August Neidhardt von Gneisenau
1813 - Briefe
August Neidhardt von Gneisenau

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61. An Clausewitz

Frankfurt a. M., den 16. November 1813.

Erst gestern habe ich Ihre beiden Briefe, Melkhof, den 22. Oktober und Dömitz, den 1. November, erhalten. Sie tun darin keines meiner an Sie gerichteten Briefe Erwähnung, und doch, habe ich an Sie öfter, und namentlich nach unserm Elbübergang aus Wartenburg, sogleich nach der Eroberung von Leipzig, und einige Tage später abermals über die Vorfälle bei Leipzig geschrieben. Diese Briefe habe ich sämtlich an den Geh. Staatsrat Sack in Berlin gehen lassen, damit er selbige sofort an Sie durch Estafette gelangen ließe, weil mir der Kriegsoperationen wegen daran gelegen war, daß Sie sofort von unsern Fortschritten unterrichtet würden. Lassen Sie mir daher wissen, ob Sie diese Briefe erhalten haben, damit ich alsbald Nachfrage darüber halten kann.

Ihr Memoire habe ich dem Fürsten Wolkonski übergeben. Ich verspreche Ihnen aber keinen Erfolg von meinen Bemühungen, Ihr Korps mit zu unsern Operationen heranzuziehen. Es sind hierbei große Schwierigkeiten, denn man hält sich hier nicht einmal für ermächtigt, das eine russische Korps des General Wintzingerode heranzuziehen, so nötig man es auch hat, und man ist darüber erst mit dem Kronprinzen in Unterhandlungen getreten.

Über Ihre Ideen, die Fortsetzung des Krieges bis über den Rhein hinüber nicht zu vernachlässigen, nicht erst hier stehenbleiben und Verstärkungen erwarten zu wollen, bin ich mit Ihnen vollkommen einverstanden. Auch war die schlesische Armee in diesem Sinne dirigiert, und sie hatte sich schon den Rhein hinunter bewegt, um dort den 15. November über diesen Strom zu gehen, während die große Armee dies in hiesiger Gegend; unserer Meinung nach, tun sollte. Unsere Armee war schon am Niederrhein angelangt, als man hier andere Feldzugspläne faßte, in deren Folge die schlesische Armee wieder den Rhein herauf ziehen mußte. Sie ist nun vor Kassel angelangt.

Der große lange Mann, der die Leute, die er nicht mag, rückwärts über die Schulter ansieht, findet es sehr töricht, daß man über den Rhein gehen will. »Das sei ja vorher gar nicht die Absicht gewesen, warum man denn jetzt erst auf diesen aberwitzigen Gedanken komme? Der Rhein sei ja ein Abschnitt; da müsse man stehenbleiben und sich erst wieder etwas herstellen, um dem Feind den Übergang zu verwehren. Was uns dann die am andern Rheinufer angingen? Wir würden doch wohl nicht die lächerliche Idee haben wollen, nach Paris zu gehen?« und solches Zeug mehr. Meine Frau hat ihm zwei Stunden lang widersprochen und ihn sehr gut widerlegt. Am Ende hat keiner den andern überzeugt und wir schieden sämtlich auseinander, ohne zu wissen, was geschehen würde. Eigentlich hindert der lange Mann doch nichts, wenn etwas von den andern beschlossen wird, aber bekritteln und bespötteln will er alles.

Mein Feldzugsplan ging darauf hinaus, daß eine große Armee am Mittelrhein operieren, die schlesische Armee über den Niederrhein gehen und ihre Richtung gegen Maestricht und Antwerpen nehmen, die disponiblen Truppen der Nordarmee der Yssel sich bemächtigen und eine Armee aus der Schweiz durch die Franche-Comté dringen solle. Als ich hierher kam, fand ich die österreichischen Generale meinem Entwurfe sehr geneigt, nur wollten sie die Schweizer Armee größer als die am Mittelrhein machen, was bei meinem Plan der umgekehrte Fall war. So ward der Plan dem Kaiser Alexander vorgelegt und angenommen. Des andern Tages kam Herr von Knesebeck und sagte, er habe sich eines Besseren besonnen. Von der Schweiz aus müsse die größte Hauptmacht vordringen (205 000 M.); die schlesische Armee müsse dicht an ihr bleiben, und ihr die Flanke und Rücken, als Observationsarmee am Oberrhein, decken; die Eroberung von Holland müsse man dem Kronprinzen von Schweden übertragen, und wenn er auch nicht kommen wolle, so müsse man auf die Eroberung von Holland kein Gewicht legen, denn dieses Land müsse in Paris erobert werden; dahin müsse man seinen Marsch richten; die Armee aus Italien müsse ebenfalls nach dem südlichen Frankreich kommen und dort müsse man sich mit L[ord] Wellington die Hand bieten. Vergebens mache ich auf die Schwierigkeiten und die Länge des Weges (über Genf und Lyon) aufmerksam, auf die moralische Kraft, die man dadurch der fr[anzösischen] Regierung gibt; auf die Freiheit, die dem Feinde dann bleibt, seine festen Plätze im alten Frankreich, in Brabant und Holland nicht zu besetzen, und Armeen aus diesen Besatzungen zu bilden; auf den Reichtum an Hilfsmitteln der belgischen und batavischen Länder, der dem Feinde dann zu Gebote steht; auf den sehr hochwichtigen Umstand, daß dieser Feldzug in sechs Wochen erst am Genfer See seinen Anfang nehmen kann usw. Alles ist umsonst! Der Kaiser und die österreichischen Generale fallen Knesebecks Meinung bei und mein Plan ward verworfen. Dieser ging von dem Grundsatz aus, daß der Feind nimmermehr imstande sei, alle seine Festungen auszustatten, daß man selbige also nicht fürchten, sondern sie vielmehr aufsuchen müsse, um eine große Anzahl derselben an gewissen günstigen Punkten zu bedrohen und dadurch den Feind in die Alternative zu bringen, entweder einen großen Teil der Festungen ohne Besatzungen zu lassen oder die neu zu bildenden Armeen alsbald zu zersplittern. Zu diesem Ende sollte die schlesische Armee in die Gegend von Maestricht, um dort einen großen Teil der feindlichen Festungen zu bedrohen und zu gleicher Zeit die von Holland abzuschneiden. Der Punkt von Koblenz sollte festgehalten werden, um die innere Kommunikation abzuschneiden. Die Rheinarmee sollte so weit vordringen, daß sie Mainz, Straßburg, Landau, Luxemburg, Metz, Thionville zugleich bedrohte; der Angriff von der Schweiz aus sollte nur ein zweiter Moment sein, den man von den neu zu bildenden Massen verstärken konnte. Dieser mein Plan indes, als der weniger glänzende, mußte dem Schimmer des von Knesebeckschen nachstehen, obgleich es gleichfalls in meiner Berechnung lag, bei günstigen Umständen bis nach Paris zu dringen.

Mit dem Kronprinzen von Schweden haben wir die sonderbarsten Verhandlungen gehabt. Als der französische Kaiser nach Düben sich wandte und gegen die Elbe detachierte, wollte jener durchaus über die Elbe wieder zurück und uns sich nachziehen. Wir lehnten ab, und als er uns endlich einen Befehl dazu schickte, verweigerten wir zu gehorchen. Jetzt sagt er, er habe uns abgehalten, über die Elbe zurückzugehen!


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