Friedrich Gerstäcker
Tahiti
Friedrich Gerstäcker

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11. Die Mädchen von Tahiti

Das Gebet war beendet, und das laute, feierliche »Amen« schwoll durch die Wipfel der Palmen der See zu und mischte sich mit dem Brausen der Brandung. Damit war es aber auch, als wäre der Zauber gebrochen, der den leichten Sinn der Insulaner so lange fest im Zaum gehalten hatte.

»Hierher, Maire, hierher und kommt mit uns!« klang der fröhliche Ruf. »Komm herunter zum Guiavenbach, da unten tanzen wir. Heute sehen es die Mitonares nicht, denn es gibt immer großes Essen, wenn sie eine Zeitlang gebetet haben.«

»Aber die anderen reden, und dann arme Maire, Vater Au-e hat mir so schon die Hölle versprochen. Wenn er mich findet, schickt er mich direkt dahin!«

»Ach, Unsinn!« rief die andere lachend. Sie zeigte auf den Mund und das Herz. »Hier, das ist fromm genug, alles andere ist frei, Maire, und schnell jetzt, sonst versäumen wir den Spaß.« Wie aufgescheuchte Rehe flohen die beiden seitwärts in den Orangenhain, und viele folgten ihnen. Wie das klang und sang und summte und schwirrte unter den Bäumen und Palmen! Im duftenden Schatten der Orange und Guiava herrschte fröhliches Leben. Der Klang der Flöte mischte sich in lachende Mädchenstimmen. Man jagte und neckte sich und äffte die Predigt nach, man tanzte den Upepehe, den Oris oder den Mamuea.

Dort drüben, der breite, halboffene Platz vor dem einem Vogelkäfig ähnlichen Bambusgebäude schien der Mittelpunkt des ganzen Viertels zu sein. Hier herrschte jedenfalls das ungezwungenste Leben. Die dunklen, blumendurchflochtenen Locken mischten sich mit den kahlgeschorenen, aber blumenkranzgeschmückten Köpfen. Dazwischen waren bald die bänderflatternden Strohhüte der Seeleute zu erkennen. An den meisten dieser Hüte trug die schwarze Seide mit goldenen Buchstaben den Namen eines Kriegsschiffes, dazu gehörte der breite weiße Hemdkragen mit dem schmalen blauen Streifen.

»Hallo, Georg, das ist der beste Platz für einen Landtag!« rief da ein alter, wettergebräunter Seemann einem jungen Burschen zu, der eines der Mädchen mit seinem linken Arm umschlungen und eine halbgeleerte Flasche in der rechten Hand hielt. Lachend wollte er das Mädchen zwingen, aus der Flasche zu trinken.

»Nutze deine Zeit, mein Junge. Wer weiß, wann uns wieder so wohl ist!«

»Ein tolles Mädchen, aber wie Quecksilber in meinen Händen, man kann sie nicht festhalten. Wirst du trinken?« rief der junge Mann.

»Aita, aita!« schrie die trotzige Schöne und wehrte ihn entschlossen ab. »Pfui über das Gift, das ihr in euch hineinschüttet, bis ihr wie Vieh daliegt, weg mit dem Zeug!« Damit riß sie ihm die Flasche aus der Hand und schleuderte sie weit in das Dickicht hinein.

»Teufel auch!« schrie der Matrose, der kein Wort verstanden hatte und jetzt seiner Flasche nacheilen wollte. »Der Stoff ist teuer hier in Papeete und nicht leicht zu bekommen!«

Das Mädchen lachte nur. »Hol sie, wenn du kannst, hol sie!« Dabei hielt sie ihn fest an der Hand.

Andere sprangen lachend dazu und wollten die Flasche retten, ehe sie ausgelaufen war, aber zu spät. Fluchend hoben sie die leere Flasche gegen das Licht.

»Damn it!« schrie einer von ihnen. »Auch nicht ein Tropfen übriggeblieben!« Prüfend setzte er sie noch einmal an, dann schleuderte er sie wütend gegen den nächsten Brotfruchtbaum, wo sie krachend zersplitterte und die Scherben umherspritzte. Das aber sollte ihm übel bekommen.

