon den Erzherzog Johann von Österreich als Romanstoff verarbeitete, während der ehemalige Reichsverweser noch ruhig auf seinem Schloß in Steiermark saß, an Napoleon schrieb (siehe die »Enthüllungen aus den Tuilerien«), weil sie Hortense und die napoleonische Romantik verherrlichen, auch à tout prix an den Feierlichkeiten bei Einweihung des Suezkanals beteiligt sein wollte usw. Die Unsitte der »Aktualität« ist jetzt durch den ehemaligen Welfenagitator Meding, genannt Samarow, so weit gediehen, daß wir Romane zu lesen bekommen, wo in einer Szene Lasker mit Bismarck über einen Kompromiß unterhandelt, Herr v. Keudell dabei eine Zigarre raucht und Lothar Bucher, ans Fenster gelehnt, scheinbar gleichgültig eine englische Zeitung liest. Die Poesielosigkeit, die Unbildung, das Yankeetum unseres Zeitalters sind die Beförderer dieses ans Kindische streifenden Mißbrauchs einer raschen und gewandten Feder geworden, die sogar nicht mehr angesetzt wird. Die Phantasie, die nur den Bogen füllen will, bedient sich der Stenographie. Yankeetum nennen wir hier jene fast an den Urzustand von Wilden erinnernde maßlose Schausucht, die gierig durch die Masse sich mit eingestemmten Armen Bahn bricht und alles anstaunt, alles belorgnettiert, alles im Bild anschaulich gemacht sehen will, Hinrichtungen, Schreckensvorfälle, Weltausstellungsspektakel usw. Ganz Nordamerika leidet an diesem Sensationsfieber, während sich doch Europa, nach einigen Aufregungen, längst, wenigstens in den Kreisen der Bildung, beruhigt hat. Sollte man glauben, daß ein New-Yorker Blatt Louise Mühlbach nicht bloß nach Wien, sondern auch nach Ems schickte, um dort das diesjährige (so stille, friedliche, von nicht der mindesten »Sensation« begleitete) Erscheinen des Kaisers an der Krähnchen-Quelle zu beobachten und zu beschreiben! Sie flog von Wien nach Ems, machte dann selbst in Marienbad eine Kur, erkältete sich, legte sich in Berlin ohne die mindeste Ahnung ihres gefahrvollen Zustandes ins Bett und ist im bewußtlosen Zustande, ohne Schmerzgefühl, aus dem Leben geschieden. Als man ihre Leiche neben meinem alten Kampfgenossen Theodor Mundt in die Grube senkte und manchem des würdigen Sydow Sargweihe-Rede als zu herb noch im Ohre klang, hätte ich, wenn hier Laien-Grabreden Sitte wären, dem Thema: »Richtet nicht –!« erwidern mögen: Auch diese Prunk- und Prahlsucht, die du zu verurteilen scheinst – forsche nur nach, Priester! –, es lag ihr bloß die weibliche Liebe zugrunde! Liebe zuerst zu ihrem Gatten, der ihr bedeutender, anerkennenswerter erschien, als ihn die schulmäßige Wissenschaft Berlins wollte aufkommen lassen, oder diejenige Berliner Anerkennung, der man nur mit Titeln und Orden imponieren kann! Die Liebe war es, die auch allmählich die mephistophelische, satirische, ja zynisch verbitterte Verachtung der Welt annahm, die sich allmählich des Gatten und zurückgesetzten Professors bemächtigt hatte! Liebe, Liebe allein ließ den Schein entstehen, als wenn die moderne Literatur mit dem Adel, mit der Kaufmannswelt, mit den tausend Anmaßungen und hochgetragenen Nasen der Anmaßung ringsum rivalisieren könnte! Es ist ein alter Satz, den George Sand nur wiederholt hat, wenn man ihn als von ihr herrührend anführt, daß unsere Fehler die Übertreibungen unserer Tugenden sind. Dies auf das allerdings erschreckende Système de bascule angewandt, wie Louise Mühlbach verstanden hat, sich bei den bekannten Lieferanten von Luxus- und Genußgegenständen einen Kredit von Tausenden zu machen und zu erhalten, gibt einen Einblick in die Stufenfolge der Entwicklung der Charaktere. Die Verschwendung dieser Frau war nicht ganz die Folge der persönlichen Eitelkeit, sondern eine Folge des Widerstandes, den der erlaubte Ehrgeiz geistig Schaffender der breitspurigen, vom Glücke begünstigten Alltagswelt leisten möchte. »Erlaubt« –? sagte ich von ihrem Ehrgeiz? Nun, in Bezug auf »Friedrich der Große und die Seinen« und »Kaiser Joseph« möchten wir in unsers Helmerding so köstlich vorgetragenes Couplet mit dem Refrain: »Dazu gehört wahrhaftig doch Talent!« mit einstimmen.
