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7. Nach dem Brand

Etwa gegen zehn Uhr morgens hatte man das Feuer so weit unter Kontrolle, daß davon keine weitere Gefahr zu befürchten war. Viele Häuser und Zelte mußten allerdings eingerissen werden. Teilweise wurden die Spritzen darum postiert und löschten die Funken. Wo keine Spritzen zu haben waren, halfen sich die Bürger selbst, zerrten die brennenden Balken auseinander, warfen Sand darauf und taten ihr Bestes, um die weitere Gefahr von der Stadt abzuwenden.

Während aber der äußere Rand des Feuers so von einem Damm schützender und wehrender Arme umgeben wurde, waren im Mittelpunkt des betroffenen und vollständig niedergebrannten Stadtteils schon andere wieder emsig beschäftigt, die Brandstätte aufzuräumen und die Grenzen wiederzufinden, auf denen ihre Wohnungen gestanden hatten.

Noch während des Feuers hatte der Eigentümer des Parkerhauses schon einen Akkordvertrag mit einem Baumeister geschlossen. Darin verpflichtete der sich, ihm ein ähnliches und genauso geräumiges Gebäude innerhalb von sechzehn Tagen so weit aufzubauen, daß es bezogen werden konnte. Um ein Uhr rief ein neuer Feueralarm die Spritzen auf die Plaza, um das schon dort wieder aufgefahrene Bauholz zu löschen, das sich auf dem heißen Untergrund entzündet hatte.

Hier zeigte sich die Lebenskraft dieser Schar von Abenteurern, die der Durst nach Gold und die Hoffnung, Schätze zu sammeln, an diese Küste geworfen hatten. Da wurde keine Klage, kein Jammern über das Verlorene laut. Da stand kein trauernder Familienvater an der rauchenden Brandstätte, unter der seine Heimat begraben lag. Wie der Jäger draußen in der Wildnis, dem ein Waldbrand oder Sturm seine Hütte zerstört hatte, frisch darangeht, sich eine neue aufzubauen, und an die alte mit keiner Silbe mehr denkt, so verschwendete auch keiner der Männer hier einen Gedanken an die Verluste der letzten Nacht. Sie waren eben zum zweiten Mal an die nackte Küste geworfen, aber die Küste hieß Kalifornien, und sie glaubten fest, nicht mehr als vier Wochen zu benötigen, um die Verluste wieder einzubringen.

Nur eines durften sie nicht versäumen: Zeit. Jede Stunde, die sie jetzt nach dem Brand müßig verträumten, war unwiederbringlich verloren. Alles wetteiferte miteinander, um zuerst wieder gerüstet, zuerst wieder zu einem neuen Anlauf bereit zu sein.

Alle Karren, die nur aufzutreiben waren, fuhren schon um die Mittagsstunde die Trümmer des Brandes vor die Stadt. Noch glühende und glimmende Balken wurden mit Ketten umschlungen und mit Maultieren, Pferden, Eseln oder selbst von Menschenhänden fortgeschleift, um Platz für das neue Bauholz zu geben und ihm nicht wieder gefährlich zu werden. Noch vor dem Abend stiegen dann wieder Gerüste, mit dünnen Planken gedielt, mit Segeltuch überdeckt, an der gleichen Stelle auf, die noch vor wenigen Stunden in hellen Flammen stand. Aus den rauchenden Trümmern heraus, die noch nicht alle beseitigt werden konnten, tönte schon wieder die kreischende Geige und der gellende Trompetenstoß, um das Volk zu den rasch aufgestellten Spieltischen zu locken.

Wie Pilze über Nacht zu ihrer natürlichen Größe emporwachsen, so stiegen hier in kürzerer Zeit Häuser und Zelte aus dem noch heißen Boden. In manchen mußte sogar ständig Wasser ausgegossen werden, um die dünnen Balken vor dem Anbrennen zu schützen.

Allerdings mußten die Eigentümer dieser luftigen Gebäude einen enormen Tageslohn für die Arbeiter zahlen. Selbst das leichte Lattenholz stand entsetzlich hoch im Preis – aber was machte das? Die Pacht eines einzigen Abends nur von den Spieltischen zahlte fast den ganzen Bau. Jetzt galt es, den Moment zu nutzen, wo die Konkurrenz noch nicht wieder Spielhölle neben Spielhölle errichtet hatte.

Noch vor Einbruch der Nacht hatte man mit dem Aufbau des Parkerhauses begonnen. Während mehr als fünfzig Leute eifrig damit beschäftigt waren, die Löcher für die Pfosten und Säulen der Außenwände auszuheben und sie einzusetzen, hatte der Eigentümer auf dem kostbaren Platz ein großes, niedriges Zelt aufgeschlagen.

Den Boden bildete aber nur die bloße, mit Wasser gekühlte und hartgestampfte Erde. Trotzdem füllte die eine Ecke schon wieder ein kleines Orchester, in der anderen war ein Buffet aufgebaut. An vorläufig eingerammten Pfählen hingen die Lampen, in der Mitte standen die Spieltische und zahlreiche Stühle umher, und im Hintergrund, jeden Zollbreit ausnutzend, stand eine lange Speisetafel. Sie wurde aus einem dahinter errichteten Küchenschuppen versorgt.

Zwar stand das freche Motto des Yankees – ›Who, the hell, cares for a fire‹ – hier nicht als Gotteslästerung an der Wand, aber jeder eingetriebene Pfosten, jeder schmetternde Trompetenstoß, jede ausgespielte Karte rief dasselbe Motto laut in die Welt hinaus, und mit der Verwüstung und den Schlacken um sich wucherten die Spielhöllen üppig empor. Schon im neuen Keim zeigten sie, zu welcher Höhe sie, von Lug und Trug genährt, auf diesem günstigen Boden wachsen könnten.

Das waren die Elemente, die nur hier, in der Hauptstadt des Landes, im Zentrum des ganzen Verkehrs, ihre eigentliche Pflege und Nahrung fanden. Die konnte ein Feuer wohl vom Boden brennen, aber nicht die Wurzel verletzen, aus der frisch und rasch die neuen giftigen Schößlinge wucherten. Die Glücksritter und Abenteurer, die eigentlichen Goldwäscher, die San Francisco nur als ihren Ruheplatz betrachteten, fühlten sich nach dem Feuer hier nicht mehr sicher und behaglich. Für sie war San Francisco der Punkt, von dem aus sie in das wirkliche kalifornische Leben, das Leben in den Bergen, hineinspringen konnten. Noch am selben Tag zogen sie deshalb in Scharen hinaus, um den Platz zu verlassen, auf dem sich vielleicht in der nächsten Nacht dieselbe Szene wiederholte. Besonders eilig hatten es die Deutschen, denn die Amerikaner waren an ein bewegteres, von Gefahren begleitetes Leben gewöhnt. Der Deutsche fand jetzt hier plötzlich alles über den Haufen geworfen, was für ihn bislang unumgänglich notwendig war für seine bürgerliche Existenz: Ruhe und Sicherheit! Doch das Unglück hatte nur verhältnismäßig wenige von ihnen getroffen, da die billigeren Herbergen, in denen sie sich einquartiert hatten, mehr in den Außenstraßen lagen und diesmal verschont blieben. Diese Warnung, was ihnen hier in der Stadt passieren konnte, war aber nur für wenige vergeblich. Alle, die nicht durch besondere Geschäfte an die Stadt selbst gefesselt waren, schnürten ihre Bündel und machten sich, so rasch sie nur konnten, auf den Weg in die Berge.

