Joseph Görres
Eine Auswahl aus seinen Schriften
Joseph Görres

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Das Rote Blatt

Einleitung

Wir haben einen Krieg erlebt, der uns und unserm Vaterlande tief blutende Wunden schlug. Hochauf loderte die Flamme der Verheerung; halb Europa lieferte das Brennbare dazu. Aber der Rhein war doch der Feuerherd, wo sie am stärksten und am längsten glühte; der Rhein, dessen Ufer schon in der grauen Vorzeit so manchmal vom Blute der Germanen, Gallier und Römer rauchten; jener stolze Fluß, den die Natur doch eigentlich aus dem Grunde mitleidig zwischen zwei Nationen geworfen hatte, um den wechselseitigen Ausbrüchen ihrer Wut einen festen Damm entgegenzusetzen. Hier war die Linie, in der sich ungeheure Armeen, in denen die Stärke ganzer Nationen konzentriert war, mit furchtbarer Stärke rieben; hier ging jene Friktion vor, die die ersten Funken zu jenem großen Brande hergab; hier siegte aber auch die Freiheit, und gebändigt ward der Trotz der Despoten. Ihre Scharen umgaben Frankreich mit einer ungeheuren Zirkumvallationslinie. Hunderttausende besetzten die zahlreichen Windungen und Biegungen derselben, die Schwachsinnigen hofften, die Republik durch Hunger zur Übergabe zu zwingen, aber sie fanden sich schrecklich getäuscht. Der Genius der Freiheit wachte; ein ungeheurer Drang von innen heraus erschütterte den furchtbaren Wall, er wankte; der Drang ward stärker, er stürzte; und nun wälzte sich der angeschwollene Strom über den gesprengten Damm und ergoß sich über unsere Fluren. Wir waren, leider! Zuschauer der Verheerungen, die er dort anrichtete; wir waren Zeugen der Verwüstungen, die er im Gefolge hatte, Zeugen, wie er unsern Wohlstand vernichtete und unser Eigentum verschlang. – Aber vergessen wir die physischen Nachteile dieses Ergusses, zehn Jahre des Friedens und der Freiheit werden ihre Spuren verlöschen, wichtiger sind die moralischen Übel, die diese Katastrophe begleiteten.

Mehrere hunderttausend Jünglinge, ihrem väterlichen Herde entrissen, verschlungen von dem Wirbel der Revolution und in die weite Welt hinausgeschleudert, der Stimme ihrer brausenden Leidenschaften überlassen, gewohnt, ihren Arm und ihr Schwert als ihren einzigen Gesetzgeber anzusehen, konnten wohl nichts dazu beitragen, daß die moralische Kultur des Landes, welches sie überschwemmten, große Fortschritte machte. Fanden diese Feuerköpfe sich nun gar unter eine Armee versetzt, bei der alle Fesseln der Disziplin aufhörten, wo lange vorausgegangene Leiden die erste Veranlassung zu den empörendsten Ausschweifungen gaben und dieselben gewissermaßen zu rechtfertigen schienen; der zahlreiche Scharen von Dieben und Taugenichtsen folgten, die die Feldzüge in ihrem äußern Ansehen und ihren Folgen großen Expeditionen auf Raub und Plünderung ähnlich machten, die die Kunst zu rauben zur Wissenschaft erhoben und durch ihre Schamlosigkeit allmählich den schwachen Rest von Moralität und Achtung für fremdes Eigentum, der sich noch erhalten hatte, erstickten: dann ist es nicht zu verwundern, wenn die Kultur jener Länder, die der Schauplatz solcher Ausschweifungen waren, einen empfindlichen Stoß erhielt und ein Krieg, der den Bewohnern derselben ihre äußere politische Freiheit zusicherte, sie in Rücksicht auf ihre innere moralische Empfänglichkeit für dieselbe um eine Generation zurücksetzte. Nebst der Abnahme des physischen Wohlstandes war also der Rückgang der allgemeinen Moralität und das Einreißen eines Sittenverderbs, welches schon in der vorhergehenden Periode durch Frankreichs verächtlichste Auswürflinge, bei der ersten politisch-kritischen Transpiration dieses Staates, nur zu viele Nahrung gefunden hatte, eine der ersten und fühlbarsten Folgen jener großen Überschwemmung.

Dieselben Ursachen, die diese traurigen Wirkungen hervorbrachten, gaben zugleich Gelegenheit zu andern nicht minder folgenreichen. Die Völker Europas hatten sich an den Franken Ideale von vollkommenen Wesen geträumt; sie wähnten, die Revolution habe sie stehenden Fußes in Engel und pure Geister umgeschaffen; sie glaubten in ihnen die Befreier von ihren Despoten und durch sie allen ihren Beschwerden abgeholfen zu sehen, ohne einen Finger rühren zu dürfen. Diese Hoffnungen waren zu sanguinisch, und die Schwärmer mußten sich getäuscht sehen, selbst wenn die Franken auch geblieben wären, was sie im Anfange des Krieges waren. Ungeduldig schmiegten die Völker sich unter den Fuß ihrer Despoten und glaubten, die Franken würden kommen und ihnen fein säuberlich die Ketten abnehmen, ohne ihnen im mindesten dabei wehe zu tun. Aber diese, ungestüm und heftig von Natur, glaubten sie zerschlagen zu müssen, und nun ging es freilich ohne Beulen für die armen Gefesselten nicht her, die nun ihrerseits Zeter zu schreien anfingen. Das freilich schlecht beobachtete: » Krieg den Schlössern, Friede den Hütten!« ward jetzt das Signal zum Haß gegen jene, die man vorhin mit Enthusiasmus aufgenommen hatte. Die mit jedem Tage wachsende Arroganz der stolzen Besieger der Koalition, die unerschwinglichen, jeden Tag erneuerten Forderungen, das ganze Gefolge jener Requisitionen und Erpressungen, die kein Ende zu nehmen schienen und sich durch das ganze Alphabet auf alle Bedürfnisse erstreckten, verbunden mit den Aufhetzungen von Pfaffen und Mönchen, die mit dem Aufkommen des Republikanismus ihrem Sturz und der Nutzlosigkeit ihrer bisher so einträglichen Alfanzereien entgegensahen; den Drohungen der öffentlichen Beamten, die mit Schaudern das Ende ihres Reiches und die Aufdeckung ihrer Unterschleife sich nähern sahen, mit der Anhänglichkeit des Deutschen überhaupt an seine gewohnten Formen und Maximen, alles das wirkte zusammen, um dem öffentlichen Geiste eine Richtung zu geben, die wenig Tröstliches für die Zukunft versprach. Haß gegen die Franzosen war allgemein: man vergaß den Gang, der sie jenem Extrem entgegenführte, zu dem sie in der schlimmsten Epoche hinausgeschweift waren; man vergaß, daß sie auf den Drang der Umstände ihre Rechtfertigung nicht ohne Grund bauen konnten; man verwechselte am Ende gar die Person mit der Sache und trug den Haß, den man anfangs gegen die Franken hegte, nun auch auf die Grundsätze über, die sie verteidigten, ohne zu bedenken, daß ja Tugend, selbst von Teufeln gepredigt, immer Tugend bleibe. Man haßte die Freiheit, haßte den Republikanismus; der öffentliche Geist ward aristokratisch; Pfaffen, Mönche und Schranzen jauchzten über ihren Sieg. Jene oben gerügte Immoralität, verbunden mit diesem Geiste, zu dem sich noch der Stiefbruder desselben, jener falsche Moderantismus, jener unreine Dämon, den der achtzehnte Fruktidor noch immer nicht ganz aus den Agenten der Republik herausgetrieben hat, hinzugesellte, sind die Ungeheuer, die wir von nun an, wo zu unserer gänzlichen Amalgamation mit der großen Nation der Hauptschritt geschehen ist, zu bekämpfen haben.

Erziehung muß zuvörderst jenem ersten Gebrechen abhelfen, die gegenwärtige Generation ist verloren für die Kultur; der folgenden ist es aufbehalten, dem erhabenen Ziele der Menschheit um einen großen Schritt näherzukommen.

