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Es wird seit Herders Tod mit soviel Affektation von seinem hohen Genie gesprochen, daß man unwillkürlich an jene Unart der Deutschen dabei erinnert wird, die er selbst in der Adrastea mit einem so derben Ausdruck bezeichnete. Es ist recht, daß die Nation ihren Adel ehrt, und die unsrige läßt sich freilich darin nicht leicht auf einem Übermaße betreten; allein wenn sie unverständig die minder glänzende Seite herauszieht, und darüber das, was wahrhaft groß an dem Geehrten ist, in Schatten setzt, dann ist ihre Religion Götzendienst. Herders Geist hatte unleugbar viel Licht, aber dieses Licht ward durch eine innere Refraktion bedeutend getrübt, er vermochte nicht die subjektive Empfindung und die innere wirkende Kraft, die aufs Objekt geht, gehörig auseinander zu halten; daher kam es nie eigentlich zu jenem vollen, reichen, unendlichen, schöpferischen Ergusse seiner inneren Natur, der das wissenschaftliche Genie bezeichnet. Seine Gedanken, immer von einer inneren Stoßkraft getrieben und von einer äußeren Schwere gezogen, erheben sich immer in einer flach gewölbten Parabel bis zu einer gewissen Höhe und kehren dann auf der anderen Seite durch den absteigenden Schenkel wieder zur Erde zurück. Ebenso verhinderte das beständige Zusammenfallen des objektiven Strebens die reine Hingebung an das Subjektive, die Konzentration in die Tiefen des Gemütes, die das Wesen der poetischen Weihe ausmacht, und es kam selten oder nie zu reinen Offenbarungen der inneren bildenden Kraft. Diese beständige bewußtlose Störung entgegengesetzter Grundkräfte durcheinander verrät sich denn auch in dem dämmernden, halbdunkeln, nebelhaften, wortreichen Stile seiner früheren Schriften, wo noch die Poesie in ihm vorherrschte, und der oft einseitigen Polemik seiner späteren, wo ein anhaltendes Studium der Geschichte der furchtsamen empirischen Wahrnehmung die Überwucht gab. Aber eben jenes Wechselwirken differenter Tendenzen um den Punkt des Gleichgewichtes war es, was in ihm die Anlage zu jener Reinheit im sittlichen Tun und Handeln setzte, die uns an seinem Charakter anzieht, jenes reine Ebenmaß seiner Natur, als dessen Symbol er die hohe Nemesis zur Schutzgöttin wählte. Dieser feste, unerschütterliche, in sich begründete Glaube an das Göttliche in der menschlichen Natur, an ein Besseres, Heiligeres, an ein progressives Prinzip, das die Verworfenheit keck und frech wegleugnet; diese Religiosität, die überall der Vorsehung in ihren verborgenen Wegen mit liebender Anhänglichkeit folgt, wie das Kind der Mutter; diese Innigkeit des Hoffens und Erwartens, dieser heitere Blick auf Vergangenheit und Zukunft, diese unveränderliche Treue, mit der er sein ganzes Leben hindurch, und alle Leben hindurch, die er in seinem Forschen durch die Geschichte lebte, an jenen Idealen seines Gemütes hing; dieser hohe Ernst, mit dem er die Angelegenheit der Menschheit betrieb; dieses Streben und Ringen und Lehren und Bilden mit allen Kräften seines Wesens nach dem Ziele hin, das seinem Herzen vorschwebte; diese schöne Gemütlichkeit, mit der er die Welt in sich aufnahm und der Menschen Tun und Leben zusah; diese milde Gutmütigkeit, die wie eine warme Quelle immer aus seinen Schriften strömt, und in deren Nähe uns wohl wird, wenn wir aus dem frostigen Winter der Welt in ihren warmen Dunstkreis hineintreten, und dabei doch jenes edle Maß gegen alles Verkehrte, kurz diese ganze moralische Grazie, wie sie aus all seinem öffentlichen Tun hervorbricht, und diese gutmeinende Herzlichkeit – sie sind es, die sein Andenken wert machen müssen der Nation; sein Genie ist das Genie der Rechtlichkeit und des Wohlwollens; das Prinzip seines Wesens reines Ebenmaß alles Wollens und Begehrens. Und wie er war, so sind auch seine Freunde, die er aus der Galerie der Vergangenheit sich wählte; was er von ihnen in seiner Adrastea und anderwärts beibringt, befriedigt meistens wenig durch den vorzüglich geistreichen Inhalt, der etwa in ihm läge, aber es gewinnt uns durch den Charakter von Herzlichkeit und strenger moralischer Gesinnung, den es ausspricht, durch die anspruchslose Einfalt und die praktische Tendenz, die es verrät.