Der Brand war erstickt und gelöscht worden, ehe er die Pacific Street erreichte. Die beiden deutschen ›Hotels‹ kamen diesmal noch mit dem Schrecken davon. Ihre Bewohner gehörten aber größtenteils zu denen, denen der Ort auf einmal ›zu warm‹ wurde. Selbst der Justizrat hatte sich entschlossen, sofort aufzubrechen. Das schien bei ihm ungewöhnlich, denn seine sonstigen Entschlüsse bedurften immer einer gewissen Reife, ehe er nur daran dachte, sie auszuführen. Er war das aus seiner Heimat und von seiner Tätigkeit auch gar nicht anders gewohnt gewesen und konnte deshalb auch das › ad acta‹ noch immer nicht vergessen. In dieser Nacht hatte er schon mehr von dem amerikanischen Leben und dessen rücksichtslosem Treiben gesehen und erfahren, als ihm lieb sein konnte. Ohne daß die Polizei einschritt, schlug ihm ein baumlanger Kerl die lange Pfeife aus dem Mund, mit der er sich das Feuer ansehen wollte. Dann wurde er in das Gedränge hineingerissen und auf der Plaza unfreiwilliger und entsetzter Zuschauer des Negermordes, bei dem man hinterher so tat, als ob es eine Selbstverständlichkeit gewesen sei. Nach diesem Vorfall ging er so rasch wie möglich nach Hause, sprach dort mit niemand über die Ereignisse und äußerte nicht die geringste selbständige Meinung. Hätte es dem entsetzlichen Volk nicht auch einfallen können, ihn genauso zu behandeln? Er konnte kaum den nächsten Tag erwarten, um San Francisco ebenfalls zu verlassen. Sobald man aber diese Stadt verließ, blieb einem zu dieser Zeit gar nichts anderes übrig, als eben in die Minen zu gehen. So machte der Justizrat dem darüber etwas erstaunten Assessor den Vorschlag, ihn in die Berge zu begleiten.

So großen Respekt der gutmütige, stets rücksichtsvolle Assessor Möhler aber auch vor dem Justizrat hatte, der ihm schon durch sein ganzes Wesen imponierte, so wies er doch dieses ›ihn ehrende Anerbieten‹, wie er sich ausdrückte, freundlich, aber entschieden ab. Er konnte die arme Frau Sichert jetzt nicht in ihrem schweren Kummer allein lassen. Er habe ihr das, wie er sagte, auch versprochen und müsse jetzt sein Wort halten, so gern er sich auch einem Zug von Landsleuten anschließen möchte. Der Justizrat zuckte bloß die Achseln, und die Sache war abgemacht. Diesen Tag brauchten die Leute aber noch zum Packen. Sie waren entschlossen, gemeinsam aufzubrechen. Neben dem Justizrat wollten Lamberg, Binderhof und Hufner gemeinsam aufbrechen. Die drei waren auch schon bald mit dem Packen fertig. Einer der kleinen Dampfer, die damals die Bai befuhren, sollte sie nach Stockton bringen, von dort aus wollten sie ihr Glück in den südlichen Minen versuchen. Der Justizrat hatte aber bis Mittag noch keine Zeit gefunden und nur eine Pfeife nach der anderen geraucht und hing seinen Gedanken über dieses ›Dorado‹ nach. Als die anderen ihn trieben und ihm erklärten, daß sie am nächsten Morgen auch nicht einen Augenblick auf ihn warten würden, machte er sich endlich an die Arbeit. Dabei war er so ungeschickt, daß der in solchen Dingen peinlich ordentliche Assessor Möhler es nicht mehr mit ansehen konnte. Er erbot sich, dem Justizrat alles zusammenzupacken, wenn der ihm alles bereitlege und ihn nicht mehr stören würde. Dem Justizrat kam das sehr recht, und er ließ den Assessor gern gewähren.

Um zwei Uhr begann der Assessor mit seiner Arbeit, die nur hin und wieder für kurze Zeit durch die Aufsicht über die Kinder unterbrochen wurde. Er packte einen Ballen, der ohne die geringste Gefahr eine Reise um die ganze Erde hätte machen können. Dann suchte er sich ein altes Stück festes Leinen zum Verpacken, nahm Packnadel und Faden aus seinem Vorrat und stand noch lange nach Dunkelwerden auf der Straße bei seiner Beschäftigung. Mit Erstaunen sahen die Vorübergehenden zu, wie er die große Nadel gegen den Mond hielt und sie wieder einfädelte.

Der Justizrat ging dabei auf und ab und rauchte. Er zeigte aber keine Ungeduld und sagte nur, als der hilfreiche Mann endlich fertig war:

»Danke, rollen Sie den Ballen ins Zelt.« Dann ging er mit der Pfeife die Straße hinunter, um sich noch einmal auf der Plaza umzusehen. Unterwegs traf er an einer der dunklen Ecken der Stadt drei Männer, die sich lebhaft in englischer Sprache unterhielten. Es erschien ihm fast so, als würden feindliche Worte gewechselt. Als der Fremde aber näher kam, schwiegen sie, warfen ihm einen flüchtigen Blick zu und ließen ihn vorbei.

»Abend!« sagte der Justizrat in seiner barschen, diesmal aber höflich gemeinten Art. Er traute den dreien nicht recht und warf ihnen den halbabgebissenen Gruß wie eine Beschwichtigung hin. Keiner der drei antwortete ihm aber, obwohl sie die Köpfe zu ihm umdrehten. Kaum war er außer Hörweite, begann ein kleiner, dicker Mann das Gespräch wieder.

»Und wo habt ihr beide bis jetzt gesteckt, daß ich euch den ganzen Tag nirgends finden konnte und in Todesangst in der Stadt umherlaufen mußte? Wo wolltet ihr jetzt zusammen hin? Zu mir? He? Das soll ich jetzt auch noch glauben?«

»Allerdings wollten wir das!« antwortete eine lange, hagere Gestalt. »Wenn Sie einen Augenblick vernünftig zuhören würden, Brown, so würden Sie alles erfahren!«

»Wie Sie es zusammen abgekartet haben, nicht wahr?« rief der Kleine mit einem verächtlichen Blick auf den Sprecher.

»Ich hoffe, Brown, daß Sie mich nicht für fähig hatten, einen Freund zu betrügen!« rief da der dritte. »Zum Teufel, leide ich denn weniger unter dem Verlust als Sie, und wäre mir Smith nicht ebenso Rechenschaft schuldig wie Ihnen?«

»Rechenschaft? Worüber?« rief Smith. »Kann ich das Feuer bändigen, wenn es beinahe mit einem Schlag in den Saal dringt und den ganzen Raum mit Rauch und Flammen füllt? Wie ist es dem armen Jacobs ergangen? Bei dem Versuch, nur seinen Geldkasten ins Freie zu schleppen, verbrannte er! Und doch habe ich das mir Anvertraute nicht im Stich gelassen und wäre auch sicher damit entkommen, wenn mich nicht der herabstürzende Balken an der Flucht gehindert hätte. Ich sage Ihnen, da war Not am Mann! Wenn ich nicht alles im Stich gelassen hätte, läge ich jetzt auch mit ausgebrannten Knochen bei dem Schutt draußen!«

»Und wo ist das Gold geblieben?« erkundigte sich Brown wieder. »Sie werden zugeben, Siftly, daß Gold und Silber nicht wie Papier verbrennen kann und wenigstens ein geschmolzener Klumpen übrigbleiben mußte.«

»Wo ist das andere hin?« rief Smith dazwischen. »Überwachen Sie doch mal eine solche Schar Menschen, wie sie sich da zum Retten auf die Feuerstelle warfen! Ich hatte mir die Stelle, wo ich den Kasten fallen lassen mußte, genau gemerkt. Heute morgen habe ich zwei volle Stunden danach gesucht, aber vergeblich. Von dem Gold war keine Spur mehr zu finden, und wir können jetzt von vorn beginnen, wie wir vor vier Monaten gemeinsam angefangen haben.«

»Wenn Sie nicht so ein Hasenherz wären, Smith, hätten Sie das Gold in Sicherheit bringen müssen!« sagte Siftly finster. »Warum haben Folkers und Bright ihr ganzes Vermögen gerettet?«

»Weil die dicht am Ausgang saßen!« rief Smith. »So ist's richtig, mir auch noch Vorwürfe machen, weil ich keine übermenschlichen Kräfte besitze und kein Salamander bin, der im Feuer leben kann!«

»Sie haben wirklich nichts, gar nichts von unserer gemeinsamen Kasse gerettet?« erkundigte sich Brown, der die beiden anderen mit finsteren Blicken gemustert hatte.

