Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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17. Unterwegs

René betrat rasch den Raum, der nur von einer einzigen, düster brennenden Lampe erleuchtet wurde. Eine Angst, die er sich selbst nicht erklären konnte, preßte ihm das Herz zusammen. Es beruhigte ihn nur wenig, daß Sadie ihm entgegenkam und ihm die Hände entgegenstreckte. Er zog sie an sich und sprach längere Zeit kein Wort.

Als er ihr einen Kuß auf ihre heiße Stirn gab, fühlte er, wie sie in seinem Arm zitterte. »Wir wollen nach Hause gehen«, sagte er flüsternd, und sie nickte heftig, ohne zu reden. Auch ihr Herz war zu voll und schwer geworden. Eng umschlungen verließen sie durch einen Hinterausgang das Haus. Nach vorn, gegenüber den hellen Fenstern, hatten sich Hunderte von Eingeborenen gelagert, die hier den fremden Melodien lauschten.

René und Sadie schritten durch den Garten, unter Bananen und Orangen langsam und schweigend den schmalen Pfad entlang, den der Mond nur mühsam durch die Baumwipfel beleuchtete. Auf der äußeren Straße erreichten sie bald den Strand.

»Du solltest dich an unseren Sitten und Vergnügungen freuen«, sagte René endlich. »Du solltest tanzen und fröhlich sein und hast nur Schmerzen und Herzleid gefunden.«

Sadie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr.

»Bist du mir böse, Sadie?« sagte René endlich nach langer Pause und versuchte, ihr Gesicht emporzuheben.

»Nein, René«, flüsterte sie leise und schüttelte langsam den Kopf. »Nein, nicht böse... aber... aber eine Bitte habe ich an dich.«

»Nenne sie, mein Herz!«

»Du warst so glücklich in Atiu, nichts bedrohte dort unseren Frieden. Dort waren keine weißen Frauen und Männer weiter«, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort. »Dort warst du einer von uns, alle hatten dich lieb. Es war meine Heimat. Hier sind wir fremd, und das Land ist durch deine Landsleute und die Engländer anders geworden. Die weißen Menschen halten sich für besser als die dunkleren. Sag nichts dagegen, René, ich weiß es. Ich würde es gern deinetwegen ertragen, wenn ich dich nicht deinetwegen bitten müßte, wieder mit mir von hier fortzugehen.«

»Meinetwegen, Sadie?« sagte René, aber es war ihm nicht ernst mit der Frage, und Sadie wußte es.

»Wenn du es nicht selbst fühlst, René, kann ich es dir nicht mit Worten beschreiben. Ich glaube nur, daß wir sehr unglücklich werden, wenn wir hier länger bleiben.«

»Aber, mein Geschäft hier...« sagte René.

»Hat nicht die Kokospalme Milch im Überfluß, hängt nicht die Brotfrucht voll und reif am Zweig, und gibt es nicht reichlich Orangen?« erkundigte sich Sadie und schmiegte sich noch fester an ihn. »Hast du nicht mich und dein Kind? Liegt nicht der Frieden Gottes auf dem kleinen, stillen Inselreich, wo es alles gibt, was gut und fruchtbar ist? Sieh, René, ich habe alles getan, was du von mir verlangt hast. Ich habe mir deine Sitten angeeignet, soweit es ging. Ich trage eure Kleidung, ich spreche eure Sprache, ich habe mein Herz nur dir und unserem Kind gegeben. Nur die Farbe konnte ich nicht ändern, die Gott meiner Haut gegeben hat. Ich bin ein Kind dieser Inseln, und so hast du mich liebengelernt und zu deiner Frau genommen. Aber meine Schwestern hier auf Tahiti sind anderer Art. Sie wurden nicht so erzogen wie ich, leben meistens nur in den Tag hinein, und deine Landsleute tragen viel Schuld daran. Du hast heute erfahren, wie sie die Insulanerin achten. Willst du noch länger Zeuge sein, wie sie mich kränken und niederdrücken? Dabei hast du noch nicht einmal den zehnten Teil von dem gesehen, was mir wie mit einem Messer in die Seele schnitt, nicht die kalten Blicke einzelner Frauen, nicht die leichtfertigen Worte, die mir oft ohne Furcht und Scheu in die Ohren geflüstert wurden und mir das Blut ins Gesicht trieben. Ich gehöre nicht unter diese Menschen. Willst du hier auf Tahiti bleiben und dich nicht von dem vielleicht liebgewordenen Leben trennen, so laß mich daheim bei meinem Kind, René. Dorthin gehöre ich, den Platz fülle ich aus, und unsere Hütte mag dir selber eine Heimat werden – aber Atiu wird es uns doch nie ersetzen. Wenn wir doch zurück könnten!«

René erwiderte nichts. Schweigend schritten sie nebeneinanderher. Wilde, unruhige Gedanken wirbelten in seinem Kopf umher. Sadie, das freundliche Atiu, das fremde Mädchen, die Erinnerung an die Heimat, durch Bertrand wachgerufen – das alles zog in schnellem Flug vor seinem inneren Auge vorüber.