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... Lessing war wie die Nieswurz, die auf den Hügeln blühet, wenn die Felder weit umher noch mit Schnee bedeckt sind; wie sie sollte er die Köpfe seiner Zeitgenossen reinigen und sie befreien von den bösen Dünsten und den vielen wässerigen, kalten, schleimigen Feuchtigkeiten, die sich auf sie geworfen hatten. Es war eine kahle, traurige Zeit für die Poesie, Lessings Zeit; der Irrstern der französischen Literatur, der um das Jahrhundert Ludwigs des Vierzehnten in Frankreich aufstieg, und in dem nichts als das auseinandergebrochene Bild dieses bornierten, engherzigen, geschnürten, aber die Majestät gut repräsentierenden Fürsten erschien, streckte seinen Schweif über Deutschland herüber und erstickte in seinen Dämpfen den schwachen Funken von poetischer Originalität, der dort noch glimmte; und die gegossenen Gänse und Nymphen und Oreaden in den großen Kunstwasserwerken gossen nun Ströme dieses Elementes aus, und in dem seichten Gewässer hockten in aller Behaglichkeit die deutschen Karpfen und saßen fest auf dem Grunde und rührten sich nicht und fraßen Schlamm und wurden fett dabei. Es mußten welche von mehr tätiger, selbständiger Natur aus dem Hechtgeschlechte aufstehen und unter sie fahren und sie aus dem Moder herauftreiben, wenn sie genießbar werden sollten. Von diesem Geschlechte war Lessing ... Das Feuer seiner inneren Natur machte das Wasser um ihn her verzischen, und trockenen Fußes wandelte er durch die allgemeine Sintflut hindurch. Seine Polemik war eine richtige Haltung; ein besonnenes, kaltblütiges, unverrücktes Blicken in das Auge seines Gegners; ein geschicktes, gewandtes Ausparieren ihrer meistens so plumpen, ungelenken Angriffe und ein dagegen richtig abgemessenes, kräftiges Ausfallen auf jede Blöße, die sie gaben. In der Kunst, in der Religion und überall verfolgte er selbständig seinen Gang, durch die Mitte der entgegengesetzten Parteien hindurch, in die gewöhnlich bei jeder neuen, großen Idee, die in das Zeitalter fällt, die Mittelmäßigkeit sich zersetzt; sie sahen ihm verwundert nach, wie er durch ihre Reihen ging, stolz und keck, ohne rechts auszubeugen oder links; sie sagten sich beide los von ihm und hätten ihn gern gemißhandelt, die Wahrheit aber entrückte ihn ihren Augen. Sein Genie war nicht jenes allumfassende, kosmische, das immer nach dem Grenzenlosen treibt, sondern von beschränkterer, mehr individueller Natur; ein Vermögen, das ich doch nicht mit Schlegel mit dem Namen kombinatorischer Witz bezeichnen würde, sondern vielmehr Geist schlechthin nennen möchte, und den in demselben Grade wie Lessing auch Leibniz besaß; nur daß es sich bei dem einen mehr im Ästhetischen, bei dem andern mehr im Wissenschaftlichen offenbarte. Lessings Genie lag sozusagen nicht in ihm, sondern im Altertume und seinen Kunstschöpfungen. Die Antike begeisterte ihn, im unverrückten Schauen auf diese Bildungen sind seine eigenen ästhetischen Gestaltungen geworden. Indem der Strahl der alten Kunst hineinschien in sein Gemüt, malte sich inwendig die moderne Welt, die ihn umgab, im Lichte der Vergangenheit; während die anderen gleichzeitigen Gestaltungen meist nichts als matte Schatten find, die das kümmerliche, trübe Tageslicht hinter die dunkeln, ungeformten Massen warf. Daher sind seine poetischen Schöpfungen nicht Werke, in denen die Lebensflamme von innen heraus selbständig brennt und strahlt, sondern das bildende Gemüt erscheint von außen hinein erwärmt und in der Konzentration der Begeisterung gleichsam zum Rotglühen gebracht, und strahlt nun Wärme um sich her, als ob es davon die Quelle in sich trüge.
Wir bezeichnen den Sinn und die Empfänglichkeit für die höhere Kunstschönheit analogisch mit der Funktion eines tieferen Sinnes, mit dem Namen Geschmack; wenn es erlaubt ist, auch die Modifikationen des Höheren mit den entsprechenden Gradationen des Tieferen zu bezeichnen, dann möchte ich den Eindruck, den sein »Nathan« auf mich macht, am nächsten mit der reinen Milch vergleichen; gefällig für den Gaumen, lind und mild und nährend, nicht berauschend, nicht begeisternd, wie jene Flüssigkeit, so ist auch dies Drama; in der »Emilia Galotti« hingegen hat diese Milch die geistige Gärung schon bestanden, und sie ist nun zum erregenden, belebenden Getränke geworden, das dann, um das Wortspiel fortzusetzen, wie jener Wein, Liebfrauenmilch heißen kann, da das tartarische Kumiß dem Ohre etwas ungefällig klingen würde ...