In fast allen Berichten über die Gegenwartsliteratur findet man den Satz aufgestellt: daß der eigentliche poetische Ausdruck der Zeit der Roman sei. Besonders bei Einleitungen zu einer Besprechung über einen neu erschienenen Roman von N. N. begegnet man regelmäßig diesem Axiom von fragwürdiger Tragweite. Hätte der betreffende Autor, dessen Zeltkamerad und wahrscheinlicher täglicher Zigarrenkastengenosse der Rezensent zu sein pflegt, zufällig ein Drama als epochemachend zu bezeichnen, so würde ihm niemand, der die Unzahl der überall erstehenden Theater erwägt und das trotz der »Krachs« wieder beginnende Billet-Rennen, widersprechen können. Aber genau erwogen ist jener Satz weder für den Roman noch für die Bühne erweislich. Wenn z. B. heute ein origineller, aus Kunst und Naivität geschaffener Geist wie Robert Burns der deutschen Literatur, die ähnliches nur in den Ansätzen einiger verschollener »Naturdichter« besitzt, geschenkt werden könnte, warum sollte er nicht in den Vordergrund treten und wieder auch für die Berechtigung der Lyrik zeugen können! Von einem Hindurchgehenmüssen des ästhetischen Begriffs, wie Carrière sagen würde, in »welthistorischer Entwicklung«, ausschließlich durch den Roman, scheint mir gar keine Rede. Macht gute Dramen, und alle Welt wird davon erfüllt sein! Macht ein »reizendes« Epos (ich spreche berlinisch), und es wird auf jedem Toilettentisch liegen!
Schon deshalb muß man jenen Einleitungssatz zu den Rezensionen über die Romane von N. N. und N. N. ablehnen, weil die Ablagerung der schriftstellerischen Impotenz im Roman eine Ausdehnung angenommen hat, die schreckenerregend ist. Junge Mädchen ohne jede Lebenserfahrung, nur von den Reminiszenzen ihrer Lektüre erfüllt, häufen Bogen auf Bogen und finden Gelegenheit, ihre Konvolute drucken zu lassen. Frauen »erfinden« – man kann wohl nach dem Sprichwort sagen: »auf Teufelholen« – Geschichten von geraubten Kindern, unterdrückten Testamenten, Brandstiftungen, Nichtanerkennungen illegitimer Kinder, Eindringlingen, die sich, nachdem sie das Herz einer Gräfin gewonnen haben, als Galeerensklaven entpuppen, oder sie nehmen Geschichtsstoffe, die in einer Weise zusammengeknetet werden, die den Melangen der Küchenrezepte entspricht. Gewisse Memoiren-Exzerpenten, die jahrein jahraus ihre 8-9 Bände zusammenbringen, die dann vorher schon in der Unzahl unserer illustrierten Blätter verwertet worden waren, schreiben mit umso größerem Vertrauen, als sie nur von Menschen gelesen oder als langweilig beiseite gelegt werden, die nicht wieder schreiben. Kritik existiert für diese Buchmacherei nicht. Wer soll sie üben, wer soll sie lesen, durchblättern, als höchstens ein auf massenhaftes »Abtun« angewiesener Rezensent in den »Blättern für literarische Unterhaltung«? Nur die Reklame hält sie, worunter nicht die Anzeige »unterm Strich« zu verstehen ist, sondern die den obern Zeilen ebenbürtige redaktionelle Meinungsäußerung, in der Regel ein vom Autor oder von dem Verleger selbst besorgtes Referat, das jeden Tadel ausschließt. Die Redaktionen der meisten hiesigen Zeitungen sind froh, wenn sie nur irgendwie die Bücherstöße, die sich bei ihnen namentlich gegen Weihnachten aufhäufen, in solcher Art erledigen können.