Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Herder hat irgendwo in seinen Schriften lebendig die staunende Bewunderung ausgedrückt, die jenes gewaltige Gebäude in ihm hervorgerufen, das die Kirche aus ein wenig Wachs und Öl und Wasser und Salz und einem Kleinsten der Erträgnisse der Rebe und des Halmes aufgebaut, er hat dort den Wunderbau von seiner greiflichen Seite her gesehen; das Unbegreifliche wäre ihm begreiflicher geworden, hätte er erlebt, was wir in den letzten Tagen gesehen, eine Völkerwanderung durch eine Handvoll Lammswolle erregt, was ist es doch gewesen, das mehr als eine Million Menschen aller Stände und Lebensweisen, als sie auf ihren Lebenswegen ruhig dahingegangen, plötzlich ergriffen und sie hinwendend zu einem und demselben Ziele auf gemeinsamer Straße zu demselben hingeführt? Die ungeheure geistige Wirkung muß eine ihr entsprechende und proportionierte geistige Ursache haben, und das Unzureichende im natürlichen Momente sich in einem anderen höherer Ordnung stärken und kräftigen, soll sie irgend begreiflich werden, wie daher am Kirchenbau das Äußerliche nur als ein verschwindendes Kleinstes einem innerlichen Größten sich beigesellt, und nun beide eingehen in die staunengebietende Wirkung, so wird auch hier das in seiner engen Begrenzung Unerhebliche der Umhüllung sich ergänzen in der unwiderstehlichen Macht seines Inhaltes; und so muß, indem das eine an dem andern seine Überleitung durch die Sinne in den Willenskreis hinüberfindet, jene wundersame Bewegung in der geistigen Welt hervorgerufen werden. Was ist aber nun in beiden Fällen jene größte und stärkste Macht, die allem Natürlichen nur seine Bedeutung gibt, indem sie es als ihren Träger in den eigenen, höheren Kreis versetzt und nun durch das angenommene Organ im unteren Wunder wirkt? Schon die Natur deutet im Bilde auf eine solche Weise der Integrierung des Sichtbaren durch das Unsichtbare hin. Teilt dem Eisen den Magnetismus mit, und dies Metall erwacht wie aus dumpfem Schlafe, empfindungsloser Gleichgültigkeit und schwerer Trägheit auf; es bekommt ein Auge, um den Pol zu schauen, ein Gefühl des Gleichgewichtes, um gegen die Tiefe hinzuneigen, und findet nun als ein höher belebtes Glied auch in alle Wechsel einer höheren Natursphäre sich verflochten. So auch mit dem Menschen. Als Erdgeborner der Erde angehörend, will er schlecht und recht auf Erden wandeln; er ist in vielfältiger Wahlverwandtschaft mit andern um ihn her verbunden: findet sich dunkel angezogen und abgestoßen, strebt nicht aus seinem Kreise höheren Verhältnissen entgegen, lebt und läßt leben und wird am Ende zu seinen Vätern versammelt. Er ist dem Eisen zu vergleichen, dem Metalle, das auf Erden gleich ihm heimisch ist und still durch die unteren Regionen der Natur kreisend seine konservative Wirkung übt. Wird nun ein solcher, nachdem er in ernster Vorbereitung seinem Leben die rechte Richtung gegeben, von einem dazu Berufenen etwa zum Priester geweiht, dann wird er seinerseits in einen höheren Kreis eingeführt, er wird den dort herrschenden Gesetzen untertan; Verhältnisse, die früher für ihn nicht dagewesen, sind ihm jetzt in ihrer Bedeutung aufgegangen, er bestimmt sie und wird von ihnen bestimmt; sein Wesen eignet der Region sich an, die ihn in sich aufgenommen, und die Weihe hat ihm einen indelebilen Charakter aufgeprägt, der sich im Leben nur entwickelt. Hat der eine oder der andere aber etwa eine noch ernstere, noch tiefer eindringende Vorschule gemacht; hat in ihm in größerer Gottesnähe das reinigende Feuer die Schlacken in der menschlichen Natur aufgezehrt; hat ihn die weihende Gotteshand berührt und mit dem Siegel der Heiligkeit den Geweihten bezeichnend ihn in die Region höchster menschlicher Wirksamkeit hinaufgehoben, wo er in Gott die Dinge schaut und in ihm seine Taten tut, die in ihrem eigenen Kreise wie natürlich ablaufen, in den tieferen aber als Wunder erscheinen: dann hat sie ihm noch einen andern, weit unvergänglicheren, einen unvertilgbaren Charakter aufgedrückt, der den ganzen Menschen durchdringend an ihm in allen Gebieten seines Daseins, das Leibliche nicht ausgenommen, hervortritt. Denn das Leibliche, was ist es anders als die Kehrseite des Geistigen, sein plastisches Bild im Weltspiegel, aus den spiegelnden Elementen herausgebildet? Was aber ist das Heilige anders als das höhere Bild der Gottheit, im Geistesspiegel des Menschen aus seinen geistigen Elementen geformt, in denen der göttliche Strahl einen Abglanz des Strahlenden erweckt. Der Geist aber, sein nach abwärts geworfenes Bild aus Elementen der Natur gestaltend, läßt dabei auch Naturgesetze walten; und indem er sich in dies sein Bild als seinen Leib gekleidet, hat er auch gestatten müssen, daß die Natur in diesem Leibe ihr eigenes Abbild in seinem Geiste konterfeit, dem er nun als seiner Natur einwohnt. Nach innen aber hat jener Gottesstrahl die Gleichnis des Strahlenden dem Geiste eingebildet, und das geistige Brechungsgesetz hat dabei gewaltet; indem der Geist daher jenes Bild aufgenommen, hat er auch ein Abbild von sich selber jenem bildenden Strahle eingeprägt; und so hat dem unteren und äußeren Spiegelbilde des Geistes in der Natur, mit dem Spiegelbilde der Natur im Geiste zum Leib verbunden, eine höhere und innere Spiegelbildung der Gottheit im geheiligten Geiste, mit einer andern Spieglung dieses Geistes in der Gottheit zusammengehend, sich beigefügt. Dem Geiste ist also von Natur nach abwärts eine leibliche Hülle beigegeben; nach aufwärts aber gewinnt er im Reich der Gnade durch die Heiligkeit eine gottförmige Umhüllung, in der das Urgute in Gott sich durch das offenbart, was vom geschaffenen Guten in ihm ist. Die leibliche Hülle, inwiefern die Natur in ihr in den Geist eingegangen, ist wie die teilbare Natur selber dem fließenden Wechsel und Wandel der Zeit verfallen, also sterblich; nur der Geist, inwiefern er in dieser Hülle sein Bild in die Natur hinausgesetzt und die leiblichen Kräfte beherrscht, behauptet auch die Unsterblichkeit seines einfachen Wesens in diesem Bilde fort. Derselbe Geist aber, ursprünglich im Bilde Gottes ausgeschaffen, hat, nachdem er in der Wiedergeburt ins Reich der Gnade eingetreten, in den Spiegel der Gottheit, wie bei der Geburt, in den Spiegel der Natur geschaut; und Gott hat in ihm sein ursprünglich ihm aufgeprägtes Bild in der Heiligkeit wieder hergestellt und der Geist selber diesem Bild sein eigenes Gleichnis nachgebildet. Das Bild ist nun ewig wie Gott selber; das Gleichnis aber wie alles, was des Geistes ist, unsterblich. Leib und Seele find aber am Menschen, dem Einsassen der Natur, mit Notwendigkeit verbunden; der Abglanz der Gottheit in dem erneuten Bilde und der Widerglanz in dem folgenden Gleichnis dieses Bildes sind aber eine freie Gabe, die dem ganzen Menschen zuteil geworden; die also dem Geiste in der Heiligkeit zwar gegeben ist, aber in ihrer Einkehr auch ihre Nachwirkung im untern Bilde dem Leib geäußert, der auch analog wie im Nachklange eine entsprechende Umbildung, in Naturtypen ausgesprochen, erfahren. Gleichwie nun im Eintritte der Begnadigung in den Heiligen der Grund der Verehrung gegeben ist, die ihnen die Kirche geweiht, so im Naturreflexe derselben in ihrem Leiblichen die Veranlassung zu dem Werte, den sie ihren Reliquien beigelegt, und der Achtung, mit der sie dieselben umgibt. Am natürlichen Himmel offenbart sich die Gottheit in den leuchtenden Sternen, die, als ihre Naturpropheten sie umstehend, aus dem Lichtmeer, das ihren Thron umfließt, in immer vollen Schalen die Lichtströme schöpfen und gegen die Tiefe gießen, die aus ihnen all ihr Leben und all ihre Bekräftigung saugt. Ebenso umstehen im Geisterreiche ihre geistigen Propheten, die Heiligen, dieselbe Mitte, die in ihnen sich dem Unterrichte kund gibt, indem sie, selbst Sterne an jenem Geisterhimmel, als Vermittler die Lichtströme, die, obgleich ihnen mitgeteilt, doch aus ihnen unversiegbar quellen, hinab zur Erde senden. Wie aber alle Materie, wenn sie lange der Einwirkung des physischen Lichtes ausgesetzt gewesen, dann im Dunkeln nachleuchtet, so verehrt die Kirche in dem, was vom Leiblichen dieser Heiligen auf Erden zurückgeblieben und das während ihrer Lebensdauer im engsten Verkehr mit ihnen gestanden, den Nachschimmer jenes geistigen Lichtes, das bleibend sie umspielt. Selbst auf äußere Dinge, die lange mit ihnen im Verband geblieben, wird sich ihre Einwirkung erstrecken. Wie im profanen Gebiet das Eigentum zum Willen sich verhält, der seinem Besitz die eigene Form aufprägt, die sich dann fortan erhält, so übt auch die Heiligkeit ein solches Besitzrecht selbst auf die leblosen Dinge aus, die als solche fortdauernd in der Sphäre ihres Einflusses geblieben, und also auch an ihrem Teile nach der Anschauung der Kirche als Überleiter höherer Einflüsse in das Naturgebiet dienen. Das wird vorzugsweise bei allem der Fall sein, was je mit dem Erlöser in einem solchen Bezug gestanden; und so begreift sich die Verehrung des Kreuzes und seiner Leidenswerkzeuge und die des Rockes, den er bei seinem Wandel auf Erden getragen, vollkommen; sie wird nur eine natürliche Folge, abgeleitet aus dem innersten Grunde der Verehrung des Heiligen, sein.
