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Die kluge und soviel man wußte ziemlich demokratisch gesinnte Fanny Lewald hat einen Roman (»Prinz Louis Ferdinand«) geschrieben, der ihr die Ehre einbringen wird, Mitglied des Treubunds zu werden. Ich sehe ihre sonst so freiheitglühende Brust schon mit einem Ordenszeichen geschmückt, das ihr in feierlicher Sitzung unter allen Berliner Offiziers- und Beamtenfrauen Graf Schlippenbach anheften wird. Denn was auch vom Standpunkt der Hofdamen aus in diesem biographischen Roman gegen die Etikette und eine gewisse loyale Pietät für hohe und höchste Personen gesündigt sein mag, die besonneneren Mitglieder der Preußenvereine wissen sehr wohl, daß man den Royalismus auf alte Art nicht mehr predigen kann. Dies edle Kern- und Grundgefühl preußischer Herzen kann nicht mehr überall der Ausfluß unmittelbaren Instinktes sein wie weiland, als der Friedrich-Wilhelm-Staat noch in patriarchalischen Banden schlummerte, sondern dies Gefühl muß jetzt »vermittelt« werden, in der Sprache der Neuzeit reden, gemischt und verquickt mit dem Neusilber der Mode. Das hat Fanny Lewald redlichst getan. Man kann nun doch wieder aufblicken zu jenen strahlenden Meteoren, die man Prinzen nennt. Man kann doch den Beweis führen, daß auch in jenen Regionen menschlich empfunden, liebenswürdig geschwärmt, edel gedacht wird. Man hat doch endlich einmal den vollsten Gegensatz gegen diese Irrgänge der Literatur, die schon die Poesie nur noch bei den Handwerkern und Bauern suchen wollte. Die Gräfin Hahn rettete der Poesie den Adel, Fanny Lewald, die strenge Richterin Diogenens, rettete ihr wieder die Könige und die Prinzen.
Wir erfahren in diesen drei mit großer Gewandtheit geschriebenen Bänden, daß es an der Grenzscheide des Jahrhunderts einen Prinzen von Preußen gab, der ein wenig stark von der Geniesucht seiner Zeit angesteckt war, sich vom Zopf Friedrichs des Großen und derer, die diesen Zopf für das Palladium des preußischen Staats hielten, emanzipieren wollte, Musik trieb, viel Schulden machte, Militärexzesse begünstigte, die Franzosen und ihre Republik haßte und um jeden Preis dem »Korsen« den Glanz preußischer Waffen fühlbar machen wollte. Als ihm die Diplomatie 1806 seinen Willen tat und den Krieg erklärte, fiel er in dem ersten Gefecht gegen eine Nation, die er liebte (denn er umgab sich mit Franzosen), aber deren liberale Grundsätze er haßte. Es ist dieser Prinz Louis Ferdinand so oft als eine Heldengestalt, als ein junger tatendurstender Alexander gerühmt worden, daß man sein Leben wohl für beachtenswert, seinen Tod rührend finden kann. Wie aber sieht es mit einer näheren Prüfung dieses Ruhmes aus? Wie muß sich der Biograph, der Dichter stellen, um diese äußerlich blendende Erscheinung ihrem wahren Kern und Wesen näher zu bringen?
Wir gestehen, daß Fanny Lewald ihren Helden vom Gesichtspunkt des Weibes sehr wahr auffaßte. Statt aller Kritik über ihn hat sie sich ganz einfach in ihn verliebt. Ich finde diesen Zug in ihrem Buche für den schönsten. Da ist kein nüchternes Räsonnement, da ist keine Prüfung, kein Abwägen von Mehr oder Minder, sie liebt den Prinzen, wie ihn Rahel Levin geliebt hat. Und gerade das muß den Treubund entzücken, gerade daraufhin kann Graf Schlippenbach sagen: Seht da eine Demokratin, eine Jüdin, eine eifrige Verfechterin der Grundsätze ihrer Freunde Simon und Jacoby, seht da eine Märzheldin, die mitten im Zeitalter der Barrikaden Triumphpforten für preußische Prinzen baut! Wie wir mit Blumenkränzen unsern Garderegimentern entgegenwallen und sie mit Treubundshuldigungen in den Bahnhöfen empfangen, wenn sie mit demokratenblutgefärbten Bajonetten in ihre Kasernen heimziehen, so jauchzen in diesem Buche Männer und Frauen einem Prinzen entgegen, der im Grunde nichts für die Menschheit leistete, sich aber als Hohenzoller fühlte! Und eine Demokratin trägt uns hier die schwarzweiße Fahne voran! Eine Feindin der aristokratischen Literatur! Die berühmte Gegnerin unserer unübertrefflichen Ida!
