Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Freundesbriefe

An Jean Paul Fr. Richter

Heidelberg, den 1. Febr. 1808.

Seit drei Monaten gehe ich mit einem Brief an Sie um. Ich dachte, daß in drei Jahren der Mensch die neue, und so ziemlich alles, was in den Häuten steckt, abgegeben und alles sich wieder neu angeschafft hat, so daß nichts übrig als der Faden etwa, an dem alle die Herrlichkeiten aufgereiht sind, und da wir also in den Jahren einander etwas fremd geworden sind, habe ich überlegt, daß es doch gut sein möchte, wenn der Mensch, wie er aus dem Kessel steigt, einige Worte artikulierte, die den Umstehenden zeigten, daß er auf den neuen Rock nicht allzu hoffärtig ist, sondern noch alte Neigungen hegt und noch das alte Schild und Helmzeichen und den alten Namen trägt.

Ich wollte Ihnen meine »Volksbücher« schicken, ein zwar überflüssiges Buch, da die Dinge da sind und ruhig bleiben werden, von denen der Pluralis spricht, und alles auch geradeso sein würde, wenn er gar nicht gesprochen hätte, das jedoch gut gemeint ist und gut genug gedacht für eine Geistesrekreation. Unterdessen führte mich im Herbste eine Reise von hier weg, und wie ich zurückkam, dachte ich, wie denn das zu gehen pflegt: Sie möchten das Buch nun wohl ohnehin gesehen haben, und es hatte so sein Bewenden dabei. Da ich aber aus Ihrem Briefe an Marheinecke gesehen habe, daß dem mitnichten so sei, so war es mir leid, daß ich nichts geschickt habe, wenn Sie indessen noch einige Lust zu dem alten Kalender haben, dann will ich Ihnen denselben wohl noch schicken, und unseren »Uhrmacher Bogs« beilegen und meine »Schriftproben« und was ich sonst noch zutage gefördert habe.

Am besten wäre es, wenn Sie den Nachdruck vorüberließen, und nebst vielem, was Sie finden würden im Lande, etwa die Originalausgabe selbst aufsuchten, die der Himmel geschrieben und wie gewöhnlich der Teufel verlegt hat, und die ihm Makulatur zu werden droht, wie Sie sichs in dem Briefe haben entfallen lassen. Sie würden viele Leute hier finden, die Ihnen recht herzlich wohlwollen, und andere, die Sie höchlich verehren, und andere, die Sie aufs beste ennuyieren würden, alles aber doch auf eine neue noch nicht gesehene Weise, und das erfrischt doch immer das durstige Leben. Die viel gebrauchte und beschwatzte und dadurch gleichsam abgegriffene schöne Natur hier herum hat doch noch nicht zu verachtende Schönheiten zurückbehalten, weil die ungestümen Liebhaber doch meist nur die Schminke mitgenommen haben, die sie selbst aufgetragen hatten. Wenn man abrechnet, was die Ruhmredigkeit der Südteutschen und die geringe Kapazität der Nordteutschen für erhitzende Sachen und gewürzhafte Spezies ihr aufgetragen haben, dann bleibt doch noch ein ziemliches Kapital, von dem schon der Mühe wert ist, auf einige Zeit die Zinsen zu ziehen. Wenn Sie also zum Frühjahr hinunterkommen wollten, dann glaube ich allerdings, daß Sie die Reise nicht gereuen würde, so wie die meinige mir denn auch bis auf diesen Augenblick noch nicht leid geworden ist. Wenn Sie daher das Projekt realisieren wollten, um irgend über das und jenes unterrichtet zu sein, oder das eine oder andere besorgt haben möchten, dann bitte ich Sie, meine Dienste anzunehmen; es soll mich freuen, wenn ich Ihnen in irgend etwas nützlich werden könnte.

Ihre Erklärung, daß Sie an den hiesigen »Jahrbüchern« teilnehmen wollten, hat alle, die sich dafür interessieren, sehr erfreut, was nun einmal eine Rezensionsanstalt in dieser Zeit bedeuten kann, das, glaube ich, werden diese Jahrbücher wenigstens stellenweise erreichen. Besonders über dem ästhetischen Teile, den Creutzer in bestem Geiste redigiert, scheint ein ganz günstiges Gestirn zu walten. Da das wilde schäumende Gas in der schönen Literatur verflogen ist und wenigstens einen Teil der ästhetischen Motten erstickt hat, so gewinnt nun nach und nach die ruhige Besinnung Raum, und der Geist macht Wein, und nicht der Wein Geist, wie vorher oft, und die Nachtwächter können umhergehen und die Stunden verkündigen, ohne insultiert zu werden. Es wird daher weniger geschossen aus hohlen Schlüsseln und Schweinsblasen, aber im ganzen, dünkt mich, ist alles gediegener geworden, und so wird es noch eine Weile anhalten, ehe es umschlägt und wir abgehen, und unsere Kinder wieder von vorne anfangen. – Man hat mir schon längst aufgegeben, ob Sie etwa Herders Schriften und die »Corinna« der Frau von Staël übernehmen möchten, und ich entledige mich daher hier, obgleich etwas spät, dieses Auftrags, weil ich denke, daß das erste Ihnen angenehm und das zweite Ihnen wenigstens nicht unangenehm sein wird. Ich selbst habe Sie selbst mit der Klausel übernommen, wenn Sie mich nicht verhorreszieren wollen, was Sie nicht tun werden, wenn Sie meinen guten Willen in Betrachtung ziehen. Ich würde Sie indessen dann von Grund aus aufzufassen suchen, und dazu fehlen mir Ihre frühesten Schriften, die »Auswahl aus des Teufels Papieren« etwa, die früheren Journalaufsätze und mehreres. Wollen Sie im Frühjahr sich hier ansiedeln, dann würde auch das sich sehr gut von selbst einrichten.

*

An Ludwig Achim von Arnim

Koblenz, am 10. November 1808.

Wir haben gestern St. Martinsabend auf dem Berge meines Schwiegervaters gefeiert. Seit vielen Tagen war Feuerfutter zusammengeschleppt und gefahren worden, und wir hatten eine respektable haushohe Flamme dem Heiligen zum Besten gegeben. Es war wirklich bei dem vielen Feuer ein Schimmer guter Zeit, die schöne, große, krause Funken werfende Flamme, die nächste Beleuchtung unter den Hügeln in der Tiefe auf allerlei umgehende Figuren, rundum auf allen Bergen gleiche Feuer, das Geschrei der Buben in der Ebene, das schöne Wetter und die Sterne am Himmel, die man immer mit den ausfahrenden Funken verwechselte, alles sang und jauchzte recht gut zusammen, die Sterne hinunter, die Feuer und die Buben hinauf. Ich hätte die ganze Pfaffenstraße so hinunter durch den Fackelzug fahren mögen. Wären Sie gekommen, da Sie die Weinflammen versäumt, an diesen hätten Sie wenigstens noch sich wärmen können. Ich war sehr andächtig vor der großen Flamme und ihrem Ungestüm und dem Leben und dem Zorne und dasmal in Zoroasters Kirche, und obgleich im Wasser getauft, hätte ich mich im Feuer wiedertaufen lassen. Könnte das Fleisch eine solche Glut fassen, Gott sei uns gnädig, wenn die Kreatur ungehalten auf uns arme Kühlgefäße würde. Aber auch zum vierten Elemente hätten Sie zurechtkommen können, da Sie nämlich so gern in der Erde arbeiten, so hätten wir Ihnen auch damit ein Fest bereiten können, weil ich meinen Garten so verwildert angetroffen habe, daß es einige Tage Zeit erforderte, ehe ich meinen wenigen Tulpen ihr Unterkommen verschaffen konnte. Indessen spreche ich noch immer im Optativus und denke wohl, noch Sie Schlittschuhe den Rhein hinunter zu uns laufen zu sehen.

Die Rezension des »Wunderhorns« habe ich vollendet und damit wieder einen kleinen Denkstein unserem Zusammensein gesetzt, da wir keine Münzen darauf schlagen lassen können. Es hat mich Mühe genug gekostet, den Ameisenhaufen in Reih und Glied zu ordnen, und über der Arbeit ist manchmal mit der Geduld der Geist von hinnen gegangen. Indessen bin ich zuletzt doch über das Gewimmel Herr geworden, und Sie werden im ganzen wohl damit zufrieden sein. Aber die Revision, wenn Sie noch oben sind, würden Sie sich entschließen müssen, darüber zu machen, und darum wünschte ich, daß es vor Ihrer Abreise womöglich noch abgedruckt würde...

Ich überzeuge mich mit jedem Tage mehr, daß meines Bleibens in diesem Lande nicht ist, das Wesen wird mir immer klarer und immer unverständlicher. Aber während ich so überlege, rückt Teutschland auch so in seinem kleinen Trappe immer weiter vorwärts in derselben Gesinnung. Das ist die Verdammnis dieser Generation, daß sie nicht auf einem Strome, sondern auf stürmischen Wellen getragen, nicht weiß, wo sie ihr Haupt hinlegen soll, weil alles noch schneller wechselt als das Fleisch und jeder Gedanke jeden Augenblick einen neuen Herrn bekommt...

Koblenz, am 1. September 1809.

Seit dem Frühjahr, lieber Arnim, habe ich die Hoffnung erhalten, die alte Reiselust würde Sie einmal wieder beschleichen, Sie durchführen die Diagonale von Teutschland und wären etwa einmal mit einem tüchtigen Satze in meiner Stube und schüttelten den Staub ab und die bösen Erinnerungen und was sonst von Rost und Schmutze sich ansetzt in dem übeln Jahre. Sie konnten wissen, daß Haus, Tisch und Bette, so gut ich's habe, Ihnen zu Gebote standen auch unangeboten. Aber der Summer, der is kummen und hat den Herbst mitgebracht, aber keinen Arnim. Das kommt wohl mit daher, weil es dem Menschen, wenn er noch lange Füße hat, ein leichtes ist, um die Welt zu spazieren, dann von Schottland nach Genua, dann von Polen an den Rhein, über die Berge hinüber, um die Stadtmauern durch die Stube, bis er endlich noch dreimal, mit Clemens zu reden, ums Hühnerloch geht und dann von einer Hand, die herausfährt, eingefangen wird. Aber heutigestags, ehe man so weit gekommen ist, daß einem die Federn von selbst ausgefallen sind an den Fußflügeln, wird man gerupft und gestutzt, daß man herumgeht jämmerlich wie in der Mause und nicht überfliegen kann ins Nachbars Haus, die Federn aber füllen sich andere in die Eiderdunenbetten. Das ist übrigens ein Übel, was noch niemal ausgegangen ist in der Welt, und ich bin schon längst darüber getröstet, Sie werden sich auch damit abfinden. Werden Sie indessen wieder flügge, heute oder morgen oder über Winter, der alte Rhein fließt noch hell und kühl, und die Berge kochen Feuer, und es ist doch noch ein wenig blauer Montag an ihm, weil die Natur noch geputzt ist. Der Weg zu ihm hin ist gut zu finden, er ist überall mit zerbrochenen Scheiben bedeckt. Wenn ich vom Blatt aufsehe an den schönen Bergkranz vor meinem Fenster, dann muß mir doch anderst zumut sein wie Ihnen, wenn Sie zum Berliner Tor hinausgehen in das geplättete Land. Die Natur ist doch gut, und der Mensch passabel, wenn er satt ist, bei Ihnen aber sind viele Hungrige, und da läßt sich der Teufel gern häuslich nieder. Es ist ein Jammer, was drei Haupteinsiedler auf den Sand geraten sind, der eine sitzt auf bayrischem Sand in Wassers- und Feuersnot, der andere auf dem Brandenburger auch in schwerer Not, der dritte, Creuzer, auf holländischem, mit stinkendem Wasser zur Salbe gemacht und aufgestrichen, er hat mir ganz klägliche Melodien schon aus dem Röhricht zugesungen, dabei ist indessen etwas viel kränkliche Weichlichkeit und Gewöhnung an die dicken Schuhe und warmen Mützen, die die Zeit doch durchaus abgeschafft haben will... Brentano hat den Gebrauch der Sprache noch nicht wiedererlangt, ich weiß nichts von ihm. Ihnen aber habe ich für den großen gedruckten Brief und einen geschriebenen obendrein zu danken.

Das BuchDer Wintergarten »Novellen« von A. v. Arnim. war mir gar angenehm und erfreulich, Ihr ganzes Wesen ruht auf den Worten, die doch alle aus der Allerweltssprache sind wie ein angehauchter Schein und wie eine Seele auf dem Staub und Wasser ruht, in dem sie wie zur Miete wohnt. Ihr leichter Schlittschuhschritt, der bisweilen so tief einschneidet, daß das Grundwasser durchbricht und den Leuten in die Augen spritzt, der zierliche Wurf, das scherzhafte Tanzen, das gefällige Cantabile, das freundliche Lachen, das wie Tageslicht durchs Ganze durchscheint, alles hat mich an Sie und an das Heidelberger Leben erinnert. Das sind wahre Geistererscheinungen am hellen Tage, so lebendig kann mir's werden, als ob Sie vor mir stünden, nur kein Gespräch kann man auf diese Weise, als in längeren Zwischenräumen etwa miteinander führen, es hat mich verdrossen, daß ich stumm dasitzen mußte und Ihnen nun nicht auch verständlich machen konnte, daß ich Sie sähe. Bannen kann ich, sooft ich will, diesen Geist, ob ich selbst bannbar bin, weiß ich nicht, es kann mich sehr erschrecken, wenn ich in halbdunkler Mitternacht im Hemde am Fenster stehe und etwa ein einzelner vorübergehender aufblickt und mich für einen Geist halten möchte, das ist ein ganz entgegengesetztes Gefühl als die gewöhnliche Geisterfurcht, man blickt aus dem Tod ins Leben, wie dort aus dem Leben in den Tod. Ich danke Ihnen für den Nachruf in der Zueignung, sind die Früchte aus dem alten Helm hinabgeronnen, dann mag das Tamburin, das sie klingend aufgenommen, leicht eine zerschlagene Trommel sein, schwer wird sich der Helm, aber leicht kann sich die Trommel wieder zusammenfügen jetzt sind die Töne mir lieb, sie kommen von Sirenen, die mitten im Sturme singen, und wenn das Donnern und Notschießen vorüber, hört man doch immer wieder gern auf das Singen, wer so gut gemacht ist im Frieden wie dieser Gärtner, darf sich nicht entschuldigen, daß er den Krieg nicht mitgeschlagen, Nationen werden noch auf viele andere Weisen als mit Schwerten geschlagen; jetzt vollends, wo die Verwirrung so ratlos geworden ist, daß, was die eine Hälfte mit Blut an Ehre mühsam gewinnt, die andere leichtsinnig und verkehrt an Schimpf wieder zusetzt, ist mir's leid, um alles gute Blut, was fließt und geflossen ist, und ich möchte kein Blutzeuge sein im Kampfe der matten Tugend mit der kranken Sünde. Sonst habe ich mich bei der ganzen Sache überzeugt, daß der Himmel ohne Schuld ist, wie er gern Sieg gegeben hätte, wenn nur einer dagewesen wäre, der den Haushalt fortgesetzt hätte.