Das Heilige, also seinen Träger von oben nach unten bis zum Grund erfüllend, wird in Mitte der Kirchengemeinde über diesen Träger hinaus eine gewisse Wirkungssphäre gewinnen; es ist eine erste Frage: wodurch wird diese nach außen gehende Wirkung vermittelt werden? In natürlichen Dingen sind es die Sinne, die diese Vermittlung übernehmen. Ein Lichtträger strahlt seine Leuchtung allum in die Runde aus; welches Auge eintritt in die Lichtsphäre, wird von der Strahlung berührt und berührt in ihr seinerseits wieder den Träger und erkennt in dieser höhern Betastung die äußeren Formen des Gegenstandes. Dasselbe wird der Fall mit dem tönenden Körper sein; das Ohr vernimmt seine Bebungen und dringt dadurch in den Sinn der Sprache ein, die der Träger des Tones in seiner innern Aufregung redet. Im ersten Falle vermittelt das Licht die äußere Gemeinschaft mit dem Leuchtenden, im andern die schallkräftig bewegte Luft die innere des Hörenden mit der ausquellenden und überfließenden Bewegung des Schallenden. Licht und Schallbewegung aber sind räumliche und zeitliche Naturbedingungen des Sehens und des Hörens; fehlt das eine oder das andere, dann fällt auch jenes oder dieses weg, so wie sie gehemmt werden, wenn ein Undurchdringliches zwischentritt. Alle Wirkung des räumlich oder zeitlich bewegten Trägers erscheint daher an Raum und Zeit geknüpft; alle Sinnenwahrnehmung geht nur auf bestimmte Ferne und auf die Gegenwart. Nicht in gleicher weise vermittelt sich das Heilige mit dem, der es in Verehrung aufnehmet soll. Das vermittelnde ist hier der Glaube, der das Band vom einen zum andern knüpft. Dieser Glaube geht nun in keiner weise auf den Träger des Heiligen hin, sondern direkt auf das ihm einwohnende Unsichtbare; jener Träger, insofern er in die Sinne fällt, leitet nur die Aufmerksamkeit derselben zu diesem innern Inhalt, der allein für den Glauben eine Bedeutung hat, während ihm jene äußere Hülle an sich auch nur in äußerer Bedeutung gilt. Der Glaube dringt also unmittelbar zur Mitte vor; er ist weder an Räumliches noch Zeitliches gebunden; nichts ist ihm undurchdringlich, mit einem Rucke schlägt er ein in den innersten Nern der Wesenheit des Heiligen, und es weben sich nun die Fäden der gläubigen Verehrung zwischen dem Gerührten und dem Gegenstand der Rührung hin und her. Der Glaube ist also das vermittelnde eines eigenen inneren Sinnes, eines nach einwärts gekehrten und nach oben aufgeschlagenen Auges, das in die Kreise jener höhern Begnadigung blickt. Die Anschauung in diesem Auge ist eine unmittelbare, aber von der Art, wie wenn eine Mitte der andern gegenwärtig sich in ihr erschaut, eine Unmittelbarkeit, die nicht vergleichbar jener andern im untern Sinne ist, die als eine Betastnis in nächster Nähe des Vereinzelten bewußtlos vor sich geht, während dort von Mitte zu Mitte das Bewußtsein, nur seiner selbst vergessend, dem Gegenstande sich hingibt. Dieser gebietet aber doch mit einer Art von innerer höhern Notwendigkeit über den Glauben, der sich ihr mit freiem Entschlusse fügt; und so kann man den Glauben auch mit dem Namen eines freien Instinktes bezeichnen. Solche höhere Instinkte gegenüber den nach abwärts gekehrten sind nun in jedem Menschen rege; während die letzten wie Wurzeln des Daseins den Verkehr mit der Natur in bewußtloser Dunkelheit vermitteln, sind jene andern in lichter Besonnenheit wirksam, in den höhern Lichträumen sich an strahlende Mitten bindend und in ihnen geistig wurzelnd. Dergleichen Instinkte sind nun auch in allem Volke tätig wie in denen, die nach abwärts gehen, um die Mitten dieses Kreises her alle politische Gesellschaft sich erbaut, so in denen, die nach aufwärts gehen, die kirchliche; jede Lebensbewegung aber, dort wie hier, wird durch sie geweckt, denn in demselben Fuge einen sich die einzelnen in Massen, und die Geeinten bewegen sich dann in der gleichen Richtung dieses Zuges. So haben, als vor Jahren diese Ziehkraft von einer politischen Mitte, der Idee der Befreiung des Vaterlandes ausgegangen, die Völker in jenen unteren Instinkten sich in ihr gesammelt und sind in der Hauptstadt ihres Drängers sich begegnet und haben sich ihr Recht verschafft. Als im Mittelalter der Gedanke, das heilige Grab in den Händen der Ungläubigen zu wissen, die Gemüter ergriffen; da war es nicht die Stadt Jerusalem als solche, die jene höheren Affekte angesprochen, es war auch nicht der Tempel, der sie angezogen, selbst nicht der Stein, auf dem die Teiche des Erlösers gelegen: es war die Heiligkeit, die dem Heiligen der Heiligen eingewohnt, die nun nach Art alles Höheren das Tiefere in sich befassend und durchdringend, bleibend ihm als eine Art von transfundierter Begeisterung eingewohnt; das war's, was sie hervorgerufen. Dies Einwohnende war gemeinsame Mitte, in der sie sich zusammengefunden; in ihr sind sie eins geworden untereinander, und da der Zug auch auf die Geeinten in Masse fortgewirkt, sind sie auch in Massen ihm folgend fortgezogen. Sich hinwälzend von Volk zu Volk, sind diese stets sich mehrend auch mehr und mehr angewachsen; und alle zuletzt, unter den Mauern jener Stadt zusammentreffend, haben sich das Grab erstritten.
