Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte
Johann Wolfgang von Goethe

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Die Weisen und die Leute.

Epimenides.

        Kommt, Brüder! sammelt euch im Hain!
Schon drängt das Volk, es strömt herein
Von Nord, Süd, West und Osten.
Sie möchten gern belehret sein,
Doch soll's nicht Mühe kosten.
Ich bitt' euch, haltet euch bereit,
Ihm derb den Text zu lesen.

Die Leute.

Ihr Grillenfänger, sollt uns heut
Zur Rede stehn mit Deutlichkeit
Und nicht mit dunklem Wesen.
Sagt! – Ist die Welt von Ewigkeit?

Anaxagoras.

Ich glaub' es; denn zu jeder Zeit,
Wo sie noch nicht gewesen,
Das wäre Schade gewesen.

Die Leute.

Doch ob der Untergang ihr dräut?

Anaximenes.

Vermutlich! doch mir ist's nicht leid;
Denn bleibt nur Gott in Ewigkeit,
Wird's nie an Welten fehlen.

Die Leute.

Allein was ist Unendlichkeit?

Parmenides.

Wie kannst du so dich quälen!
Geh' in dich selbst! Entbehrst du drin
Unendlichkeit in Geist und Sinn,
So ist dir nicht zu helfen!

Die Leute.

Wo denken, und wie denken wir?

Diogenes.

So hört doch auf zu belfen!
Der Denker denkt vom Hut zum Schuh,
Und ihm geräth, in Blitzes Nu,
Das Was, das Wie, das Beste.

Die Leute.

Haus't wirklich eine Seel' in mir?

Mimnermus.

Das frage deine Gäste.
Denn, siehst du, ich gestehe dir:
Das art'ge Wesen, das, entzückt,
Sich selbst und Andre gern beglückt,
Das möcht' ich Seele nennen.

Die Leute.

Liegt auch bei Nacht der Schlaf auf ihr?

Periander.

Kann sich von dir nicht trennen.
Es kommt auf dich, du Körper, an!
Hast du dir leiblich wohlgethan,
Wird sie erquicklich ruhen.

Die Leute.

Was ist der sogenannte Geist?

Cicobulus.

Was man so Geist gewöhnlich heißt,
Antwortet, aber fragt nicht.

Die Leute.

Erkläre mir, was glücklich heißt!

Crates.

Das nackte Kind, das zagt nicht;
Mit seinem Pfennig springt es fort,
Und kennt recht gut den Semmelort,
Ich meine des Bäckers Laden.

Die Leute.

Sprich, wer Unsterblichkeit beweist'?

Aristipp.

Den rechten Lebensfaden
Spinnt Einer, der lebt und leben läßt,
Er drille zu, er zwirne fest,
Der liebe Gott wird weifen.

Die Leute.

Ist's besser thöricht oder klug?

Demokrit.

Das läßt sich auch begreifen.
Hält sich der Narr für klug genug,
So gönnt es ihm der Weise.

Die Leute.

Herrscht Zufall bloß und Augentrug?

Epikur.

Ich bleib' in meinem Gleise.
Den Zufall bändige zum Glück,
Ergötz' am Augentrug den Blick;
Hast Nutz und Spaß von beiden.

Die Leute.

Ist unsre Willensfreiheit Lug?

Zeno.

Es kommt drauf an zu wagen.
Nur halte deinen Willen fest,
Und gehst du auch zu Grund zuletzt,
So hat's nicht viel zu sagen.

Die Leute.

Kam ich als böse schon zur Welt?

Pelagius.

Man muß dich wohl ertragen.
Du brachtest aus der Mutter Schooß
Fürwahr ein unerträglich Loos:
Gar ungeschickt zu fragen.

Die Leute.

Ist Beßrungstrieb uns zugesellt?

Plato.

Wär' Beßrung nicht die Lust der Welt,
So würdest du nicht fragen.
Mit dir versuch' erst umzugehn,
Und kannst du dich nicht selbst verstehn,
So quäl' nicht andre Leute.

Die Leute.

Doch herrschen Eigennutz und Geld!

Epictet.

Laß ihnen doch die Beute!
Die Rechenpfennige der Welt
Mußt du ihr nicht beneiden.

Die Leute.

So sag, was uns mit Recht gefällt,
Eh' wir auf immer scheiden?

Die Weisen.

Mein erst Gesetz ist, in der Welt
Die Frager zu vermeiden.

 


 


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