Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. XXII.

Wie es weiter gieng / und was auß diesem Gesichte zu lernen.

GLeich wie die Bienen Honig / und die Spinnen Gifft auß den Blumen saugen / also schöpffen auch die gute Menschen guts / und die schlimme böses auß den Büchern; Ein Buch kan so ärgerlich nicht seyn / es wird ein frommer Mensch etwas guts drauß lernen können / und ein Buch wird so Gottselig nicht seyn / darauß ein verkehrter Mensch nichts nehmen könte / das ihm vermeyntlich zu Besteiffung seines verkehrten Sinns nicht dienlich wäre; Sehen wir solches nicht an den Ketzern / welche zu Verthäidigung ihres Jrrsals auch die Göttliche Schrifft selbst mißbrauchen? Was es aber dißfalls vor eine Art mit den Büchern hat / die hat es auch mit andern Dingen / als wann man Historien vornimpt / oder Comœdien agiren siehet / und dergleichen / und was man von solchen Sachen sagen / und darauß lernen kan / das kan man vielmehr auß gegenwärtigem unserm vorgegauckelten Spectacul.

Die Compagnionen, welchen zu gefallen diß Gesichte zur Kurtzweil und Zeit-Vertreibung vorgestellt worden / schöpfften die meiste Verwunderung und gröste Freud darauß / also / sie sagten / wie grossen Gewalt den Teufeln verhängt war / wann sie ihre Zauberer und Hexen im Lufft herumber / und hin und wieder auff die Berg und einsame Oerter führten / dort Täntz und allerhand Spaß / und herrliche Pancket anstellten / und hernach die Erd-Gewächse verderbten / wie sie sich hie und da an denen / von welchen sie sich beleidigt zu seyn vermeynten / mit Anhenckung schwerer Kranckheiten / tödtung und Bezauberung beydes der Kinder / deß Gesinds / deß Viehes / und ihrer selbst rächeten / Und ihnen das ihrig durch aller Zäuberische Mittel und Hülffe der bösen Geister ab- und sich selbst zuhexten / sie gedachten aber im wenigsten daran / was vor einen erschröcklichen Lohn ihnen entweder noch in dieser oder in jener Welt von dem allergerechtesten Richter umb solche ihre Arbeit gegeben werden solte.

Mancher hingegen / wann er diß Gesichte sehen sollen / hätte zu seiner Geistlichen Aufferbauung ohne Mühe begreiffen mögen / wie durch die Völle und Genüge deß reichen Segen Gottes / der sich in den lieben Friedens-Zeiten überflüssig verspüren / und so wol von den Menschen nach Nothdurfft geniessen / als unnützlich verschwenden läst / bey den Welt-Menschen den schädlichen Müssiggang / und mit ihm alle abscheuliche Laster und Uppigkeiten geboren werden / dargegen die Gottselige diese von andern großgeachte Wollüsten und Ergetzlichkeiten der Welt gantz kaltsinnig vorbey passiren / und sie kaum einigen Anschauens würdigen / geschweige / daß sie sich damit besudlen solten / wordurch jene den gerechten und unaußbleiblichen Zorn Gottes reitzen und erregen / daß ihnen zugleich Krieg / Hunger und Pest übern Hals kommen / dem gailen wollüstigen Geblüt / und gumpenten Leib-Esel der schläfferigen Seel den Kitzel zu vertreiben / die Seele selbst aber / zu Beobachtung ihres Heyls auffzumuntern / oder zugleich beydes Leib und Seel hie zeitlich und dort Ewig / wann keine Besserung folgt / zu straffen / diese aber / als auff dem Creutz-Weg der Trübsal in das Ewige Reich tringen.