Diese Züge, wie sie in ihren Zeiten aus sinnlich unscheinbaren Ursachen hervorgegangen, die Welt in Bewegung gesetzt, sie haben sich jetzt am Rheine wiederholt, und jener Teil des jetzigen Geschlechts, dem nur für das Greifliche noch ein Sinn geblieben, kann natürlich das Unbegreifliche nicht begreifen und will sich bei seinem Anblick zu Tod wundern. Jenes Gewand, das je nach Menschenaltern aus seiner Verborgenheit hervorgeht und in seinem Alter mit der Zeitrechnung voranschreitet, es ist nach Ablauf eines solchen geschichtlichen Stufenjahres wieder zur Sichtbarkeit gelangt, und sogleich hat es sich rund umher in allem Volke zu rühren und zu regen angefangen. Es war, als sei wie damals ein neuer Stern am geistigen Himmel aufgegangen, aller Augen hatten sich auf die Stelle gerichtet, wo er erschienen, und nicht zwar diesmal die Könige, wohl aber die Völker sind ihm nachgegangen. Jene wundersamen Kräfte im Tiefinnersten der Menschen, die ihnen nur darum verborgen bleiben, weil sie allem zum Grunde liegend wie der Tag selber alles sichtbar machen und wie das Leben selber ungefühlt alles verlebendigen; sie haben bald seinen Zug gefühlt und in kleinen Wellenschlägen sich zu regen und zu bewegen angefangen. Die kleinen Wellen haben bald zu größeren Wellenkreisen sich verbunden; die sind dann immer wachsend durch größere und größere Volksmassen hindurchgegangen; endlich hat das ganze Volk in allen seinen Tiefen und Höhen von ihnen sich umsponnen gefunden, und es ist wie ein wogendes und wallendes Meer geworden, in dessen Mitte eine tiefste Herzmitte sich gebildet, von der alle pulsierende Wellenbewegung ausgegangen, und zu der sie wieder ihren Rückgang genommen; also daß die Wanderscharen der Tausende wie in einem Odem der Begeisterung von jener Mitte eingeatmet in ihr Heiligung gefunden, und dann wieder ausgeatmet die Gefundene ins Leben trugen. Höhere Fügung hat es auch also geordnet, daß die ganze Bewegung, rein den sie aufregenden Kräften überlassen, von außen völlig ungestört geblieben. Man muß es der preußischen Regierung nachrühmen, daß sie nichts getan, um eine solche Strömung zu hindern und zu hemmen. Dort ist statt des engbrüstigen, beschränkten und furchtsamen Geistes, der früher nach oben geherrscht, ein besserer, frei atmender und freien Atem gestattender herrschend geworden; er hat seither Zeit gehabt, bis zu den untern Landesbehörden sich auszubreiten; diese zum Stören nicht angewiesen, haben auch nicht aus eigenem Ermessen solche Störung angeordnet. Es war wie herkömmlich anfangs die Rede davon, Truppen am Orte, wo frühere Ansicht Gefahr gewittert hätte, aufzustellen; aber man hat das Vertrauen gehabt, das zu unterlassen, und das Vertrauen ist nicht zuschanden worden noch auch die Verantwortlichkeit kompromittiert. Zwölf Gendarmen, die man zur Stadt berufen, haben sogar als entbehrlich sich bewiesen, da die Bürgerschaft in sehr verständiger Weise als Ehrenwache sich der Oberleitung angenommen. So war die Sache sich selber hingegeben, daß sie zu einem reinen Kreuzversuche sich aus sich selbst entwickeln konnte, damit man sehe, wes Geistes sie sei, und über welche Kräfte die Macht in ihr gebiete. Das nämlich war zum letzten Male die Frage: wie ist es um den religiösen Sinn in diesem Volke im ganzen bestellt? Ein siebenundzwanzigjähriger Krieg ist über dasselbe hergegangen; während dem größeren Teil dieses Zeitraumes hat er unter französischer Herrschaft gestanden: die Revolution hat sich ihm nicht etwa aus der Ferne gezeigt, sie, bis in seine Mitte vorgedrungen, hat es in ihren Kreis gezogen und bei ihm wie zu Hause geschaltet. In so lange dauernder Depression sind dann, so schien es, jene religiösen Instinkte nach und nach betäubt und abgelähmt, zuletzt erloschen und vergangen und haben vielleicht einer unruhigen Beweglichkeit in den untern Lebenskreisen ihre Stelle geräumt. Die, welchen alles Höhere eitel Tand und Blendwerk ist, haben solchen Ausschlag gehofft; aber der Kreuzversuch hat ganz zu einem anderen Ergebnisse geführt. Es hat sich erwiesen, daß diese Instinkte in Mitte aller Gefährde der Zeit sich ungekränkt bewahrt, daß sie, beim Namen gerufen, sogleich in voller Kraft zur Stelle gewesen und über ihre Unverwüstlichkeit angesichts ihres Gegenstandes sich ausgewiesen, der, als er aus seiner Verborgenheit hervorgegangen, selber unverändert, auch das Volk unverändert wiedergefunden, und so auch seine ganze unverminderte Kraft über dasselbe ausgeübt. Und nicht etwa im Verborgenen ist diese Prüfung der Geister vorübergegangen, daß sie ignoriert oder abgeleugnet werden könnte; die Zeit in ihrer feigen Art der höhern Wahrheit gegenüber sich zu halten, hätte dann den Schleier des Nichtwissenwollens darüber hingeworfen und wäre sofort hochmütig in ihrer Weise vorübergegangen. Nein, die Vorsehung hatte es also geordnet, daß die Probe vor aller Welt Augen abgelaufen und der Zeugenbeweis in kolossalen Buchstaben sich eingeschrieben; wie bei dem, was damals auf dem Sinai sich begeben, angesichts derer, die unten am Fuße des Berges hielten, der in Donnern und Posaunentönen hallte. Was eine Million Menschen freiwillig nach einer und derselben Richtung ohne Verabredung in Bewegung gesetzt, muß einer höheren Ordnung der Dinge angehören, da, was ihnen gleich oder untergeordnet steht, in der Regel auf geteilte Meinung trifft. Hier nun war in dem einen alles einverstanden; die großartigen Verhältnisse, die sich gestaltet, hatten laut es ausgerufen, und das Endergebnis hatte sich aller Welt hörbar aufgedrungen. Das Volk zwischen Rhein und Maas, die Bewohner des ersten und zweiten Deutschlands, soviel ihrer von fränkischer Wurzel dort eingezogen, hat sich erhoben und ist zu seiner ältesten Hauptstadt hingewandert, um dort Zeugnis zu geben. An die Spitze seiner Züge haben die Seelenhirten sich gestellt, die Bischöfe sind vorausgegangen, und so sind die Diözesanen der alten drei rheinischen Erzbistümer vor dem Schrein ihres Heiligtumes sich begegnet, was früher mit ihnen in einem kirchlichen Verband gestanden, hat sich ihnen angeschlossen. Westfalen, mit Köln stets früher verbunden, und die tiefer liegenden Bistümer; die katholische Bevölkerung rechts des Rheines, ehemals Trier angehörig; Speyer, was ehemals mit Mainz geeinigt gewesen: sie alle haben sich hinzugefunden; selbst Belgien und das katholische Holland haben sich nicht ausschließen wollen, und die Völker in Luxemburg, auch einst Diözesanen von Trier, sind herzugewandert. Selbst in Frankreich ist die Erinnerung jenes alten Diözesanverbandes wieder aufgewacht. Die Bischöfe von Metz, Verdun, Nancy und Saint Diez waren, wie bekannt, ehemals Suffragane von Trier; Toul und Nancy aber hat das Ereignis vereint gefunden; die Bischöfe von Verdun, Metz und Nancy aber haben mit vielen ihrer Diözesanen und zahlreichen französischen Priestern sich eingestellt...
*
Wenn aber die Bewegung an sich, durch ein scheinbar Kleinstes – verächtlich denen, die das Große nach ihrem Augenmaße messen – hervorgerufen, in ihrem Anschwellen zu jener unwiderstehlichen Gewalt, tröstend und erhebend ist, dann wird sie es noch viel mehr sein, betrachtet man sie in ihrem Entstehen und in ihrem ganzen Verlaufe, und in der Weise, wie sie, über Straßen und Wege herschreitend, sich innerlich geordnet und ausgestaltet hat. Als die Botschaft beim Volke sich angemeldet, da war das Verständnis mitgewandert, es hatte keiner Überredung bedurft; gleichzeitig war bei allen der Entschluß gereift, und jeder hatte sich reisefertig gemacht, um das Beschlossene auszuführen, so wie seine Umstände es gestatten würden. Ein Zwergsack nahm die erforderlichen Lebensmittel auf, wie ehemals bei den alten Heeren, wo jeder für seinen Unterhalt selbst zu sorgen hatte; schnell, indem jeder an seiner Stelle eingetreten, war die Prozession gebildet, die nun, Kreuz und Fahnen voraus, betend und singend stromaufwärts oder auf dem Landwege über die Hochebene herzog. Die Frauen hatten teilweise ihre säugenden Kinder mit auf die Fahrt genommen; Erwachsene liefen, soviel sie konnten, nebenan, und die Ermüdeten wurden in Wagen aufgenommen, die in großer Zahl den Zügen folgten. In geordneten Wegrasten wurde in den Dörfern eingekehrt, keiner verschloß die Türe den Ziehenden; die mitgenommenen Vorräte bestritten das Mahl, den wohlhabenderen wurde es zum Teil in jenen Wagen nachgeführt, vollkommene Gütergemeinschaft herrschte; dieselbe Streu, wo wie gewöhnlich die Betten nicht hingereicht, und das Heu in der Scheuer nahm die, welche der