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Während einer so langen Seereise auf engem Raum zusammengedrängt, gewöhnen sich natürlich die Passagiere aneinander. Man ißt aus einem Topf, schläft unter einem Deck zusammen und ist so daran gewöhnt, die gleichen Gesichter jeden Tag zu begrüßen, daß einem etwas fehlt, wenn man am nächsten Tag die alten Gefährten nicht wieder begrüßt. Unterwegs werden oft Pläne gemacht, daß man nach der Landung zusammenhalten oder sich zumindest später schreiben will. Was geschieht nach der Landung?
Wenn man einen Tropfen Quecksilber auf den glatten Boden wirft, so hat man einen guten Vergleich zu einer Schiffsgesellschaft an Land. Der erste Schritt im Goldland trennt alle Bande, löst alle Versprechungen und verstreut die einzelnen wie Spreu im Wind.
Schon auf dem Überfahrtsboot existierte keine Gemeinschaft mehr. Jeder mußte auf sein eigenes Gepäck aufpassen und seine in verschiedene Ecken geworfenen Sachen zusammensuchen. Sowie das Boot festen Grund berührte, keuchte alles den ziemlich steilen, staubigen Hang hinauf, um so schnell wie möglich in das neue Leben einzutauchen. Wer dachte hier noch daran, sich von den Reisegefährten zu verabschieden? Fand man sich später wieder zusammen, um so besser. Falls nicht – nun, hier war Kalifornien, und jeder mußte sehen, wie er durchkam.
Mr. Hetson hatte mit seiner Frau die Landung schon viel früher erreicht. Ein leerer Karren, der Waren an den Strand brachte, stand zufällig bereit. Er wurde sofort gemietet, um ihr Gepäck in irgendein Hotel zu bringen. Es ging eine Weile durch die bunten Straßen dieser wunderlichen Stadt, die eine Mischung aus Zelten und Schuppen bildete. Dann hielt er vor einem typischen Gebäude, halb Zelt, halb Hütte. Die Wand neben der Tür bestand aus übereinandergenagelten Brettern, die andere Seite aus Segeltuch. Über dem Eingang stand mit großen, schwarzen Buchstaben der Name »Union Hotel«. Kein Zweifel, man hatte ein Hotel erreicht!
»Union Hotel« – der Verschlag sah eher einer Jahrmarktsbude ähnlich, in der man für wenig Eintrittsgeld Kuriositäten sehen konnte. Aber lieber Gott, in solch einem ›neuen‹ Lande durfte man auch nicht hoffen, die Bequemlichkeiten des alten Vaterlandes wiederzufinden. Vielleicht hielt auch das Innere mehr, als das Äußere versprach. Hetson wollte jedenfalls erfahren, ob er hier ein eigenes Zimmer für sich und seine Frau bekommen konnte.
Auf den Ruf des Karrenführers war eine Art Kellner in der Tür erschienen. Ohne weiteres griff er einen Koffer und eine Hutschachtel auf und wollte damit wieder im Inneren verschwinden.
»Halt!« rief ihm Hetson nach. »Kann ich hier ein eigenes Zimmer bekommen?«
»Eigenes Zimmer? Natürlich!« sagte der Kellner. »Nr. 7.« Damit tauchte er wieder hinter der Leinwand unter. Hetson blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, um den Platz näher zu betrachten. Aber selbst die bescheidensten Anforderungen fand er hier nicht erfüllt. Ein ›eigenes Zimmer‹ zeigte ihm der Kellner, aber es war nur ein kleiner Verschlag, eine Art Zeltabteilung, die einfach durch ein Stück blaues Kattun hergestellt war. Das ganze Hotel bestand aus acht oder zehn solcher Abteilungen, die nach oben offen ein gemeinsames Dach hatten. Sie erinnerten ihn an die Abteilungen, in denen man sich in Badeanstalten umziehen konnte.
Das konnte vielleicht eine Weile für Männer als Aufenthaltsort ausreichen. Man konnte jedenfalls darin existieren und es als eine Art Biwak betrachten. Aber eine Dame konnte hier auf keinen Fall einquartiert werden.
Der Karrenführer hatte inzwischen schon den größten Teil des Gepäcks heruntergegeben. Da erklärte Mr. Hetson, daß er hier unter keinen Umständen bleiben wollte. Ein passender Platz wäre wohl noch zu finden, ein schlechterer konnte es kaum werden.
