Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Das wunderbarliche Vogel-Nest
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAP. XXI.

Was der Verzweifelte ferners begonnen.

SO lang ich mit dem / was ich in den paar letztern Capiteln erzehlet / beschäfftigt war / kam ich nicht mehr zu meinen Künstlern / von welchen ich die Spring-Wurtzel bekommen / und andere Künste mehr gelernet hatte; Jetzund aber / als Eraßmus und sein Anhang fort / Maria Esther mir auß den Augen / meine Wahren / mit denen ich handelt / anderwärts hin verschafft / und mein gantzer Handel so weit richtig war / daß ich nichts sonderliche mehr / als mit dem Müssiggang / und dem Anligen / so ich wegen gedachter Esther erdulten muste / zu schaffen hatte / siehe / da suchte ich obengemeldte Gesellschafft wiederumb / unser Thun und Lassen war nichts anderst / als allerhand Künste zu probiren / und unsern Spaß und Zeit-Vertreibung darinn zu suchen / benebens daß wir auch dem Fressen und Sauffen / Huren und Buben / und sonst allerhand Leichtfertigkeiten oblagen / bey welchem wilden und wüsten Leben ich nicht allein der Liebe zu der Marien Esther / sondern auch meines Häußlichen Wesens in meiner Heymeth / ja aller Erbarkeit / und allerdings meiner selbst vergasse.

Solches / und bey nahe alles Unglück verursacht der Müssiggang / zwar der Müssiggang nicht vor sich selbsten / sondern wann man ein heyllose Gesellschafft alsdann antrifft / wann beydes / Leib und Gemüth nichts zu handthieren / oder zu arbeiten hat / zuvorderist aber / so ein solcher müssiger Mensch vorhin fürwitzig / leichtfertig / jung / und bey Mitteln ist / daß er umb sein Nahrung zu sorgen / nicht sonderlich vonnöthen / und gleich wie ein dürrer Zunder das Feuer eher fängt als ein nasser Schwamm / also neigt sich auch ein so beschaffener Mensch viel ehender zur Boßheit / und seinem Untergang und Verderben / als einer der mit Mühe / Sorg und Arbeit beladen.

Jch hatte ohne das / was ich nach Hauß und anderwärtshin übermacht / noch bey 2500. Reichsthaler baar Gelt / so ich beydes mit Schachern und Stelen zusammen gebracht / und weil mich beduncken wolte / solches möchte / wie ich ein Leben führte / nicht weit hinauß langen / als fuhr ich dem Eliezer noch einmal in sein Gewölb / noch ein Parthey Ducaten zu holen / aber die gute Kautzen waren ausgeflogen / weil damals jederman das seinig / was ihm lieb war / hinweg flehete / so / daß es schiene / ob wolten die Einwohner ihre sonst überauß reiche Statt selbst arm machen / damit die Frantzosen desto weniger umb ihre unnöthige Mühe kriegen solten / und demnach mirs an andern Orten / wo ich mausen wolte / auch fehl schlug / so sahe ich mich gezwungen / mein gegenwärtigs Leben zu quittiren / und unter zweyen das eine zu erwehlen / nemlich / entweder wieder nach Hauß zu kehren / daselbst mich / noch ein Parthey Ducaten zu holen / zu verheurathen / und meine Nahrung durch die Handelschafft wie zuvor zu suchen / oder einen Soldaten abzugeben / diß letztere erwehlte ich folgender Ursach halber.

