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Eine derjenigen Schöpfungen des Königs, in denen man unbehindert von irgendeiner drückenden Nebenempfindung atmet, ist und bleibt das Neue Museum. Der Fremde wird es bei jedem Besuche wiederzusehen sich beeilen, er wird sich der Fortschritte freuen, die die Vollendung des Ganzen inzwischen gemacht hat, er wird sich in diesen Räumen aller lästigen Beziehungen auf lokale Absichten und Einbildungen erwehrt fühlen und im Zusammenhange wissen nur mit jenen allgemeinen deutschen Kunstbestrebungen, die uns die Schönheit und Pracht von München, die Ausschmückung des königlichen Schlosses in Dresden, die neuen Pläne für Weimar und Eisenach, unsere neuen Denkmäler, Kunstausstellungen, Kunstvereine und den Aufschwung unserer Akademien geschaffen haben. Das Neue Museum liegt in einem versteckten, zur Stunde noch beengten, unfreundlichen Winkel der Stadt, aber es ist die traulichste Stätte der Begrüßung, das heiterste Stelldichein des Geschmacks und der prüfenden, immer mehr wachsenden Neugier der Einheimischen und der Fremden, die sogleich hierher eilen. Es entwickelt sich langsam, aber reich und gefällig. Es entwickelt sich unter Auffassungen, die uns wahlverwandt sind. Wir sind in Italien und in München vorbereitet auf das, was wir hier wiederfinden. Diese Räume hat mit den Eingebungen seines Genius vorzugsweise eine große, freie Künstlernatur zu beleben, ein Dichter mit dem Pinsel, ein Denker nach Voraussetzungen, die nicht aus dem märkischen Sande stammen. So stört uns denn auch hier kein beliebter byzantinischer Schwulst, keine russischen Pferdebändiger, oder Athleten oder Amazonen erfüllen uns, während wir an Athen denken wollen, mit lakedämonischen Vorstellungen; selbst die hier in Berlin überall aushängende Devise: »Nach einem Schinkelschen Entwurf«, stört uns nicht. Man muß Schinkel einen erfindungsreichen und sinnigen Formendichter nennen, aber er schuf doch wahrlich zu viel auf dem Papiere, er zeichnete zu viel abends bei der Lampe; es waren geniale Studien und Ideen, die er ersann von Palastentwürfen an bis zu Verzierungen von Feilnerschen Öfen; aber es fehlte ihm doch wohl eine gewisse Kraft, Reinheit und Einfachheit des Stils...
Eine zweite große Schöpfung des Königs ist die Kuppeldachkapelle des Schlosses. Sie hat eine halbe Million gekostet und ist unstreitig eine Zierde des Schlosses nach dem ihm eigentümlichen Geschmack, wenn auch eben keine Bereicherung der Kunst. Der Baumeister Schadow errichtete die gewaltige Wölbung auf einem Platze, der bisher im Schlosse unbeachtet gewesen war, verfallene Wasserwerke enthielt, altem Gerümpel, freilich aber auch den vortrefflichen Schlüterschen Basreliefs, die jetzt die Treppe zieren, als Aufbewahrungsort diente. Die Spannung des mehr ovalen als runden Bogens ist meisterhaft ausgeführt. Einen überraschenden Eindruck wird der Eintritt in diesen Tempel jedem gewähren, der sich erst im Weißen Saale an den schönen Formen der Rauchschen Viktoria geweidet hat und zu ihm dann auf Stiegen emporsteigt, die mit lebenden Blumen geschmückt sind und mit Kronleuchtern, die nur etwas zu salonmäßig durch Milchglasglocken ihre Flammen dämpfen sollen. Man erwartet in der Kapelle weder diese Größe noch diese Pracht. Bei längerer Betrachtung schwindet freilich der erste Eindruck. Das steinerne, mit Marmor und Bildern auf Goldgrund überladene Gebäude wird dem Auge kälter und kälter. Der Altar, wenn auch mit einem aus den kostbarsten Edelsteinen zusammengesetzten Kreuze geziert, die Kanzel, der Fußboden, alles erscheint dann plötzlich so nur für die Schwüle der südlichen Luft berechnet, daß man das lebendige Wort Gottes hier weder recht innerlich vorgetragen noch recht