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Achtes Kapitel. Das Montagskränzchen verachtet.

Melanies Brief traf die Freundinnen noch in der Hopfenlaube, gerade als sie Mikes Mutter das große Ereignis aufgeregt erzählten.

Mike als Wirtin solle zu ihr gehen und versuchen, ob sich Frieden machen lasse, hatte die Mutter eben geraten, als der kurze, unfreundliche Brief eintraf.

»Fräulein Anna Krause!

»Ich habe nicht etwa nur so gesagt, es ist mein voller Ernst. Ich will nichts mehr mit Euch zu tun haben und erkläre hierdurch feierlich meinen Austritt aus dem Montagskränzchen. Gebt Euch weiter keine Mühe!

Melanie Schönbach.«

Frau Hennings gab Anna den Brief zurück und sagte zu ihrer Tochter: »Du brauchst den Weg nun nicht zu machen, Mike; jetzt muß sich Melanie besinnen und von selber kommen, oder, und das ist wohl besser, sie bleibt ganz fort.«

Sie waren alle sehr zornig auf Melanie, und nur der Gedanke an die freundliche Frau Schönbach, die ihnen erst am Mittwoch den hübschen Abend bereitet hatte, lag ihnen bedrückend auf dem Herzen. Anna beschloß endlich, als die Aelteste, sofort zu dieser zu gehen, ihr zu sagen, wie leid allen dies Zerwürfnis tue, und daß sie Mela, soweit ihnen möglich, entgegengekommen seien, jetzt aber könnten sie nicht anders, als abwarten, ob sie sich besänne.

Mela, deren Begegnung Anna gefürchtet hatte, war noch bei Vera und beschloß eben, Bruder Max zu bitten, daß er die Montagsfreundinnen nie wieder grüße. Frau Schönbach empfing Anna sogleich; sie war traurig, hörte aber freundlich zu, wie Anna das Vorgefallene berichtete und endlich unwillkürlich, gegen ihre Absicht, schloß: »Wollen Sie Mela nicht zureden, daß sie sich besinnt?«

Frau Schönbach überlegte ein paar Minuten, dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein, liebe Anna. Melanie tut unrecht, aber sie tut es hauptsächlich sich selber an. Sie hat so eigenmächtig in dieser ganzen Angelegenheit gehandelt und sich so sehr in ihren Eigensinn verrannt, daß ich meine, es ist besser, sie empfindet nun erst, welches Leid sie sich angetan hat. Daß sie es empfinden wird, ist zweifellos, die Reue bleibt nicht aus; dann mag sie von selbst wiederkommen. Ihr würdet jetzt, wenn ich Mela auch zur Rückkehr überredete, doch den alten Ton nicht gleich wiederfinden, wäret gegenseitig gereizt und könntet beim besten Willen keine Freude aneinander haben.«

Also wurde Melanie Schönbach aus dem berühmten Oktavbuch gestrichen, ja Anna überklebte den Platz mit weißem Papier, und Mike sprach die Hoffnung aus, daß dieser leere Raum vor Jahresfrist durch irgend ein andres, wundervolles, fragloses Mitglied neu gefüllt werde.

Uebrigens störte die abwesende Melanie die Freundinnen auch in dem nächsten Kränzchen. Bei Anna Krause kam trotz des besten Willens die alte Fröhlichkeit nicht zu Gaste; wieder und wieder begann eines der Mädchen von dem Ereignis zu reden, obgleich sich alle das Gegenteil vorgenommen hatten und allemal nach wenigen Worten irgend eine mahnend einfiel: »Das wollten wir ja ruhen lassen.«

Vergessen ließ es sich eben nicht und die Fehlende verdarb dem Montagskränzchen ebenso die Laune, wie die Anwesende es so oft durch ihre Empfindlichkeit getan hatte. Erst in der siebenten Stunde hatte Lili den guten Einfall, jedes Erwähnen Melanies durch einen der Kasse zu opfernden Pfennig zu strafen; da gab es viel Gelächter, Weigern, wehmütiges Zahlen, doch nicht ohne die Stimmung im allgemeinen sehr zu heben.

