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19. Don Alonso

Wie es schien, hatten sich die Chinesen zurückgezogen und ihr Eigentum aufgegeben. Nicht weit davon arbeiteten Mexikaner, und schon bald lief unter ihnen das Gerücht von Mund zu Mund, daß die Amerikaner die Fremden vertreiben würden und sie geschworen hätten, alle aus der Flat zu verjagen. Zufälligerweise war gerade in dieser Stunde der lange angedrohte amerikanische Kollektor im Paradies eingetroffen, der die Gebühren von allen Ausländern einsammeln sollte. Einer der Mexikaner war in der Stadt und wollte sich ein neues Brecheisen kaufen. Er brachte die Nachricht mit hinaus. Etwa eine halbe Stunde später hörten alle Mexikaner auf zu arbeiten. Sie versammelten sich in ihrem Lager, das sich östlich zwischen der Flat und den nächsten Hügeln befand. Dann sandten sie Reiter nach verschiedenen Seiten in die Berge hinauf, ohne jedoch eine weitere Demonstration vorzunehmen. Auch die Franzosen zogen sich zusammen. Sie waren nicht durch den Angriff auf die Chinesen beunruhigt, sondern durch das Eintreffen des Kollektors. Bis jetzt hatten sie geglaubt, daß die angedrohte Taxe nur eine Drohung und ein blinder Alarm war, da sich wochenlang kein Kollektor sehen ließ. Sie schienen auch in der Zwischenzeit zu dem Entschluß gekommen zu sein, diese rasend hohe Steuer unter keiner Bedingung zu bezahlen. Jetzt, wo er wirklich eintraf, hielten es doch die meisten für angebracht, sich die Sache noch einmal zu überlegen, ehe sie sich den amerikanischen Autoritäten widersetzten, wenn auch die Hitzköpfigen nichts davon wissen wollten.

Hetson, der neue Alkalde, erfuhr davon mit keinem Wort. Seine Geschäfte bannten ihn heute nachmittag vollständig an sein Zelt. Der Kollektor mußte nämlich, bevor er seine Arbeit beginnen konnte, noch eine Menge Vorarbeiten leisten. Dabei mußte ihn Hetson unterstützen. Das neue Gesetz, die neuen Listen waren durchzusehen, Zertifikate mußten ausgefüllt werden. Die neue Steuer bot in der Praxis manche örtlichen Schwierigkeiten, die der Gesetzgeber in San Francisco nicht kannte und deshalb auch nicht berücksichtigen konnte, die aber hier um so schwerer in die Waagschale fielen. Er erklärte sich bereit, das Einkassieren der Taxen selbst zu erledigen. Er wollte die einzelnen Bergwasser aufsuchen und die dort arbeitenden Fremden notieren und besteuern. Dem Alkalden und dem Sheriff sollte es überlassen werden, die Fremden hier zu überwachen.

Hetson kam es so vor, als wollte der Kollektor, ein echter Yankee aus Connecticut, soviel wie möglich von seinen Schultern abwerfen. Mit Nonchalance, die er ›Vertrauen zu Mr. Hetson‹ nannte, überließ er ihm die größere Arbeit. Der Sheriff wurde der eigentliche Steuereintreiber, und er kontrollierte nur die eingegangenen Summen. Dabei hatte er sich aber in seinen Leuten geirrt. Als Hetson merkte, daß sich der Kollektor auf mündlich erhaltene Befehle aus San Francisco berief, ließ er einfach den Sheriff rufen. Hale war gerade von seiner Runde durch die Flat zurückgekehrt und sah erhitzt und aufgeregt aus, als er in das Zelt trat.

»Mr. Hale«, sprach ihn Hetson an. »Hier, Mr. Slocum, der neue Kollektor, hat Ihnen die Ehre zugedacht, die monatliche Zwanzigdollartaxe von den hiesigen Fremden zu erheben, die...«

»Verdammt, wenn ich's tue!« unterbrach ihn der Sheriff ungeniert. »Wenn Sie mich zum Kollektor gemacht hätten und ich hätte es angenommen, dann könnte ich nichts dagegen einwenden. Wie aber die Sache jetzt steht, danke ich herzlich.«

»Ja, Sheriff«, sagte achselzuckend der Kollektor. »Das wird Ihnen nichts helfen. Das Gesetz ist nun einmal verkündet, und uns ziemt es...«

»Das Gesetz ist gegeben«, rief der Sheriff, »daß die Kollektoren das Geld einkassieren sollen, wenn sie es kriegen können. Jetzt löffelt die Suppe auch aus, die ihr uns eingebrockt habt, und seht mal aus der Türe, wie es draußen aussieht. Drüben in San Francisco können sich die Herren gut und breit an einen Tisch setzen und eine Menge verschiedener Geschichten auf das Papier bringen – Papier ist geduldig. Aber dann sollen sie auch selbst heraufkommen und sehen, wie die neue Maschine arbeitet.«

»Ist etwas passiert, Mr. Hale?« rief Hetson. Ihm war nicht entgangen, daß der sonst so ruhige Mann ziemlich aufgeregt war.