Fanny Lewald wird sich über den Grafen Schlippenbach, noch mehr aber über mich, der ihn so reden läßt, sehr erzürnen. Sie wird, ich seh' es, alle diese Konsequenzen ihrer Liebe und Begeisterung für einen preußischen Prinzen zurückweisen, sie wird, ich hör' es, ausrufen: Kleinliche Menschen die ihr seid, kann man denn nicht mehr dem Zuge seines Herzens folgen? Soll denn alles, alles Partei sein? Soll es denn nicht mehr möglich bleiben, daß man jede bedeutende Erscheinung der Menschenwelt, sie tauche nun auf in einem Auerbachschen Schwarzwald-Dorfe oder einer George Sandschen Mare au Diablo oder auf dem Parkett der Ministerhotels und Prinzenpaläste, mit Interesse, ja mit Liebe umfaßt und das Schöne, Wahre, Strebsame auf allen Klimmstufen der Gesellschaft anerkennt? Das hat sich Fanny Lewald gedacht, als sie diesen Roman schreiben wollte. Sie hat sich ohne Zweifel noch größeres gedacht. Sie hat das Bild eines zerfallenden Staates zeichnen wollen, sie hat geglaubt, einer sich jetzt unüberwindlich dünkenden Gegenwart den Spiegel der Vergangenheit vorhalten zu können, indem sie im Staat, der Gesellschaft, im Militär und Zivil die Grundgebrechen schilderte, an welchen der Stolz und die Eitelkeit jener Tage krankte, ohne es zu wissen. Diese polemische Tendenz, der auch manche vortreffliche Seite ihres Werkes gewidmet ist, ermutigte sie, jenes Bild eines Prinzen als Mittelpunkt ihrer Dichtung festzuhalten und so den Vorwürfen zu begegnen, gegen die sie als strenger demokratischer Charakter empfindlich sein mußte.
Wie dem aber sei, sie ist ihrem weiblichen Herzen zum Opfer gefallen. Sie hat, angeregt von Varnhagen von Ense, jene bedeutsam Zeit schildern wollen, wo sich in der Tat trotz Goethes Spott »Musen und Grazien in der Mark« begegneten und Schlegel, Gentz, Fichte, die Rahel und ihre »Kreise« mit einem liebenswürdigen, genialen Prinzen des königl. Hauses in Beziehungen kamen. Es hatte sie das interessiert, besonders Rahels wegen, mit der sie sich in ihrem Roman auffallend identifiziert. Aber der Erfolg ist bei vielen vortrefflichen Eigenschaften ihres Werkes nicht gelungen. Statt, wie eine künstlerische Intuition ihr sagen mußte, den Prinzen episodisch zu benutzen, stellte sie ihn in den Vordergrund. Statt ihren Roman z. B. durch eine Figur wie Karl Wegmann zu heben und zu tragen und alle jene bedeutenden Menschen nur zuweilen in ihr Werk hineinragen zu lassen, macht sie diese selbst zu Hauptträgern der Handlung und gibt eine romantische Biographie, statt eines Romans. Prinz Louis bleibt immer der Mittelpunkt. Sie dichtet ihm Empfindungen an, die zu beweisen sind, sie gruppiert Menschen um ihn, die sie als edel, mindestens bedeutungsvoll erscheinen läßt, während sie doch meist nur frivol und sittenlos sind. Diese Pauline Wiesel, eine feine Berliner Kurtisane berüchtigten Andenkens, erscheint bei unserer Verfasserin so relativ wertvoll und interessant, so drapiert mit dem großen Umschlagetuch grell-moderner Ideen und großblumiger Empfindungen, daß man erstaunt, wenn man sich denken muß: Was wird Diogena zu diesem Buche sagen? Wenn sich bei dieser Dame die Schichten der aristokratischen Gesellschaft zerbröckeln und in die ihr eigene großstaffierte Salon- und Boudoir-Romantik zerblättern, wo Liebe und Skandal bunt durcheinanderlaufen und parfümierte Billetts, von galonierten Jockeys auf silbernen Tellern präsentiert, alle Schmerzen »unverstandener« Seelen aushauchen, so gesellt sich hier wenigstens Gleiches und Gleiches, und wir sind doch bewahrt vor der Fanny Lewaldschen Zumutung, jene Berliner Beamtentöchter interessant zu finden, die beim Blasen der Gardekürassiere an die Fenster rennen, sich in Helme und Epauletten verlieben und Prinzen vollends alles gewähren, was Prinzen nur von Bürgerstöchtern fordern können. Henriette Fromm, Pauline Wiesel sind »Damen« dieses Berliner Schlages gewesen und verdienten nicht von der Poesie so ausstaffiert zu werden, wie dies in unserm Gedenkbuch geschieht. Welche großen Worte sind da an Niederes verschwendet! Welche gemeinen Gesinnungen bunt aufgeputzt! Wer hat Berlin beobachtet und kennt nicht jene Buhlerei der Mütter und jungen Frauen um Prinzengunst, wie sie nach den Tagen der Lichtenau dort Mode war? Später mögen die Opfer dieser Zustände mehr gelernt haben als Madame Rietz wußte, sie mögen französisch parliert, Goethe und Schiller gelesen haben und mit Gentz und Schlegel in Berührung gekommen sein; sie bleiben aber darum doch, was sie sind, mag auch Varnhagen von Ense noch so milde Lichter über sie ausgegossen haben. Die arme Lewald, in dem Drang das Judentum zu heben und eine Jüdin Rahel Levin mit Prinzen von Preußen in Verbindung gebracht darzustellen, ist hier von ihrem Herzen und dessen kühnsten Flügen geblendet gewesen und hat eine Sphäre für dichtungswürdig gehalten, die es nicht war. Mamsell Cäsar, die Berliner Geheimsekretärstochter, verdiente ebensowenig diesen Aufwand von Seelenmalerei wie Henriette Fromm, die am Tage nach der Verlobung an einen Ökonomen mit einem Prinzen auf- und davonging. Ein Prinz kann doch meist nur von oben herab lieben, von oben herab einer Bürgerlichen schmeicheln, nur in aller Kürze sie auffordern: Sei mein! Einen Roman von Gefühl, Entwicklung, Herausstellung der edelsten Triebe des Menschen gibt es da höchst selten und im vorliegenden Fall gewiß nicht. Wer kann Fanny Lewald in dieser Verirrung anders folgen als bloß mit einem gewissen anekdotischen Interesse? Zu empfehlen, aufmerksam zu machen, zu bewundern gibt es da nichts. Man liest es mit Neugier, mit Spannung, würde aber erschrecken, wenn die Verfasserin verriete, sie hätte beim Niederschreiben dieser Blätter auch nur im entferntesten gedacht: Entnehmt euch daraus etwas!
