Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. XI.

Was ist sich nun zu versehen? kompt Krieg / oder bleibt der Fried?

DA ich nach Amsterdam kam / war das Wort oder die Frag / was neus? zwischen jederman so gemein / daß es schiene / als wann die hochmögende Herren Staaden der Vereinigten Niderlanden solches den ihrigen zu einer Losung geben hätten! Jch sorgte anfänglich / als ichs allein von meinen alten Bekandten so continuirlich zu mir reden hörete / sie möchten vielleicht Nachricht haben / daß ich mich so auff eine seltene / und wiederumb gantz neu gewordene Weise unsichtbar machen könte / dann es hatte mich kaum einer heissen Willkommen seyn / so kam er gleich mit dieser Frag aufgezogen / ohne daß er einmal gefragt hätte / wie ich lebte? wie mirs gieng? was ich da zu verrichten / und dergleichen / demnach ichs aber mit der Zeit (so Erfahrung bringt) beym Liecht besahe / wurde ich gewahr / daß es darumb geschahe / dieweil sie besorgten / der Aller-Christlichste König möcht ihnen in die Haar gerathen / als der da / wie sie es darvor ansahen / auch ein reicher Kauffmann werden / oder sie auffs wenigst der Landen und Leut / die sie als gemeine Krämer besessen / entsetzen / und solche ihme als einem König / der zum regieren geboren / zueygnen wolte: Wie ich nun merckte / wo diese Niderländer der Schuh trucken wolte / gab ich mich zwar als ein Hoch-Teutscher / den die Sach nichts angienge / umb etwas zu frieden / gedachte aber doch der folgerey nach / und was endlich meinem Vatterland darauß zuwachsen möchte?

Jn dem ich mit diesen Gedancken umbgieng / fragte ich mich selbst / obs wol Krieg würde oder nicht? Aber solche meine Frag zu beantworten / bedunckte ich mich viel zu gering / und weniger als nichts; Dann diß gebührt den Propheten / und zwar nicht allen / sondern allein denen / welchen es Gott (die Menschen zu warnen) offenbaret. Jch weiß nicht / hat mich die Angst / oder der Fürwitz getrieben / ein solches künfftige zu wissen? Ob gleich ich Narr ohne das wol wuste / daß ihm der Allerhöchste solches zu wissen / sich allein vorbehalten! Jch hätte gern einen Jeremiam gefragt / aber / da war kein Lebendiger / oder einer seines gleichen vorhanden / der mich contentirt; So wuste ich auch von keiner Heydnischen Sibylla / die mir hiervon mündliche Nachricht hätte geben mögen; Derowegen gienge ich zu denen / welche vor uralten Zeiten hero Chaldæer genannt worden / und kauffte mir wol siebendutzet Calender ihrer unterschiedlichen Discipulen oder Nachfolgeren / die selbige in Truck hatten lassen außgehen; Jch fande aber eben so viel widereinander-lauffende Vorsagungen / als Prognosticanten / eben so viel geschraubte Reden / als Authores; Jch will schier sagen / eben so viel Lügen / als Wahrsagungen darvon; Gleichwol quälete mich die curiosität noch immerhin / und ich glaube / wann damals der fahrende Schüler vorhanden gewesen wäre / der mir zur Unsichtbarkeit geholfen / daß ich ihm gern ein dutzet neue Gülden-Thaler geschenckt hätte / wann er mir nur das Hirn mit noch mehren solchen nichtigen Grillen erlogener Vorsagungen erfüllt hätte / ob mir gleichwol bekand war / daß Apollo selbst vielmal gesagt zu denen die ihn gefragt:

Was bemüht ihr mich und euch umbsunst /
Künfftigs zu wissen ist nicht mein Kunst.

Dieses alles brachte mich dannoch nicht auß dem Spital der vorwitzigen Phantasten / geschweige / daß es mich gar von meiner Kranckheit curirt und liberirt haben solte / sondern ich forschte Tag und Nacht nach meiner Vergnügung / wie die Alchimisten nach ihrem Lapide, gleichsam / als wann ich selbst Land und Leut / Scepter und Kron darüber in Gefahr deß Verlusts setzen müssen / und wurde so blöd-hirnig drüber / daß einer / der mich nur nach Zeitungen so ernstlich lauffen sehen / und so eyferig fragen hören / mich gar wol mit gutem Gewissen / und ohne Begehung einiger Todsünd / in die Roll der Haupt-Narren schreiben mögen.