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Es ist eine seltsame Sache um die deutsche Kritik. Da sitzen sie am Eingange ihrer Höhlen wie die Polypheme am Ätna. Ehemals wohl haben sie auch in einer verliebten Anwandlung auf einem saitenbezogenen, knotigen Krummstabe ihrer Muse Galatea ein Ständchen gebracht und mit rauher, übel klingender Stimme ihr fatale Sonette gesungen; seither aber sind sie zu Verstand gekommen und singen nicht mehr, denn sie sind melancholisch geworden, seit die böse Witterung der Zeit sie um ihr einziges Aug' gebracht hat. Da sitzen sie nun mürrisch, verdrossen, abgelebt, hypochondrisch am Eingange ihrer Löcher und stieren heraus aus den leeren Augenhöhlen, und wenn sie wie geblendete Fledermäuse mit den Ohren etwas Lebendiges, Kräftiges in der Nähe erlauschen, dann rufen sie: Komm, Kleiner, ich will dich nicht fressen! Und wenn das Gerufene unvorsichtig näher kommt, dann greifen sie es mit den plumpen Fäusten und betasten und befühlen die Kunstwerke wie Kälber, und erdrücken ungeschickt die zarte Schönheit, und fluchen dann erbost über das Puppenwerk, wenn sie entseelt in ihren Armen liegt, und loben sich dafür ihre Keule, die man doch anfassen kann. – Andere haben eine beständige Schneelinie in den Lüften gezogen und haben sich Wachhäuser gebaut, und da halten ihre Geschwader und lauern, auf daß nichts über die Linie passiere, denn der Äther ist keines Menschen Freund, und sie lassen sich's recht sauer werden auf den Vorposten der reellen Solidität gegen das phantastische leere Nichts, und die Fourage wird ihnen von unten hinauf gegen ein billiges geliefert. Aber von Zeit zu Zeit brechen doch von den gewaltigen Göttervögeln welche durch, und wenn sie sich dann aufmachen, um ihn einzufangen und ihm die Schwungfedern auszureißen, dann greift der Verfolgte wohl mit den kräftigen Fängen einen aus dem Haufen heraus und schwingt sich mit ihm in Regionen, wo der Schwindel den Armen um seine Besinnung bringt, und dann läßt er ihn stürzen in die Tiefe, daß er elendiglich zerschellt, oder setzt mitleidig auf einer hohen Felsenspitze ihn aus. Da sitzt er auf seinen Stühlen, dieser richtende Demos, und versäumt um drei Obolen für die Sitzung die dringendsten Geschäfte zu Hause, nur damit Recht und Gerechtigkeit sei im Lande, und damit die Genies unparteiisches Gericht finden, und daß ihnen nach ihren Taten geschehe. Und wie sie so dasitzen und wechselseitig aufeinander sich blähen, wenn man jeden einzeln für sich hervortreten ließe und ihn befragte, man würde einen ehrsamen, billigen Mann an ihm finden, und nach einigem Hin- und Widerreden würde er unserer Meinung beifallen; aber wenn er zu den andern kommt, wird er wieder des Teufels. Aber das ist noch nicht vom schlimmsten; es läuft auch viel Ehrlichkeit mit unter und viel gutmeinende Ängstlichkeit und kleinstädtische Beschränktheit, die nach bestem Wissen und Gewissen ihre Meinung heraussagt und nichts Arges dabei hat; es ist bei weitem nicht mehr so schlimm wie vor kurzem noch, denn die fortgehende Bildung ergreift nach und nach auch die Menge und hebt sie bewußtlos auf einen höheren Standpunkt, und das neueste Institut der Art macht eine ehrenvolle Ausnahme und erhebt sich weit über die Grenze jenes Tadels. Aber jene giftigen Klapperschlangen, die in so manchen Winkeltribunalen sich wälzen und lauern unter dem Grase auf den Vorübergehenden und dann ihn umschlingen und mit ihrem geifernden Speichel bedecken, ehe sie ihn verschlucken; diese Menschen, die heuchlerisch sich die Miene geben, als ob sie das Gute förderten, aber hämisch es anfeinden und verfolgen, wo sie es treffen, deren nichtswürdige Leidenschaften man nur kennen darf, um zu wissen, was sie wütig anfallen und was sie herausstreichen werden – sie sind die Repräsentanten der Schande, und zwar notwendig in ihrer Art, um durch ihren Gegensatz das Bessere hervorzurufen, aber die wahren Urheber der Konfusion, über die man so laute Klage führt.
Die Welt und das Irdische haben ihre Ansprüche; es ist recht, daß man sie geltend macht; wer sie nicht achtet, wird bald fühlbar von seinem Unrechte überzeugt werden, wenn der kecke Lebensmut versiegt, weil die Wurzeln seines Daseins ausgerissen und entblößt an der Sonne liegen. Und das Endliche an sich ist nicht schlechter Natur, es ist mit dem Höheren von derselben Göttlichkeit umfangen, und es ist Irrtum des Systems oder gemeiner Hochmut, verächtlich niederzublicken auf das irdische Tun: nicht dieses Tun in sich ist schlecht, aber die Versunkenheit in ihm, das völlige Untergehen im Strome des Sinnlichen bis zum gänzlichen Verleugnen alles Höheren, bis zum ruchlosen Atheismus, das ist abscheuliche Selbstverstümmelung, und darum ist es gut, wenn mächtige Geister das versunkene Jahrhundert gewaltsam aufrütteln, und es ist nicht zu tadeln, daß das Höhere sich auf einen Augenblick selbst übermütig erhebe und der hoffärtigen Gemeinheit ihre Nichtigkeit vorrücke und eine scharfe Opposition gegen sie bilde und eine sublimierende Tendenz ihrer präzipitierenden entgegensetzte. Das bedenke jeder, der irre werden will an dieser Zeit; wer aber Beruf zur Kritik in sich fühlt, der bescheide sich doch vor allem, daß nicht alle Pflanzen ihre Früchte an den Wurzeln tragen, daß über die Feuergestalten, die das Genie vom Himmel herabbringt, nur verwandte Geister richten können; daß überhaupt jeder nur über das aburteilen kann, von dem er sich bewußt ist, daß, wenn seine Kraft diese Richtung genommen hätte, er auch allenfalls ein gleiches Werk hätte produzieren mögen; dann werden sich die Kunstrichter nicht länger mehr wie Blei an die Füße des Genies hängen, um es herabzuziehen aus seiner Höhe, und wenn dann jeder mit unbestechlicher Treue und Gewissenhaftigkeit mitteilt, was ein harmonisch geordneter Geist und ein schönes Gemüt ihm eingegeben haben, dann wird bald die Verwirrung aufhören, und jene Lügengeister werden verstummen, und die Zeit wird sie zertreten.
