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VIII. Das Seelenleben und die Herzensbildung der Deutschen.

Die Kriterien der deutschen Rasse und ihrer Kulturgeschichte, die Wurzeln und den Schoß des deutschen Genius begreift man nur am Seelenleben, am deutschen Gemüt.

In den Individuen aller Nationen verdichtet sich freilich das Seelenleben zu einem Herzen, zu einer Sympathie für einen bestimmten Gegenstand, zu einer Liebe und Treue für eine Person; in allen Menschen kann die Seele eine Intensität und Gravitation gewinnen; aber nur in einem Menschen von deutscher Rasse erweitert sich das individuelle Gefühl so leicht, so frei bewußt zu einer Natur- und Menschenliebe, zu einem Welt- und Gottesgefühl. Nur im deutschen Genius bildet das Herz den lebendigen Mittelpunkt für alle Lebenskreise. Wie alles Blut durch die Herzkammern treibt, so assimiliert der Deutsche alles Wissen und Können seinen Herzensgefühlen und konsolidiert diese selbst durch die Macht des Geistes zu einem Gemüt.

Des Deutschen Witz und Kunst, des Deutschen Dichten und Denken hängt aufs innigste mit seinem Gemüt zusammen. Die alten Griechen und Römer hatten sich nicht nur die Künste, die Wissenschaften, sondern sogar Religion und Liebe wohlfeiler eingerichtet; nämlich so, daß die Mysterien der Seele und des Herzens aus dem Spiele blieben.

Die gelehrten Antiquare, die Franzosen und die deutschen Philologen nennen diese heidnisch-sinnliche und seelenlose Intelligenz den klassischen und korrekten Stil. Ihre eigne Klassizität bildet sich aber leider nicht, wie bei den Griechen, aus einer gesunden und inspirierten Sinnlichkeit, sondern nur aus abstrakten Formen und schematisierten Gefühlen hervor, die sie für die objektive Weltanschauung ausgeben.

Die Masse des deutschen Volkes aber ist von der Natur wie von der Gottheit auf ein herzliches, vollbeseeltes Leben angewiesen. Die Bedeutung seiner Künste und Wissenschaften, die Integrität der deutschen Naturgeschichten besteht eben darin, daß sie nicht vom Herzen abgelöst, sondern mit all seinen Fasern verwebt bleiben. Das Herz ist nicht nur die auf die Wirklichkeit bezogene Mitleidenschaft der Seele, sondern auch ihre Energie, ihre transzendente Kraft, ihr Witz und Verstand. Im Herzen sind Kraft und Grazie versöhnt; es hat eine himmlische Bewegung und doch Gravitation gegen einen irdischen Punkt.

Die Geschichte des deutschen Lebens, der deutschen Kultur, sagte ich, ist eine Geschichte der Seele, des Herzens, des Menschengemüts.

Die christliche Religion fixiert, wie man ihr heute vorwirft, das deutsche Seelenleben zu sehr in den Mysterien der übernatürlichen Welt. Die Kirche kontrebalanciert aber diese Intensität des Seelenlebens durch dogmatischen Schematismus. Die deutsche Philosophie hat nicht nur unsre Gefühle durch ihren Idealismus mit der Dialektik verkuppelt, sondern unsre Phantasie hat mit Gemüt und Schulverstand die philosophischen Bastarde Theosophie und Mystik erzeugt.

Der Monadenlehre von Leibniz liegt der deutsche Partikularismus, »die Philosophie der absoluten Vielheit«, d. h. die deutsche Erkenntnis von der absoluten Bedeutung des mikrokosmischen Lebens, des individuellen Lebens, die beseelte Atomenlehre zugrunde. Unseres Leibniz' Monaden sind keine materiellen, ausgedehnten Atome, sondern unzerstörbare Elementarseelen, welche mit der Schöpfung begonnen haben und nur mit ihr vergehen.

Die Atome sind Urenergieen, Realitäten, die einander auf keine Weise alterieren, durchdringen oder absorbieren, sondern sich nur vermöge ihrer unbegreiflichen Elastizität und akkommodabeln Natur zu Stoffen und Körpern konfigurieren.