Das Geschäft der öffentlichen Gewalten ist zweitens, von oben herunter und mit der ganzen Macht ihres Ansehens und ihrer Hilfsmittel jenem eingerissenen Geiste entgegenzuarbeiten, die Zöglinge aus der Schule der Clischy zu entwaffnen, dem Republikanismus allmählich Eingang zu verschaffen und der Opinion des Volkes eine andere und bessere Richtung zu geben.

Ehemals, wenn die weltliche Macht irgend mit Gewißheit auf den Sinn ihrer Untergebenen wirken wollte, dann nahm sie den geistlichen Arm zu Hilfe – ein Wink gegen Himmel, ein Bannfluch–; und alles war vollbracht. Aber jetzt ist dieser Arm kraftlos und verdorrt; Philosophie ist an die Stelle der schwarzen Zauberer getreten und Publizität, der mächtige Hebel, der das Geisterreich in Bewegung setzt. Den Bösewicht, den das Schwert des Gesetzes nicht erreicht, den prangert sie unbarmherzig; ihr Falkenauge dringt durch alle Übel von Vorurteilen und entlarvt das Verbrechen und gibt es dem öffentlichen Hohne preis, sie macht gute oder schlimme Grundsätze allgemein gängig, je nachdem sie sich in guten oder schlimmen Händen befindet.

Wenn also soeben Erziehung und Regierung als die beiden Hauptmittel zur Bewirkung unserer politischen und moralischen Regeneration angegeben wurden, so darf diese dritte Waffe zur Bekämpfung jener blinden politischen Orthodoxie – die Publizität nämlich – nicht übergangen werden. Die beiden ersteren werden wechselweise von ihr Unterstützung bekommen und sie selbst wieder unterstützen und so alle drei gemeinschaftlich das große Geschäft unserer moralischen und politischen Wiedergeburt vollenden.

So war der Gang unseres Räsonnements, indem wir uns zur Herausgabe der gegenwärtigen Zeitschrift entschlossen. Ein gebieterisches Bedürfnis fordert das Wiederaufleben einer Literatur, die während dem Laufe des Krieges erstickt wurde, und so wie sie nie sehr bedeutend war, auch erst für die Zukunft, aber dann freilich auch eine um so größere Wichtigkeit verspricht. Indem wir also eine Laufbahn betraten, auf der wir keine weiteren Aussichten auf materiellen Gewinn vor uns sahen, konnten wir keine andere Absicht haben, als, soviel an uns war, jenes schreiende Bedürfnis zu befriedigen, einmal wieder wenigstens einen Fußpfad durch die verödeten, mit Dorn und Disteln bewachsenen Felder unserer Literatur zu bahnen und unser Scherflein zur Wiederanbauung derselben beizutragen; zuletzt aber und hauptsächlich, um imstande zu sein, mit Nachdruck die Metamorphose der Gesinnungen und Meinungen unserer Mitbürger zu bewirken.

Wir wollen belehren und unterhalten; belehren – indem wir durch Aufsätze mancherlei Art unsere Mitbürger über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären und ihre Begriffe über ihren künftigen Zustand unter einer republikanischen Regierungsform zu berichtigen suchen, indem wir sie mit den Gesetzen und Einrichtungen, unter denen sie für die Zukunft leben sollen, bekannt machen, indem wir ihnen die Maximen einzuprägen suchen, deren strenge Befolgung eigentlich den Republikaner charakterisiert. Wir werden unterhalten – durch einen soviel als möglich lebhaften Vortrag dieser Gegenstände überhaupt; durch eine Reihe ausgemalter Bilder aus der großen Zauberlaterne der politischen Welt; satirische Aufsätze mancherlei Gattung, eingestreute Gedichte usw., kurz: wir werden alles aufbieten, um die Erwartung unserer Leser zu befriedigen. Die unbedingteste Freimütigkeit wird unser Gesetz sein, und wie sollte es auch nicht, da ja die Presse bei uns keinen andern Zwang kennt, als den ihr der Wohlstand und die Moral vorschreibt. Mit dem einen Arme werden wir den Aristokratismus bekämpfen, mit dem andern dem Ungeheuer der Clischy ins Gesicht greifen und noch Stärke genug übrigbehalten, auch der Anarchie, wenn sie bei uns Anhänger finden sollte, Trotz zu bieten. Der Pfaffheit werden wir die Larve abziehen, Heuchler und Hypokriten verfolgen, gesunde Ideen überall in Umlauf zu setzen suchen und, soviel an uns ist, dem Republikanismus einen vollständigen Sieg über seine lichtscheuen Gegner erkämpfen helfen. Unterstütze uns in unserer Bemühung, erhabener Schutzgeist der Freiheit! und unsere Anstrengungen werden, zum Wohl der Menschheit, nicht umsonst verschwendet sein.

(1. Trimester, 1. Heft.)

*

Mein Glaubensbekenntnis

... Seit geraumer Zeit schon bemerke ich, daß man, weil man mich im Kampfe mit einigen Aussaugern sah, die der Zufall just als Franzosen geboren werden ließ, hie und da im Wahne steht, ich habe es mit allen Franzosen überhaupt aufgenommen; ich habe mich als Wortführer der Unzufriedenen aufgeworfen und arbeite nun nach Möglichkeit, um der glimmenden Flamme Nahrung zu geben. Zurückgekommen von einer Schwärmerei, deren Lächerliches ich jetzt selbst einsehe; getäuscht in den sanguinischen Hoffnungen, deren Realisierung ich von unserer Independenz erwartet hätte, und die ich durch die schlimmen Begebenheiten, die der Organisation gefolgt wären, auf immer vereitelt gesehen hätte; aufgebracht gegen die, die ich als die Zerstörer dieser schönen Träume betrachtete, bereute ich, – so wähnen die Kurzsichtigen – alle die Schritte, die ich ehemals für eine Sache getan hätte, die ich nicht mehr als die meinige betrachtete, und suche meine Jugendsünden jetzt durch ein entgegengesetztes Betragen zu büßen. Unter dem Vorwande, alle Schufte zu befehden, suche ich nur Gelegenheit, meinem Unmute freien Lauf zu lassen und mir eine Popularität zu erwerben, die ich hernach zur Durchsetzung meiner allenfalsigen ehrgeizigen Absichten benützen könnte. Kurz, ich sei ein reuiger Sünder, dem man die Wiederaufnahme in den Schafsstall nicht versagen könne.

Es tut mir leid, daß ich das schöne Kartenhaus übern Haufen blasen muß, weil ich nicht länger Lust habe, für einen Renegaten zu passieren; daß ich den Heiligenschein, der schon um meinen Kopf aufzuflammen anfängt, eigenhändig zu zerreißen mich gezwungen sehe, weil – – ich nicht gern nach Phosphor stinke. Der Beifall, den man meinem Unternehmen schenkte, sollte mir schmeichelhaft sein; allein leider kann ich nur den bei weitem kleinsten Teil desselben akzeptieren, weil der größere sich nicht auf das Gefühl für die gute Sache, Wahrheit und Recht, sondern auf Parteigeist und auf die Voraussetzung, ich sei eben dieser Sache abtrünnig geworden, gründet. Ich kann nicht stolz auf eine Popularität sein, die sich nur auf Kosten meiner Grundsätze erwerben läßt. – wann werden die Menschen doch einmal anfangen, die Person von der Sache zu trennen? Wann werden sie lernen, eine einmal als gut anerkannte Sache mit demselben Mute, derselben Tatkraft zu unterstützen und zu verteidigen, mit dem sie die unwürdigen Werkzeuge derselben bekämpfen? wann werden doch einmal die schändlichen Ungeheuer, die sich ein Geschäft daraus machen, jene Unterschiede immer mehr zu verwirren und die Verbrechen der letzteren der ersteren aufzubürden, wann werden, sage ich, diese Menschen endlich einmal mit ihren teuflischen Machinationen aufhören? Freilich solange es noch Nichtswürdige gibt, die die heilige Sache der Freiheit zum Schilde für ihre Habsucht und ihre Verbrechen brauchen: solange kann man auch dem Volke, das immer nur nach dem Gefühle urteilt und nie mit Strenge die Ursachen seiner Leiden zergliedert, jene Begriffsverwirrung nicht verübeln. Es handelt von einer Art von Instinkt geleitet, den es aufzugeben sich nicht entschließen kann, weil es bisher in der engen Sphäre, worin es sich umhertrieb, völlig mit ihm ausreichte.