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Auch ein Werk, das die Zeit über ihren Bagatellen undankbar zu vergessen scheint, ist Hölderlins »Hyperion«. Wer je entrüstet war in seinem innersten Herzen über die Schlechtigkeit des Jahrhunderts und die Verworfenheit der gezähmten und dressierten Menschennatur; wer verwundet sich fühlte von der tiefen Versunkenheit, in der die Abkömmlinge der Götter unter den Tieren des Feldes herumweiden und, das Antlitz immer und immer gegen die Erde gewendet, sich ihre notdürftige Nahrung aus ihr herausraufen; wer je sein Gemüt gedrückt und gepreßt fühlte von der unbegreiflichen Verworrenheit, in der das Geschlecht tageblind herumtaumelt, und von seiner eigenen brutalen Verkehrtheit aufgeregt, von dem dampfenden Atem eines zornigen Schicksals ergriffen, umhergeschleudert wird, wie eine Windsbraut vom heulenden Sturme, und aufgepeitscht in wilden Wirbeln sich an sich selbst aufreibt, und wenn es auch widerstrebend einen Augenblick verweilt, um zu rasten und zu genießen, immer wieder aufgejagt wird von dem grausamen Orkane, und fortgerissen in sein Verderben, wie die Verdammten in Dantes Hölle; und wer dann in sich aufglühen sah die hohe Flamme des Enthusiasmus, und hinein sich stürzte in den gewaltigen Strudel, und entgegen sich stemmte mit der ganzen Unendlichkeit von Kraft, die er in sich zu umschließen glaubte und den tobenden Sturm beschwören wollte mit seinem lebendigen Atem, und die Menschenhaufen, wie sie sausend vorbeischwirrten oder erschöpft an der Erde lagen, zu gleichem Widerstande aufrief, und wer es nicht glauben wollte, wie sie ihn anstarrten dumm und grob und wild, und ihn höhnten, und den Sturm und ihren Zustand priesen, und wie sie dahingerissen wurden, ihm Steine nachwarfen; und wer dann den Teufel hohnlachen hörte über sich in den Lüften und es empfand, wie die ergrimmten Mächte, denen er getrotzt hatte, auch ihm die eisernen Fäuste auf den Nacken legten, und ihn erdrücken wollten als Opfer den Rachegöttinnen geweiht, und nicht eine Liebe hatte, die den Grausamen ihn entführte – der wird in Hyperion einen Bruder grüßen, erstaunt wird er seine ganze Vergangenheit in ihm umarmen; sein verflossenes Leben, das er längst gestorben glaubte, wird wunderbar feierlich ihm entgegentreten, und alle Gefühle, die er verweht und zerstoben und verblichen glaubte, ihm wiederbringen und dafür die Gegenwart und die Zukunft ihm abfordern. Abkömmlinge aus dem Heldenvolke Dya-na-sore sind Hyperion und Alabanda, große eingekerkerte Götter, wie die Elefanten eingekerkerte Menschen sind; mächtige Heroen, die zürnend über die Erde gehen, um sie von Drachen und reißenden Tieren zu reinigen, kühn und brav, nur etwas zu metaphysisch gehalten, wie meistens alle besseren Menschen und selbst die Ideale dieser Zeit es sind, weil die Gymnastik von der Erde sich verloren hat. Darum scheitert ihr Unternehmen so schnell, und ihre Tat verliert sich wie im Sande in der unberechenbaren Schlechtigkeit ihrer Helfer. Und Diotima! eine Blume des Himmels ist sie unter den Blumen des Feldes aufgesproßt, und sie bedarf des balsamischen Blütenduftes, damit ihr Irdisches erstarke und der hohe Geist sich nicht loswinde von ihm; aber sie entzündet sich am Enthusiasmus des Geliebten, und hebt das Haupt über die Blüten hinaus in den hohen Äther, und atmet Himmelslüfte; aber das reine Gas verzehrt ihr Leben zu schnell, sie verbrennt in sich selber, die Flamme schlägt aufwärts gegen die Höhe, die Blume aber senkt sich am Stengel hinunter und welkt dahin. Armer Hyperion, ärmerer Dichter! ihr hattet keine Liebe, die euch vor den furchtbaren Mächten rettete, die Faust erdrückte euch. Im prophetischen Geiste hat er sein eigenes Schicksal in den Worten ahnend geweissagt: »Es ist auch herzzerreißend, wenn man eure Dichter, eure Künstler sieht, und alle, die den Genius noch achten, die das Schöne lieben und pflegen. Die Guten! sie leben in der Welt wie Fremdlinge im eigenen Hause, sie sind so recht wie der Dulder Ulyß, da er in Bettlergestalt an seiner Türe saß, indes die unverschämten Freier im Saale lärmten und fragten: wer hat uns den Landläufer gebracht? Voll Liebe und Geist und Hoffnung wachsen seine Musenjünglinge dem deutschen Vaterlande heran, du siehst sie sieben Jahre später, und sie wandeln wie die Schatten still und kalt, und sind wie ein Boden, den der Feind mit Salz besäte, daß er nimmer einen Grashalm treibt; und wenn sie sprechen, wehe dem! der sie versteht, der in der stürmenden Titanenkraft wie in ihren Proteuskünsten den Verzweiflungskampf nur sieht, den ihr gestörter schöner Geist mit den Barbaren kämpft, mit denen er zu tun hat.« Und viel verhaltene Bitterkeit grollt durch das ganze Gedicht, in der ein innerer, verzehrender Unmut sich Luft macht, der aber früh oder spät die Springfedern des Lebens brechen muß. In den Gedichten im Taschenbuch der Freundschaft und Liebe schlägt ein Adler krampfhaft mit den geknickten Flügeln, die bösen Buben auf den Straßen hetzen ihn und jagen ihn, aber wer seine Zeit kennt und ein Gemüt im Busen hat, sieht trauernd ihm nach, wenn er vorüberflattert und noch immer zur Sonne hinan will.
