Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Epilog zur vierten Ausgabe des Athanasius

Einer der Verteidiger der Kirche hat in diesen Tagen gesagt: es scheine, mit der Glaubensspaltung habe auch die Logik sich gespalten, so daß die Gedanken von beiden Seiten in ganz verschiedenen Gesetzen sich bewegen. Damit scheint nur für die Armada gegenüber die halbe Wahrheit ausgesprochen; vielmehr, wie damals die Väter unbekümmert die Zeit in der fehlerhaften Weise des alten Kalenders fortgezählt, bloß weil ein Papst die bessere Zeitrechnung eingeführt, so haben, wie es den Anschein hat, diese ihre Enkel die Logik, als eine Ausgeburt des finstern Mittelalters, gar abgeschafft, und indem sie sich ohne sie behelfen, fühlen sie sich erst recht frei und emanzipiert und nach allen Seiten ungehemmt. Darum folgt keineswegs wie ehemals aus gegebenen Vordersätzen der Schlußsatz mit Notwendigkeit; im Gedankenreiche gilt vielmehr Freiheit und Gleichheit wie nach außen; die Aristokratie der logischen Kategorien, dem verrufenen Lehnsysteme nachgebildet, ist abgeschafft; Hörigkeit und Vasallenschaft im Gedankenreiche sind gänzlich aufgehoben; jeder ist seiner freien, ursprünglichen Willkür zurückgegeben, und von einer despotisch gebietenden Notwendigkeit in der Verbindung und Verkettung der Ideen kann nicht ferner mehr die Rede sein, wie man es daher früher mit der Möhlerischen Symbolik gehalten, so auch in dieser Angelegenheit; These und Antithese, Satz und Gegensatz werden, wie es eben dient, mit gleicher Zuversicht behauptet. Bei den Geschämigern wird etwa noch die Nacht zwischen die beiden Behauptungen eingeschoben; die es weiter gebracht, bedürfen schon nur einiger Stunden oder einer Handbreit Raum; während die Kühnsten in einem Atem beide zu vereinigen wissen. Mit nie versagender Sicherheit wird dabei auf die Gedankenlosigkeit jener Hörenden und Lesenden gezählt, die mit dem Sprechenden und Schreibenden in einem magnetischen Rapporte stehen. Diese, wie wir uns aus unserer Jugendzeit erinnern, haben damals wohl noch auf Jahre zurückgedacht und der Dinge sich erinnert, die ihnen vorgekommen; darauf in allmählicher Abnahme ihrer Erinnerungskraft haben sie ihren Gedankenkreis auf Monate, Wochen, Tage ohne Leidwesen beschränkt gesehen, bis sie dann endlich, nachdem es allmählich ihnen auf Stunden eingeschwunden, jetzt nahe daran scheinen, gleich der Ephemere nur der Minute, in der sie eben leben und weben, noch Meister zu sein. Darum braucht es nur wenig Federlesens, um ein solches Publikum nun dies, nun das andere glaubhaft zu machen und ihm in nächster Minute das Geglaubte wieder abzuschwätzen. Es ist keine Gefahr dabei, dieselbe Lüge, die als solche schon neunundneunzigmal befunden worden, nach kurzem verweilen zum hundertsten Male wieder vorzubringen. Es ist nichts gewagt, ihm das widersinnigste und widersprechendste einzureden und aufzubinden: denn es ist ein Schlund, der nur schlingt und wieder von sich gibt, ohne Wahl, ohne Unterscheidung, ohne Aneignung; weil ohne anderes Ziel und Ende, als immer nur zu schlingen.