innerlich empfangen sich denken kann. Das Auge ist zerstreut durch das Spiel aller hier zur Verzierung der Wände aufgebrachten Marmorarten. Da gibt es keine Farbe, keine Zeichnung des kostbarsten Bausteins, von der nicht eine Platte sich hier vorfände wie in einer mineralogischen Sammlung. Zu dieser durch die Steine hervorgerufenen Unruhe gesellt sich die Ungleichartigkeit der Bilder. Sie scheinen alle nach dem Gedanken zusammengestellt, die Förderer der Religion und des Christentums zu feiern. Aber auch dies ist ein Galerie- oder Museumsgedanke, kein reiner Kirchengedanke. Huß, Luther, die Kurfürsten von Brandenburg stehen vis-à-vis den Patriarchen und den Evangelisten. Da muß es an der einigen Stimmung fehlen, die Andacht hebt sich nicht auf reinen Schwingen, man kann in einem solchen Salon nur einen konventionellen Gottesdienst halten. Ach, und dieser Fanatismus für das konventionell Religiöse sitzt ja wie Mehltau auf all' unsern Geistesblüten! Man denkt nicht mehr, man prüft nicht mehr, man übt Religion nur um der Religion willen. Man ehrt sie um ihrer Ehrwürdigkeit, man ehrt sie wie man Eltern ehrt, deren graues Haar unsere Kritik über die Schwächen, die sie besitzen, entwaffnen soll. Das ist der Standpunkt der Salon-Religion. Man will nicht prüfen, man will nicht forschen, man umrahmt mit Gold und Edelstein die Tradition, die man auf sich beruhen läßt. Man schlägt sein rauschendes Seidenkleid in künstlerische Falten, wenn man im Gebetstuhl niederkniet; man schlägt sein goldenes Gebetbuch auf, liest halb gedankenlos, was alte Zeiten dachten, denkt vielleicht mit Rührung dieser Zeiten, wo der Glaube von so vielem Blute mußte besiegelt werden, gesteht wohl auch seine eigenen sündigen Einfälle und Neigungen ein, gibt sich den Klängen einer vom Chor einfallenden Musik mit einigen quellenden Tränen der Nervenschwäche und Rührung hin und verläßt die Stätte der Andacht mit dem Gefühl, doch dem Alten Rechnung getragen, doch eine Demonstration gegeben zu haben gegen die anstößige und in allen Stücken gefährliche neue Welt! Das ist die Religions-Mode des Tags. Für diese Richtung eines vornehmen Dilettierens auf Religion kann man sich keinen zweckentsprechendern Tempel denken als die neue Berliner Schloßkapelle. Sie erleichtert vollkommen die manchmal auch wohl lästig werdenden Rücksichten einer solchen Art von Pietät.
Weitentlegen vom Geräusch der Stadt und nur leider in einer zu kahlen, baumlosen Gegend liegt Bethanien, die seit einigen Jahren errichtete Diakonissenanstalt. Man fährt an einer neuen, im Bau begriffenen katholischen Kirche vorüber und bewundert die großartige Anlage dieses vielbesprochenen Krankenhauses, das sich bekanntlich hoher Protektion zu erfreuen hat. Dennoch soll die Stiftung eine städtische sein und ab und zu wird man von Bitten in den Zeitungen überrascht, die Bethanien zu unterstützen auffordern, Bitten, die wiederum dies Institut fast wie ein privates hinstellen. Zweihundert Kranke ist die gewöhnliche Zahl, für welche die nötigen Einrichtungen vorhanden sind. Dem fast zu luxuriös gespendeten Raume nach könnten noch einmal soviel untergebracht werden. Man hat hier ein Vorhaus, eine Kirche, einen Speisesaal, Wohnungen der Diakonissen und Korridore von einer Ausdehnung, die fast den Glauben erweckt, als wäre die nächste Bestimmung der Anstalt die, eine Art Pensionat, oder Stift oder Kloster zu sein, das sich nebenbei mit Krankenpflege beschäftigt. Ohne Zweifel ist auch die Anlage des Unternehmens auf eine ähnliche Voraussetzung begründet. Bethanien soll eine Demonstration der werktätigen christlichen Liebe sein; die Kranken, mag auch für sie noch so vortrefflich gesorgt werden, nehmen gewissermaßen die zweite Stelle ein.