Unter diesen Umständen kann es mir nicht schwerfallen, den Beifall zu deuten, für den ich eben soviel Unempfindlichkeit zeigte; es ist der, mit dem man den gefährlichen Wendungen und Sprüngen eines Seiltänzers zusieht, bei dem man jeden Augenblick gefaßt ist, ihn den Hals brechen zu sehen. Der Unbesonnene überwirft sich mit der ganzen Welt, schwebt ohne Balancierstange über Abgründen hin; schade um ihn, wenn er stürzt – aber warum war er auch so sorglos?

Um also meine Mitbürger zu überzeugen, daß ich mich nicht mit der ganzen Welt, am wenigsten mit meinen Grundsätzen überwerfe; daß ich nicht aufs Gratewohl mich dem Spiele des Zufalls überlasse, sondern einen bestimmten Gesichtspunkt fest im Auge behalte, habe ich das folgende Bekenntnis meiner politischen Überzeugungen und Glaubenspunkte niedergeschrieben. Ohne Furcht und ohne Hehl hab' ich bloß der Stimme meines Herzens gefolgt, nur eine getreue Darstellung meiner innigsten Überzeugungen zu geben gesucht. Möchten alle meine Mitbürger parteilos und unbefangen sie prüfen und, wenn sie dieselbe bewährt finden, sie zur Richtschnur ihres Betragens machen!

 

Wer, hinausgeschleudert auf wilde pfadlose Meere, von Stürmen gewiegt, von Donnern umhallt, weit entfernt vom wirtschaftlichen Kontinente, dahinschwimmt im weiten unbegrenzten Raume, ohne Bewußtsein der Stelle, die er darin einnimmt, lacht der Stürme, spottet dem Donner und bahnt sich selbst Wege durch die bahnlosen Fluten, wenn die Wolken ihm nur einen Blick auf jenes leitende Gestirn erlauben, das den Schlußstein des Himmelsgewölbes bezeichnet und das erhaben über alle Stürme der Atmosphäre unwandelbar und unveränderlich dasselbe bleibt, zu allen Zeiten der Richtpunkt der Verirrten.

Einen ähnlichen Schlußstein gibt's auch am politischen Himmel. Mögen diesen auch noch so sehr die Stürme der Revolutionen umdüstern; nur einen kleinen Riß in die umhüllende Decke, und er lächelt zu allen Zeiten mit gleicher Milde auf den Weltbürger herab, der trostlos zu ihm aufblickt. – Dieser Fixstern ist das Ideal der veredelten Menschheit. Nur der Glaube an die allmähliche Annäherung zu diesem Ideale vermag den Beobachter zu einer Zeit aufrechtzuerhalten, wo alle Leidenschaften, von ihren Ketten entbunden, umhertoben; wo von allen Seiten absprechende Willkür herrscht und in der allgemeinen Verderbnis ihre Entschuldigung findet; wo alle Menschen die rauhere Seite nach außen kehren und der Egoismus die stärksten Reibungen erzeugt. Nur die Hoffnung – es wird besser in die Zukunft, hilft ihm die Leiden mittragen, unter denen die gegenwärtige Generation beinahe erlag; nur sie gibt ihm Mut, auszudauern, sich nicht, wie alles um ihn herum in sich selbst verschlossen, vom allgemeinen Strome hinreißen zu lassen, sondern alle seine Kräfte aufzubieten, um wenigstens die folgende Generation der Menschheit zu erhalten. Mögen also die Anhänger der Gyrationshypothese immerhin ihren niederschlagenden Sätzen nachhängen; nie werde ich mir eine Hoffnung rauben lassen, ohne die wir besser Tiere und Barbaren geblieben wären. Ich glaube an ein immerwährendes Fortschreiten der Menschheit zum Ideale der Kultur und Humanität.

Wenn der Übergang aus dem Stande der Barbarei in den der Gesellschaft der erste Schritt zu dieser Kultur ist: so ist der Übergang aus der despotischen Regierungsform in die repräsentative der zweite, der Übergang von dieser in die rein demokratische der dritte, und der aus dieser in die AnarchieMan mißverstehe mich nicht! endlich der letzte. Da der Mensch nur im Staate und durch den Staat jenem Ideale zugebildet wird; da es also nur von den Modifikationen der Staatsverfassung abhängt, inwieweit und ob er dasselbe erreicht: so wird es also auch die Regierungsform sein, von der am meisten die «Erfüllung der Forderung jenes Postulates der Menschheit abhängt. Ich glaube daher, daß nur eine gute Staatsverfassung die Bedingung der Möglichkeit jenes Fortschreitens zum Bessern ist.

Ich glaube, daß unser Jahrhundert reif dazu war, die despotische Form mit einer angemesseneren zu verwechseln, und daß ihre längere Beibehaltung ein Unglück für das Menschengeschlecht gewesen wäre.

Die Menschheit, indem sie den ersten Schritt aus der Vereinzelung in die Gesellschaft tat, taumelte dem Despotismus in die Arme: und willig unterzog dieser sich der Last ihrer Erziehung. Er legte sie an sein Halseisen, und sie lernte stehen; er geißelte sie mit Skorpionsschwänzen, und sie lernte gehen; er warf sie nieder vor einem Götzen, und sie lernte Schmeicheleien und Sklavenphrasen lallen. Viele tausend Jahre dauerte dies Experiment. Endlich ist die Periode dieser Jesuitendisziplin verflossen; die Menschen sehen ein, wie schändlich man ihre Indolenz mißbrauchte, und betrachten mit tief gewurzeltem Mißtrauen eine Verfassung, die ihnen schon so viele Leiden verursachte. Sie ward aus einem großen Teile Europas verbannt, und tief sank ihr Ansehen bei dem Reste desselben herab. Vergnügt sieht der Weltbürger auf diese Art die Resultate seines Räsonnements auch durch die Erfahrung bestätigt und erwartet von derselben nun auch mit Zuversicht die Realisierung seiner übrigen Hoffnungen.

Ich glaube, daß das Jahrhundert für die Einführung der demokratischen Form noch nicht erschienen ist und auch noch so bald nicht erscheinen wird. Ich glaube, daß die Periode der Anarchie in ihrem ganzen Umfange, d. h. die Zeit, wo die Menschen keine Regierungsform haben, weil sie keiner bedürfen, in der endlichen Zeit nicht eintreten wird.

Die Konstitution vom zweiten Jahr, obgleich in ihren Grundsätzen philosophisch richtig, war doch Stückwerk und kam um Jahrtausende zu früh. Eine Generation wie die gegenwärtige kann schlechterdings nicht in Masse gesetzgebend sein, ohne daß schreckliche Szenen und die blutigsten Reibungen die Folgen eines so unsinnigen Unternehmens wären. Nur das verbrannte Gehirn eines Visionärs oder das verderbte Herz eines schwarzgalligen Menschenfeindes, der nur an Greuel und Menschenelend sich vergnügt, kann sich nach einer Verfassung zurücksehnen, die für das achtzehnte und neunzehnte und viele folgende Jahrhunderte nicht gemacht ist. Wer daran arbeitet, auf irgendeinem andern Wege als dem der allmählichen Menschenverbesserung die Konstitution von 93 zurückzuführen, macht sich des Verbrechens der beleidigten Menschheit schuldig.

Ich glaube, daß das Repräsentativsystem der Kultur unserer Zeit angemessen ist, und daß der Weltbürger die Pflicht auf sich hat, soviel an ihm liegt, den Rückfall eines Staates, der dasselbe adoptiert hat, in die despotische oder das zu voreilige Versteigen desselben in die demokratische Form zu verhindern. Mit der Annahme des vorhergehenden Satzes, daß nämlich unser Jahrhundert für die despotische Form zu reif, für die demokratische aber zu roh sei, ist, weil zwischen beiden in der Mitte nur die repräsentative liegt, unmittelbar auch der gegenwärtige Artikel gegeben.