Wie um die Wahrheit, so ist es auch um das Recht bestellt. Die vorliegende Tathandlung hat schon gleich in ihrem ersten Ausgehen, ehe dann sie in ihrem inneren Zusammenhange klar geworden, den Rechtsinstinkt im Volke angeregt und dasselbe auf die von daheraus dräuende Gefahr aufmerksam gemacht. Seither, je mehr das Geheimnis sich enthüllt, hat dieser erste Eindruck sich mehr und mehr gerechtfertigt gesehen; und niemand, der sich im ethischen Gebiete gefunden Sinn bewahrt, ist einen Augenblick zweifelhaft geblieben, wie er die Sache zu nehmen habe. Nicht so diese; eben was die andern an der Tat gewidert, das hat sie eben zu ihr hingezogen, und in dem Verhältnis, wie sie durch Offenkundigkeit der eigentlichen Bewandtnis desperater geworden, haben sie mit größerem Eifer derselben sich angenommen. Auch hier gilt ihnen, wie bei der Wahrheit, der gleiche Grundsatz: Recht ist, was uns dient, wie wir's eben wollen, so muß es den andern genehm sein; unserem Gutbefinden hat jeder sich zu fügen; wer widerspricht, wird zum Korrektionshaus abgegeben. Nach diesem Prinzipe setzt also in der vorliegenden Sache, bei diesen seinen Verteidigern, der Staat sich als das absolute Ich; und hat der Setzende sich niedergelassen, dann erlaubt der Herold auch dem Nichtich, den kleineren Lichtern, darunter auch die Kirche, sich zu setzen und niederzulassen. Der sich selbst Setzende macht nun Gesetze, ohne daß das sonst noch Gesetzte, selbst das von Gott Gesetzte, irgend dabei vertreten und gehört werden dürfte; wenig Zeilen auf weißem oder blauem Papier reichen hin, um zur Forderung zu berechtigen, daß sofort alles ohne Widerspruch gehorche. Denn Subordination ist das stammhaft erste, das allem vorangeht; das religiöse und moralische Gewissen kann daher nur das zweite in der Ordnung sein: eine Art von Schmarotzerpflanze, die sich um den Stamm her windet, in ihm wurzelt und von ihm lebt, also auch sich nach ihm zu achten hat. So ist also die alte ptolemäische Weltordnung wieder beliebt: die Erde steht in der Mitte, die Sonne mit den Sternen und allen Himmelskreisen, sie müssen sich um sie her bewegen und hinschreiten in der Mensur, die sie ihnen vorgeschrieben. Denn der Augenschein gibt's klar, die Sonne nährt sich von den Meeresdünsten; die Sterne sind Funken von ihr ausgestrahlt; die Erzbischöfe von Köln und Gnesen, die zu der falschen Lehre halten, müssen umgekehrt, wie Galilei, zum widerrufe sich verstehen, damit auch dieser alte Vorwurf seinesgleichen finde. Redet man etwa von der gewährten Religionsfreiheit, dann wird erwidert: wohl, ihr sollt sie haben; aber auf die Bedingung, daß ihr die Freiheit versteht, wie es uns sie zu nehmen gefällt; mit den Brocken des Mahles, die, nachdem wir aufgestanden, noch übriggeblieben, möcht ihr euch immerhin nach Gefallen sättigen. Überdem, was wollt ihr reden vom Westfälischen Frieden und von den Bestimmungen des Wiener Kongresses? Eure Kirche hat ja Protest gegen beide eingelegt.

Dann weiter die Billigkeit, wie glorreich ist es um diese nicht bestellt! Wir wollen hier nur von der Polemik reden und der ehrenhaften Weise, in der man sie seither geführt. Diese alte Lästerschule, die seit Generationen ihr Wesen in unserer Mitte treibt und nie ermüdet und nie abläßt, unsere Kirche und die Bekenner ihrer Lehre anzugeifern: es war ihr eine Freude und eine Lust, als sie den Alarmruf vernommen; und nun die Hoffnung gefaßt, eine mächtige Regierung werde ihrer Ohnmacht einen Rückhalt und die Mittel gewähren, ihr Mütchen mit Sicherheit zu kühlen. Darum ist alles aus seinen Löchern hervorgestürzt: Wölfe und Eber, Marder, Iltis, Luchs und Stinktier, Meerkatze samt Reinekes ganzer Sippschaft; und es hat nun ein Heulen, Bellen, Zischen, Brüllen um die Kirche und ihre Verteidiger her begonnen, in dessen Mitte sie steht wie jener alte Einsiedler, als die Wände sich um ihn her geöffnet und Ungetüme aller Art auf ihn losgestürzt. Welche Masse von Grimm hat sich in den wenigen Monaten nicht schon Luft gemacht, welche Bosheit sich ausgelassen, welche Wut sich kund gegeben; welche Tücke ist nicht an Tag getreten, und welcher Pfuhl von Fäulnis, Moder, zuvor mit Wasserlinsen und täuschendem Grün notdürftig bedeckt, hat uns seither von allen Seiten aus den öffentlichen Blättern angegähnt und angestunken? Und während man von dieser Seite alles sich erlaubt und höchstens nur das Allerfrechste mit gelind nachsichtigem Tadel als kompromittierend straft, hat man doch die Stirne, der andern zuzumuten, daß sie sich haarscharf innerhalb der Grenzlinie der Wahrheit, Gerechtigkeit, Billigkeit halte und erhebt, wenn dieser oder jener etwa in der Entrüstung es da oder dort um ein kleines versehen, sogleich ein wütendes