Einsmals luden mich etliche / darunter der geringste gar wol vor einen Ertz-Schwartz-Künstler passiren konte / auff ein lustiges Spectacul, so sie / vermittelst ihrer Künst zurichten / und zu Vertreibung der Melancholiæ, deren ich noch immer ergeben war / mich sehen lassen wolten / welches so beschaffen seyn würde / daß man vergangenes / gegenwärtiges und zukünfftiges darbey sehen könte; Jch erschiene auff die bestimbte Zeit / und nachdem allen bey Lebens-Verlust stillschweigen aufferlegt worden / nam ich neben andern meinen verordneten Sitz ein; Das Zimmer / worinn wir uns befanden / war zwar nicht von sonderlicher Grösse / aber so bald der Principal, so diß Werck angestellt / anfieng in seinem vor sich habenden Buch heimlich zu lesen / da thät sichs voneinander / und schiene der allerschönsten und lustigsten Landschafft gleich / die in der gantzen Welt seyn mag / die Decke überzog sich mit Gewölck gleich dem Himmel / und heitert sich hernach widerumb auß / daß man Phœbum so eygentlich auff seinem Wagen daher konte sehen fahren / als einen Mühlkarch in einem Dorff; Auff Erden war alles so lustig anzusehen / als immer im Mayen / da sahe man die allerlustigste Felder / grüne Matten und Wälder / anmuthige Gärten voller fruchtbahrer Bäum von allerhand Gattungen / und was das aller-anmuthigste schiene / war diß / daß man zugleich deren zeitig Obs / und an andern Orten / doch darzwischen die Bäume in voller Blüt sehen konte / in dieser lustigen Gegend sahe man die Menschen in ihren Geschäften herumb wimeln / denen weder an Gesundheit noch etwas anders an ihrem Wolstand / viel oder wenig mangelt / so gar / daß auch die armste Bettler wegen deß reichen vorhandenen Uberflusses das liebe Brot zu verachten / vor keine Sünd hielten; Man sahe Leute / die dem grossen Numen allein dieneten / und ihm im Namen und von wegen aller Creaturen / umb gegenwärtige friedsame / ja gantze guldene Zeit danckten / ohnangesehen sie solchen Gnadenreichen Seegen und Uberfluß selbst nicht weiters gebrauchten / oder sich zu Nutz machten / als was blößlich die Auffenthaltung ihrer Leiber erforderte / so sie jedoch auch gesparsamlich genug thäten / diese waren aber sehr dünn gesäet / etliche auß ihnen hielten darvor / sie wären ausser dem / daß sie GOtt mit der Vernunfft und seinem Ebenbild geziert / nicht so gut als das unvernünfftige Vieh / weil sie sündigen / und Gott erzürnen könten / das sich aber an den Thieren nicht fände / hingegen sahe man ein unzehlbare Menge / die sich auß Menschen in Bestien verwandelten / also / daß es ein Ansehen hatte / ob wäre wieder ein andere Circe erstanden.

Es wird mir zu lang zu erzehlen / und fällt verdrüßlich zu hören / wie mancher / der nach seines Nächsten Eheweib wiehlet / sich in einen Hengst / wie manche gaile Ehebrecherin sich in eine läuffige Zatz / und alle ausgelassene / auff die Unkeuschheit verpichte / sich in stinckende Böck verkehren / geschweige / daß ich erst sagen solte / wie viel durch fressen und sauffen zu Säuen / durch Neid und Haß zu Hunden / durch Geitz und Gelt-Begierd zu Wölffen / durch Grausamkeit zu Löwen / und andere durch andere Laster zu sonst allerhand Bestien worden / dann solche gemeine und bekandte Veränderungen waren hie gar nichts neues / sondern dieweil man in diesem vorgegauckelten Gesicht / wie in einem engen Begriff alles sehen konte / was in der gantzen Weit geschiehet / hatte man genug zu thun / die Augen auff andere erschröckliche Verwandlungen zu wenden / und zwar auff solche / von dergleichen auch Ovidius niemahlen sich träumen lassen dörffen; Zwar was darffs vieler Umbständ? man sahe Menschen / die zu leibhafftigen Teufeln wurden.

Lieber was ists anders ein Teufel seyn / als Gott hassen / die / so ihn lieben / anfeinden / seine Geschöpffe verunehren / mißbrauchen und lästern / und in Summa / das allerärgste so nur zu ersinnen / wider Gott und die seinige zu stifften? Jch rede hier nicht von der unglückseligen Congregation der Hexen / die Nächtlicher Weil wie die Liechtscheuende Eulen und Fledermäuß zu solchem Ende auff ihre Versammlungen fahren / dann von solchen deß leidigen Teufels elenden Sclaven ist ohne das genugsam bekand / was vor Verwandnus / Aenlichkeit und Gleichheit sie mit dem Teufel zu haben pflegen / wilstu aber mehr Leute wissen / die diesen gar nahe kommen / so will ich dich nicht zu Mördern und Strassenraubern / oder anderm dergleichen beschribenen heyllosen Gesind / sondern nur in ein Wirthshauß gewiesen haben / darinnen ein Hauffen Baurenknecht (nicht Soldaten / die da den Namen Gottlos ererbt) beysammen sitzen / und umb das ihrig sauffen und spielen / da wirstu einen solchen grausamen Hauffen der aller erschröcklichsten Gottslästerungen herauß speyen hören / daß du vernehmen wirst / entweder der Teufel selbst rede auß ihnen / wie auß den Besessenen / oder das Thier in der Offenbahrung Johannis / oder der Höllische Schlund selbst hätte seinen Rachen wider GOtt auffgethan / welche heyllose Bursch nur vor Schertz und Kinderspiel halten / wann sie wünschen / hundert tausend Teufel sollen sie holen / in die Lüffte (ja in Nobis-Krug) hinweg führen / und zu hundert tausend Stückern zerreissen.