»Passiert«, brummte Hale. »Das ganze Nest ist in Aufruhr, und wir werden wohl noch Zustrom aus den Bergen erhalten.«

»Was ist geschehen?« riefen der Kollektor und Hetson gleichzeitig.

»Unsinn, natürlich«, sagte der Sheriff ärgerlich. »Ihr Freund, Mr. Hetson, dieser Siftly mit dem großen Bart und dem kalifornischen Poncho, hat damit angefangen, ein paar Chinesen von ihrem Claim zu verjagen. Das waren arme Teufel, die niemand etwas getan hatten. Ein paar von den rauhen Burschen, die schon lange auf so einen Anfang gewartet haben, machen sich jetzt über andere Plätze her, wo vorher Mexikaner gearbeitet hatten. Sie werfen das Werkzeug der anderen heraus, graben in den Löchern und schwören, daß sie jedem Fremden, der sie darin hindern will, eine Kugel durch den Kopf schießen würden.«

Hetson biß sich auf die Lippen.

»Sie sagen, Siftly hat den Anfang gemacht?«

»Der und dieser Briars«, bestätigte der Sheriff. »Jetzt rotten sich die Fremden zusammen, weil sie darin den Anfang gemeinsamer Maßnahmen gegen sie alle sehen. Die Franzosen haben eben in einem ihrer Zelte eine Versammlung. Sie schleppen alles an Waffen zusammen, was sie bekommen können. Die Mexikaner haben sich in ihrem Lager aufgestellt. Aber nicht nur das – sie haben Boten in die Berge geschickt. Die Indianer haben sich ja nicht mehr blicken lassen, seit dieser Smith den alten Mann erstochen hatte und der Häuptling dafür keine Genugtuung bekam. Auf dem nächsten Hügel lagern vielleicht dreihundert Mann. Keine einzige Frau ist bei ihnen, ein sicheres Zeichen, daß sie auf keiner friedlichen Expedition sind und etwas im Schilde führen. Außerdem stecken die Mexikaner mit ihnen unter einer Decke. Wenn sie alle über uns herfallen, können wir das ausbaden, was ein paar Spielerlumpen gesündigt haben.«

»Wie viele Amerikaner sind wir etwa in der Stadt?« sagte der Alkalde nach kurzem Überlegen.

»Höchstens zwanzig, auf die man sich verlassen könnte«, brummte Hale. »Und vielleicht hundert Franzosen und zweihundert Mexikaner, ohne die Deutschen.«

»Glauben Sie, daß die Deutschen sich mit den anderen verbünden?«

»Nein«, sagte der Sheriff. »Eher würde ein Teil von ihnen uns beistehen. Bei einigen bin ich da sicher.«

Mr. Slocum war bei diesem unerwarteten Bericht sehr blaß geworden. Jetzt sagte er:

»Wenn sich das Lager im Aufstand befindet, kann ich allerdings meine Aufgabe hier nicht erfüllen. Ich werde lieber gleich wieder zum Golden Bottom zurückkehren und Bericht erstatten und Hilfe suchen.«

Der Sheriff warf ihm einen spöttischen Seitenblick zu, erwiderte aber nichts. Hetson sagte:

»Das werden Sie hoffentlich nicht tun. Als Beamter der Vereinigten Staaten und als Abgesandter aus San Francisco ist es Ihre Pflicht, hier auszuharren und zu sehen, wie sich die Lage gestaltet und ob wir hier nicht in der Lage sind, die Ordnung aufrechtzuerhalten.«

»Aber wenn zweihundert Mexikaner und dreihundert Indianer...«

»Noch hat Ihnen gegenüber niemand die Taxe verweigert«, unterbrach ihn Hetson ernst, »denn Sie haben sie noch von niemand verlangt. Wollen Sie deshalb schon Beschwerde führen, wäre das ein unverantwortlicher Leichtsinn und könnte schlimme Folgen haben. Ich bin selbst nicht mit dieser hohen Steuer einverstanden. Was ich während meines kurzen Aufenthaltes hier gehört habe, bestärkt meinen Glauben, daß die Herren in San Francisco nach den übertriebenen Berichten der Händler und nicht nach dem wirklichen Verdienst der Goldsucher gegangen sind. Das Gesetz ist jedoch verabschiedet und muß von allen Amerikanern aufrechterhalten werden, bis eine Revision möglich ist. Wir wollen aber nicht gleich von vornherein mehr tun, als es aufrechtzuhalten, um die Fremden nicht noch mehr zu reizen.«