»Nicht einen Cent, so wahr mir Gott helfe!« sagte Smith. »Selbst meinen Mantel hab ich auf der Flucht vor den Flammen im Stich gelassen, und ich will den heiligsten Eid darauf ablegen...«

»Sparen Sie sich den«, unterbrach ihn ruhig sein bisheriger Kamerad. »Was Ihnen ein Eid wert ist, weiß ich aus Erfahrung, denn wir kennen uns beide leider zu gut.«

»Aber Brown!«

»Lassen Sie mich ausreden. Ich sehe ein, daß ich nicht in der Lage bin, euch etwas zu beweisen, egal, welchen Verdacht ich habe. Die Sache vor Gericht zu bringen wäre ebenfalls Wahnsinn und nur Futter für die Anwälte. Das Feuer von San Francisco hängt über der Sache und ist ein Mantel, unter dem sich noch mancher verstecken wird. Soweit habt ihr die Sache ganz schlau angefangen, aber...«

»So glauben Sie vielleicht sogar, ich hätte Ihr Geld gestohlen?« rief Smith laut und heftig.

»Jawohl, so ist es!« entgegnete ihm Brown mit vollkommen ruhiger Stimme. »Und mehr noch, mehr, als ich im Augenblick sagen will. Nehmt euch in acht! Wenn ich jemals die Gewißheit für euren Betrug bekomme, dann gnade euch Gott!«

»Erbärmlicher Schuft!« schrie da Smith mit vor Wut heiserer Stimme und griff blitzschnell nach dem in der Weste versteckten Revolver. Siftlys Hand lag aber wie Eisen auf seinem Arm. Sie durften auf keinen Fall mit der Polizei zu tun bekommen. Deshalb trat er zwischen die beiden, um sie zu trennen.

»Brown«, sagte er dabei mit ernster und beschwichtigender Stimme, »ich glaube, daß Sie Smith unrecht tun, und jedenfalls ist die Art...«

»Glauben Sie, was Sie wollen«, unterbrach ihn aber kurz der kleine, äußerst gereizte Mann. »Wenn Sie mich wegen meiner Worte zur Rede stellen wollen, wissen Sie, wo ich wohne.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um, würdigte keinen mehr eines Blickes und ging rasch die Straße hinunter.

Smith machte eine Bewegung, als wolle er ihm folgen, aber Siftly ließ seinen Arm nicht los. Er zog ihn in die entgegengesetzte Richtung und flüsterte leise:

»Laß ihn laufen! Wenn er nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, mußte er etwas merken. Jetzt hat er sich ausgesprochen, und die Sache ist viel leichter und schneller vergessen. Er weiß genausogut wie wir, daß er nichts machen kann. Ich denke, die paar Worte können wir uns wohl von ihm gefallen lassen. Er hat sie teuer genug bezahlen müssen.«

»Er wird uns aber weiter nachspüren«, sagte Smith. »Wenn du mich nicht gehalten hättest, wäre er jetzt unschädlich gemacht!«

»Und wir vielleicht in den Händen einiger freundlicher Konstabler, die sich genauer nach unseren Verhältnissen erkunden möchten, als uns wahrscheinlich lieb wäre«, sagte lachend Siftly. »Nein, Kamerad, nicht hier in der Stadt, die wir doch morgen verlassen. Sollte er aber wahnsinnig genug sein, uns zu folgen, dann überläßt du mir die Sache. Ich hoffe, du wirst dann mit der Erledigung zufrieden sein. Aber jetzt Schluß mit dem Unsinn und zu den Geschäften. Ich war leider nicht in der Lage, dich nach dem Feuer wiederzufinden. Unser Zusammentreffen würde ich auch zufällig nennen, wenn ich nicht wüßte, daß wir beide mit stärkeren Banden aneinander gefesselt sind. Ist das Gold in Sicherheit?«

»Ja«, erwiderte Smith.

»Außerhalb der Stadt?«

»Natürlich. Hier wußte ich keinen sicheren Platz und wollte uns auch keiner Entdeckung aussetzen.«

»Natürlich nicht. Und wann brechen wir auf?«

»Morgen früh, denke ich, aber nach dem, was eben zwischen uns und dem Burschen vorgefallen ist, nicht zusammen. Wir treffen uns lieber an einem anderen Ort, am besten in den Minen.«

Siftly warf einen raschen, forschenden Blick auf das Gesicht seines Kameraden. Im Schatten der Häuser, in dem sie gemeinsam gingen, ließen sich jedoch seine Züge nicht mehr erkennen.

»Und wie willst du das Gold wegbringen?« erkundigte sich Siftly nach einigem Überlegen.

»Auf einem Dampfboot bis Sacramento natürlich«, sagte Smith. »Dort kaufe ich ein Maultier und packe es in die Satteltasche.«

»Und wo ist es jetzt?«

»Das Gold? In Sausalita. Ich war heute morgen drüben. Am besten, du nimmst den Landweg um die Bai nach Sacramento, auch wenn der etwas weiter und mühsamer ist. Wir treffen uns dann nicht in Sacramento City, wohin Brown auch kommen könnte, sondern in Yuba City. Dort spürt uns kein Teufel auf, soviel ist sicher.«

Siftly überlegte kurz. »Nein, das wohl nicht, aber – ich habe mir die Sache doch anders überlegt und denke, wir machen die Reise lieber zusammen. Wenn uns Brown wirklich nachspüren wollte und uns zusammen trifft – was weiter? Daß er uns nicht schaden kann, dafür will ich schon sorgen!«

»Meinetwegen, wenn du mir nicht traust!« sagte Smith finster.

»Davon ist jetzt keine Rede«, erwiderte Siftly ruhig. »Ich weiß, daß du mich kennst, und deshalb mache ich mir keine Sorgen. Also, um wieviel Uhr geht das Sausalita-Boot morgen früh ab?«

»Um sechs.«

»Und das Sacramento-Boot?«

»Um sieben. Es legt aber auch in Sausalita an.«

»Gut, dann gehst du morgen früh mit dem ersten Boot hinüber, und ich komme mit dem zweiten nach. An der Landestelle wartest du mit dem Gold auf mich, und wir reisen zusammen. Bist du einverstanden?«

»Von Herzen gern, wenn nur Brown uns keinen Streich spielt!«

»Genug, das ist besprochen. Wohin gehst du jetzt?«

»Ins Parkerhaus oder vielmehr Parkerzelt«, lachte Smith. »Der Betrieb hat sich ja etwas reduziert. Gehst du mit?«

»Klar!« erwiderte Siftly. »Wenn wir jetzt auch keine freie Hand mehr im Spiel haben können, bin ich das Leben doch zu sehr gewohnt und vermisse es. Ich will heute abend sehen, ob ich selbst Glück habe.«

In der Pacific Street stand ein kleines, einzelnes Haus aus Sparrbalken und mit blauem, von der Sonne schon gebleichtem Kattun bespannt. In eine Ecke hatte man auf die bloße Erde eine Matratze geschoben, und dort lag, von einer Decke zugedeckt, ein Kranker. Er schlief fest, aber unruhig.

Neben dem Lager stand eine junge, bleiche, aber bildschöne Frau. Ein alter Mann mit weißen Haaren hatte sich gerade über den Fieberkranken gebeugt und fühlte mit vorsichtigem Finger seinen Puls. Die Frau schaute mit ängstlich gefalteten Händen und besorgtem Blick zu. Als der alte Arzt nachdenklich den Kopf schüttelte, ergriff sie seinen Arm und führte ihn zur Tür.