Aber wo komm ich hin? Jch wolte nur sagen / daß es in unserem Gesicht unter den Menschen so voller Unmenschen herumb grabelt / daß man unter ihnen schier keine rechte Menschen mehr sehen konte / wann gleich Diogenes mit seiner Laternen daher kommen wäre; Solchen Greuel sahe Pbœbus von der Höhe / und schrye überlaut / so / daß seine Stimme sich schier dem Donner vergliche; Ach! sagte er / wie lang soll ich den Menschen noch zu ihrer Unweisheit leuchten / und ihre Boßheit in meinen Augen gedulden / damit sie den Schöpffer lästern / der mir zwar befohlen / meinen Schein beydes guten und bösen mitzutheilen? Jupiter / welcher solches stracks höret / und vielleicht vermeynte / es möchte jemand seinen Strahl ergriffen haben / ihm ins Handwerck zu stehen / erschiene alsobald auff einer liechten Wolcken / und fragte / was da zu thun wäre? Ach gütiger Jove, antwortet Phebus, siehestu dann nicht / wie bey nahe alle Menschen ihre richtige Wege / die sie gehen solten / verlassen / und daß ich denselben noch darzu auff den Jrrwegen die sie in ihrer Boßheit wandlen / leuchten / und immerhin / von Osten biß ins Westen mit Anschauung allerhand unmenschlicher Greuel / mich quälen lassen muß? bedünckt dich unbillich seyn / daß ich drüber ächtze und lamentire? Jch sage dir / es wäre kein Wunder / wann ich wie Phaeton etwan auß Unkündigkeit deß Dings / dessen er sich unterfangen / gethan / vorsetzlich solche Wege führe / dardurch die Landschafften der gantzen Welt entzündet / und ihre Jnwohner sampt den greulichen Lastern ihrer Boßheit vertilgt / und von dem Erdboden ausgerottet würden.

Jupiter antwortet hierauff / solche procedur wäre zu streng und wider die Güte deß grossen Numinis, und wann er Apollo sich deren auß eygenem Willen unterfangen würde / so wäre sie auch strafbar / der Sach müste anderst abgeholfen / und zuvor untersucht werden / auß was Ursachen und Bewegung die unartige Menschen noch ärger würden / wann solche gefunden / und auß dem Weg geraumt sey / so würde alsdann wol wieder Besserung zu hoffen seyn / und das schöne Gebäu der Welt / mit welchem auch sie die Planeten selbst aufhören müsten / noch länger in seinem Flor stehen bleiben könten / darauff erregte er ein sanfftes Donnern / die gesampte Götter-Schaar dardurch zu versammlen / weil Mercurius nicht vorhanden / sondern auff Erden an unterschiedlicher grossen Herren Höfen mit allerhand Staads-Geschäfften bekümmert war; Als nun deren ansehenliche Gegenwart erschiene / trug ihnen Jupiter alles vor was nöthig / die eigentliche Ursach zu erkundigen / umb welcher willen / oder wordurch das Menschlich Geschlecht so gar den Krebsgang gienge; Jn dem nun die Götter und Göttinnen sich hierüber zu berathschlagen anfiengen / kam Mercurius auch eylends angestochen / welchem Jupiter einen scharpffen Verweiß gab / und ihm den lahmen Vulcanum vorwarff / der länger dann eine gantze viertel Stund vor ihme sich eingestellt hätte; Doch weil Mercurius vor den schlauesten Vocativum unter allen Göttern gehalten wird / wolte er ihn nicht gleich gar in die Schind-Grub werffen / oder auff den Esel setzen / sondern damit er ihn im Laun behielte / und weil er ohne das seine Proposition an die Götter nicht gehöret hatte / fragte er ihn / was doch die Ursach seyn möchte / daß die Menschen den jenigen Weg / welchen ihnen das grosse Numen zu wandeln gezeigt / so gar verliessen / und der Höllen zurenneten? Mercurius antwortet ohn allen Vorbedacht / gütiger Jove, wer wolte anders dran schuldig seyn als das holde Gelt? dann ich weiß am besten / und erfahre es noch täglich / was solches vor manigfaltige Kräfften hat / die Menschen auff vielerlei Weis und Weg zu verführen und zu verderben.