Der Formalismus und Dogmatismus Wolffs stellt sich nur als die Reaktion des Leibnizischen Prinzips, also des Dynamismus, des individualisierten und seelenerfüllten Weltlebens dar. Die sublimierte Rehabilitation und Konsequenz der echt deutschen Leibnizischen Weltanschauung kommt wieder in Kants Sitten- und Freiheitslehre, d. h. in seinem logischen und psychologischen Prinzip zum Vorschein. Dasselbe Prinzip bekennen und potenzieren Fichte und Schelling, indem sie an der Persönlichkeit als an einem Absoluten festhalten; wenn auch der eine unter demselben das intellektuelle Ich, der andere die Neutralisation von Natur und Geist, das ganze Menschengemüt, also die Versöhnung des sinnlich-seelischen und intellektuellen Lebens begreift. Daß solchen auf die Spitze getriebenen Demonstrationen zugunsten der Seele und Person wiederum in Hegels Philosophie die Spitze abgebrochen wird, ändert nichts in der Existenz und in dem Prozeß des Prinzips selbst.

Der Natur und Person wurde von Hegel eine objektive Wahrheit, nämlich der absolute, der unpersönliche Weltgeist entgegengestellt, und aus demselben eine absolute Gedankenbewegung, eine reellste Dialektik nachgewiesen, welche mit der Naturgeschichte identisch, also die wahre Metaphysik ist, und als solche das schlecht subjektive Leben, nämlich den modernen Idealismus, gleichwie den antiken Naturalismus aufsaugen darf. Von diesem makrokosmischen und welthistorischen Realismus Hegels, welcher sich nur in den sublimiertesten Vernunftprozessen des Menschen, d. h. in der Hegelschen Dialektik inkarnieren, also doch wieder Psychologie werden darf, hat sich bereits die neueste Philosophie wiederum zur alten Psychologie gewendet, um zu erkunden, welche Anrechte an der absoluten Wahrheit und Realität sich für die Seele und Persönlichkeit, für Gemüt und Gewissen herausprozessieren lassen.

Wir kommen nun zu der Betrachtung einer andern Gestalt und Entwicklung des deutschen Seelenlebens. Die italienische Musik hatte die Gebildeten im Anfange des 18. Jahrhunderts zu einem sinnlichen Idealismus verführt, als Händel und Sebastian Bach der Tonseele nicht nur den Körper, sondern den Geist zurückgewährten, indem sie die Sinnlichkeit durch einen musikalischen Formalismus bändigten, also das Gefühl mit dem Verstande ineinsbildeten und die rein musikalischen, die idealen Intentionen der Seele von den empirischen und leidenschaftlichen Gefühlen freizuhalten verstanden.

Mozarts wunderbarer Genius versöhnte die Tonseele und ihre übersinnlichen Motive mit allen charakteristischen Sympathieen und Leidenschaften des Herzens zu einer für alle Nationen entzückenden Musik, die ebenso melodiös als charakteristisch, ebenso sinnlich schön als sprechend, ebenso leicht ansprechend durch Naivetät und Grazie als erhebend durch Phantasie und hehre Leidenschaft ist, zu einer Musik, die den Worten, den Intentionen des Librettopoeten und gleichwohl der musikalischen Seele und ihrem divinatorischen Idealismus Rechnung zu tragen versteht. Dann nimmt Beethoven, der Titane, der musikalische Faust (gegenüber dem weiblich gearteten Mozart der Mann) den uralten Kampf auf zwischen Natur und Geist, zwischen der idealen Tonseele und dem realistischen Herzen, zwischen Melodie und Harmonie, zwischen dem sinnlichen Gefühl und einer idealverständigen Weltanschauung. Beethovens Musik strebt in den Verflechtungen der Tongedanken und Tonfiguren, im Kampfe der Gedankengruppen, im Instrumentensturm, im Kampfe der individuellen Seelenprinzipe mit den harmonischen Massen, im Kampfe der Melodie mit dem musikalischen Schematismus die Mysterien des Gemütes und der Weltgeschichte zu balancieren. Die musikalische Seele als die rein ideale, muß ungeachtet ihres Kontaktes mit der empirischen und sinnlichen Seele (in Leidenschaften) von dieser unterschieden werden: sie ist sui generis. Die Musik, welche eine Erlösung von den sinnlichen Werktagsleiden und -freuden, von allzu persönlichen Empfindungen sein soll, darf nicht als ein Mittel gebraucht werden, den Menschen in die Miseren der empirischen Gefühle unterzutauchen. Mozarts Musik ist herzig und ideal, subjektiv und objektiv zugleich. Beethoven wird in seinen spätern Werken nicht selten zu subjektiv.