So erreichten sie den stillen, freundlichen Platz, auf dem ihr Haus stand. Das matte, gedämpfte Licht, das aus dem einen verhangenen Fenster drang, beleuchtete den Schlaf ihres Kindes. Die Palme, die ihren breiten Wipfel darüber hing, rauschte leise und feierlich. Es war, als ob sie dem Schlaf des Lieblings lausche und ihm bunte, freundliche Träume über sein kleines Bett zuflüsterte.

Fast unwillkürlich blieben die beiden stehen. Als René bei diesem friedlichen Bild an die vielen tausend glücklichen Stunden dachte, die er schon hier verbracht hatte, und an die frühere Zeit, die erste Zeit seiner Liebe, seiner Hoffnungen, da überkam ihn ein weiches, reuiges Gefühl. Er zog seine Frau an sich und küßte sie. Dann traten sie an das Bett ihres Kindes. Die Lampe, von einem breiten Bananenblatt verdeckt, warf nur einen matten grünen Schein auf das Kind. Die langen, seidenen Wimpern lagen voll und dicht auf den vom Schlaf geröteten Wangen. Ein liebes Lächeln spielte um die fein geschnittenen Lippen.

Komm, lieber Leser – siehst du dieses friedliche Bild? Leise, daß wir sie nicht stören, hinunter an den Strand, wo die Brandung über die Riffe donnert. Dort liegt mein Kanu, steig nur ein und fürchte nicht das Schwanken. Der Luvbaum schützt es vor dem Umschlagen. Ich steuere dich in dem scharfgebauten Kahn über das mondbeleuchtete Wasser anderen, wenn auch nicht so friedlichen Szenen zu...

In der Bucht schimmern die Lichter der ankernden Schiffe. Unter dem stolzen Schiff fahren wir dahin. Es ist der »Talbot«, und der Mann dort, der das Kinn auf den Arm stützt und träumend zu uns herüberschaut, wundert sich wohl über die stillen Ruderer hier draußen so spät in der Nacht. Wie stolz und symmetrisch stehen die Masten, mit ihrem spinnwebartigen Gewirr von Tauen und Segeln heben sie sich scharf und klar gegen das helle Firmament ab. Dort drüben ragt der schlanke, wespenartige Bau des anderen Kriegsschiffes herüber, der »Jeanne d'Arc«. Er sieht bedroht aus von dem »Talbot« hier und dem »Vindictive« dort drüben, jenem gewaltigen Koloß, der die Mündungen seiner Kanonen auch hierher gerichtet hält. Aber trotzig zeigt auch sie die Zähne, und mit dem ersten Sonnenstrahl wehen die drei Farben vom Mast, genauso wie nebenan die stolzen Flaggen Albions.

Auf dem Kriegsschiff tönen die Schläge einer Glocke. Sechs Glasen schlägt es, es ist elf Uhr, und kaum hat die Glocke der Ankerwinde vorn auf dem Vorcastle des »Vindictive« dem Kompaßschlag geantwortet, als gleichzeitig auch die »Jeanne d'Arc« und der »Talbot« die Stunde schlagen. Alles ist wieder still und ruhig wie vorher. So lautlos liegt die Nacht auf dem kaum bewegten Meer, daß man den Schritt der einzelnen Wache auf dem nächsten Deck des französischen Kriegsschiffes deutlich hört. Das leichte Summen einer heimischen Melodie tönt leise über das Wasser. Da beginnt noch ein Schiff, die versäumte Zeit langsam nachzuschlagen. Die französische Schildwache lacht und zählt die schläfrigen Schläge einer gesprungenen Glocke mit.