Ich glaube, daß, mit einigen Modifikationen, die sich leicht in den nächsten Revisionsversammlungen anbringen lassen, die gegenwärtige fränkische Konstitution die angemessenste für unser Zeitalter ist.

Die Konstitution vom Jahre VI ist kein Werk eines überirdischen Wesens, sondern von Menschen und, was noch mehr ist, für Menschen gemacht; sie muß also sowohl alle die Gebrechen und Mängel an sich tragen, die ihren Urhebern anhängen, als auch jene, die unumgängliche Rücksichten auf die Materie, der sie angepaßt werden sollte, in sie hineintrugen.

Nach zehnjährigen Experimenten, bei denen Menschenblut in Strömen aufging und Menschenleben weniger als Mückenleben geschätzt wurde, geht endlich diese Konstitution als das Resultat aller dieser Versuche, aller dieser galvanischen Krampferregungen hervor. Haben wir nicht Ursache, dies so schwer errungene, so teuer erkaufte Gut über alles zu schätzen, alle Kräfte aufzubieten, um es uns und unsern Enkeln zu erhalten? In ihr liegt der Zentralpunkt, um den sich alle Republikaner vereinigen müssen, um allen Angriffen von außen die Spitze zu bieten; von hier aus müssen sie jene Phlegmatiker, die sich nach den Schauessen der Höfe zurücksehnen, beleben und die Feuerköpfe zügeln, die die Menschheit über Stock und Stein in sausendem Galopp und bei den Haaren ihrem Ideale zuführen wollen: die Bösewichter von beiden Seiten erdrücken.

Ich glaube, daß nur durch diese oder eine andere nach einem ähnlichen Prinzip organisierte Verfassung der unbedingte Fortschritt der Menschheit zur Kultur und Humanität bewirkt werden kann.

Nur Wissenschaften im engern Sinne, das heißt solche, die innerhalb der Einzäunung liegen, außerhalb der sich kirchlicher und politischer Despotismus herumtreiben, schreiten in monarchischen Staaten ununterbrochen hin zu ihrer Vollendung. Der menschliche Geist, aufgehalten von allen andern Seiten in seiner Kraftäußerung, wirft sich auf sie hin und bearbeitet sie mit aller Energie seiner in die Enge getriebenen Elastizität. Alle Wissenschaften aber, die außerhalb dieser Verpalisadierung liegen, sowie die Kultur der untern Volksklassen überhaupt, schreiten nur stellenweise und in unterbrochenen Zeiträumen auf dem Pfade ihrer Ausbildung fort. Denn sie sind abhängig von der jedesmaligen Laune, dem guten Willen oder dem Phlegma des Despoten, der sie zu allen Zeiten als seiner Ruhe und Existenz gefährlich betrachtet: statt daß ganz das Gegenteil bei republikanischen Formen, deren Grundsteine auf der Aufklärung des Volkes liegen, eintrifft.

Durch das beständige Reiben der Parteien in republikanischen Staaten erstarkt die Beurteilungskraft und jedes andere Seelenvermögen; gesunde Ideen und gereinigte Begriffe kommen in Umlauf; der große Haufe erwirbt sich jene Gewandtheit des Geistes und jenen Takt, die ihren Besitzer jedesmal instand setzen, das Schickliche vom Unschicklichen, das Wahre vom Falschen, das künstlich aufgestutzte Schlechte vom simpel einhergehenden Guten zu unterscheiden. Das Selbstgefühl des freien Mannes tut endlich das übrige, um jene Geistesfeinheit, jenes offene Gefühl fürs Schöne und Gute, jene innere Energie, die wir so oft an den Griechen bewundern und von denen der Untertan eines monarchischen Staates keinen Begriff hat, zu erzeugen.

Ich glaube, daß wir nur durch Verbreitung einer allgemeinen Sittlichkeit und moralischen Kultur uns der Übel entledigen können, die die Einführung des neuen Systems unvermeidlich begleiten mußten.

Die Geschichte erzählt uns die entsetzlichsten Tatsachen über den allgemeinen Sittenverderb in jener Epoche, wo die heidnische Religion zu stürzen und die christliche an ihre Stelle zu treten begann. Die Menschen hatten ihre alten Grundsätze weggeworfen und noch nicht Zeit oder Lust gehabt, sich neue zu erwerben; der Thron des Moralgesetzes war also erledigt, und begünstigt durch die nun erfolgende Anarchie hatten die Leidenschaften freies Spiel und tobten so lange umher, bis die neu entstandene, mit Enthusiasmus aufgenommene Religion sie wieder in ihre alten Fesseln zurückbrachte.

In einer ähnlichen Periode leben auch wir; die Wirkungen müssen also auch die nämlichen sein. Die bisher herrschende Religion bereitet sich, ihrer verjüngten Mutter das Feld zu räumen, zu gleicher Zeit erleidet das politische System Europas eine totale Reform. Reiche werden zertrümmert, Völker zerrissen, eine allgemeine Gärung bringt immer neue Formenwechsel hervor, alle schlummernden Kräfte werden geweckt, die verstecktesten Federn ins Spiel gesetzt, die feinsten Saiten tönen. Was Wunder, daß das Jahrhundert dieser Eruptionen auch das Jahrhundert der Korruption ist, und daß nun auch alle jene Übel, die zu allen Zeiten Immoralität begleiten, nicht säumen, einzutreten. Aber laßt sie einmal vorüber sein, die Momente dieses brausenden Wirrwarrs; laßt sie besänftigt zur Ruhe zurückkehren, die aufschäumende Materie: benutzt dann alle die Hilfsmittel, die unsere neue Lage, unsere verjüngte Tatkraft und unsere innere Stärke uns anbieten; bearbeitet die Generation, die wie eine junge Halmensaat den Boden der Republik bedeckt und eure pflegende Hand erwartet; dann werden mit der Ursache auch die Folgen wegfallen und die Zukunft mit sanfter Hand die Narben aufebnen, die die Gegenwart uns eingefressen hat.

Ich glaube, daß die gegenwärtigen Machthaber in Frankreich wenigstens der Majorität nach Männer von festen und guten Grundsätzen sind und im allgemeinen nach denselben handeln; daß aber oft der Drang der Umstände sie zu Schritten nötigt, die mit denselben in direktem Widerspruch stehen...

Ich glaube, daß wir noch weit davon entfernt sind, alle untergeordneten Stellen mit braven, untadelhaften Patrioten besetzt zu sehen; daß diese schlechte Stellenbesetzung nebst dem Kriege die Ursache der unzähligen Übel ist, die uns drücken; daß daher eine immer zum Bessern vorschreitende Reform das Ziel ist, auf das alle Republikaner hinarbeiten müssen. Diese Reform muß durch die Bildung des Volkes von unten herauf bewirkt und durch Bildung der Gewalthaber von oben herunter unterstützt werden.

Ein einziger Blick um uns herum, auf unsere Lage und alles das, was innerhalb unseres Gesichtskreises vorgeht und uns analogische Schlüsse auf fernere Regionen an die Hand gibt, beweist uns die Wahrheit des ersten Teiles von diesem Satze. Wenn jetzt noch Royalisten, Intriganten, Pinsel, Taugenichtse, Diebe, Aussauger und goldgierige Blutegel so manche öffentliche Stelle bekleiden und von hier aus den Gemeingeist verderben, die Reste der Staatskräfte aufzehren und vergeuden, durch ihre Sittenlosigkeit die öffentliche Moral vergiften, durch ihre Räubereien die Völker empören und der guten Sache unsäglichen Schaden zufügen, dann müssen wir uns damit trösten, es wird besser werden, und daß es besser wird, hängt von uns selbst, von unserer Tätigkeit und von unserem Bestreben ab, uns und unsern Mitbürgern eine immer größere Kultur, Aufklärung und Kenntnis unseres gemeinschaftlichen Interesses zu verschaffen. Jene Räuber und unwürdigen Menschen werden dem Lose nicht entgehen, das ihrer wartet und sie früh oder spät erreichen wird.