In der gotischen Baukunst hat sich das deutsche Seelenleben nicht nur mit der plastischen, sondern mit einer musikalischen Phantasie zu einer in Stein gedichteten Religion erhöht. Die deutschen Münster führen den handgreiflichen Beweis, daß es eine plastische Musik, einen reellen Idealismus gibt, daß für das deutsche Gemüt und die deutsche Kunst keine unversöhnlichen Gegensätze existieren. Der deutsche Genius hat diese mystische Kunst der Natur und dem Schöpfer abgesehen, welcher Geist und Materie, Seele und Leib zusammengetraut und allen übersinnlichen Gedanken eine sinnliche Einkleidung gegeben, also alle Formen zu einer göttlichen Bilderschrift erhoben hat. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts hatte die erwachte Sehnsucht nach der entschwundenen Herrlichkeit der mittelalterlichen Kunst und Phantasie, nach dem altdeutschen Gemüts- und Seelenleben, nach dem frommen Glauben der Väter eine freilich forcierte Romantik und Empfindsamkeit und mit derselben eine Formlosigkeit und sinnliche Überwucherung, eine Phantasterei und Schwächlichkeit, eine Geschmacklosigkeit und Gefühlsrenommage erzeugt, gegen welche von Lessing und Herder, wie von Schiller und Goethe, der objektive Sachverstand, die antike Kunst, die korrekte Form, das innere Ebenmaß und der gehaltene Stil mit Recht zu Hülfe gerufen wurden. In unsern Tagen ist dann endlich der Klassizismus in einen ästhetischen Schematismus und der antike Realismus in einen sublimierten Materialismus ausgeartet, der wieder nur durch das alte deutsche Gemüt, durch einen vollbeseelten Verstand, durch ein im Herzen wiedergebornes Christentum aufgewuchtet werden kann. Unsere übertriebene kritische Nüchternheit, unsere klassische Prüderie, welche jedes natürlich derbe Wort exkommuniziert, hat einen Rückschlag erzeugt, den wir heute trotz aller sozialen und sittlichen Parolen als Geschäftsegoismus, als empörte Sinnlichkeit, als Emanzipation des Fleisches, als die Geldteufelei und als religiöse Heuchelei bekämpfen. Mit dem harmlosen Scherz ist's also vorbei.

Zur Apologie des Herzens gegenüber dem klassischen Lebensstil.

Es kommt für das Glück in diesem irdischen Leben alles auf Herzensfrische und Herzenswitz an. Das Herz ist die wunderbarste, dieser Welt am vollkommensten entsprechende Vereinbarung und Polarisation von Idealismus und Realismus, von Melancholie und Freude, von Leben und Sterben, von Persönlichkeit und Pflicht, von Akkommodation und Charakterfestigkeit, von Erinnerung und Gegenwart, von Sinnlichkeit und Religion.

Das Herz ist das einzig reelle Surrogat des Genies und seine populärste Inkarnation durch Liebe und Kraft, durch Energie und Grazie, durch Witz und Poesie, durch Verstand und Divination; – durch die Neutralisation aller Gegensätze des Geistes wie der Natur. Nur mit einem inspirierten, lebenstrunkenen und kräftigen Herzen vermag jedes Menschenkind dem Genie ebenbürtig zu sein.

Das deutsche Herz hat allerdings den Gemeinsinn und das Nationalgefühl allzusehr beeinträchtigt; aber es hat auch Freundschaft, Liebe, Treue, Ehe, Familienleben, Leutseligkeit, echte Liebenswürdigkeit und Treuherzigkeit, es hat Poesie, Religion, Glückseligkeit und echtes Menschentum mehr als bei irgend einem andern Volke konserviert, entwickelt und vertieft.

Seht euch den alten Kavalleristen an, wie er an einem ausgedienten und in die Karre gespannten Kampagnengaul noch mit Liebe die Ambition, den guten Bau und die reinen Knochen bewundert; vielleicht begreift ihr dann, was das Herz an einem Tier für Interesse finden kann. Verkehrt mit Blumisten, mit Gärtnern und Landwirten, um zu fühlen, was Saaten, was Bäume, Sträucher und Blumen bedeuten können, und wie man mit Tränen in den Augen einen Baum umarmen und seine junge glänzende Rinde küssen kann, wenn man ihn selbst gezogen hat.