Jch hatte mein Losament genommen bey einer Matronen, die solche zu verlehnen pflegt / das war eine Kammer sampt einer Bettstatt / dessen ich mich nicht schämen dörffte / wann ansehenliche Leut kamen / mich zu besuchen / und alsdann manglets mir weder an Auffwartern oder Auffwarterinnen / dann diese Alte hatte schier mehr Dienerinnen als Losamenter zu verlehnen / und deßwegen auch einen grossen Uberlauff von allerhand Stands Manns-Personen / denen man nicht zugetraut / daß sie sich solcher Gestalt bedienen zu lassen benötigt / dannenhero bekam ich in bälde / ohne meine alte Bekande noch viel unterschiedliche Leut in meine Kundschafft / die mir bisweilen zusprachen / und ich ihnen hinwiderumb; Solches aber geschahe gemeiniglich mit geringem Unkosten / dann wir assen / truncken und spielten nicht so starck / wie es in meinem Heymeth zu gehen pflegte / sondern kamen die mehriste mal nur auff ein Pfeiff Taback / und Trunck Bier zusammen.

Auff eine Zeit war auch ein solche Gesellschafft beyeinander / fünff Holländer / ein Hamburger / und ich war der siebend / und ob wir gleich / wie oben gemeldet / so starck nicht soffen / so zechten wir doch so viel / daß wir Bierschellig darvon wurden / in welchem Stand man gemeiniglich offenhertziger / als wann man Blind voll / und vertraulicher als gantz nüchtern zu reden pflegt. Als wir nun ein langs und breits von der Handelschafft geredet / dann wir waren allesampt Kauffleut / sagte einer / wir machen wol unsere Anschläg von den Kauffhändeln / wissen aber nicht / obs Frieden bleibt oder nicht? Als welche in Kriegs-Zeiten ehender den Krebsgang / als ihren erwünschten richtigen Lauff gewinnen? Darauff antwortet ein anderer Holländer / wer wolte uns den Krieg ankünden? Wir stehen mit Hispania und Engelland in der So Sanctè geschlossenen Triple Alliantz; Wir haben an Dennemarck einen getreuen / und gleichsam verbundenen Nachbarn / uns auff alle widerige Fäll beyzustehen; der König in Schweden ist noch zu jung / uns in Person würcklich anzutasten / und die Ministri selbiger Kron werden sich bedencken / mit uns ein so schweres Werck / wie der Krieg ist / anzugehen / als welches sie hernach / wann es nicht nach Wunsch außschlüge / zu verantworten / so ihr König das Alter erlangt; Frankreich ist nicht Manns genug / uns zu übermeistern / dann auch genugsam bewust / wie langen Widerstand / und mit was vor trefflichen progressen unsere Vorfahren der mächtigen Kron Hispanien gethan; und zwar / welches am mehristen zu observiren / als selbige in ihrem allerbesten Flor gestanden / die unserige aber vor Bettler gehalten worden; Uber das haben wir eine unvergleichliche See-Macht / die nimmermehr kein kluger Potentat verachten wird / und seynd mit Gelt so versehen / daß wir den Krieg beydes zu Wasser und Land eine lange Zeit continuiren mögen; also / daß gar nicht vermuthlich / daß wir sich eines Kriegs zu versehen.

Diß war deß einen Holländers richtiger Schluß / aber der Ander sagte darauff / diß alles / was der Herr vorgebracht / kan uns gleichwol keines beständigen Friedens versichern / die Triple Alliantz scheinet zwar hierzu genugsam zu seyn / aber erinnert ihr euch auch / daß wir eines Theils mit einem mächtigen Monarchen / der mit uns ungleicher Religion / zumahlen ehebevor unserer Vor-Eltern natürlicher Herr gewesen / andern Theils aber mit den Engelländern der aller variablest / und wanckelmüthigsten Nation von der Welt zu thun haben? welche beyde mit unserm Wolstand / und Glückseligen prosperität eyfern; Solte jene gewaltige Kron wol keinen Schmertzen und Widerwillen empfinden / sondern uns noch mit getreuer Wolgewogenheit zugethan verbleiben / wann sie daran gedenckt / daß wir auß ihrem Gehorsam geschritten / ihnen zu Wasser und Land / und zwar nicht allein in Europa, sondern auch in Africa, in Ost- und West-Jndien / ja gar biß in den äussersten Enden der Welt so grossen / und gleichsam unüberwindlichen Schaden gethan / den sie nimmermehr einbringen wird? Diese aber / ob sie gleich unsere Nachbarn und Religions-Verwandte / solte sie wol in die Länge / ohne innerliches Grißgrammen gedulden können / daß wir gleich ihnen das Meer beschiffen und geniessen / und auff demselbigen durch unsere See-Macht mehr als sie selbsten prosperiren / dessen sie doch ehebevor allein der höchste Herr zu seyn / sich eingebildet; Gebrüder von einerley Eltern auß einerley Geblüt geborn / pflegen sich wegen der Jrrdischen Reiche und Fürstenthumber zu entzweyen / und endlich dergestalt tödtlich zu verfolgen / daß offt keiner auß ihnen anderster / als mit deß andern gäntzlichem Untergang und Tod befriedigt werden kan; Solte sich nun solches nicht auch viel leichter zwischen Nachbarn / wegen Beherrschung deß Meers zutragen können? die Behauptung deß vermeyntlich Meinen und Deinen verursacht alle Krieg / und demnach ist unsere Triple Alliantz so fest und sicher nicht als man wol gedenckt.