In Ihrer Schrift hat mir das erste ganz unendlich wohlgefallen, wenn Sie das gemacht oder nur viel hinzugemacht haben, dann erstaune ich über Ihre Kunstfertigkeit. Die Zigeunergeschichte, in den Simplizissimus eingelegt, hat mich auch ergötzt. In dem Fragmente von Schelmufsky habe ich durchaus nichts Störendes, aus dem Geist des Ganzen Herausfallendes bemerkt, nur das Hundegebelle am Anfange hat etwas gewürgt, die reinen Verehrer werden nicht zu klagen haben, wenn man keine Nähte sieht, dann ist's, als hätte der Verfasser selbst eine zweite vermehrte Ausgabe veranstaltet. Mehr Anstoß werden die reinen Verehrer Nelsons an der wunderlichen Weise nehmen, wie Sie ihn in den vortrefflichen Romanzen durch die Meduse nicht aus Fleisch in Bein, sondern aus Bein in Fleisch verwandelt haben. 's ist ein unendlich spröder Gegenstand, dieser einäugige, einarmige, eben noch verwesende englische Seeheld, mitten in dem großen algebraischen Formelwerk, seinem Schiffe und seiner Schlacht und den nun in den heißen Feuerofen der Meduse hineingeworfen, wo er wie einer der babylonischen Knaben aus den Flammen singt, die er als ein Salamander immer durch sein Element, das Wasser, wieder löscht. Sie haben englischen Roastbeef mit einer Brühe von Pfeffer und Muskaten und Areka und Palmwein übergossen, und es soll mich wundernehmen, was die Welt zu dem sonderbaren Gerichte sagen wird. In mich, bei der philosophischen Weite meines Geschmackes geht dergleichen leicht hinein, und ich habe mich gefreut an der Lust, mit der Sie viele Reminiszenzen aus dem Leben hineingeworfen in den feurigen Strudel, aber ich begreife auch leicht, wie viele zu eng sein mögen ohne unmittelbare Versündigung. Das ganze Buch ist mir lieb und wert, wie's da liegt, und ich habe es unter meine andern Freunde aufgestellt.

Mit meinen eignen Arbeiten geht's nicht so rasch wie mit Ihrem Gartenbau, meine Sachen werden immer die gehörige Zeit lang im Packhofe zur Visitation zurückbehalten, ehe sie in die Welt hinunter dürfen. Mit meiner Mythologie sind wir glücklich am zehnten Bogen angekommen, da das Ganze nun so werden soll, so müssen Sie sich wohl noch vier Jahre gedulden. Meine physikalischen ... Untersuchungen schreiten auch langsam fort, weil ich eigensinnig auf mathematischer Schärfe und Überzeugung beharre, und da ich die mythologischen noch nicht beendigt habe und mit der alten Liebe verfolge, so werde ich unbarmherzig zwischen den beiden Liebschaften herumgezerrt, deren keine ich lassen kann, so sehr immer die eine die andere kränkt. Eine dritte, der Ihrigen näher liegende, halte ich mit Gewalt noch von mir weg, damit die drei mich nicht vollends aus dem Hause treiben. Danken Sie Ihrem Freunde Pistor für den Silberfaden, ich habe ihn schon verwendet ...

Ich bin am Rande und habe nicht viel geschrieben, und habe doch so lange gezögert mit Schreiben, weil ich recht viel schreiben wollte und immer nicht recht viel Zeit für das viele Schreiben finden konnte. Drum wär's besser, wenn Sie selbst kämen und sich alles erzählen ließen. Sie würden mich und alle wohl treffen, Ihr Patchen groß und gesund und herumlaufend auf allen Wegen und kratzbürstig und eigensinnig und lieb, dazu mit einem zollbreiten Loch im Kopf, das es sich vor acht Tagen gefallen, und wovon es die Narbe noch nach vielen Jahren wird vorzeigen können. Meine Frau grüßt Sie herzlich, und ich schließe den meinigen in den ihrigen ein.

*

An Gebrüder Grimm

Koblenz, 23. September 1811.

So vielerlei, was Sie wissen und nicht wissen, hat mich die letzte Zeit her in Anspruch genommen, daß ich nicht zur Ruhe gelangen konnte, um Ihren letzten Brief vom August zu beantworten. Jetzt, wo die Wasser etwas verlaufen sind, setze ich mich nieder und sende Ihnen meine Brieftaube.

Zuerst habe ich Ihnen Dank zu sagen für die unerwartete Freude, die Sie mir mit den beiden Bänden der » Asiatic researches« gemacht. Ich hatte eine wahre Sehnsucht danach getragen und war eben im Begriffe, mir in Paris den Aufsatz von Colebrooke exzerpieren zu lassen, weitläufiger als ich ihn hatte, was nun unnötig geworden ist. Die Bücher sind voll der merkwürdigsten und wichtigsten Sachen, begreiflich, weil in Kalkutta im Gemüsegarten wächst, was hier im Treibhause gezogen werden muß ...

Zum zweiten habe ich Ihnen für Ihr Buch zu danken, das ich, wie Sie mir glauben werden, mit nicht geringerem Vergnügen wie jene englischen gelesen habe. So rund, so treu und geschlossen, wie es ist, muß es jedem, der es liest, Freude machen. Ich kannte über den Versbau jener Dichtungen nur das Allgemeinste, und hatte genaueres Studium des Zeitkostenden wegen immer verschoben; hier habe ich nun alles so recht bequem beisammen gefunden, und es ist mir so tröstlich, daß mir die Arbeit weggenommen, und meine Ideen so klar in diesem Gebiete sind, als hätte ich Jahre darauf verwendet. Alles aber, was ich hell durchschaue, ist mein, und so haben Sie mir ein neues Land geschenkt, für das ich Ihnen Dank wissen muß. Das Buch ist mit großem und redlichem Fleiß geschrieben, und im Fleiße ist nicht wie bei so vielen der Geist verbauert, vielmehr lernt er spielend nur das Werkzeug, das die Furchen zieht, und streut guten Samen in den lockern Boden. Daß auch die Krähen hinter Ihnen herziehen, haben Sie schon bemerkt. Was die Streitfrage selbst angeht, bin ich im ganzen ganzlich Ihrer Meinung, und nicht wie die meisten, die da meinen, es hätten beide recht. Als die Sache sich im »Literarischen Anzeiger« entspann, blickte ich nur beiläufig hinein; ich ließ es auf sich beruhen, weil ich dachte, am Ende würde die Resultate sich schon ergeben, und dann wäre es Zeit, sich darum zu bekümmern. Als ich Ihre Schrift angezeigt las und Sie mir schrieben, eine Rezension davon zu übernehmen: da dachte ich bei mir selbst, wie es doch sein möge, welche Meinung Sie eigentlich verteidigten; wenn die eine, dann könne ich Ihnen doch unmöglich beistimmen. Das hat sich nun in dem Buche gut gelöst, und ich habe zu meiner Befriedigung gefunden, daß Docen dieser Meinung ist, und da kann ich denn mit gutem Gewissen Ihre Partei ergreifen. Alles, was Sie im Buche sagen, hat mir nur bestätigt, was ich in meinem allgemeinen historischen Takt, der mich nicht leicht betrügt, mir zum voraus über den Gegenstand gedacht hatte. Ich habe Docen darüber nach Ihnen gehört, aber er hat mir mit seiner Negativität auch gar nichts wankend gemacht, weil ich wohl weiß, daß man auf diesem negativen Wege die ganze Geschichte annullieren kann, weil alle ihre Denkmale grau und verwittert sind: wer sie nicht mit Geist liest, wird mit den Augen nimmer den rechten Sinn gewinnen. So sind aber diese Leute, doch ist Docen noch der billigste unter ihnen; sie müssen wie die Blinden die Farbe im Betasten unterscheiden, und kommt die Farbe nun vom gebrochenen Sonnenlichte, und nicht vom groben Pigment, dann begreifen sie nichts und leugnen alles, zum Erstaunen der Sehenden, die für die Evidenz keine Beweise finden können, wie die Liebe in ihrer Poesie weder bürgerlich noch adelig ist, sondern allein menschlich, so läßt sich auch in der Poesie der Liebe keine adelige und unadelige annehmen; wenn sie gut ist, ist sie alle insgemein adelig, und ist sie schlecht, dann fällt sie ins Negative und ist keine Poesie. Das Maß und die Regel macht sie nicht schlecht, noch weniger der Mangel daran gut, aber wenn sie verdampft und die goldene Schale allein noch bleibt, dann ist sie wohl ein Prunkgerät, in dem geladene Gäste sich bespiegeln, aus dem sie sich aber nie berauschen können. Haben diese Minnesinger im Felde etwa den Harnisch abgeschnallt und mit bloßer Brust gefochten, welche die Dienstmannen allein mit dem Panzerhemd bewehrten? Wie würde sich nur der alte Voß geberden, wenn man ihn mit seiner ehrlichen »Luise« gegenüber dem Herrn von Matthisson mit seinem wandernden Hurenhaus voll Grazien einen Meistersinger neben einem Minnesänger nennen wollte? Darum war einmal Docen auch neugierig auf einen von mir angekündigten Aufsatz, der die Schule und das Leben heißen sollte; da würde er sich indessen sehr betrogen haben, da kam ganz anderes, als was er gewünscht, heraus ...

 

Für die »Jahrbücher« hatte ich vor mehreren Jahren eine Rezension sämtlicher Werke Jean Pauls übernommen. Solange Creuzer daran, konnte ich nicht dazu kommen, aber als das Triumvirat die Regierung übernahm, da meinten die weisen Herren, die Leute kauften das Journal nicht, weil Arnim, Schlegel, ich und andere daran arbeiteten; sie wollten also einmal weniger Hopfen zum Malze nehmen. Und siehe da, die schale Brühe mochte gar niemand. Da schrieb mir denn Wilken, ich möchte die übernommene Rezension doch schicken, mich aber auf zwei und einen halben Bogen einschränken. Denken Sie sich den großen Menschen mit dem breiten Fuß in Aschenbrödels Schuh! Ich machte nun die Rezension und schickte nach einiger Zeit vier meiner großen Bogen Manuskript, aber doch lange nicht so groß als die Bogen meiner Mythengeschichte, deren, glaub' ich, nicht viel über ein Dutzend die beiden Bände füllten, worüber denn auch, wie mir Zimmer hernach erzählt, drei Setzer toll geworden und Reißaus genommen. Um der Widerspenstigkeit willen behielt ich das Ende, nicht viel über ein Quartblatt, hier, mit der Notiz hinten dran: Beschluß folgt. Die Erwartung, noch einmal vier solcher Bogen kommen zu sehen, die den halben Jahrgang mit ihren langen Beinen einnahmen, sollte durch Schrecken mild machen, so daß, wenn hernach das Quartblatt in aller Demut angezogen käme, die Aufnahme keinen weitern Widerspruch erführe. Mir sind diese kurzen oberflächlichen Rezensionen in den Tod verhaßt, und diese da ist mir noch viel zu kurz. Ich habe nun noch keine Nachricht seit sechs Wochen von dem Bandwurm, dessen letztes Ende noch in meinem Leibe steckt, das ich erst in einiger Zeit von mir geben werde, und muß also mit neuen Abflatungen bis nach den Ferien verziehen, wo ich ohnehin auch mehr Zeit gewinnen werde...

Leben Sie wohl!

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Dem andern Bruder.

Acht Tage bin ich an dir Fortsetzung des gegenwärtigen Briefes durch die Krankheit eines meiner Kinder gehindert worden; da diese nun vorüber ist, fahre ich fort, wo abgelassen. Ich hatte den Raum in zwei gleiche Hälften abgeteilt, um damit auszudrücken, wie Sie mir beide gleich wert geworden; ich habe mich indessen über die Grenze ganz unbewußt hinausgeschwatzt, und da weiß ich außer der Erklärung des Ganzen zum Gemeingut nicht andern Rat, als kleinere (Monpareille-) Schrift auszuwählen.

 

Fürs erste habe ich Ihnen für Ihr liebes Buch noch einmal Dank zu sagen. Ich habe es mit ungemeiner Lust und großem Ergötzen schon beinahe zum zweiten Male durchgelesen, und werde noch öfter darauf zurückkommen. In der Tat, welche Mühe Sie auch darauf gewandt: wenn Sie innerlich sehen könnten, mit welchem Wohlgefallen das Werk mich angelacht, Sie hielten sich dafür belohnt. Denn man rührt die Tasten doch immer ja nur um des Tones wegen und rechnet die Ermüdung nicht gegen die Wirkung auf. Es ist so was Treffliches in allen diesen Liedern, so was Ungemachtes, nur Aufgesproßtes und frisch Grünendes, daß einem gar nicht anders zumute wird, als wenn man neue noch nicht gesehene Blumen auf ihrem Stengel aufgehen sieht und man immer von neuem über die unerschöpfliche Bildungskraft sich wundert und die vielen Formen, die vorübergehen, jede so fertig, als ob sie die einzige wäre. Darum ist mir auch nichts verhaßter an der Zeit als die Erstorbenheit, mit der sie dergleichen aufnimmt; ich möchte sie lieber wie die Kinder wissen, die über jede neue Frucht aufjauchzen. Statt dessen sitzen sie an ihren Tischen vor ihren Brühen und Ragouts und miserablem Geschlappe: abgefressen, ekel, rülpsend, mit dem Zahnstocher in der Hand, und ziehen gähnend so langweilige Gesichter, daß man sie selbst den gebratenen Spanferkeln zum Fraß vorwerfen möchte, nur damit sie von der Marter kämen. Ich habe dabei empfunden, daß ich noch frisch und grünend bin, und daß mir keine Faser für dergleichen schlapp geworden ist, und darum höre ich zu Ihnen und Sie zu mir. Die Lieder stehen mir wie lebendig und meinesgleichen um mich herum, und wenn ich sie in mir durcheinander klingen lasse, dann kommt mir vor, als sei ich selbst eine Orgel, und die Jahrhunderte zögen über diese Tastatur dahin, und trieben fortschreitend alle diese Gesänge in der vox humana hervor. Auch nicht eines in der Sammlung möchte ich gerne vermissen. Mich ergötzt gar sehr der Anlauf, den so viele nehmen, und der Schnalzer, mit dem sie beginnen. Es ist gerade die Figur, die im »Tristram Shandy« der Kaporal Trimm mit dem Stöckchen in der Luft beschreibt, nur daß die Linie hier häufig mit dem Schwert gezogen wird ...

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An Buchhändler Fr. Chr. Perthes, Hamburg

Koblenz, am 11. März 1812.

Ich konnte wohl denken, daß Sie die »Edda« unter den jetzigen Umständen nicht annehmen würden, ich wollte indessen Grimm zu willen sein. Der Wassertropfen wird mit jedem Tage kleiner, und die Fische darin schnalzen und schnappen erbärmlich nach Luft. Daß Papier wieder zu Lumpen werde, oder doch die damit handeln, darauf studiert alles. Bricht vollends der neue Krieg erst aus, dann werden alle Bücher in Patronen verschossen. Mich soll nur wundern, was die Deutschen anfangen, wenn sie nicht mehr schreiben können und was für Surrogate für diese künstliche Taubstummheit erfunden werden. Es ist wahr, wenn sie sich an das ernstlich machen wollten, was einmal schon da ist, sie hätten noch auf lange zu tun, und um einen größten Abschnitt der Literatur, die nur in einer gärenden, um sich kreisenden, nicht fortschreitenden Bewegung ist, wäre es eben nicht schade, wenn ihr auf einige Zeit Einhalt geschähe. Aber die fortschreitende läßt sich eben nicht davon absondern, und gerade sie wird am ersten und meisten bedrängt. Daß bei Ihnen die Armut am ersten fühlbar wird, wo der Reichtum am größten war, ist sehr glaublich, was die See in der Flut gegeben, hat sie auch in der Ebbe wieder mitgenommen, und so bleibt der nackte Letten allein zurück. Wir sind hier schon mehr aufs Feste angewiesen, und doch sind wir arm genug und von unseren alten Federbetten nachgerade auf Strohsäcke herabgekommen. Doch nimmt die Armut nur in den Städten zu, auf dem Lande vielmehr der Wohlstand. Überhaupt, nachdem in Europa der Adel zuerst geblüht, dann die Städte, scheint jetzt das Bauernregiment gekommen zu sein, aus dem sich dann vielleicht ein neuer Adel regeneriert.