Rasch ging er deshalb wieder zu dem Karren hinaus, um ihn als Transportmittel zu sichern. Ziemlich ratlos sah er auf die Menschenmenge, die die Straße hinauf- und hinunterwog. Da blieb ein Mann vor ihm stehen, betrachtete ihn einen Augenblick aufmerksam und rief dann aus: »Hetson! Bei allem, was lebt! Kamerad, welcher glückliche Wind hat dich nach Kalifornien getrieben?«
Der Mann war eine so auffallende Persönlichkeit, daß jeder, der ihn einmal gesehen hatte, ihn nicht wieder vergessen konnte. Trotzdem konnte ihn Hetson, als er ihn überrascht ansah, nicht erkennen.
Um die große, kräftige Gestalt hing eine bunte, mexikanische Serape. Er trug sie in der Art der Spanier und Kalifornier, über die linke Schulter geschlagen. Seinen Kopf bedeckte ein breitrandiger, brauner Filzhut, unter dem die kleinen, stechenden, schwarzen Augen aus einem Wald von Kopf- und Barthaaren hervorsahen. Seine Beine steckten in Hosen aus schwarzem Samt, an der Seite offen und reich mit silbernen Knöpfen verziert. An den Schuhen klirrten schwere mexikanische Sporen aus polierter Bronze. An seiner weißen, fast zarten Hand funkelten fünf oder sechs Ringe mit Steinen, als er sie dem jungen Amerikaner entgegenhielt. Aber wer war der Mann?
»Entschuldigen Sie vielmals, Sie scheinen mich zu kennen, aber ich kann mich nicht erinnern, wo...«, sagte Hetson etwas verlegen.
»Hahahaha!« unterbrach ihn da lachend der Bärtige. »Habe ich mich so verändert, das mich selbst ein alter Kommilitone nicht erkennt? Du erinnerst dich wohl nicht mehr an Bill Siftly, he?«
»Siftly? Ist das möglich?« rief Hetson jetzt erfreut und ergriff seine Hand. »Das ist allerdings ein tolles Zusammentreffen. Du mußt mir später erzählen, wie du hierhergekommen bist. Jetzt möchte ich dir meine Frau vorstellen.«
»Deine Frau!« rief der neugefundene Freund erstaunt aus und drehte sich rasch nach der Dame um.
»Gentlemen!« unterbrach da der Karrenführer die Unterhaltung. »Ich kann mir wohl denken, daß es schön sein muß, in diesem blutigen, verbrannten Land einen alten Bekannten zu treffen. Die Geschichte geht mich aber nichts an, und ich kann hier nicht stundenlang halten und meine Zeit versäumen. Zeit ist hier Geld, und wenn Sie mich nicht mehr benötigen, so bezahlen Sie mich.«
»Was ist, kommst du gerade erst an?« erkundigte sich Siftly rasch.
»Ja, und ich suche ein Hotel, wo ich mit meiner Frau wohnen kann. In dem Nest hier ist es unmöglich.«
»Das kann ich mir denken«, lachte Siftly. »Aber ich kenne ein besseres. Dreh den Karren um und fahr zum Parkerhaus!«
»Kein Platz mehr«, brummte der Fuhrmann. »War schon vorhin mit einer anderen Ladung dort.«
»Ich mache euch Platz«, sagte Siftly zuversichtlich. »Komm mit mir, Hetson, und ich garantiere dir, daß sie dich aufnehmen. Lade alles wieder auf, was da liegt, wir sind gleich dort.«
Der Mann gehorchte mit ziemlich mürrischem Gesicht.
»Fehlen noch zwei Stück, die der Kellner in das Haus getragen hat«, sagte er dann.
»Ach ja, ein Koffer und eine Hutschachtel«, rief Hetson. »Bitte, Kellner, bringen Sie die beiden Stücke wieder heraus.«
»Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte der Angesprochene, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren. »Sobald Sie mir die fünf Dollar Miete für den heutigen Tag bezahlt haben.«
»Die Miete für den heutigen Tag?« rief der junge Amerikaner erstaunt aus. »Ich habe noch gar nicht daran gedacht, mich hier einzumieten!«
»Sie haben von dem Zimmer mit Ihrem Gepäck Besitz ergriffen«, sagte achselzuckend der Kellner. »Ich hätte es in der Zwischenzeit schon dreimal wieder vermieten können. Wenn Ihnen unser Hotel nicht gut genug ist, zahlen Sie, was Sie schuldig sind, oder Sie bekommen Ihr Gepäck nicht eher wieder.«
»Das ist doch ein starkes Stück!« rief Hetson wütend. »Ich will doch einmal sehen, ob...«
»Zahle, um Gottes willen!« beschwichtigte ihn jedoch Siftly. »Laß die Gerichte in Frieden, wenn du nicht hundert Dollar für deine fünf loswerden willst. Du kannst noch froh sein, daß der junge Herr mit der weißen Schürze nicht unverschämt war und zwanzig forderte. Ich werde Sie empfehlen, Jack!« wandte er sich dann an den Kellner. »Jetzt aber die Sachen heraus, denn unser Fuhrmann wird ungeduldig. Sie bekommen das Geld.«
Der Bursche nickte nur kurz mit dem Kopf, verschwand in der Tür und kam nach wenigen Minuten mit dem Gepäck zurück. Es wurde auf den Karren geworfen, Hetson zahlte und bot seiner Frau den Arm. Wenige Minuten später erreichten sie den Hauptplatz der Stadt, die sogenannte Plaza, und damit das Parkerhaus, ein mehrstöckiges hölzernes Gebäude.