»Tam you!« schrie eine alte, wohlbeleibte Insulanerin, die ein brennend rotes Stück Kattun um die Hüften und ein anderes um die Schultern trug. Sie hätte schon lange genug Kontakt mit Matrosen, um ihren Lieblingsfluch zu verstehen. »Tam you, ihr schmutzigen Weißen! Weil ihr zehnfache Haut unter den Füßen habt, werft ihr das Glas umher, damit es wie Dornen in unsere Sohlen einschneidet! Tam you, sag ich noch einmal, und der Tag sei verflucht, der euch an diese Küste brachte!«

Von allen Seiten kamen jetzt die Mädchen herbei und schimpften und schmähten in ihrer Sprache. Dabei sammelten sie die gefährlichen Glasscherben, die ihnen schon manche böse Wunde eingebracht hatten, ein. Vergeblich riefen die Matrosen sie zurück und begannen dann sogar, ihnen zu helfen. Kein Blatt blieb ungewendet, unter dem sich noch eine tückische Spitze verbergen konnte.

»Hurra, Jungens! Wer von euch hat denn sein Prisengeld da im Laub verloren? Halbpart, wenn ich's finde!« schrie in diesem Augenblick eine rauhe Stimme zwischen das Lachen und Toben der munteren Schar. Einer der Seeleute richtete sich rasch empor, um zu sehen, ob da nicht ein alter Bekannter zu ihnen kam.

»Hallo, Kamerad«, brummte er dann, als er ein völlig fremdes Gesicht sah, das ihm trotzdem ganz freundlich entgegennickte. »Woher kommst du?« erkundigte sich der Bootsmann der »Jeanne d'Arc«, der sich als Wortführer der Matrosen betrachtete. Jim, der Ire, erweckte wohl nicht ihr Vertrauen. Die blaue Jacke und die weißleinene Hose hatten wohl den richtigen Schnitt, und der mit Wachsleinwand überzogene Strohhut saß ihm hinten auf dem krausen Haar. Ein paar breite Streifen schwarzseidenes Band fielen ihm nach Matrosenart vorn über das linke Auge nieder. Aber es lag doch etwas in dem Betragen des Fremden, das die Matrosen stutzig machte. Sie hatten den Eindruck, hier keinen Seemann vor sich zu haben. Segelte der Kerl vielleicht unter falscher Flagge?

Der Irländer ertrug den musternden Blick des Bootsmannes eine ganze Weile. Dann sagte er lachend: »Nun, Sirrah! Jetzt kennen Sie mich wohl, wenn Sie mich wiedersehen. Gefalle ich Ihnen?«

»Ganz und gar nicht, Kamerad«, sagte der andere trocken und wechselte sein Priemchen Kautabak von einer Backe in die andere. »Wenn du die Wahrheit hören willst, wirklich ganz und gar nicht.«

»Hahaha«, lachte der Ire, ohne sich im mindesten beleidigt zu fühlen. »Verdamm mich, wenn das nicht ehrlich von der Leber gesprochen ist. Es tut mir nur leid, daß ich das gleiche nicht von euch sagen kann.«

»Dann werde ich mein möglichstes tun, um das für mich so unglückliche Vorurteil zu zerstören!« antwortete der Seemann ruhig.

»Donnerwetter, sind Sie grob!« rief der Ire, der sich entschlossen hatte, nichts übelzunehmen. Allerdings waren weder sein kräftiger Körper noch sein entschlossener Zug um den Mund Indizien dafür, daß er eine wirkliche Beleidigung einfach eingesteckt hätte. »Aber das schadet nichts, Kamerad, wir werden schon noch näher miteinander bekannt werden. Ich bin wie der Wein, ich gewinne durchs Liegen. Und ihr da, ihr Mädchen, laßt das verdammte Suchen sein und kommt her. Morgen wird es sich schon finden, was ihr verloren habt. Wo ist Amiomio heute? Hol der Henker die kleine Wetterhexe, sie geht immer weg und kommt nie zurück.«

»Naha-hio!« riefen einige der Mädchen, die sich nach diesem Ausruf umgedreht hatten, erstaunt aus. »O-fa-na-ga wieder hier? Wo hat dich Oros Zorn so lange umhergetrieben?«