Also auch / sagte der Dritte / ist sich auff Dennemarck so fest nicht zu verlassen / Könige seynd Geringern ungern verbunden / ob wir gleich derselben Kron einen noch grössern Reuter-Dienst gethan / und eine doppelte hochmögende Staadische Macht hätten. Schweden betreffend / seynd die Könige keine Kinder / wann sie gleich noch in der Wiegen ligen / sondern im Gegentheil ist selbige Nation ein Kriegerisch / und im Krieg / auch da sie nur von Weibs-Bildern regiert worden / ein Glückseligs Volck bißhero gewesen / dem die Dähnische Hülff / so wir geleistet / ohne Zweiffel als ein heimlicher Groll noch unverdaut im Kropff ligt;

Der vierdte Holländer sagte / Franckreich sey nicht zu verachten / welches / wann es die Waffen einmal ergreiffe / so langsam und kaltsinnig nicht wider die Vereinigte Niderland kriegen würde / wie ehemahlen Hispanien gethan: Es hätte seine Macht beysammen / deme man nicht die Senn-Adern deß Kriegs / wie vor Zeiten den Hispaniern in den Jndien widerfahren / so leicht würde abhauen können; Jhr König wäre einer von den Großmüthigsten / dessen hoher Sinn auch die Herrschafft über die gantze Welt zu erhalten / weder Vernunfft / noch Gelt / noch Volck sparen würde; an welchen dreyen Dingen ihm mit nichten etwas gebreche / daß man aber vermeynen wolte / weil die Vereinigte Niderlande sich auß dem Gehorsam der Hispanischen Könige eben damahl enthalfftert / als selbige Kron am mächtigsten gewesen / unsere Vorfahren hingegen aber nur vor Bettler gehalten worden / eben also würden sie anjetzo auch der Kron Franckreich leicht widerstehen mögen; hierinn würde man sich betrogen finden / dann daß damahls die Vereinigte Niderland ihre Freyheit erhalten / und bißher behauptet / seye mit nichten ihrer damahligen schwachen Stärck / oder eygenen Dapfferkeit / sondern beyder Kronen Franckreich und Engelland assistentz zuzuschreiben / ohne welche die Staaden von Holland nimmermehr so weit hinauß hätten langen mögen! Ohn sey es nicht / es hätte zu selbiger Zeit geschienen / ob wolte sich die Kron Hispanien zur Beherrscherin der gantzen Welt machen / also / daß sich billich zu verwundern / wie die Holländer einem so großmächtigen Gewalt nicht allein entgehen / sondern noch darzu denselbigen schwächen: Ja gar / so viel ihnen vonnöthen / überwinden mögen / wann man aber bedencke / daß alle Potentaten / denen die grosse Spanische Macht verdächtig war / sich auch eben deßwegen dem Hauß Oesterreich widersetzet / und demselben sonst überall genug zu thun geben / so wird die Verwunderung bald fallen / die man umb deßwegen haben möchte / daß Holland und die übrige Vereinigte Provintzen frey und groß worden!

Der fünffte Holländer antwortet hierauff / es sey ihm wie ihm wolle / diß seyen als alte Sachen / die hieher weiter nicht gehöreten / als daß man beyläuffig darauß abnehmen könte / wie es mit Franckreich ergehen möchte / wann es sich unterstünde / die Vereinigte Provintzen unter seine Kron zu bringen; so viel ansehenliche / und zum Theil gleichsam unüberwindliche Vestungen liessen sich nicht so bald / wie ein kalt Apffelmuß verschlucken / viel weniger vertauen / oder so leicht behaupten als erobern; Uber das seyen die Vereinigte Niderland ein solches fettes Bißlein / welches die übrige Christliche Potentaten der Kron Franckreich schwerlich gönnen und gedeyen / viel weniger gar zukommen lassen würden / in Erachtung / wann deren König ihre See-Macht und Gelt-Mittel mit seinem gewaltigen Vermögen conjungiren solte / und wie sich ohne allen Zweiffel zu versehen / darbenebens sich der gewöhnlichen Frantzösischen Practiquen bediente / daß alsdann kein König / ja das Teutsche Käiserthumb selbst ihm schwerlich mehr bastand seyn könte / wann er einen nach dem andern gleichfalls undertrucken wolte.