Geschrei, den Gegner mit der schamlosesten Lügenhaftigkeit alles dessen bezichtigend, was man selbst getrieben. Als unser König, was ihm die katholische Welt nicht genugsam verdanken kann, der allerwärts vertriebenen oder gebundenen katholischen Wahrheit in seinem Reiche eine Freistätte geöffnet, als von da aus in Mitte jenes tierischen Geheuls die vox humana aus einigen wenigen Zeitschriften und in ihr die Sprache dieser Wahrheit erklungen, welchen Sturm hat man nicht erhaben, um diese einzige Stimme wieder zum Schweigen zu bringen? Diese Preßfreiheit, nach der sie seit so vielen Jahren geschrien, weil sie darin das tauglichste Werkzeug zur Ausführung ihrer Pläne erkannt, wie war sie mit einem Male angefochten und angefeindet, als sie im Dienste der Kirche zu streiten angefangen? Die Aktenstücke durch sie zu veröffentlichen war schon ein unerhörter Frevel; vollends aber aus ihnen ein Urteil sich zu bilden und dieses Urteil auszusprechen, eine Tat der Flammen des Scheiterhaufens wert. Die Masse aber, von der all diese Stimmen ihren Ausgang nahmen und in der sie seit so vielen Jahren immer wieder Beifall und Anklang gefunden und zur Stunde in ihrem höchsten Exzesse noch Beifall finden, ist die sogenannte gebildete Klasse, in der sich der Kirche gegenüber absolutistische und liberale Gesinnung in vollkommener und rührender Eintracht begegnen. Man sieht leicht, welches Schicksal dem katholischen Deutschland bereitet wäre, wenn diese Klasse, wonach sie unaufhörlich strebt, wirklich zur unbeschränkten Herrschaft gelangte: dasselbe, was der katholischen Schweiz, was dem katholischen Spanien geworden, als sie dort zu ihrem Ziele gekommen. Man begreift aber auch, warum Friedensworte, wie sie z. B. der Freiherr von Gagern schwach, aber in wohlmeinender Gesinnung geredet, am katholischen Volke eindruckslos verhallen, solange dieser Pfahl im Fleische steckt.

So hat also die Sache, wie an ihr die Geister zur Rechten und zur Linken, sich geschieden, so auch allen schlimmen Richtungen der Zeit den Stachel entgegengehalten, an dem sie sich wund geleckt und gerieben. Unter diesen durfte daher auch vor den andern das Junge Deutschland, das sich in den letzten Tagen besonders vorlaut gemacht, nimmer fehlen, und so mußte es denn auch unter den ersten sogleich zur Stelle sein. Dies Junge Deutschland, dessen Mitglieder man, aus dem Abstrakten ins Konkrete den Namen übertragend, am treffendsten mit dem Namen deutsche Jungen bezeichnen müßte, hat daher ohne Verweilen einen aus seiner Mitte deputiert, um zuvörderst dem Athanasius zu begegnen, und dieser hat das Werk denn vollbracht nach seiner Weise. Diese Weise ist nämlich ein koboldartiges Gespuke aus dem Winkel hervor mit Knallen, Poltern, Werfen und allerlei Schabernack sich kund gebend; ein irrwischartiges Schießen und Tanzen und Hüpfen und Radschlagen über die Moore hin; ein Geflimmer und Geflamme an ein paar Tropfen geistiger Naphtha sich anhängend und damit in weiter Zerflossenheit Baum und Busch und Berg und Hügel überfeuernd, wie ein Gran Goldes Pferd und Reiter überdeckt. Sonderliche Bosheit ist nicht in diesem Wesen, dazu gehört Gesinnung und eine in der Verkehrtheit standhafte Richtung; diese aber in ihrem Fluge sich unaufhörlich überpurzelnd, laufen wie die Wirbelwinde in einer Minute durch alle Blätter der Windrose. Von Grund und Boden ist bei diesen luftigen Elementargeistern nicht die Rede: denn wie in ihrer Natur Anfang und Ende, Tiefe und Höhe und alles im Kreisrund zusammengeht, so ist auch all ihr Treiben wie ohne stehendes Motiv, so ohne Ziel und Ende. Wie die Winde, von denen man nicht weiß, woher sie kommen, noch wohin sie gehen, treiben sie gleichen Mutes oben ihre Wolkenherde, unten den Staub der Landstraße um; und ihr Tun, eine Zeitlang in den Blättern des Baumes rauschend, verschwindet spurlos, nachdem es kaum über seinen Schatten hinausgekommen. Das Denken hat dieselbe bestandlose Art: wenn's hoch kommt und eine Anwandlung von Ernst das Spiel verdirbt, ist's fliegender Sommer in alle Lüfte fahrend; gemeinhin nur ein flüchtig Leuchten, wie das Reiben des Quecksilbers am Glase im leeren Raume des Barometers es entwickelt; oder wie die Medusen es von sich geben, wenn sie speisesatt, die alten Bäume aber, wenn sie lebenssatt geworden. Denn von eigentlicher Jugend ist in dieser Art von Jugend so wenig wie von Tugend zu verspüren; es ist, nicht die lebensreiche Knospe, die eine ganze Zukunft verhüllt in sich beschließt, sondern ein Aftergebild wie der Gallapfel, in der Verwundung des Blattes durch den Stich eines Insektes herausgeschwollen und nun krankhaft nur den Stoff, durch den die Tinte zu den zu schreibenden Werken sich bereitet, in sich hervorrufend.