»O-fa-na-ga«, spottete der Ire. »Ihr habt meinen Namen noch nie richtig aussprechen können. Was würde wohl der alte O'Flannagan sagen, wenn man ihn so zu Tische rufen würde? Na, meine namataruas, ihr beiden unzertrennlichen Sterne, seid ihr auch da? Und wo ist ipo Anoenoe, mein Mädchen von Bola-Bola, die wildeste in eurer wilden Schar?«

»Anoenoe ist fromm geworden«, lachte eines der Mädchen, die er namataruas nach einem Zwillingsgestirn dieser Zone genannt hatte. »Sie lacht nicht mehr und trägt keine Blumen mehr im Haar.«

»Hahaha!« lachte der Ire. »Anoenoe fromm geworden, das ist gut, das ist herrlich komisch!«

Der Bootsmann, eine schlanke, kräftige, fast edle Gestalt mit typisch französischen Zügen, krausem Bart und dunklen Augen, hatte die Begrüßung der Mädchen schweigend und mit Erstaunen beobachtet. Er verstand die englische Sprache vollständig, sagte aber kein Wort. Mit untergeschlagenen Armen schien er ungeduldig auf das Ende dieser Begrüßungszeremonie zu warten. Er trug trotz des warmen Wetters seine blaue Tuchjacke, die dicht mit blanken Knöpfen besetzt war. Dazu weiße Strümpfe, sauber geputzte Schuhe und schneeweiße weite Hosen, die er aus Segeltuch selbst gemacht hatte. Das weiße Hemd wurde von einem schwarzseidenen Halstuch mit einem Seemannsknoten locker zusammengehalten, und der leichte Panamahut saß ihm fest und trotzig mehr nach vorn in der Stirn.

Endlich wurde es ihm zu lang, und er unterbrach die freundschaftlichen Erkundigungen des Fremden mit einem nicht eben einstimmenden:

»I say stranger! Sie scheinen früher schon einmal auf Korallenboden geankert zu haben, denn Ihrem Aussehen verdanken Sie diese Vertrautheit doch nicht!«

»Der Geschmack ist verschieden, Kamerad!« lachte der Ire. »Der eine liebt Bier, der andere Milchsuppe. Aber Sie haben Recht, ich hin hier zu Hause. Wenn ich auch nicht gerade hier wohne, so führt mich meine Straße doch oft genug hier vorbei. Also kein Wunder, daß ich Nachbars Töchter kenne.«

»So laßt doch endlich euer In-ge-le-se-Schwatzen sein!« rief da eines der Mädchen und griff den Arm des Iren. »Komm zu mir, O-fa-na-ga und drehe deine Taschen um. Du bist doch sicher nicht gekommen, ohne deiner Maire Schmuck und Ringe mitzubringen. Wo ist der Ring aus perú, den du mir schon so lange versprochen hast?«

»Maire!« rief der Ire und betrachtete sie erstaunt. »Das ist Maire? Was ist denn mit dir passiert, wo sind deine Locken?«

»Die hat der Mitonare abgeschnitten!« sagte die Schöne halb beschämt, halb unzufrieden.

»Der Mitonare? Was zum Henker hat der mit deinen Haaren zu suchen, Sirrah?«

»Sie sollte fromm werden und keine Streiche mehr treiben«, lachte Ate-ate.

»Unsinn! Das ist bloß oben, O-fa-na-ga, kümmere dich nicht darum. Wo ist der Ring? Her damit!«

»Für mich auch!« riefen andere. »Mir hat er Ohrringe versprochen – mir bunte Federn aus dem Osten – mir Kattun für ein neues Kleid!«

»Zurück, Mädchen!« rief der Ire lachend und konnte sich nur mit Mühe gegen die Einstürmenden wehren. »Sie hatten Recht, Kamerad, das Gesicht allein tut's bei diesen Mädchen nicht, und sie reißen einem die Lumpen vom Leib. Sie würden sich auch keine Gewissensbisse machen, wenn sie einen Matrosen gleich bei seinem ersten Landgang ausplündern und ihn dann stehenlassen und ihn auslachen. Die braune Haut versteht sich so gut darauf wie die weiße.«

»Von welchem Schiff kommen Sie, Kamerad?« erkundigte sich der Bootsmann. »Segeln Sie unter eigener Flagge?«