Die Oberin der Diakonissen ist ein Fräulein von Rantzau. Unter ihr stehen etwa zwanzig »ordinierte« Diakonissen und eine vielleicht gleiche Anzahl von Schwestern, die erst in der Vorbereitung sind. Einige der ordinierten sind auf Reisen begriffen, um auswärts ähnliche Anstalten begründen zu helfen. Die Tracht der größtenteils jungen und dem gebildeten Stande angehörigen Damen ist blau, mit einem Häubchen und einer weißen, über die Schulter gehenden Schürze. Wie gründliche Vorkenntnisse hier vorausgesetzt werden, ersah ich in der Apotheke, die von zwei Diakonissen allein bedient wird. Auch ein Lehrzimmer findet sich zu theoretischen Anleitungen. Die groben Arbeiten verrichten gemietete Mägde, die im Souterrain an den höchst entsprechenden praktischen Waschhaus- und Küchenvorrichtungen beschäftigt sind. Auch Männer fehlen nicht. Die Diakonissen sind überhaupt mehr bei den weiblichen Kranken beschäftigt und müssen die schwerere Dienstleistung, die besonders im Heben und Umbetten der Kranken besteht, dem stärkern Geschlechte überlassen. Man bekommt auch hierdurch wieder die Vorstellung von einem gewissen Luxus, der im Charakter der ganzen Anstalt zu liegen scheint. Man kann den damit verbundenen Tendenzbeigeschmack nicht gut offen bekämpfen, da unfehlbar ein zwangloses Behagen in der Nähe von Kranken und Sterbenden die ganze Stimmung unsers Herzens für sich hat. Die Sauberkeit der Erhaltung, die reine Luft, das Gefühl von Komfort und Eleganz kommt doch auch den Kranken selbst zugute.
Einen Freund der Diakonissenanstalten frug ich: Aus welchem Geiste erklären diese Frauen und Mädchen sich bereit, den Leidenden mit ihrer Pflege beizustehen? Er erwiderte: Um der Liebe Gottes willen. Unstreitig bedarf der Mensch, um sich zu seltenen Taten anzuspornen, des Hinblicks auf einen höhern sittlichen Zweck. Dennoch hätt' ich lieber gehört: Diese Institution wäre von der Menschenliebe hervorgerufen. Ich glaube, der Ton würde inniger, die Haltung weniger kaltvornehm sein. Ein Zusammenhalt bei gemeinschaftlichem Wirken ist nötig, eine gleiche Stimmung muß alle verbinden. Ob aber dazu eine Kirche, ob Gesang und Gebet beim Essen, ob das Herrnhuter, in »Gnadau« gedruckte Liederbuch, das ich auf dem Piano aufgeschlagen fand, dazu gehört, möcht' ich bezweifeln. Ein anderes ist der katholische Kultus von Barmherzigen Schwestern, die sich für Lebenszeit diesem Berufe hingeben und von der Welt für immer getrennt haben; ein anderes diese vorübergehende Wirksamkeit einer Diakonissin, die nach vorhergegangener rechtzeitiger Anzeige ihren Beruf wieder aufgeben und immer noch eine Frau Professorin oder Assessorin werden kann. Für einen solchen Beruf reicht Herzensgüte, Menschenliebe und eine, durch äußere Umstände hervorgerufene Neigung einen so schwierigen Platz anzutreten, vollkommen aus. Und sollte denn wirklich im 19. Jahrhundert die Bildung der Gesellschaft, die Humanität der Gesinnung, die Liebe zum Gemeinwohl, die Sorge für die gemeinschaftlichen Glieder einer Stadt, eines Staats und einer Nation noch nicht so weit als werktätiges Prinzip durchgedrungen sein, daß man, um hier dreißig Frauen in einem Geiste der Hingebung und Liebe zu verbinden, nötig hat, nach dem Gnadauer Herrnhuter Gesangbuche zu greifen?
Man wird ein jedes Krankenhaus mit Rührung verlassen. Auch in Bethanien sieht man des Wehmütigen genug. Ich trat in ein Krankenzimmer von Kindern. Abgezehrte oder aufgedunsene kleine Gestalten lagen in ihren Bettchen und spielten auf einem vor ihnen aufgelegten Brette mit bleiernen Soldaten und hölzernen Häuserchen. Ein blasser Knabe, der an der Zehrung litt und vielleicht in einigen Wochen stirbt, reichte freundlich grüßend die Hand. Einen andern hatt' ich gut auf den Sonnenschein, der lachend in die Fenster fiel, auf die Lerchen, die schon draußen wirbelten, auf ein baldiges freies Tummeln im erwachenden Frühling vertrösten, der Kleine litt am Rückenmark und wird nie wieder gehen können. Ein Krankenhausbesuch ist eine Lehre, die nach »Satanella« und Aladins »Wunderlampe« sehr nützlich, sehr heilsam sein kann. Aber Bethanien verläßt man doch mit dem Gefühl, daß hier, wie in unserer Zeit überhaupt, noch mehr Menschen krank sind, als die da offen eingestehen, des Arztes bedürftig zu sein.