»Bravo!« sagte der Sheriff und nickte vergnügt mit dem Kopf. »Ganz meine Meinung und genau getroffen. Ich glaube auch, daß keine große Gefahr droht, wenn wir nur unser eigenes Gesindel im Zaum halten können. So übermütig, wie die aber sind und gerade die Fremden noch mehr reizen, kann ich für nichts garantieren. Ich könnte es ihnen auch nicht verdenken, wenn sie losschlagen würden.«

»Aber unter diesen Umständen kann ich doch keine Taxe einkassieren«, sagte Mr. Slocum bestürzt. »Da setze ich mich den größten Unannehmlichkeiten aus!«

»Daß Sie natürlich heute nicht anfangen, versteht sich von selbst«, erwiderte Hetson. »Sie sind ja noch nicht einmal mit Ihrer Einteilung fertig. Machen Sie das erst einmal heute und morgen, und bis dahin wird sich die Aufregung schon etwas wieder gelegt haben. Spricht man dann vernünftig mit den Leuten, dann glaube ich kaum, daß es für Sie die geringste Schwierigkeit geben wird.«

»Keine weiter, als daß sie ihm weglaufen«, lachte der Sheriff. »Alle, denen die Steuer zu hoch ist, brauchen sich nur in die Berge zu schlagen, und niemand findet sie. Und falls doch, kann sie keiner festhalten. Soviel weiß ich, daß es mit dem friedlichen Leben in unseren Minen vorbei ist. Ich wollte, diese Taxe wäre beim Kuckuck! Wenn Sie nur Ihre Frau nicht hier oben hätten! Die Frauen werden jetzt unsere ganze Unterhaltung gehört haben.«

»Nein«, sagte Hetson. »Die beiden haben einen kleinen Spaziergang in die Stadt gemacht und sollen auch vorläufig nichts erfahren, bis man es nicht mehr verheimlichen kann. Weshalb sie vorzeitig ängstigen! Hoffentlich ist alles nichts weiter als eine Demonstration, die keine schlimmeren Folgen hat. Ich bitte Sie jetzt, Mr. Hale, weitere Erkundigungen einzuziehen, besonders was die Sache mit den Chinesen betrifft. Sie sind ein ruhiger, vernünftiger Mann, und ich weiß, ich kann mich da auf Sie verlassen.«

»Ich glaube, Ihr Freund hat uns da keinen Gefallen getan«, sagte Hale.

»Sich selbst vielleicht auch nicht«, sagte Hetson ernst. »Wenn die Chinesen wirklich in ihrem Recht gefährdet sind, sollen sie sich an mich wenden, und ich werde ihnen dazu verhelfen.«

Hale sah den Richter etwas erstaunt an. Er wußte nicht, wie weit der das ernst meinte. Hetson hatte sich abgewandt, um die verschiedenen Papiere wieder durchzusehen. Der Sheriff wollte eben das Zelt verlassen, um den Auftrag auszufahren, als Hetson ihn noch einmal ansprach.

»Übrigens, Mr. Hale, haben Sie nichts von meinem Mitbewohner, dem Spanier Don Alonso Ronez, gesehen? Ich hoffe doch nicht, daß er sich den Mexikanern angeschlossen hat?«

»Der nicht«, lachte Hale. »Das ist ein stiller Kauz, wie die meisten anderen auch, wenn man sie zufriedenläßt. Er arbeitet schon seit gestern ganz fleißig und allein in einem kleinen Gulch da drüben. Ob er etwas findet, weiß ich natürlich nicht. Aber der Platz sieht nicht schlecht aus.«

»Wenn Sie zufällig da wieder vorbeikommen, bitten Sie ihn doch, daß er heute abend nicht zu lange wegbleibt. Ich hätte ihm etwas zu sagen.«