Siftly hielt Wort. Der Wirt räumte dem Ehepaar eine kleine Stube. Mrs. Hetson konnte sich bald wenn auch nicht wohnlich, so wenigstens erträglich einrichten. Hetson hatte seinen so zufällig gefundenen Universitätsfreund gebeten, unten auf ihn zu warten. Siftly wollte ihn im Schenk- und Spielsalon des Hauses treffen. Nachdem die wichtigsten Sachen ausgepackt waren, stieg Hetson die schmale Treppe wieder hinab. Auf dem ersten Gang traf er auf Doktor Rascher von der ›Leontine‹, der eben seine Zimmertür hinter sich abschloß.
»Ah, sieh da, Mr. Hetson!« begrüßte er ihn erfreut. »Haben Sie sich ebenfalls hier einquartiert? Das Haus ist wie ein Bienenstock, und Ihre Frau wird nicht viel zur Ruhe kommen.«
Hetson drückte ihm die Hand. »Ich freue mich, wenigstens Sie in der Nähe zu haben, Doktor. Wollen Sie in San Francisco bleiben?«
»Zunächst ja«, erwiderte der alte Mann. »Später werde ich aber hinauf in die Berge ziehen, um mir das Leben dort einmal mit anzusehen.«
»Und Gold zu graben?«
»Nein, das nicht«, lächelte der Doktor gutmütig. »Dazu reichen meine Kräfte wohl nicht aus. Der Hauptzweck meiner Reise ist, die Flora des Landes zu untersuchen. Ich will nicht im Mineralreich, sondern in der Pflanzenwelt meine Schätze sammeln. Ich glaube kaum. daß ich dabei einen Mißgriff machen werde. Und Sie, Mr. Hetson, werden sich wohl auch eine andere Beschäftigung suchen als mit der Spitzhacke und Schaufel?«
»Wer weiß?« sagte der junge Mann und lächelte dabei düster vor sich hin. »In den Bergen... wenn sie so sind, wie ich sie mir denke... entgeht man vielleicht mancher unangenehmen, unerwünschten Gesellschaft, die uns hier in der Stadt doch aufgedrungen wird. Ich habe große Lust, in die Minen zu gehen.«
»Mit Ihrer Frau?«
»Warum nicht? Den Zeitungen habe ich entnommen, daß gar nicht so wenig Frauen in den Bergen sind, und während der Sommermonate muß der Aufenthalt sogar reizend sein.«
»Das sollten Sie sich aber vorher noch einmal reiflich überlegen, Mr. Hetson«, sagte der alte Mann und schüttelte bedenklich mit dem Kopf. »Für einen einzelnen Mann mag es noch gehen, aber eine so zarte Frau wie Ihre hielte es nicht lange aus. Sie machen sich später bittere Vorwürfe! Gold ist schon eine gute Sache, und wir brauchen es zu unserem Leben. Aber wir dürfen dagegen doch nichts noch Kostbareres einsetzen, sonst bleiben wir immer die Verlierer, selbst wenn wir noch so viel erbeuten!«
»Keine Sorge, Doktor«, sagte Hetson. »Das Gold hat mich nicht nach Kalifornien geführt, und es wird mich auch nicht verleiten, einen dummen Streich zu begehen. Also, auf Wiedersehen, Doktor. Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie nachher einmal nach meiner Frau sehen könnten, Nr. 37. Ich bleibe vielleicht eine Stunde weg, und sie klagte vorhin über heftige Kopfschmerzen.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihre Frau auf festem Land zu begrüßen.«
Mit einer freundlichen Handbewegung sprang Hetson die Treppen hinunter, um seinen Gefährten zu suchen. Der Doktor folgte ihm langsam. Er wollte noch einige Änderungen in seinem Zimmer verlangen. Die kalifornische Lebensart war ihm noch zu fremd, die deutschen Gasthöfe hatte er noch nicht vergessen. Außerdem sehnte er sich wieder einmal nach einer kräftigen Mahlzeit mit grünem Gemüse und frischem Fleisch. Das mußte man auf einer langen Seereise entbehren und vermißt es schließlich schmerzlich.