Ich glaube, daß bis zu dem Augenblicke, wo alle unsere öffentlichen Funktionäre nur aus dem Grunde brav sind, weil sie brav sein wollen, ein Surrogat der fehlenden Grundsätze aufgefunden werden muß, das sie antreibt, brav zu handeln, weil sie brav handeln müssen. Dies Surrogat ist die Publizität. Jeder Bürger, der Gelegenheit dazu hat, wache über das Betragen der öffentlichen Beamten in seiner Nähe, denunziere ihr Vergehen ihrem Volke; und was Grundsätze nicht vermögen, wird die Furcht vor dem Pranger erwirken, wenn das Gefühl für Ehre und Schande nicht ganz zum Nichts eingeschrumpft ist.

Aus diesem Gesichtspunkte verlange ich mein Unternehmen betrachtet zu sehen. Nur solche Menschen, die, wenn sie in ihren Busen greifen, sich selbst nicht vorwurfsfrei fühlen, können darauf schmähen, nur Ununterrichtete darin, wie man mir schon vorgeworfen hat, eine Kabale gegen die Franzosen erblicken. Unparteilichkeit in strengstem Sinne ist mein erstes Gesetz und Wahrheitsliebe mein zweites, Furchtlosigkeit im Bewußtsein, ohne Nebenabsichten rechtschaffen zu handeln, meine unzertrennliche Gesellschafterin auf meiner Laufbahn...

Ich habe auch wohl sagen gehört, wozu frommt es, alle Vergehen der öffentlichen Beamten von den Dächern auszurufen und ihre Verbrechen vor den Augen des ganzen Volkes zu enthüllen; die nächste Folge davon wird sein, Erbitterung gegen die Franzosen, ihr System und alles, was damit zusammenhängt, weil sie denn doch, wie die Erfahrung lehrt, am öftersten in den Fall kommen, ihre Handlungen dem öffentlichen Tadel ausgesetzt zu sehen? Wozu sind die Tribunale vorhanden? Habt ihr einen öffentlichen Angestellten auf einer schlechten Handlung betreten, so denunziert ihn dort, bringt die nötigen Beweisstücke bei, und er wird seiner Strafe nicht entgehen. Wofür die ganze Welt zu Zeugen derselben machen?

Aber wenn ein solches Verfahren bei den Handlungen eines Privatmannes, qua talis, stattfinden muß und auch füglich stattfinden kann, so ist es doch keineswegs bei denen eines öffentlichen Beamten zureichend, wenn jener in seinen Privatverhältnissen die Pflichten gegen sich und einige seiner Mitbürger verletzt, so verletzt dieser bei seinen öffentlichen Fehltritten die Pflichten gegen den Staat; wenn also die nichtswürdige Handlung des ersten nur für die in ihren Rechten Gekränkten und etwa einige der Zunächststehenden von Interesse ist, so ist es die des zweiten für das ganze Volk, gegen das er seine Pflichten aus den Augen setzte. Jeder öffentliche Beamte ist Repräsentant irgendeines Attributs der Volkssouveränität, er ist also seinen Repräsentierten Rechenschaft von allen den Handlungen schuldig, die er in dieser Eigenschaft vornimmt. Wenn er es unterläßt, seine Schritte in Dunkel einhüllt und in der Nacht der Mysterien begräbt, dann hat jeder Bürger das Recht, die Fackel der Wahrheit zu ergreifen, mit ihr die künstliche Finsternis zu verscheuchen und den Verbrecher in seiner Blöße darzustellen. Was aber den Vorwurf der dadurch begünstigten Nationalerbitterung betrifft, so ist er zu seicht und zu elend, als daß er einer ernsthaften Widerlegung bedürfte. Der Franzose, der die Sache einzelner Räuber zur Sache der Nation macht, muß selbst ein Räuber sein; und der Deutsche, der die Vergehen einzelner Nichtswürdigen der Nation aufbürdet, verdient keine Widerlegung. Nur Verzweiflung erregt Erbitterung, und diese würde eintreten, wenn das Volt außer jenen Erpressungen und gesetzwidrigen Handlungen, die der Krieg autorisiert, sich noch andern preisgegeben sähe, die sich nur durch die Habsucht und die Willkür des Erpressers und illegal Handelnden rechtfertigen ließen.

Soweit meine Überzeugungen und Grundsätze im allgemeinen; weiter ins Spezielle einzugehen, würde sich nicht mit den Umständen der Zeit und des Ortes vertragen. Unbedingte Freimütigkeit und Stillschweigen sind die Göttinnen, denen ich huldige, ich wähle die letzte, wenn man mir die erste entreißt. Aber nur physischer Zwang, gegen den ich nicht aufzukommen vermag, wird sie mir entreißen, und dann werde ich meine Überzeugungen in mich selbst verschließen, aber sie um kein Haar breit ändern, wenn mich nicht fortgesetztes Denken und Prüfen eines Besseren belehrt. Geschrieben im Messidor, J. VI.

J. Görres.

(1. Trimester, 1. und 2. Heft.)

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Rede, gehalten in der patriotischen Gesellschaft in Koblenz

Bürger!

Noch hat die Sonne, dem nassen Schoße des Meeres entstiegen, nicht sechsmal ihre Toilette gemacht, noch nicht sechsmal ihren gewöhnlichen halsbrechenden Spaziergang über das Gebälk des Himmels zurückgelegt und dann hinter den fernen Gebirgen Verstecken gespielt; oder, dichterisch zu reden, noch sind keine sechs Tage verflossen, da freuten wir uns noch gemeinschaftlich über den Fall des unüberwindlich geglaubten Mainz. Stolz sprachen wir: » Mainz ist unser! Mainz ist unser!« hallte es wider bei Gläserklang; » Mainz ist unser!« war die hundert- und hundertmal getrunkene Gesundheit unserer Gelage. Kein Wölkchen trübte die Zufriedenheit unserer Seele. Wir träumten zusammen den Traum der Reichsintegrität; lachten über die drollige Figur, die dieses gespenstermäßige Wesen darin spielte, lachten über seine zwei Köpfe und vierzehn Nasen, über sein vierhundert Morgen Feldes großes Gebetbüchlein; lachten über die deutsch-spanischen Grandezzas, die in ihrem Jargon wimmernd darin auftraten, machten uns lustig über den possierlichen Eifer der bellenden Fürstenbande, die in ihrem Ingrimm den vor kurzem noch so sklavisch angebeteten Götzen durchzuprügeln drohte, scherzten auf Kosten der armen hungernden und dürstenden Mönche und beaugenscheinigten mit einem angenehmen Entsetzen die schlotternden Waden und Bäuche der Bedrängten und sahen mit Achselzucken den lustigen Grimassen und anmutigen Kapriolen der Pfaffenhorden zu. – Das alles setzte unser Zwerchfell in eine heilsame Bewegung; wir waren lustig und froh und – glücklich: denn nie drückt der Kummer den Lacher im Augenblicke des Ausbruches dieser Empfindung. – Aber ach! Diese schönen Tage sind vorübergegangen; sie sind verloren, unwiederbringlich verloren. Die Sonne, die uns damals alle Gegenstände in einem goldenen, strahlenden Lichte darstellte, hat sich hinter schwarze unglücksschwangere Wolken versteckt, dicke ägyptische Finsternis ist an die Stelle des allbelebenden Stoffes getreten; still und düster alles um uns her. Sie sind vorübergegangen, diese Tage des Wohllebens und der Freude; Tage des Schmerzes und der Trauer sind an ihre Stelle getreten. Schreckliche Dinge sind über uns gekommen; die Zuchtrute des Herrn hat uns gestraft um unserer Frevel willen. Weh über uns! Daß wir diese schrecklichen Tage erlebten; unsere Väter werden noch jenseits das Schicksal segnen, das sie früher dahinraffte; unsern Kindern werden sich die Haare sträuben, wenn sie an die Unglückszeit zurückdenken. Ha! Und wären die Sterne vom Himmel gefallen wie Hagel und hätten unsere Hühner und Gänse erschlagen und uns selbst mit Beulen die Köpfe gepflastert: unser Schmerz wäre nicht so innig, nicht so gerecht, als er jetzt bei dem Trauerfalle sein muß, der uns zu Boden drückt. Erschiene auch der Würgengel noch einmal und erschlüge die Erstgeburt aller Schriftsteller, des Seufzens und Weinens, des Haarausraufens und des Händeringens wäre nicht so viel, als dessen jetzt bei dem schrecklichen Unfälle, der uns betroffen hat, sein wird. Drum seufzet, Bürger, und jammert! Verhüllt euch in Trauerflore! Weinet, bis euern Augen Tränenbäche entquellen und das ganze linke Rheinufer zu einem salzigen See machen! Laßt eure Weiber und Kinder schreien und heulen, daß Sibiriens fernste Gebirge es zurückhallen. Töne, Trauerglocke, töne! du tönst nicht umsonst Schwermut in die Seele; rolle dumpf und hohl, gedämpfte Trommel! Weinet, ihr Bäume! Weinet, ihr Felsen! Wer wird nicht weinen, wenn ganze Völker in Tränen zerfließen? Traure, Natur! Du hast deinen ersten Zögling verloren.