Der Sheriff nickte und ließ den Kollektor mit dem Alkalden allein bei ihren Geschäften. Hale hatte übrigens seinen Bericht nicht übertrieben. Auch in bezug auf die Indianer hatte er recht. Ihr plötzliches Auftauchen schien keineswegs friedlicher Art zu sein. Frauen und Kinder waren irgendwo in den Bergen in einem sicheren Versteck zurückgeblieben. Die Männer waren alle bewaffnet, einige von ihnen bemalt und mit Adlerfedern geschmückt. Sie sahen genauso aus, als wären sie auf einem Kriegszug. Trotzdem war Hale, der einige von ihnen kannte, ganz allein und nur mit einem Revolver bewaffnet zwischen ihnen gewesen. Jeder Indianer hielt aber seinen Bogen und Köcher bereit und hatte einen Pfeil herausgezogen, um sofort davon Gebrauch machen zu können. Auskunft erhielt er von keinem, und den Häuptling sah er nirgends. Die Indianer lagerten auf dem langen Hügelrücken, der das Tal im Norden begrenzte. Sie bildeten Trupps mit vierzig oder fünfzig Mann und lagerten an verschiedenen, kleinen Bergquellen. Sie hatten Boten zu den Mexikanern abgesandt, mit denen sie eine ständige Verbindung unterhielten. Als Hale auch in deren Lager gehen wollte, um zu sehen, was sie trieben, wurde er von einzelnen Mexikanern zurückgewiesen. Die Leute waren nicht gerade unfreundlich gegen ihn, erklärten ihm aber, daß er dort nichts zu suchen habe und seiner Wege gehen sollte. Fast alle hatten aufgehört zu arbeiten, nur hier und da waren noch einzelne in der Flat beschäftigt. Es schien, als wollten sie ihre Claims so schnell wie möglich ausbeuten.

Das alles verriet dem Amerikaner, daß etwas Außergewöhnliches passierte. Die Stimmung der Fremden gegen die Amerikaner war feindselig, und es bedurfte vielleicht nur eines geringen Anlasses, um einen Ausbruch zu verursachen. Hale erfuhr von einigen ruhigeren Amerikanern Einzelheiten über den Angriff von Siftly und Briars auf die Chinesen. Schon bald wurde ihm klar, daß dieser Übergriff die eigentliche Ursache für die ganze Unruhe war. Dazu kam die Ankunft des Kollektors. Dadurch wurden alle, die die englische Sprache nicht beherrschten, unnötig gereizt. Sie wußten ja auch nicht, wie weit die Rechtlosigkeit gegen sie noch getrieben würde. Auf der einen Seite wollte man sie besteuern und auf der anderen Seite unabhängig davon von ihren Claims vertreiben. Diesen Gedanken mußte Hale zuvorkommen und entsprechend handeln. Er wußte, daß die meisten Amerikaner zu den besonneneren Menschen gehörten, und denen mußten sich die anderen beugen, ob sie wollten oder nicht. Er wollte deshalb vor allen Dingen die Chinesen finden und war fest entschlossen, ihnen wieder zu ihrem Eigentum zu verhelfen. Aber ihr Lager war abgebrochen. Die in der Nähe arbeitenden Amerikaner hatten sie den Bach hinunterziehen sehen. Als er sich da nach ihnen erkundigte, konnte ihm niemand Auskunft geben. Sie waren wohl vom Weg abgewichen und in die Berge gegangen, wo sie keiner finden konnte.

So brach der Abend an, ohne daß sich die Stellung der verschiedenen Parteien geändert hätte. Um so übermütiger waren aber die Amerikaner geworden, die einzelne Fremde aus ihren Gruben vertrieben und so auf leichte Art reiche Beute gemacht hatten. Schon eine Viertelstunde vor Einbruch der Dunkelheit waren Siftly und Briars mit ihrem Claim fertig geworden. Während Siftly das Gold in Sicherheit brachte, warf sich Briars in das nächste Trinkzelt, um das rasch gewonnene Gold wieder zu verprassen. Dort fand er Menschen seines Schlages, die ihm Gesellschaft leisteten. Eine günstigere Gelegenheit, diese halbbetrunkenen Männer zum Spiel zu verleiten, kam aber nicht so bald wieder. Smith und Siftly, mit allen Schlichen ihres ehrlosen Geschäftes gut vertraut, versäumten sie auch nicht. Kaum war die Sonne in der Zedernwaldung eingetaucht, als schon die Tische hergerichtet wurden und das aufgeschichtete Gold die Spiellustigen herbeilockte. Und welche Gewinnaussichten eröffneten sich nicht auch den streitsüchtigen Kerlen, die jetzt im Bewußtsein ihrer amerikanischen Bürgerschaft das volle Anrecht auf alle Arbeitsplätze der Fremden zu haben glaubten! Die ließen sie jetzt ihre schwere Erdarbeit tun und zu dem Gold hinuntergraben. Wenn sie soweit waren – dann sprangen sie hinein und ernteten. Die Leute befanden sich auf dem besten Weg, ein vollständiges Raubsystem mit erlaubtem Totschlag zu organisieren.

