Karl Gutzkow
Berlin – Panorama einer Residenzstadt
Karl Gutzkow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Abwehr einer Verleumdung

(1850)

In N°. 43 dieser Zeitung sagt ein Anonymus, dem die Redaktion sogar die Ehre erweist, seine bösen Verdächtigungen in den Großdruck des politischen Textes aufzunehmen, der Unterzeichnete könnte schon deshalb als »technischer Direktor« des K. Hoftheaters nicht berufen werden, weil – ihm etwa die nötigen dramaturgischen Kenntnisse mangelten? Nein. Oder weil von ihm bekannt wäre, daß er zwar kein republikanischer, aber doch sonst ein gar schlimmer und bedenklicher Autor wäre? Auch das nicht! Nun, warum denn sonst nicht? Er hat etwas viel, viel Ärgeres begangen. Er wäre im Jahre 1848 von Dresden ganz besonders zu den »Märzereignissen« herübergekommen. Zwar setzt der wohlwollende »Zuschauer« schüchtern hinzu: »Wie es scheint.« Verzwicktes »wie es scheint«! Warum nicht sogleich dreister? Warum nicht sogleich geradezu gesagt, ich hätte Barrikaden befehligt?

Im Mai 1849 hab' ich in Dresden, wohin ich nicht erst zu reisen brauchte, wirklich eine Barrikade bauen sollen. Fünf Männer in Sensen hielten mir Steine entgegen und wollten mich zwingen, Hand anzulegen. Laßt mich! Ich bin kein Baumeister! mußt' ich ihnen sagen. Es half nichts: »die Sense sollte michs schon lehren!« Erst als ich etwas unsanft sagte: Leute, ich habe für die deutsche Einheit mehr mit dem Wort getan, als ich hier mit Steinen tun kann! ließ mich die damals souveräne Insurrektion meines Weges ziehen. Freilich! Warum saß ich nicht, wird mein »Zuschauer« fragen, auch hier versteckt in irgendeinem Keller? Warum war ich an jenem Märzsonntage 1848 vor dem Schlosse in Berlin und sah mir dies Wogen und Wüten einer ungebundenen Menschenmasse an? Der schlimme »Zuschauer« sagt, Herr Polizeipräsident v. Minutoli müßte darüber auch noch erst Bericht erstatten. Niemand kann im geschichtlichen Interesse mehr wünschen als ich, daß der freundliche und um den milderen Verlauf jener Tage vielfach verdiente Herr v. Minutoli seine damaligen Erlebnisse erzählte. Aber ich wünschte doch, Felix Lichnowski lebte noch und bestätigte mir's, daß er mich aufforderte: »Freund, Sie müssen reden! Sie müssen! Ich lasse Sie nicht!« »Worüber?« »Über was Sie wollen! Ich bin heiser, ich kann nicht mehr! Nur reden, nur beruhigen! – Nun denn, sagt' ich, ich habe in jenem patriotischen, angeborenen, mark-brandenburgischen, vaterstädtischen Drange, von dem man damals noch nicht ahnte, daß man ihn später für revolutionären Fürwitz erklären könnte, das Wort des Königs: Kommt und ratet mir! so aufgefaßt, daß ich ihm einen Brief übergeben ließ, worin ich ihn bat, in die aufgelöste Ordnung irgendeinen, die Massen nur legal zusammenziehenden, die Gemüter zerstreuenden neuen Gedanken zu werfen, am liebsten den der Bürgerbewaffnung! »Sprechen Sie darüber! Sogleich! Hier! Heran! Ich lasse Sie nicht mehr fort!« Ich sprach, und die Massen, die zu allen Konzessionen, die sie kaum verstanden, noch etwas Neues, Handgreifliches, leicht Verständliches hinzuempfingen, zerstreuten sich. Es ist bekannt, daß der König denen gedankt hat, die an jenem Sonntagmorgen zum Schlosse hielten. Freilich, sehr exaltiert, sich ohne Portefeuille für einen Politiker zu halten! Sehr exaltiert, nicht wie jener Feigling im »reisenden Studenten« in den Mehlkasten zu springen und zu rufen: Brennt's noch? Wer damals in den Mehlkasten sprang, der kam freilich für immer sehr weiß heraus.

Einige Tage gärte das, alle ergreifend, noch so fort. Und wenn mein »Zuschauer« sagt: Vor dem 18. März schon hätt' ich »Tätigkeit entwickelt«, so will ich ihm sagen, was ich vor und nach dem 18. März für »Tätigkeit entwickelte.« Am 6. kam ich mit Weib und Kind nach Berlin, um meinen Urlaub dort zu verleben. Von da bis zum 18. schrieb ich im Hotel de Russie mein Schauspiel: Ottfried. Und vom 22. März bis 22. April, also während der vollen Blüte der Revolution, saß ich am Krankenbette eines Kindes, am Sterbebette einer Frau. O Du leidiger »Zuschauer«! Ich beantworte Deine böse Anklage so ausführlich nicht wegen des »technischen Direktors« (der nicht mir, nur jener Anstalt fehlt), sondern deshalb, weil diese in Berlin eingerissene Enthüllungssprache, dies mystische: Der war gestern in der und der Straße! Man hat ihn da und dort mit dem und dem verkehren sehen usw. eine wahre Schmach unserer Zeit ist und an die trübsten Tage römischer Delatorenwirtschaft erinnert.

Wenn man von mir sagt, daß ich bei dem mir mannigfach eingeräumten Berufe, für die deutsche Schaubühne theoretisch und praktisch zu wirken und an jedem Hoftheater die ästhetische Initiative ergreifen zu können, doch immer noch so »taktlos« bin, in politischen Dingen mehr links als rechts zu stehen, so kann ich mich dagegen nicht verteidigen und werd' es nicht. Aber den Vorwurf, daß ich in meinem Leben je gewühlt, agitiert oder konspiriert hätte, weis' ich mit Verachtung zurück.

Dresden, 23. Februar 1850.

Dr. Karl Gutzkow


 << zurück weiter >>