Zufall zusammengeführt, gemeinsam zur Nachtruhe auf, und am frühen Morgen wurde dann weiter fortgepilgert, war ein großer Ort erreicht, dann konnte die Gastfreiheit seiner Einwohner in einem größeren Verhältnisse sich entwickeln. Als der Zug der Limburger, viertausend oder mehr an der Zahl, über die Rheinbrücke bei Koblenz zollfrei einwandernd, in dieser Stadt angelangt, da war er, vom Glockengeläute empfangen, in der Pfarrkirche eingezogen. Während sie dort beteten und sangen, hatten außen in den Straßen die Einwohner sich gesammelt; und als die Pilger die Kirche verließen, entstand ein Wetteifer zwischen denen, die an ihnen diese Gastfreiheit zu üben sich vorgesetzt; jeder ging mit denen, die ihm in diesem Streit zuteil geworden, nach seiner Wohnung, und in ganz kurzer Frist war das Getümmel allumher verlaufen, und alle diese Leute hatten ihre Unterkunft gefunden... Zwei Tage später hatte in Trier die Aussetzung ihren Anfang genommen... Die Ziffer der Gäste wächst von Tag zu Tag höher, bis auf 800 000, bald zu einer Million, bis sie endlich am 6. Oktober, am Tage des feierlichen Schlusses, mit 1 100 000 abbricht. Der Ruf war vom hohen Dome der alten Trevirerstadt ausgegangen, die Ardennen hatten ihn vernommen, und der Idarwald und die alte Carbonaria; stromaufwärts war er gelaufen, und der Argonnenwald in Lothringen hat ihn zurückgehallt; über das Saargau und Speiergau war er hingegangen, und die Vogesen hatten ihm nachgesprochen; über die Hohe Eifel und den Westerwald hatte er sich ausgebreitet, und der Teutoburger Wald hatte die Töne im Widerhall zurückgegeben; gegen die Maas hin waren sie in die niederdeutschen Ebenen ausgelaufen, und dem Rufe hatte überall ein Gegenruf geantwortet. Und die Völker überall, wie sie auf den Hochflächen und in den Flußtälern oder in den breiten Niederungen gesessen, hatte der Ruf angemahnt; und sie hatten nicht welche aus ihrer Mitte hingesendet, die sie vertreten sollten und in ihrem Namen das Opfer ihrer Liebe und Verehrung hinübertragen, sondern der ganze Heerbann hatte sich erhoben, Schar an Schar gedrängt, war hingezogen. So waren bei der Umzählung am Ziele die Gesamtmassen in einem so großartigen geometrischen Verhältnis angewachsen, während die Zeiten in einem arithmetischen vorangeschritten; und alle Mundarten Niederdeutschlands und Mitteldeutschlands einten sich in diesen Massen verträglich mit den welschen Dialekten, die teilweise sich ihnen beigesellt. Von vier Uhr in der Frühe bis elf Uhr in der Nacht zogen die Scharen am Heiligtum vorüber, das so viele Jahrhunderte überdauert; es war den Leuten, die dort ununterbrochen vorübergegangen, als wäre der, welcher einst dieses Kleid getragen, selbst zugegen und hielte Musterung über die Getreuen, die ihm noch geblieben; darum hatte das lebende Geschlecht im Herzen sich gedrungen gefühlt, zu tun, wie die Früheren vor ihm seit so vielen Jahrhunderten getan; gleichfalls hinzugehen, ihn zu umdrängen und, beim Namen aufgerufen, seine Anwesenheit zur Stelle mit einem »Da!« zu bekräftigen und dadurch ihm Zeugnis abzulegen, daß die Söhne den Vätern sich gleich gehalten, wie auch Er derselbe geblieben. Elf bischöfliche Oberführer jenes Pilgerheeres haben in solcher Weise ihre Anwesenheit konstatiert; jeder hat eine jener Scaras geführt, und ihr Herr und Meister kann auf ihre Treue zählen in allen Vorkommnissen. Es war ein großer, denkwürdiger Akt in der Geschichte seiner Kirche, eine große Demonstration, im Angesichte aller Völker vorgenommen, in bester Form rechtens abgelaufen; bekräftigt durch jene übergroße Zahl von Zeugen, und darum, weil durch kein Ableugnen und keine Sophisterei niederzureden, rechtsgültig für alle Zeit und unumstößlich. Die Zeitung von Bremen hat im Beginne der Feierlichkeit unmutig ihren Konfessionsgenossen zugerufen: »Es werde hier ein Schauspiel sich eröffnen, dessen grandioses Detail diejenigen zum Nachdenken anregen möchte, welche derartige Erscheinungen in unserer Zeit für unmöglich gehalten. Dieses ernstliche Nachdenken möchte sehr empfehlenswert sein, weil sich an dasselbe eine wundersame Anschauung knüpft, die den deutlichen Beweis liefert, daß die wirkliche Welt im Jahre 1844 doch eine ganz andere sei, als sie sich unsere Philosophen und kühnen Denker konstruieren.« Das waren ahnungsvolle Worte, durch die Überwältigung der nahen Entscheidung dem unwilligen Munde abgedrungen; sie haben sich nun vollkommen bewährt, und unsere Philosophen und kühnen Denker mögen es sich endlich fest einprägen und es sich nicht abermals und zum andern Male wieder ausreden lassen: daß die Welt im Jahre 1844 wirklich eine ganz andere ist, als sie dieselbe sich vorgestellt, und daß alle ihre Konstruktionen nichtig sind und eitel Blendwert, das sie sich selber vorgemacht, und nun von diesem Dampf und Dunste aus die Welt angesehen und, wo sie es vermocht, regiert und noch regieren.
Jene Welt, die von diesen Konstruktoren sich betören lassen, als sie jenen feierlichen Akt sich vorbereiten gesehen, hat allerdings ihrerseits an Zuspruch an die Massen es nicht fehlen lassen, damit womöglich die drohende offenkundige Sanktion jenes Aktes, eines Skandals des Jahrhunderts, wie sie glaubte, abgehalten werde. Die Presse hatte seit zwei Menschenaltern keine Mühe sich am Volke verdrießen lassen, um es zu ihrem Zwecke zu üben und zu dressieren; jetzt war endlich die Zeit herangekommen, wo es sich klar der Welt herausstellen sollte, was sie vermocht, was sie gewirkt und wie glücklich es mit ihrem vorhaben gelungen. Aber es ist ganz anders ausgefallen; überaus verdrießlich, entmutigend und niedergeschlagen. »Die ganze Nacht haben wir unsere Netze ausgeworfen und nichts gefangen«, also klagten damals die Jünger; als ihnen aber der Herr am Morgen nochmal einen Zug zu tun gebot, da hatten sie mit einem Male mehr Fische gefangen, als ihr Schifflein fassen mochte. So die Kirche bei dieser Fischerei. Die Gewerkschaft hatte gar emsig das schlafende Volk mit sieben neuen Stricken gebunden und Haar vor Haar an die Erde angepflöckt; als aber der Ruf erscholl: »Simson, die Philister über dir!«, da war der Schlafende aufgesprungen, und mit einem Rucke waren die Stricke entzwei, mit denen Dalila ihn gebunden wähnte; die lange Arbeit war verloren, und die Milbe, die so lange an den Fundamenten des Weltgebäudes genagt, hatte keinen Umsturz hervorgebracht ...
*
Diese große Unruhe, die die Demonstration der rheinischen Völker auf der andern Seite erweckt, hat auch zu ihrer Beschwichtigung zur Kritik ihre Zuflucht genommen und sie gegen den Gegenstand ihrer Verehrung aufgeboten, woher kommt dieser Rock und womit mag er seine Echtheit beweisen? Nur bis ins zwölfte Jahrhundert kann er urkundliche Zeugnisse vorweisen; rückwärts geht alles ins Nebelreich der Fabel auf, das alle diese Gegenstände abergläubischer Verehrung umhüllt. Es ist schon recht, mit dem zwölften Jahrhundert brechen, wie die Dinge gegenwärtig stehen, die unzubezweifelnden urkundlichen Zeugnisse ab; Regesten der Päpste aus den früheren Zeiten fehlen, und Belege für die Tradition haben nur teilweise zufällig sich erhalten. Damit hat aber auch diese Kritik, die nur an ihnen bis zu diesem Punkte hingelaufen, ihr Ziel erreicht. Nach vorwärts fällt ihr Wirkungskreis, darin mag sie sich ergehen, nach rückwärts hat sie nur wenige ungewisse Punkte, auf denen sie zu fußen vermag; die Bedingungen ihres Bestandes fehlen ihr dort gänzlich, und sie kann auf ihrem Wege vorangehend, nur zu gänzlich negativen Resultaten gelangen, will sie daher mit Erfolg weiter vordringen, muß sie erst nach den vorgefundenen Verhältnissen sich umgestalten. Mit allen andern Gegenständen, die an den Ablauf der Zeit und ihre Perioden geknüpft, auch ihrem Wechsel ins Große hin unterliegen, wird es ebenso beschaffen sein. All unser Adel kann seine Stammlisten nur einige Jahrhunderte weiter hinaufführen, die Prüfung derselben kommt der historischen Kritik zu; da aber die Stammbäume ihre Wurzeln im Dunkeln und in der Erde bergen, kann sie, an das Tageslicht zum Lesen der Urkunden gebunden, ihnen nicht folgen auf ihren unterirdischen Wegen, ohne zuvor eine dem neuen Medium gemäße Metamorphose durchzugehen. Niemand kann leugnen, daß es vor der karolingischen Zeit, bis in die Urwälder Altdeutschlands hinein, einen Adel schon gegeben, der sich tatsächlich im Blute vom Vater zum Sohne fortgepflanzt und im Bewußtsein seiner unbestrittenen Geltung im Leben gar nicht um schriftliche Zeugnisse zur Rechtfertigung und zum Nachweise seines