»Sie sind mit seinem Zustand nicht zufrieden, Doktor?« erkundigte sie sich mit zitternder Stimme. »Verhehlen Sie mir bitte nichts, die Ungewißheit und Angst sind für mich viel schlimmer als die Wahrheit!«

»Sie müssen nichts befürchten, Mrs. Hetson«, sagte der alte Mann freundlich. »Sein Puls gefällt mir allerdings nicht, aber er hat gerade starkes Fieber, und ich hoffe, daß aus der ganzen Sache nichts weiter wird als eben ein Fieber, das wir schon wieder beheben können. Es wäre aber für Sie beide wünschenswert, wenn Sie eine freundlichere Umgebung bekämen als diese alte Kattunbude. Der erste starke Regen würde sie doch zusammenwaschen!«

»Denken Sie nicht an mich, Doktor«, bat die Frau. »Schaffen Sie mir nur die Beruhigung, daß mein armer Frank wiederhergestellt wird, und ich will Ihre Kunst segnen!«

Der Arzt zuckte die Achseln. »Beste Mrs. Hetson, ich befürchte fast, daß das eigentliche Übel außerhalb des Bereiches meiner Kunst liegt und mehr in seinem Geist, vielleicht in seiner Einbildung beruht. Sie wissen, weshalb er in diesem Zustand ist?«

»Nein, ich habe keine Ahnung.«

»Wo haben Sie ihn gefunden?«

»Der Arzt fand ihn, ein Gentleman aus England. Wir waren in sein Haus geflüchtet, ehe die Flamme auch dort hinüberschlug und uns zur Flucht zwang. Hetson war zum Parkerhaus geeilt, um noch etwas von unseren Sachen zu retten. Der Arzt fand ihn bewußtlos auf der Straße liegen. Er erkannte ihn und ließ ihn in dieses kleine Haus bringen, das ihm ebenfalls gehört. Ich war in der Wohnung seines Bruders und kam dann auch hierher. Jetzt ist er gegangen, um Medizin zu besorgen. Ich danke nur Gott, daß er Ihre Schritte hierhergelenkt hat. Aber wie erfuhren Sie, daß wir uns hier befanden?«

»Nur durch einen Zufall«, sagte der alte Mann, »der hier das kalifornische Schicksal zu vertreten scheint, wenn wir in unserem wunderbaren Leben überhaupt einen Zufall gelten lassen wollen. Von Mitpassagieren hörte ich, daß Mr. Hetson, der einigen auf der Straße begegnet war, seine Frau verloren habe und ganz außer sich geraten sei. Einer der Leute hatte glücklicherweise geholfen, ihn in dieses Haus zu tragen, und war so freundlich, mich hierherzuführen.«

»Aber wie kann um Gottes willen diese Krankheit nur in seiner Einbildung verwurzeln?« sagte die Frau.

»Vielleicht bin ich selbst schuld«, antwortete Doktor Rascher. »Ich sah Sie während des Feuers in Begleitung des englischen Arztes, den ich natürlich nicht kannte. Ich nahm an, Ihr Mann wäre bei Ihnen. Als ich ihn dann suchend traf, sagte ich ihm, daß ich Sie unter dem Schutz eines fremden Mannes getroffen hätte. Ich fürchte, daß er ihn für seinen Nebenbuhler hielt. Nach dem, was Sie mir berichtet haben, könnte das seinen Zustand erklären.«

Jenny schwieg, sie war fast noch blasser geworden und sah ernst zu Boden.

»Armer, armer Frank!« flüsterte sie dann leise. »Was glauben Sie, Doktor, kann ihn von diesem unglücklichen Wahn befreien, ihn gründlich heilen?«

»Gründliche Heilung«, sagte der alte Mann, »ist nur durch ein persönliches Begegnen und Aussprechen der beiden Männer möglich. Aber es ist auch ein gefährliches Mittel. Jetzt quält er sich ab in der Angst um ein Schattenbild, ein Phantom, das ihm überall droht und doch nicht erreichbar ist. Wenn er ihm erst einmal Auge in Auge gegenübersteht...«

»Befürchten Sie nicht, daß das seinen Zustand verschlimmern könnte, Doktor?«

»Ehrlich gesagt, nein. Allerdings läßt sich die Entwicklung solcher Seelenzustände unmöglich vorherbestimmen. Wissen Sie, wo dieser Mann sich aufhält?«

»Ich habe davon keine Ahnung. Erst durch Frank habe ich gestern erfahren, daß er in Kalifornien ist, und selbst das kann noch eine Namenstäuschung sein. Ich befürchte für ihn aber das Schlimmste, sogar für sein Leben, wenn er in diesem Zustand ihm begegnet.«

»Dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als entweder Kalifornien mit dem ersten besten Schiff wieder zu verlassen, und das wäre für Sie beide, insbesondere für Sie, Mrs. Hetson, das allerbeste. Oder Sie machen, wenn Ihr Mann einverstanden ist, eine Reise in die Gebirge, sobald er in der Lage ist, das ohne Gefahr auf sich zu nehmen. Die frische Bergluft und das Gefühl der Sicherheit oben in der Wildnis werden dazu beitragen, seine alte Kraft und Gesundheit zurückzubringen. Dann wird er sich auch die früheren, häßlichen Träume fernhalten.«

»Doktor!« flüsterte in diesem Augenblick der Kranke und erhob sich mühsam von seinem Lager. »Doktor! Sie sind dort die Straße hinaufgeflohen! Wenn Sie ein Pferd nehmen, können Sie ihn noch einholen! Jenny! Jenny!«

»Frank – mein Frank!« rief die Frau, stürzte an sein Lager und nahm ihn in die Arme. »Ich bin doch bei dir und werde dich nie wieder verlassen! Kennst du deine Jenny nicht mehr?«

»Die Straße hinauf, Doktor!« rief aber der Unglückliche, den die Stimme nicht erreicht hatte. »Dort drüben! O Gott, jetzt sind sie um die Ecke, und in dem Menschengewirr werden Sie die Spur verlieren!«

»Frank, lieber Frank, komm zu dir! Ich bin doch hier, bei dir, sieh mich an!«

Der Kranke lauschte einen Augenblick, dann stöhnte er: »Siftly! Wo ist Siftly? Rufen Sie ihn, Doktor. Ich muß ihn sprechen, aber schnell! Er kennt alle Winkel und Wege dieser irren Stadt – er hat mir auch ein Mittel genannt, um Ruhe und zu finden! Siftly – Siftly... kann mir... helfen!« Erschöpft, mit geschlossenen Augen sank der Kranke zurück in die Arme seiner Frau, wo er ruhig liegenblieb.

»Nach wem ruft er da?« fragte der Arzt mit unterdrückter Stimme, als er wieder nach dem Puls faßte.

»Ein Jugendfreund meines Mannes, den er hier zufällig getroffen hat«, erwiderte Mrs. Hetson.

»Da er nach ihm ruft, wäre es vielleicht gut, ihn herzubringen. Vielleicht kann seine Nähe die wilden Träume zerstören. Wissen Sie, wo er zu finden ist?«

»Soviel ich weiß, wohnte er im Parkerhaus. Zumindest kennt man ihn dort, denn trotz der Überfüllung des Hauses verschaffte er uns noch ein Zimmer. Aber sein Aussehen ist nicht gerade eine Empfehlung. Ich kann mich irren, aber ich glaube kaum, daß ich mich in seiner Nähe wohl fühlen würde.«

»Liebe Mrs. Hetson«, sagte achselzuckend der Arzt und legte den Arm des Kranken wieder auf die Decke. »Nach dem, was ich bislang von dem Land und seinen Bewohnern gesehen habe, scheint es mir, als könnte man nicht immer nach dem Äußeren gehen. Oft steckt hier in der unscheinbarsten Hülle ein ganz hervorragendes Exemplar eines Menschen. Ich habe selbst ein merkwürdiges Beispiel davon erlebt, was ich Ihnen vielleicht später einmal erzähle. Von dem ersten Eindruck müssen wir hier absehen. Jedenfalls will ich nach dem Mann im Parkerhaus sehen. Wenn wir von seiner Anwesenheit eine Besserung für unseren Kranken erwarten können, bringe ich ihn hierher. Sind Sie damit einverstanden?«

»Mit allem, was Sie anordnen!« sagte sie und ergriff seine Hand. »Sie haben sich schon an Bord als so guter, ehrlicher Freund erwiesen, daß ich...«

»Aber, Mrs. Hetson, ich wollte, ich könnte wirklich etwas Wesentliches für Sie tun. Bis das geschehen ist, sparen Sie sich den Dank!« sagte der alte Mann abwehrend und lächelte.

»Was soll ich jetzt mit dem Kranken tun? Die ganze Nacht allein ohne Hilfe vergehe ich ja vor Angst!«

»Allein dürfen Sie auch nicht bleiben, man weiß nie, was passiert. Ich habe deshalb schon daran gedacht, Ihnen eine Frau herüberzuschicken, und zwar die, die die Schiffsreise mit uns gemacht hat. Es ist zwar eine Deutsche, aber ich weiß, daß Sie sich auch in meiner Sprache verständlich machen können. Sie wohnt nur ein paar Häuser weiter und hat ihre Kinder unter der Aufsicht eines Reisegefährten. Sie kann immer einmal hier hereinsehen und wird meine Bitte bestimmt nicht abschlagen. Ich bin ihr unterwegs auch immer gefällig gewesen und habe das jüngste Kind von einer Krankheit geheilt. Der englische Arzt wird Ihnen wahrscheinlich ein Beruhigungsmittel für Ihren Mann bringen, denn ein anderes Mittel können wir kaum anwenden, ehe wir die Krankheit nicht genau kennen. Jedenfalls sehe ich selbst in einer Stunde noch einmal nach und bringe dann hoffentlich gleich die versprochene Frau und einige Medikamente mit.«

Jenny Hetson wollte ihm danken, aber der Arzt schüttelte freundlich seinen Kopf, ergriff den Hut und verließ rasch das Haus. Er wollte zuerst mit Frau Siebert sprechen und dann zum Parkerzelt gehen.