Andere hätten auß unserm Spectacul umbständlich erlernen können / wie elend und armselig der Bauer sey / von welchem ich nicht weiß / wann er anders auch ein wenig hoffärtig ist (wie dann die jenige / so reich und witzig zu seyn sich einbilden / auch gemeiniglich zu seyn pflegen) ob ich ihn unter die Blinde oder unter die Gesehende / unter die Menschen oder Thier rechnen soll; diese Tropffen habe ich offt lamentiren und murren hören / wann der überflüssige Segen deß Allerhöchsten / welchen sie den sauren Schweiß ihrer Arbeit nennen / ich vermeyne die Früchte / welche sie auß dem Erdboden erziehen / nicht nach ihrem Sinn und Wunsch übersilbert wird; da begehen sie gantz unverschämt solche Läuffe / darinn ihr Wein und Korn ein mehrers gelte / das Viehe und Schmaltz theuer werde / und so fortan; sie gedencken aber im geringsten nicht daran / wann ein Ey drey Batzen gelten solte / daß alsdann der Bauer in selbiger refier keine Henne mehr hab / die ihm solche lege; Wann sie solche Närrische Midas-Wünsche thun / so erinnern sie sich nicht / daß zuvor ein Seuche unter ihr Viehe kommen müste / ehe das Fleisch theuer werde; wann die Früchte auffschlagen sollen / daß zuvor Miß-Jahr einfallen müssen / die wenig in ihre Scheuer geben / und in Summa / wann eine Theurung aller Ding entstehen soll / ihre Wahren werth zu machen / daß zuvor ein Krieg sie überfalle / der sie alles dessen / was sie hoch an das Gelt zu bringen verhofft / fein säuberlich beraube; Kompt dann Mars, und fangt an in ihren Kästen / Scheuren / Ställen und Gütern zu läutern / oder vielmehr zu verwüsten / so verfluchen sie beydes den Krieg / und dessen Anfänger / und dencken nicht mehr dran / daß sie solchem mit Worten gewünscht / und mit Wercken verdienet haben; Jn solcher Vergeßlichkeit denckt er auch an keine Bekehrung / sondern verbleibt der er vor war / biß er entweder drüber auß Mangel und Hunger stirbt / oder sich gleichwol durch GOttes Gnad kümmerlich genug erhält / biß ihme die Friedens-Sonne wieder scheinet / da er alsdann sein Leben wieder anfangt wie ers zuvor verlassen.

Es ist hart geredt / wann Garzonius sagt / es scheine / ob wäre der Bauer von GOtt verflucht / aber dem sey wie ihm wolle / so müß er / wie oben erzehltes unser Gesichte außweiset / wann ein Krieg entstehet / am allerersten und zum mehristen Haar lassen / worauß unwidersprechlich folgt / wann anders der Krieg ein Straff von Gott ist / daß sie solche auch zum allermeisten verdienet / solches will uns aber freventlich zu urtheilen nicht gebühren / dann nicht nur der Bauer wird durch den Krieg gestrafft / sondern die Außgäng der Kriege weisen auch offtmal / wie Æsopi Hund sein Stück Fleisch verliehrt / in dem er nach dem Schatten schnappt / massen mancher grosser Herr / der den Krieg anfängt / seiner Ganß den Hals absticht / die ihm zuvor täglich ein gülden Ey legt.

Es hätte auch mancher auß unserm Gesicht abnehmen können / daß viele / wann sie als Bauren und Burger vom Marte den Lohn ihrer Sünd und Laster nicht empfangen / sie hernach unter diesem Kriegs-Gott als Soldaten / ihre Straffe desto grausamer einnehmen / und insonderheit die Mißrathene unartige Zucht / welche nicht den Anweisungen ihrer Eltern / sondern dem Kalbfell folget / unter welcher Bursch zwar keine ausgelassener / verruchter und Gottloser zu seyn pflegen / als eben die Bauren-Buben / die vom Roß hüten an / biß sie irgends einen Graben füllen / oder sonst hinder einer Hecken / oder in einem alten Bau vor Kranckheit und Hunger verschmachten / und von den Raben oder Hunden noch halb lebendig angewendet und gefressen werden / von ihrem Christenthumb / und was ihrer Seelen Heyl anbelangt / weniger als nichts zu sagen wissen / ausserhalb die greuliche Gottslästerungen und Flüch / an welchen man zwar spüret / daß sie Christlicher Art seyen / aber solche / die ärger als Heyden / inmassen sie auch nicht einmal wissen oder verstehen / was sie fluchen und schweren / und diß seynd selbige / von denen das Sprüchwort entsprungen: Wer Bauren verderben will / müsse Bauren mit nehmen; dahingegen bey andern / so sich gleichwol auch in Krieg begeben müssen / noch ein wenig bessere Zucht und humanität sich befindet.