Hale, der sich eine Zeitlang in verschiedenen Zelten aufhielt, hörte diese verschiedenen Reden. Ärgerlich darüber und beunruhigt über das Zusammenscharen der Mexikaner, ging er wieder zum Zelt des Alkalden zurück. Er wollte ihn veranlassen, ein ›Meeting‹, eine Versammlung der amerikanischen Bürger, einzuberufen.

»Und wozu, Mr. Hale?« sagte Hetson gelassen.

»Wozu?« rief Hale erstaunt. »Zum Henker, ich dachte, wir hätten Grund genug. Einmal ist es nötig, daß wir diesem Spielergesindel zeigen, daß wir nicht bereit sind, sie bei ihren Raubgeschäften zu unterstützen. Dann wird es sich auch auf die Señores heilsam auswirken, wenn sie erfahren, daß wir uns nicht vor ihnen fürchten.«

»Ich glaube eher das Gegenteil, Mr. Hale«, antwortete ihm aber der Alkalde. »Die Mexikaner könnten annehmen, daß wir ihrem Zusammenrotten eine Bedeutung beimessen. Nur wenn wir sie ganz ignorieren, werden sie stutzig werden. Obwohl ich auch kein Freund des Hasardspiels bin, ist es mir heute abend gerade recht, wenn sich unsere Leute damit beschäftigen. Sie halten es doch wohl nicht für möglich, daß die Indianer einen nächtlichen Überfall wagen würden?«

»Die denken nicht daran«, brummte Hale. »Solange die Mexikaner nicht beginnen, rühren die Rothäute in den Bergen keinen Finger. Sie wissen ganz gut, daß sie sich auf ihre spanischen Freunde doch nicht verlassen können. Erst wenn die anfangen, dürfen wir auch von ihnen einen Angriff erwarten. So zahm und schüchtern sie auch sonst sind, fürchte ich fast, daß sie in dem Fall wie ein Heuschreckenschwarm über uns hereinbrechen. Jedenfalls ist es besser, darauf vorbereitet zu sein. Sollen dann die Spieler machen dürfen, was sie wollen? Wollen Sie diesem Siftly erlauben, daß er da draußen in der Flat herumläuft und da, wo ihm ein Platz gefällt, den Eigentümer hinausschmeißt oder ihn mißhandelt?«

»Nein«, sagte Hetson ruhig. »Bringen Sie mir einen einzigen Menschen, der eine Anklage gegen ihn stellt, und überlassen Sie mir alles Weitere. Aber auf Gerüchte hin kann ich nichts unternehmen. Wenn sich die Leute alles ruhig gefallen lassen, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wenn sie ihrem Angreifer geduldig das Feld räumen, dann kann ich ja noch nicht einmal wissen, ob das nicht alles mit ihrer Einwilligung geschehen ist. Übrigens – haben Sie Don Alonso noch nicht gefunden?«

»Nein«, antwortete der Sheriff kurz.

»Er wird doch nicht in einem der Spielzelte stecken?«

»Möglich«, sagte Hale gleichgültig. »Also mit den Mexikanern wollen Sie ruhig zusehen, bis es zu spät ist?«

»Nicht, bis es zu spät ist, sondern bis es Zeit ist, Mr. Hale. Ich finde es nicht gut, wenn wir die Fremden unnötig reizen.«

»Unnötig? Aber zum Teufel, Sir, nennen Sie das unnötig, wenn wir die vierzigfache Anzahl bewaffnet um uns lagern haben? Daß sie uns Amerikaner nicht aus den Minen treiben können, weiß ich auch. Schlagen sie uns hier tot, würden unsere Landsleute von allen Seiten herbeiströmen und keiner mehr lebend die Flat verlassen. Aber was hilft uns das? Ich hin wirklich nicht ängstlich, aber ich bin auch nicht blind gegen die wirkliche Gefahr. Wird es zu spät, hat kein anderer außer Ihnen die Verantwortung.«

»Die überlassen Sie mir ruhig«, sagte Hetson lächelnd, »Einen Gefallen würden Sie mir aber tun, wenn Sie Ronez finden könnten. Seine Tochter hat Angst um ihn.«

»Das tut mir leid für die Tochter«, brummte der Sheriff, dem jetzt andere Dinge am Herzen lagen. »Wenn ich ihm begegne, werde ich ihn herschicken.« Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, verließ er rasch das Zelt.