So ist es also hauptsächlich die delirierende Phantasterei der Zeit, die besonders an dieser Gattung sich demonstrieren läßt. Auf den Gegenstand, den sie zu behandeln sich vorgenommen, kommt gar nichts an: Kirche, Staat, die höchsten Interessen der Menschheit, das will alles nichts bedeuten, es könnte ebensogut der Theriak sein; ja dieser, wie ihn ehemals die Pariser Fakultät mit großer Sorgfalt aus 138 Ingredienzien bereitete, wäre eben dieser Mannigfaltigkeit wegen ein viel dankbarerer Stoff. Man braucht nichts zu wissen von der Sache, es ist ganz und gar unnötig, auf dieselbe oder in dieselbe einzugehen; sie wird aufs Brett gebracht, notdürftig etwas zurechtgereckt, aufgezäumt, und nun wird der phosphoreszierende Spiritus darüber ausgegossen, und das Feuerwerk beginnt. Die aufschießenden Lichter werden in Arabesken versponnen; die Metallbäume, die im flüchtigen Alkaheste sich angesetzt, breiten sich aus und wachsen zum Walde ineinander. Im Dickicht zeigen sich bald die Lineamente eines Jakobiners; die edle Frucht, die wie in einem Reiche in der roten Kappe sich eingesetzt, läßt, wenn gereift, Blutströme aus den Augen fahren, auf denen Wasserenten lustig herumschwimmen, sich paaren und Eier legen, aus denen dann Basilisken kriechen und in die Erde sich einscharrend wieder zu Bäumen werden, die statt der Früchte Morisonische Pillen tragen. Am andern Orte der Waldeinsamkeit sieht man dann ein alt, abgemergelt kraftlos Männlein allmählich seine Gliedmaßen sich zusammensuchen, und hat er das ganze Inventarium bis auf den letzten Zahn gefunden, dann baut er sich daraus den eigenen Kadaver vom Grunde auf, und man gewahrt ihn, wie er zitternd mit dem Trinkhorn zu den roten Strömen wankt und hinkt. Er schöpft; aber die Spitze des Zornes wächst mit dem Rinnsal zusammen, und wie er trinkt, trinkt er in einem Zuge den ganzen Inhalt desselben aus, und der Quellenmensch, der Jakobiner, schlüpft als Zubrot zum Trunke unversehens mit hinunter. Nun ändert sich die Szene, der Wald zieht zum Geißelgewölbe aus Fust von Stromberg sich zusammen; in Mitte sitzt der Mönch am Steintisch von vier Teufeln als Karyatiden getragen; eine magere Fastensuppe, aus Weihwasser gekocht, raucht gelind in kräuselnden Dampfwolken ihn an; an einem gebratenen Osterlamm von Zeit zu Zeit zu einiger Labung zu riechen, ist huldreich ihm gestattet; sooft aber die Stunde schlägt, kommt eine Geißel, die sich von selber auf seinem Rücken schwingt, während Dämon im Muschelhut und Pilgergewand aus dem benachbarten Busche tröstend die Flöte bläst. Wunderfitzig und maulaufsperrend steht das geehrte Publikum, hohen Adels und auch niederer Extraktion und sonstiger Standespersonen vor der Aufführung: Gott! Gott! welche Waldfinsternis und die grausamen Bestien, die darin herumlaufen! Wie kann der Mensch sich doch so erniedrigen? Das Forstamt sollte ein Einsehen haben, die Ungetüme werden uns ja unsere Erbsenschoten alle miteinander fressen! Wie ihnen aber also graut, ändert sich die Szene; die Arabeske kommt von der Tafel herabgestiegen und umfaßt und umwebt den Meister, den jungen Deutschen, der sie hervorgerufen. Wald und Geißelgewölbe haben sich um ihn und die Zuschauer herumgewickelt, und diese sehen verwundert den Schwarzkünstler, wie er den Bock im zweiten Gesichte ( second sight) mystisch küßt, pfui! Wie stinkt der Bock! sagt das Publikum entrüstet und entfernt sich still und mit ziemlich großem Anstand, ohne weiter viel aufzusehen, und die Komödie hat ein Ende.