Der Ire schmunzelte und erwiderte dann:

»Diesmal haben Sie vorbeigeschossen, so schmeichelhaft das auch für mich war. Alt-England für immer, ich möchte keine anderen Farben an meiner Gaffel wehen haben, selbst nicht die rote!« sagte er mit einem halb spöttischen Blick auf den Bootsmann. »Um Sie aber zu beruhigen, kann ich Ihnen sagen, daß ich Harpunier an Bord des englischen Walfängers, der ›Kitty Clover‹ bin, die hier in Papeete liegt, um überholt zu werden. Wenn die französische Regierung nichts dagegen hat, wird sie dort wohl auch eine Weile bleiben.«

Der Bootsmann unterdrückte nur mit Mühe einen Fluch über die ironische Anspielung. Seine Korvette, die früher den Insulanern sehr imponiert hatte, konnte im Moment wegen der ihr überlegenen Engländer nichts mehr sagen und befehlen. Er preßte aber die Lippen zusammen und sagte finster:

»Sie täten gut daran, sich mit der französischen Regierung auf guten Fuß zu stellen. Die guten Leute in Papeete wissen heute noch gar nicht, was für Farben morgen Mode sein können.«

»Jedenfalls die schwarze!« antwortete Jim und rieb sich die Hände. »Jetzt bestimmen die Missionare die Moden. Das sind liebe Menschen, und sie haben uns Matrosen so gern, als ob wir Brüder sind, und das sind wir ja auch eigentlich. Es klingt richtig erbaulich: ›Bruder Jim‹ oder ›Bruder O'Flannagan‹.«

»Daß sie uns nicht grün sind, kann ich ihnen nicht verdenken. Sie haben alle Ursache dazu, denn unsere Interessen laufen auseinander. Also Sie gehören zu dem schmutzigen Walfänger da draußen. Haben Sie Fische bekommen?«

»Ja, Mister.«

»Und welchen Hafen sind Sie zuletzt angelaufen?«

»Ist es schlimm, wenn Sie das nicht erfahren?« frug der Ire spöttisch.

»Geh zum Teufel!« brummte der Franzose ärgerlich, daß er sich so weit mit dem Burschen eingelassen hatte.

»Rrrrrrr!« dröhnte in diesem Augenblick ein rascher Trommelwirbel so dicht vor seinen Ohren, daß sich der Bootsmann überrascht danach umsah. Überall sahen ihn lachende Mädchengesichter an, und eine von ihnen hatte eine richtige französische Trommel umgehängt, auf der sie jetzt kunstfertig den Takt ihres Inseltanzes schlug.

»Donnerwetter, Ate-ate!« rief der angebliche Harpunier der »Kitty Clover«. Er versuchte, das Mädchen zu umarmen. Es sprang aber rasch zur Seite. »Du bist wohl französisch geworden und dienst gegen deine früheren Geliebten? Ein eigentümliches Mittel, um sich an den Treulosen zu rächen!«

»Zurück, O-fa-na-ga!« rief sie aus. »Zurück, weißer Mann! Ich will die Zahl der Falschen nicht vermehren, aber es wäre schon jetzt Wahnsinn, gegen sie zu kämpfen. Sie sind wie die Guiaven im Wald und drücken alles andere zu Boden. Laß das Reden jetzt sein, wir wollen tanzen, und ihr stört uns nur mit eurem zungenklappernden Volk. Da, A-da, stell dich her, und nun paß auf. Wir wollen den Tanz probieren, den du uns beigebracht hast.« Damit sprach sie den Bootsmann der »Jeanne d'Arc« an, dessen Namen sie nicht aussprechen konnte. Sie sprang zurück und begann ziemlich genau Lord Howe's hornpipe, den bekannten Matrosentanz, auf der Trommel zu schlagen. Die Melodie dazu sang sie mit klarer, glockenreiner Stimme, und die Mädchen strömten herbei. Den Klängen konnten auch die Matrosen nicht widerstehen. Nach den raschen Takten stampften sie über den Rasen und schwenkten und warfen ihre Hüte dabei.