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Sie sprechen so viel und so oft von der Weichheit Jean Pauls und haben gar so viel an seinen zarten Gestalten zu tadeln; warum tadeln sie nicht die Luft, daß sie gar so expansibel ist und sich nicht zu Quadern behauen läßt? Warum rufen sie dem Äther nicht zu: werde Stein, damit wir dich betasten und begreifen können! Muß denn alles wägbar auf dieser Zentnerwaage sein, und gibt's denn keine höheren Regionen als die der ästhetischen Chemie, wo nur die ponderablen Stoffe gelten und Verwandtschaften und Scheidungen nach Maß und Gewicht sich messen lassen? – Aber der Tränenreichtum! – Kennt ihr nicht das wahre Medium der Poesie, die Schwermut, die wie ein Frühlingsmorgennebel die Phantasie umhüllt und ihre Zaubergesichte reflektiert? Die Träne ist der Tautropfen, der sich ans Auge hängt, wenn der Nebel fällt, wie das trübe Lächeln sein Aufsteigen in höhere Regionen bedeutet. Wollt ihr diese Nebel nicht, wohl, so siedelt euch auf den Alpengipfeln des abstrakten Wissens an, da steht ihr erhaben über ihnen und seht sie unter euch tief im Tale ziehen! Schmelzt diese transparente Liane, wie sie zerflossen in ihrem milden Dufte schwebt, mit dem starren, bereiften Vliesritter, in dem Erfahrung und Lebensklugheit erkältend alles Duftige rein niedergeschlagen haben, schmelzt diese beiden Gegenstände zusammen, und ihr bekommt Menschen, wie sie auf allen Straßen herumlaufen, treffliche Ziffern für den Kameralisten, aber für den Dichter leere Nullen. – Seine Figuren sollen so viel Familienähnlichkeit haben. – Aber was ist's denn, das dem Dichter seine Individualität fixiert und seinen Werken das eigentümliche Gepräge gibt? Es ist das Grundprinzip, nach dem seine Natur sich gestaltet hat, das ihn in allen seinen Produktionen beherrscht, und das da, wo er wirklich dichtet, nicht bloß aus der Umgebung auffaßt, in ihm dichtet und in der Begeisterung des Genies in ihm sich offenbart. Die Unendlichkeit der Persönlichkeit liegt nur in der Unendlichkeit der Richtungen, in die sie von dem einen fixen Punkte aus sich ergießen kann; nur das ganze Geschlecht umschließt in der Unendlichkeit der Tendenzen auch die der Individualitäten und ist wahrhaft universal. Man sehe doch die Bilder der Maler aller Schulen; in ihren individuellsten Schöpfungen, da, wo gleichsam ihr Innerstes nach außen hin getreten ist und ihre ganze Seele sich ausgesprochen hat, da ist auch das Heiligtum ihrer Kunst, der Zentralpunkt ihrer selbstgeschaffenen Welt, und um diesen Punkt ordnen sich alle anderen Gestalten, die weniger teil an den Wesen ihres Schöpfers nehmen und gleichsam die äußeren Extremitäten des organischen Kunstkörpers vorstellen, alle aber von einem und demselben Prinzip beherrscht und gehalten werden. Auch Raffaels eigenes Bild hat Familienähnlichkeit mit seiner Madonna della sedia.
Und nun endlich Jean Pauls Frauen! – Es ist seltsam, daß man für die schönen Gestalten der Poesie dem subjektiven Urteile eine Allgemeingültigkeit geben will, die man für die Schönheit, wenn sie uns in der Wirklichkeit begegnet, sich nicht beikommen läßt! Man findet ein schönes Weib nimmer darum unliebenswürdig und mißlungen, weil man sie nicht eben liebt; man erkennt, daß die Schönheit über die Liebe erhaben ist und über unserem persönlichen Lokalaffekt unabhängig steht, und in der Dichtung soll sie sich unserer persönlichen Anordnung unterordnen? Jean Pauls Weiber mögen nicht zu Hausfrauen ihrer Tadler taugen; allein keine hat ja noch um ihre Hand angehalten, und wenn diese Gestalten ins Leben träten, und diese Kunstrichter würden ihnen vorgeführt, manche unter ihnen möchten sich glücklich schätzen, daß der Dichter jene mit zu vieler Weichheit ausgestattet, als daß sie bittern Tadel über flache Unbedeutenheit oder übergroße Selbstgenügsamkeit laut werden lassen sollten. Diese zu täppischen, linkischen, superklugen, über die Maßen verständigen Mannweiber, die so vielen Rumor in der deutschen Literatur machen; diese Leerheit und Lebensarmut, diese falsche Zartheit, die nichts als Verschliffenheit und Gepräglosigkeit ist; diese steife Grazie, an der man bei jeder Bewegung die Gelenke knarren hört; diese totale Lieblosigkeit, die eine gelehrte, abstrakte, lateinische Liebe affektiert; dieses gänzliche Verstummen der inneren Musik des Gemütes, das dafür mit Ziffern spielt; alle diese Preßhaftigkeiten der aufgedunsenen schlaffen Zeit, die werdet ihr doch nicht als die Attribute des Ideals der Weiblichkeit uns anpreisen wollen? Das Weib, wie es sein soll, mag sich mit ihnen schleppen, und es wird, wenn es Todes verfährt, treffliche und instruktive Präparate für die Pathologie der Anmut liefern. Es gibt eine weibliche Energie, und die ist trefflich und lebendig in der Romeiro dargestellt; warum soll der Gegensatz dieser Energie, die reine Rezeptivität, außer dem Gebiete der Dichtung liegen, da sie doch den wahren und eigentlichen Charakter der Weiblichkeit ausmacht? In Lianen hat der Dichter diesen Gegensatz uns dargestellt, die Weiblichkeit schwebt in dem zarten Gebilde unmittelbar am Übergange in Asthenie, kaum daß sie daher nur so lange im Streite mit der Umgebung sich behauptet, als dem Bildner not tut, ihre Umrisse aufzufassen, und sie welkt schon dahin. In Lianen hat die Poesie eine Gestalt gewonnen, die die Malerei noch nicht aufzuweisen hat, einzig würdig, zu den Füßen der Madonna zu knien und in den in das Gefühl der Mütterlichkeit versunkenen Augen sich zu spiegeln. Freilich, die, welche Blüten nur um des Obstes willen mögen, die werden auch Lianen für ihre Spaliere unbrauchbar finden; aber ihnen wäre auch anzuraten, die Rosen in ihren Gemüsegärten auszureißen und Hagebutten an die Stelle hinzupflanzen.
