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Wie ein Lauffeuer hatte sich inzwischen das Gerücht in dem kleinen Ort verbreitet, daß man den Mörder des unglücklichen Johns entdeckt und gefangen habe. Alle Welt wußte sofort, daß er ein Engländer war, der in Australien entsprungen war oder sogar von der englischen Regierung als Deportierter hier herübergeschafft wurde. Daß er nun ohne weiteres an dem nächsten Baum aufgehängt werden müßte, verstand sich von selbst. Außerdem hatten die Leute an dem heutigen, unruhigen Tag nicht gearbeitet, sondern nur in den verschiedenen Zelten ihren Durst gelöscht. Dadurch befanden sie sich schon in einer aufgeregten Stimmung.
Die Rückkehr des Trupps, der gegen die Indianer ausgezogen war, vermehrte nur diese Stimmung. Die Beteiligten waren um so mehr gereizt, weil sie keinen einzigen Indianer, wie sie sich ausdrückten, ›zum Schuß bekommen konnten‹. Aber von überall aus schwer zugänglichen Felsschichten oder aus Büschen heraus waren Pfeile auf sie geflogen, deren Spitzen einige leicht verwundeten, ohne daß sie die Schützen entdecken konnten. Besonders Siftly war wütend, denn sie hatten sein Pferd an drei oder vier Stellen getroffen. Schließlich mußten sie die Verfolgung ohne Resultat aufgeben. Die Indianer zogen sich in die Berge zurück, und es wäre gefährlich für sie gewesen, ihnen in den steilen Schluchten noch länger zu folgen. Herabbröckelnde Steine und Felsblöcke bedrohten sie von allen Seiten und zeigten ihnen, daß der wachsame Feind alle Höhen besetzt hatte und für sie unerreichbar blieb.
Siftly hatte sich am äußersten Ende des Paradieses ein Zelt errichtet, in dem er nur mit Smith ein Spiellokal betreiben wollte. Es war von den letzten Wohnungen nur durch ein paar ausgehobene, aber jetzt nicht mehr bearbeitete Gruben getrennt. Dadurch hatte er sich von der Konkurrenz abgesetzt. Er kannte seine Leute gut genug und wußte, daß sie bei ihm zusammenströmen würden, wenn Manuela dort spielte. Wenn die Männer auch keinen Sinn dafür hatten, hörten sie doch gern Musik, und schon das Neue der Sache hätte sie unwiderstehlich angezogen. Dort beschäftigte er sich jetzt mit seinem Pferd. Er hatte den Sattel abgenommen und wusch ihm die verwundeten Stellen mit Branntwein aus. Dabei fluchte er kräftig vor sich hin. Da kam Boyles die Straße herauf und blieb neben ihm stehen. Zuerst nahm der Spieler keine Notiz von ihm, denn er war ärgerlich, daß gerade Boyles sich nicht seinem Zug angeschlossen hatte. Er war auch ärgerlich über den mißglückten Zug selbst und ärgerlich über die ganze Welt. Boyles ging aber trotzdem nicht von der Stelle, sah ihm eine Weile zu und sagte dann:
»Siftly, ich bin gekommen, um Ihnen mit bestem Dank das neulich geborgte Gold zurückzuzahlen.«
»Den Dank können Sie sich sparen«, brummte der Spieler. »Geben Sie mir das Gold, Sie scheinen doch lieber draußen zu hacken und zu graben, als auf leichtere Art das Glück zu zwingen. Na ja, jeder nach seiner Neigung oder seinen Fähigkeiten.«
»Sie haben recht«, sagte Boyles ruhig. »Ich tauge nicht zum Spieler, das hat mir Smith neulich bewiesen, und deshalb überlasse ich das Geschäft lieber geschickteren Leuten. Hier sind die vier Unzen im Beutel, Sie können es nachwiesen, es wird gerade passen.«
»Schon gut«, sagte Siftly und steckte das Gold gleichgültig in seine Tasche. »Gehen Sie da hinten vom Pferd weg. Der Branntwein brennt in seinen Wunden, und es tritt aus.«
»Sie scheinen also doch mit den Indianern zusammengetroffen zu sein?«
»Gott verdamme die Hunde! Aber was geht Sie das an? Sie hatten ja Ihre Haut in Sicherheit.«
Boyles antwortete nichts darauf und sah eine Weile schweigend dem Mann zu. Endlich nahm er das Gespräch wieder auf. »Hier im Camp ist inzwischen allerlei passiert.«
»Ich weiß«, brummte der andere. »Sie haben Johns Mörder erwischt. Bin nur neugierig, wer die feine Nase gehabt hat.«
»Dieser Cook«, sagte Boyles. »Er hatte mit Johns eine Weile gearbeitet und kannte einen Teil des Goldes, das der Ermordete bei sich hatte. Besonders ein gut erkennbares Stück war darunter, das er im Besitz des Fremden fand. Daraufhin ist der Mann verhaftet worden.«
Siftly hatte mit seiner Arbeit aufgehört. Er stützte seinen rechten Ellbogen auf das Pferd und blickte den Erzähler überrascht und aufmerksam an.
»Ein besonderes Stück?« lachte er endlich. »Das müßte wirklich besonders sein, wenn er da eins von den anderen unterscheiden könnte.«
»Er will darauf schwören.«
»Dann werden sie ihn hängen«, lachte der Spieler gleichgültig. »Was kümmerts mich! Verdamm die Fremden, so ist einer weniger da!«
»Wissen Sie, Siftly«, sagte aber Boyles, während er sich umsah, ob niemand in der Nähe war. »Wissen Sie, was das... ist jemand in Ihrem Zelt?«
»Nein – warum?«
»Wissen Sie, was das für ein Stück Gold war, wegen dem er verhaftet wurde?«
»Ob ich das weiß? Sind Sie verrückt oder betrunken? Wie soll ich das wissen?« höhnte der Spieler.
»Eins von denen, die Sie mir neulich morgens geborgt haben«, fuhr Boyles fort, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen.