Vernehmet, Bürger, die Trauerpost, die ein unglückliches Schicksal euch anzukündigen mich zwingt! – Tränen ersticken meine Worte, indem ich dieser traurigen Pflicht nachlebe und euch die Botschaft mitteile. Doch ich ermanne mich: es sei! Macht euch gefaßt, Bürger! das Schlimmste zu vernehmen.

Am dreißigsten Dezember 1797, am Tage des Übergangs von Mainz, nachmittags um drei Uhr, starb zu Regensburg in dem blühenden Alter von neunhundertfünfundfünfzig Jahren fünf Monaten achtundzwanzig Tagen sanft und selig an einer gänzlichen Entkräftung und hinzugekommenem Schlagflusse bei völligem Bewußtsein und mit allen heiligen Sakramenten versehen, das Heilige Römische Reich schwerfälligen Angedenkens.

Ach Gott! Warum mußtest du dann deinen Zorn zuerst über dies gutmütige Geschöpf ausgießen; es graste ja so harmlos und so genügsam auf den Weiden seiner Vater, ließ sich so schafsmäßig zehnmal im Jahre die Wolle abscheren: war immer so sanft, so geduldig, wie jenes verachtete langohrige Lasttier des Menschen, das nur dann sich bäumt und ausschlägt, wenn mutwillige Buben ihm mit glühendem Zunder die Ohren versengen oder mit Terpentinöl den Hintern besalben. Warum traf dein Blitz nicht lieber eines jener benachbarten Raubtiere, die sich vom Blute derjenigen mästen, die das Unglück haben, schwächer als sie zu sein; die noch jüngst halb Europa auswürgten und mit Graus und Elend bedeckten. Doch, höchstes Wesen! Du bist unerforschlich; deine Wege sind in Dunkel gehüllt; wir stehen anbetend vor deinem Heiligtum.

Versuchen wir, um unsern Schmerzen lindernden Balsam aufzulegen, mit einigen wenigen Pinselzügen die Lebensgeschichte des Verewigten zu malen.

Der Verblichene ward geboren zu Verdun im Juni des Jahres 842 von Christi, unseres gnadenreichen Erlösers Geburt, unter der Regierung Ludwigs des Deutschen. Als er das Licht der Welt erblickte, geschahen mehrere auffallende Wunder, die jedermänniglich in Erstaunen setzten. Der ganze Himmel glühte von unzähligen feurigen Drachen und brennenden Kreuzen, ein blutrotes Licht bedeckte den ganzen nördlichen Horizont, im Zenit flammte ein unglückschwangerer Perückenkomet. Die Hebamme war's, die denselben am ersten erblickte. Eine heilige Begeisterung ergriff sie bei dieser Erscheinung, sie tobte und schäumte, bekam Konvulsionen und sprach endlich in überirdischer Ekstase die prophetischen Worte: »Ein Kindlein, unter diesem Gestirne geboren, ist kalter und feuchter Natur, liebet den Frieden, ist leidsam, wird derowegen von bösen Menschen verfolgt werden und das Zeitliche ruhig verlassen.« Der Junge war übrigens bei der Geburt so wohl bei Leibe, daß alle Umstehenden ihre einzige Freude daran hatten. Er wurde nun am Hofe Karls des Einfältigen, Ludwigs des Kindes und ihrer Nachfolger erzogen, in seiner zartesten Jugend statt der Muttermilch mit Heidenblut genährt und nahm zu und wuchs sichtbarlich wie ein Pilz. Sobald der junge Prinz die Kinderschuhe abgelegt hatte, wurden ihm die Päpste zu Hofmeistern gesetzt, und diese bemühten sich, ihn in der gehörigen Gottesfurcht und allen seinem hohen Stande zukommenden erlaubten Kenntnissen zu üben. Zu den ermüdenden Beschäftigungen des Kriegs und der Waffen zeigte der Eleve aber wenig Lust; ward er ja einmal zu einem weltlichen Strauße gezwungen, so kehrte er doch immer mit vermehrtem Ekel und Überdruß an so blutigen Spielereien wieder heim, und seine Hofmeister hielten nicht für gut, ihn darin auf andere Gedanken zu bringen. Die kopfbrechenden Arbeiten des Antiquars und des Mönchs waren dagegen seine Lieblingsbeschäftigung. Jahrhunderte hindurch saß er anhaltend in Archiven, umgeben von Akten und bestäubten Papieren, aus denen ihn nur allenfalls sein Feuereifer für die Religion und die alleinseligmachende Kirche bei Türkenkriegen und Römerzügen hervorrufen konnte. Aber dann focht er auch wie ein Verzweifelter; Ketzer- und Sarazenenblut floß in Strömen um ihn, tausend und tausend warf er hin, den Vögeln des Himmels und den Tieren des Feldes zur Speise. Stolz sahen die Pädagogen zu Rom auf ihren hoffnungsvollen Zögling, stolz sprachen sie: »Das ist unser Werk, laßt uns dasselbe vollenden und unsern Geist ihm einhauchen.« Sie sprachen's und kanonisierten ihn lebendigen Leibes, und es hieß nun das Heilige Römische Reich. Aber ach! Indem sie dem Armen die Glorie hingaben, vermochten sie nicht, ihn von den Gebrechen des menschlichen Lebens hinieden zu befreien. Jener Hang zum sitzenden Leben, verbunden mit seinem leidenschaftlichen Eifer für die Religion, schwächte immer mehr seine ohnehin wankende Gesundheit, sein Kopf ward zusehends schwächer, seine Geisteskräfte nahmen von Tag zu Tag immer mehr ab, der Bewohner des Himmels ward fremd auf unserer Erde, bis er endlich in einem Alter von etwa dritthalbhundert Jahren, zur Zeit der Kreuzzüge, wahnsinnig wurde. Nur starke Aderlässe und eine strenge Diät bewirkten seine Herstellung, eine Kur, die aber nur palliativ und nicht radikal war. Daher trat eine starke Hektik an die Stelle des vertriebenen Wahnsinns und benagte mit scharfem Zahne die Wurzel seines Lebens. Jahrhunderte hindurch schmachtete der Kranke nun sein Leben dahin, abgezehrt zum Schatten, schlich er wie ein Gespenst unter seinen Brüdern umher, aus seinen hohlen Augen grinste der Tod mit allen seinen Schrecknissen hervor. Die Krankheit stieg in einer so fürchterlichen Progression, daß der Patient in einem Alter von etwa achthalbhundert Jahren, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, heftige Blutstürze bekam, die halb Europa überschwemmten und beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch dauerten, und von denen er sich kaum wieder erholt hatte, als endlich die leidigen Franzosen hinzukamen und ein Schlagfluß, der ihn, als er sich wieder einmal in seine Akten vergraben hatte, überraschte, seinen Leiden ein schnelles Ende machte. Sanft und heiter waren die letzten Stunden des Seligen, eine bessere Zukunft lachte ihm entgegen und erleichterte ihm den Todeskampf; er sah ohne Grausen in die fürchterliche Kluft, die ihn zu verschlingen sich geöffnet hatte, denn sein Gewissen drückte keine Blutschuld.