Der Abend brach an, und im hell erleuchteten Parkerzelt herrschte bereits wildes Leben. Allerdings fehlten die anregenden, frivolen Bilder, und die rauhen, eingerammten Pfosten mit den Lampen gaben dem Platz nichts von seiner früheren Eleganz. Aber der innere Raum war hell erleuchtet. Aus rohen Brettern hatte man ein Orchesterpodium errichtet, von dem die rauschende Musik wirbelte. Um die mit grünen Tüchern gedeckten Tische scharten sich die Spieler, soviel nur Platz fanden. Schon die Neugierde hatte viele Fremde hergebracht, die den Betrieb wieder eingerichtet sehen wollten, wo noch vor wenigen Stunden Flammen zum Himmel schlugen. Andere Spielhäuser waren ja auch vorübergehend zur Untätigkeit verurteilt, weil ihnen die Mittel für den schnellen Aufbau fehlten. Aber spielen mußten die Leute, womit sollten sie sonst den langen Abend verbringen. Was nur Platz finden konnte, drängte herbei.

Wie erwähnt, war der hintere Raum des Zeltes für die Speisetafel freigehalten und durch eine hölzerne Barriere, die am Abend noch einen Zeltvorhang erhielt, getrennt. Der Ertrag deckte zwar kaum die Kosten der Einrichtung, aber hier galt es, die Leute festzuhalten, die ihr Geld verspielen wollten. Sie sollten nicht außer Haus ihr Abendessen suchen und dann vielleicht nicht mehr zurückkehren. Auch der Champagner floß dort reichlich. Da sich der Wirt die Flasche mit fünf Dollar bezahlen ließ, ersetzte ihm das etwas von dem geringen Verdienst, den das Essen brachte. Die gedeckten Plätze waren fast alle belegt. Stand hier oder dort einmal einer auf, nahm sofort ein anderer seinen Sitz ein, und die Kellner wurden ständig in Atem gehalten. Erst mit einbrechender Dunkelheit verloren sich die Gäste immer mehr, um in der benachbarten Abteilung ihr Glück zu versuchen. In der Zeit zwischen Mittagessen und Abendbrot kamen nur wenige herein, die rasch abgefertigt wurden.

Unser alter Bekannter, der Kellner Emil, war ebenfalls den ganzen Tag außerordentlich beschäftigt gewesen. Erst jetzt, als sich die Zahl der Eßlustigen verminderte, fand er die Zeit, an sein eigenes Mittagessen zu denken. Das holte er sich selbst aus der Küche an einen gerade unbesetzten Teil des Tisches, schenkte sich ein Glas Wein ein und aß in aller Ruhe. Dabei warf er aber doch hin und wieder einen Blick zum Eingang, ob nicht noch eine größere Anzahl Gäste eintrat. Da hob Doktor Rascher die Leinwand auf, und Emil sprang mit einem Satz von seinem Stuhl auf.

»Hallo, Doktor, wie geht es Ihnen? Haben Sie bei dem Brand viel von Ihren Sachen verloren?«

»Vor allen Dingen bleiben Sie sitzen, und essen Sie Ihr Abendbrot, Herr Baron!« sagte der alte Arzt und schüttelte die Hand des jungen Mannes.

»Wenn Sie mich doch bloß nicht mehr ›Baron‹ nennen würden!« sagte er lächelnd und setzte sich wieder. »Sie werden doch wohl zustimmen, daß der Titel und meine Beschäftigung nicht zusammenpassen – wenigstens nach unseren europäischen Ansichten. Nennen Sie mich Emil, und wenn es nur wegen der anderen Leute ist. Wenn wir uns später einmal wieder zu Hause treffen, was hoffentlich der Fall ist, dann können Sie mich wieder nennen, wie Sie wollen.«

»Wenn Sie es nicht anders haben wollen, meinetwegen.«

»Ist Ihnen in der vergangenen Nacht viel verbrannt?«

»Gott sei Dank, nein. Meine Apparate befanden sich zum Glück noch an Bord. Nur meine kleine Medizinkiste und etwas Wäsche hatte ich an Land und konnte das glücklicherweise retten.«

»Es freut mich, das zu hören«, sagte Emil. »Jetzt aber erlauben Sie mir, Sie zu bedienen. Sie wollen doch essen? Bitte, keine Umstände, ich hoffe, wir verstehen uns doch?«

Der alte Mann lächelte.

»Sie müssen es einem eingefleischten Deutschen schon verzeihen, daß er sich von seinen alten Vorurteilen nicht so rasch losreißen kann. Aber Sie wünschen es so, lieber Emil, und so will ich mich fügen. Ja, ich möchte gern nachher etwas essen, denn ich hin fast noch nüchtern. Aber zuerst möchte ich Sie um Auskunft bitten. Es handelt sich um einen Mann, wohl einen Amerikaner, der im Parkerhaus wohnt oder sich vor dem Brand dort sehr häufig aufgehalten hat.«

»Mit dem größten Vergnügen, wenn ich ihn kenne. Haben Sie seinen Namen, oder können Sie ihn mir beschreiben?«

»Ich weiß nur, daß er Siftly heißt.«

»Siftly?« sagte der Kellner erstaunt. »Was haben Sie denn mit dem zu tun?«

»Sie kennen ihn?«

»Allerdings. Er gehört zu der nichtsnutzigen Sorte amerikanischer Spieler, die schon jetzt der Fluch des Landes geworden sind. Er ist nicht ungebildet, aber schon in seinem Gesicht erkennt man seinen Hang zu allen Lastern der Welt. Er ist rücksichtslos bei der Verfolgung seines Zieles, viel Gold zu bekommen. Diese Küste wird er nur als reicher Mann wieder verlassen, und wenn er dazu rauben und morden muß.«

»Sie schildern ihn ja in sehr schwarzen Farben!«

»Ich schildere Ihnen aber nicht nur einen, sondern leider eine ganze Klasse von solchen Menschen, deren Repräsentant Siftly ist. Wenn Sie meinem Rat und meiner kalifornischen Erfahrung etwas glauben wollen, dann lassen Sie sich mit dem Mann in nichts ein, wozu Sie einen ehrlichen Menschen brauchen.«

»Kalifornische Erfahrung«, lächelte der Arzt gutmütig. »Wie lange sind Sie denn schon eigentlich im Lande?«

»Drei Monate«, lautete die Antwort. »Sie müssen aber wissen, daß unser Jahr hier nur einen Monat hat oder daß sich in Kalifornien die Erlebnisse eines Jahres in diese Zeit zusammendrängen. Wir leben hier entsetzlich schnell, und selbst die Zinsen werden nicht nach Jahren, sondern nur nach Monaten gerechnet. Kaufleute zahlen jetzt nicht selten schon zehn oder zwölf Prozent monatliche Zinsen für das Kapital, und sechs Prozent per Monat ist der niedrigste Zinsstand. Vermögen wird hier ja auch in Monaten oder sogar Wochen gewonnen und oft in Tagen oder Stunden verloren. Wer einmal fünf Jahre in diesem Land verbracht hat, kann sich einen Greis an Erfahrung nennen!«

»Sie mögen vielleicht recht haben«, stimmte ihm der alte Arzt zu. »Was ich schon in den vierundzwanzig Stunden meines Aufenthaltes erlebt und gesehen habe, bestätigt das vollkommen. Um Sie aber zu beruhigen, ich habe selbst nichts mit diesem Siftly zu tun. Einer meiner Reisegefährten ist aber sehr krank und verlangt nach ihm. Wenn er aber eine solche Persönlichkeit ist, wie Sie ihn beschrieben haben, will ich ihn auch nicht belästigen, sehen möchte ich ihn aber doch. Ist er hier im Zelt?«

»Gewiß, denn die Spieltische sind das Element, in dem er lebt. Er könnte genausowenig ohne das grüne Tuch und die Karten existieren wie ein Fisch ohne Wasser. Er kommt aber auch zum Essen hierher, weil er bei uns abonniert und vorausgezahlt hat. Wenn Sie noch etwas warten wollen, können Sie ihn nachher beobachten. Sonst gehe ich aber auch einmal mit Ihnen in das Spielzelt und suche ihn, nur ist das Gedränge eben sehr arg.«

»Noch habe ich Zeit«, sagte der Arzt. »Da ich auch etwas genießen muß, kann ich gleich beides verbinden. Bitte, lieber... Emil, bestellen Sie mir etwas zu essen.« Der junge Mann verbeugte sich lächelnd, rückte dem Gast Teller, Messer, Gabel und Glas zurecht und verließ dann das Zelt, um sein Abendbrot zu besorgen.