»Ich?« rief Siftly und fuhr wütend auf. »Haben Sie Lust, mich in die Geschichte mit hineinzuziehen, nur wegen einer fixen Idee, die sie sich in den Kopf setzen? Verdammt, Boyles, dann wäre es für Sie besser, Sie hätten Kalifornien nie in Ihrem Leben betreten!«
Der Blick, den er dabei dem jungen Mann zuschleuderte, war so drohend und voll wilder Leidenschaft, daß der fast unwillkürlich davor zurückschrak. Aber er mußte das loswerden, was ihm seit einer Stunde mit schwerer Sorge auf der Seele lag. Er mußte wenigstens für sich selbst Gewißheit haben. Deshalb fuhr er mit ruhiger, aber doch zitternder Stimme fort:
»Mißverstehen Sie mich nicht, Siftly. Sie waren immer freundlich zu mir, und ich wäre der letzte, der Sie in eine unangenehme Geschichte verwickeln will. Aber eine Frage müssen Sie mir beantworten, nur mir allein, keinem Menschen sonst. Alles übrige überlassen Sie dann mir.«
»Erst verraten Sie mir, wer Ihnen eine solche fixe Idee in den Kopf gesetzt hat.«
»Welche?«
»Daß Sie das Gold von mir bekommen haben. Und wie kam es später in die Hand des Fremden?«
»Ich kaufte ihm sein lahm gewordenes Pferd ab.«
»Lahm geworden?« fragte Siftly, der aufmerksam wurde. »Der vermeintliche Mörder ist ein Engländer, wie?«
»Ja, ein noch junger Mann.«
»Das Pferd war ein Brauner mit weißem Stern und, wenn ich mich nicht irre, einem weißen Hinterbein.«
»Allerdings, haben Sie es früher schon gesehen?«
Ein boshaftes, höhnisches Lächeln zuckte um Mund und Augen des Mannes, als er vor sich hinbrummte:
»Also der Bursche ist es, dem hätte ich ein ähnliches Ende prophezeit. Aber es geschieht ihm recht, warum kommt er hierher!«
»Also kennen Sie ihn?«
»Nur vom Sehen. Und der hat geschworen, daß er das Gold von Ihnen bekommen hat?«
»Nein, das hat er nicht. Er hat sogar gesagt, er könne es nicht beschwören, da er in der letzten Zeit mehrere Sachen verkauft und das Gold nicht genau angesehen hat. Aber er glaubt, daß es unter dem Gold war, das er von mir erhalten hätte, und der Sheriff stellte mich deshalb zur Rede.«
»Hale? So? Und Sie?«
»Siftly«, sagte der junge Mann und drehte sich halb von dem Spieler ab, denn er schämte sich für sein Rotwerden. »Ich... gab ausweichende Antworten... ich sagte dem Sheriff, daß ich das Stück Gold nicht kenne.«
»Na? Dann ist doch alles in Ordnung«, lachte Siftly. »Was wollen Sie mehr?«
»Was ich mehr will?« sagte Boyles erstaunt. »Sie vergessen, daß sie durch den Beweis des gefundenen Goldes den Unglücklichen hängen können.«
»Das ist ihre und seine Sache«, brummte der Spieler, nahm seinem Tier den Zaum ab und trat zur Seite, um es frei laufen zu lassen.
»Aber der Mann ist unschuldig«, flüsterte Boyles.
»Und woher wissen Sie das?« fragte Siftly kalt.
»Siftly, bei Gott, das Stück Gold habe ich von Ihnen bekommen«, versicherte Boyles fest, wenn auch mit unterdrückter Stimme. »Ich kenne es zu genau, denn es gefiel mir so, daß ich es behalten und später eine Tuchnadel daraus machen wollte. Hätte ich es getan! Heute morgen dachte ich aber nicht daran, ich dachte nur an das Pferd, mit dem ich einen guten Kauf gemacht habe.«
»Und was wollen Sie jetzt von mir?« unterbrach ihn Siftly, und wieder sah er ihn mit dem drohenden Blick an.
»Sie fragen, woher Sie das Stück Gold bekommen haben.«
»Um mich nachher ebenfalls vor diese langweilige Jury zu bringen, he?«
»Habe ich nicht gesagt, daß ich selbst den Besitz des Goldes verleugnet habe?«
»Ach, ich vergaß!« lachte der Spieler. »Also nur für Ihre eigene Beruhigung wollen Sie die Frage beantwortet haben?«
»Ja.«
»Nun, den Gefallen kann ich Ihnen tun, wenn Sie das beruhigt. Ich glaube doch nicht, daß Sie wahnsinnig genug sind und mich etwa für den Mörder halten. Das Gold, das ich Ihnen an dem Morgen geborgt habe, habe ich am Abend vorher einem Mexikaner drüben im Cedar valley abgenommen.«
»Und kennen Sie den Mann?«
»Kennen? Woher soll ich ihn kennen? Ich habe auf sein Gold und seine Karten und Finger gesehen, nicht auf sein Gesicht. Weiß der Henker, diese Señores sehen sich alle ähnlich.«
»Aber dann«, rief Boyles, dem sich bei der Antwort eine Zentnerlast von der Seele wälzte, »kann man ja auch dem armen Teufel helfen, dem der Strick schon verdammt nahe am Hals sitzt. Wenn ich Hale...«
»Sie sind wohl verrückt«, rief Siftly finster. »Mich wollen Sie in diese Angelegenheit verwickeln, einem der verdammten Fremden herauszuhelfen? Nicht schlecht. Was glauben Sie wohl, wie ich den Mexikaner wieder auffinden soll, von dem ich das Gold bekommen habe? Soll ich mich so lange in Untersuchung herumschleppen lassen? Verdammt will ich sein, wenn ich's tue.«
»Aber Sie können doch nicht wollen, daß der Fremde unschuldig gehängt wird, Siftly?«
»Unschuldig? Wissen Sie, ob es unschuldig geschieht? Er ist doch einer der englischen Verbrecher, Räuber und Mörder, mit denen die Staaten überschwemmt werden. Ob er hier oder in San Francisco gehängt wird, ist egal. Ich versichere Ihnen aber, daß ich nicht bereit bin, für ihn einzutreten. Wenn Sie es wagen, dem Sheriff meinen Namen zu sagen, werden Sie auch die Folgen tragen.«
»Ich?«
»Wie wollen Sie mir beweisen, daß Sie das Gold von mir bekommen haben, he? Oder haben Sie etwa den Mississippisumpf schon ganz vergessen?«
»Siftly, an dem Tod des Mannes war ich unschuldig«, rief Boyles, und sein Gesicht wurde aschfahl. »Sie wissen das auch, Sie müssen das wissen, und hätte ich eine Minute früher von der Absicht des Mannes eine Ahnung gehabt, wäre es nicht geschehen, jedenfalls nicht in meiner Gegenwart.«
»Sie haben also den Tag doch noch nicht ganz vergessen?« lachte Siftly.