Betet für die arme Seele, ihr Christen! Damit Gott ihr ihre Sünden vergebe und sie aus dem Fegefeuer befreie, wenn sie ja dort noch geringere Vergehen abbüßen muß. –

Gewiß, Bürger! teilt ihr mit mir und allen Angehörigen des Verstorbenen den gerechten Schmerz, der uns alle zu Boden drückt. Ach! Er war ein so guter, liebevoller Vater, er ertrug mit einer so nachahmungswürdigen Hingebung, mit einer so echt christlichen Demut alle die Verfolgungen, die er sich gefallen lassen mußte, weil seine Krankheit ihn etwas unbehilflich machte. Er verzieh mit so rührendem Langmut allen denen, die ihn neckten und reizten, die ihm die empfindlichsten Wunden versetzten, die es darauf angelegt hatten, seinen Tod zu bewirken, um sich in seine reiche Erbschaft zu teilen; er vergab allen diesen Todfeinden so gern und so willig; er hielt mit einem so lobenswerten Eifer auf die alten Gebräuche und Herkommen, bewahrte seine Tugend so rein von den Flecken der Afteraufklärung und des Verderbs; und ach! Diesen Vater haben wir verloren; auf immer verloren, er ist in bessere Welten hinübergegangen und hat uns als trostlose Waisen zurückgelassen.

Vernehmt, Bürger! seinen letzten Willen, vernehmt das Testament, in dem er seinem Edelmute und seiner Vertragsamkeit ein unvergängliches Denkmal errichtet, horcht auf die letzten Worte eueres hingeschiedenen Wohltäters.

Sit nomen Domini benedictum!

Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, Vaters, Sohns und Heiligen Geistes, im Namen der Heiligen Mutter Maria und Anna, der heiligen Ursula mit ihren elftausend Jungfrauen, im Namen aller Heiligen des Monats Oktober.

Und der Herr sprach zu Sirach: geh und bestelle dein Haus, damit dein Ziel dich nicht unverhofft überrasche.

Da die zunehmenden Schwächlichkeiten des Alters, verbunden mit den beunruhigenden Symptomen einer immer weiter um sich fressenden Krankheit, unsre Gesundheit beständig mehr untergraben, uns dem Ziele, das einst alle Menschen erreichen werden, immer näher bringen und unsern immer dünner werdenden Lebensfaden plötzlich zu zerreißen drohen: wir uns aber auf einen solchen Fall gefaßt machen und vorbereiten wollen, damit unter unsern etwaigen Leibeserben bei unserm gottbeliebigen Ableben kein Streit und Zank über unsre Verlassenheit entstehe, sondern alles in Frieden und Ruhe und christlicher Vertragsamkeit abgetan werde: so bestimmen wir hiemit, bei völliger Vernunft, unsere letzte Willensmeinung und wollen, daß alles, was darin enthalten ist, ebenso pünktlich und buchstäblich vollzogen werde, als wenn wir selbst bei der Ausführung zugegen wären.

Wir setzen daher fürs erste fest und ernennen die Fränkische Republik als einzige rechtmäßige Erbin des ganzen linken Rheinufers und bitten diese verehrliche Republik, dies kleine, aber gutwillig gegebene Geschenk als ein Zeichen unserer Hochachtung und Liebe anzunehmen.

Ebenso übertragen wir zweitens Salzburg, Passau und einen Teil von Bayern Seiner Majestät dem König von Ungarn und Böhmen; Hannover und die Hansestädte Seiner Majestät dem König von Preußen, und das übrige unsers Gebietes soll zu einem Mignaturgemälde unsrer ganzen Person und Physiognomie, in den Tempel der Unsterblichkeit, verwandt werden, nachdem vorher die zehn Reichskreise durch geschickte Hände eine moderne Fasson erhalten haben.

Wir verordnen ferner drittens, daß zur Entschädigung der durch diese Anordnung ihres Eigentums beraubten Reichsfürsten, die Reichsinsignien unter dieselben, und zwar so verteilt werden sollen: daß der Kurfürst von Trier das Schwert Karls des Großen, der Kurfürst von Köln das des heiligen Mauritius erhält. Die Magistrate von Nürnberg und Frankfurt sollen sich in die Krone, die von Worms und Köln in den Zepter teilen. Der Herzog von Zweibrücken soll die Stola, der Bischof von Passau die Dalmatika, der von Salzburg die Alba, der Kurfürst von Hannover die Strümpfe, der von Mainz die Hausschuhe, der Kurfürst von Bayern den Gürtel, die russische Armee aber die Sandalen erhalten. Der Reichsapfel endlich, als Zeichen der Weltherrschaft, soll dem britischen Minister Pitt vorbehalten sein.

Die Reichsoperationskasse und die Goldne Bulle, viertens, sollen Seiner Päpstlichen Heiligkeit zufallen; die erste, um ihre zertrümmerten Finanzen damit wiederherzustellen, die zweite – die Goldne Bulle nämlich –, damit selbe ihre eigenen Bullen damit vergolden und demselben durch den äußerlichen Schimmer, der in unsern verderbten Zeiten notwendig ist, den verlorenen Kredit wieder verschaffen können.

Fünftens, die große, mittlere und kleine Reichstitulatur soll einer öffentlichen Versteigerung ausgesetzt und aus dem Erlös ein jährliches Seelenamt gestiftet werden, das jedesmal an dem Jahrestage unseres Hintritts mit aller möglichen Feierlichkeit gehalten werden soll.

Sechstens, die Kaiserlichen Majestätsrechte sollen unter die Reichsbauern verteilt und partagiert werden.

Siebentens vermachen wir die jährlichen Einkünfte des Kaisers ad circa dreizehntausend Florin dem Armenhause zu Regensburg.

Achtens, die Reichsritterschaft soll beritten gemacht, in ein Regiment geformt und dann in Russischen Sold übergeben werden. Die Rheinische, Schwäbische, Prälaten und alle übrigen Reichsbänke sollen der Universität Heidelberg überliefert werden.

Neuntens. Der Reichstag mit allen Prinzipal- und Konkommissionen soll nach vorher gemachtem Inventarium über die vorgefundenen Kurfürsten, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Pröpste, Herzöge, Pfalzgrafen, Markgrafen, Landgrafen, Reichsstädte und Ganerben geschlossen und versiegelt werden.

Zehntens, das Reichskammergericht mit seinen Kanzleiverwandten, Generalreichsfiskalen, Fiskaladvokaten, Protonotarien, Fiskalnotarien, Pfennigsmeistern, Taxeinnehmern, Kompletoren, Botenmeistern, Ingrossisten, Kopisten, Pedellen, Holzhackern, Substituten, Supernumerarien etc., soll in den Mond versetzt und seine Sitzungen künftig nur in den Hörnern desselben gehalten werden. Eben die Bewandtnis soll es mit dem Reichshofrate haben.

Elftens, die Reichsdeputation in Rastatt soll ihre Sitzungen permanent erklären und sich dann mit Abschluß eines ewigen Friedens beschäftigen; jeder Artikel desselben darf aber in nicht weniger als fünfzigtausend Sitzungen abgetan werden.

Zwölftens, die Reichsarmee soll dem Landgrafen von Hessen-Kassel übergeben werden, damit er sie bei erster bester Gelegenheit dem Meistbietenden zuschlagen und nach England, Amerika oder Ostindien verhandeln und an den Mann bringen möge.

Dreizehntens. Die Römermonate und Kammerzieler sollen künftig nur am Krönungstage, der jedesmal auf den Nimmertag fallen wird, gehoben werden.

Vierzehntens. Das Reichswappen soll auf unserm Grabe aufgehangen und der darauf befindliche doppelte Adler zu Tode gefüttert werden.

Fünfzehntens. Das Reichsarchiv soll ausgestäubt, gesäubert, geordnet und dann den Chemikern ausgeliefert werden, um englisches Riechsalz für unsere allenfalls ohnmächtig werdenden Erben daraus abzuziehen.