»Fremde unnötig reizen«, murmelte er mit einem derben Fluch vor sich hin. »Er ist, weiß Gott, wirklich feige. Daß doch diese Federfuchser alle das Herz an der verkehrten Stelle sitzen haben. Es ist fast so, als ob es ihnen bei dem langen Sitzen hinter dem Schreibtisch nach unten rutschen würde. Da hätten wir auch fast unseren alten Major behalten können.« Ärgerlich, wie er war, wollte er direkt in sein Zelt gehen, um sich um nichts mehr zu kümmern. Aber es ließ ihm auch wieder keine Ruhe. So wanderte er noch fast eine Stunde allein um das kleine Zeltstädtchen. Dabei ging er auch ein Stück den Berghang hinauf, an dem die Indianer lagerten. Er konnte einige ihrer Feuer erkennen und passierte dann auch das mexikanische Camp. Auf beiden Seiten war alles ruhig. Außergewöhnlich war nur, daß ein paar Reiter gerade dort eintrafen, und ein einzelner Mann zu Pferde verließ ihn gleichzeitig wieder. Es war zwölf Uhr, als er endlich in das Paradies zurückkehrte und müde sein Lager aufsuchte.

In Kentons Zelt feierten einige Amerikaner ein wüstes Gelage. Besonders Briars war wieder der Mittelpunkt. Vom Alkohol bereits erregt, schwur er, er würde nicht ins Bett gehen, bis er nicht ein paar Mexikaner erschossen und ausgeplündert hätte. Siftly war aber so ruhig und überlegend wie immer. Es gelang ihm, Briars an seinen Tisch zu fesseln, den der junge Mann nicht eher verließ, bis er seinen letzten Dollar an den Spieler verloren hatte. Dann taumelte er fluchend in die nächste Ecke, um da seinen Rausch auf dem nackten Boden auszuschlafen.

Smith und Siftly hatten ihre Bank abwechselnd mit gleichem Glück gehalten. Der andere mischte sich dann immer unter die Trinker, um dort am leichtesten neue Kunden für ihren Tisch zu werben. Siftly war gerade aufgestanden, um ein Glas Brandy mit Wasser zu trinken, als er an einem anderen Tisch seinen alten Bekannten Don Alonso entdeckte. Der Spanier spielte übrigens noch nicht, sondern sah nur erst zu. Aber seine Augen leuchteten schon wieder mit der unheimlichen, wilden Gier, und unwillkürlich zuckte die Hand nach dem mit wenig Gold gefüllten Beutel, den er in der Tasche trug.

Sauer genug hatte er sich das Gold verdient, mühsam hatte er gehackt und gegraben und gewühlt, um dem harten Boden eine Unze abzuringen. Mit guten Vorsätzen war das geschehen, um Dollar für Dollar zusammenzusparen. Er wollte seinem armen Kind eine würdige Existenz erringen. Kaum aber blitzten ihm die gelben Körner entgegen, kaum fühlte er sich im Besitz der kleinen, unbedeutenden Summe, als auch die unselige Leidenschaft wieder Besitz von ihm ergriff. Er schwur sich, es sollte das letzte Mal sein. Wie oft hatte er sich schon im stillen den gleichen Schwur geleistet, und ihn jedesmal wieder gebrochen. Schlug es diesmal fehl, dann wollte er keine Karte wieder anrühren. Aber es konnte nicht fehlschlagen, die Karten waren ihm im Traum erschienen, die er setzen mußte, um das Glück zu bannen.

Schon hatten die zitternden Finger das Gold gefaßt, mit dem er den Schatz heben wollte.

»Hallo, Compañero!« sagte da Siftly und legte seine Hand auf die Schulter des Spaniers. »Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen, daß wir uns jetzt im Paradies treffen.«

Der Spanier zuckte bei der Berührung und der bekannten Stimme zusammen, als ob ihn eine Schlange gebissen hätte. Sonst rührte und regte er sich nicht. Nur ein triumphierendes Lächeln spielte um seine Lippen, denn die Worte ›ein gutes Zeichen‹ stimmten mit seinem Traum überein. Wenn Señor Ronez einen Menschen auf der Welt haßte, dann war es dieser Amerikaner, der ihn immer wieder zum Spiel verführt und ausgeplündert hatte. Aber mit unsichtbarer Gewalt zog es ihn wieder in dessen Nähe. An ihm wollte er ja auch Rache für die erlittenen Verluste nehmen. Daß er dann immer wieder unterlag, konnte den Haß nur steigern, verband ihn aber auch noch fester mit dem Spieler. Auf den Knien hatte Manuela ihren Vater gebeten, vor allen anderen diesen Menschen zu meiden. Er versprach es ihr. Aber wie er sich selbst betrog, so betrog er auch seine Tochter. Von der Goldgier und vom Haß gleichermaßen angestachelt und verblendet, trieb es ihn förmlich in das Netz des Feindes.