»Und wenn ich tausend Jahre alt würde«, stöhnte zusammenschaudernd der junge Mann. »Ich könnte ihn nicht vergessen.«
»Um so besser für Sie«, sagte Siftly trocken. »Der Mann war ein Verräter, und wenn Sie wissen, was für Sie gut ist, halten Sie den Mund und lassen die Welt ihren Gang gehen, den Sie nun doch nicht ändern können. Soviel verspreche ich Ihnen aber: Wenn Sie mit dieser wahnsinnigen Anklage gegen mich auftreten oder anderen nur einen Hinweis deswegen geben, dann fühle ich mich auch nicht länger gebunden zu schweigen. Und mit einem solchen Beweis gegen Sie wollen wir doch einmal sehen, für was sich die Jury entscheiden würde.«
»Aber Siftly, um Gottes willen!«
»Geh zum Teufel!« rief der Spieler. »Das sind Freunde, hahaha! Das Sprichwort stimmt wirklich, daß einer mit seinen Feinden eher fertig werden kann. Machen Sie, was Sie wollen. Dem Sheriff haben Sie schon gesagt, daß Sie das Gold nicht kennen und daß es der Fremde nicht von Ihnen erhalten hat. Jetzt gehen Sie wieder zu ihm und erzählen Sie ihm, es wäre Ihnen gerade eingefallen, daß ich der frühere Besitzer sein könnte, weil ich vor ein paar Tagen dumm genug gewesen war, Ihnen Gold zu borgen. Lassen Sie mich dann gegen Sie auftreten, und wir wollen dann doch einmal sehen, für wen sich die Jury am meisten interessieren wird. Unsere eigene Rechnung machen wir dann später miteinander ab.« Ohne auf eine Antwort des Mannes zu warten, griff er Sattel und Zaumzeug auf und trug alles in sein Zelt.
Boyles wartete noch eine Weile, aber der Spieler kam nicht zurück. So wollte er sich jedoch von dem Mann, den er weit mehr fürchtete als liebte, nicht trennen. Zögernd und unschlüssig, wie er immer war, betrat er endlich nach ihm das Zelt. Eine Viertelstunde blieb er drin, dann kamen die beiden heraus. Siftly hatte seinen linken Arm auf Boyles Schulter gelegt, und langsam gingen sie in die Stadt hinunter.
Überall standen hier einzelne Gruppen zusammen, die die Vorgänge des ereignisreichen Tages besprachen. Zuerst hatte man sich noch für die Mexikaner interessiert. Aber die hatten vielleicht befürchtet, daß die Amerikaner sie noch einmal mit einbrechender Nacht angreifen würden. Oder sie hatten sich auch geschämt und wollten nach ihrer heutigen Niederlage nicht länger hierbleiben. Jedenfalls waren kurz nach Mittag die letzten die Flat hinab in die Berge gezogen und keiner mehr von ihnen zu sehen. Seit sie verschwunden waren, nahm der gefangene Mörder des Amerikaners die Aufmerksamkeit der Leute in Anspruch. Daß er es wirklich war, daran zweifelte kein Mensch. Siftly trennte sich hier von Boyles und blieb bei verschiedenen Gruppen stehen, um zu hören, was über den Fall gesprochen wurde. Die Männer waren alle der Ansicht, daß die Jury am nächsten Morgen zusammentreten würde, und gegen Abend konnte man ihn dann hängen. Was nämlich die Auslieferung an das District Court betraf, so schwor Briars mit seinen Genossen, daß sie verdammt sein wollten, wenn das geschehen sollte. Sie wären hier Manns genug, um mit solch einem australischen Sträfling fertig zu werden. Wenn die Advokaten in dem District Court Futter wollten, sollten sie es sich selbst besorgen.
Mit dem, was er hörte, war er ziemlich zufrieden und sogar weit besserer Laune als vorher. Jetzt dachte Siftly auch an seine eigenen Pläne, und für die brauchte er vor allen Dingen Hetson, den er auch ohne weiteres aufsuchte. Die Sonne war schon hinter den waldigen Bergen verschwunden. Als das letzte rosige Licht die höchsten Wipfel der Zedern und Kiefern erreichte und den Wald grau färbte, legte sich auch die Nacht mit dunklem Schleier auf das Tal. Als Siftly das Zelt des Alkalden betrat, war es im inneren Raum schon fast dunkel. Beim Zurückwerfen der Leinwand erkannte er die noch immer am Tisch sitzende Gestalt des Freundes.
»Hetson, schläfst du?«
»Nein, bist du das, Siftly?«
»Ja, aber weshalb sitzt du hier im Dunkeln und träumst? Zünde ein Licht an, oder noch besser, mach mit mir einen Spaziergang durch die Stadt. Ich möchte etwas mit dir bereden, was die Nachbarzelte nicht zu wissen brauchen.«
Ohne etwas zu erwidern, blieb Hetson noch eine Weile in seiner Stellung. Endlich stand er auf, ergriff seinen Hut und folgte dem vorausgehenden Spieler ins Freie.
Hier schob Siftly ziemlich ungeniert seinen Arm in den des Richters und schlenderte mit ihm die Straße hinab.
»Ich habe schon heute morgen mit dir über den Vertrag gesprochen, den ich mit deinem alten Spanier wegen Manuelas Spiel abgeschlossen habe. Ich möchte dich jetzt bitten, dem Mädchen zu befehlen, daß sie sich in etwa einer Stunde bereithält. Sie wird hoffentlich keine Umstände machen.«
»Du hast schon mit mir darüber gesprochen?« sagte Hetson und sah ihn erstaunt an.
»Allerdings«, lachte Siftly, »aber du hattest gerade andere Dinge im Kopf und hast es vielleicht überhört. Die Sache ist ganz einfach, denn Señor Ronez...«
»Ich kenne die Einzelheiten«, unterbrach ihn Hetson, »und zwar von Don Alonso selbst. Übrigens ist es gut, daß du das Gespräch darauf bringst, denn auch ich habe eine Bitte an dich.«
»Und die wäre?« sagte Siftly, die Augenbrauen finster zusammenziehend.
