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Achtzehntes Kapitel. Wintertage.

Der Winter kam, und die vier Blumenschwestern saßen an manchem unfreundlichen, schneestiebenden, sturmheulenden, regenklatschenden Montag behaglich beisammen. Je näher Weihnachten heranrückte, desto fieberhaftere Tätigkeit entwickelten sie. Jede wollte etwas besonders Hübsches zu stande bringen, um am heiligen Abend voll Stolz sagen zu können: »Das ist eine Kränzchenschöpfung!«

Sie hatten immer »gräßlich notwendig« gehabt zur Weihnachtszeit, aber so vergnügt geschäftig waren sie noch nie gewesen; auch zu Hause gaben sie sich fleißiger als sonst, damit niemand des Montags sagen dürfe: »Ja, nun gehen sie hin und wir können sehen, wie wir allein fertig werden.«

Es sagte auch niemand etwas, nicht einmal Kläre, die noch immer die Schneiderstunde besuchte und froh war, daß Mike ihr die Kocherei abnahm. Mike war wirklich zu fleißig, als daß jemand hätte brummen können, und wenn sie auch noch regelmäßig verschiedene Dinge, die auf den Tisch gehörten, unter ihm aufbewahrte, so war sie doch der vielgeplagten Mutter eine kleine willige Stütze und Fredi, der Haustyrann, war am besten gelaunt, wenn er »sein Miks« hatte.

Während Schnepperchen so, ohne es zu wissen, sich nach und nach zu einem brauchbaren Menschenkind heranbildete, saß Melanie Schönbach allein zu Hause, eingesponnen in üble Laune, dachte nur an sich, hegte unerfüllbare Wünsche und beschwerte ihre Mutter mit banger Sorge über das eigenwillige Töchterchen.

Eines sonnigen Nachmittags sah die Mutter schon geraume Zeit betrübt nach der Tochter, die an dem hübschen, eingelegten Nähtisch, neben dem blühenden Rosenstock, dem trillernden, goldgelben Hans, ihrem zahmen Prachtexemplar eines Kanarienvogels, saß und verdrossen an dem feinen, blauen Wollfaden ihrer Weihnachtsarbeit zupfte, in die man eigentlich lauter liebe Gedanken und gute Wünsche einnähen soll. Als der Faden zum zweitenmal riß, sagte die Mutter: »Du bist übellaunig, Melanie, die Arbeit muß es entgelten, und du wirst mehr dabei verderben, als vorwärtsbringen. Nimm deine Schlittschuhe, und laß dich eine Stunde lang von der frischen Luft anblasen, vielleicht treibt sie dir die schlechte Laune aus.«

Die hübsche Melanie zog das Näschen hoch und schob die Lippen so weit vor, daß sie geradezu häßlich aussah.

»Ich mag nicht allein Schlittschuh laufen, denn dann muß ich auf die dumme Kinderwiese gehen, während am Bad Konzert ist.«

»Wenn du eine Freundin hättest, würde es dir nicht an Gesellschaft fehlen. Gehe wenigstens spazieren, du kannst mir in der Untermühle Mehl zum Stollenbacken bestellen, das ist ein hübscher Weg.«

»Ich mag nicht allein gehen, das ist zu langweilig. Ich habe keinen Menschen, der sich um mich kümmert, Max natürlich erst recht nicht.«

»Max hat zu arbeiten.«

»Wenn nur Rose Flinsch erst wieder da wäre, aber sie bleibt natürlich noch ein Jahr länger in dem dummen Berlin, nur damit ich keinen Menschen habe.« Der Faden zerriß zum drittenmal.

»Wer ist schuld an dem allen, Melanie? – Nur du allein; und denke ja nicht, daß Rose Flinsch um deinetwillen die guten alten Freundinnen völlig im Stiche lassen wird. Das wäre ebenso unrecht wie töricht. Ich habe mich gefreut, daß sie auf deinen heftigen, ersten Brief nicht gleich gehorsam das ganze Kränzchen über Bord geworfen hat; sie wird ihre hübschen Montage nicht drangeben wollen – ich an deiner Stelle ginge zu Emmy Olfers –«

»O Mama!« rief Mela, warf Nadel und Stoff auf den Nähkorb und sprang auf.