So war es auch heute gewesen. Er hatte den Amerikaner schon an seinem Tisch gesehen. Aber er dachte an das Versprechen und ging nicht dorthin. Jetzt aber, als der Mann an seine Seite trat und von ›guten Zeichen‹ sprach, da zuckte in dem Spieler die alte Hoffnung wieder auf. Gerade das Gefühl, das ihn warnen sollte, trieb ihn vorwärts. In diesem Augenblick, den er für den günstigen Wendepunkt seines Schicksals hielt, trat ihm der stets lächelnde, tödlich gehaßte Amerikaner entgegen. Als ob die Rachegöttin ihm selbst die Waffe in die Hand gegeben hätte, drängte es ihn, den Kampf zu beginnen.

»Mag sein, Señor«, antwortete er deshalb in seinem gebrochenen Englisch. »Für einen von uns vielleicht.«

»Dann für Sie«, lachte Siftly. »Ich habe heute nacht einen dummen Traum gehabt, und hatte mir eigentlich vorgenommen, heute gar nicht zu spielen. Ihnen, Señor, bin ich aber Revanche schuldig und jeden Augenblick dazu bereit – vorausgesetzt natürlich, daß nicht wieder vollständige Ebbe in Ihrer Kasse ist.« Er sagte die letzten Worte mit einem so höhnisch lächelnden Blick, daß dem alten Spanier das Blut in den Kopf schoß. Das genügte, um ihn dorthin zu locken, wohin ihn Siftly haben wollte.

Don Alonso legte am Anfang nur ganz kleine Sätze auf eine Karte, aber er gewann. Er verdoppelte die Summe und gewann wieder. Vorsichtig zog er das Gold ein, setzte wieder wenig und gewann erneut. Dadurch angefeuert, wollte er sein Glück erzwingen, und – verlor. Mit einem Schlag gingen die wenigen Dollars, die er besaß, in die Hände des Spielers über, der ihn erwartungsvoll ansah.

»Na, Señor? Sie hätten die Zehn nicht verlassen sollen, die Ihnen vorhin so treu war. Seit der Zeit hat sie zweimal wieder gewonnen. Versuchen Sie es noch einmal mit ihr. Wieviel auf die Zehn?«

»Ich habe kein Gold mehr!« murmelte der Spanier. »Jedenfalls nicht bei mir.«

»Kein Gold mehr?« lachte Siftly. »Der Himmel segne Sie, Señor, Sie haben kaum eine halbe Unze verloren. Das war doch wohl nicht Ihr ganzes Kapital, mit dem Sie mich aus dem Sattel heben wollen? Gut, ich tue es eigentlich nie, aber bei Ihnen will ich eine Ausnahme machen. Ich gebe Ihnen sechs Unzen Kredit. Sind Sie damit zufrieden?«

»Ich spiele nicht weiter«, sagte Don Alonso finster und wollte sich von dem Tisch entfernen.

»Halt!« rief da Siftly, der einen Plan hatte und ihn nicht so leicht laufenlassen wollte. »Wenn Sie von mir kein Gold geborgt nehmen wollen, Señor, dann setzte ich ein Pfund Gold gegen ein Wertstück, das sie besitzen.«

»Ich und ein Wertstück?« sagte der Alte kopfschüttelnd. »Ich habe keins mit solchem Wert. Ein Pfund Gold?«

»Zweihundert spanische Dollar, wenn Sie das lieber wollen. Ja, dreihundert auf den einen Satz, um das Violinspiel Ihrer Tochter.«

Der Alte biß sich auf die Unterlippe, aber er zögerte nur einen Moment. Dann antwortete er finster:

»Meine Tochter spielt nicht mehr.«

»Dummheit, Mann«, lachte aber der Spieler. »Das hieße, ein Talent zu ersticken, das ihr der Schöpfer zu ihrem Nutzen und zur Freude anderer gegeben hat. Aber hören Sie mir zu. Hier oben in den Zelten fehlt uns die Musik. Stumm und still rollt das Gold, fallen die Karten. In dieses Nest aus Zelten käme ganz anderes Leben, wenn das Mädchen ihre Violine erklingen ließe. Dreihundert Dollar setze ich gegen den Vertrag, daß sie vier Wochen lang nur zwei Stunden abends in dem Zelt spielt. Außerdem zahle ich ihr noch vier Dollar jeden Abend extra.

Dreihundert Dollar – die Summe wäre genug gewesen, um ihn und die Tochter aus Kalifornien wegzubringen. Wie lange und wie schwer hätte er arbeiten müssen, ehe er soviel Gold mit Spitzhacke und Schaufel oder Brechstange zusammenbrächte!