Es ist sonderbar, dem Dichter Resignation auf das Urteil des Haufens anzuraten; was er von dem Haufen denkt, hat er vernehmlich genug durch das Organ des Lufschiffers im komischen Anhange ausgesprochen, aber ein früheres Urteil, was so manchen Tadler lenkt, mehr als er sich selber gestehen mag, darauf wäre ihnen wohl eher Resignation anzuraten. Was das zusammengehaltene Genie, das mit Gewalt sich eine Sphäre für seine Wirksamkeit zu schaffen sucht, als Paradoxie hinwirft, um die Opposition aufzureizen; was vielleicht gar der reine Mutwille geboren hat, der gaukelnd dem rohen Haufen nachäfft, wie er mit plumpen Fäusten in die zarten Gestalten des Dichters greift und mit ihnen platte Späße treibt, das wird für baren Ernst genommen und nach Gebühr bespöttelt, und man sucht es so bald als möglich zu vergessen, aber es hat im Gedächtnis gewurzelt, und ehe man sich's versieht, kehrt es als Reminiszenz zurück und wird nun, wie eine Giftpflanze, die durch die Kultur ihre giftige Eigenschaft verloren hat, gepflegt und mit aller Achtung aufgenommen.
Warum doch so wenige Stimmen für Jean Paul sich erheben, und überhaupt nur ein wüstes Getöne, eine unförmliche Sage von seiner Genialität im Lande umgeht? Man hat ihm den Geschmack rein abgesprochen, und man könnte in der schlichten Gesellschaft den seinen kompromittieren; außerdem kleidet das Weinerliche die Männlichkeit so schlecht, und der Vorwurf der Empfindsamkeit ist kränkend für den Biedermann. Unter den Frauen ist Jean Pauls wahres und eigentliches Publikum, sie sind die Oberlichter in Sachen des Geschmacks, und sie müßten vor allem über ihn gehört werden, ehe die Männer ihre Fäuste auf die Waagschale legen. Aber wie sollten sie sich hineinwagen in dieses wilde Getümmel? Sie würden in dem Strudel untergehen, und die würden sich ein Verdienst daraus machen, die ihnen wieder aus dem Tumulte heraushelfen und sie höflich nach Hause geleiteten.
Jean Paul ist überhaupt ganz eigentlich der Repräsentant des Modernen. Dieses wilde Durcheinandertreiben von regellosen Kräften; diese seltsamen Kurven, die sein Genius sooft statt jener einfachen Schlangenlinie beschreibt; diese wundervolle Phantasie, in der bald Zaubergestalten aus einer höheren Welt herabgeworfen spielen, und die bald wie eine Fata Morgana die kleinsten Gegenstände unten auf der Erde reflektiert; dieser dichterische Sinn, der wie ein großer Fluß Weltteile durchströmt, und in seinem Laufe den Himmel und die Sterne und Alpen und Triften und Wälder und Herden, die am Ufer gehen, und Städte, die an ihm liegen, Erhabenheit und Schönheit und Häßlichkeit in seinem Spiegel widerstrahlt; dieser Reichtum an Stoff, der wogend übereinandertreibt, und den die bildende Kraft kaum zu beschwichtigen vermag; dieser Humor, der bald wie der Blitz die Flammensäule des explodierenden Vulkans umspielt, bald sie in Dampfwolken hüllt, das alles ist das Bild der Zeit, die Heldenzeit der Literatur. Ihr verdammt sie und euch mit, die ihr darin befangen seid, wenn ihr ihn verdammt. Was die Zeit und ihn über sich selbst erhebt, ist die Tendenz nach organischer, lebendiger Universalität, in der das Wort Fleisch wird, und das Fleisch Wort, die in beiden liegt, und dieses Streben soll jeder ehren und die Größe nur mit großem Maße messen.