Ich habe das erste Heft von Schlegels Zeitschrift gelesen, im allgemeinen schließt sie sich an ihr Museum an, im besonderen hat sie einen andern Lokalgeist, man riecht die Seeluft nicht und sieht keine Dünen. Im großen und in der guten Gesinnung wird sich am Ende bei beiden wenig Unterschied zeigen, was freilich gerade im Lande gewachsen ist, Collins Gedanken, bedeutet nicht sonderlich viel, es ist meist eingebrachte Sämerei, und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Menge dort die Feder handhaben lernt. Schlegel hat mir nicht zur Teilnahme geschrieben, ich deute ihm das nicht übel, wenn es auch absichtlich ist, wir gehen in unseren Ansichten im einzelnen so weit auseinander, daß er wohl recht daran hat, sich seinen eigenen Kreis abzuschließen und ihn nicht durch fremde Richtungen durchkreuzen zu lassen. Freilich könnte ich ihm in meinem Kreise ganz ungehindert Stimme verstatten, aber das Ausschließliche ist eben allem Positiven durchaus notwendig.

Mein Schwager hat die Exemplare seines Buches über den Code Napoleon erhalten, und er dankt Ihnen dafür, er ist mit der Übersetzung recht wohl zufrieden.

Was mein Buch angeht, so dürfen Sie darum vorderhand noch nicht in Furcht stehen. Der Schah Nameh, dieser alte Ardennenwald von viel hundert Tagreisen Länge hat mir bisher so viel zu schaffen gemacht, daß ich noch wenig daran gedacht habe und schwerlich vor dem nächsten Winter werde darangehen können. Das wird Ihnen recht sein und dem Buche nicht schaden.

Leben Sie recht wohl, und behalten Sie mich lieb.

*

An Jakob Grimm in Kassel

Koblenz, am 27. Januar 1813.

Ich habe alles, was Sie mir gesendet, gar wohl erhalten und muß Ihnen vielen Dank wissen für die mannigfaltige Freude, die es mir gemacht ...

Dann sind die Kindermärchen, von meinen Kindern mit verlangen erwartet, nachgekommen und seither nicht ihnen aus den Händen zu bringen. Mein jüngstes Mädchen, Arnims Patchen, weiß schon viele der Erzählungen, und besonders die mit Reimen, zu erzählen. Mein älteres hat sie schon in der Stadt unter die Kinder gebracht, und schon drei Tage nach der Ankunft des Buches kam ein Bube, um das Buch, wo vom Blutwürstchen und Bratwürstchen stände, zu leihen. Abends mußte meine Frau immer sieben vorlesen, und nach dem Eindruck zu urteilen und der immer anhaltenden Aufmerksamkeit, hat sich alles, wie auch natürlich, gar wohl bewährt. Sie haben Ihren Zweck vollkommen wohl erreicht, und in der Kinderwelt sich einen Denkstein gelegt, der nicht zu verrücken sein wird. In der Tat haben Sie gar wohl recht, ich hätte nicht geglaubt, daß so viel Gutes noch übrig wäre; es ist eben, daß viele Jahrhunderte dazu gehören, etwas das von viel Tausenden bewahrt wird, zu verzetteln. Darum glaube ich jetzt, daß wirklich nicht so gar viel verloren ist, als man wohl glaubt. Es geht hier auch wohl manches um; ich komme indessen selten in die Kreise, wo dergleichen zu holen ist. Ich will aber sehen, ob ich einiges für Sie auftreiben kann. Sie werden wohl noch von vielen Seiten mehr erhalten; denn ist einmal der Anfang zu solchen Raritätensammlungen gemacht, dann schleppt alles weiter zu ...

Ich muß schließen, weil derjenige, der den Brief über den Rhein schaffen soll, neben mir steht. Halten Sie sich wohl.

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An Freiherrn vom Stein

Koblenz, 30. Januar 1808.

E. Exzellenz erhalten beiliegend eine kleine Schrift, die eben die Presse verlassen.Die Adresse der Stadt Koblenz. Siehe Pertz, Leben Steins, V, 181. Da sie alle Hunde loslassen und die aus allen Löchern hervorbellen, so habe ich wohl auch endlich mein zweijähriges Stillschweigen brechen müssen. Daß ich es in würdiger Art getan, davon werden E. Exzellenz beim Durchlesen sich überzeugen. Ich habe mitunter scharf geschnitten, wo die bösen Schäden liegen, das läßt sich nun einmal nicht anders geben. Die Audienz ist mir besonders von der Seite interessant gewesen, weil ich dem Staatskanzler dabei in ungewöhnlichen Verhältnissen, wo die allgemeinen Redeformeln bald zu Ende gingen, zugesehen, wie die Gedanken sich bei ihm bildeten, und mich dabei überzeugen konnte, daß er die Notwendigkeit einer andern Ordnung der Dinge fühlt, und darüber seine Partei genommen, aber bei der Ausführung von allerlei Sorgen, besonders der entgegengesetzten Parteien wegen sich erschrecken läßt, und darum immer noch nach dem Mittelwege sucht. Der Knoten wird inzwischen doch endlich zum Brechen kommen; hat Österreich, das gegenwärtig seinen Anfall hat, diesen erst überstanden, dann wird sich wohl die Sache zurechtlegen, da der Mensch einmal nicht durch Mauern und Wände kann. – In meiner Angelegenheit ist nun auch vorgestern entschieden worden, und es ist mir lieb, daß dieser böse Stein des Anstoßes für die Meinung endlich weggeräumt worden.

*

An Adam Müller

Koblenz, 16. Mai 1818.

Für Ihre wohlmeinende SchriftAn den Sprecher der Stadt und Landschaft Koblenz. Von Adam Müller. Leipzig 1818. und die frühe Mitteilung derselben danke ich Ihnen aufs verbindlichste, und verdanke Ihnen gern den wohltätigen Eindruck, den Sinn und Weise Ihres Tadels auf mich gemacht, und dazu das geistige Wohlgefallen, das eine in sich zusammenhängende, durchgeführte religiöse Ansicht der Verhältnisse, die den Geist jetzt am allermeisten beschäftigen, gewährt. Man kann hier sehr verschiedener Ansicht sein, aber das Streitende findet in jener durchgehenden inneren Einheit auch sein Einendes, und so wird der Streit nicht eine Tierhetze, wie jetzt das meiste Öffentliche, sondern eine edle, anständige Geistesübung. Alles auf eine Wurzel zurückbezogen, möchte wohl der Grund der Verschiedenheit unserer beiderseitigen Ansichten darin liegen, daß Sie das Christentum für Religion, ich aber für eine Religion, aber freilich Gipfel und Mitte und Geist und Seele aller andern, nehme. Darum ist mir der Dienst der Urwelt das kindliche Christentum, das Judentum mit den Mysterien des Heidentums seine Jugend, die in vielen, oft sehr exzentrischen Bahnen sich versucht, endlich das eigentliche Christentum die Reife, die aber, wie alles großartig Historische, seinen Phönix, aber keinen absoluten Schluß und Ende hat. So gewinne ich Raum vorwärts und rückwärts, um auch das unterzubringen, was ja Gott selbst nicht verurteilen muß, weil er es mit Wohlgefallen geduldet, da alles Böse immer von ihm zunichte geworden ...

Ihr ergebenster J. Görres.

*

An Jakob Grimm

Koblenz, 23. Mai 1819.

Erst gestern habe ich Ihr BuchDer erste Band der »Deutschen Grammatik« erschien 1819; der folgende Band erst 1826. mit dem Briefe vom 13. März enthalten, und ich danke Ihnen aufs beste für die Mark guten lötigen Goldes, die Sie mir darin geschenkt. Ich erstaune über den großen, unermüdlichen Fleiß, der auf jeder der siebenthalbhundert Seiten zutage tritt, aber es freut mich am meisten daran, daß Sie mitten in dem gelehrten Wüste den Sinn so frisch, das Leben so gesund und den Geist so klar erhalten haben, so daß alles, was Sie verarbeitet haben, Ihnen nicht, wie so gewöhnlich in Teutschland, zu einem gelehrten Schmerbauch geworden, sondern zu einem kräftigen, geschmeidigen, wohlproportionierten und mit einer Idee beseelten Leibe, in dem jedes Glied lebt für sich und das Ganze in allen. Dergleichen ist allein noch der Mühe wert zu schreiben, und es kann einem auch allein Freude machen, da wohl schon ganze Messen vergangen sind, ohne daß ich in eins der erschienenen Bücher hineingesehen ...

Wohlgefallen hat mir Ihre Zuneigung an Savigny, die nicht in ausgesuchten Feiertagsworten Sermonen hält, sondern ein stilles vertrauliches Gespräch nur laut vor der Welt zu Ende redet. Gefreut hat mich, was Sie in der Einleitung über das Bemühen sagen, die Muttersprache in der Schule zur gelehrten umzuzerren. Ich habe noch jetzt mein Wohlgefallen daran, daß ich in der Schule nie mit einem Auge in den Gottsched und später in den Adelung gesehen; es kam mir gar zu abgeschmackt vor, noch mal aus dem Buch zu lernen, was ich schon könne, und ich band einmal im Zorne meinen Gottsched, der vielen Pönitenzen wegen, die er mir zugezogen, an einer Schnur ans Bein und schleppte ihn so hinter mir über die Straße zur Schule, wo er denn mit jämmerlich zerfetztem Lederkleidchen ankam. Jetzt machen sie's noch toller und lehren die Kinder, wie sie das Maul stellen sollen, um die Buchstaben, die sie längst schon mit Worten und Wortstellung können, hervorzubringen ...

Setzen Sie Ihren alten Konstitutionskrämer auf die Seite und kommen Sie herüber zum Rheine. Bis zum Herbste wachsen dem seßhaftesten Vogel die Flügel wieder, und in weniger als einem Tage fliegt ein Kranich herüber die vierzig Stunden. Da die Brüder in der Regel miteinander arbeiten, so könnten sie auch einmal miteinander reisen und einer dem andern beim Müdwerden den Schnabel auf die Schultern legen. Es ist dieses Jahr besonders gar zu schön am Rheine.

Gott befohlen für diesmal! Ihr

J. Görres

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An Adam Müller

Koblenz, am 19. September 1819.

Zum Danke für Ihre neuliche Schrift sende ich Ihnen beiliegend die meine,Deutschland und die Revolution. Teutschland [Koblenz] 1819 auch ein offener Brief an alle, die es wohl mit dem Vaterlande meinen. Daß ich Sie unter diesen begreife, werden Sie leicht aus dem Inhalt sehen. Sehr scheu geworden gegen die vielfältige Sophisterei in dieser Zeit, habe ich wohl scharf zugesehen, aber wer so lange in der Minorität tapfern Mutes steht und durch alles Schnödetun des Parteigeistes sich nicht erzürnen noch zur Empfindlichkeit reizen läßt, der kann nicht durch Eitelkeit, sondern allein durch eine gute und starke Überzeugung getrieben werden, und die muß man ehren und hochhalten, wenn man sie auch sonst in wesentlichen und unwesentlichen Dingen nicht teilt, wie wir in unsern Ansichten zueinander stehen, wird Ihnen nun aus der Schrift in den Hauptsachen klar werden, und ich brauche nicht noch zu schreiben, was schon gedruckt ist. Ich habe die Blätter schnell in etwas mehr als vier Wochen niedergeschrieben und fern von jeder Absichtlichkeit mich darin gehen lassen, wie der Geist eben trieb; Sie werden also leicht und vollständig darin erkennen, wes Geistes Kind ich bin. Die Zweideutigkeit, die Sie an mir getadelt, wird Ihnen nun vollkommen klar werden als eine solche, die nicht etwa aus einer dummen Weltklugheit bei mir hervorgegangen, sondern aus einer natürlichen und geschichtlichen Notwendigkeit, indem im Grunde jener Janus, der sonst nur an der Spitze der Geschichte steht und nach zwei Zeiten schaut, auch bei jedem großen Zeitabschnitte und jeder wahren Epoche wiedergeboren wird, die menschliche Natur aber in irdischen Verhältnissen sich von jener Dichotomie nie lossagen kann. Ich glaubt, daß sie meiner Grundansicht nichts Erhebliches entgegensetzen werden; in der Ausführung tritt das Menschliche mit seinen Irrtümern und Täuschungen ein, und da sieht immer der eine, was dem andern entgangen; darum ist im Geisterreiche ein jeder eines jeden bedürftig.

Ich habe Ihre Schrift mit Vergnügen gelesen und bin ebenfalls in der Grundlage mit Ihnen einverstanden und halte die Religion an sich für eine in demselben Verhältnis gründlichere Basis der Verfassung, denn der Besitz je sein kann, als der Himmel höher denn die Erde ist. Aber zu diesem Zwecke muß die Religion Mensch werden, und dann ist sie ans Zeitliche gebunden, und nun kann sein, daß sie so tief gebunden wird, daß wirklich für den Augenblick das schlechtere Prinzip das Bessere ist, aber freilich, wie es Gott eben eingerichtet hat, als Werkzeug zur Entkettung dieses Besseren führend. Das finden Sie im Buche, ist aber eben kein Einwand gegen das Ihrige, das allein nur ausspricht, was sein sollte.

Etwas verwundert hat mich an einem geübten Denker die naive Freude über gewisse einfache wiedergefundene Grundsätze und der Glaube, daß es bei dieser Einfachheit nur sein Bewenden haben werde. Wenn ein künstliches, in der Überbildung gänzlich verschraubtes und verrücktes System einmal lange Zeit die Welt gedrückt, dann hält man es allerdings für eine wichtige Entdeckung, wenn man die großen einfachen Grundfesten wieder in der Tiefe entdeckt, auf denen das Ganze ruht, und vergißt, daß, wenn darauf wieder etwas gegründet werden soll, doch das Zusammengesetzte wieder sein Recht behauptet und es bei einigen Zahlwurzeln nicht sein Bewenden haben kann. Im Grunde war das auch einer der Irrtümer Luthers. Alles das verschlägt aber nichts, wofern nur aufrichtigen Herzens dabei gehandelt wird.

Ich wünsche, daß es Ihnen wohl ergehen möge.

Ihr ergebenster
Görres.

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An Creuzer

Straßburg, Pfingstmontag 1822.

Alles ist durch Schweighäuser wohlbehalten angekommen, und ich muß nun vielen schönen Dank für die reichliche Bescherung wiedergeben, da ich diesmal vorderhand noch mit leeren Händen stehe. Das sind nun wieder so viele Bände, die alle wollen gelesen sein; die Haare stehen mir zu Berge, wenn ich nur um mich blicke, was der törichte Mensch nicht alles in das kleine enge Leben zusammendrängen will! Da ist die hiesige Bibliothek achtzigtausend und mehr Bände stark, wovon mich freilich das meiste jetzt nicht angeht, aber der Rest, welch ein Meer! Ich schwimme und schwimme und komme immer nicht ans Ende, und je mehr ich dieser Hydra Köpfe abhaue, um so mehr wachsen ihr nach. Und bin ich durch, dann ist erst der kleinere Teil zurück; ich habe schon außer dieser ein Dutzend andere Bibliotheken durchkrochen und müßte noch ein anderes Dutzend dazu setzen und käme doch nicht an Paris vorbei. Nun hat man, ist sich durch alles durchgefressen, immer noch nichts als Schutt und Steine und selber wieder eine beinahe unbezwingliche Masse, über der man sich mit der äußersten Anstrengung kaum schwebend und schwimmend oben erhalten kann. Das sind die Peinen und die Nöten und die Übel des historischen Studiums, nicht zu reden von dem Trümmerhaften, Verwitterten und Fragmentarischen in allem, was man anfaßt, wäre das nun noch alles; wie man sich aber hinsetzt zum Werke und in die Vergangenheit hinab will, kommt die Gegenwart und guckt zu allen Fenstern hinein und klopft an allen Scheiben, poltert und lärmt und ruft, hat nun dies und dann wieder das zu bestellen und auszurichten. Diese verfluchte Politik, die alle Tage mit zwanzig Zeitungen und zwanzig Monatschriften und unzähligen fliegenden Blättern hält, die man anriechen wenigstens muß, um im Laufe der Begebenheiten sich zu halten. Man muß sich vielen Verstand zutrauen, wenn man nicht fürchtet, darüber zum Narren zu werden. Doch hoffe ich nicht, einer zu werden, denn ich lasse mich gar nicht verwirren und blicke immer klar in den Lärm, und lasse mich's doch nicht mehr anfechten, als recht und billig ist, und lasse eben ganz ruhig vorüberrauschen, was ich nicht fassen und halten kann...