»Einfach die. Don Alonso hat mit dir gespielt, obwohl ich dich dringend gebeten hatte, den unglücklichen Mann nicht mehr dazu zu verleiten.«
»Verleiten? Was kümmert mich der Spanier? Wenn er so ein Narr ist, mir sein Geld zu bringen, soll ich es zurückweisen? Hat er nicht dieselbe Chance wie ich, um meins zu gewinnen?«
»Wir wollen darüber jetzt nicht streiten«, entgegnete Hetson ruhig. »Don Alonso konnte auch sein Gold verspielen, soviel er wollte. Aber er hatte etwas auf eine Karte gesetzt, worüber er kein Recht hat: die Freiheit seiner Tochter.«
»Pah, Freiheit!« lachte Siftly. »Keiner will sie ihm abkaufen, es handelt sich nur um ein paar Stunden, die sie abends in meinem Zelt spielen soll. Übrigens ist Manuela noch nicht mündig, und deshalb steht ihm schon ein Recht über sie zu!«
»Auch das wollen wir hier nicht erörtern«, sagte Hetson. »Meine Bitte an dich ist, dem Spanier seinen Einsatz nachzusehen und dafür das an barem Geld anzunehmen, was du gegen ihn gewagt hast.«
»Verdammt, wenn ich's tue!« rief Siftly und ließ Hetsons Arm los. »Wir sind beide keine Kinder mehr, die um Bohnen oder Pfennige spielen. Wir beide wußten genau, was der Satz bedeutete, ehe die Karten fielen. Daß es ihn jetzt gereut, ist seine Sache, nicht meine.«
»Manuela weigert sich zu spielen.«
»Das habe ich mir so schon gedacht«, lachte Siftly, »die alte Geschichte. Aber das wird ihr hier genausowenig helfen wie in San Francisco. Dafür haben wir die Gesetze, damit für uns Amerikaner das Recht den Fremden gegenüber aufrechtgehalten wird.«
»Du könntest dich in diesem Falle irren«, erwiderte Hetson. »Unsere kalifornischen Gesetze stimmen nicht völlig mit denen der Vereinigten Staaten überein. Zugunsten der spanischen Rasse, den früheren Eigentümern des Bodens, ist manches geändert oder nachsichtig behandelt worden, was in ihre Sitten und Gewohnheiten eingreift. Nimm allein das Glücksspiel selbst, das drüben in den Staaten bei schwerer Strafe verboten ist, während es hier den Gesetzgebern gar nicht einfällt, es zu verhindern.«
»Sie wissen auch, warum«, lachte der Spieler. »Sie sollten es versuchen! Aber was streiten wir uns hier um Spreu. Die Sache ist abgemacht, unter volljährigen, vernünftigen Männern abgemacht und zehn oder zwölf Zeugen außerdem dabei. Es ist unnötig, ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Tu mir also den Gefallen und stauch die junge Dame etwas zurecht, damit sie ihr albernes Sträuben aufgibt, ändern kann sie doch nichts mehr.«
»Wenn ich dich aber nun bitte, mir zuliebe von deinem vermeintlichen Recht abzusehen und die Sache in Güte beizulegen? Wir haben jetzt genug Unruhe im Lager, um sie nicht noch unnötig zu vergrößern.«
»Dann tut es mir leid, dir die Bitte abschlagen zu müssen«, sagte Siftly trocken. »Ich befinde mich im Recht, und wenn es nicht anders geht, will ich das stolze Mädchen zwingen, sich zu fügen.«
»Du verweigerst also den Einsatz, den ich dir voll und sofort auszahlen würde?«
»Den Einsatz verweigere ich allerdings«, erwiderte Siftly, »und verlange, daß das Mädchen heute abend in meinem Zelt spielt.«
»Dann tut es mir leid, dir mitteilen zu müssen, daß das nicht geschehen wird«, sagte Hetson ruhig. »jedenfalls nicht, solange ich hier Alkalde im Paradies bin.«
»Du vergißt dabei, durch wen du es geworden bist«, rief Siftly in rasch aufloderndem Zorn.
»Durch wen? Durch die Wahl der Bürger«, lautete die kalte Antwort.
»Die aber niemals auf dich gefallen wäre, wenn ich sie nicht gelenkt hätte«, zischte Siftly. »Bedenke, daß ich das, was ich aufgerichtet, auch wieder zerstören kann.«
»Ich glaube, du mutest dir da mehr Kräfte zu, als du wirklich besitzt«, lächelte der junge Mann. »Wenn es auch wirklich so wäre, was machts? Solange ich hier diese Ehrenstelle bekleide, werde ich auch ihre Rechte wahren.«
»Etwa damit, daß du die Rechte der Amerikaner unter die Füße treten willst? Eine verdammt pfiffige Auslegung deiner Stelle. Ich befürchte fast, daß du dabei etwas zuviel auf deine Macht und deine eigenen Kräfte vertraust. Sollte dich dein heutiger, unerwarteter Erfolg so übermütig gemacht haben? Denk daran, daß du noch nicht am Ziel bist!«
»Die Mexikaner sind zerstreut«, sagte Hetson gleichgültig. »Sie werden es unterlassen, mit uns noch einen zweiten Versuch zu wagen.«
»Ich rede nicht von dem feigen Gesindel«, sagte finster der Spieler. »Wenn ihr nur ein Gewehr zwischen den Zelten abgefeuert hättet, wäre der Erfolg der gleiche gewesen.«
»Von was sonst?« sagte Hetson, aufmerksam werdend.
