Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
Johann Wolfgang von Goethe

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Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten.

I.

      Sag', was könnt' uns Mandarinen,
Statt zu herrschen, müd zu dienen,
Sag', was könnt' uns übrig bleiben,
Als in solchen Frühlingstagen
Uns des Nordens zu entschlagen
Und am Wasser und im Grünen
Fröhlich trinken, geistig schreiben,
Schal' auf Schale, Zug in Zügen?

 
II.

          Weiß wie Lilien, reine Kerzen,
Sternen gleich, bescheidner Beugung,
Leuchtet aus dem Mittelherzen
Roth gesäumt die Gluth der Neigung.

So frühzeitige Narcissen
Blühen reihenweis' im Garten.
Mögen wohl die Guten wissen,
Wen sie so spaliert erwarten.

 
III.

    Ziehn die Schafe von der Wiese,
Liegt sie da, ein reines Grün;
Aber bald zum Paradiese
Wird sie bunt geblümt erblühn.

Hoffnung breitet leichte Schleier
Nebelhaft vor unsern Blick:
Wunscherfüllung, Sonnenfeier,
Wolkentheilung bring' uns Glück!

 
IV.

        Der Pfau schreit häßlich, aber sein Geschrei
Erinnert mich an's himmlische Gefieder,
So ist mir auch sein Schreien nicht zuwider.
Mit Indischen Gänsen ist's nicht gleicherlei,
Sie zu erdulden ist unmöglich:
Die Häßlichen, sie schreien unerträglich.

 
V.

        Entwickle deiner Lüste Glanz
Der Abendsonne goldnen Strahlen,
Laß deines Schweifes Rad und Kranz
Kühnäugelnd ihr entgegen prahlen.
Sie forscht, wo es im Grünen blüht,
Im Garten überwölbt vom Blauen;
Ein Liebespaar, wo sie's ersieht,
Glaubt sie das Herrlichste zu schauen.

 
VI.

        Der Kuckuk wie die Nachtigall
Sie möchten den Frühling fesseln,
Doch drängt der Sommer schon überall
Mit Disteln und mit Nesseln;
Auch mir hat er das leichte Laub
An jenem Baum verdichtet,
Durch das ich sonst zu schönstem Raub
Den Liebesblick gerichtet;
Verdeckt ist mir das bunte Dach,
Die Gitter und die Pfosten;
Wohin mein Auge spähend brach,
Dort ewig bleibt mein Osten.

 
VII.

        War schöner als der schönste Tag,
Drum muß man mir verzeihen,
Daß ich Sie nicht vergessen mag,
Am wenigsten im Freien.

Im Garten war's, Sie kam heran,
Mir ihre Gunst zu zeigen;
Das fühl' ich noch und denke dran,
Und bleib' ihr ganz zu eigen.

 
VIII.

        Dämmrung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern!
Alles schwankt in's Ungewisse,
Nebel schleichen in die Höh';
Schwarzvertiefte Finsternisse
Widerspiegelnd ruht der See.

Nun am östlichen Bereiche
Ahn' ich Mondenglanz und Gluth.
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Fluth.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Luna's Zauberschein,
Und durchs Auge schleicht die Kühle
Sänftigend in's Herz hinein.

 
IX.

      Nun weiß man erst, was Rosenknospe sei,
Jetzt, da die Rosenzeit vorbei;
Ein Spätling noch am Stocke glänzt
Und ganz allein die Blumenwelt ergänzt.

 
X.

        Als Allerschönste bist du anerkannt,
Bist Königin des Blumenreichs genannt;
Unwidersprechlich allgemeines Zeugniß,
Streitsucht verbannend, wundersam Ereigniß!
Du bist es also, bist kein bloßer Schein,
In dir trifft Schau'n und Glauben überein;
Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie,
Nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie.

 
XI.

        Mich ängstigt das Verfängliche
Im widrigen Geschwätz,
Wo nichts verharret, alles flieht,
Wo schon verschwunden, was man sieht;
Und mich umfängt das bängliche,
Das graugestrickte Netz.
»Getrost! Das Unvergängliche,
Es ist das ewige Gesetz,
Wonach die Ros' und Lilie blüht«.

 
XII.

        Hingesunken alten Träumen,
Buhlst mit Rosen, sprichst mit Bäumen,
Statt der Mädchen, statt der Weisen;
Können das nicht löblich preisen.
Kommen deßhalb die Gesellen,
Sich zur Seite dir zu stellen,
Finden, dir und uns zu dienen,
Pinsel, Farbe, Wein im Grünen.

 
XIII.

    Die stille Freude wollt ihr stören?
Laßt mich bei meinem Becher Wein;
Mit Andern kann man sich belehren,
Begeistert wird man nur allein.

 
XIV.

        »Nun denn! Eh' wir von hinnen eilen,
Hast noch was Kluges mitzutheilen?«

Sehnsucht in's Ferne, Künftige zu beschwichtigen,
Beschäftige dich hier und heut im Tüchtigen.

 


 


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