Wir leben hier ruhig und still mitten im Getümmel der volkreichen Stadt unser Leben so fort, und es läßt sich in der grünenden Umgebung in diesem nicht genug zu preisenden Frühling ganz wohl aushalten, und es mindert das Angenehme keineswegs, daß ich fünfzig Stunden Wegs von unsern brutalen dummen Herren bin und von dem Ärger und Ekel, den ihr Tun und Treiben jedem Menschen von gesunden Sinnen einflößt, wie ich den Rhein fließen lasse und die Wolken ziehen, so lasse ich die Begebenheiten auch ihren Gang hingehen und tue, was meines Amtes ist.

Frau und Kinder und ich selbst grüßen aufs beste in Ihr Haus hinein, das ich diesmal nicht weiß, wo suchen soll. Steingaß wird Ihnen sonst von uns erzählen, was Sie wissen wollen. Ihr

J. Görres.

... Voß schweigt nun, da Sie ihm nicht geantwortet, und das ist die allerbeste Weise, diese Leute zum Schweigen zu bringen. Überzeugt wollen sie nun einmal nicht sein, man bemüht sich also von dieser Seite ganz vergeblich. Soll man nun sich mit ihnen schlagen und schimpfen, soll man ihre eigenen Gemeinheiten und Klatschereien mitmachen? Mich soll sicher keiner herauskriegen; ob sie mich schimpfen, ob sie mich loben, ich sehe nicht süß noch sauer dazu, es ist mir ganz wie das klare geschmacklose Wasser. In der Zeit, die ich da verzanken würde, mache ich etwas andres, das sie aufs neue in Harnisch jagt, so daß sie über den zweiten Zorn immer den ersten vergessen. Damit kommt man am allerbesten durch. Vollends Voß – noch ein Jahr und ein Tag und eine Stunde wird's dauern, wo er auf ewig schweigen muß; bis dahin lassen Sie ihn in seinem Turm und bei seinem Groll immerhin allein.

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An Jakob Grimm

Straßburg, 20. August 1822.

Arnswald hat mir Ihren Brief gebracht und ist dann weiter, seinen letzten lustigen Ausflug ohne Zaum und Sattel machend; bei der Heimkehr wird ihn sein Vater wohl ins Geschirr spannen, aus dem er erst alt und lebenssatt wieder herauskommt.

Sie haben wohl recht vermutet, daß ich in der Schweiz und anderwärts so heiter leben möchte als in Koblenz. Ich bin in der Tat kein Gegenstand des Mitleids; ich habe dieser Sache wegen noch keine verdrießliche Stunde gehabt, und es hat mich nichts im ganzen und großen gereut, was ich getan. Das macht nun, weil ich eben einen guten Hinterhalt habe und ein gutes Gewissen und eine gänzliche Unbekümmertheit um das Urteil der Welt, das nicht die allermindeste Macht hat über mich, und eine natürliche Stimmung, für die ich Gott nicht genug danken kann. Darum habe ich meine letzten Bücher, wie Sie richtig bemerkt, auch gar nicht in persönlichem Zorn geschrieben, nur in ethischem über die unsägliche Verkehrtheit, wenn die Ansicht der Gegenwart herb geworden, so ist es, weil sie außer dem Kreis der bloß historischen Betrachtung fällt. Hätte ich bloß historisch über sie wie über die Vergangenheit geurteilt, dann wäre das Urteil auch wohl milder ausgefallen; aber so will man noch etwas von ihr, und so muß man mit Fäusten und Rippenstößen um sich schlagen, besonders wenn man Teutsche vor sich hat.

Ich habe mich damit wieder eine Zeitlang von der verfluchten Politik losgekauft und bin darauf wieder zur stehenden Arbeit zurückgekehrt ...

Was Sie mir schicken von Ihren Sachen, wird mir lieb und wert sein. Mein »Europa« muß, nach Ihrem Briefe zu urteilen, Metzler an Sie zu bestellen vergessen haben; Sie haben sie also noch zugute, wenn Sie mir schreiben, können Sie es unter der Adresse von Handelsmann Rolle tun. Wenn Sie den Brief nicht durch die Post erhalten, so ist es Herr Bercht von hier, der ihn bringt; wenn Sie ihm während seines Aufenthaltes in Kassel mit etwas behilflich sein können, so tun Sie es doch. Viele Grüße von uns allen ins Haus, an Wilhelm und den Maler und Sie selbst. Gott befohlen.

Was machen denn Arnim und Brentano? Ich habe lange nichts mehr von ihnen gehört.

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An Jean Paul Friedrich Richter

Straßburg, 26. August 1822.

Mit demselben Express, der mir Ihre freundlichen Zeilen gebracht, sende ich Ihnen die nachfolgenden zur Antwort, wie der Bote hier aufgenommen worden, wird er Ihnen selbst erzählen; es ist das echte fränkische Blut, das zählen wir am Rhein unten noch zu dem unsrigen und verfahren demgemäß.

Ich bemerke nicht ohne einige Genugtuung, daß Ihnen Ihr Gewissen noch so spät Vorwürfe macht, daß Sie damals am Rheine vor der Pforte umgekehrt.Als Jean Paul 1817 und 1818 in Heidelberg war. Ihr Gewissen hat recht, löblich war's keineswegs und niemand leicht zur Nachahmung zu empfehlen. Ich hätte Sie damals geladen, aber wer sollte denken, daß ein Dichter im dritten Buche der Odyssee ohne weiters ablassen würde. Für den Pudel war keine Not, ich hätte schon auch für Scherereien sorgen können. So frisch und wohl treffen wir nun schon nicht mehr aufeinander, wenigstens in meinem Hause nicht sobald. Dazu müßte der Unverstand erst wieder zu Verstande werden, und das will Zeit und Weile haben in Teutschland, weil's eben gegen den Strich anläuft; das Gegenteil geht schon leichter vonstatten. Da Sie mich allzu fest und nahe an den vaterländischen Boden binden wollten, habe ich schon die Weite suchen müssen, aber ich habe mich wohl gehütet, mich erbittern zu lassen, und so laufen die schmutzigen Wässer an mir vorüber, bis sie abgelaufen.

Es freut mich, daß meine letzten politischen Schreibereien bis zu Ihnen gelangt und daß Sie einigen Gefallen daran gefunden. Wenn's eben innen überkochen will, dann stelle ich ein Gefäß unter, und dann läuft's zu einem solchen Buche voll, in der Regel zum Verdruß der meisten Leute, da ich einmal die bescheidene Selbstschätzung der gegenwärtigen Generation und ihre Selbstkomplimentierung nicht so recht von ganzem Herzen mitmachen kann. Sie selbst sind, wie Sie sagen, in vielem nicht meiner Meinung; das verschlägt nichts. Die Überzeugungen der Menschen gehen wie die Cartesianischen Wirbel miteinander und gegeneinander ohne Schaden, sind sie nur in einem und im wichtigsten eins. So habe ich in religiösen Dingen nach reiflicher Erwägung für besser gefunden, an dem alten Baue, dessen Grundfesten vor so manchen Jahrtausenden noch vor der ersten Monarchie gelegt wurden, fortzubauen, als auf eigene Faust aus Stroh und Goldpapier ein eigenes Schwalbennest bloß auf die Leibzucht zu bauen, das in der stürmischen Witterung wenig gehäuglich ist. Sie sind darin wohl anderer Meinung, und ich habe für jede redliche Überzeugung Platz. Daß wir in Bezug auf Katholizismus und Protestantismus nicht eines Glaubens sind, hätte ich es früher nicht gewußt, hätte ich es zu Anfang des Jahres im »Morgenblatte« leicht sehen können, wie der laute, lärmige, anmaßliche jüngere Bruder vom älteren, stilleren zu urteilen und zu reden seit lange gewohnt gewesen, indem er ihn für dämmerlich, schläfrig, sinnlich und zu allerlei Aberglauben geneigt erkennt, gibt sich auch dort ziemlich deutlich kund. Es war mir, da ich sicher war, daß hier keinerlei Arg oder Falsch zum Grunde lag, bloß psychologisch interessant zu sehen, wie ein Mann, der sonst Systeme, Theorien, Menschen und ihre Werke mit einem ruhigen, milden, sichern Auge wägt, doch gerade in diesem Punkte es nicht zur Unbefangenheit gebracht. Das war auch bei Herder der Fall, besonders in seiner letzten Zeit, wo mancherlei Trübung in ihm aufgestiegen; er in allem Menschlichen und Geschichtlichen verlässiger und sicherer Leiter, war mir hier doch kein Fuß, weil er seine innerste Überzeugung darüber eigentlich nie so recht ausgesprochen. Jacobi aber habe ich vor Hamann zu ängstlich wanken und schwanken sehen, als daß er mir eine Autorität sein könnte. Ihr Aufsatz am Ende, wo es aus dem Herzen überquillt, hat das Rechte, wie in solchen Fällen immer, getroffen, und in diesem Ende sind wir beide untereinander und mit Herder und Jacobi eins, da ein Gott wie eine Sonne über alle scheint.

Behalten Sie mich in Ihrem Andenken, wie ich immer im meinigen Sie lieb und wert behalte. Ihr ergebenster

J. Görres.

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An Liesching

Straßburg am 5. September 1822.

Sie haben mir in Ihrer jüngsten Zuschrift in wenig Worten offen und frei Ihre Grundsätze und die Gesinnungen und Ansichten, die Sie bei Ihrem UnternehmenDes »Deutschen Beobachters«, welchen Liesching seit dem 1. August 1822 herausgab. Vgl. Eos. 1831. S. 23. leiten werden, auseinandergesetzt. Ich muß das zweifach löblich und rühmlich finden, erstens darum, daß Sie in einer Zeit, wo alles in halber Lauheit schwimmt und man bei den meisten Menschen den Hintern nicht mehr vom Gesichte unterscheiden kann, eine bestimmte Partei ergriffen, und zum Andern, daß Sie mir diese wieder nicht etwa in ähnlicher Halbheit und Dämmerlichkeit vernebelt, sondern mir, wie sich unter Männern ziemt, Ihres Herzens Meinung geradehin gesagt. Da beides auch gleich sehr meine Weise ist, so will auch ich Ihnen meine Gesinnung geradehin und in möglichst wenigen Worten offenbaren. Meine Überzeugung ist nämlich in allen Dingen, die Sie berührt, geradeswegs das Gegenteil derjenigen, die Sie mir als die Ihrige vorgelegt, und ich teile darin nichts mit Ihnen als die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit der Gesinnung, was freilich eine Hauptsache ist. Ich bekenne mich nämlich, um's mit wenigem zu sagen, mit entschiedener Vorneigung zum politischen Idealismus wie zu jedem andern; Ihre ist aber im Gegenteil auf einen derben Realismus gestellt. Ich halte also keineswegs die demokratische Form für die allein vernünftige, vielmehr für ganz unvernünftig, ob ich ihr gleich darum die Verständigkeit nicht abspreche. Ich halte keineswegs dafür, daß dem Volke allein ausschließlich Rechte inhärieren; seine Pflichten, die niemand ableugnen kann, deuten auf eine andre Rechtsquelle, die außer ihm ist und deren Fassung ich nun allerdings in die Fürsten lege. Verfassungsverträge, vermittelt zwischen den Organen der höchsten Gewalt und dem Volke und von der Autorität sodann sanktioniert, halte ich mitnichten für nichtig und unsinnig, sondern für völlig gesetzlich und verbindlich. Ich leugne keineswegs, daß nicht der Fortschritt der Kultur seit einem Jahrhundert und länger gegen die Demokratie hingeführt; ich glaube aber, daß wie die Magnetnadel, wenn sie zur äußersten Abweichung gekommen, wieder rückgängig, so auch in unserer Zeit der Punkt der höchsten Ausweichung entweder schon erreicht oder wenigstens nahe ist, und daß alsdann eine gewisse Kompensation eintreten wird. In Hinsicht auf das Kirchliche halte ich dafür, daß die Kirche keineswegs dem Staate und seinen Interessen untergeordnet, sondern dieser vielmehr in ihr, als ein Organ ihrer höheren Zwecke dienen soll, und ebensowenig kann ich den Gegensatz der Konfessionen für einen nichtigen erklären; er ist mir vielmehr in der gegenwärtigen Zeitenlage ein durchaus notwendiger und darum durch die Vorsehung herbeigeführt. Auch will ich keineswegs, daß die Religion in den Schmollwinkel des Herzens eingesperrt werde, sie hat wohl nach außen gar viel zu bestellen, und ich gönne der Kirche neben dem Markte auch eine geräumige Stelle.

Sie sehen, daß unsere Überzeugungen schnurstracks widereinander gehen. Ich habe nichts dagegen, daß die Ihrige sich öffentlich und unverhohlen ausspreche, es wird von der anderen Seite so viel Unvernünftiges geredet und noch mehr getan, daß, wie man böse mephitische Dünste durch scharfe Säuren sättigt, so es auch hier luftreinigend und heilsam sein muß, diese Ansichten hier verflüchtigen zu lassen. Aber ich gebe Ihnen zu bedenken, wie untunlich es ist, daß so verschiedenes in einem Blatte sich vertrage. Ich müßte, um nicht das Ansehen zu haben, als ob ich einer mir fremden Überzeugung fröne, gleich damit anfangen, mich scharf und klar darüber auszusprechen; damit aber wären Ihre Zwecke und Überzeugungen hintangesetzt, und es träte in Ihr Werk die nämliche Verwirrung und Haltlosigkeit, wie's eben in allen Dingen und am meisten im öffentlichen Heben herrscht. Dann ist es besser, daß Sie, ungeniert von meiner Denkweise, sicher und bestimmt auf Ihrem Wege gehen, um so mehr, da Neigung, Lebensgewohnheit, Beschäftigungen und Verhältnisse mir es untunlich machen würden, mich auf eine ständige Mitwirkung zu verpflichten. Es ist mir leid, daß wir gleich beim ersten Begegnen in so verschiedenen Richtungen einander treffen; da ich Ihre Entschiedenheit achte und Ihren Vorsatz ehre, so hätte ich lieber zum Gelingen Ihres Vorhabens auf positivem Wege mitgewirkt als auf dem negativen, den ich aus den entwickelten Gründen für den besseren halten muß.

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An S. Boisserée

Straßburg, 15. September 1822.

Meinen besten Dank für die Zeilen vom vorigen Monat; man mag es gern, von seinen alten Freunden von Zeit zu Zeit ein paar Worte der Erinnerung zu vernehmen, wie man sie gern von Zeit zu Zeit bei sich einsprechen sieht. Wir dachten seither, das würde sich wohl einmal während unseres Aufenthaltes auf Veranlassung der Pariser Druckgeschäfte fügen, aber es ist eben niemand gekommen.