So, nur noch etwas lahmer in der Phantasie spielt sich diese Gaukelei; so nimmt diese Art von Fabelhansen, deren Name Legion ist in dieser Zeit, die wichtigsten Angelegenheiten: kein Wunder, da sie zuvor sich selber und das ganze Leben ebenso genommen. Wenn die Feuerräder sich ziehend drehen, wenn dazwischen ein paar Raketen steigen und oben in der Höhe verknallen, wenn zur Abwechslung noch einige rote oder grüne Leuchtkugeln in die Lüfte fahren, dann ist jeder Lebenszweck erfüllt: denn der Mensch ist seines Herrgottes Feuerwerker, und der Geist ist ihm gegeben, damit er im Spiele und Kurzweil ihn vergeude. Selbst ein Teil des Zornes, des Tobens und Wütens, wie wir oben sie geschildert, gehört diesem erfabelten Spuke an; es ist dann eine Vorstellung der Infernalien, die einmal zur Abwechslung gegeben wird, als Vorspiel zu dem Ernste, der freilich eintreten würde, wenn man überall könnte, wie man wollte. Treffend haben sie selbst das Treiben dadurch in Worten bezeichnet, daß sie es ein sich Hinausleben aus der Geschichte genannt. Die alte Zeit und der Katholizismus in ihr hat sich nämlich so tief in die Geschichte hineingelebt, daß nach ihrer Meinung Reformation und Revolution kommen mußten, um sie wieder herauszuschälen und zu wickeln. Die Menschheit scheint ihnen daher besessen von der Geschichte, und sie halten sich selber für die Exorzisten, berufen, um die Leidende zu befreien. Gelänge es ihnen, meinen sie, den alten bösen Feind also auszutreiben, dann wäre jeder seiner besonderen Persönlichkeit nun erst rundum frei und unabhängig zurückzugeben. Seinerseits die Geschichte nun besitzend, könnte, er nach der Hunnen Art über dem Sattel sich sein Haus erbauen und zugleich unter dem Sattel sein Mahl sich mürbe reiten; sein Staat wäre dann das Reitergeschwader, in dem er sich zu seinesgleichen hielte; sein Gott und seine Kirche aber sein Schwert, in einen Bündel Reisig hineingesteckt. Diese Weisheit der jungen Leute, die aber auch die so mancher alten Knaben ist in unseren Tagen, kann jedoch erst als der Anfang der rechten Kunst und Wissenschaft gelten. Diese, die nur den tief eingeweihten Epopten zuteil wird, ruht auf der Lehre: der gesunde Menschenverstand sei selber eine Besessenheit, womit einzig im ganzen Tierreich das unglückselige Menschengeschlecht sich behaftet finde, und es gelte nun auch hier den starken Exorzismus anzuwenden, um es von dieser Bedrückung zu befreien. Erst wenn es gelungen, diesen Bann zu lösen, könne der Geist seiner vollen Unbeschränktheit sich erfreuen; dann erst lebe und webe er in seinem eigentümlichen Gedankenkreise, der, als fixe Idee ihm allein angehörig, nichts gemein habe mit dem Gedankensystem des Nebenmenschen und sich von ihm nicht irren noch wirren lasse, sondern vielmehr irre und wirre nach Wohlgefallen. Bis zur Zeit hin, wo den Söhnen diese neue Art, auf dem Kopf ohne Kopf zu gehen, mit Geläufigkeit sich eingelernt, werden indessen doch wohl die Väter mit Hartnäckigkeit ihre alte Weise, auf ihren Füßen dahinzuschreiten, beibehalten und Geschichte und Menschenverstand in ihrem Rechte unangefochten lassen.