Als dieser Holländer seine Meynung vorgebracht / gab es die Reyhe / daß nun der Hamburger reden solte / der sagte / unser Frag war / ob es Frieden bleiben möchte oder nicht? Darauff will ich meinem geringen Verstand nach antworten / daß sich Holland eygentlich eines Kriegs von Franckreich zu versehen / dann worzu wolte sonst selbiger König so gewaltig armiren? Hispanien hat er allbereit genugsam berupfft / und kan derselben Kron Gedult und Ubersehen ferner zu mißbrauchen / keine prætension, unter einigem prætext oder geringsten Schein der Billichkeit mehr finden; an die Schweitzer wird er sich dieser Zeit schwerlich reiben: das Teutsche Reich anzutasten / wird ihm nicht rathsam seyn / Schweden ist sein Freund / mit Dennemarck hat er nichts zu schaffen; Wer ist dann nun noch sonst ohne den Staad der vereinigten Niderland vorhanden / wider welchen er seine Waffen wetzet? Als mit deren Gesandten er auch allbereits Disputen anfangt; Jch sorg / ich sorg / und Gott gebe / daß meine Sorg vergeblich sey / ihr Holländer werdet ein blaues Aug darvon tragen müssen / so fern es anders noch so gnädig abgehet / dann ich sehe / daß ihr sicher lebt / gleichsam als wann sich der König in Franckreich nur blößlich vor dem Geschrey und scheinbaren Namen Eurer Hochmögenheit entsetzte / und euch / weil ihr bißher unüberwunden blieben / nicht einmal anwenden dörffte? Jhr selbst zweifelt an der Triple Alliantz / und wie bald ist auch solche durch ihn zu zerstören / wann er der Kron Hispanien wieder gebe / was er ihr bißher entwendet / und sie dardurch persuadirte / mit ihm die vereinigte Niderland Schwägerlich zu theilen? Uber das sehe ich (aber ich bitte vergebt mir ihr Herren / wann ich hier die Warheit sag) euren grossen Hochmut / welcher von weitem scheinet / als trügt ihr gar kein Scheu / einem jeden gewaltigen Potentaten Gesetz vorzuschreiben / welche Hoffart die Fürsten kitzelt / und gemeiniglich den Fall prophezeyet. Allein zweifelt mir nicht / nachdem das Kriegs-Feuer bey euch auffgangen seyn wird / daß ihr beydes durch euer Gelt und Klugheit den Lauff von dessen Flammen anderwärts hin richten werdet.

Das glaube ich auch (antwortet ich hierauff) dann man kan sich noch erinnern / wie manchen Feind die Holländische Vorsichtigkeit durch ihr Gelt dem Hauß Oesterreich ins Teutsche Reich übern Hals geschickt / als Spanien noch hiebevor mit Holland Krieg führte / damit dasselbe anderwärts genug zu schaffen haben / und also die Vereinigte Provintzen mit zusammen gesetzter Macht nicht widerumb zum Gehorsam zwingen möchte / zu dem sehe ich unsere Nation zur Göttlichen Straffe allerdings zeitig seyn / als welche durch allerhand Sünd und Laster / beydes von Alten und Jungen / von Klein und Groß / arm und reich nicht nur schlechthin eingeladen / sondern gleichsam mit Gewalt herzu gezwungen wird; Jch will nicht allein nichts sagen von Hoffart / Neid / Geitz / etc. der alten und der grossen Stätte / sondern will auch schweigen von der Uppigkeit und Gottlosen Leben unserer ungezogenen / unbändigen / leichtfertigen und gailen Jugend auff den geringen Dörffern! Man gehe nur in deren eins / wo solche Bursch beym halben oder gantzen Rausch beysammen seyn / so wird man öffentlich solche Sachen sehen und hören / daß der Himmel darüber erschwartzen möchte / worauß ohnschwer zu errathen / zu was vor einer Göttlichen Heimsuchung unsere Landskinder ihr Vatterland bequem und reiff machen / deren ihr vielleicht den Anfang geben werdet.


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