»Von deinem glücklichen Fang«, erwiderte Siftly, »zu dem ich dir unter anderen Umständen herzlich gratuliert hätte.«
»Ich weiß nicht, wie ich diesen sogenannten Fang glücklich nennen soll«, sagte Hetson finster. »Ich selbst habe aber damit nichts zu tun. Der Mann untersteht dem Gesetz und wird frei oder bestraft, je nachdem, ob man ihn schuldig findet.«
»Ja, wir kennen das«, lachte der Spieler. »Aber wenn er nun frei ausgeht? Wenn er durch diese ›unschuldige‹ Gefangenschaft und Lebensgefahr für deine Frau noch viel interessanter, viel lieber geworden ist? Bei den Frauen spielt nun einmal das Mitleid fast noch eine größere Rolle als die Liebe...«
»Siftly!«
»Stell dir vor, ich trete selbst auf und bezeuge, daß der Bursche das Gold von mir bekommen hätte! Ich habe doch gerade in der letzten Zeit in den verschiedenen benachbarten Minen von den Mexikanern viele merkwürdig geformte Goldstücke gewonnen. Kann das nicht dabeigewesen sein? Glaubst du, einer würde die Frechheit haben, mich des Mordes zu beschuldigen? Stell dir vor, daß ich das deiner Frau zuliebe täte?«
»Siftly«, sagte Hetson, blieb stehen und ergriff den Arm des Spielers. »Ich weiß nicht, ob du fähig wärst, eine falsche eidliche Aussage zu machen. Ich glaube, du machst dich da in deinem Übermut schlechter, als du bist. Bist du aber imstande, mir den wahren Beweis dafür zu bringen, daß der unglückliche Mann unschuldig ist, dann würde ich dir mit vollem Herzen danken.«
Siftly sah den Mann erstaunt an, als ob er hinter den Worten eine List vermutete. Dann aber rief er plötzlich aus:
»Wahnsinnig genug wärst du, und der Teufel soll aus dir klug werden. Aber jetzt zum letzten Mal: Willst du mir kraft deines Amtes und deiner Autorität zu meinem Recht verhelfen?«
»Nein, das ist mein letztes Wort.«
»Also soll ich mir selber helfen?«
»Versuchs, aber beim ewigen Gott, wer mein Zelt ohne meine Erlaubnis oder gewalttätig betritt, stirbt von meiner Hand!«
»Pah«, lachte der Spieler verächtlich. »So viel für deine Drohung! Aber du verweigerst den Frieden mit mir, also nimm, was du haben willst: Krieg. Aber daß wir noch Männer im Lager haben, will ich dir beweisen!«
Damit schlug er seine Zarape um die Schultern und ließ den Richter allein stehen. Rasch ging er die dunkle Straße hinauf zu Kentons Zelt.
Graf Beckdorf führte inzwischen seinen wieder getroffenen Freund in das Tal hinauf. Hier war Fischer trotz der indianischen Unruhe und dem ganzen wilden Treiben um ihn her ruhig an der Maschine geblieben und hatte weitergearbeitet. Der Streit, den die Indianer mit den Amerikanern hatten, interessierte ihn, aber doch nicht so sehr, daß er deshalb seine Arbeit versäumte. Seine Dienste als Dolmetscher wurden im Paradies auch nicht mehr benötigt, denn der jetzige Alkalde sprach besser Spanisch und Französisch als er selbst. So konnte er getrost die beiden Parteien für sich lassen, ohne sich weiter zu bemühen. Mit einiger Ungeduld hatte er aber die Rückkehr Beckdorfs erwartet. Ohne sein Schaufeln zu unterbrechen, ließ er sich jetzt die Vorgänge im Paradies bis in die kleinsten Details erzählen. Nur als Beckdorf ihm von dem Zug gegen die Indianer erzählte, lachte er und meinte:
»Die können genausogut versuchen, ihren eigenen Schatten zu fangen. Dafür, daß sie dem Falschspieler die Ohren abgeschnitten haben, mag ich sie jetzt noch lieber als früher!«
Die jungen Männer unterhielten sich, und Lanzot half seinem Freund, die Erde auszugraben und zu der Maschine zu tragen. Das war sein Anfang in der edlen Kunst des Goldgrabens, in dessen Geheimnisse er gleich eingeweiht werden sollte. Da sie nach den Ereignissen einen interessanten Abend im Lager erwarten konnten, beschlossen Fischer und Beckdorf, heute keinen neuen Platz mehr anzufangen, sondern Feierabend zu machen, wenn dieser ziemlich ergiebige Platz ausgewaschen wäre. Abends wollten sie sich wieder im Zelt des Elsässers treffen. Fischer ging dann direkt nach Hause, während Beckdorf mit Lanzot noch einen Spaziergang zum oberen Teil der Flat machte, um erst an der anderen Seite des ›roten Bodens‹ wieder das Paradies zu betreten.
Lanzot hatte inzwischen alles erzählen müssen, was ihm passiert war und was ihn nach Kalifornien getrieben hatte. Dann gab ihm Beckdorf humorvolle Skizzen seines Minerlebens und beschrieb die skurrilen Charaktere, mit denen sie hier zusammentrafen.
»Ein eigenartiges Land bleibt es immer«, sagte Lanzot. »Ich werde nie bereuen, es gerade in dieser Anfangszeit erlebt zu haben. Später wird sich das alles wieder normalisieren, und diese eigenartigen Menschen werden sich mit anderen aus den Staaten vermischen. Aber jetzt erleben wir noch das urwüchsige Kalifornien, wie es ein glücklicher Fund aus der Erde hervorgezaubert hat. Nimm einmal ein ganzes Land von Männern wer hätte das früher für möglich gehalten, und doch existiert es hier vor unseren Augen!«
»Halt, da nehm ich unser Paradies in Schutz«, rief aber Beckdorf. »Es zeichnet sich nämlich zu seinem Vorteil vor fast allen anderen Minenstädten aus. Neben ein paar sehr anständigen Backwoodsfrauen, die mit ihren Männern über die Felsengebirge gekommen sind, haben wir auch ein paar wirkliche Damen hier, und nicht nur etwa zwielichtige!«
»Wirklich?« sagte Lanzot. Hätte ihn Beckdorf jetzt angesehen, hätte er sich vielleicht eine Erklärung ersparen können. »Ach ja, jetzt erinnere ich mich, Mr. Hetson, ein Amerikaner hat seine junge Frau mit in die Minen gebracht.«
»Und eine sehr liebe Spanierin ist in ihrer Begleitung«, sagte Beckdorf. »Auch sie gehört nicht zu der Sorte, die wir hier öfter antreffen, sondern zu einem höheren Stand. Sie soll außerdem wunderbar schön die Violine spielen. Vor ein paar Minuten ging sie dort drüben mit ihrem Vater in des Zelt des alten Amerikaners, dessen Frau krank ist.«
»Wo?« rief Lanzot rasch. »Ich habe niemand gesehen.«
»Weil du immer zur Stadt siehst. Wenn wir uns hier etwas aufhalten, können wir sie zurückkommen sehen. Soviel ich weiß, bringt sie der alten Frau da drüben manchmal eine Stärkung.«
»Du sagst, sie spielt Violine?«
»Sie soll Violine spielen, gehört habe ich sie noch nicht.«
»Dann ist es vielleicht dieselbe, die ich in San Francisco gekannt habe, und ihr Vater heißt Señor Ronez.«
»Ganz recht«, versicherte Beckdorf. In seiner ahnungslosen Gutmütigkeit gab er die Bestätigung für etwas, was Lanzot viel besser wußte als er selbst. »Tatsächlich, da kommen sie. Bieg hier links ab, Emil, da treffen wir auf dem Fußpfad mit ihnen zusammen.«
Wie Beckdorf gesagt hatte, brachte Manuela der in der Nähe wohnenden kranken Frau einige Erfrischungen. Aus Angst vor dem Spieler mußte sie aber ihr Vater begleiten. Sie hielt sich auch nur kurz auf, um die Sachen abzugeben. Auf dem Heimweg zu den etwa zweihundert Schritt entfernten Zelten der Stadt sah sie nicht von ihrem Weg auf, sondern ging rasch und ängstlich an der Seite ihres Vaters. Die beiden näher kommenden Männer hatte sie gehört, wagte aber nicht, zu ihnen aufzusehen. Auch Don Alonso achtete nicht auf sie, bis er durch den Ausruf »Hallo, Señor!« aufschrak. Kaum hatte er jedoch den alten Freund erkannt, als er auch stehenblieb und ihm die Hand entgegenstreckte.