Wie nun in solcher Weise die Zeiten laufen, muß es jeden, der bei gesunden Sinnen guten Willen sich bewahrt, als eine ungemein bedauerliche Erscheinung, ja als eine wahre Kalamität aufs tiefste betrüben, wenn er eine legitime, auf Recht und Gerechtigkeit ruhende, durch alle bewahrenden und erhaltenden Instinkte auf Ordnung und Billigkeit hingewiesene Regierung in Mitte dieses saturnalischen Charivaris erblicken muß; mit Anstrengung bemüht, die Zudringlichkeit aller dieser ihrer falschen Freunde von sich abzuwehren, während ihre wahren Freunde verstummend um sie stehen, wahrlich, nach dem Unglück, durch Unkenntnis der Verhältnisse eine solche Bewegung wie die gegenwärtige herbeigeführt zu haben, ist es das größte, das einer solchen Regierung begegnen kann, sich dadurch den Beifall und die Zufriedenheit derjenigen erworben zu haben, die beides ihren Widersachern nur dann zu bieten pflegen, wenn diese durch selbstmörderisch verderbliche Maßregeln ihren Absichten entgegenkommen. Dieselbe Mortifikation, deren Zeugen wir in der Heimat sein müssen, wiederholt sich darum auch wieder von außen herein; wir haben das freudige Wiehern des brutalen Schweizer Radikalismus – der in Bern, im Aargau, in Glarus, St. Gallen und überall auch eigenmächtig und willkürlich von der Staatsgewalt aus Gewissen, Religion und Kirche zu binden und zu fesseln sich bemüht – vernommen und das beschämende Beifallklatschen, das von dort erschollen. Anderwärts haben sie den rechten Stand der Dinge nur noch nicht gehörig herausgefunden; sind sie erst damit im reinen, haben gewisse Abneigungen sich verwunden und gewisse Absichten als unausführbar sich bewährt, dann wird auch von dort Sukkurs anlangen, und die preußische Regierung wird sich zuletzt an der Spitze aller ihrer tödlichen Feinde in einer beneidenswerten Lage finden. Das Heer dieser freundlichen Feinde ist dann wieder also aufgestellt, daß es das Angesicht gegen die Hauptstadt kehrt, während die feindlichen Freunde ihr den Rücken wenden; notwendig wird dann der Sieg mit solchen Bundesgenossen eine Niederlage für den Sieger, jeder Rückzug aber ein vorwärtsgehen.

So mahnt, so warnt, so bedräut also alles, auf dem Wege, den man eingeschlagen, nicht weiter fortzugehen; denn das Unmögliche steht am Ende dieses Weges: mit dem Unmöglichen aber ist nichts anzufangen, als etwa den Kopf sich an ihm einzustoßen. Wenn man sich in seinem guten Rechte weiß, dann freilich soll man durch den Widerstand des Unrechtes und dessen, was nicht richtig ist, sich in keiner weise irren lassen und vorschreiten mit kluger Entschlossenheit; vertrauend, daß, was Rechtens ist, zuletzt ergehen werde. Aber mit dem Unrecht ist nicht fortzukommen; seit die Welt steht und die Geschichte läuft, haben die Mächtigen es zu zehntausendmalzehntausend Malen versucht, durch die Gewalt zu ergänzen, was ihrem Recht gefehlt; sie haben immer gemeint, es müsse sich endlich einmal erzwingen lassen, aber es ist jedesmal zuletzt mißlungen: denn Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit sind Gottesmächte, die über die Menschen herrschen und sich von ihnen nicht entthronen lassen. Im vorliegenden Falle aber ist das Recht, das der Staat in Anspruch nimmt, im Gebiete der Kirche und des Gewissens zu schalten nach Wohlgefallen, die barste und die schnödeste Gewalt, die durch nichts gerechtfertigt werden mag. Denn einmal stehen ihr selbst in der Rechtssphäre, in der sie wirkt, in Polen, Schlesien, Westfalen wie am Rheine ältere frühere Rechte und Ordnungen entgegen, die die Regierung des Staates beschworen, durch die sie also in der Ausübung ihres gesetzgebenden und normierenden Rechtes sich legal beschränkt und gehemmt erkennen muß. Andrerseits greift sie unbefugt aus dieser Rechtssphäre hinaus, in der sie allein Macht besitzt, und in eine andere höhere hinüber, in der ihr teils gar kein Wirkungskreis, teils nur ein untergeordneter und dieser nur bedingungsweise gestattet ist. Auf allen Kanzeln, vom Hofprediger bis zur untersten Dorfkirche hinunter, wird gepredigt: Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen! Nach diesem Gesetze werden alle Konflikte im Privatleben geordnet und geregelt; bei dem des Staates mit der Kirche gilt kein anderes: und Preußen wird das Entgegengesetzte nicht geltend machen. Fragen die in einem solchen Konflikte bedrängten Bischöfe bei ihrem Oberhaupte an, wie sie sich zu verhalten haben, dann wird die sich immer wiederholende Antwort sein: »Beobachtet die Gesetze überall, wo sie nicht mit den Pflichten, die Gott euch durch die Kirche aufgelegt, im Widerspruche stehen; wo aber ein solcher Widerspruch eintritt, habt ihr an die letzteren, als die höheren, euch zu halten. Tritt aber gar ein Konflikt zwischen einem ältern, durch Verträge garantierten, mit eurem Gewissen harmonierenden und einem neuen ihm widersprechenden ein, dann hat jenes allein für euch Verbindlichkeit, und ihr habt über euch ergehen zu lassen, was die irregeführte Gewalt verfügt.