Das Orchester war von der Speisetafel nur durch die dünne Leinwand getrennt. Es hatte ununterbrochen wüsten Lärm gemacht, den man allerdings nach einiger Zeit nicht mehr hörte. Betrat man erst den Raum, so klang es wie das schwere Klappern und Rauschen einer Mühle, das uns zuerst betäubt. Dann aber härtet sich das Gehör so dagegen ab, daß man keinen bestimmten Eindruck mehr davon wahrnimmt. Ja, man gewöhnt sich so stark daran, daß man nur lauter spricht, um von einem anderen gehört zu werden. Den Lärm vergißt man dabei ganz – bis er plötzlich schweigt.

So ging es Doktor Rascher. Er saß an dem Tisch und wartete auf sein Essen. Dabei dachte er an seinen Patienten Hetson, während dieses Chaos von wilden, schwirrenden und schmetternden Tönen sein Ohr erfüllte und betäubte, als die ›Musik‹ ganz plötzlich und wie abgeschnitten schwieg. Erschrocken zuckte er von seinem Stuhl hoch und fühlte erst jetzt das Unangenehme des früheren Tobens.

»Gott sei Dank, daß es vorüber ist«, murmelte er leise vor sich hin. »Jetzt werden sie mich doch die paar Bissen ruhig essen lassen.«

Der leise zitternde Ton einer Violine antwortete ihm darauf. Er setzte fast so unmittelbar ein, wie die übrigen Instrumente schwiegen, und der Doktor rückte sich unwillig auf seinem Stuhl zurecht. Dieser Unwille in seinem Gesicht wich aber bald einem angenehmen Erstaunen, mit dem er dem Fortgang der Töne lauschte. Immer seelenvoller und mächtiger schwollen sie an, er hörte und sah nichts weiter um sich her und beachtete noch nicht einmal, daß Emil das Essen vor ihn hingestellt hatte und hinter seinem Stuhl stehenblieb. Das war auch ohne das leiseste Geräusch geschehen, und der Kellner schien selbst ganz verloren den schwermütigen Klängen des wunderbaren Instrumentes zu lauschen. Andere Gäste hatten inzwischen das Zelt betreten und Platz genommen – er bemerkte es gar nicht. Regungslos lauschten die beiden der süßen Melodie.

»Emil! Zum Henker, Emil!« weckte ihn da eine rauhe Stimme aus seinen Wachträumen. »Sind Sie durch das Gefiedel da draußen so müde geworden, daß Sie im Stehen Ihren Mittagsschlaf halten? Was gibt's heute zu essen? Ich habe einen Hunger wie ein Wolf und den ganzen Tag noch keinen ordentlichen Bissen über die Lippen gebracht!«

Emil schrak auf, wie von einer Nadel gestochen. Er warf einen zornigen Blick auf den Störer, doch der bemerkte ihn nicht. Er war völlig in den vor ihm liegenden Speisezettel vertieft. Dann war er wohl zu einem Resultat gekommen, schob ihn zur Seite und rief: »Eine Portion Roastbeef und Kartoffeln. Nachher will ich einmal einen Schnitt von dem Grizzlybären versuchen – aber ein bißchen rasch, wenn's gefällig ist, ich habe nicht viel Zeit.«

Auch der Doktor war durch die rauhe Störung wieder zu sich selbst gekommen und betrachtete den eben eingetretenen Mann. Der hatte seine Zarape über die Stuhllehne geworfen, den Hut weiter nach hinten geschoben und dann beide Hände abwartend gegen den Tisch gestemmt.

»Das ist Siftly«, flüsterte Emil hinter ihm. Dann wandte er sich ab, um seiner Pflicht als Kellner nachzukommen.

»Der also?« murmelte Rascher leise vor sich hin und vergaß dabei sogar die weiche Melodie. »Ja, da haben der Baron und Mrs. Hetson allerdings recht. Das Gesicht gefällt mir auch nicht. Der große Bart steht ihm zwar, aber diese kleinen, schwarzen Augen blicken tückisch unter den dunklen Augenbrauen. Entschlossen sieht er auch aus und wird sich seinen Weg in diesem wilden Land bahnen. Ob der aber der richtige Arzt für meinen Kranken ist, möchte ich bezweifeln.«

Siftly bemerkte den unter einer Lampe sitzenden Fremden nicht oder beachtete ihn nicht. Er nickte Emil zu, der eben mit dem Essen kam, ergriff Messer und Gabel und schien jetzt für nichts anderes mehr Sinn zu haben als für seine Mahlzeit. Die Violine war draußen verstummt, und Emil trat wieder zum Stuhl des Doktors.

»Na, wie gefällt er Ihnen?« erkundigte er sich leise.

»Gar nicht«, erwiderte er rasch. »Sie haben vollkommen recht, der Mensch hat ein gefährliches Gesicht und kann wohl einem anderen nicht frei ins Auge sehen. Aber sagen Sie doch mal, wer ist dieser wunderbare Violinspieler, der sein Instrument so meisterhaft beherrscht, und welcher unglückliche Stern hat ihn in eine der schlimmsten Spielhöllen von San Francisco geführt?«

»Ja, ein unglücklicher Stern«, seufzte da Emil viel ernster, als er bislang war. »Das trifft besonders zu, weil die Violine durch ein Mädchen gespielt wird.«

»Ein Mädchen?« rief der Doktor und drehte sich rasch zu ihm um.

»Eine Spanierin«, bestätigte Emil, »deren Vater der besten Klasse seines Landes anzugehören scheint, so edel sind sein Äußeres und sein Benehmen, wenn – wenn nicht das Spiel ihn zu dem gemacht hätte, was er jetzt ist – ein unglücklicher, verlorener Spieler, der sich und sein Kind rettungslos zum nahen Abgrund des Verderbens zieht.«

»Sie machen mich neugierig, sie zu sehen«, sagte der Doktor.

»Da kommen sie«, flüsterte Emil. Wäre Doktor Rascher im Moment nicht mit den Personen beschäftigt gewesen, so hätte ihm die Veränderung im Gesicht seines jungen Freundes nicht entgehen können. So aber sah er nur rasch zum Einschnitt im Segeltuch, der als Tür diente. Manuela, wie immer in Schwarz gekleidet, das bleiche, wunderschöne Gesicht halb verhüllt, betrat, schüchtern an ihren Vater gelehnt, den Raum.

»Hallo, Don Ronez!« rief ihm da Siftly ungeniert zu. Er hatte sich ein paar spanische Worte gemerkt und gebrauchte sie zumeist falsch. »Sta bueno – aqui – aqui esta... Damn it, wie heißt das nun auf spanisch... he! Hier ist Platz, setzen Sie sich hierher mit der Señorita!«

Don Ronez schien die Einladung nicht gehört zu haben oder beachtete sie nicht. Er neigte nur leicht den Kopf zu dem Amerikaner, den Manuela überhaupt nicht ansah. Dann ließ er sich mit seiner Tochter an der anderen Seite des Tisches nieder. Siftly schien aber die Unterhaltung noch nicht aufgeben zu wollen. Mit dem wenigen Spanisch, das er radebrechte, versuchte er ein Gespräch mit dem jungen Mädchen anzuknüpfen und versuchte ihr Spiel zu loben. Manuela gab ihm aber keine Antwort und sah auch nicht von ihrem Teller auf. So wies sie hartnäckig jede Annäherung zurück, bis der Amerikaner ihr einen nicht gerade freundlichen Blick zuwarf, seine Unterlippe zwischen die Zähne kniff und mit dem Messer sein Brot zerstieß.