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Frommer, gutmütiger, harmloser Novalis, was hast denn du verschuldet, daß sie dich lästern und dich als das Haupt einer falschen, unechten, schädlichen Mystik verklagen? Was ist die Mystik anderes als das Leben in einer zweiten, höheren Welt, die uns ja von außen schon entgegenglänzt, wenn wir den Blick zum Firmamente heben? Und diese Steigerung unserer höchsten, geistigen Kräfte, warum soll sie die Sphäre des Reinmenschlichen überfliegen? Steht nicht die Erde und alles, was schwer ist, auf ihr, mit fernen Welten im Verkehr, ist unser Körper nicht mit den entlegensten Gestirnen in Wechselwirkung, und haben nicht alle Konstellationen Einfluß auf das Leben, das unten in der Tiefe glimmt, und sind nicht die großen organischen Epochen, selbst der Wechsel zwischen Schlaf und Wachen, von oben herab vermittelt; und der Geist sollte dumpfer, abgeschlossener in seinem Kerker gefesselt liegen, keine höheren Mächte sollten in ihn herübergreifen, über dem Zenit seiner höchsten Kräfte sollte nur eine öde Leere brüten, ein schaudervolles Nichts, in dem die Idee erstarrt? Hat die Welt denn diesem Geiste Schranken gesetzt, ist das Universum ihm in einen Reif von Erz geschlagen, umgürtet von einem gewaltigen Felsenriff, von dem ein jäher Absturz in die bodenlosen Abgründe der Vernichtung führt, wo schwindelnd der Gedanke in die Nacht zu vergehen fürchtet, oder ist dies Universum nicht ein unermessener Ozean, in dem die Welten wie schwimmende Inseln schweben, nur von der eigenen Unendlichkeit umkreist, ohne Mittelpunkt und Oberfläche? Lichtgeister wandeln unter den dunkeln Gebirgen dort herum und gießen Leben über sie aus und Überfluß und diese Geister, sie sind auch uns befreundet; wie die Erde der Sonne in ihren Bahnen folgt, so schlingen sich die inneren Kreise um sie her, und eine höhere Einheit verkettet in sich die Geisterwelt, wer sich in das Endliche verliert, dem ist die Endlichkeit zum Sarkophag geworden, er selber hat den ungeheuren Stein vor die Öffnung hingewälzt und von innen sie versiegelt; trauernd sitzen seine befreundeten Genien auf dem Grabe und harren der Auferstehung des Begrabenen. Sollen wir denn ewig ein mattes, welkes, bleiches Leben beim sparsamen Scheine des Grubenlichtes durchleben, und nicht einmal, wenigstens durch die Spalten, durch die ein höherer Schimmer in die Tiefe fällt, hinauf uns an die Oberfläche winden, und zu dem ewigen Feuer beten, das oben in der Höhe flammt? Beim Sternenlichte feiert ihre Mysterien die Natur, hat euer Gemüt und euer Geist denn keine Mysterien zu feiern? wenn euer innerer Himmel schwarz und düster steht und kein freundliches Gestirn von ihm herniederblinkt, wollt ihr darum die hohen Sterne als Meteore in euern Dunstkreis ziehen, glaubt ihr trostlos ihren ewigen Glanz erloschen, wenn eure Nebel sie umziehen und eine dunkle Wolkendecke den ganzen Horizont unterlaufen hat? In ruhigem Gleichmute strahlen sie nieder auf die Schattenkugel und beglänzen ihre Dunststreifen; selbst die Dämmerung, die die Tiefe matt erhellt, sie ist ihr Werk; was sterblich ist, wandelt in ihrem Lichte, und nimmer mag es ihnen sich entziehen, in seinem geringsten Teile muß es ihrer höheren Würde huldigen. Und diese Überzeugung tief der Seele einzuprägen, die Quelle von allem menschlichen Streben und seine höheren Beziehungen nachzuweisen, auf die höheren Prinzipien alles Seins und Werdens hinzudeuten, und die Aussicht ins Unendliche in die moralische Natur einzuführen, das ist der Zweck der Mystik, dahin geht ihr Bemühen, und daher soll sie jedem, der nach anderem als der bloßen Befriedigung des Bedürfnisses ringt, heilig sein. Nur dem Höheren verwandte Geister, die auf den Bergen wohnen, in deren Innerem der Himmel ewig heiter, klar und prachtvoll steht, wo die Sternbilder, nimmer untergehend, auf und nieder in ihren Kreisen ziehen, nur solche Geister mögen des Volkes Priester in ihr sein; das Volk selbst, das unten im Tale wohnt, wo die Quellen und die Ströme und die feuchte Erde dunsten, und die Feuer qualmen, und die Wolken zwischen den Bergen hängen, mag sich des sanfteren Schimmers und der größeren Wärme und der Erdenschätze freuen, aber es soll nicht der Wunder der Höhe spotten, und nicht gering halten die höheren Blüten, die die Gefilde des Himmels tragen.