wirklichen Daseins sich bekümmert. Nur Sang und Dichtung haben sich dieser seiner alten Erinnerungen angenommen, und die Sage hat die Taten der Früheren in ihrer Weise aufbehalten, damit sie den spätern Nachkommen ein Antrieb seien. In das Sagenhafte muß vor allem die Kritik sich hineinzufinden wissen; sie muß, die vollständig ihr vorliegende Sage und Dichtung überschauend, sie in ihrem wahren Wesen zu verstehen und zu würdigen sich das Geschick erwerben, soll ihr überhaupt ein Urteil über jene Zeit zukommen, das aus und in ihrem Geiste gefällt, der Gesamtmeinung dieser Zeit, wie nicht zu zweifeln, zur Bestätigung dienen würde, wollte sie anders verfahren, dann wäre es, als ob die Mathematik etwa in Sachen des Gemütes oder im Reiche der Ideen sich des Richteramtes unterfangen wollte; die Wahrheit, die in jener Zeit in den Formen der Poesie erschienen, wäre zugleich mit ihr vernichtet und das kräftige Regen einer lebensvollen Periode in eine tote, geistlose Leere umgewandelt. Ebenso ist es beschaffen gewesen um jegliches in jener Zeit, was mit Religion und Kirche in irgendeiner Verbindung gestanden. Alles irgend Wesentliche hatte die Kirche aufgenommen, es mit ihrer Sanktion bekleidet, und so war es in das Volksbewußtsein eingegangen. Jahrhunderte hatte es nun in der Überzeugung des Volkes fortgelebt und war in einer Art von lebendiger Transfusion von Geschlecht zu Geschlecht übertragen worden; und niemand war es eingefallen aufzuschreiben, was alle wußten oder fühlten und was in allen, die da lebten, aus und ein ging ohne Unterlaß. Nur die Legende, in der damals noch, nach der Auffassungsweise der Zeit, das Element des Geistes, das auf strenge Wahrheit dringt, mit dem der Einbildungskraft – die sonst ungebunden ihre freien Hervorbringungen nur durch den wohlgestimmten Zusammenklang des bloß Möglichen begrenzen läßt – sich im Gemüt des Hörers vermittelt, sie hat es ausgesprochen, indem sie das allen Gegenwärtige in die Dichtung hüllte und durch diese Zutat es erst zum Bewußtsein brachte, wollte die Kritik nun zufahren in ihrer Weise und aus ihrem Gesichtspunkte des bloß logischen Verstandes mit moderner Barbarei die Webe zerreißen und zerfetzen, die die Zeiten auf ihrem Webstuhle gewirkt, dann würde nichts sie in ihrem Zerstörungswerte aufzuhalten vermögen, bis dieses beim ersten Anfange der Dinge angelangt. Und so hat diese protestantische Kritik in der Wirklichkeit verfahren. Sie hat zuerst alle Jahrhunderte bis zu dem des Konziliums von Nizäa in ihrem Alkaheste aufgelöst; da in diesem Prozesse das Ätzmittel in zunehmender Schärfe sich nur gesteigert, hat sie ihnen bald auch die früheren Jahrhunderte nachgeworfen, dann auch die Evangelien dem Fresser dargeboten, während andere dieser Alchimisten mit den Büchern des Alten Bundes in gleicher Weise verfuhren, so daß sie also glücklich beim ursprünglichen Nichts angelangt, aus dem sie nun eine vernünftigere Welt zu konstruieren sich bemüht. Die es diesen Weltvernichtern nicht nachzutun willens sind, müssen also das Legendenhafte zu verstehen sich bemühen, damit sie in ihm die beiden Elemente, Wahrheit und zum Schönen gestimmten Schein, zu trennen wissen.
*
Eine alte Dichtung, die von der Hagen neuerdings herausgegeben unter dem Titel »Der ungenähte graue Rock Christi, wie König Orendel von Trier ihn erwirbt, darin Frau Breiden und das Heilige Grab gewinnt und ihn nach Trier bringt«, gibt uns Gelegenheit, das eben Gesagte weiter nachzuweisen und auszuführen. Diese Dichtung, die in der Handschrift von Straßburg d. J. 1477 angibt, in dem sie mit fester, leserlicher Hand auf einem dauerhaften Papiere geschrieben worden, beruft sich auf eine andere, noch ältere, die ihr zugrunde liegt. Sechsmal nacheinander kommt dies Berufen im Texte vor. Sie wird im allgemeinen bezeichnet als das Buch, einmal auch als ein deutsch Buch, und zum dritten Male als ein Lied in den Worten »also es an dem Liede gat«. Die Stellen, bei denen sich auf dieses deutsche Lied berufen wird, gehören nun teils der Legende vom heiligen Rocke, teils der mit ihr verbundenen Heldensage vom Könige Orendel an; beide Elemente waren also schon in diesem älteren Liede besungen, das, wie es scheint, nur kürzer und gedrängter die Hauptmomente der Dichtung zusammenfaßte, damit sie rhapsodisch dem Volke vorgetragen werden konnte. Schon Hagen hatte auf diese zweideutige Rolle aufmerksam gemacht, die wiederholt die Tempelherren dem Helden gegenüber spielen. Das deutet darauf hin, daß der Orden, der im Jahre 1118 gestiftet worden, in der Meinung der Zeit bei der Abfassung des Liedes schon bedeutend gefallen war; was besonders seit dem Kreuzzuge Friedrichs II. der Fall gewesen. Das weist also die Abfassung in diese Zeit zurück, die mithin der Auffindung des heiligen Rockes im Dom von Trier im Jahre 1196 ganz nahe liegt. Dieser Fund hatte damals die Gemüter in ganz Deutschland aufgeregt, er hatte allen als ein merkwürdiges Zeichen der verhängnisvoll hereinbrechenden Zeit bedünkt und so denn auch der Volksdichtung den Anstoß gegeben, daß sie sich des Gegenstandes bemeisternd, ihn in ihrer Weise zu einem großen Motiv genommen. So wurde denn damals jenes verlorengegangene Lied gesetzt; dem Volke bestimmt, mußte es alles das aussingen, was im Gegenstande beschlossen, die Sympathien in diesem Volke erwecken konnte; also alles, was die Legende von dem Gewande des Erlösers aufbehalten, und dann was von der örtlichen Heldensage mit dieser legendenhaften Tradition sich verbinden ließ. So war also die Dichtung unmittelbar aus dem Volksgemüte herausgewachsen, und so hat sie nicht, wie so mancher andere Gegenstand, ihren Durchgang durch die lateinische Sprache machen müssen; sie wurde unmittelbar aus dem Leben aufgenommen und bot sich sogleich als ein würdiger Gegenstand der epischen Poesie. Als man im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert nach und nach alle Sagenkreise in der Form des Epos ausgeführt, wurde auch dieser aufgenommen, in der epischen Breite ausgeführt und das Gedicht vom grauen Rocke dann dem Zyklus verwandter Dichtungen eingefügt und dem großen, alles überwipfelnden Baume eingepfropft. Drei Jahrhunderte nach jenem ersten Funde ist wieder ein neuer Anstoß in die damalige Zeitgenossenschaft ausgegangen. Kaiser Maximilian, recht an der Schärfe der Schneide zweier Zeiten stehend, ein Pfleger und Verehrer der Alten aus Instinkt, ein Geburtshelfer der Neuen aus Drang und Not, hatte den lange Verborgenen wieder zutage gefördert; und abermals war der Ruf von dem kostbaren Schatze, den die Stadt Trier an ihm besitze, vom um ihn her gesammelten Reichstag aus durch die umliegenden Lande und bald durch ganz Deutschland hingelaufen, und aller Augen hatten sich abermals auf den hohen Dom gerichtet. Aber das Deutschland von damals war nicht mehr jenes von ehehin; die Zeit des ersten Fundes lag jetzt in den Geburtswehen einer neuen Zeit; das alte Herz schlug noch, aber ein anderes hatte unter ihm in seinen Pulsen sich zu regen angefangen; das Leben des Geistes in der Dichtung, sein Walten in Sage und Legende war zurückgegangen; die Macht der Prosa aber hatte sich ausgebreitet, und die erwachte Nüchternheit mochte lieber in diesem ihr mehr zusagenden Elemente sich bewegen. So ist es denn damals zu keinem neuen dichterischen Erzeugnisse gekommen; das frühere epische Gedicht wurde nur in Prosa aufgelöst, und der vor zwei Menschenaltern erfundene Druck breitete es von Augsburg her im Volke aus. Das ist der Ursprung des Buches gewesen, das aus der hiesigen Zentralbibliothek vor mir liegt, und das den Titel führt: »von dem untrennlichen, ungenähten Rock unseres Herrn Jesu Christi mit Holzschnitten«; genommen ist es, wie der Herausgeber sagt, aus einem gar alten Büchlein, das fast meisterlich und mit großem Fleiß geschrieben ist. Am Ende heißt es: »Damit das diese Geschichten nit abfallen auß Gedechtniß der Menschen hab ich Hanß Othmar dieß Büchlein wollen drucken, in der Kaiserlichen Stat Augspurg bei St. Ursula Closter am Lech, in dem Jahr da dieser Rock zu Trier gefunden ward 1512.« Gedicht und Prosaauflösung stimmen im ganzen überein, jedoch mit Abweichungen im einzelnen. Auf beide sollen unsere Bemerkungen über den Geist, in dem jene Zeit die Geschichte aufgefaßt, sich begründen; um so mehr, da man im Gebiete der Poesie gemeinfaßlich für alle über tiefergehende Verhältnisse sich auslassen kann. Da Legende und Sage gemeinsam in die Dichtung eingegangen, reden wir von der Legende zuerst, das Sagenhafte demnächst betrachtend.