Wir unsererseits leben hier in der lebendigen Stadt in unserer Weise nun so ruhig fort, und ich muß sagen, daß ich nur ein sehr mäßiges Verlangen nach meinem dumpfig gewordenen Vaterlande fühle, wo ich nichts als Ärger und Verdruß einatmen würde, deren ich mich hier gänzlich entschlagen kann. Da ich mir meine Genugtuung selbst auf eine so gründliche und doch vor jedem innern und äußern Richterstuhl erlaubte Weise genommen, erwarte ich die weitere Entwicklung der Dinge ganz sittsam ab, gar nicht pressiert auf das Ende noch ängstlich auf das Wie harrend. Da ich mich niemals untreuem Grunde anvertraut, fühle ich mich fortdauernd auch jetzt sehr fest aufstehend, und da äußere Zufälligkeiten so wenig, als immer menschenmöglich ist, seither bedeutend auf mich gewirkt, so ist auch meine Stellung auf diesem immer sehr sicher und im Senklot gewesen.

Um mich her sind die Meinigen auch bisher, Gott sei Dank, wohl und im ganzen vergnügt gewesen, und so findet sich alles übrige von selbst. Was nicht unter die unbedeutendsten der Dinge gehört, die mich hier an diesen Ort fesseln, ist der Münster, an dem ich alle Tage zweimal vorübergehe und jedesmal mit neuer Freude und Interesse an ihm hinaufsehe, weil in ihm so vieler Menschen Werk so einträchtig und geschlossen und gewogen auf festem Grunde steht und durch keines einzelnen Menschen Wahnsinn mehr zu bewegen ist. Ich sah vorlängst einmal Kinder oben Seifenblasen machen und sie über die Stadt ausfliegen lassen; ich dachte, es sei ein heutiger Kongreß oben auf der Plattform versammelt, seine Atemzüge in den schillernden Kugeln ausblasend.

Dem Kölner Dom im Bildnis scheint's eben wie dem Original zu gehen, er kann unter den Schwierigkeiten nur langsam rücken. Mich wundert, daß es auch in Paris nicht fördern will; was die sonst angreifen, geht rasch und geschwind, aber es ist eben der ungeheure Schwung und Betrieb, der in allem, was literarisch ist, dort treibt und drängt und durch Amerika wahrscheinlich immer und fortdauernd zunehmen wird...

Tausend Grüße ins Haus, an Bertram und sein Federvieh, an Melchior und an Sie selbst.

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An Fr. Chr. Perthes

Straßburg, am 21. Dezember 1822.

Sie haben in Jahr und Tag nichts mehr von sich hören lassen, sind auch in die Welt hinausgezogen, daß ich nicht recht wußte, wo ein Brief Sie aufsuchen sollte... wenn wir nun aber die verfluchte Wahrheit nicht wollen, wer kann sie uns aufzwingen? Wir speien sie aus, denn die Lüge ist uns nun einmal zu einer anderen Natur geworden, und wir werden erst sterbenskrank, sollen wir auf diese verdrießliche Art gesund werden. Das läßt sich nun hören, ich laß es so gehen, wenn die Herrschaft nicht will, dispensiere aber fort und nehme die Tropfen für mich selbst, wenn andere sie nicht wollen, und sie gedeihen mir nicht schlecht.

Ich habe den politischen Plunder nun wieder auf eine gute Zeit, oder wie ich auch jedes vorige Mal gehofft, auf alle Zeit von mir getan, und ich bin wieder zu dem Treiben zurückgekehrt, das mich seit Jahren beschäftigt. Das ist eine Sagengeschichte der Alten Welt, die alles, was vor der sogenannten Historie bei allen Völkern vorhergegangen, in einem großen Blick umfassen soll. Als eine Art von Prodomus dafür soll womöglich im nächsten Jahr mein Altdeutschland erscheinen, damit ich der Masse des für sie aufgehäuften Stoffes einmal loswerde, und weil die eigene Nation einem doch immer am nächsten liegt. Sie wird unsere Vorzeit, wie ich denke, in einem ganz anderen Lichte darstellen, als das armselige Lampenlicht gewähren möchte, mit dem unsere starre Schulgelehrsamkeit sie beleuchten konnte. Ich weiß nicht, ob Sie noch Verlagsgeschäfte machen, wäre es, dann wollte ich Ihnen das Buch geben, wenn Sie Lust dazu hätten, da Sie doch noch nichts von mir verlegt, als den einen kleinen bogenlangen Aufsatz, wenn aber auch nicht, können Sie mir doch am Buche mitarbeiten helfen an Ihrem Teile. Es ist natürlich darin unter andern auch von den vielfältig verschiedenen Stämmen die Rede, in die sich die eine und selbe Wurzel des Volks in alter Zeit gespalten, und die, wie ich will, noch größtenteils fortgrünen bis in unsere Zeit hinein. Nun haben Sie lange in Hamburg gewohnt und haben das Volk der Umgegend in vielfältiger Berührung kennenlernen. Jetzt wohnen Sie am Thüringer Walde und können, da Sie, wie ich glaube, ein Auge für dergleichen haben, leicht Vergleichungen anstellen. Da wünschte ich nun, daß Sie das Ergebnis in ganz kurzen Worten niederschrieben. Um Hamburg, im alten Bremer Stift, gegen Hadeln bin, in den einsamen Heidegegenden muß noch der alte Cauchenstamm, wenn auch nicht mehr ganz rein, vorhanden sein, doch in seinem Naturell vorherrschen. Drüben in Holstein, an dem niederen Berg- und Heidenzug, der über den Landrücken in der Mitte zieht, müssen noch Reste der alten Sassen ebenso eigentümlich und eigensinnig auf ihrer Natur beharren. Weiter westlich tauchen nun die Friesen auf, auch wieder gesonderter Natur, die ein scharfes Auge leicht herausfindet. Da möchte ich nun, daß Sie für diese drei verschiedenen Stämme in Ihr Gedächtnis niedersteigen und mir aufschrieben, was darin aufbehalten ist, erstens über die abweichende Sinnes- und Gemütsart und die geistige Anlage dieser dreierlei Deutschländer. Zweitens über den verschiedenen Ausdruck, in dem sich diese innerliche Differenz äußerlich kundgibt, an Physiognomie, Zügen, Wuchs, Leibesgestalt, wieder in Sprache, Dialekt und Lied, dann in Lebensart, Sitte, Gewohnheit, Verfassung, weiter in häuslicher Einrichtung, Kleidung, Beerbung, Bauart der Häuser, von der ich womöglich einen Grundriß (befassend Stellung, Scheune, Küche, Wohnung) wünschte. Drittens einigen Ausweis über die Verbreitung dieser Stammeseigenheiten in geographischer Hinsicht. Das wäre ungefähr, was mir Ihr Gedächtnis oder Freundeshilfe beisteuern könnte; aus unmittelbarer Anschauung könnten Sie mir nun noch einen weiteren Beitrag tun, wenn Sie die Augen auf die umgebenden Thüringer werfen und über die einsameren Waldtäler, wo das Eigentümliche sich immer am besten aufbewahrt, die Auskunft von Orts- und Landeskundigen einziehen wollten und mir nun berichten, wie das Volk sich in den angegebenen Beziehungen zu Ihren alten Nachbarsleuten an der Nordsee verhält. Das soll Sie alles nicht unbescheiden eine große Zeit kosten, sondern beiläufig nur Ihre Nebenstunden beschäftigen; was Sie finden, zeichnen Sie mir nur mit wenigen Zügen an, wie man im Vorbeigehen schnell die Skizze eines Bildes nimmt, und ein Blatt wie das gegenwärtige wird leicht alles fassen. Tun Sie mir schon den Gefallen, es wird sich wohl einmal im Leben die Gelegenheit Zu einem Gegendienst ergeben.

Sie haben, wie ich [in] den Zeitungen gelesen, Ihren Prozeß mit Voß verloren. Das ist schon recht, warum fangen Sie auch solche Streithändel mit dem alten Krakeeler an? Was soll mir das, wenn mich jemand einen Mystiker schilt? Was haben sie mich nicht schon alles gescholten, was we[rden] sie mich noch schelten, und was mache ich mir draus? Was frage ich darnach, was mich diese aus dem Bauche herauf loben, die andern mich eben daher schimpfen und anblasen. Ich gehe durch die Tierreihen durch und lasse die Schlangen zischen und die Wölfe heulen und die Katzen fauchen und die Buchmarder schreien und die Kröten spritzen, und wenn mir die Pudel tanzen und apportieren, so lasse ich's auch gut sein und werfe ihnen etwa ein Knochen Wurst in den Rachen. Wäre ich mit jedem, der mich in meinem Leben angeblasen, vor die Gerichte gelaufen, die säßen mir noch an den Prozessen des vorigen Jahrhunderts. Das lasse ich alles auf sich beruhen und gehe ruhig meiner Wege, wo ich schon wieder andern begegne, die ich erzürnen muß, und über dem neuen Zorn wird immer der alte vergessen, ich aber bleibe bei meiner Gelassenheit, und dann lassen sie am ersten ab von mir. So machen Sie's auch und lassen sich nimmermehr irren durch alles, was schwarz auf weiß künftig von Ihnen gedruckt sein mag.

Leben Sie recht wohl, wollen Sie mir antworten, so schreiben Sie mir gradezu unter meiner Adresse her, Elisabethstraße Nr. 33 c, die Post weiß schon Bescheid.

Ihr erg. J. Görres.

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An Creuzer

Straßburg, 4. August 1823.

Sieben Jahre nach München, siebenmal sieben nach Paris: dazu macht man vor allem ein Testament in bester Form, erwartet dann ein Jahr, in dem's nicht heiß ist und nicht kalt, nicht trocken und nicht naß, nimmt ein Fuhrwerk ohne Räder, Pferde ohne Beine, blinde Postillione, und so hat man wirklich gegründete Hoffnung, einmal anzukommen. Das ist ein schlimmes Ding, wenn ein Mensch einmal soviel gelehrten oder andern Ballast geladen; da kann er zu Fuß nicht fort wegen dem breiten Tabulettkram auf dem Rücken, zu Wagen nicht von wegen siebenhundert Schachteln und Repositorien; zu Pferde auch nicht, weil er satteln muß wie ein Kosake, der alle seine Siebensachen unter den Sattel häuft und nun vom dritten Stocke oben heruntersieht, was nicht jeder vertragen kann, der nur einigermaßen zum Schwindel geneigt ist. So wächst denn die gelehrte Leber, da die Füße angenagelt sind, bei dem kühlen schattigen sitzenden Leben immer größer, und es ist ordentlich eine Veranstaltung der heilenden Natur, die rezensierende Adler schickt, um das Überschießende von Zeit zu Zeit wegzufressen, damit der Schmerbauch nicht ganz über alles Maß hinausgeht.

Wäre ich bei der Verfertigung der Welt und Teutschlands zu Rate gezogen worden, dann hätte ich die eine Hälfte dahin gelegt, wo das Ganze jetzt ist, die andere Hälfte aber ins innere Afrika; alle Universitäten müßten doppelt sein und im Herbste alle Professoren mit den Schwalben abfliegen zu den frommen Äthiopen, dort am Sonnentisch speisen und den teutschen schwarzen Mohrenbuben ihre Vorlesungen halten, im Frühjahr aber wiederkommen und die weißen auch mit ihrer Weisheit glücklich machen. Kämen sie auch jedesmal etwas mager an und würde ihrer auch ein Teil auf Malta und den andern heidnischen Inseln eingefangen und abgesalzen, das verschlüge nichts. Die davonkämen, wären dafür desto wohler auf; alle Grillen, fixen Ideen und Einbildungen wären reinauf weggeschwitzt, und hernach könnte jeder wieder nach Belieben den Sommer ausruhen. Ich mache keine Applikation von diesen Sachen; sie sollten nur einen schicklichen Briefesanfang geben...

Schlossers achtzehntes Jahrhundert habe ich auch größtenteils gelesen. Es ist recht frei und rasch, beinahe in etwas zu schnellem Atem hingeschrieben, weswegen die barbarisch vielen Noten mehr noch als in seinen eigentlich gelehrten Werken nachkeuchend beschwerlich fallen. Die wackere ehrliche Gesinnung ist, was mir am besten daran gefällt, die überall meist in untrüglichem Instinkte das Rechte trifft, es auch ohne feiges Bedenken geradeheraus sagt und höchstens mit dem Verstande, aber nie mit dem Willen irrt, wie unser schlechtes, lumpichtes, verzagtes, nichtsnutziges Gesindel im gelehrten Teutschland, das wie Ungeziefer am Baume der Geschichte nagt und ihn kahl frißt, daß er nicht mehr ferner Schatten gibt noch Früchte trägt.

Ich sehe ungern in der Vorrede, daß er den Pariser liberalen Koterien in dortigen Sachen vielleicht zuviel Einfluß in seinem Urteil gestattet hat. Wissen können sie dort die Sache freilich wie kein anderer, es fehlt ihnen auch an keiner der Eigenschaften, die zur Anschaffung des Wißbaren gehören, Geist und Weltverstand und Weltklugheit und Menschenkenntnis, Scharfsinn, Urteilskraft: kurz, die ganze Instrumentalpartie. Aber das Nötigste von allem entgeht ihnen durchaus, eben wie den Ultras, nämlich die Unbefangenheit; sie lassen nur heran, was ihren vorgefaßten Meinungen dient, und ihre Geschichte ist daher ein Freskobild nach den Regeln aus ihrem Standpunkte gemalt, und darum auf ihrem Standpunkte allein richtig und recht, auf allen andern schief. Obgleich sie manches Bessere zu rühren anfängt, ist der ganze Liberalismus vor der Hand nicht viel mehr als Enzyklopädismus, in die Politik übergetragen, wie der Ultrakram ein potenzierter Jesuitismus aus dessen schlechtester Zeit heraus. Mit billiger Rücksicht auf alles, was sie dort mit Recht in Anspruch nehmen, soll Schlosser bei der Fortsetzung sich ja seine Weise nicht nehmen lassen, da er sonst aufgibt, was ihn allein über jene stellt. Grüßen Sie ihn vielmals aufs beste von mir.

Was meine eigenen Sachen betrifft, so kann ich sagen: ich schwimme und schwimme und schwimme; des Schwimmens kein Ende. Seit fünf Jahren arbeite ich ununterbrochen, und der Arbeit wird immer mehr. Es ist freilich von Anfang herein ein verwegenes Unternehmen für einen einzelnen Menschen gewesen, da wohl hundert die Hände voll zu tun hätten, um der Fülle andringender Sachen Meister zu werden, die einen einzigen gar wohl verrückt machen können. Das bedenke ich aber jetzt nicht weiter und schlage mich immer durch, liegenlassend, was ich nicht bezwingen kann, da ich mich nur Menschliches zu leisten anheischig machen will.

Voß hat, wie ich gesehen, wieder einmal das große Nachtwächterhorn geblasen. Diesmal war mir doch das Zeugs zuviel, und es war mir allzu langweilig, da ich im Durchlesen sah, wie's immer der alte Kreis ist, in dem er wie ein blinder Gaul sich immer in die Runde dreht. Ich habe es so gut sein lassen; er mag für die paar Jahre, die er noch lebt, in seinem Turme recht behalten ...

Frau und Kinder von Band eins bis drei sind wohl, und alle grüßen freundlich in Ihr Haus.