Emil war jetzt an den Tisch getreten, und die Wangen des jungen Mädchens röteten sich leicht. Gewaltsam bezwang sie jede aufsteigende Regung und wandte sich ihm zu. Mit leiser, aber weich und herzlich klingender Stimme sagte sie in ihrer Muttersprache:

»Señor, Sie haben uns in den letzten Tagen einige Male sehr geholfen und meinem Vater das Essen ohne Barzahlung überlassen.«

»Señorita!« erwiderte der Kellner, dem das Blut ins Gesicht schoß. »Das ist... das ist eine Sache, die allein meinen Chef betrifft.«

Das Mädchen sah ihn groß und forschend an. Es war das erste Mal, daß sie die langen, dunklen Wimpern hob, seitdem sie den Raum betreten hatte. Dann sagte sie und schüttelte dabei leise den Kopf:

»Ich weiß, daß Monsieur Rigault keinem Menschen borgt. Wenn deshalb einer seiner Leute Essen ohne Bezahlung herausgibt, so ist es auf dessen Gefahr. Wir müssen Ihnen deshalb dankbar sein. Diese kleine Summe wird das gerade decken. Bitte, nehmen Sie!«

»Señorita!« bat Emil verwirrt, ohne die Hand nach dem Geld auszustrecken. Das junge Mädchen sah ihn aber so ernst und erstaunt an, daß er sich nicht länger weigern konnte. Er nahm das Geld und sagte zögernd:

»Ich hoffe nicht, daß diese wenigen Dollars Sie bedrückt haben, Señorita. Sie müssen mir glauben, daß ich Ihnen gern für kurze Zeit geholfen habe.«

Das Mädchen erwiderte nichts, verneigte sich nur leicht zu ihm und nahm ihren Sitz wieder ein. Inzwischen hatte ein anderer Kellner die von Emil bestellten Speisen für Señor Ronez und seine Tochter gebracht. Schweigend verzehrten die beiden ihr Mahl. Doktor Rascher behielt dabei Zeit, um die Züge des jungen Mädchens zu beobachten. Er mußte sich gestehen, in seinem ganzen Leben kein schöneres, edleres Gesicht gesehen zu haben. Dabei konnte die junge Frau höchstens siebzehn Jahre alt sein. Wie furchtbar mußte sie da ihre Lage empfinden, hier, unter den Spielern, als Lockvogel die Opfer an die Spieltische zu rufen. Aber vielleicht fühlte sie das nicht in seiner ganzen Schärfe, überredete sich der gute, alte Mann. Dann ertrug sie ihr Los viel leichter. Er konnte ja nichts von den heißen Tränen wissen, die die Unglückliche jede Nacht vergoß.

Fast unwillkürlich schweifte sein Blick zu dem ihr gegenübersitzenden Amerikaner. Es war nicht möglich, eine größere Verschiedenheit in zwei menschliche Gesichter zu legen, als es diese beiden hatten. Der Gedanke an Margarete und Mephisto aus dem Faust drängte sich ihm auf. Auf der einen Seite die verkörperte Unschuld, auf der anderen die wilde, ungezähmte Leidenschaft. Fühlte Siftly etwas Ähnliches, weil er so stier auf das Mädchen sah? Nein, in seinem Gesicht lag keine Reue über begangene Missetaten, über ein verworfenes Leben. Wenn der Ausdruck etwas verriet, dann war es wilde Lust und Verlangen nach dem Mädchen. Das Anstarren des schönen, kalten Frauenbildes schien aber dann doch zu langweilen. Er bog sich plötzlich noch einmal über den Tisch und sagte:

»Manuelita!«

Trotzdem erwiderte das Mädchen keine Silbe, aß schweigend weiter und sah still vor sich nieder. Don Alonso, wie ihr Vater meistens genannt wurde, war aufgestanden und an die Kasse gegangen, um ihr Essen zu bezahlen. Mit einem leise gemurmelten Fluch stand da der Yankee auf, und Doktor Rascher folgte ihm ängstlich mit den Augen. Siftly ging nämlich um den Tisch herum direkt auf das jetzt allein sitzende Mädchen zu. Ihr war die Bewegung auch nicht entgangen, und scheu blinzelte sie unter den langen Augenwimpern zu der sich nähernden Gestalt, ohne sich jedoch zu rühren. Jetzt war der Amerikaner dicht hinter ihr, bog sich herunter, legte seine Hand um ihre Taille, lachte und sagte in englischer Sprache, von der er wußte, daß sie wenigstens etwas verstand:

»Komm, mein sprödes Täubchen, das hilft dir alles nichts! Wir gehören einmal zusammen zum Handwerk... du spielst oben und ich unten, und...«

»Señor!« rief das Mädchen aufspringend und riß die Hand weg. Sie warf ihm einen Blick tödlichen Hasses zu. Dadurch war der zudringliche Bursche aber nicht abgeschreckt, vielleicht schämte er sich auch vor den gerade eintretenden Bekannten. Rasch ergriff er sie wieder mit seiner eisernen Hand und zog sie trotz ihres Sträubens an sich. Lachend rief er aus:

»So will ich doch sehen, ob ich von dieser kalten, schwarzen Nachtigall nicht wenigstens einen Kuß...«

Er kam durch eine ebenso eigentümliche wie gewaltsame Unterbrechung nicht weiter. Der Kellner Emil hatte gerade in diesem Augenblick einige leere Teller vom Tisch genommen, als Siftly das Mädchen umschlang. Blitzschnell drehte er sich zu ihm um und schlug ihm mit aller Kraft die nicht gerade leichten Teller auf den Kopf. Sie sprangen in tausend Stücke, und der Getroffene ließ seine Beute los und taumelte zurück. Hätte der Filzhut den Schlag nicht etwas gemildert, wer weiß, ob er ihm nicht gefährlich geworden wäre.

»Bestie!« zischte der Getroffene zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch und riß den verborgenen Revolver heraus. Gleichzeitig floh alles, was hinter oder dicht neben dem jungen Deutschen stand, zur Seite. Rücksichtslos abgefeuerte Schüsse aus einer solchen Waffe hatten in den letzten Wochen schon mehrere Unschuldige getroffen. Niemand wollte deshalb aus Versehen zu einer Schußwunde kommen. Nur Emil blieb stehen und riß unter der Weste eine gleiche Waffe heraus. Er trat einen Schritt von Manuela weg, um sie aus der möglichen Schußrichtung zu bringen. Unter anderen Umständen hätte er nicht so lange auf den Schuß seines Gegners gewartet, denn Siftly war nicht der Mann, eine Beleidigung ohne tödliche Antwort hinzunehmen. Im Nu aber zuckte dem Spieler der Gedanke an seinen Kameraden durchs Hirn. Wurde er nach dem Schuß nur einen Tag hier festgehalten, so wußte er recht gut, daß der mit dem Geld verschwunden wäre. Hatte er ihn doch schon jetzt im Verdacht, daß er etwas Ähnliches beabsichtigte. Seine Rache mußte er deshalb auf eine andere, günstigere Zeit verschieben, und der Bursche lief ihm nicht weg. So steckte er den Revolver wieder ein und sagte drohend zu Emil:

»Sir, Sie haben die Frechheit gehabt, nach mir zu schlagen, als ich Ihnen den Rücken zudrehte. Das tut nur ein Feigling. Ich hoffe, Sie werden mir Rechenschaft geben, wenn ich sie verlange.«

»Mit Vergnügen!« lachte trotzig der junge Mann, der nicht einen Zoll zur Seite wich. »Den Schlag mit dem Teller würde ich allerdings nur als Strafe für Ihr nichtswürdiges Überfallen der jungen Dame ansehen, aber das Wort ›Feigling‹ verdient eine besondere Bestrafung. Bestimmen Sie mir für morgen früh eine Zeit, zu der ich Sie Ihnen erteilen kann!«

Siftly knirschte mit den Zähnen und griff unwillkürlich wieder zur Waffe. Aber er fühlte auch seine Hände gebunden, denn das Gold, für das er alles gewagt hatte, durfte er nicht aufs Spiel setzen.