Die Dichtung erzählt uns also, was man im dreizehnten Jahrhundert von dem eben wiedergefundenen Gewand des Herrn dachte und was die Tradition in frühere, seither verlorengegangene Schriften niedergelegt. Grau ist ihr dies Gewand, und nach dem Berichte der Augenzeugen ist seine Farbe wirklich aus grau und braun gemischt, wobei jedoch die letztere Farbe von ferne nicht sehr in die Augen fällt, von Lammswolle hielt man ihn damals gewirkt; andere hat es bedünkt, es sei Kamelhaar oder Nessel. Marie hat ihn gesponnen, St. Helene (Magdalena) wirkte ihn auf dem Ölberg, und er war ohne Nähte und ohne Geren, auch blieb es ungewiß, in welcher Weise er gefertigt worden: ob durch Weben, Stricken oder Häckeln. Sein erster Besitzer ist ein Jude gewesen, der ihn von Herodes zum Lohne seiner alten Dienste sich erbeten; der müht sich umsonst, die Blutflecken herauszuwaschen, und da er ihn nun nicht tragen darf, versenkt er in einem Steinsarg ihn ins Meer. Der Wellenschlag erbricht den Behälter, und das Meer wirft ihn nach drei Tagweiten auf einen Sand. Dort bleibt er neun Klafter tief bis ins neunte Jahr begraben, wo ihn die Wogen wieder zutage schwemmen. So findet ihn nun der Pilger Tragemund auf seinem Wege zum Heiligen Grabe über Zypern; er, ein weltkundiger Mann, denn zweiundsiebzig Königreiche sind ihm wohlbekannt. Er freut sich des Gefundenen und will ihn im Meere auswaschen; aber das rosafarbene Blut will sich nicht tilgen lassen, das Gewand wird vielmehr immer röter, je länger er wäscht. Daran erkennt er nun zur Stunde, wessen der Rock gewesen, hält sich für unwürdig, ihn zu tragen, und wirft ihn abermals ins Meer. Noch jetzt gewahrt man diese Flecken an dem Gewande; sie sind dunklerer Farbe, wie wenn Blut sie hervorgebracht. In den Wassern verschlingt das Schwimmende nun ein Wal, und behält ihn neun Jahre unversehrt in seinem Magen. Der Fisch aber ward vom schiffbrüchigen Orendel in einem großen Fischzuge gefangen, und Meister Yse, der Herzog aller Fischer, findet den Verschlungenen im Magen des Wals, als er diesen öffnet. Er hält ihn für eines Herzogs Kleid, schätzt ihn auf fünf Schilling Goldstücke und bietet ihn um diesen Preis auf dem Markte aus. Aber beim Verkaufen tut Gott ein Zeichen; wer den Rock angriff, dem schien er morsch und faul und zerbrach ihm unter den Händen. Da das Meister Yse sah, gab er den Gefundenen viel geringer, um dreißig goldene Pfennige, um die der falsche Judas den Herrn aller Welt verraten und verkauft. Das Geld hatte Maria von ihrem Sohn erbeten und dem Orendel durch einen Engel zugesendet, damit er anständig bekleidet werde. Als er nun den damit Erstandenen angelegt, da war er wieder ganz neu, in aller Gebärde, als ob er eben erst gemacht wäre, und ihm wurde gesagt: in diesem Rock, den Gott selber zu seiner Marter trug, darin bist du verschlossen, als wärst du in Stahlringe gewappnet; dich mag keine Waffe dadurch versehren, du sollst aber darin fechten mit fünfzehn heidnischen Herzögen, und wirst darin siegen unverzagt! Hier, in dem Akte des Übertrags des Gegenstandes auf den Helden, ist es nun, wo die Legende und die Sage miteinander sich verflechten. Jener Orendel ist nämlich einer der drei Söhne des Königs von Trier, Aggl oder Eigel, dem zwölf Könige dienten. Da er mit dem Schwerte Ritterehre erlangt, will er sich eine Gattin freien; der Vater weiß keine, die seiner würdig wäre, als eine, die gesessen jenseits des wilden Meeres, geheißen Frau Breide, die über das Heilige Grab gebiete und über viele Heidenschaft. Er läßt dem Sohne eine Flotte von zweiundsiebzig Kielen, bemannt mit neuntausend Rittern rüsten, denen zwölf Schmiede goldene Sporen schmieden, zudem ein goldenes Kreuzbild zum Opfer bei dem Heiligen Grabe. Damit begibt er sich auf die Brautfahrt, wird am Klebermeere drei Jahre gebunden, dann vom Sturm befreit; in der Nähe von Großbabylonien aber, wo zweiundsiebzig Könige herrschten, von einem andern ergriffen, der sein ganzes Heer versenkt, also daß nur er nackt auf einem Strand entrinnt. Dort von Meister Yse gefunden, gibt er sich ihm zum Knechte und muß als erstes Lösegeld jenen Fischzug tun, der seinem neuen Herrn mit viertausend Fischen und dem Wale sein ganzes Schiff anfüllt. Nun fährt Yse mit dem Knechte zu seinem siebentürmigen Hause, in dem ihm und seiner Gattin achthundert Fischer dienen, und hier erwirbt der sich im Kaufe den Rock, den er mit dem Walfisch gefangen. Er geht nun Urlaubs zur Fahrt nach Jerusalem, die er angelobt. Dort herrscht Frau Breide über die Tempelherren und Sarazenenkönige; der neue Ankömmling, bald unter dem Namen des Grauen Rocks bekannt, wird von den ersteren mit Mißgunst aufgenommen und muß an den anderen seine ersten Sporen sich verdienen. Seine Taten erwecken die Aufmerksamkeit der Königin, und sie läßt ihn vor sich rufen; die Gottesstimme hat ihr die Ankunft des Königssohnes Orendel von Trier angesagt, der solle ihr Herr werden und König von Jerusalem: damit hat sie ihn angeredet: »Seid Ihr nun derselbe Jüngling, so sollet Ihr mir willkommen sein!« »Nein, Frau«, erwiderte er, »weiß Gott, ich bin kaum sein Bote!« Sie rüstet ihn unterdessen aus zum Streite und heißt ihm bringen ein Roß mit einem Sattel von Elfenbein und einen goldbeschlagenen Panzer; er aber legt seinen grauen Rock darüber an und bittet noch um ein gutes Schwert; und sie gebietet, ihres Vaters Schwert herbeizubringen. Einer ihrer Kämmerer schließt nun eine mit drei Schlüsseln verschlossene Lade auf und bietet ihr ein Schwert, leuchtend wie ein Spiegel. Sie schlägt es an eine Steinwand und brach es in drei Stücke; den Hämmerer aber nimmt sie bei den Haaren und tritt ihn mit Füßen. Nun verrät er den alten Schatz, eines Mannes tief unter der Erde findet man das Verborgene; es wurde nie von einem Manne geführt, der nicht siegreich kämpfte, und bald wird ihm auch der Helm Davids aufgesetzt. In dieser Rüstung zieht er nun gegen die Heiden aus; die Tempelherren aber sprachen: »Soll dieser hier unser König sein, das wär ein seltsam Ding? Nun hat er nicht mehr an seinem Leide, als diesen grauen Rock, der da ist ohne Nath und ohne Geren, recht als ob er ein Mönch wäre und aus einem Kloster entronnen; darum wollen wir keinen Fußtritt fortan nach ihm richten.« Er muß nun allein gegen die Feinde reiten, Breide aber kommt ihm gewaffnet zu Hilfe; er siegt wie immer über Türken und Sarazenen und entdeckt ihr jetzt seine Abkunft. Sie nimmt ihn nun zum Gatten, aber am Abend verkündet ihnen ein Engel, daß sie neun Jahre Keuschheit zu üben hätten; die Tempelherren aber schwören ihm Treue als ihrem rechten Herrn. Als alle Heiden allumher bezwungen sind, kommt Botschaft: seines Vaters Burg sei von zwölf heidnischen Königen überzogen. Mit großem Heere macht daher der König von Jerusalem sich auf; über Rom wird nach Metz gefahren, und als sie vor Trier angekommen, legen die Heiden die Waffen nieder und nehmen die Taufe an. Der Sieger hält nun seinen Einzug in Trier, und König Aggl, sein Vater, nimmt ihn mit Freuden auf. Da nun aber von Jerusalem gemeldet wird: durch Verrat sei das Heilige Grab und das Hand in der Heiden Hände gefallen, entschließt Orendel sich wieder zur Heimfahrt dahin. Aber am vierten Tage kam ihm ein Bote von Gott und seiner Mutter, sprechend: »Du sollst den grauen Rock nicht mehr mit dir führen, und sollst ihn lassen in der Stadt zu Trier. Da will Gott sein Gericht halten, und den Sünder will er dahin laden, und zeigen seine heiligen fünf Wunden, die er hat empfangen, und das wird geschehen im Tal zu Josaphat, wo er wird richten über alle.« Da heißt er drei Priester für sich bringen und tat verwirken den grauen Rock in einen Steinsarg und befahl ihn seinem Vater und dem Lande Trier. Dort soll er nun aufbewahrt bleiben zum Zeugnis für die Leiden des Herrn, und vier Priester, setzt die Prosaauflösung hinzu, sollen seiner in Hut wahrnehmen; stirbt aber einer, dann wird ein anderer an seiner Statt geordnet; also daß ihrer allzeit vier waren, die wußten um den Rock. Und so ist er noch zu Trier und soll auch dort bleiben. Orendel aber fuhr mit seinem Heere nach Jerusalem, erstritt wieder die Stadt und das Heilige Hand von den Heiden, und alles wurde ihm abermals Untertan. Er und sein Gemahl leben noch ein halbes Jahr und zwei Tage in der früheren Keusche und werden dann ins frone Himmelreich geführt.