J. Görres.

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An Prof. Windischmann

Straßburg, 10. Oktober 1824

Meinen Sohn, den Überbringer dieser Zeilen, wollte ich durch dieselben zuvörderst Ihrer freundschaftlichen Aufnahme empfohlen haben. Da er einige Jahre in Bonn bleiben soll, um seinen Studien obzuliegen, fern genug von mir, um ihn ganz aus dem Auge zu verlieren, so bin ich, ob er gleich wohlgeartet ist, nicht ganz ohne Sorge, wie die neuen Verhältnisse, die ganz außer meinem Bereich getreten, auf ihn einwirken mögen. Zwar hat er an Pugge einen sehr verständigen und besonnenen Freund, der, weil er immer in seiner Nähe bleibt, halbwegs für mich eintritt und mich daher über das meiste beruhigen muß. Indessen möchte es doch wünschenswert sein, wenn ein älterer und mehr erfahrener Freund sich einigermaßen seiner annehmen und ihn wenigstens im allgemeinsten im Auge behalten wollte, soviel das bei einem jungen Menschen tunlich und ratsam ist, der nicht am Leitriemen geführt werden soll wie ein Rind, den man aber doch auch dem Zufalle nicht ganz preisgeben darf. Ich habe Sie bitten wollen, diese Obervormundschaft in der Art bei ihm zu übernehmen, daß Sie seine Wege im Auge behalten, mit dem Interesse, das man einer nicht ganz fremden und gleichgültigen Persönlichkeit zuwendet, und wenn Sie etwa bemerken, daß es seitab geht, nach den Umständen ihn oder mich warnen wollen. Sie werden sich damit keine allzu große Last aufgebürdet haben, denn er ist gut und brav im Grunde seines Herzens, zum Wilden und Ausschweifenden nicht geneigt, dabei fleißig und an Arbeit gewöhnt. Ich habe seine Studien für den Winter so geordnet, daß er historische und philologische Vorarbeiten vorerst in seinem Verlauf beendet und dann, nach gemachter Vorbereitung, die Philosophie beginnt. Er wird Ihnen alsdann die Mühe erleichtern, indem er öfter in Ihrer Nähe ist, was jetzt nicht so füglich geschehen wird, da ich ihm zwar aufgetragen, Sie von Zeit zu Zeit zu besuchen, wenn Sie ihm dazu die Erlaubnis geben, er aber auf keinen Fall von dieser Erlaubnis Mißbrauch zu Ihrer Behelligung machen darf. Ich bitte Sie, auf jeden Hall gegen ihn so zu sein, wie ich in ähnlichen Verhältnissen gegen eines Ihrer Kinder sein würde, wenn Sie mir es mit einem solchen Gesuche sendeten. Leben Sie recht wohl und halten Sie mich in Ihrem freundlichen Andenken.

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An Andreas Räß

Straßburg, 26. Januar 1823

... In Hinsicht des »Katholiken« habe ich Ihnen einige gute Wünsche mitzuteilen. Es ist notwendig, daß das katholische Teutschland eine allgemeine durchgreifende, nicht bloß provinziell beschränkte Zeitschrift erhalte. Die Ihrige ist am nächsten, diese Verbreitung zu erlangen, und ich glaube, daß mit einiger Anstrengung dem noch Fehlenden leicht abzuhelfen ist. Ich zähle unter die dahinführenden Mittel zunächst eine noch strengere Redaktion als die bisherige. Ich weiß aus der Erfahrung, welche Schwierigkeit diese Strenge hat. Viele wacker gesinnte Leute, die man zum Teil persönlich kennt, an deren guter Gesinnung man keinen Zweifel hegt, schicken Aufsätze ein, die gut gemeint, aber schwach gedacht oder ohne das notwendige Geschick der Form nach ausgeführt sind; man will die Verfasser nicht kränken oder ihrem öffentlichen Auftreten im Wege sein, und so nimmt man Dinge auf, die man selber besser geschrieben hätte. Da muß der Redakteur aber nun wirklich den ledernen Koller anziehen und alles, was der Art aufregnet, an sich vorübergleiten lassen. Es wird Ihnen fortan, da der Kreis sich stets erweitert, in keiner Weise an tauglichem Material fehlen, das Ihnen von allen Seiten zugebracht wird, und dann wird der einzelne sich um so eher bescheiden, wenn er gleich selbst den Grund erblickt, warum seine Sache keinen Platz gefunden ...

Weiter möchte ich raten, daß der Verleger gleichfalls die üblichen Verbreitungsmittel mit Inhaltsanzeigen in den Zeitungen usw. zu brauchen nicht unterließe. Es ist eine allgemeine Verabredung in dem protestantischen Teutschland, die katholischen Sachen soviel wie möglich zu vertuschen und vom allgemeinen Verkehre auszuschließen ...

Endlich möchte ich, wegen der Wirkung nach oben, daß Sie mit französischen ähnlichen Unternehmungen in Verbindung träten. Unsere gebietenden Herren achten nichts, was teutsch geschrieben vor ihnen liegt, lesen sie aber dasselbe auf französisch, dann haben sie ungeheuchelten Respekt dafür. – Das sind gute Räte, die ich meist selber nicht befolgt, inzwischen sollte man doch dergleichen nicht außer acht lassen und der Sache wegen nicht bloß für sie arbeiten, sondern auch die Mittel nicht versäumen, die zur größern Fruchtbarkeit der Arbeit führen ...

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An Clemens Brentano

Straßburg, 25. Juli 1825

Nun, was machst Du denn, Du alter Nonnenpater? Ich muß ihm nur zuerst schreiben, sonst mault er noch ein ganzes Jahr, will und will nicht, und brummt dazu wie ein Bär, und meint, er spotte mir nach und könne das Instrument vollkommen so gut handhaben wie ich. Je nun, was wird er machen? Er sitzt in seinem Neste, schreibt Apokryphen de infantia Jesu, macht nebenbei bei feierlichen Gelegenheiten den Stadtpoeten, stört die Ruhe der Heiligen, die tausend Jahre in ihrem Grabe gelegen, daß sie mit zu Hofe müssen, erbaut einige Leute, ärgert noch mehrere, hält öftere Sermonen über die Weltlichkeit der Welt usw., endlich, wenn die Zeit verlaufen, zieht er ab, begleitet von den Segenswünschen einiger wenigen und von den langen Gesichtern der übrigen. Zwar schlägt einiges von diesem auch in mein Departement, aber ich mache alles sanfter, behutsamer, mit mehr Rücksicht auf den Menschen und die Bücher von ihm, wie er ist und wie er sein sollte, darum haben sie mich auch nicht von Haus und Hof gejagt wie Dich, den sie sogar endlich nach Koblenz gesprengt, um dort in der Heidenschaft den Missionar zu machen. Daran spiegle Du Dich und nimm Dir ein Beispiel; die Wände sind zu solid gebaut, man kommt nicht mit dem Kopf hindurch; beugt man aber nur ein klein wenig aus, dann umgeht man sie, hat keinen Verdruß und kommt ohne Anstrengung zum Ziele. Aber so junge Leute aus der Romantischen Schule achten die Erfahrung für nichts, bis sie widergerannt sind; jetzt sieh Du zu, ich weiß Dir nicht zu helfen. Hast Du aber Deine Pönitenz ausgestanden, dann komm her nach Straßburg: ich habe schöne Konnexionen bei der Polizei, da mache ich einen günstigen Rapport über Dich, und Du kannst ganz beruhigt hier leben und Dein schönes Talent, Menschen zu gewinnen, vollends kultivieren. Mit den Preußen ist's nichts, die sind alle Theisten, da hält kein Nagel mehr, und alle Planken wittern auseinander.

Du hast mich neulich zum Doktor der Theologie kreiert und als Inauguraldissertation mir nichts Geringeres als so die Theologie im ganzen aufgegeben. Du Barbar bedenkst nicht, daß Dein Nebenmensch nur ein schwacher, gebrechlicher, sterblicher Mensch ist wie Du, dem eine Fee die Sachen nicht in die Windeln eingebunden, sondern der pflügen und eggen und säen muß und dann erst ernten kann, was Gott beschert. Hoffärtig bin ich auch nicht genug, um damit zu ersetzen, was an ganzer Summe fehlt; hexen darf man nicht in der Materie, und ich kann's auch nicht: also siehst Du, daß Deine Aufgabe sozusagen überschwenglich ist, und ein Gerechter schont sogar seines Viehes, und Du wolltest gegen Deinen Bruder, der mit Dir unter einer Haut den Uhrmacher komponiert, also wüten! Es muß also dabei bleiben, wie's bisher gewesen; wo ich hingehe, werfe ich rechts und links eine Handvoll Samen aus, ein Teil fällt auf den Weg, ein Teil in die Dornen, ein anderer auf den Felsen, einiges vielleicht auch auf gutes Erdreich, wo es gedeiht. Das läßt sich bestreiten, ohne einen langen schwarzen Mantel zu tragen und die kleinen schwarzen weiß geränderten Läppchen unter dem Kinne und dem spitzen dreieckigen Hute zu schleppen. Also sei Du ein milder liebreicher Geselle, ich will dem alten Sünder dafür auch einmal durch die Finger sehen.

Mein Witz ist, wie ich hoffe, just kapabel gewesen, dem Deinigen den Zapfen auszustoßen, also laß es strömen immerhin; oder bist Du bei höchst ernsthafter Laune, je nun, so predige mir einmal, ich will nicht einschlafen dabei. Deinen letzten Brief, der von so lange her ist, daß wir nach dem Intervalle, allem menschlichen Ansehen gemäß, schwerlich zweimal in unserem Leben der Art Briefe wechseln, hat mir Meusebach gestohlen, und aus Strafe Gottes ist er taub geworden; hier gibt es keine solche Diebe, die Leute fragen den Teufel nach Deiner Handschrift. – Was macht denn Dein Bruder Christian in Rom, ich habe auch lange nichts mehr von dem gehört. Gehabe Dich wohl, und Gott behüte Dich.

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An Friedrich Wilhelm III., König von Preußen

Straßburg, am 5. Sept. 1826.

Ew. Majestät haben vor sieben Jahren bei Erscheinung meiner Schrift »Teutschland und die Revolution« durch eine Allerhöchste Kabinettsorder die Untersuchung meiner Papiere und die Verhaftung meiner Person angeordnet auf den Grund: daß jene Schrift, unter dem Vorwande, zum Frieden zu reden, den Samen des Unfriedens ausstreue, und also unter dem Scheine von Loyalität revolutionäre Absichten verberge. Eine solche Beschuldigung, vor aller Untersuchung gegen die Intention gerichtet, die innen verborgen das Geheimnis eines jeden Menschen ist, konnte nur auf dreifachem Wege möglicherweise rechtlich sich begründen. Entweder die Schrift mußte unzweideutig und unleugbar, durch die Lehren, die sie äußerte, eine revolutionäre Tendenz verraten, oder der von anderwärts hinlänglich bekannte Charakter des Verfassers derselben mußte den Vorwurf ohne Widerrede rechtfertigen, oder endlich, er mußte in die Irrungen oder Umtriebe der Zeit verflochten, durch seine Handlungsweise und seine Teilnahme an strafbaren Unternehmungen gegen sich gezeugt und sich selbst verurteilt haben.

Nun aber hat sich, was erstens die Schrift betrifft, durch gründliche Untersuchung jedem Unparteiischen ergeben, daß, wenn auch der Schein unter den damaligen Umständen vielleicht gegen sie gewesen, ihr Inhalt und ihre Lehre nichtsdestoweniger eine völlig antirevolutionäre war. Und nachdem ihr Verfasser seither eine Reihe anderer sie erläuternden geschrieben, ist kein Mensch in ganz Teutschland mehr, der dieselbe revolutionärer Gesinnungen zu zeihen wagte. Was zweitens den Charakter des Angeschuldigten betrifft, so hätte sein im Angesichte seiner Landsleute und in Zwischenräumen vor ganz Teutschland geführtes wie Privat- so öffentliches Leben, ihn an sich schon gegen solche Anklagen sichern sollen. Da inzwischen in der Zeit durchgängiger Verwirrung und allgemeinen Mißtrauens kein öffentlicher Charakter gegen Verleumdung und Mißkennung gesichert ist, hat es sich auch fügen müssen, daß auch von dieser Seite der Angriff nur die Untadelhaftigkeit in ein besseres Licht gesetzt, und daß alle seine Ankläger vor ihm verstummt, was endlich drittens seine Handlungsweise vor und nach der Anklage betrifft, so war seinen Anklägern allerdings hier ein weites Feld zur Bewährung ihrer Anschuldigungen aufgetan. Verflochten in die meisten wichtigeren Ereignisse jener früheren Zeit, ein Gegenstand der Aufmerksamkeit für so viele Menschen, die in ihr tätig sich erwiesen, konnte es nicht fehlen, er mußte, wenn wirklich revolutionäre Gesinnungen ihm einwohnten, diese vielfältig durch sein Benehmen verraten haben ... Sieben Jahre hindurch hat man jeder Spur nachgeforscht, die zur Entdeckung des vorausgesetzten Geheimnisses führen konnte; beinahe alle Menschen, mit denen der Angeklagte je in einer direkten oder indirekten politischen Verbindung gestanden, sind in den Kreis der Untersuchung hineingezogen worden; die Papiere, die man bei ihm vorgefunden ... hat man aufs sorgfältigste durchforscht, und nach all diesen Untersuchungen ist, ich will nicht sagen, auch nur eine einzige auch noch so unbedeutende gravierende Tatsache, auf wirkliche Umtriebe sprechend, ans Licht getreten. Nein, nicht einmal ein Umstand hat sich entdeckt, der irgend jene Anklage aus böslicher Intention auch nur von ferne zu begründen und zu rechtfertigen imstande wäre, wohl aber haben... manche Belege, die sprechend auf das Gegenteil deuteten, sich vorgefunden, und wenn sein Name in den Untersuchungsprotokollen je vorgekommen, so ist das Ergebnis jedesmal für ihn rechtfertigend und ehrenvoll ausgefallen.

Von welcher Seite man also die Anklage, mit der die politischen Gegner des Unterzeichneten die Rechtlichkeit Ew. Majestät getäuscht, betrachten möge, ermangelt sie allen Grundes und jedes auch nur scheinbar gültigen Beweises. Inzwischen hat der Angeklagte in aller Geduld das sieben Jahre lange Ende jener Untersuchungen abgewartet und gehofft, bei dem gänzlichen Schlusse derselben irgendein auf seine Verhältnisse bezügliches Resultat daraus hervorgehen zu sehen. Aber er hat sich seither in seinen Erwartungen betrogen und getäuscht, da jene Allerhöchste Kabinettsorder in ihren Folgen und Wirkungen vor wie nach fortbesteht. Teutschland, das keinen Grund zu diesem Fortbestande sieht, muß vermuten, daß irgendein geheimer Umstand sich vorgefunden, der einer solchen fortgesetzten Härte zur Rechtfertigung dient, und die Welt muß also, da keine Strafe ohne Strafbarkeit bestehen kann, voraussetzen, daß wirklich ein Motiv zur Fortdauer der verhängten Ahndung bestehe, dessen Wichtigkeit sich nach der Unabsehbarkeit dieser Fortdauer abmißt. Es haftet also außer den äußerlichen Folgen durch den Fortbestand auch noch dauernd ein Makel auf der Ehre des Angeklagten, die zu beseitigen ihm von Wichtigkeit sein muß. Diese Wichtigkeit hat sich ihm neuerdings bei Gelegenheit eines Rufes an die Universität München... herausgestellt. Es kann der berufenden Regierung nicht gleichgültig sein, den Berufenen in einem zweideutigen Verhältnisse zu wissen und ihn in ihrem Dienste kompromittierenden Reklamationen ausgesetzt zu sehen; es muß hinwiederum dem, den sie durch diesen Ruf mit ihrem Vertrauen beehrt, als eine Angelegenheit erscheinen, dies Vertrauen dadurch zu rechtfertigen, daß er durch Beseitigung jener Verhältnisse vor ihr vorwurfsfrei erscheint und nicht etwa einer Nachsicht von ihrer Seite sich bedürftig zeigt, eine Ehrenpflicht, die selbst dann noch fortbestünde, wenn er sich durch andere Verhältnisse genötigt sähe, diesen Ruf abzulehnen.