Auch Melanie war es nicht eben gut zu Mute; sie dachte während des ganzen ersten Montags an die Kränzchenschwestern, doch nicht sehnsüchtig, sondern mit Zorn, und als sie gegen Abend Vera zum Spaziergang abholte, war ihr Herz so voll, daß sie die Fremde zur Vertrauten aller der Kränkungen machte, die sie bisher von den Kameradinnen erlitten zu haben meinte.

Vera erhielt eine Schilderung von Grete Sonderstädt, daß sie mitten auf der Promenade stehen blieb und, die Hände zusammenschlagend, ausrief: » Oh, mon pauvre ange!« und dann Melas Arm wieder nehmend im Weitergehen flüsterte: » Comme c'est charmant que nous n'avon plus besoin de faire bonne mine à ces malices. Du bist meine Einzige, kein dummes Mädchen ohne Geld, was arbeitet pour gagner a vie, du liebst mich, nous sommer riches tous deux – ah, quel bonheur!«

Melanie errötete vor Vergnügen über Veras rührende Hingebung, sie war stolz darauf, eine Freundin zu besitzen, die so viel feiner war, als die alten Bekannten, die sie schon lange auswendig wußte; eine mit der sie in einer fremden Sprache reden konnte, wenn sie auch infolgedessen manchmal nicht ganz genau wußte, was sie eigentlich gesagt hatte. Durchdrungen von diesem erhebenden Bewußtsein verzog sie den Mund zu einem häßlichen, hochmütigen Lachen, als eben jetzt Lili, Mike und Emmy aus dem Gymnasium traten.

Ja, als Lili, die sie zuerst sah, ein wenig verlegen, aber ganz freundlich zu ihr hingrüßte, drehte sie den Kopf seitwärts, ohne zu danken, und Vera musterte die drei von oben bis unten und sagte ganz deutlich: » Quelle bêtise

Lili wurde dunkelrot, wenn sie auch keine französisch sprechende Freundin hatte, wenn sie auch Monsieur Legrands Kummerkind gewesen war, so viel verstand sie doch von der »dummen Sprache«, daß es unangenehm war, sich in ihr beleidigen zu lassen; in dieser Sprache, die Lili Roßbach aus lauter leidenschaftlich betriebenem und übertriebenem Patriotismus nie hatte leiden können, um derentwillen sie mit Begeisterung Strafarbeiten und Schelte erduldet hatte!

Ja, Englisch! Englisch übte Lili »mit Wonne«, da hätte am Ende auch bêtise besser geklungen, denn erstlich hatte in dieser Sprache die »süße Hemans« gedichtet, und dann »waren die Engländer zwar keine Deutschen, aber doch auch noch lange keine Franzosen«.

Gegen diese Schlußfolgerung ließ sich nie eine Gegenäußerung finden. Lili hatte die Schuljahre hindurch als Märtyrerin ihres Patriotismus französische Strafarbeiten gemacht und besuchte jetzt englische Privatstunden, eigentlich nur um zu beweisen, daß sie nicht aus Faulheit das Französische verachte.

Und in diesem greulichen, gehaßten Französisch wurde ihr freundlicher Gruß eine bêtise genannt!

Die drei Freundinnen waren empört, sie kehrten sofort zurück, um Anna, auf die Gefahr sehr vieler Sparpfennige hin, das Geschehene zu erzählen.

Anna »war starr«.

»Nein, Kinder,« sagte sie endlich, »so was hätte ich ihr wirklich nicht zugetraut, der russische Affe hat sie schon in Grund und Boden verdorben. Wißt ihr was? Verachten wir sie!«

Einstimmig wurde dieser Vorschlag angenommen. Beruhigt gingen die drei nach Hause. Melanie Schönbach wurde von da ab vom Montagskränzchen verachtet.

 


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