Von dort her kommen sie, von dem Walfänger, der gerade in unserer Bahn liegt. Der Mann, der die Wache hatte, schlief so sanft in Lee vom Boot und träumte so süß, bis er von dem Schlagen der Glocke munter wurde. Er zählte von allen Schiffen mit, und als er im Halbschlaf lange genug gewartet hatte, wann auch die klappernden Töne seines eigenen faulen Schiffes kämen, der früher so rüstigen »Kitty Clover«. Da erst fällt ihm ein, daß er eigentlich dieses Amt hat. Mit einem leise gemurmelten Fluch stand er auf und schlug auf die geborstene Seite. Bei jedem traurigen Schlag brummte er:

»Verdamme dich... altes... geborstenes... klapperndes... schnurrendes... Lärmeisen du! Ein Skandal für die ganze Nachbarschaft!« Dann suchte er wieder seinen Ruheplatz hinter dem Boot auf.

Der Mond fiel jetzt voll gegen die Flanke des schmutzigen, von Rauch und Teer geschwärzten, tranigen Fahrzeugs der »Kitty Clover«. Die Segel, die gestern zum Trocknen gelöst wurden, hängen halb aufgegeit an den Rahen und zeigen die breiten Teerstreifen der Reffer.Damit die Walfänger nachts nicht an Walen vorbeilaufen, reffen sie meistens erst abends die Segel. Da die Leute tagsüber den Tran auskochen und voller Fett sind, machen sie auch Fettflecke in die Segel, auf denen sie zum Einbinden liegen. Die kurzen Masten mit dem breiten Sitz für den Ausguck, die Boote aufgezogen und mit Kokosblattmatten dicht gegen die heiße Sonne abgedeckt, das zerfetzte Kupfer am Bug, das alles sind Zeichen einer langen Reise, und alles verkündet das Geschäft des Walfängers. Doch jetzt lag er in der guten Jahreszeit fett und träge hier vor Anker, statt im Norden den Walen aufzulauern und seinen Rumpf zu füllen.

Dicht unter seinen Kranen gleiten wir dahin, und freier dehnt sich die Bai hier vor uns aus. Dort drüben sehen wir die kleine, mit Palmen bewachsene Insel. Das ist Motuuta, der Königssitz der Pomaren, stiller Zeuge früherer Macht und häuslicher Glückseligkeit. Vorbei, die Macht der Pomaren zwischen Engländern und Franzosen zum Spott geworden, zum Spiel, um das beide Nationen vielleicht mit Kanonenkugeln würfeln oder es auch einem Gegner freiwillig überlassen, weil es doch nicht der Mühe lohnt.

Weiter, aus den düsteren Schatten der Schiffe heraus. Funken sprühen in der elektrisch geladenen Luft vor dem Bug. Das leichte Ruder lenkt das Kanu fast über die Wellen. Da drüben liegt der Strand, weit und silbern dehnt sich der mondbeschienene Muschelkies und blitzt und funkelt. Die Woge quillt dagegen und saugt und breitet sich darüber hin, weicht zurück und läßt nur den funkelnden Schaum, der in Atome auseinanderfließt.

Jetzt haben wir das lange, niedrige, palmenbedeckte Land erreicht, den rechten Arm der Bai, die ihn wie schützend gegen den Passat vorhält. Kleine, hochgebaute Gerüste laufen ein Stück in die See hinaus, von dem sandigen Strand ab, um Seebooten auch bei niedrigem Wasserstand die Anfahrt zu gestatten.

Aber das Kanu braucht keine solche Hilfe. Frisch fliegt es über das Wasser auf der klaren Flut, und das Ruder, das es vorwärts treibt, hebt es und zwingt es selbst über Korallen- und Sandbank fort, dem weißen Muschelkies entgegen. Bambusstäbe sind hier überall in den Grund gestoßen, ein Zeichen für Fischer für tieferes Wasser. Mitten dazwischen schießt das Kanu, und als sich die aufgebogene Spitze auf den Sand schiebt, hebt sich das schlanke Boot und sitzt fest. Jetzt hinaus, und am nächsten Baum binden wir es fest, damit es mit der Flut nicht fortgeführt wird. Durch das schattige Grün der Gärten führt uns der Pfad wieder zu dem heimlichen Platz. Hier wird der Pfad schmal, und dort gleich hinter den Bananen beginnt das Dickicht der Guiaven. Siehst du, lieber Leser, bereits das Licht dort durch die Zweige blitzen? Hörst du die gellenden Töne keifender Menschenstimmen? Wir sind am Ziel, und ich führe dich jetzt ein bei Mütterchen Tot.


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