Das sind die wesentlichen Momente der Legende und der Sage, die in dieser Dichtung zu einem Ganzen sich verschlungen haben.
Das ist der Inhalt dieses Gedichtes, in dem die flache Leerheit dieser Zeit in solchen Dingen nichts als ein Gewebe abgeschmackter und verrückter Abenteuer erkennen wird ...
*
Die tiefsinnige christliche Symbolik hat in ihren Kreis noch andere Symbole aufgenommen, und so bildet denn auch diese Dichtung nur eine Gliederung im großen ganzen symbolischer Poesie. Wie nämlich das Heilige Grab, in dem der Sieg über den Tod gewonnen worden, mit dem Gewande, in dem die Unverwüstlichkeit des gewonnenen Lebens sich symbolisiert, in Verbindung gebracht worden, so das Kreuz, an dem die Übernahme des Todes sich vollbracht, mit demselben Grabe, in dem das ihm entströmende Leben sich zum ersten gefaßt. Die Heilige Geschichte setzt an ihren Anfang, am ersten Sabbat, den Baum des Lebens, der wieder an ihrem Schlusse im zweiten Sabbat, an den Wässern des Lebens bei Gottes Throne grünt. Im Laufe der ganzen Profangeschichte verzweigt sich aber durch das Menschengeschlecht hindurch der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen; er steht am Anfange derselben, in der Mitte hat die Erlösung sich an ihm vollbracht, am Ende wird unter ihm, als der Esche, die ganze Geschichte überschattet, das Gericht abgehalten. An Gottes Tische sollte das Geschlecht die unversehrte Opferfrucht essen und göttliches Leben sich aneignen; es aber hat genossen von der geteilten Frucht, die der in sich zerrütteten Kreatur entsproßt, und so ist die ganze Geschichte einem zweiträchtig gespaltenen Leben verfallen. Der Spalt ist zwischen dem Seelischen und dem Leiblichen hindurchgegangen und hat sich in dem Wechsel zwischen leiblichem Leben und Tod geäußert. Der gleiche Spalt aber hat auch Gott von der Kreatur geschieden, also daß auch hier ein Wechsel zwischen geistigem Leben und Tod eingetreten. Die letztere Spaltung aber ist die weitere und umfassendere und darum Grund der andern; diese konnte mithin nicht aufgehoben werden, es sei dann zuvor die andere geheilt. Diese Heilung konnte aber nur von Gott ausgehen, damit der Mensch vom Tod genese, den er vorbeigehend an der Gottesfrucht sich in der Todesfrucht angegessen, mußte der Gott, in den Menschen einkehrend, mit dem Menschen essen von der Todesfrucht, damit die durch den zuerst Essenden unterbrochene Gemeinschaft mit Gott durch den zweiten Essenden von Gottes Seite her sich wieder anknüpfe. Der Akt der Kreuzigung ist daher nur der Gegenakt gegen die erste Tat im Sündenfall gewesen; und wie die Menschheit an dem Baum der Versuchung gekreuzigt worden, so hat ihre Befreiung nicht anders erwirkt werden mögen, als indem der Gottmensch ohne Schuld sich gleichfalls an ihm kreuzigen lassen. Indem er am Tische der Kreatur den Tod gekostet, hat er dann in sich die zuerst gerissene Spaltung wieder aufgehoben und den Tod zerstört; der Baum der Versuchung aber hat in seinen guten Zweigen in den Lebensbaum sich umgewandelt, der, nachdem die letzte Aussonderung der bösen Zweige durch die ewige Gerechtigkeit sich vollbracht, am Ende der Dinge in all seiner Herrlichkeit wieder hervortritt. So ist also dieser christlichen Symbolik der Versuchungsbaum und der Raum der Erlösung im Kreuze ein und dasselbe Gewächs, und derselbe, der dem ersten Stammvater am bösen Zweig die Todesfrucht getragen, hat dem zweiten am Guten die rettende Lebensfrucht gespendet; im ersten Falle ist nur aus dem Süßen die Bitterkeit hervorgegangen, im andern hat aus der Bitterkeit die Süße sich entbunden ...
*
Alle ... Gegenstände, die die Kirche als die Hüllen ihrer Dogmen anerkennt, haben nun die Kirchenväter in ihre großartige Symbolik aufgenommen und die Synthese derselben an sie geknüpft. So ist ihnen das Zeichen des Kreuzes das Symbol geworden, in dessen Form und Kraft das ganze Weltall geordnet ist; die Heiden haben die Macht ihrer Götter von ihm abgeleitet; die Propheten haben von ihm geweissagt, und durch alle Reiche der Natur und durch die ganze Geschichte hat es geherrscht und seine Macht erwiesen, die erste Oberfläche sei im Kreuz beschrieben, sagten die Araber; es sei aus der Kraft der Sterne hervorgegangen und behalte in sich diese Kraft und den ganzen Geist der Natur. Das gesamte Universum, in der Richtung von der Oberwelt zur Unterwelt durch die Mittelwelt mit ihren beiden Seitenrichtungen, sei nach ihm gebaut, und die Weltgegenden in ihm hätten sich gleichfalls ins Kreuz gestellt. Das Henkelkreuz war eine ägyptische Hieroglyphe und bedeutete das künftige Leben, alle ihre Götter führten es daher in Händen. So hatten die altertumskundigen Heiden des Landes den Christen aus alter Überlieferung berichtet, als diese im Tempel des Serapis überall die Kreuzeszeichen aufgestellt. Sie hatten hinzugefügt: ein altes Wort habe geweissagt: so lange würde das Altverehrte aufrecht stehen, bis jenes Zeichen erscheine, in dem da das Leben sei; was jetzt einzutreffen angefangen und unter Theodosius sich vollends ganz erfüllte, wo man mit den andern Tempeln der Götter auch den des Serapis schleifte und die Grundsteine mit demselben Zeichen bezeichnet fand. So hat denn auch die Sibylle von diesem Symbol geweissagt, die Orakel haben es gepriesen, der 21. und 138. Psalm haben davon gesungen. Moses hat es mit der Schlange in der Wüste aufgerichtet. Durch die ganze Natur tritt es hervor, die Bäume erwachsen in seinem Gesetz; die Vögel durch die Lüfte fliegend, sie bilden mit ausgebreiteten Flügeln die Kreuzesform; die menschliche Gestalt ist in dieser Form aufgebaut; allem also, was er ersinnt und ertrachtet bis zur innersten Werkstätte des Gedankens hin, ist sie aufgeprägt; wenn er wandelt, wenn er auf den Wässern schwimmt, es ist nur das Zeichen, das er in seinen Elementen bewegt. Wenn er mit dem Pfluge die Erde bebaut, so wirft er sie in diesem Zeichen auf, wenn er im Schiffe über die Meere segelt, so einigen sich Mast und Segel in diesem Zeichen, und in ihm zieht sich die Meeresfurche; wenn er als Plastiker menschliche Gestalten bildet, er prägt in ihnen dasselbe Zeichen aus. wenn die Römer ihre Trophäen aufgestellt, die aufgehängten Waffen haben sich in ihm zusammengefunden; und der Betende bringt in dieser Form seine Huldigung dem Gegenstande seiner Verehrung dar. So ist es also eine der Grundformen aller Form auf Erden, und als die Vierzahl eine der Grundzahlen, die sich allen Zahlen unterstellen. Wie das Kreuz, so ist auch das Grab und die Krippe ein solches Symbol. Der herabgestiegene Logos ist in der einen, nachdem er den Menschen angezogen, in die Geschichte eingetreten; im andern, nachdem er zuvor den Leib abgelegt, hat er ihn wieder an sich genommen und ist nun der Stammvater eines neuen Geschlechtes geworden. Beide gehen daher in die Arche zurück, die von dem vorflutigen Geschlechte die letzten geretteten Sprossen in sich aufgenommen, die dann in ihr, in Mitte der Schatten des Todes, zu Keimen eines neuen Geschlechtes sich umgestaltet, das aus dem allgemeinen Untergange hervorgehend, aufs neue in der Erde Wurzel gefaßt, wieder ist die Bundeslade einer ihrer Typen, über den Elohim geschwebt wie der Logos über den andern, und die ebenso die Zeichen des Bundes auf dem Berg Sinai in sich beschloß wie diese die des Neuen in dem sichtbar gewordenen Unsichtbaren. Wie daher das Kreuz später an dieser, in neuerer Zeit gleichfalls erst sichtbar gewordenen Südhälfte des Himmels aufgegangen, so in der Argo schon in ältester Zeit das Symbol des sich offenbarenden und bergenden Gottmenschen. Ebenso ist dem Reiche der Eucharistie der Mischbecher in der großen Schöpfungsfeier typisch vorangegangen. Der Wertmeister des alten Weltbaus hat in diesem Becher die Elemente zu dem Bau gemischt, und indem er das umgestaltende Wort der Weihe darüber ausgesprochen, ist zu dem aus dem Nichtsein ins Dasein transsubstantiierten Stoffe zugleich die Form hinzugetreten, und aus dem Becher ist der ganze Weltbau in all seiner Schöne hervorgegangen. Auch diesen Becher kennen die Überlieferungen aller Völker, er glänzt daher gleichfalls im Sternenlicht am Firmamente, und auch der sternkundige erste Sammler der Gralsagen hat ihn dort gesehen. So hat denn nun endlich auch diese Symbolik das untrennliche Gewand des Herrn in ihren Kreis hineingezogen. Der Rock aber, über den das Los geworfen worden ist, sagt Augustin, bezeichnet die Einheit aller Teile, welche durch das Band der Liebe zusammengehalten wird. Derselbe ist ungenäht, damit er nicht irgend einmal aufgetrennt werde; er ist an einen gekommen, daher sammelt er alle in eins, von der Einheit hat die Kirche ihren Ausgang genommen, und zu ihr will sie die Gesamtheit der ihr Angehörigen zurückführen. Darum wird diese Einheit fließend in einem Band der Liebe, die zugleich Wahrheit ist; und das Band umschlingt alle die, welche ihr gegeben sind zu einer Webe, die der Geist von oben selbst gewebt und die er auch zusammenhält, also daß dies aus einem Faden gewirkte Ganze unlösbar wird. Wer daher eine solche Trennung versucht, wird durch die einwohnende Schutzmacht ausgeworfen, denn er hat Gottes Gesetz verletzt, dessen Einheit nimmer zerrissen werden mag.