« Das sind ewige Gesetze der Ordnung, Grundsteine, auf denen die Welt ruht; kein Zerren und Rütteln in halsstarriger Verstockung wird sie von ihrer Stelle rücken; und geschähe es ja, dann würde das ganze Gebäude der allgemeinen Sozietät über den Frevelnden zusammenstürzen. Binden sich nun die Bischöfe an diese Regeln des Verhaltens, was will der Staat mit ihnen beginnen? Ihnen den Prozeß machen? Dann ist er Ankläger, Richter und Urteilsvollstrecker in eigener Sache. Die Kompetenz seiner Gerichte ist überdem nur innerhalb seines Verbandes legal begründet, über denselben ausgreifend aber nichtig und unzulässig. Setzen aber seine Richter auch darüber sich hinaus, auf welchen Grund hin wollen sie die Angeklagten verurteilen? Daß sie an den Gesetzen sich vergangen? Aber diese Gesetze, im Widerspruche mit sich selber, haben für sie keine Verbindlichkeit, und es heißt: gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist; nicht was er etwa in tyrannischer Willkür fordert! Überdem eine erste Kabinettsorder hat die Verhaftung des Erzbischofs von Köln befohlen, als er auf sein Gewissen sich berufen; eine zweite erklärt seiner Geistlichkeit, daß man über ihr Gewissen sich keine Macht herausnehme; während etwa eine dritte, nachdem dieselbe zweite die Entscheidung den Bischöfen zugewiesen, eine Untersuchung gegen den von Posen anordnet. An welche von den dreien sollen sich nun die Gerichte halten? Will man die Bischöfe verurteilen darum, daß sie in falscher, gefährlicher Lehre die Kirche in ihrer höheren Wurzel über den Staat und seinen irdisch menschlichen Ursprung gesetzt? Aber womit wollen sie dann der Revolution begegnen, wenn diese vor sie tretend auch ihre Konsequenzen zieht und urteilt: Wohl! In demselben Rechte und in der Fortsetzung des Prinzipes, in dem ihr den Staat über die Kirche rückt, setze ich das Volk über den Regenten und das Gesetz und die Willküren, die dieser höhere Souverän beliebt, über die Ordonnanzen des andern ihm Untergeordneten; und in die Macht dieses allerhöchsten Gebieters werden nun die beiden Streitenden gleichmäßig zur Ruhe verwiesen. Und während der Staat also mühselig seinen Prozeß betreibt, wird ihrerseits die Kirche ruhig sitzen? In Mitte der Prälaten, die gewissenhaft an die strikte Observanz sich binden, finden sich auch andere, die fortdauernd für die schwache sich erklären. In der bisherigen Verwirrung der Verhältnisse, wo alles oberst zuunterst gegangen, fand diese Auflösung der Disziplin und die Konfusion, die in ihrem Gefolge ging, an der allgemeinen Ungebundenheit der Zeit, an der Unwissenheit und der Gewohnheit des Schlendrians eine gewisse Entschuldigung. Jetzt aber, wo die Kirche in bestimmten Worten Gebot und Verbot ausgesprochen, wer wird es ihr wehren, wenn sie die, welche wie blind und taub in Mitte der allgemeinen Bewegung sitzen und beim Alten bleibend tun, als hätten sie nichts gesehen und gehört und vernommen, nun auch ihrerseits zur Rechenschaft zieht und nach dem entgegengesetzten uraltherkömmlichen Prinzip sie richtet? Der Staat wird die Vollziehung wehren, wohl, aber damit nur Skandal über Skandal hervorrufen! Glaubt er, der Klerus werde zu ihm halten, dann wird er sich betrogen finden; der Klerus hat überall seine gewiesenen Wege, die er zu gehen hat. Will die Regierung sich in Mitte dieser Straße hemmend stellen? Sie vermag es nicht; sie muß neuerdings wieder so viele Prozesse anhängig machen, als sie Gewissenhaftigkeiten findet, die ihre Gebote sich nicht gefallen lassen. Und dann zuletzt das Volk, es hat seine Partei genommen; was man auch seither versucht, es zu irren in dieser seiner Überzeugung, es hat nur dazu gedient, es in derselben gründlicher zu befestigen. Man muß also eine chinesische Mauer um die katholischen Provinzen bauen und sie in Festungen verwandeln, um alle die Delinquenten aufzunehmen, die der Staat strafbar gefunden.