Es gibt einen zwiefachen Mystizismus, den der Anschauung und den der Liebe, der erste ist der des Novalis. Trefflich hat er in seinem Heinrich von Osterdingen diese Anschauung bildlich in der Vision des Pilgers auf dem Berge bei Augsburg dargestellt, da, wo er nämlich sagt: »da drang durch die Äste ein langer Strahl zu seinen Augen, und er sah durch den Strahl in eine ferne, kleine, wundersame Herrlichkeit hinein, welche nicht zu beschreiben, noch kunstreich mit Farben nachzubilden möglich gewesen wäre. Es waren überaus seine Figuren, und die innigste Lust und Freude, ja eine himmlische Glückseligkeit war darin überall zu schauen, sogar die leblosen Gefäße, das Säulenwerk, die Teppiche, Zierate, so daß alles, was zu sehen war, nicht gemacht, sondern wie ein vollsaftiges Kraut also gewachsen und zusammengekommen zu sein schien. Es waren die schönsten, menschlichen Gestalten, die dazwischen umhergingen und sich über die Maßen freundlich und holdselig gegeneinander erzeigten; ganz vorn stand die Geliebte des Pilgers, und es hatte das Ansehen, als wolle sie mit ihm sprechen, doch war nichts zu hören, und der Pilger betrachtete nur mit tiefer Sehnsucht ihre anmutigen Züge, und wie sie so freundlich und lächelnd ihm zuwinkte und die Hand auf ihre Brust legte. Der Anblick war unendlich tröstend und erquickend, und der Pilger lag noch lange in heiliger Entzückung, als die Erscheinung wieder hinweggenommen war.« Dieses mystische Anschauen, wie es sich in der angeführten Stelle malt, bezeichnet zugleich das Genie des Novalis als ein im ganzen mehr philosophisches und mehr zur Universalität der Vernunftidee hinneigend. Denn wie die Kunst ihre Philosophie hat, so die Philosophie ihre Kunst, und diese philosophische Poesie, wie sie überhaupt das eigene Charakteristische der neueren deutschen Kunst in allen ihren Verzweigungen ist, so spricht sie sich insbesondere am freiesten im Heinrich von Osterdingen aus. Und es ist keine Verunreinigung des wahren Wesens der Kunst, diese Verschmelzung der Poesie mit der Vernunftidee: die das sagen, haben keinen Begriff von dem Ineinanderspielen aller Kräfte und der organischen Lebensnorm, die allem menschlichen Tun und Treiben zugrunde liegt; sie sind wie die Kristalle der chemischen Natur in eine bestimmte Form angeschossen, und zu anderem, was nicht ihre Grundform hat, fühlen sie sich durch keine Verwandtschaft hingezogen. Die ganz reine abgezogene Poesie ist stumm, ein absolut poetisches Gemüt ist in sich selbst verschlossen, und nicht darstellend, es kann nichts aus seiner dunkeln Tiefe zutage fördern; die reine Geistigkeit ist absolut kontemplativ, ganz verloren in die Anschauung, und daher ebensowenig plastisch bildend, weil die innere Kohäsion ihm fehlt; die Poesie kann daher kein Gebild aufweisen, was dem einen ganz und rein entspräche, und die Philosophie hat keine Form, die das andere in seiner ganzen Unendlichkeit fassen könnte, alle Gestaltungen fallen zwischen beide Gegensätze in die Mitte, und nur das Vorherrschen der einen oder der anderen Kraft bestimmt ihren poetischen oder philosophischen Charakter. Bei Novalis aber herrscht offenbar die Anschauung vor, sein Gemüt hatte nicht Tiefe genug, um den Ideenreichtum zu bemeistern und ein reiches, volles, lebendiges Leben zu gestalten, es war zuviel Verflogenheit in seinem Wesen, als daß er seinen Bildungen jene Gediegenheit hätte geben können, die mit hoher Rührung das Gemüt bewegt. Aber wenn er auch nicht das Höchste erreichte, so hat er doch Hohes erreicht, und seine zarte, halb durchscheinende Individualität winkt freundlich dem Sinne zur Beschauung. Das Wesen und die eigentliche Mitte seines Osterdingen ist die symbolische Darstellung seiner Weltanschauung in Bildern und Tönen der Phantasie. Das Leben des Ganzen spiegelt sich in Heinrichs Leben, und die Kunst strebt einen Mikrokosmos darzustellen, der in seiner Universalität gefallen möge, während die Wissenschaft mit dem ihrigen nur den forschenden Geist zu befriedigen strebt, und freilich in ihrer höchsten Vollendung zugleich Kunstwerk wird; daher blickt im ganzen Verlaufe des Buches überall die Idee durch die ästhetische Hülle durch, von dem schönen, rein phantastischen Traume von der blauen Blume, womit das Werk beginnt, durch die Erzählung der Kaufleute, die den Sieg der Poesie über das Leben ausdrückt, durch die Berichte vom Heiligen Lande auf dem Ritterschlosse, in dem Vortrage des Bergmannes, in dem die Poesie in die Tiefen der Erde dringt, und die Metallkönige in ihren Lagern und die Quellen in ihren Betten besucht, sowie in den Liedern, die er singt, beim Besuche der Höhle, und vor allem in dem großen, mit Phantasie und Witz entworfenen Märchen, in dem die Kosmogonie der beiden Naturen in einem glühenden, zischenden, flammenden Feuerwerke dargestellt wird, überall bricht die herrschende Kraft hervor; aber in gefälligen Formen hat die Einbildungskraft ihr Spiel gemildert. In der Geschichte, soweit sie der Dichter führen konnte, ist wenig Handlung, überall jene Neigung zur Kontemplation und das Versinken in Betrachtungen, überall ein aufquellender Reichtum an Vernunftformen, und dabei die Kindlichkeit der Zeit, in der die Geschichte spielt. Es ist ein Verlust für die Kunst, daß dieselbe innere Aufgelöstheit, die sich in den Werken des Dichters ausgeprägt hat, auch in seiner Organisation herrschte und eine so frühe Zerstörung ihm bereitete; nicht oft gelingt es der Natur, dem irdischen Stoffe so zarte Formen abzugewinnen, und sind sie ja in einem Wurfe gefallen, dann ist sie rauh und hart und unbarmherzig gegen die schwachen Kinder, und reibt sie wieder auf, ehe das matte Leben in ihnen sich entfaltet hat. Schmähe daher sein Andenken keiner, er war der Herold oder das Vermächtnis einer besseren Zeit! Jene aber, die ihm Tendenz zur falschen Mystik vorwerfen, die mögen sich vorsehen, ob nicht der Dünkel, der, indem er nach vielen Deklamationen gegen das Wesen selbst endlich seine Realität zugeben muß, nun sich an die Form hängt und Distinktionen macht, denen er den eigenen Irrtum aufbürdet, ob nicht auch dieser ihre Ansicht begründet habe.