»Gewiß, ich würde zu Emmy gehen; daß sie nicht nachträglich sind, haben dir die Mädchen in Buchberg bewiesen. Sage Emmy, es tue dir leid, damals so heftig gewesen zu sein, du entbehrtest die alten Freundinnen und möchtest wieder mit ihnen verkehren. Dann bist du mit einer kleinen Ueberwindung die verdrießliche Einsamkeit los und hast zugleich eine Unfreundlichkeit gut gemacht.«

Melanie standen die Tränen in den Augen. »Das sagst du, wo ich noch dazu recht gehabt habe, wo sie so abscheulich gegen mich waren? Das ist gerade so gut, als solle ich von einer zur andern Abbitte tun, Mama, gerade so gut; aber das tue ich nicht, ich vergebe mir nichts, denn sonst werden sie jedesmal recht haben wollen und ich laufe nur mit als fünftes Rad am Wagen. Emmy und Mike sind schon immer wie Hand und Handschuh gewesen, das ist natürlich nach dieser Reise noch schlimmer geworden, und Lili schwärmt Anna so an, daß ein andrer Mensch daneben nicht mehr aufkommt, und abbitten tue ich nicht, denn sie waren sehr häßlich, sie sind überhaupt rechthaberisch.«

»Und das ist mein verwöhntes Töchterchen natürlich nie,« sagte die Mutter seufzend; »du weißt, was ich tun würde an deiner Stelle; nun klage nicht, wenn du, deinem eigenen Kopfe folgend, dich unglücklich fühlst. Und bedenke das eine, daß wer keine Freundin hat, gewiß selber schuld daran ist und gar keine verdient.«

Die Mutter ging aus dem Zimmer und Melanie schluchzte ganz jämmerlich auf. Je mehr sie weinte, desto lustiger sang der goldene Hans, aber sie hörte nicht auf ihn, und auch Fido, der schmeichelnd seine buschige Schnauze an ihr rieb, wurde nicht beachtet. Sie hörte auch nicht, daß Papa eintrat, mit der altmodischen, behaglichen Pfeife, der zärtliche Papa, dem es sehr schmerzlich war, das verwöhnte Töchterchen weinend zu finden.

»Nun, nun, nun! Mela? Was ist denn los? Willst du Schnee und Eis mit dem Gejammer auftauen? Ei, Mädel, sei vernünftig! Kopf in die Höhe.«

Mela schluchzte noch einmal herzbrechend auf, dann trocknete sie ihre Tränen, schmiegte sich an den tröstenden Papa und sagte: »Ach, ich bin so allein und das ist so langweilig. Wenn ich nur eine Schwester hätte! Nun soll ich für Mama Mehl in der Untermühle bestellen und den langen Weg stumm bleiben wie ein Fisch.«

Herr Schönbach lachte herzlich. »Und deshalb weint mein dummer Käfer? Warum kommt man denn nicht zu seinem Papa und sagt: Papa, rüste dich zur Reise in die Untermühle; Raubzug gegen die Mehlsäcke! Wie? Oder bin ich ein unverbesserlicher Stubenhocker? He? Ein Spaßverderber? – Also, flink, Fräulein! Wir wollen sehen, wer zuerst marschfertig ist. Der Gewinner unsrer anspornenden Wette darf sich vom andern etwas ausbitten und dieser muß sich auf Gnade und Ungnade ergeben – Mutters oberherrschaftliches Schiedsgericht vorbehalten.«

Melanie war sofort guter Laune. Sie flog nach ihrem Zimmer, riß Hut und Mantel aus dem Schrank, warf das Nähkörbchen über den Haufen, ließ alles liegen und stehen wie es stand und langte volle zwei Minuten vor dem Papa, der auch tüchtig geeilt hatte, aber sich doch Zeit genommen, Pfeife und Hausrock ordentlich an den Gewohnheitsnagel zu hängen, im Wohnzimmer an.