So bald Pluto diß höret / gab er Mercurio einen grämischen Blick / und sagte / wie kans immer müglich seyn / daß die beyde eygene Metallen Phœbi, und seiner keuschen Schwester Dianæ solche Greuel und Laster verursachen solten / worüber sich Apollo selbst beklaget? Du bist halt ein unnützer Plauderer / und vermeynest / weilen ich zugleich deß Gelts Patron, und der Höllen König sey / so lauffen die Menschen allein der Ursachen / weil sie es lieben / dem Höllischen Reich / und also wider deß höchsten Numinis Willen / dem Verderben zu; Es seynd andere Sachen / welche sie in allerhand Laster verleiten; Sag mir / du Phantast, ob Midas die Tage seines Lebens auch jemahls andächtiger die Götter angerufen / als damahls / da er Gelds vollauff hatte / und der Krafft seines Wunschs / der noch biß auff diese Stund bey den weisen Menschenkindern vor thorecht gehalten wird / widerumb entledigt zu seyn gebetten?

Mercurius sagte hierauff / das Gelt bestünde nicht allein in Gold und Silber / sondern auch in Kupffer / Zinn / Bley / Ganza / ja bisweilen so gar nur in Leder / und als er sich zu verantworten / und seine Meynung zu vertheidigen / ferner fortfahren wolte / legt ihm Jupiter stillschweigen auff / die Stimmen der samptlichen Götterschaar einzusammlen / deren einhellige Erkandnus endlich herauß kam / deß Jnhalts / daß nemlich die Güte Jupiters selbsten an allen den jenigen Greueln und Lastern schuldig wären / worüber sich Apollo beklagte / er hätte das Cornu Copiæ der Cerere zugestellt / auß welchem sie den Menschenkindern so viel und überflüssig spendirt / daß sie gantz muthwillig / gail / ausgelassen / und verrucht darvon worden / man wisse / wann der Gaiß zu wol sey / so gehe sie auff das Eyß / und breche ein Bein / und demnach sich Neptunus eben auch gleich beklagte / daß einige / die er gleichsam auß dem Staub erhaben / und in seinem Reich groß gemacht / sich so wol wider seine Göttliche Macht / als seine Liebling unter den Menschen / welchen er wegen guter Nachbarschafft geneigt seye / sich auffbäumten / so / daß es schiene / ob wolten sie allen Gewalten der Welt Gesetze vorschreiben; Als befahl Jupiter dem Marte, er solte der Ceres ihr Cornu Copiæ, gleichsam wie ein feist Jmen-Faß ein wenig beschneiden und außplündern / zu sehen / ob die Menschen durch Mangel und Noth zur Erkandnus ihrer selbst und ihrer Gebrechen / und also zu ihrer Besserung gebracht werden möchten / und zwar solte er solches bey denen anfangen / wo er finden würde / daß es am mehristen vonnöthen.

O gütiger Jove, schryen hierauff die friedliebende Götter / was gibstu diesem Hirnschelligen Wüterich vor einen Gewalt? Was wird er abermal in der Welt vor Jammer durch seine Grausamkeit anstellen? Welchem auch die aller-unschuldigste Menschen nicht entrinnen mögen? Aber Jupiter liesse sich diese Einred nicht irren / sondern sagte / das grosse Numen wird die seinige schon zu erhalten wissen / und wann gleich über den einen oder den andern etwas von dieser allgemeinen Heimsuchung verhängt / und mancher Gottliebender Mensch gar deß Zeitlichen Lebens und Guts beraubt wird / so wird ihn dasselbige jedoch darvor hinwiderumb in seinem Himmlischen Reich ergötzen.


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