Aber die Europäer ermüden bald, die Luft ist trotz der schattenspendenden Bäume zu heiß. Keuchend warfen sie sich auf den Boden, und die Mädchen sprangen um sie und bewarfen sie mit Blumen und Bananenschalen. Lauter und wilder tönte die Trommel. Ate-ate war von einer anderen abgelöst worden, lachende Männer- und Mädchenstimmen mischten sich in den jubelnden Chor. Die erhitzten Tänzerinnen haben schon Hut und Schultertuch abgeworfen, um sich Kühlung zu verschaffen. Dicht gedrängt stehen die Zuschauer aus der Nachbarschaft. Hochgeschürzte, halbnackte Mädchen werfen sich immer wieder in den wilden Reigen. Hei! Wie sie herüber und hinüber fliegen in wilder Lust, schneller und schneller, mit funkelnden Augen und wogender Brust, auf und ab von der Trommel und dem Jauchzen der Menge, bis sie erschöpft zusammenbrechen und andere, wildere, ihren Platz einnehmen.

Bunt sind die Tänzer, fast noch bunter die Zuschauer. Neben dem noch bis an die Zähne tätowierten alten Insulaner steht die würdige Matrone, die mit Seufzen zum Himmel sieht. Der alte Mann aber träumt von der Zeit, bevor die schwarzgekleideten Männer kamen. Schließlich kann sich auch die Matrone nicht mehr halten, sie erinnert sich an die frühere Zeit, wo sie selber die wilden Tänze angeführt hat, sich die Tapa von der Schulter riß und – Jehova stehe ihr bei, sie faltet erschrocken die Hände. Unter dem bunten, wehenden Kattun zuckt und zittert es ihr in den Beinen, der Teufel war stark und hat sie wieder gelockt.

In die Reihen der Umstehenden drängen sich jetzt lachend und schwatzend französische Seeleute und Marinesoldaten. Sie legen ihren Arm um die nächste und tanzen mit ihr. Im Taumel von Lust und Freude treibt sich die sorglose Schar hier mitten zwischen dem Volk umher, während die Mündungen ihrer Kanonen schon auf die armen Bambushütten gerichtet waren und ein Zufall den blutigen Kampf entzünden kann.

Aber was kümmert es die jungen Männer. Der Tag ist noch ihrer, die wilden Mädchen an ihrer Seite – wer sorgt sich da schon um den nächsten. Und wenn jetzt, in diesem Augenblick, die Alarmtrommel schlüge? So unmöglich war das nicht, und der Bootsmann horchte schon einmal erschrocken und rasch auf, aber bah, es ist die neue Aufforderung zum Tanz gewesen, und noch toller und rasender als vorher werfen sich die Unermüdlichen in den Tanz.

Der Bootsmann der »Jeanne d'Arc« und Jim, der Ire, hatten sich vom Tanz zurückgezogen. Der Franzose stand allein an den Stamm eines Brotfruchtbaumes gelehnt und sah mit verschränkten Armen dem wilden Tanz zu.

Jim war in seiner Nähe und wollte eben auf ihn zugehen, um wieder ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, als er am Arm gezupft wurde. Als er sich rasch umdrehte, machte ihm ein Matrose ein Zeichen zu folgen. Langsam und scheinbar absichtslos schlenderte er zu einem kleinen Guiavendickicht, das hier den nicht weit entfernten Bach begrenzte. Jim schaute sich vorsichtig um, ob er von keiner Seite beobachtet wurde, blieb noch eine Viertelstunde ruhig in seiner Stellung und folgte dann dem anderen. Etwa zwanzig Schritt im Dickicht hörte er einen leisen Pfiff, antwortete ebenso vorsichtig und befand sich wenige Minuten später dem fremden Seemann gegenüber. Der nahm ihn beim Arm und führte ihn weiter in den Wald hinein.

»Alle Wetter, Kamerad, was schleppst du mich eigentlich hier in den dicksten Busch, wo man sich die Augen an jedem Zweig ausrennen kann? Was willst du von mir, und wer bist du?« erkundigte sich Jim endlich und betrachtete seinen schweigsamen Führer aufmerksam.