»Ich habe meinen Wunsch, ich habe ihn!« jubelte Melanie, ließ sich vergnügt den Mehlauftrag geben, hängte sich an Papas Arm und brachte vier Wünsche anstatt des einen vor.

Erstens wollte sie gern einen Photographiekasten von Olivenholz mit feinem Nickelbeschlag, zweitens ein Paar seidene, pelzgefütterte Handschuhe, so wie sie die Baronin Wolfen trug, die drüben im Schlößchen wohnte, drittens ein Elfenbeinnähetui, so wie es Frau Sanitätsrat Nährung im Sommer von der geheilten Millionärin bekommen hatte und viertens ein zuckersüßes, dunkelrotes Tuchkleid.

Papa Schönbach lachte Tränen über sein »erfinderisches Töchterchen« und deutete auf Weihnachten hin.

Melanie war zufrieden, hing plaudernd an seinem Arm und machte einen wunderhübschen Spaziergang.

Leider war die gute Laune, deren Erwerb ihr von den gütigen Eltern so leicht gemacht wurde, wie gewonnen so zerronnen und ohne irgend eine andre als eigene Schuld.

Sie trafen allerdings auf dem Heimweg die vier Kränzlerinnen, aber diese grüßten recht freundlich und es wäre dabei wirklich kein Grund zum Aergern gewesen.

Dennoch fühlte Melanie einen häßlichen Stich im Herzen, als sie die vier so heiter beisammen sah. – Wer dabei sein könnte! Gewiß liefen sie zu einer Lustbarkeit, während sie nach Hause mußte und wieder an den dummen, blauen Fäden ziehen, die jetzt in ihrem Zimmerchen auf dem Boden lagen.

Die vier Mädchen waren allerdings sehr vergnügt, wenn die Lustbarkeit, der sie nachliefen, auch recht sonderbarer Art schien.

Inspektor Rohden hatte heute an Doktor Olfers geschrieben, und infolge dieses Briefes suchten die Freundinnen eine Wohnung für die Malerin. Sie erhoben diese Tat zu einer wichtigen Kränzchenaufgabe; Anna besang das Suchen später in einem langen Gedicht mehr ausführlich als schön, denn noch fehlte ihr die Begeisterung für Hilde, aber es kam zu den Akten.

Jedenfalls waren sie sehr eifrig, jede brachte von zu Hause gründliche Anweisungen mit, auf was man beim Mieten einer Wohnung besonders zu achten habe. Mike guckte infolgedessen mit sachverständiger Miene in jeden Ofen und fühlte nach den Sprungfedern des Bettes, Lili prüfte die Himmelsgegend, stolz darauf, zu wissen, daß man zum Malen Nordlicht brauche; Anna probierte Sofasitz und Schreibtischstuhl, Emmy achtete auf die Aussicht, atmete Probe, ob sich die Buchberger Luft nicht zu schwer vermissen lasse und suchte nach einem guten Platz für die Staffelei.

Natürlich fanden sie bei solchem Eifer in jeder Wohnung etwas auszusetzen und es dunkelte schon bedenklich, als sie sich endlich für ein Wohn- und Schlafzimmer entschieden.

Aufgeregt eilten sie zu Olfers und waren eigentlich etwas gekränkt, als Fräulein Mathilde erklärte, sie würde diese gerühmte Wohnung am andern Morgen nun auch noch ihrerseits besichtigen und, wenn sie gleich bezaubernd auch auf ältere Leute wirke, sie sofort mieten.

Leicht jedoch waren die vier versöhnt, als »das Ideal« auch Fräulein Meiners kritisches Gemüt befriedigte.

Anna schrieb stolz zu den Akten: »Am vierten Dezember bewährte sich das Montagskränzchen als Wohnungsbeurteiler in hohem Maße. Die geprüfteste Haushaltsminerva erteilte ein summa cum laude

 


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