Sechzehntens. Alle Nonnen unseres Gebiets vermachen wir unsern Mönchen und hoffen, daß beide Teile sich wohl dabei befinden werden.

Siebenzehntens. Alle sich vorfindenden Perücken, Mäntel und übriger Apparat sollen dem Naturalien-Museum zu London übermacht werden, um dort in die große für alle Nationen und Zeiten angelegte Perückensammlung aufgehangen zu werden.

Achtzehntens. Der Status quo soll an den Bischof von Lüttich, die kaiserliche Plenipotenz aber an den Großmogul fallen.

Endlich ist es unser ernstlicher Wille, daß unser Körper nach unserm gottbeliebigen Ableben einer Dismembration oder Zergliederung unterworfen, unser Gehirn, wenn sich welches vorfindet, dem Wiener Ministerium, unser Herz aber dem Minister Pitt, eben wie oben der Reichsapfel, überantwortet werden soll.

Doch aber soll das alles noch immer dem Reichsherkommen gemäß geschehen und ausgeführt werden.

Zum Exekutor gegenwärtigen Testamentes ernennen wir Seine Exzellenz den Herrn General Bonaparte und bitten ihn höflichst, diese Bemühung gütigst und gefälligst auf- und anzunehmen.

Sollten sich wider Vermuten unter unsern Kindern und respektiven Enkeln welche finden, die sich dieser unserer letzten Willensverordnung widersetzen und etwa gar einen Rechtsstreit darüber anfangen wollten, dann sagen wir ihnen Mit Mose: Exod. lid. I. Cap. XX.

»Wo ihr meine Satzungen verwerfet und mein Recht verachtet, daß ihr das nicht tut, was von mir geordnet ist, sondern meinen Bund vernichtigt, so will ich euch dies tun: ich will euch urplötzlich mit Armut heimsuchen, und mit Hitz, die euere Augen verderben soll, und euere Seelen verzehren, vergeblich sollt ihr Samen säen, er soll von euern Feinden gefressen werden.

Ich will mein Angesicht wider euch setzen, und ihr sollt zu Boden fallen vor euern Feinden und denen unterworfen werden, die euch hassen. Ihr sollt fliehen, wenn euch niemand verfolget.

Ich will euch den Himmel von oben wie Eisen machen und die Erden wie Erz.

Und ich will das Schwert über euch führen, zur Rache meines Bundes, und wenn ihr in die Städte fliehet, so will ich die Pestilenz mitten unter euch schicken, und ihr sollt in die Hände der Feinde übergeben werden.

Und ihr sollt essen, und nicht satt werden. Ihr sollt unter den Heiden umkommen, und das Land euerer Feinde soll euch fressen. Und ich will die Tiere des Feldes unter euch schicken, die sollen euch und euer Vieh verderben, und alles weniger machen, und sollen euere Straßen wüst werden. Das alles soll euch zustoßen, wo ihr Das tut. Amen.«

Dessen zur Urkund haben wir dieser Instrumente mehrere in gleicher Form ausfertigen und mit unserm anhängenden großen Insiegel bekräftigen, auch jedem der Teilnehmenden eines überantworten lassen.

Gegeben in unserer und des heiligen Reichs Stadt Regensburg, acht Tage nach Abschluß des Definitivfriedens, den 25. Oktobris nach Christi unseres lieben Herrn und Seligmachers Geburt, im tausendsiebenhundertsiebenundneunzigsten, unseres Alters im neunhundertfünfundfünfzigsten Jahre.

*

Das Heilige Römische Reich.

Erkennt, Bürger! in dieser rührenden Willenserklärung des Verewigten seine väterliche Zärtlichkeit für seine Kinder; lernt den Verlust einsehen, den ihr an ihm erlitten habt. Weine, Germania! Weine! Dein Schutzgeist ist von dir gewichen; die Vorsicht hat ihn in höhere Sphären entrückt, und er wird nun in den Archiven des Himmels volle Befriedigung für seinen antiquarischen Geist finden. Wer wird dich nun vor dem Einbruche des Stromes jener alles zertrümmernden Revolutionswut sichern? Wer den Schild vor dich halten, daß die Megäre Aufklärung dich nicht verschlingt? Ach! keine zehn Jahre werden vergehen, und du wirst Galliens Schicksal erleben; wilde Revolutionärs und Freiheitsschwindler werden in deiner Mitte aufstehen und nicht eher ruhen, bis sie auch dir die blutige Freiheitskappe aufgesetzt haben.

Dann, o des Greuels! Wird man allen Adligen die Sterne und Ordensbänder abreißen, die Wappenschilder zerbrechen; alle Güter der Kirche werden profanen Händen anheimfallen, alle Mönche werden entkuttet, alle Nonnen entschleiert werden; Räte und Direktoren werden an die Stelle deiner gesalbten Häupter deiner mildtätigen, gerechten, menschenfreundlichen Fürsten treten. Der Bauer und der Bürger, die die Natur doch eigentlich zum Lasttier bestimmte, werden stolz das Haupt emporheben und nach ihren Menschenrechten fragen; sie werden sich aufbäumen und sprechen: »Wir sind freie Männer, verantwortet euch Despoten! warum usurpiert ihr bisher unsere Befugnisse?« Die Guillotine wird dann schrecklich die Stammbäume dahinmähen und die angesehensten Männer würgen. Herzoge und Grafen werden an ihrem Mordeisen bluten, die Freiheit wird deine schönen Gefilde mit ihrem giftigen Hauche verpesten und Jammer und Elend bei dir herrschen. So traurig sind die Folgen des Hintritts dieser hohen Leiche.

Doch verbeißen wir unsern Schmerz, Mitbürger! Vergraben wir ihn in das Innerste unserer Seele, um imstande zu sein, das Leichenbegängnis des Erblichenen um so würdiger zu feiern. Mit aller, der Größe unserer Nation und der Größe unseres Verlustes angemessenen, Pracht soll dies Trauerfest begangen werden. Er soll sich schämen, der Deutsche, der nicht durch seine Gegenwart und sein vermögen sein Scherflein zur Verherrlichung dieses Nationalfestes beiträgt. Acht Kurfürsten werden die Leiche im vollen Ornate zu Grabe tragen; alle übrigen Kinder, Enkel und Urenkel, lauter gekrönte Häupter, weinend und in schwarzen Dominos ihr folgen, fünfzigtausend Flöten werden dabei seufzen, achzigtausend Waldhörner stöhnen, neunzigtausend Fagotte wimmern. Hunderttausend Feuerschlünde werden der Unterwelt den Verlust der obern zubrüllen. Die Natur wird nicht säumen, das Himmelsgewölbe schwarz zu behangen, eine Sonnenfinsternis zu veranstalten und Berge zu spalten. Der Kaiser selbst wird die Leichenrede halten und der Heilige Vater die Seelenmesse lesen. Deutschlands Töchter, in das Gewand der Unschuld gekleidet, werden die Leiche mit Eichenlaube bekränzen und eine Zypresse auf das Grab pflanzen. Vergißmeinnicht werden dem Boden entsprießen und ein stolzer Marmor folgende in echt lapidarischem Stile und mit dichterischem Feuer verfaßte Grabschrift der Nachwelt überliefern.

Von der Sense des Todes gemäht, atemlos und bleich,
Liegt hier das Heilige Römische Reich.
Wandrer schleiche dich leise vorbei, du möchtest es wecken
Und der Erstandne uns dann, von neuem mit Konklusen bedecken.
Ach! wären die Franzosen nicht gewesen,
Es würde nicht unter diesem Steine verwesen.

Requiescat in Pace

(1. Trimester, 3. Heft.)

*

[Spruch]

Ist noch auf Gottes großer Erde
Ein Volk, das an dem Alten klebt,
Das heute noch der Schöpfergeist umschwebt:
So ist's das deutsche. Hier blieb es beim ersten – Werde.

(Aus d. Gedicht »Das Reichsherkommen«, 1. Trim., 7. b. 9. H.)


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