Daß mit dem absterbenden, mit dem gebrochnen Herzen das ganze Leben zum toten Puppenspiel verwandelt wird, erfährt der Greis, der die lebendige Erinnerung an Jugend und Kindheit bewahrt hat; oder der Unglückliche, welcher seine Freunde, sein Weib, seine Kinder verlor. Junge Gelehrte können diese Mysterien schwerlich vor der Zeit begreifen, und wenn die Zeit kommt, so begreifen sie wiederum ein Minimum davon, weil sie gar zu wenig Herzensroutine, zu wenig persönliche Sympathieen haben; weil nicht nur ihre Gedanken, sondern ihre Empfindungen und Gefühle durch Schule, Politik und Literatur generalisiert und schematisiert worden sind.

Das individuelle Leben, das Herz mit seinen Leidenschaften, Selbstsuchten und Wetterwendigkeiten ist es freilich, welches die Schuld aller Verwicklungen und Unvernünftig leiten trägt; gleichwohl aber liegt nicht nur die Energie und Intensität der Seele, sondern die Kraft und der Detailblick des Verstandes, die Innigkeit und Wärme des Charakters, alle konkrete Tugend und Glückseligkeit in diesem Herzen und seinem individualisierenden Witz; während sich die moderne Klassizität mit abstrakten Ideen und Idealen, mit farblosen Bildern, mit architektonischen und geometrischen Linien oder mit einem abgeschwächten Echo von Tönen und Gefühlen begnügt und diese Methode »Stil« zu nennen beliebt.

Die alten Griechen und Römer, welche man mit diesem klassischen Stil zu kopieren meint, haben zwar großartige heroische Leidenschaften wie Selbstverleugnungen in Weltszene gesetzt; aber sie kannten doch nicht die Mysterien, die stillen und immerwährenden Martyrien des christlichen Glaubens, der deutschen Gattenliebe und Treue; sie hatten einen immanenten Geist, d. h. einen sinnlich gesunden Verstand; aber mit Ausnahme der großen Dichter und Denker wenig transzendenten Sinn und Geist. Selbst Platons Idealismus zeigt keinen vollbeseelten Verstand und noch weniger eine transzendente, von idealen Mitleidenschaften bewegte Seele auf, wie Jakob Böhme, Hamann, Herder, Jacobi, Vgl. S. 26, Anmerkung, Schelling, Baader Der Philosoph Franz Xaver von Baader (1765-1841) und Steffens, Der Naturforscher und Naturphilosoph Heinrich Steffens (1773-1845) wie Heinrich Schubert Der Naturphilosoph Gotthilf Heinrich von Schubert (1780-1860) und unzählige andre deutsche Philosophen; der Komponisten, Künstler und Poeten nicht zu gedenken, in denen der symbolische Verstand und das Gemüt der Deutschen seine Organe gefunden hat.

Die heidnischen Griechen brachten es leichter wie wir zu einer harmonischen Ineinsbildung von Seele, Sinnlichkeit und Geist, zu einem Gleichgewicht ihrer Kräfte, aber es gelang ihnen nur deshalb, weil sie nicht die Gemütstiefe, die Potenz, die transzendente Kraft und Bildung der Seele wie des Geistes kannten, zu der wir Christen durch die modernen Kulturprozesse, durch die komplizierten und sublimierten Lebensverhältnisse und die in ihnen begründeten Gewissensmysterien heranreifen. Endlich gestattet der nicht mehr mit dem sinnlichen Verstande zu beherrschende Weltwirrwarr nur den beschränkten oder egoistischen Charakteren eine Klarheit und Harmonie des Gemüts.

Die Alten waren selten und nie in Masse solche unkonstruierbaren, mit allen Fasern der Weltdinge, mit allen Schattenspielen des Lebens verwickelte Allerweltsnarren, sie waren nie so die charakterlosen Sklaven ihrer Herzensgelüste und spekulativen Phantasmagorieen wie wir; aber sie hatten auch nie in ganzen Schichten unsre philosophische und welthistorische Durchbildung, unsre Herzensdelikatesse und Gemütsinnigkeit oder gar ein Gewissen, welches mit Vergangenheit und Zukunft getraut gewesen wäre.