Also hätten andere auß unserm vorgestellten Gesicht und Spectacul auch andere Lehren / beydes gute und böse / je nachdem ein jeder gesinnet / begreiffen und verabfassen / und sich solche zu Nutz machen konten / mich anbelangend / delectirte ich mich damit / als ich sahe / wie Mars der Cerere ihr Horn plünderte / und seiner Bursch einen kurtzen Schmauß darauß zukommen liesse; Es war auch Zeit bey ihnen / dann theils lang auß ihrem Säckel gezehret / oder sich sonst schlecht genug mit dem Schmal-Hansen beholffen hatten; So waren auch theils an etlichen Orten so unwerth worden wie Gänß-Mist / so daß die Hunde schier an sie saichen mögen; über das erforderte das feindliche Land von sich selbsten / daß es von etlichen unartigen Köpffen gereinigt würde / massen man nicht alles was man gern wolte / in die Jndien senden kan; Jch sahe mit hertzlichem Lust zu / wie diese den Bauren / und hernach einander selbst lauseten / daß sie im gantzen Lande dominirten / und alles ihr war / was ihnen unter die Hände kam / und ehe ich wahr nam / wie elendig die mehriste dieser Leute endlich zu Grund giengen / gewonne ich ein solchen Lust / mich unter ihre Zunfft schreiben zu lassen / daß ich schier nicht warten konte / biß unsere Erscheinungen oder Vision ein End hatte. Dann man hörete das jämmerliche ächtzen und weheklagen der Sterbenden nicht vor dem Geschrey der noch lebenden immer fort würgenden / noch vor dem Brummen deß Geschützes / deß Schalls der Trommeln / Trompeten und Heerpaucken / über das bedeckte der Nebel von so vielem verschossenen Pulfer die Abscheulichkeit der Verwundten / und auff vielerley Art voneinander geschossener Menschen / sampt der Menge und Bäch deß vergossenen Bluts / und was Hungers halber / oder sonst auff andere tausendfaltige Arten starb und verdarb / das wurde ohne das von den Uberlebenden nichts geachtet.

Da sahe ich / wie hingegen sich der grossen Herren Cassa leerten / die Cammer-Gefäll ausblieben / und die Schätze außflogen / wie die Kauffleut erarmten und banquerotirten / die Handwercks-Leut das Miserere sangen / und am Hunger-Tuch nagten / und die Bauren auff dem letzten Loch pfieffen / da war kein Hauß das nicht heulete / kein Geschlecht das nicht Leyd trug / kein Gasse die nicht jammerte / keine Statt die nicht wehklagte / und kein Dorff / so das Elend nicht truckte / da sahe man nirgends nichts lustigs als unter den Soldaten / und sonst niemand einige Freud haben als die Kriegs-Leut / bey den übrigen allen / was nicht mit kriegte / war lauter Seufftzen / Trauren und Weynen / solches alles verdoppelte meine Begierd noch mehrers / ein Soldat zu werden.

Unser Spectacul endigt sich / als wir sahen / wie die Dörffer hin und wider im Lande außgeplündert und verbrennet / die Vestungen / Schlösser und Stätte bloquirt, belägert / bestürmt / eingenommen / beraubt oder gebrandschatzt / und die Jnwohner gepreßt oder gar verjagt wurden / dann als es an dem war / daß man auch sehen solte auff wie mancherley Arten seltzamer / urplötzlicher und grausamer Tödt die Soldaten umbkommen / nemlich im Wasser / durchs Feuer / in der Erd und im Lufft / siehe / da verschwand alles / und befanden wir sich widerumb allein beyeinander in unserm Zimmer.


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