»Don Emilio, welcher gute Stern führt Sie wieder in unsere Nähe?«
»Don Emilio?« flüsterte Manuela leise und wurde dabei rot. Sie durfte aber nicht unfreundlich sein und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen und begrüßte ihn herzlich. Und wieviel hatten sich die Leute jetzt zu sagen, von denen Lanzot vorher nur wie von einer flüchtigen Bekanntschaft gesprochen hatte! Alle beide waren rot geworden, und das Mädchen sah ihn mit einem seelenvollen Blick an. Beckdorf verstand leider außer einigen Wörtern kein Spanisch und spielte deshalb bei der Unterhaltung keine sehr geistreiche Rolle. Aber Lanzot hatte seine Existenz völlig vergessen, denn seine Augen hingen an den Lippen Manuelas. Sie erzählte ihm von der Gefangenschaft des Engländers und dem Verdacht, unter dem er ungerechtfertigt stand. Aber was konnte er als vollkommen Fremder dabei tun?
Alles, meinte Manuela, wenn er selbst mit dem Gefangenen sprach, der sonst keinen Freund in der Stadt hatte. Soviel sie gehört hatte, brauchte er Zeugen, und niemand wollte sie herbeischaffen, obwohl schon am nächsten Tag die furchtbare Jury zusammentreten sollte. Er konnte da helfen, hatte er ihnen doch auch so oft geholfen, setzte sie mit einem lieben Lächeln hinzu. In diesem Augenblick war Lanzot fest entschlossen, für sie zu reiten, wohin sie ihn schicken würde. Schon ihre nächsten Worte bannten ihn wieder an ihre Seite. Sie erzählte von Siftly, wie er hierherkam, ihren Vater wieder im Spiel betrogen hatte und sie jetzt gewaltsam zum Spielen zwingen wollte. Sie hoffte nur noch auf den Schutz des Alkalden, wenn der sie schutzlos ließ, war sie verloren.
»Nicht ganz, Manuela«, sagte Lanzot herzlich. »Zuerst wollen wir jetzt den Gefangenen besuchen und sehen, was sich für den armen Teufel tun läßt, und dann...«
»Wenn Sie ihn retten, bin ich Ihnen ewig dankbar!« bat das junge Mädchen. Dann hakte sie sich bei ihrem Vater ein und eilte zu ihrem Zelt zurück.
So süß und lieb ihre letzten Worte auch klangen, hatten sie in Lanzots Brust doch einen bösen Stachel zurückgelassen. Was bedeutete ihr der Fremde, wenn sie so großen Anteil an seinem Schicksal nahm? Sie vergaß ganz ihre frühere Schüchternheit und bat ihn, daß er sich für den Mann einsetzen sollte. Nur einer konnte ihm darüber Auskunft geben – Doktor Rascher. Ihn aufzufinden war jetzt das Wichtigste. Beckdorf, der noch keine Ahnung von der Gefangennahme des Engländers hatte, wollte Lanzot eben wegen seiner genauen Bekanntschaft mit der Dame necken, über die er vorher so gleichgültig gesprochen hatte. Mit wenigen Worten erzählte ihm aber der Freund die Vorgänge des Nachmittags und von dem Interesse, daß die Familie Hetson am Schicksal des Gefangenen hatte. Von Manuela sagte er nichts. Beckdorf war sofort bereit, ihn zu unterstützen. Es dunkelte bereits, und wenn sie heute noch etwas unternehmen wollten, war es höchste Zeit dafür.
Doktor Rascher hatte sich in der Nähe des Platzes, an dem die Deutschen lagerten, in einem Zelt eingemietet. Dahin gingen die beiden jetzt, fanden ihn aber nicht und kehrten deshalb in die Stadt zurück, um in verschiedenen Zelten nachzuforschen. Möglich, daß er ebenfalls von einem der Deutschen zu dem Elsässer eingeladen war, bei dem sie sich abends oft versammelten. Als sie die Straße hinaufgingen, begegnete ihnen ein Mann, der in eine Zarape gehüllt war. Es war schon zu dunkel geworden, um sein Gesicht deutlich zu erkennen. Aber die Gestalt und der Gang fielen Lanzot auf.
»Den Burschen sollte ich kennen, weißt du, wer es war?«
»Der größte Lump, der je auf amerikanischen Boden aufwuchs«, antwortete er. »Ein Spieler, der sich Siftly nennt.«
»Ich dachte es mir. Aber zum Teufel auch... was war das?«
Eine dunkle Figur kam die jetzt fast leere Straße rasch herunter, rannte fast gegen sie und glitt, als sie die beiden Männer bemerkte, wie eine Schlange zwischen die nächsten Zelte.