Weder die griechischen noch die römischen Weiber kannten die unausgesetzte Opferfreudigkeit oder die stille und ergebne Resignation unserer Mütter und Ehefrauen, die durch Herzensbildung zur andern Natur gewordene Mitleidenschaft, die gesunde Pathologie unserer gebildeten Frauen, von denen auch die Söhne eine humane Seele erben. Diese Seele aber ist es, welche den Alten trotz des humanen Verstandes gebricht, der an ihnen mit Recht bewundert wird.

Man kann solche Überzeugungen freilich nicht strikte beweisen, aber die sublimsten Wahrheiten sind ihrer Natur zufolge Glaubensartikel, Offenbarungen unseres Gemüts; entziehen sich also jeder Konstruktion, jedem Kalkül und Beweis.

Will man sich aber mit einem sublimen Thema innerhalb der wissenschaftlichen Grenzen halten und nicht an das Gemüt appellieren, so gibt man nur die Mathematik und Grammatik der Prozesse statt ihrer Mysterien in Seele und Geist.

Wer in seinem Leben irgend einen Menschen von ganzem Herzen geliebt hat, wer nur von einem alten schattigen Baum oder einer Provinzrose, wer einen Augenblick von einer schönen Landschaft, einer Morgenluft entzückt war, wer aus weiter Fremde zur Heimat, zum Elternhause zurückkam und mit einem von Glückseligkeit wie von Elektrizität geladenen Herzen alle heiligen Stätten der Kindheit besuchte; in wessen Herz die Engelgefühle der Liebe zündeten, so daß ihm unter Seelenschauern von Himmel und Hölle die ganze Natur im Rosenfeuer aufloderte, der allein kann begreifen, daß alle Gedanken, die nicht aus dem Herzen geboren werden, nur abstrakte Gedanken verbleiben; daß es im unbeseelten, im nüchternen Verstande nimmermehr konkrete Begriffe und eine konkrete Dialektik geben kann; daß, verglichen mit dem Herzen, alle Intelligenz eine Grammatik und Mathematik, daß alles herzlose Leben Abstraktion und Schattenspiel bleiben muß; daß nur das Herz eine Wirklichkeit, nur seine Liebe eine Gegenwart und Lebensintegrität besitzt, daß im Herzen allein Augenblick und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits, Natur und Geist, Subjekt und Objekt, Selbstliebe und Selbstverleugnung versöhnt werden können; daß nur im glücklichen Menschenherzen das Weltabsolute, d. h. der ganze Inhalt der Welt, ein lebendiges, konkretes Zentrum und eine Inkarnation gewinnt. Jahrelange, lebenslängliche Lektüren, Studien, Philosopheme, Gedankengespinste, Gedankenzerwürfnisse und Vorurteile verschwinden wie ein Nebelgewölk, wie ein Traumbild vor einem Menschenkinde, vor einem einzigen konkreten Dinge, das man mit voller Herzensenergie und durch sie mit »einem sehenden Auge, mit einem hörenden Ohr« erfaßt. Das matte, im Scheinschlaf liegende Herz, das verwelkte, verhungerte Herz der kodifizierten und paragraphierten Juristen, schematisierten Kameralisten, der mumifizierten Theologen, der paganisierten Der (durch die Beschäftigung mit den altklassischen Schriftstellern) zu Heiden umgebildeten. Philologen, der atomisierten Chemiker, der formulierten Mathematiker, der im Absoluten konstruierten Philosophen, der verdufteten oder verharzten Ästhetiker, der archivalischen Historiker, der hyperkritischen Kritiker: das tote Herz aller genielosen Dutzendgelehrten ist der letzte Grund ihrer persönlichen Unmachten wie abstrakten Virtuositäten und Tugenden, ihrer naiven Versündigungen an der unmittelbaren Umgebung, an der Lebenspraxis, an der Seele, am lebendigen Leibe der Geschichte wie des Volks.

Nicht die gemeine Praxis, nicht die gemeine Handarbeit, der Kneipenverkehr mit Blusenmännern und Gesellen, nicht die rohe Werktagsempirie, welche den Idealsinn des Gelehrten, des Künstlers und Dichters verzehrt, sondern die Herzensroutine, die Herzenserziehung, die Herzensnahrung im Verkehr mit Natur und geliebten Personen, im echten Familienleben, im humanen, im väterlichen Verkehr mit Dienstboten und Untergebenen wirkt das offene Geheimnis einer Vermittlung der gelehrten Intelligenz und Theorie mit der Lebenspraxis und Empirie – die Annäherung des Gelehrten an das Volk.


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