Aus allen diesen Gründen hat der gehorsamst Unterzeichnete geglaubt, unmittelbar an die Gerechtigkeit Ew. Majestät appellieren zu müssen, versichert, daß dort Recht und Billigkeit jedesmal ein gut Gehör und jede gegründete Beschwerde ihre Abhilfe finde. Es ergeht also seine gehorsamste Bitte, daß es Ew. Majestät gefallen möge, wenn je noch irgendein Grund des Verdachts besteht, ihm denselben durch die geeignete Behörde mitteilen zu lassen, damit er sich gegen denselben rechtfertigen könne, wenn aber kein solcher vorhanden ist, die Vollziehung eben jener Allerhöchsten Kabinettsorder, auf den Grund: daß sich in der Untersuchung nichts Strafbares ermittelt habe, gnädigst aufzuheben, also durch völlige Niederschlagung des weiteren Verfahrens jenen Flecken von seiner Ehre wegzunehmen, der wenigstens bei den Uneingeweihten auf ihm haften könnte.

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An Fr. Chr. Perthes

Straßburg, 1. März 1827.

Ich habe, mein lieber Freund! mit Teilnahme in Ihrem Briefe die Nachricht von dem Unfalle gelesen, der Sie im Tode Ihres Freundes getroffen. Das ist eine verdrießliche Sache, wenn man aus dem Tumulte seitab getreten, nur so von außen hineingesehen und nur so viel teilgenommen, als man eben selbst gewollt, und nun wieder mitten hinein muß und wieder das Takelwert handhaben und das Steuer führen. Sie scheinen inzwischen doch eine Vorahnung gehabt zu haben, daß es wohl einmal so kommen könne, haben sich darum nur halb losgerissen, und das Wiederanschweißen wird nicht so schwer; jeder Mensch hat soviel prophetischen Geist, als er fürs Leben braucht, der schöpft in dem geheimen Gefühle der Hinfälligkeit der menschlichen Natur und der Unzuverlässigkeit alles dessen, was darauf gebaut ist. Also immerhin frisch dran, weil nichts zu ändern ist! In einem will ich dem warnenden Geiste in Ihnen noch beitreten, hüten Sie sich, mehr auf Ihre Schultern zu nehmen, als Sie tragen können. Man ist in Ihren spätern Jahren in einem täuschenden Gefühle von Kraft leicht geneigt, diese zu überschätzen und vor sich selber, bisweilen auch vor der Welt, damit großzutun. Als Exempel sind mir gleich zur Hand der Brockhaus, der drei Tage vor seinem Tode wieder heiraten wollte, und der Leipziger Physikus Gilbert, der fünfundzwanzig Jahrgänge seines Journals beendet und nun in der Ankündigung der Welt vertraute, er fühle noch Kraft genug, andere fünfundzwanzig zu beenden, aber kaum das Wort aus dem Munde hatte, als der Totengräber schon zur Stelle war, ihn selber zu verlegen. Darum lobe ich, was Sie mir geschrieben, wie Sie die Sache zusammennehmen und zuvörderst alles Verlages sich abtun wollen; das wird Ihnen die größere Hälfte der Arbeit, der Sorge, des Verdrusses und der Mühe schon ersparen, und für die andere können Sie sich Gehilfen nehmen. Dadurch zessiert also natürlich, worüber wir in Hinsicht auf mein Buch stillschweigend übereingekommen. Die Bedingungen, die Sie mir in Ihrem letzten Briefe geschrieben, waren mir ganz recht, weil billig; aber ich hielt es nicht für nötig, sie förmlich anzunehmen, weil das Werk ohnehin noch nicht so weit gediehen, daß davon die Frage sein möchte und, kam die Zeit, ein paar Worte darüber entscheiden konnten. Die Worte hat der Tod gesprochen sans appel, also wird andere Firma auf dem Buche stehen, kommt es einmal an den Tag, wozu doch die Zeit zu nahen scheint. Es ist mir leid, wir wären schon miteinander zurechtgekommen.

Was Sie über die allgemeinen Angelegenheiten schreiben, wäre freilich ein großes Thema zur Verhandlung, wenn es nicht meilenweit zu jeder Seite über das größte Briefformat hinausginge. Es gärt und zischt und braust religiös stärker wie früher politisch, damals ist kein Wein herausgekommen, nichts als ein schales, geistloses, abgestandenes Getränke, ob jetzt mehr, ich weiß es nicht und stelle es Gott anheim. Fürs allgemeine habe ich nur ungemein mäßige Hoffnungen für Deutschland, ja sozusagen nur negative, fürs Individuelle und Besondere, das in diesem Lande nun einmal durchaus das andere verschlingt, allerdings Stärkere und Positive. Die jetzige Tobsucht, die schreienden, gellenden Gesichter, das Rennen und Laufen hinter allen Fratzen und Illusionen her, ist nur die Strafe der Züchtlinge, die, weil es nicht anders gewollt, an die Kugel verurteilt sind, nur die Menge der Liebhaber bringt einen oft auf die verdrießlichen Gedanken, als ob man mit in diesen Tartarus eingesperrt sei, in dem so viele Räder bis zum Schwindligwerden um und um gehen. Dies Zuchthaus oder diese Irrenanstalt, wie man's nimmt, ist mir aber keineswegs das merkwürdigste, vielmehr zieht hinter diesem Charivari der Kampf in der Tiefe zwischen den beiden Mächten meine Aufmerksamkeit auf sich, und da muß man sagen, daß, wenn der Teufel mit einer wirklich furchtbaren Gewalt arbeitet, dagegen die dienstbaren Geister seines Herrn und Meisters auch nicht feiern, so daß wer verlorengeht, wenigstens nicht sagen kann, er sei im Stiche gelassen worden. Ich traue meinen Landsleuten in diesen Dingen mehr Gründlichkeit zu, als sie in den politischen erwiesen, und darauf ist mir meine Aussicht in die Zukunft gestellt. Aber wie gesagt, das Beste wird vorläufig ins besondere Leben gehen, denn das Öffentliche ist heillos krank und zerrüttet. Aus dem trüben Gemenge fängt freilich sich allmählich zu sondern, was Wahlverwandtschaft zueinander hat, aber die Massen, sind sie erst gebildet, werden, statt sich zu verständigen, nach gutem alten Gebrauche sich hassen, anfeinden und verwirren, und es wird, wenn es hoch kommt, ein Amalgam des Bundestages werden, wie der, so zu Frankfurt sich und die Welt langweilt.

Was meine persönlichen Verhältnisse betrifft, nach denen Sie mich fragen, so wäre auch darüber viel zu reden. Sie können sich vorstellen, daß mein Auftreten in neuerer Zeit die Sache nicht sehr gefördert hat. Die Clique, deren Absichten, ohne daß ich es gesucht, jetzt kirchlich ebenso gegenüberstehe, wie ich vorher politisch sie durchkreuzt, hat mich deswegen um nichts lieber gewonnen, und was an ihr liegt, wird sie redlich leisten. Inzwischen durchkreuzt auch hier wieder, wie oben, viel persönlich guter Sinn den bösen Willen im allgemeinen, und ich denke, daß doch die Angelegenheit nun zu ihrem Ende neigt.

Leben Sie recht wohl, und behalten Sie sich wohl und mich in freundlichem Angedenken.

Ihr J. Görres.

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An Melchior Diepenbrock

München, 20. Dezember 1827.

Ich habe, mein werter Freund! lange genug auf Nachricht von mir warten lassen, aber es war wirklich beim allerbesten Willen kaum anders zu machen, und Sie werden sich auch schon selbst den Grund im rechten Wege gedeutet haben. Es sind eben zu viele Wässer die Zeit her über mich gegangen, als daß ich so recht hätte zur Besinnung kommen und Luft gewinnen können, etwas anderes als das Allernötigste zu tun. Da war zuerst zu streiten mit den Naturgeistern, die hier auf der Höhe von ganz anderer Art und Manieren sind als die, mit denen ich bisher zu verkehren gewohnt gewesen, und die jetzt um Wintersmitte, wo man ohnehin in schlechtester Fassung ist, sehr hochmütig sich gebärden. Wieder ist allerlei Art von Menschengeist hier, der nicht weniger schneidend anbläst, als diese elementarischen, und gegen den man sich doch auch härten muß. Wieder war zu streiten mit dem Berufe und der Wissenschaft; da soll ein neues Werk gebaut werden, der Platz mußte gesäubert sein, das Fundament ausgeworfen, alle Zugänge mußten im dicken Walde ausgehauen werden; was da krumm geworden, bleibt auf immer krumm, und es galt zuzusehen. Endlich habe ich mir selber auch nicht wenig Mühe gemacht, da ich mir die Fertigkeit und Gewandtheit, öffentlich zu reden, und zwar gleich vor Freund und Feind, oft mit sehr brennendem Kopfe, wieder erwerben mußte, da ich sie in vielen Jahren nicht geübt.

Das alles zusammen war nun ein ziemliches Stück Arbeit, und es wäre nicht gut gewesen, hätte mein Leben weichlich und furchtsam mich gewöhnt. Jetzt ist, Gott sei Dank! wohl das Schlimmste hinter mir; wie das Jahr fortan aufwärts steigt, so wird's, wie ich hoffe, mit der Sache vorangehen, und ich denke, mein Vertrauen in die Fügung, die mich hergeführt, wird nicht zuschanden werden. Wohl feinden mich die einen recht grimmig an, das konnte ich schon erwarten und muß es geschehen lassen. Dafür habe ich andere recht wackere Freunde gefunden, und die jungen Leute des Landes gefallen mir den Anlagen nach sehr wohl, und sie scheinen mehr und mehr Vertrauen zu mir zu gewinnen. Unter beinahe fünfhundert Menschen, die sich oft in meinem Saale zusammendrängen, herrscht doch durchgängig die größte Aufmerksamkeit, und ob ich gleich immer von den allerernsthaftesten Dingen rede, Dinge, die ihnen bei dem Unterrichte, den sie früher erhalten, größtenteils fremd geworden, so lassen sie sich doch dadurch in ihrer Achtsamkeit nicht irre machen, wenn auch in manchem sich der Widerspruch erhebt. Dieser Einfluß erbost nun natürlich jene, die ihn für verderblich halten, und da sie noch kein Mittel gefunden, ihm Einhalt zu tun, sind sie natürlich darauf reduziert, allerlei alberne Lügen zu ersinnen, die sie dann fleißig in Umlauf setzen, ja sogar bis an den Hof gebracht. Das irrt mich nun alles gar wenig, weil ich in der Sache nichts weiter für mich zu tun habe. Darum gehe ich ganz ruhig hindurch, tue was meines Amtes ist, so gut ich es vermag, und lasse für alles andere Gott und gute Leute sorgen.

Mit dem König bin ich gleich in den ersten Tagen zusammengekommen, er hat mir wohlgefallen in seinem Wesen, und ich habe, wie ich glaube, ihm nicht mißfallen. Seither haben sie ihm viel in den Ohren gelegen, ohne sonderlichen Erfolg, soviel ich bemerken kann. Unsicher ist er freilich in seinem Gange, aber das ist der natürliche Gang aller jetzigen Menschen, die wie die Matrosen auf schwankendem Schiffe von Jugend auf erwachsen sind. Soviel ich in einer halben Stunde habe sehen können, hat mir ein guter Grund überall durchgeblickt, der wohl Meister werden wird am Ende über allerlei, was umherschießt und -fährt und -zickzackt. Die Masse des Volkes, soweit ich sie gesehen, hat mir auch in demselben Grunde über Erwartung zugesagt. Es ist eine schöne kräftige Anlage in diesem Stamme, aus der viel Gutes hervorgehen könnte.

Das sind ein paar dürftige Nachrichten über die Weise, wie ich hier stehe, die Sie von mir verlangt, und die ich freilich in einer Stunde mündlich gründlicher geben könnte. Teilen Sie indessen, was da ist, unserem lieben Bischofe mit, es wird ihn doch freuen, wenn er hört, daß ich unter dem Windgesause hier oben doch noch fest und sicher auf meinen Füßen stehe. Der junge Bechtolsheim, den Sie mir gesendet, und der ein gar braver und wackerer Mensch ist, kann Ihnen, was fehlt, zum Teil durch mündlichen Bericht ergänzen. Er wird mir dann wieder Nachricht bringen, wie es um unsern Bischof und Sie selber steht, da die guten Nachrichten, die er gebracht, nun doch schon etwas veraltet sind...

Sonst unserm Bischof all Glück und Heil ins neue Jahr hinüber von uns allen hier; Sie, sein Hausgenosse, bekommen dann schon Ihr reichlich gemessen Maß auf Ihren Teil, und auch die dritte im Hause soll nicht leer ausgehen. Segnen kann ich nicht, nur Gutes wünschen aus Herzensgrunde; er mag mir dafür seinen Segen geben, ich kann ihn gar wohl brauchen. Wohl ist mein Haus bisher leidlich gewesen, obgleich jedes der Reihe nach den Zoll bezahlt, meine Frau jetzt eben am stärksten mit einem heftigen und schmerzlichen krampfhaften Zahnweh. Das wird wohl auch endlich vorübergehen. Nun, Gott sei mit Ihnen und allen, denen Sie wohlwollen. Ihr ergebener

J. Görres.

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An Frau Dietz

Frankfurt, 11. Juli 1834.

Liebe Frau Dietz! Da, bis meine Frau sich zum Schreiben entschlossen, der Mond zweimal voll werden kann und wieder leer, muß ich schon vikariieren und auf Ihre freundliche Zuschrift Rede und Antwort geben, da der Clemens mir gute Gelegenheit bietet. Daß Sie glücklich heimgekehrt, hatten wir schon früher durch Ottilie erfahren, und es ist uns erfreulich gewesen, erfreulicher noch, daß die guten Folgen der Reise fortdauern. Ein Teil davon wird freilich wieder in der Arbeit daraufgegangen sein, die Dietz vorgefunden, inzwischen ist mit dem Gewinste besser hausen als mit dem Kapitale, und das wird wenigstens geschont, wir unsererseits sind auf Ihren Spuren hingegangen, und da wir vor vierzehn Tagen abgereist und drei Tage in Heidelberg verweilt, vor acht hier angelangt und haben alles wohl gefunden. In Ottilie hat sich unserm Haushalt oben eine ruhige, still vor sich hin lebende Hausgenossin beigesellt, die allen lieb ist, ohne einem unbequem zu werden. Sie liegt ganz eifrig ihrer Arbeit ob, und Sie werden schon wissen, daß Schlotthauer damit zufrieden ist und meint, daß es sich der Mühe lohne, ihr Talent auszubilden. Es wird sich gut machen und sie wird sich einspinnen in dasselbe und sich in ihrer Kunst eine Art von Organ bereiten, in dem sie sich ausspricht von Zeit zu Zeit, da dies mit Worten zu tun ihr weniger gegeben ist.