So ist es um diese christliche Symbolik bestellt, in der die Kirche den unergründlich tiefen Inhalt ihrer Dogmen mit der bedeutungsvollen äußeren Form wie mit einem Netzwerke umschrieben, und so den größten Reichtum in engster Fassung auf den gediegensten und kürzesten Ausdruck gebracht. Diese Symbolik ist daher in sich einig und ungeteilt wie die Kirche und doch wieder katholisch und allgemein gleich ihr; geschlossen in sich selber, in steter gegenseitiger Wechselbeziehung aller ihrer sie konstituierenden Elemente aufeinander; daher in sich subsistierend, während sie zugleich in ihrem Urheber subsistiert und so stets der höheren Einwirkung bedürftig, doch auch wieder sich selbst genug. Sie ist in der Zeit und doch auch wieder, weil sie in aller Zeit ist, in ihrem höheren Elemente über ihr. Sie ist daher schon in ihren ersten Anfängen beim Ausgange der Dinge gewesen, ist in der Gegenwart und wird in aller Zukunft bleibend bestehen. Sie ist aus der wahren Weisheit, die Gott im Anfang seiner Wege besessen, die von ihm in seinem Worte den Ausgang genommen, und die er durch alle seine Werke ausgegossen und über alles Lebende je nach seinem Maße, und die er denen gegeben, die Liebe zu ihr tragen ...
Alle kirchlichen Symbole setzen sich aus einem doppelten Elemente zusammen: einem Göttlichen, das ihr Mysterium, ihren eigentlichen Inhalt bildet, und einem geschaffenen Weltlichen, das als dessen Träger von dem Unterstellten befaßt wird. Um des ersten Elementes wegen sind sie Gegenstände der Verehrung der Gläubigen, denn die Form allein für sich gesondert etwa anzubeten, wäre verwerflicher Götzendienst. Bei den christlichen, auf den Erlöser sich beziehenden Mysterien ist der Gott in der innigen, untrennlichen Verbindung der beiden Naturen das göttliche Element; das weltliche Element, das mit diesem sich verbindet, wird nun gleichfalls durchgängig zwiefach sein wie die Welt selber. Da nämlich diese in Himmel und Erde geteilt erscheint, so wird auch in der Hülle der Symbole das, was am meisten von der Einheit hat, dem Himmlischen entsprechen, was aber am meisten von der Geteiltheit, dem Irdischen. Die Verbindung des höheren göttlichen Inhalts mit dem geschaffenen Träger wird nun also geschehen: daß das menschlich seelische Element im Gottmenschen sich eingibt, dem leiblichen in seinen beiden Formen, also daß es zunächst sich dem verbindet, was am meisten von der Einheit hat und in diesem dann auch zugleich mit dem, was am meisten von der Geteiltheit besitzt, sich verbunden findet, während der Gott dann das Ganze überschwebt, durchdringt und in sich befaßt. So ist bei der Kreuzigung nicht der Gott, sondern der Mensch in seinen beiden Naturen, der seelischen und der leiblichen, an das geistige Kreuz der Seelenleiden und an das physische der Körperleiden geschlagen worden; und das Symbol im Kruzifixe drückt den in seiner Menschheit leidenden Gott vollkommen entsprechend aus. Das Symbol der Krippe, diesen Gottmenschen in Kindesgestalt unter den Tieren zeigend, vor ihm die Magier anbetend, ist ein ebenso erschöpfender Ausdruck des Gottes, der ins Fleisch herabgekommen, in den Naturreichen das Indigenat angenommen, zugleich aber als König sie beherrscht und im Reiche der Menschen Anbetung fordert. Die Auferstehung aus dem geöffneten Grabe, welches den Leib, den es beschlossen gehalten, der Seele des Gottmenschen zurückgegeben, der nun, das Lamm, das den Löwen des Todes überwunden, siegreich über dem Schlachtfeld schwebt in Mitte der schlafenden Wächter, die die Beute dem Besiegten zu hüten gesendet worden, ist gleichfalls ein Bild, das sich rund und klar selbst ausspricht. Im Kelche des Altarsakramentes ist der Wein befaßt, in seiner Flüssigkeit die Unbestimmtheit des irdischen Elementes ausdrückend; über ihm in der Schüssel des Grals das Brot, das in der Wirkung der Naturreinheit bestimmte Gestalt angenommen und nun näher der Höhe steht. Der Gründer dieses Symboles aller Symbole spricht durch den Mund des Priesters selber die Einsetzungsworte aus; und der Mensch in ihm wandelt den Wein in sein Blut, das Brot in seinen Leib, beide durchgeistet mit seinem Seelischen, und der Gott in ihm unterstellt sich dem Gewandelten, durchwohnt es und befaßt es in sich; und das Sakrament wird zum Grundworte der kirchlich symbolischen Sprache wie die hebräische Sprache der Rabbinen das Wort Jehova zu einem solchen Grundstein genommen. So auch ist es mit den Gewanden. Der Rock, über den das Los geworfen worden, bezeichnet die Einheit aller Teile der Kirche, welche durch das Band der Liebe zusammengehalten wird. Gewirkt von oben, hat diese Einheit auch die Natur der Höhe und des Himmels; das Untergewand ist daher auch der Träger des himmlischen Mysteriums in der Kirche. Diesem Untergewand aber hat sich ein Obergewand beigefügt, der Purpurmantel; und dieser weit sich ausbreitende Mantel, den die Soldaten in vier geteilt, hat auch die viergeteilte Kirche vorgebildet, die nach den vier Richtungen auf dem Erdkreise sich ausgebreitet, und auch in alle Teile gleichmäßig, das ist einträchtig, sich verteilt. Das eine der beiden Gewänder ist also im Gleichnis des Himmels gewirkt, das andere in dem der Erde; und das Symbol des guten Hirten, wie er in das eine sich gekleidet und in den Mantel sich gehüllt, ist der prägnanteste Ausdruck dessen, der seine Herde wie im Himmel so auf Erden weidet. In allen diesen Symbolen findet der Inhalt sich vollkommen durch die Form gedeckt und doch wieder sie durchleuchtend und durchdringend; beide sind untrennbar voneinander, eines steht daher fürs andere ein, und beide mögen nur in einer falschen Abstraktion geschieden werden. Die Welt anbeten, als sei sie Gott, ist allerdings Abgötterei; in der schönen Ordnung der Welt Gott verehren, aber kann keineswegs Götzendienst gescholten werden; und so auch die Form in ihrer Abgezogenheit als den Inhalt anbeten, wäre allerdings Aberglauben, mitnichten aber wird es eine Idolatrie genannt werden mögen, dem Gott in der angenommenen Form die Huldigung darzubringen ...