»Wer ich bin, kann dir ziemlich egal sein, Dick Mulligan, wenn nur...«

»Dick Mulligan?« wiederholte Jim. Sosehr er sich auch beherrschen wollte, war ihm doch anzumerken, wie sehr er über den Namen erschrak. »Wer zum Teufel ist Dick Mulligan?«

»Pst, Dick, nicht so laut. Du brauchst dich nicht so zu genieren, wir beide kennen uns. Ich kann mich doch nicht so sehr verändert haben, daß du unter der braunen Haut nicht doch deinen alten Gefährten Jack erkennst?«

»Jack, bei allem, was da schwimmt!« rief Jim. »Aber woher kommst du denn und dann noch in dieser Jacke? Matrose an Bord eines französischen Kriegsschiffes...?«

»Das wäre eine langweilige Geschichte, wenn ich dir das alles auseinandersetzen müßte. Ich bin da, und vielleicht zu deinem Glück. Mensch, du hast dich nicht im geringsten verändert, siehst noch aus wie vor fünf Jahren und läufst hier so unbekümmert und gottvergnügt mit dem Bart und den Haaren in der Welt herum, als ob du nicht den Strick um den Hals trägst und jeden Augenblick gefaßt und vor Gericht geschleppt werden könntest. Wer dich einmal gesehen hat, vergißt dich doch in seinem Leben nicht mehr!«

»Laß die alten Geschichten. Kein Mensch hier hat eine Ahnung davon, weshalb das Aufheben?«

»Kein Mensch also? Weißt du, wer auf der ›Jeanne d'Arc‹ zweiter Leutnant ist?«

»Woher soll ich das wissen«, erwiderte Jim unruhig. »Du kannst dir ja wohl denken, daß ich mit den Offizieren irgendeiner Majestät sowenig wie möglich in Berührung komme. Wer ist es also?«

»Kein anderer als der junge Bursche, der uns damals in der Pomatu-Gruppe unseren schon sicher geglaubten Fang, den kleinen Perlenkutter, abjagte und dich dabei erwischte. Du entkamst ihm nachher, aber er hat dich doch beinahe acht Tage fest gehabt und kennt dich genau. Ich habe ihn die Geschichte zweimal an Bord erzählen hören, und er schwört darauf, daß er dich hängen sehen will, wenn er dir jemals im Leben wieder begegnet.«

»Unsinn, was kann er mir tun?« brummte Jim, bei dessen Namen wir bleiben wollen. »Wir wurden eben von unserer Beute vertrieben, aber das war doch auch weiter kein Beweis gegen mich.«

»Sie haben die beiden Leichen im Pandanusdickicht gefunden!« sagte Jack leise.

»Teufel!« knirschte Jim zwischen den Zähnen. »Das wäre allerdings fatal. Aber er hat keine Zeugen.«

»Mehr, als er braucht. Drei von den Jungen, die uns damals den Spaß verdarben, sind auf der ›Jeanne d'Arc‹. Du kannst dir denken, wie mir zwischen dem Gesindel zumute ist. Ein Glück, daß sie keine Ahnung haben, wie nahe wir schon einmal in Geschäftsverbindung gestanden haben.«

»Aber wie zum Henker bist du auf das französische Kriegsschiff gekommen?« erkundigte sich Jim noch einmal etwas mißtrauisch.

»Lieber Gott«, lachte Jack achselzuckend, »wie man bald das, bald das einmal versucht, um ehrlich durchzukommen. Ich machte in Marseille an Bord eines Dampfers eine Spekulation in silbernen Löffeln...«

»Pfui!« sagte Jim.

»Pfui? Mir ist nun mal angeboren, daß ich nicht müßig sein kann. Jedenfalls entstand da ein Mißverständnis, dem ich als Schwächerer zum Opfer fiel. Sie steckten mich erst ein und schickten mich dann zu meiner weiteren Ausbildung auf ein Kriegsschiff.«

»Und jetzt?«

»Und jetzt bin ich an Bord und sehe mich nach einer passenden Gelegenheit um, um meine Situation zu verbessern.«

»Weshalb desertierst du nicht?«

»Das ist eine böse Sache«, sagte Jim kopfschüttelnd. »Es kann gut, aber auch schlecht gehen. Ja, wenn es hier zum Ausbruch kommt. Aber eben wird ja alles ausgeliefert, was sich fremd am Ufer blicken läßt. Du kannst mir aber vielleicht helfen. Du gehörst zu dem Walfänger, der unten in der Bai liegt. Sind die Leute an Bord gut?«

Jim zögerte. einen Augenblick mit der Antwort und schielte seitwärts an seinem früheren Kameraden vorüber.