»Hm«, murmelte Beckdorf vor sich hin und sah der Gestalt erstaunt nach. »Das kommt einem ja fast so vor, als hätte der Bursche kein ganz reines Gewissen. Er sah fast wie ein Chinese aus. Aber die haben doch unsere Flat schon seit einigen Tagen verlassen und kommen nie nach Dunkelwerden in die Stadt. Wir wollen doch einmal sehen, wo der Bursche geblieben ist, ob er noch zwischen den Zelten steckt oder in die rote Flat gelaufen ist. Bleib du hier, ich gehe drüben herum und treibe ihn zurück.«
Beckdorf kannte sich hier gut aus und glitt um das Zelt herum, um dem Flüchtling vielleicht den Weg abzuschneiden. Wer es auch war, er hatte sich davongemacht, der Raum zwischen den beiden Zelten war leer.
»Ach, laß ihn laufen«, lachte der junge Mann, als er zu dem Freund zurückkam. »Hat er böse Streiche vor, werden sie ihn schon erwischen. Vielleicht wich er uns aus, um keine neuen Bekanntschaften zu schließen. Darüber brauchen wir uns nicht zu grämen!«
»Und wo ist hier das Zelt des Elsässers?«
»Gleich da drüben.«
»Laß uns hingehen und sehen, ob wir den Doktor da finden.«
»Baron!« rief sie in diesem Augenblick eine Stimme an. »Sind Sie das?«
»Der Doktor, bei allem, was lebt!« rief der junge Mann erfreut aus. »Doktor, wir haben Sie schon wie eine Stecknadel gesucht, Sie sollen uns Auskunft geben.«
»Uns?«
»Mir und einem alten Freund, den ich hier zufällig in den Minen getroffen habe. Wenn wir zum Licht kommen, stelle ich Ihnen Graf Beckdorf vor. Ich habe mit Manuela gesprochen, wo wird der Gefangene bewacht?«
»Im Zelt des Sheriffs.«
»Glauben Sie, daß wir da Zutritt haben?«
»Das kommt auf einen Versuch an. Aber was wollen Sie ihm helfen? Das einzige, was ihn retten oder zumindest aus dieser fatalen Lage bringen könnte, wäre, ein paar Männer vom Macalome herüberzuschaffen, die ihm ein Alibi bestätigen können.«
»Wenn er ihre Namen weiß«, rief Graf Beckdorf, »dann erkläre ich mich gern bereit, sie selbst hierherzubringen. Selbst bei Nacht kann ich den Weg da hinüber finden.«
»Aber die weiß er doch nicht«, sagte der alte Doktor. »Er ist nur in der Lage, sie zu beschreiben.«
»Dann müssen wir ihn sprechen«, rief Beckdorf rasch. »Der Sheriff kennt mich, gehen wir gemeinsam zu ihm. »Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er mit den beiden zu Hales nahe gelegenem Zelt.
Hale hatte inzwischen den Gefangenen unter seine Obhut genommen. Das war in einer solchen Zeltstadt nicht einfach. Ein Gefängnis besaß das Paradies natürlich nicht. Es gab noch nicht einmal ein ordentliches Blockhaus, das einen Menschen hätte halten können. So blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn ständig zu bewachen, bis man ihn freigab oder an seine Richter ablieferte. Freiwillige Wachen fanden sich genug, aber es war doch unbequem für alle. Brach der Gefangene nämlich aus und kam er nur zwanzig Schritt in die dahinter liegende, dunkle Flat, dann hätten ihn sämtliche Bewohner des kleinen Zeltstädtchens nicht wieder eingefangen. Das wußte Hale genausogut wie jeder andere, und danach hatte er seine Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wenn er seinen Gefangenen auch gern so mild wie möglich behandelt hätte, mußte er ihm doch die Hände auf den Rücken fesseln. Er wurde dabei so hingesetzt, daß er nach Dunkelwerden ein Licht hinter sich und eins vor sich stehen hatte, dadurch waren seine Hände und seine ganze Gestalt hell beleuchtet. Neben dem Licht saßen zwei Posten, die geladenen Gewehre auf den Knien, den Revolver im Gürtel. So war eine Flucht unmöglich. Außerdem stand noch eine dritte Wache vor dem Zelt, um Neugierige zurückzuschicken. Der Sheriff wollte nicht, daß der Angeklagte belästigt wurde. Es gab genug Leute im Ort, die sich stundenlang zu ihm gesetzt und ihn angestarrt hätten. Diese Wache wies auch unsere drei Freunde ohne weiteres ab. Beckdorf bestand aber darauf, wenigstens den Sheriff zu sprechen. Als der endlich vor dem Zelt erschien, erlaubte er ihnen einzutreten, allerdings unter der Bedingung, sich dem Gefangenen nicht auf Armlänge zu nähern.
Im Zelt selbst sah es wild und malerisch genug aus. Die beiden Hinterwäldler mit ihren langen Büchsen vor dem flackernden Kerzenlicht neben sich boten ein eigenartiges Bild. Der Gefangene saß in finsterem Schweigen auf einer Holzbank und starrte vor sich nieder. Eine Matratze lag neben ihm auf dem Boden, auf der er wohl schlafen sollte. Aber er dachte noch nicht an Schlaf. Ein zertretenes Leben lang hinter ihm. Mit dem bitteren Gefühl, durch nichts die Schicksalsschläge verdient zu haben, sog er seinen Groll nur noch tiefer in sich hinein. Er fand sogar eine selbstmörderische Freude daran, sich die letzten trüben Szenen immer wieder auszumalen. Die drei Deutschen kamen freundlich auf ihn zu, aber es dauerte eine ganze Zeit, ehe der Unglückliche das Mißtrauen beseitigte, das er gegen alle Fremden hegte. Erst als sich Doktor Rascher als Freund von Mrs. Hetson vorstellte, wurde er aufmerksam. Doktor Rascher bat ihn in ihrem Auftrag, er sollte ihnen mitteilen, wie er Mittel für seine Rechtfertigung finden könnte.