Hier haben wir uns einstweilen eingerichtet, es ist zugegangen wie in einem etwas engen Wagen, wo jeder nicht recht weiß, wo er seine Beine unterbringt; indessen hat sich das doch zuletzt gefunden, und wir haben sogar heute noch jemand aufnehmen gekonnt. Moy nämlich, der von Würzburg herübergekommen, um mich zu besuchen. Einstweilen leben wir in den Tag hinein, und über Bleiben und Weitergehen ist auch kein Schluß genommen. Was kritisch für das letzte sich erweist, ist, daß ich meine Arbeiten angefangen und ich nun, gehn sie gut vonstatten, mich nicht leicht entschließe, sie abzubrechen, gehen sie aber übel, noch weniger, weil dann nichts auf den Haufen kommt. Ob ja, ob nein, wird daher wohl von der Eingebung eines Augenblicks abhängen, der sich nicht leicht zum voraus berechnen läßt. Die rheinischen Berge haben wohl wieder ihren gewohnten Eindruck gemacht, als ich sie zum erstenmal wiedergesehen, aber es ist doch jetzt geteilte Neigung, und ich scheue wohl eher die alte.

Die Kinder haben übrigens diesmal, wie gewöhnlich, den besten Teil davongetragen. Die Marie hat den Joseph feierlich als ihren Liebling erklärt, und so leben sie in aller Eintracht miteinander und haben noch nicht ein einziges Mal sich gezankt. Leben Sie wohl. Dietz soll mir gegrüßt sein und alle die Ihrigen und der Doktor und was sonst umhersteht und unser sich erinnert.

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An J. von Giovanelli

München, 8. Januar 1837.

Sehr verehrter Freund! Zum begonnenen neuen Jahre allen Segen und alles Heil in Ihr Haus und all um Sie her; es bedarf dessen schon in einer so drohenden Zeit, wie die gegenwärtige. Uns ist seit drei Monaten sehr drückend und ängstlich gewesen; indessen ist mit Gottes Hilfe doch bisher noch alles gut und glücklich vorübergegangen.

Wir waren in unserem Stadtteile und unserer und den umliegenden Straßen damit privilegiert, daß die Seuche im Beginn gerade dahin sich entladen und sie auf lange Zeit zu ihrem Lieblingsaufenthalt gemacht. In dem Hause dicht hinter dem meinigen waren zwölf Krankheitsfälle, worunter vier tödlich abgelaufen; nicht weit davon neun, und so rundum in jedem Hause einer oder mehrere; so daß kaum eines gänzlich verschont geblieben. So war es denn auch gleich am vierten oder fünften Tage in dem meinigen eingekehrt und hatte die Marie getroffen. Sie hatte zwei Stunden zuvor im Schlafe geträumt, daß sie von der Cholera ergriffen sei; wie sie mir gerufen, um es mir anzusagen; wie ich sogleich nach einem Brechmittel gegriffen und es ihr eingegeben; wie die Krankheit ihren Verlauf gehabt, sie aber gestorben. Mit dieser Nachricht wurde ich morgens um fünf Uhr geweckt und fand sie schon in vollem Brechen und Zubehör. Ich durfte nicht säumen, ihren Traum mit dem Brechmittel wahrzumachen. Der Arzt kam, verordnete einen Aderlaß und das übrige, und in wenig Stunden war wenigstens die dringende Gefahr vorüber. Der Anfall war weit nicht einer der heftigsten; Gott hatte nicht mehr zugelassen, als die Natur bestreiten konnte; und so führte es hoffentlich zu gutem Ausschlag. Denn noch in diesem Augenblicke, zehn Wochen nach dem Anfalle, ist die Sache noch nicht ganz entschieden. Denn diese Seuche ist hier der Art, daß, wen sie auch nur von weitem angehaucht, auf lange mit ihr zu kämpfen hat. Eine starke gesunde Magd, die einige Tage später ergriffen wurde, bestand sie mit hundertfünfzig und mehrmaligem Erbrechen glücklich in meinem Hause, liegt aber jetzt noch an ihren Folgen im Krankenhause. So hat auch Marie nach dem ersten Anfalle noch sechs heftige Krisen durchmachen müssen, die jedesmal einen Zwischenraum von Wohlsein zwischen sich genommen, und deren letzte die jüngst vergangenen drei Tage hindurch gedauert. Jetzt ist auch das überstanden, und sie ist wieder wohl genug, und ich habe Grund zu hoffen, daß es die letzte stärkere Krise gewesen sein wird.

Wir anderen alle sind glücklich unberührt geblieben, unter den Freunden und Bekannten hat es indessen vielfachen Umgang gehalten. Frau Phillips leicht, Möhler etwas stärker, Cornelius zu verschiedenen Malen, aber nur von ferne berührt; am schlimmsten ist Melchior Boisserée davongekommen, den ich beim ersten Besuche wie einen alten Mann wiedergefunden, und der jetzt noch äußerst entkräftigt ist. Das alles hat in einer unaufhörlichen und peinlichen Aufregung erhalten, so daß, wie gleichmütig und gottvertrauend man immer sein mochte, man der Einwirkung sich nicht gänzlich zu entschlagen vermochte. Trompetenstöße am Anfange sind freilich gar übel zum Schweigen gebracht worden; auch das hat zu meiner Satisfaktion gereicht, daß das lieblose Rufen, es sei nur eine Krankheit fürs Lumpenvolk, gänzlich zuschanden worden. Inzwischen hat man später durch wirklich lobenswerte und tüchtige Vorkehren vieles von dem Geprahle wieder gutgemacht, und das hat ebenso oben bei der höhern Macht, wie bei den Menschen Anerkenntniß gefunden. Auch hoffe ich, daß manches moralische Gute die Folge des abgestatteten Besuchs sein wird, obgleich sie zehn Jahre bleiben müßte, um gründlich dauerhaften Eindruck zurückzulassen.

Was Sie über das erste Buch der »Mystik« sagen, ist gar wohlgegründet; ich habe mir es auch gesagt, konnte indessen doch nicht anders. Da dieselbe Verschwörung gegen das Christentum wie früher eingetreten, wollte ich ihr zum anderen Male die Mystik entgegenstellen, wie es der Areopagite zum ersten Male getan; jetzt, wo es nach mehr als anderthalb Jahrtausenden von Erfahrung soviel leichter, durchgreifender und schlagender möglich geworden; und da durfte das Buch unter andern des wissenschaftlichen Grundes nicht ermangeln. Das Gebäude hat freilich sein eigentliches Fundament nach oben; da es aber andererseits doch aus irdischem Material erbaut ist, kann es auch eines irdischen Grundes nicht entbehren, und den habe ich ihm dort zu geben versucht. Das ganze Buch ist also nichts als ein Rost aus nebeneinander eingerammten Bäumen erbaut, auf dem die unteren Grundsteine ruhen; er gehört zum Ganzen und ist doch nicht von ihm, soll nur gut tragen und sich bedecken lassen; sie hätten mir sonst von dort her das Werk unterminiert, was sie jetzt wohl bleiben lassen.

Eine Nebenabsicht war auch dabei, unserem Klerus, der, uneingedenk dessen, was ihm früher Augustinus, Thomas von Aquino oder auch nur Tauler zugemutet, etwas zu bequem geworden, wieder einigermaßen an geistige eindringende Arbeit bei Gelegenheit des Interesses, das er sonst an einem ihn so nahe berührenden Buche nehmen muß, zu gewöhnen, weil es nicht ferner mehr mit Ignorieren oder bloß oberflächlichem Notiznehmen getan ist. Hätte ich das erste Buch ihm zuliebe weggelassen, dann hätten sie mir über die folgenden ebenso wie jetzt über das eine geklagt. Nun sie aber eine Zeitlang durch dieses durchgezackert, finden sie das andere leicht, wie die, welche mit schweren Rapieren eine Zeitlang geschlagen, gewöhnliche Schwerter leicht finden, und das eine hat als Sündenbock alle Mühsale auf sich geladen.

Übrigens ist das Buch nur schwer, weil die Anschauung fehlt; wären Sie hier, ich wollte an einigen Präparaten auf dem anatomischen Theater es Ihnen in wenigen Sitzungen so durchsichtig und verständlich machen wie die Bergzüge des Tirol auf der Karte des Generalquartiermeisterstabs. Ohne eine solche könnte man sich freilich die Zunge abreden und würde nicht verstanden.

Endlich wollte ich auch mit dem Buche meiner Genesis die Wege bereiten, die eine noch viel schwierigere Aufgabe hat als die Mystik, mich auch zehnmal mehr Mühe gekostet als diese, also auch einige Arbeit von Seite ihrer theologischen Leser voraussetzt, da sich dergleichen Dinge einmal nicht im Schlafe beibringen lassen, und es doch die höchste Not tut, über sie aufs reine zu kommen, um den Titanensturm abzuschlagen. Kommt es daher zu einer zweiten Ausgabe der Mystik, dann muß es schon bei dem Vorigen sein Bewenden haben. Aber ich habe mir schon gleich beim Anfange vorgenommen, wenn das Ganze einmal vollendet, das erste Buch uns all den gelehrten Quark im Verlaufe der übrigen völlig wegzuwerfen, bloß die Tatsachen zusammenzustellen, diese durch leichte Übergänge und kurze klare Deutungen untereinander zu verbinden und so in einer eigenen Ausgabe alles womöglich in einen Band zusammenzudrängen, dessen Preis so niedrig als tunlich gesetzt wird. Dann wird es ein Volksbuch von der Art, wie wir eines dringend bedürfen, und dem mancher Segen nicht fehlen wird.

Den zweiten Band, den ich mit einem griechischen Kurier an Ferdinand gesendet, werden Sie unterdessen erhalten und einen Blick hineingeworfen haben. Ich denke, was Sie gelesen, wird dem Eindrucke des ersten Bandes nicht nachteilig gewesen sein. Es ist eine schlagende, alles vor sich niederwerfende unwiderstehliche Masse von Tatsachen, und ich will den sehen, der die Stirne hat, dabei noch von Pfaffentrug zu reden. Was sie tun werden, weiß ich nicht; es wird verschieden ausfallen nach der verschiedenen Gemütsart und der größeren oder geringeren Verstrickung; sie mögen das nach Gutbefinden halten, mich wird's wenig anfechten: nur wenn sie es etwa zu grob machten, würde ich allenfalls mit Vogeldunst einmal unter sie schießen. Durch die Mehrung der Ekstatischen im Katholischen und der Besessenen und Gespenster im Protestantischen wird ihnen übrigens der Glauben greifbar näher gelegt; wollen sie ihn nicht, um so größer ihre Verantwortlichkeit.

 

Mir ist interessant gewesen, was Sie mir geschrieben, daß die Sache in Verona endlich durchgeschlagen; meine große Sorge ist indessen, ob die Jesuiten den ganzen Umfang des Problems begreifen, das ihnen zu lösen aufgegeben worden, sich nicht über dasselbe hinaus versteigend und nicht hinter ihm zurückbleibend. Es wird noch lange währen, bis sie die Leute finden, die die eigentliche Aufgabe zu stellen, noch länger, bis sie solche gewinnen, die die aufgestellte zu lösen vermögen ...

All Gutes und Liebes in Ihr Haus und an alle dortigen Freunde. Ist denn niemand Ihrer mir bekannten Leute draußen in Hörtenberg erlegen? Die Malerin, die mit der Fugger jenseits gewesen, ist seit vier Wochen tot. Leben Sie recht wohl.

Ihr J. Görres.

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München, 30. Januar 1838.

Ich empfehle Ihrer freundlichen Teilnahme, lieber Freund! aufs beste die Überbringerin, eine Nichte von Ringseis, ein gutes, braves, religiöses Mädchen. – –

Sie finden nebenan etwas, was Sie vielleicht nicht erwartet haben, meinen »Athanasius«. In der Tat bin ich nur ungern aus der Gesellschaft meiner Teufel und Teufeleien sans phrase aufgestanden, um mich in diese phrasierten und paraphrasierten Teufeleien einzumischen. Aber das Gebot lautete peremtorisch: nimm die Feder zur Hand und schreibe, was dir gesagt werden wird! Und so habe ich denn kein weiteres Federlesen gemacht und habe geschrieben und geschrieben vier Wochen lang, und nun sehen Sie zu, was herausgekommen, wie ich es jetzt seit zwei Tagen so gedruckt vor mir sehe und mich nun so hineinlese, um über allenfallsige Druckfehler mich zu ärgern, verwundere ich mich bisweilen selber, wie die Sache ausgefallen, und die Gedanken sehen mich auch ihrerseits verwundert an. Das ist indessen nicht das erstemal, und ich sehe daran, daß es so hat sein müssen. Es wird tief ins faule Fleisch einschneiden, und da dies immer sehr empfindlich ist, höchst schmerzhaft vernommen werden, aber ein Mitleiden deswegen wäre grausam. Eine Jagd wird's geben freilich, haben sie mir doch das Kind schon im Mutterleibe erwürgen und abtreiben wollen, was eben auch zum Hexenkram gehört. Die hiesige preußische Gesandtschaft hat nämlich schon vor drei Wochen auf Beschlagnahme bei der hiesigen Regierung angetragen, ist aber gehörig abgewiesen worden. Der König hält sich fest und schützt die freie Diskussion, und so wird der Krieg denn tapfer von hier aus gegen Gog und Magog geführt, und, wie Sie sehen, mit gutem Erfolg. Das Beste aber geschieht im stillen, und die Nachrichten vom Rheine sind darüber höchst erfreulich.

Alles wendet sich der Kirche zu; die seit vierzig Jahren keine besucht, lassen sich in ihr finden, und die böse Krätze, die sich seit so vielen Jahren angesetzt, schuppt ab, und das gesunde Fleisch dringt wieder durch. In Koblenz allein, das etwa zwölftausend Einwohner hegt, hat man zu Weihnachten fünfzehnhundert Kommunikanten mehr als im vorigen Jahre gezählt. Die Weise, wie sich das dortige Volk gegen Seidel benommen, den es Tag und Nacht bewacht, und den es, als er ausgegangen, um ihn zu sichern, auf den Schultern wieder heimgetragen, ist vortrefflich und rührend; und merkwürdig, alles ist in derselben Nacht, bis auf die geführten Reden, dort wie in Paderborn ganz in gleicher Weise abgelaufen. Das sind die revolutionären Verbindungen, von denen sie reden. In Rom ist die Haltung auch vortrefflich. Kurz alles geht, wie es soll, Mitternacht ist vorüber, und die Tage haben sich in der kurzen Zeit schon um einen Hahnenschrei gelängt.

Zum neu angetretenen Jahre alle unsere guten Wünsche in Ihr Haus; machen Sie, daß im Verlaufe desselben Ihre Herüberkunft zu einer Wahrheit werde!

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München, 24. August 1838.

Ich benutze die Gelegenheit, die sich mir eben bietet, Ihnen die »Triarier«, die eben vom Stapel gelaufen, zuzusenden. Sie gehen auf den Wegen, die ihnen der »Athanasius« gebahnt, und ich hoffe, daß bei ihrem Zuge wieder viel Gutes herauskommen wird. Der Überbringer ist H. Dürnberger, Professor am Lyzeum zu Regensburg, und dabei Vikar Bauernfeind; beides wackere Leute und brave Geistliche, die auf dem Wege nach Kaltern ziehen. Geben Sie ihnen doch ein paar Worte und von meiner Seite einen Gruß an Capistran mit. Auch zur Lazzari möchten sie gern; könnten Sie ihnen nicht dazu eine Erlaubnis vom Bischof von Trient erwirken?

Sie werden jetzt wohl wieder in Ihrer Ruhe sich befinden und von all den Herrlichkeiten ausgerastet haben, wozu ich Glück wünsche von ganzem Herzen. Die Sache ist inzwischen gut ausgefallen, und dergleichen, was von selber wächst und nicht auf den Mistbeeten der Höfe gezogen werden darf, kann man sich schon gefallen lassen. Tausend gute Grüße von mir und den Meinigen und den übrigen Hiesigen an Sie und die Ihrigen.


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