Karl Gutzkow
Berlin – Panorama einer Residenzstadt
Karl Gutzkow

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IV. Aus dem literarischen Berlin

Der Sonntagsverein

(1833)

Wer kennt nicht den Berliner Sonntagsverein, den Rival der Mittwochsgesellschaft? Wenigstens ist es noch nicht vergessen, daß der wirkliche Geheime Intendanzrat Saphir vor vier, fünf Jahren in Berlin jenen ersten Verein gründete und ihn witzig nicht die sondern den Sonntagsgesellschaft nannte, um jede Beziehung auf die Sontag in diesem Namen zu unterdrücken und bei der Nachwelt der Vermutung zuvorzukommen, als sei Willibald Alexis, der Enthusiast, jenes Vereins Stifter gewesen. Saphir wußte diese Gesellschaft bald zu bevölkern. Die Zahl seiner Schüler und Verehrer war beinahe ebenso groß als die seiner Feinde. Saphir zeigte, daß der Witz nichts gelernt zu haben brauchte, daß die Phantasie alle Lücken ausfülle und der Götterfunke auf keine Schulzeugnisse sehe. Das war das Signal zu einer Autorensaat, die aus den seinen Gegnern ausgeschlagenen Zähnen aufwuchs und sich mit Begeisterung unter seine Fahne stellte.

Die Seidenwarenhändler in der Breiten Straße tobten, daß ihre Ladendiener, statt die Waren richtig zu messen, Versfüße maßen, um Scharaden, Logogriphe und Rätsel zu machen, die sie am folgenden Tage mit klopfendem Herzen in Saphirs Blättern abgedruckt sahen. Die Kopisten auf dem Stadtgerichte sollten Ehescheidungsdekrete, Verführungsgeschichten und Schlägereien ins Reine schreiben und übten sich in der literarischen Polemik, mit der sie dem Satir in der Behrenstraße immer willkommen waren. Die Studiosen, die bei Savigny die Pandekten hörten, machten humoristische Ausflüge und beschwerten das Felleisen der »Schnellpost« und des »Couriers«, dieser weltbekannten Institute ihres großen Generalpostmeisters. Gar nicht zu erwähnen, daß für die Juden ein ewiges Laubhüttenfest der Poesie angebrochen war, daß sie sich ihre satirischen Adern öffnen ließen und unter dem Schutze ihres großen Messias alles taten, wozu er selbst sie die Handgriffe lehrte. Damals blühte die Sonntagsgesellschaft und trug herrliche Früchte, von denen sie zum Besten der Überschwemmten vor Jahren einige Spenden bekannt machte. Später kam die Gesellschaft unter den Vorsitz meines liebenswürdigen Freundes Oettinger. Dann kam die Reihe an die Letzten, um die Ersten zu werden. Diese sind auch noch heute der Stamm, sie haben sich von Saphir emanzipiert und hören nicht gern, daß man sie an die Schule ihrer Talente erinnert. Die beiden vorliegenden Bände [»Rosetten und Arabesken. Novellen, poetische Gemälde und satirische Skizzen der jüngern Serapionsbrüder.«] führen den Nebentitel »Spenden aus dem Archive des Sonntagsvereins« und geben den Maßstab für das, was dieser war, ist und sein könnte.

Zwanzig Köpfe haben hier ihre Phantasien, ihre Ideen, ihre Einfälle und Ausfälle mitgeteilt. Jede Kunstform hat ihren Repräsentanten gefunden, und man ist zweifelhaft, nach welchem Gesichtspunkte man die große Zahl sondern soll. Darf ich nach den Vornamen gehen? Dann kämen z. B. Ludwig Schneider und Ludwig Liber zusammen, die freilich auch zusammen gehören, weil sie kürzlich mit zwei großen goldnen Verdienstmedaillen belohnt worden sind, Ludwig Schneider (auch Both genannt), der das Glaubensbekenntnis eines Landwehrmanns geschrieben hat, und Lieber Ludwig, wollt' ich sagen, Ludwig Liber, von dem »Herzensergießungen über die richtige Mitte« ausgegangen sind. Doch, wie gesagt, das ist alles zu weitläufig und ich begnüge mich nur anzuzeigen, daß diese beiden Bändchen eine Musterkarte von Trivialitäten, geistlosen Gedankenspänen, kurz von literarischen Berolinismen sind, einzelne Sachen von Heinrich Smidt, W. Fischer und selbst Schneider ausgenommen. Und selbst der Mittlere sagt in einem Neujahrsliede zum Jahre 1832:

Es schwand ein Jahr, und welch ein Jahr vorüber!
Vergebens sucht Ihr es im Buch der Zeit!

Wie billig, fragt man den Verfasser, wo es denn geblieben sei? Solcher Ungereimtheiten findet man zu Dutzenden. Die »satirischen Kleinigkeiten« von Wilhelm John erregen allerdings Gelächter, weil sie bewunderungswürdig fade sind. Man höre: »Die Erfahrung der letzten Zeit hat gelehrt, daß Enthusiasten häufig Esel, aber Esel niemals Enthusiasten sind. Hieraus könnte man schließen, der Enthusiasmus sei eine solche Eselei, daß sich nur Enthusiasten, aber keine Esel dazu verstehen können.« Wie dumm! Ferner: »Die gröbsten Ausfälle werden gewöhnlich am meisten gegen diejenigen gerichtet, welche die feinsten Einfälle haben.« Ich hätte Lust, das erste Glied dieses Satzes wahr zu machen, wenn unser John Bull es nur mit dem zweiten könnte. Ferner: »Der Witz des Pöbels gleicht mitunter dem rohen Metall, das nur der Politur bedarf, um zu glänzen.« Herr John, Sie werden doch nicht auf sich selbst sticheln? »Die Sucht, originell zu sein, hat das Originelle an sich, daß sie Narren bildet.« Ach! Es ist genug.

Die Metamorphose von Herrn Smidt ist eine geistvolle Phantasie, die dem Verfasser Ehre macht. Doch kommt von den Novellen keine über dies Mittelmaß hinaus.


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