So ist also nicht fortzukommen auf diesen Wegen, und alle Klugheit gebietet einzulenken, wenn es noch Zeit ist, und Haß, Groll und Leidenschaft der Gemüter sich noch nicht bemeistert. Ehe es dahin gekommen, ist die Macht noch ihrer Bewegungen und Entschlüsse Meister; darüber hinaus verschwindet vor der Gewalt der Ereignisse Entschluß und Klugheit und Widerstand. Die Erde wankt dann unter den Füßen; die Werkzeuge, auf die man mit gerechnet, versagen ihren Dienst; irgendeine Katastrophe, die man nicht erwartet, tritt ein, und das ganze längst unterhöhlte Gebäude bricht zusammen. Daß aus einem solchen Einsturz die Kirche unversehrt hervorgehen werde, kann man mit Gewißheit voraussehen; was aber sonst noch ihn überdauern würde, kann niemand wissen noch ermessen. Also mahnen, warnen, winken, wehren, rufen alle Zeichen; selbst die Tiere, auf denen die falschen Propheten vorausreiten, bäumen, wenden sich zurück und reden zürnend in der Menschensprache zu ihren verblendeten Treibern, die das in ihrem Wege gezückte Flammenschwert nicht sehen. Noch ist zur Zeit die Gefahr nicht eben dringend, noch findet eine gute Tat eine gute Stätte, noch ist aus dem Irrsal ohne Opfer, das ins Leben geht, zu entkommen; aber das kann bei der Ungewißheit aller jetzigen Dinge sich ändern über Nacht, und dann ist die unnütz vergeudete Zeit unwiederbringlich dahingeschwunden, keine späten Wünsche, keine unnützen Klagen, keine Vorsätze werden sie wieder hinaufführen. Darum wirke man, wenn's noch am Tage ist, in der Nacht kann niemand wirken. Zu warten ist auch nichts, denn alles Zuwarten hat seither nur die Lage der Dinge in einem rasch zunehmenden Verhältnisse zu verschlimmern gedient. Wenn man im ungleichen Streite sich gegenüberfinde, darüber kann auch kein Zweifel sein, so man nur die betrachtet, die man für sich hat. Über Grundsätze mag man streiten hin und her, bei gleichgeteiltem Lichte und Windeszug mit gleicher Aufrichtigkeit. Wenn aber alle Lügen und alle schlechten Leidenschaften sich zu Haufen um ein Banner drängen wie die Geier um ein Aas, das am Wege gefallen; dann ist es sicher nicht das Labarum, unter dessen Zeichen ein guter Streit gestritten wird. Denn das Schlechte hat seine Instinkte, die es auf seinen Wegen nicht irreführen. Eine Macht aber, die alle diese seine Fährten gegen sich gerichtet sieht, hat alle Ursache zu erschrecken und in Zeiten mit ernster Überlegung auf den Ausgang Bedacht zu nehmen. Die Kirche ihrerseits, die rein und klar in ihrem guten Rechte steht, kann unbewegt sich in guter Ruhe halten: denn, wer ist wie Gott! steht auf ihrem Schild in Flammenschrift geschrieben, und vor diesem Spruche erbleicht all irdischer Glanz in Nichtigkeit, und alle irdische Macht vergeht in Ohnmacht.


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