Die Angaben, die er machen konnte, waren aber so dürftig, daß Doktor Rascher nur traurig mit dem Kopf schüttelte. Der Sheriff, der sich wieder auf sein Bett geworfen hatte, sagte:
»Wenn Sie morgen nichts Besseres zu Ihrer Verteidigung sagen können, dann sieht es schlecht aus. Es genügt nicht, daß Sie sagen, Sie wären woanders gewesen, ohne das jedoch beweisen zu können! Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.«
Beckdorf hatte aufgefaßt, was er von dem alten Mann erzählte, den er oben auf dem Berg getroffen haben wollte, und der auch ins Paradies geritten war, um hier irgendetwas zu erledigen. So gut er sich erinnerte, mußte er sein Äußeres beschreiben. Das paßte allerdings auch auf einige andere. Hale hörte ebenfalls aufmerksam zu. Bis jetzt war der Sheriff ziemlich fest davon überzeugt gewesen, daß der Engländer den Mord wirklich begangen hatte. Der ungebildete Amerikaner, auch wenn er sonst ein guter Mensch ist, hegt noch immer den Gedanken, daß England über Amerika herrschen möchte und haßt deshalb alle Engländer. Ja, er würde sogar einen Krieg mit England für den größten Segen für das Land betrachten. Das niedergeschlagene Benehmen des Fremden, das allerdings eine ganz andere Ursache hatte, bestärkte ihn noch in seinem Verdacht. Jetzt aber, wo sich der junge Beckdorf, den er als rechtschaffenen Mann kannte, so sehr für den Engländer interessierte, wankte sein Verdacht wieder. Vor ihm tauchte die Möglichkeit auf, daß der Gefangene am Ende doch unschuldig sein könnte. Aber weshalb hatte er es so eilig gehabt, von hier wegzukommen? Hale überlegte, wen er wohl mit dem alten Amerikaner meinen konnte. Der heutige Tag hatte allerdings seine Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch genommen, um sich an einzelne erinnern zu können.
»Wenn ich nicht irre«, sagte da Golway endlich, »dann sprach er davon, daß er seine beiden Söhne im letzten mexikanischen Krieg verloren hat.«
»Lieber Gott, wenn Sie nur wenigstens einen Vornamen als Anhaltspunkt wüßten!« sagte Beckdorf.
»Teufel auch«, rief Hale und sprang von seinem Bett auf. »Das ist genug Anhaltspunkt! Jetzt weiß ich, wen er meint – den alten Nolten!«
»Haben Sie den Namen nie gehört?« fragte Beckdorf rasch den Engländer.
»Nein, ich erinnere mich nur, daß er mir das erzählte.«
»Und der ist in Macalome? Schon wieder zurückgeritten?« erkundigte sich der Sheriff.
»Dahin wollte er zurückreiten.«
»Dann hol ich ihn«, rief Beckdorf entschlossen. »In sechs Stunden reite ich hinüber, und bis morgen mittag kann ich mit ihm zurück sein.«
»Ach was«, sagte Hale. »Sie können jetzt nicht bei Nacht und Nebel über die Berge, wo unsere Leute die Indianer so gereizt haben!«
»Die muß ich nicht fürchten. Sie kennen mich und wissen, daß ich ihnen freundlich gesonnen bin.«
»Bei Nacht sind alle Katzen grau, und sie spicken Sie und das Pferd mit Pfeilen, ehe Sie nur ›Walle-Walle‹ sagen können!« rief Hale.
»Glauben Sie, daß Noltens Aussage ihm nützen würde?«
»Ich denke schon«, antwortete Hale. »Nolten ist ein Ehrenmann durch und durch. Wenn der hier vor Gericht beschwört, daß er den Engländer die letzten acht Tage in Macalome jeden Tag gesehen hat, wird das einen großen Unterschied in der Sache machen. Ich glaube es nur noch nicht recht.«
»Wann sollte die Jury zusammenberufen werden?«
»Morgen früh. Wenn Sie aber mit Sicherheit einen Entlastungszeugen bringen, nehme ich es auf mich, das Verhör bis morgen abend aufzuschieben. Mit wem haben Sie denn da zusammengearbeitet?«
»Zuerst mit einem Landsmann...«
»Der nutzt uns nichts«, sagte Hale kopfschüttelnd.
»Er ist auch nicht mehr in Macalome. Später arbeitete ich mit einem Amerikaner namens Robins zusammen. Wenn der noch in Macalome wäre, brauchte ich keinen anderen Zeugen. Er war lange Zeit krank, und wir schliefen im gleichen Zelt. Aber er hat leider vor ein paar Tagen, als es ihm besser ging, auch die Minen verlassen. Wohin er ging, weiß nur Gott. Der alte Amerikaner, den sie Nolten nennen, bleibt deshalb meine einzige Hoffnung. Er ist mir, glaube ich, auch freundlich gesinnt. Wäre ich seinem Rat gefolgt, hätte ich diesen Unglücksplatz nie betreten. Vielleicht bringt er noch einen seiner Bekannten mit, die mich auch da gesehen haben.«
»Ja, glauben Sie denn, daß die Goldwäscher nichts anderes zu tun haben, als in der Welt herumzureiten?« lachte Hale. »Der alte Nolten tut es vielleicht, wenn er jemand damit helfen kann. Und Sie wollen wirklich heute abend noch los, Beckdorf?«
»Sofort, wenn ich nur wüßte, wo ich jetzt im Dunkeln mein Pferd finde.«
»Ich würde dir meins geben, wenn ich dich nicht begleiten würde«, sagte Lanzot.
»Dann gib es mir, denn ich kann dich dabei nicht gebrauchen. Du hältst mich nur auf, und ich habe nichts zu befürchten. Also, auf Wiedersehen, Sir, und – nur Mut! Bis morgen Mittag bringe ich hoffentlich Hilfe.«
Golway nickte ihm wehmütig lächelnd zu, und die drei Deutschen verließen ihn, um keine Zeit mehr zu versäumen.
»Die Fremden hängen zusammen wie ein Sack voller Nägel«, sagte der eine Amerikaner, der kopfschüttelnd dem Gespräch zugehört hatte.
Der Sheriff erwiderte nichts. Aber er ging zu dem Gefangenen und band ihm die Hände los.
»So, weg kann er nicht, weil ihm die Füße noch gebunden sind. Aber er sitzt etwas bequemer. Paß gut auf, Bill, daß er sich nicht danach bückt.«
Als ihm Golway danken wollte, drehte er sich von ihm ab und legte sich auf sein Bett.