Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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26. Der erste Kampf

Was die Franzosen in der Stadt unternahmen, lief rasch von Mund zu Mund über die ganze Insel. Das Volk begann einzusehen, was die Einholung ihrer Flagge bedeutete. Gerüchte waren im Umlauf, daß der Ferani alle Häuptlinge gefangennehmen und in das Land der Feranis bringen wollte. Wenn das Volk bislang nicht daran gedacht hatte, sich zu rüsten, begann es jetzt damit. Waffen tauchten überall auf, Munition wurde hervorgesucht, der Gebrauch der Muskete von den zwischen ihnen lebenden Europäern erlernt und geübt. Plötzlich zeigte sich ein Eifer in der Bevölkerung, der auf einen unmittelbaren Widerstand hinwies. Es fehlte nur noch der Anlaß für den ersten Schlag.

Es war an einem Sonnabend, wie bekannt, der frühere Sabbath der Bewohner von Tahiti. Bruder Dennis hatte an diesem Tag Gottesdienst auf der Halbinsel Tairabu gehalten. Die Bewohner dieses freundlichen Distrikts lebten weit entfernt vom Schauplatz wirklicher Feindseligkeiten und führten ihr bisheriges Leben weiter. Aber auch hier war die Rüstung eifrig betrieben worden. Während der Predigt war ein fremdes französisches Kriegsschiff in ihren Hafen eingelaufen und hatte dadurch die Sabbathfeier wesentlich gestört. Es waren dann auch harte Worte, die der fromme Mann gegen die »Papisten und Sabbathschänder« sprach und damit die Herzen seiner Zuhörer mit noch mehr Zorn und Entrüstung erfüllte. Trotzdem glaubten die gelandeten Bootsmannschaften, sich ziemlich sorglos zwischen den Eingeborenen bewegen zu können. Zwar warfen ihnen die Männer finstere Blicke zu, und die Mädchen wichen ihnen zornig aus, wenn sie in alter Weise nach ihnen griffen. Aber nichts geschah, was die Freiheit ihrer Bewegungen einschränkte.

Die Gruppen der Soldaten und Matrosen begnügten sich damit, in Ufernähe umherzuschwärmen. Nur ein Piquet von etwa zehn Mann marschierte nach dem Gottesdienst wie eine Patrouille durch den Ort und den nächsten Hügelhang hinauf. Sie waren allerdings nur teilweise bewaffnet.

Vor den dort einzeln stehenden Häusern saß eine kleine Gruppe Insulaner im fröhlichen Gespräch zusammen unter Fruchtbäumen und Palmen. Die Frauen arbeiteten am Sabbath nicht und lagen auf ihren Matten ausgestreckt. Sie lasen in der dicken Bibel, die Männer lachten und unterhielten sich. Zwischen der Gruppe saßen drei sehr schöne Mädchen. Eine erzählte ihnen von den Ereignissen auf der Insel. Dicht hinter der Gruppe saß ein alter Mann in seinen Tapamantel gehüllt. Es war Fanue, der trotzige Häuptling. Er ballte die Faust unter der Tapa, als er von dem Übermut der Wi-wis hörte. In diesem Augenblick störte fester Tritt und lautes Lachen das friedliche Bild. Die bunten Uniformen der Fremden wurden zwischen den Bäumen sichtbar, die sich frische Früchte pflückten. Die Männer hörten auf zu reden und blickten finster auf die ungebetenen Gäste, die hier ihren Sabbath und den Hausfrieden störten. Die Mädchen verschwanden unter den Palmen, nur der alte Häuptling sah den Fremden trotzig entgegen, seine beiden Töchter standen neben ihm, dazwischen die Fremde, die ihnen von Papeete erzählt hatte.

»Hallo, Waihines! Seht doch einmal auf und laßt vernünftig mit euch reden. Ihr sollt mir eine Frage beantworten«, rief einer der Franzosen in ihrer Sprache.