»Zwei Stunden abends?« wiederholte der Spanier, unschlüssig zögernd.

»Zwei Stunden, und auch die nicht hintereinander. Sie kann sich das selbst aussuchen. Alles auf eine Karte, Señor. Im Umschlag können Sie die dreihundert Dollar in der Tasche haben, und ich muß eine zweite gleich hohe Summe gegen die gleiche Bedingung setzen.«

Ronez stand still und bleich, die Arme fest und wie verkrampft vor der Brust gefaltet. Die Umstehenden drängten neugierig heran, um diesem Handel zuzuhören.

»Also gut«, flüsterte der Spanier endlich. »Ich halte Ihr Gebot. Dreihundert Dollar gegen die bestimmte Zeit.«

»Prima – welche Karte – da liegt die Zehn – ein ganz ausgezeichnetes Blatt.«

»Ich halte sie...«

Die Karten fielen. Niemand setzte sich in diesem Augenblick, alles blickte nur gespannt auf die umgedrehten Karten.

»Die Zehn!« riefen sechs, acht Stimmen gleichzeitig.

»Für mich«, sagte mit einem leisen Bedauern im Ton der Spieler.

Der Spanier antwortete nicht. Er hatte die Hand unter seiner Jacke krampfhaft auf dem Herzen geballt und griff das Fleisch blutig, das er dort gefaßt hielt. Da fühlte er eine leichte Hand auf seiner Schulter, und als er langsam den Kopf drehte, sah er in das blasse, ruhige Gesicht Hetsons.

»Don Alonso«, flüsterte er in spanischer Sprache. »Ihre Tochter erwartet Sie. Sie hat sich schon Sorgen gemacht.«

Der Spanier zögerte, aber fast unwillkürlich drehte er sich dabei von dem Tisch ab, um dem Ruf zu folgen.

»Hallo, Hetson!« rief in diesem Augenblick Siftly, der ihn bemerkte. »Du bist ein seltener Gast. Komm her, versuch einmal dein Glück!«

Hetson warf ihm einen ernsten Blick zu, antwortete aber keine Silbe auf die Aufforderung. Er winkte Don Alonso mit der Hand, ihm zu folgen.

»Heda, der Alkalde!« tönte es jetzt auch von anderer Seite, als ihn hier und da einige der Männer erkannten. »Einen Schluck Brandy, old fellow? Kommen Sie, wir müssen einmal zusammen trinken. Hol's der Teufel, aber Sie machen sich so rar wie eine Schwalbe im Winter. He, Wirt, eine Flasche von den Bleihälsen!«

»Vielen Dank, Leute, aber ich trinke nie Spirituosen!« sagte Hetson ruhig.

»Guttempler-Mann, was?« lachten fünf, sechs Stimmen um ihn her. »Teufel auch, das paßt nicht nach Kalifornien!«

»Kommen Sie, Señor, es wird Zeit, daß wir gehen.«

»Si, si, Señor.«

»Aber das ist nicht in Ordnung, Hetson«, rief ihm Siftly noch einmal zu. »Du darfst mir meinen besten Kunden nicht entführen. Señor, nicht noch ein einziges Blatt? Acht Wochen oder nichts. Na gut, zum Teufel, wenn Sie nicht wollen, ich hätte Ihnen die Gelegenheit noch geboten. Also morgen abend, vergessen Sie es nicht, oder ich muß Sie mahnen.«

Hetson hatte den Arm des Spaniers ergriffen und zog ihn mehr, als er freiwillig ging.

»Was wollte der Mann mit den acht Wochen sagen?« erkundigte er sich, als sie zusammen auf die dunkle Straße traten.

»Er hat falsch gespielt«, flüsterte der Spanier statt einer Antwort halblaut, als würde er mit sich selbst reden. »Ich sah, wie er die Karte unterschlug.«

»Habe ich Sie nicht vor diesen Spielern gewarnt? Haben Sie mir und Ihrer Tochter nicht fest versprochen, sie zu meiden?« sagte der Amerikaner mit leisem, aber nicht unfreundlichem Vorwurf im Ton.

»Ich weiß, ich weiß«, stöhnte der alte Mann. »Aber – ich konnte nicht anders. Es mußte sein, das Schicksal wollte es.«

»Und um was haben Sie gespielt?«

»Um meine Seele«, hauchte der Spanier, schlug die Zarape um sich, so daß sein Gesicht bis zu den Augen verdeckt war. Still und düster schritt er neben seinem Führer die Straße entlang.


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