»Du überlegst ob ich dir da im Wege bin?« sagte der lachend.

»Nein, nein«, erwiderte der Ire rasch und vielleicht beschämt, daß seine Gedanken so schnell erkannt worden waren. »Ich wußte nur nicht gleich, was du damit meinst. Ja, der Kapitän ist gut genug. Mac Rally, du mußt ihn ja noch von früher kennen.«

»Mac Rally? Nein, unter dem Namen nicht, wie heißt er sonst? Du kannst mir trauen, alter Junge«, setzte er lachend hinzu, als er sah, daß Jim mit der Antwort zögerte. »Mir liegt viel daran, sicher von Bord des Franzosen zu kommen, und wenn ich selbst...«

»Aber warum schwimmst du nicht zu dem Engländer hinüber, der würde dich mit Vergnügen aufnehmen.«

»Weil ich dafür sehr gute Gründe habe, also Mac Rally.«

»Erinnerst du dich noch an Bill Kooney?« erkundigte sich Jim.

Jack pfiff leise vor sich hin und lachte verschmitzt.

»Bill Kooney, aber wie, zum Teufel, ist der zu dem Walfänger gekommen?«

»Das ist eine naive Frage«, sagte Jim. »Aber, mein Junge, wenn sich alles so verhält, wie du mir sagst, drücke ich mich am besten aus der Nachbarschaft. Ich muß so an Bord.«

»Wo treffen wir uns wieder? Ich möchte vorher genau wissen, wann ihr segelt, und mit Bill Kooney vielleicht einen Plan bereden.«

»Ich gehöre gar nicht mehr an Bord«, sagte Jim. »Daß ich Harpunier bin, habe ich deinem neugierigen Bootsmann nur aufgebunden.«

»Du gehörst nicht mehr an Bord? Teufel auch, da hast du wohl dein Geschäftsbüro jetzt an Land?«

»Zuweilen!« antwortete Jim ausweichend.

»Wie gehen die Geschäfte? Na, hab keine Angst«, setzte er rasch hinzu, als er sah, daß der neu gefundene Kamerad etwas verlegen wurde. »Ich komme dir dabei nicht ins Gehege. Ehrlich gesagt, bliebe ich aber auch lieber mal eine Weile auf festem Grund und Boden, um mich in dieser angenehmen Gesellschaft etwas auszuruhen. Donnerwetter, man lebt nur einmal auf der Welt, wozu sich dauernd schinden und placken wie ein Hund!«

»Ich weiß nicht, ob es dir hier gefallen würde«, sagte Jim.

»Das laß meine Sorge sein. Wenn ich nur erst glücklich irgendwo in den Bergen säße. Aber apropos, wenn man dich einmal hier am Ufer finden will, wo bist du am besten zu erfragen?«

»Kennst du einen Platz hier auf der Insel, den sie ›Mütterchen Tot's Hotel‹ nennen?«

»Nein, ich bin noch keine fünfzig Schritt vom Strand weg gewesen.«

»Du wirst ihn erfragen können. Jeder Matrose kennt ihn.

»Werde ich mir merken, und nun, good bye, unser Bootsmann könnte mich sonst vermissen. Also achte auf deinen Hals, Jim.« Leise vor sich hin lachend, verließ er den Freund und ging zurück.

»Hm«, sagte Jim leise und nachdenklich, als die Schritte des Kameraden aus früheren Tagen im dürren Laub verklangen. »Schönen Dank für die Warnung. Ich weiß aber noch nicht, ob mir mein Hals in deiner Gesellschaft sicher oder unsicher ist, mein alter Bursche, und fatalerweise ist der Versuch gefährlich. Nun, jedenfalls bin ich auf der Hut und vor dir ziemlich sicher, daß du nicht aus der Schule plauderst.« Mit einem vorsichtigen Blick umher schlug er sich in das Dickicht, um die Stadt auf einem anderen Pfad zu erreichen. Bald darauf verschwand er in den dichten Guiavenbüschen.


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