»Keine Angst!« flüsterte er deshalb seinem Gegner zu. »Ich werde Ihnen eine Zeit bestimmen, darauf können Sie sich verlassen, und vielleicht früher, als Ihnen lieb ist. Und Sie, Señorita«, damit wandte er sich barsch an das junge Mädchen, das zitternd Zeuge dieses Auftritts war, »wenn Sie denn so entsetzlich kalt und vornehm sind und unter dem hohen Schutz eines Kellners stehen, dann veranlassen Sie doch bitte einmal, daß Ihr Vater auf der Stelle die sechs Unzen zahlt, die er mir seit heute morgen schuldet.«

»Was sagt er?« erkundigte sich Don Alonso, der gleich nach dem Angriff zu seiner Tochter getreten war und seinen linken Arm um sie gelegt hatte. Manuela war todbleich geworden. Sie schmiegte sich an ihn und fragte mit zitternder, angsterfüllter Stimme:

»Um Gottes willen, Vater, sagt der Mensch die Wahrheit? Schuldest du ihm Geld?«

Der Spanier antwortete nicht, aber tiefes Rot färbte seine Stirn. Er trat gegen den Amerikaner vor und sagte:

»Sie sollen bezahlt werden, Señor – ich gebe Ihnen mein Wort. Aber bis morgen abend müssen Sie sich gedulden.«

»Tut mir leid!« brummte Siftly, der nur das Wort ›manana‹, morgen, verstanden hatte. »Spielschulden sollen nie über Nacht stehenbleiben. Da ich sehe, daß meine Gefälligkeit nicht anerkannt wird, sehe ich auch nicht ein, warum ich eine Ausnahme machen soll.«

»Bitte, Sir, kommen Sie mit an den Zahltisch!« unterbrach Emil da den Spieler. »Sie werden dort Ihr Geld erhalten. Ich schulde Don Alonso etwa die gleiche Summe und glaube, daß es ihm recht ist, auf diese Weise von Ihnen loszukommen!«

Siftly warf ihm einen tückischen Blick zu, erwiderte aber gleich darauf lachend:

»Ich will nur das Geld, egal aus welcher Tasche und von wem!«

»Vater, erlaube es nicht!« flüsterte da Manuela. »Der Fremde zahlt für dich das Geld! Er sagte nicht die Wahrheit, als er behauptete, es dir zu schulden!«

Der alte Spanier blieb wie an seine Stelle gebannt. So stolz und edel er sich sonst gefühlt haben mochte, das Spiel und mit ihm die Gier nach Gold hatte alles in ihm getötet oder betäubt. Leise tröstete er seine Tochter:

»Keine Sorge, mein Herz! Morgen zahle ich dem Mann die Schuld zurück, und viel lieber ihm als dem Schuft, den Gottes Zorn treffen möge!«

Emil war inzwischen mit dem Mann, den er jetzt als seinen Todfeind betrachtete, an den Zahltisch des Wirtes getreten. Der weigerte sich nicht, dem Fremden die Summe sofort auszuzahlen, denn sein Kellner hatte noch viel mehr bei ihm gut. Siftly nahm das Geld, besah es flüchtig, schob es in die Tasche, ging zu seinem Stuhl, nahm die Zarape auf und verließ das Speisezelt, ohne sich auch nur einmal umzudrehen.

»Monsieur Emil!« sagte der Wirt zu dem jungen Mann, mit dem er stets französisch sprach. »Sie fangen an, dumme Streiche zu machen. Anstatt meine Teller und Gäste zu schonen, schlagen Sie die einen den anderen auf den Kopf und werfen dann auch noch, wie ich befürchte, Ihr Geld sehr nutzlos auf die Straße!«

»Mon capitaine!« lachte der junge Mann leichtherzig. »Gast und Teller waren nicht wertvoll, denn beiden fehlte die Glasur, und was mein Geld betrifft, so glaube ich, daß ich noch nie hundert Dollar besser angelegt habe!«

»Sehr schön, das ist Ihre Sache«, sagte der kleine Franzose und schrieb die Summe auf Emils Konto. »Wenn Sie übrigens, was ich nicht glaube, einem guten Rat folgen wollen, dann nehmen Sie sich vor diesem Spieler in acht. Von Vergessen oder Vergeben ist bei dieser Art Leuten nie die Rede. Statt daß er Ihnen dankbar für das Geld ist, das er sonst nie im Leben bekommen hätte, fürchte ich, daß er Ihnen noch einmal einen bösen Streich spielt – was mir leid tun würde.«

»Ich fürchte ihn nicht«, sagte Emil lachend.

»Um so schlimmer für Sie!« sagte der Franzose. »Dieses Gesindel ist immer gefährlich, noch dazu, wo die Amerikaner hier die Herren sind und uns als Eindringlinge ansehen. Aber ich habe Sie gewarnt, tun Sie nun, was Sie nicht lassen können.«

Emil verneigte sich lächelnd zu ihm und ging jetzt zu dem Doktor zurück, der ein stummer, aber aufmerksamer Zuschauer gewesen war. Ehe er ihn erreichte, trat ihm jedoch der Spanier entgegen. Er ergriff seine Hand und sagte:

»Señor, ich danke Ihnen für Ihre Gefälligkeit. Ich werde Ihnen diesen Dienst nie vergessen. Ich versichere ihnen, daß Ihr Geld nicht verloren ist. Ich wollte nur, ich könnte Ihnen beweisen, wie sehr ich fühle, was ich Ihnen schulde.«

»Das können Sie, werter Herr!« sagte da Emil mit viel mehr Herzlichkeit, als er bis jetzt gezeigt hatte. »Und noch dazu ohne große Mühe.«

»Aber wie?« erkundigte sich Don Alonso erstaunt.

»Wenn Sie nicht mehr spielen!« sagte der junge Deutsche.

»Mein Herr... Sie wissen nicht...«

»Ich weiß, daß Sie gegen diese Schurken nicht mit den gleichen Waffen kämpfen«, unterbrach ihn aber der junge Mann. »Gegen falsche Karten und falsches Spiel, gegen die abgefeimten Kunstgriffe können Sie nichts ausrichten, und das Geld, das Sie auf den Tisch legen, ist rettungslos verloren.«

»Ich danke Ihnen«, lächelte der Spanier. »Ich werde Ihrem Rat insofern folgen, daß ich von jetzt an aufmerksamer spiele.«

»Aber doch spielen?«

Don Alonso erwiderte nichts darauf, nickte ihm aber grüßend zu. Dann verließ er mit seiner Tochter das Zelt, um sie zum Orchester zu bringen.

»Sagen Sie einmal, lieber Baron«, rief dem jungen Mann jetzt der Arzt entgegen, »Sie erlauben mir wohl heute, Sie wieder so zu nennen, denn als Kellner sind Sie zu sehr aus der Rolle gefallen. Pflegen Sie Ihre Gäste immer so zu behandeln? Dann werde ich mich wohl nach einem anderen Restaurant umsehen müssen.«

Emil wurde rot. Nach einem Augenblick antwortete er verlegen:

»Sie haben recht. Ich hätte mich nicht an diesem Burschen vergreifen sollen, denn das ist nicht ehrenvoll. Aber mir lief die Galle über, und ich vergaß mich für einen Augenblick. Die Lektion kann ihm aber nichts schaden, und er hatte sie tausendfach verdient.«

»Schön, sehr schön«, erwiderte nickend der Arzt. »Das also sind die Früchte Ihrer dreimonatigen Erfahrungen in Kalifornien? Sie geben Ihr Leben in die Hände eines Raufbolds und Ihr Geld in die eines Spielers. Da bleibt Ihnen dann nichts übrig als Ihr Herz. Darf man fragen, wo Sie das inzwischen deponiert haben? Doch jedenfalls auch an einem ganz zweckentsprechenden Platz, nicht wahr?«

Emil wurde feuerrot und wollte dem Doktor eben etwas erwidern, als Monsieur Rigault seinen Namen rief.

Dem Ruf mußte der Kellner folgen und hatte das vielleicht nie lieber getan. Der Doktor stand auf, bezahlte bei einem anderen Kellner seine Zeche und verließ kopfschüttelnd das Zelt, um zu seinem Kranken zurückzukehren.


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