Die Mädchen sahen verlegen zur Seite. Der alte Fanue bemerkte ihre Verlegenheit. Er war kaum noch imstande, seinen Zorn zurückzuhalten. Er maß die Feinde seines Landes mit den Augen und sagte finster:

»Was habt ihr für Fragen zu stellen und zu einem Haus zu kommen, zu dem man euch nicht das hare mai gerufen hat? Weg mit euch, wohin ihr gehört, auf eure Schiffe, und mit denen über das Wasser! Unsere Augen schmerzten von eurem Anblick!«

»Dich wird gleich noch was anderes schmerzen, wenn du unverschämte Reden führst!« rief einer der Bewaffneten drohend. »Kein Mensch hat mit dir gesprochen, sondern nur mit den Mädchen hier. Also, Waihine, gib Antwort, und vor allen Dingen, gib mir einen Kuß!« Er beugte sich zu ihr und legte seinen Arm um ihren zitternden Körper.

Der alte Fanue sprang in grimmiger Wut auf. Gleichzeitig hatte einer der Franzosen das Mädchen von Papeete erkannt und rief:

»Nahuihua, die Perle, die ich suche! Da bist du ja endlich!«

»Zurück, Le-fe-ve!« rief die Schöne mit vor Zorn funkelnden Augen. »Zurück, du falscher Wi-wi! Todmüde liegt da drin im Haus Aumama, und sie hat den Fluch über dich gesprochen!«

»Aumama?« rief Lefevre bestürzt. »Sie ist hier?«

Jede weitere Unterhaltung wurde von dem alten Häuptling abgeschnitten. Er sprang zwischen die Fremden und schleuderte Lefevre von dem Mädchen zurück. Er hatte den Namen gehört und dachte nicht an die Folgen.

»Weg mit dir, du falscher Wi-wi, oder diese Hand greift noch einmal nach der Kriegskeule und dem Speer! Fort mit dir, meineidiger, falscher Huapareva, oder du wirst den Tag verfluchen, der dich an unsere Küste gebracht hat!«

»Teufel!« schrie Lefevre in wilder Wut und stürzte sich auf den Alten. Er wollte einen Schlag nach ihm führen, aber der Alte kam ihm zuvor, warf seinen Arm zur Seite und traf ihn mit kräftiger Faust so gegen die Stirn, daß er einen Schritt zurücktaumelte.

»Rebellion!« rief einer der Bewaffneten. Er riß die Flinte hoch, spannte den Hahn und legte auf den trotzigen Häuptling an. Der Schuß wäre auf die Entfernung für den alten Mann tödlich gewesen, hätte nicht Nahuihua den Lauf des Gewehres hochgeschlagen. So schlug das tödliche Blei in das Dach des Hauses. Jetzt kamen die anderen Männer herbei, um am Kampf teilzunehmen. Lefevre kümmerte sich nicht weiter um den Alten, auf den sich schon zwei Soldaten geworfen hatten. Er sprang mit einem Satz zu dem Mädchen, das verzweifelt den Namen ihrer Schwester rief, packte sie am Arm und floh mit ihr den Pfad hinunter, um ein Boot am Strand zu erreichen. Oben wurden mehrere Schüsse abgefeuert, ein Insulaner wurde getötet, ein anderer schwer verletzt. Gleich nach dem ersten Schuß erschien auf der Schwelle der Hütte eine andere Frau, die Haare wild und ungeordnet um Stirn und Schläfe, das Schultertuch gelöst und nur von der linken Hand zusammengehalten. Sie warf nur einen Blick auf die Kämpfenden. Der Hilfeschrei der Schwester zeigte ihr die gesuchte Gestalt. Alles andere um sich vergessend, sprang sie vor, um sich zu rächen.

Dicht vor ihr rang einer der Soldaten mit einem Insulaner, der sein Gewehr gepackt hatte. Der kurze Degen hing in der Scheide, und blitzschnell riß Aumama ihn an sich. Das Schultertuch flog ihr von der Achsel, die Haare flatterten wild hinter ihr her, aber die Rasende achtete nicht darauf. Wie eine zürnende Göttin des Waldes flog sie dahin. Ehe der Mann noch den Waldrand erreichte, war sie dicht hinter ihm.