Einzelne Schilderungen sind der Verfasserin vortrefflich gelungen; unstreitig immer die, wo sie sich eines gedrückten, leidenden Zustandes der Gesellschaft annehmen kann. Sie empfindet mit der Armut, mit dem gedemütigten Stolze, mit der getretenen Menschenwürde. Sie hat in ihrem reinen und aufrichtigen Bekenntnis des Judentums eine Schule der Beobachtung und des Mitgefühls für die Nachtseiten der Gesellschaft durchgemacht. Warum erhob sie sich von dem strengen Gericht, das sie über die Militärzustände Preußens von 1806, das Kasernenleben, das Ghetto, die Bestechlichkeit der Beamten, die Ohnmacht und den Dünkel der Minister anstellte, nicht auch zur Wahrheit über ihren aristokratischen Helden selbst und noch mehr zur Wahrheit über das prahlende Zuschautragen des Herzens bei den Weibern, die in diesem Gemälde aufrauschen? Warum wandeln diese so pomphaft daher und bringen uns den abgenutzten Gefühlskram unserer blasierten Frauenromane von 1840 zum Kauf? Ist es nicht eitle Flitterware? Ist nicht selbst Rahels Liebesschmerz und entsagende Großgefühligkeit um die königliche Hoheit affektierter Kram? Erschließen uns diese Verirrungen, wenn sie stattfanden (und sie müssen es wohl, da Varnhagen von Ense laut Widmung dieses Werkes Taufpate ist), irgendeine große Perspektive auf die Tiefe der Menschenbrust? Ich kann der Verfasserin überall folgen, wo sie praktisch und verständig ist. Wo sie aber Gefühl geben will, Idealität in ihrem Sinn, da befinden wir uns doch eben nur in derselben Sphäre, die sie an der Gräfin Hahn hat bekämpfen wollen: Haß gegen das Übliche, Feindschaft gegen die gewöhnlichen Gleise der Liebe, die sich in ihrer süßen Monotonie Jahrtausende lang durch die Herzen der Menschheit ziehen. Sind euch denn die Mütter, die verheirateten Frauen ewig gleichgültig und nur diese Rahelen, diese Henrietten und Paulinen der poetischen Betrachtung würdig? Es wäre eine rechte Erquickung gewesen, wenn wir in diesem Buche neben den vielen Weibern mit starkem Herzen auch ein junges, schönes und bedeutendes mit einem nur guten angetroffen hätten.
Das Buch schließt wie eine Symphonie mit unaufgelöster Dissonanz! Der Held stirbt, und – das Ganze ist zu Ende. Alle Fäden, welche die Verfasserin anspann, um uns zu unterhalten, sind zerrissen. Eben noch Licht, und plötzlich Nacht. Dieser Schluß ist eine Kritik des Werkes. Er sagt, daß mit dem Tode des Helden der ganze Apparat des Romans in Nichts zusammensinkt, und es im Grunde nur ein Spuk war, der ihn umgab, kein wirkliches, daseinberechtigtes Leben. Fanny Lewald hat so den Trieb nach Wahrheit, so die schöne, oft grausame Leidenschaft aufrichtiger Überzeugung, daß sie unstreitig fühlte: Die Menschen, die ich da mit dem Prinzen zusammenkettete, sind nach seinem Tod unnütz, und keine Seele mehr wird nach ihnen fragen. Ein ernstes Drama soll wie ein Grab enden, ein ernster Roman aber wie ein Kirchhof. Das Auge soll mit Schmerz nach vielen Gräbern sich umsehen und nicht wissen, welches von ihnen allen den Immortellenkranz verdient.