»Le-fe-ve!« Sie brachte das Wort kaum über die Lippen, aber der Fliehende hörte es. Er drehte sich um und ließ die Schwester los, die gleich in den Büschen verschwand. Mit dem Degen sprang sie ihren Mann an. Wäre sie den Umgang mit der Waffe gewohnt gewesen, hätte sie keinen zweiten Schlag mehr gebraucht. So traf sie den linken Arm, den er schützend vorgestreckt hielt. Dann floh Lefevre in den Wald zum Strand hinunter. Von dort stürmten die Franzosen nach dem ersten Schuß ihm entgegen.

»Sind wir Hunde?« rief auf dem Kampfplatz der alte Fanue voller Wut. »Wir wollten Frieden, aber ihr laßt uns nicht in Ruhe! Deshalb nehmt auch die Folgen hin!«

»Die Bestie droht noch!« schrie ein Soldat. »Das für dich, du Giftkröte!« Er zielte auf seinen Kopf und drückte ab, aber die Kugel zischte ihm dicht am Ohr vorbei und schlug in einen Brotfruchtbaum. Da hatte sich auch der alte Häuptling schon auf ihn geworfen. In der Hand schwang er ein kleines Handbeil und traf damit die Stirn des Unglücklichen. Mit einem Röcheln brach der Mann leblos zusammen.

»Nieder mit den Verrätern! Hierher, zu Hilfe!« schrien die Franzosen. Einzelne Schüsse fielen aus dem benachbarten Orangendickicht. Eine Schar Franzosen stürmte den Weg herauf. Da stellte sich ihnen eine Gruppe Eingeborener aus dem Dickicht in den Weg. Sie hatten blitzende, bajonettbewehrte Musketen in der Hand und schossen mitten in den Schwarm der neuen Angreifer. Gleichzeitig ertönte ein gellender Kriegsschrei, der von allen Seiten beantwortet wurde. Die Franzosen merkten, daß sie es mit einem weit überlegenen Feind zu tun hatten. Sie rückten eng zusammen und beschränkten sich auf eine Verteidigung. Die Gewehre wurden noch einmal abgefeuert, die Unbewaffneten in die Mitte genommen und die Bajonette vorgehalten. So zogen sie sich langsam den Pfad zum Strand hinab. Die Insulaner waren über das vergossene Blut zu aufgebracht, um jetzt einzuhalten. Voller Wut warfen sie sich ihnen mit Todesverachtung entgegen, und manche schwere Wunde wurde auf beiden Seiten gegeben, ehe die Franzosen wieder den offenen Strand erreichten.

Hier fanden sie Unterstützung durch ihre Kameraden. Gemeinsam wollten sie einen Gegenangriff durchführen, um auch die zurückgelassenen Verwundeten zu bergen. Aber sie trafen auf weit mehr als nur einfachen Widerstand. Es war der endlich losgebrochene Grimm eines mißhandelten Volkes. Mit dem alten Fanue an der Spitze, der schon aus vier oder fünf Wunden blutete, warfen sich die Eingeborenen dem viel besser bewaffneten Feind erneut entgegen. Über diese wütenden Angriffe waren die Franzosen so erschrocken, daß sie sich schließlich in ihre Boote flüchteten und zum Schiff zurückkehrten. Als die eigenen Leute nicht mehr im Weg standen, eröffneten die Bordkanonen das Feuer. Schnell zogen sich die Eingeborenen in den Wald zurück, und die Korvette lichtete ihre Anker, um so schnell wie möglich nach Papeete zurückzukehren. An Toten und Verwundeten hatten die Franzosen in diesem ersten Kampf zwischen vierzig und fünfzig Mann verloren. Fast alle Toten und viele Verwundete blieben in der Gewalt der Feinde.

Als die Nachricht in Papeete eintraf, schickte man sofort einen Kriegsdampfer und die »Jeanne d'Arc« in die Bucht. Aber die Eingeborenen um Papeete erfuhren durch Läufer noch schneller von dem Kampf und griffen ebenfalls zu den Waffen. Sie versammelten sich in größeren Mengen in der Nähe der Stadt, und man erwartete jeden Augenblick den Ausbruch des Kampfes. Die Lage der Franzosen wurde unangenehm. Auch die »Uranie« hatte mit mehreren anderen Kriegsschiffen den Hafen verlassen, um den Westwind auszunutzen und die Marquesas zu erreichen. So war die Besatzung der Stadt fast allein auf sich gestellt und war sich der drohenden Gefahr voll bewußt.


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