Der Speisesaal war ein großer, mit einer Menge Tische ausgestatteter Saal, zu dieser Tageszeit allerdings noch ziemlich leer. Zwischen Mittag und Abend war immer stille Zeit, die von den geschäftig hin und her eilenden Kellnern dazu benutzt wurde, die Tische für das Souper wieder in Ordnung zu bringen. Der Doktor war noch in Gedanken mit dem Schicksal der Hetsons befaßt und achtete kaum auf seine Umgebung.
Der Oberkellner dieses Hauses war eine dürre, vertrocknete Gestalt. Wie alle anderen hatte er nur ein weißes Hemd und eine weiße Hose an. Sein Halstuch wurde mit einer Granattuchnadel gehalten. Sein echt französisches, sonnengebräuntes Gesicht war dem neuen Gast zugewandt, und gleich darauf sandte er einen seiner dienstbaren Geister zu ihm. Der Kellner war ein schlanker, junger Mann mit blondem Haar und blauen Augen. Sein Gesicht wies eine für einen Kellner unpassende tiefe Narbe in der Wange auf. Mit dem Speisezettel in der Hand trat er zu dem Gast, die Serviette über dem Arm.
»Anything you want, Sir?«
Der Doktor sah langsam, noch ganz in Gedanken vertieft, auf und starrte verwundert in das lächelnde Gesicht des Kellners.
»Was bringt Sie denn nach Kalifornien, Doktor?« lachte er da plötzlich und streckte dem Doktor die Hand entgegen.
»Baron Lanzot?« rief der Doktor und sprang erstaunt auf. »Liebe Güte, spielen Sie eine Komödie?«
»Wenn Sie wollen, ja«, lautete die Antwort des jungen Edelmannes. Er ergriff die Hand des Doktors und schüttelte sie. »Für zweihundert Dollar im Monat spiel ich für eine kurze Zeit Komödie, anstatt einem Phantom in den Minen nachzulaufen – dem Phantom des Millionärs.«
»Aber, um Gottes willen, Baron, wenn das Ihre Eltern erfahren... Ihre Mutter würde sich zu Tode grämen!«
»Ich halte sie für eine vernünftigere Frau, Doktor. Sie wird lieber sehen, daß ich hier mein Brot ehrlich verdiene, als daß ich müßig herumlungere und Schulden mache. Alle, die das Schicksal an diese Küste geworfen hat, arbeiten für ihr Leben. Während ich hier einigen als Kellner serviere, lasse ich mir als Gentleman von anderen das Gold aus den Minen graben. Ob das nun direkt oder indirekt in meine Taschen kommt, bleibt sich gleich – wenn es nur den Weg dahin findet!«
»Sie sind Philosoph, Baron!«
»Bitte um Verzeihung, ich bin Kellner«, lachte der junge Mann. »Und wenn Sie nicht bald etwas bestellen, werde ich von meinem französischen Vorgesetzten dahinten wahrscheinlich Ärger bekommen.«
»Aber ich kann mich doch nicht von Ihnen bedienen lassen!« rief der Doktor verlegen aus.
»Sie werden zufrieden mit mir sein«, unterbrach ihn der Kellner und überreichte ihm die Speisekarte. »Bitte, wählen Sie: Beefsteak, Roastbeef, Mutton chops, Eier, Kartoffeln, Bohnen – mehr Auswahl können Sie nicht verlangen. Unsere Weine sind vortrefflich und alle geschmuggelt.«
Der Doktor nahm den Speisezettel, schob ihn aber wieder von sich und rief:
»Also wirklich, Baron, die ganze Geschichte kommt mir wie ein toller Spuk vor. Ich sehe Sie zuletzt in der Soiree des Fürsten Lichtenstein ordensgeschmückt mit der Fürstin tanzen und jetzt mit der Serviette unter dem Arm und den Speisezettel in der Hand – gehen Sie, Sie halten mich doch zum besten!«
Der junge Mann lächelte. »Da ich sehe, daß Sie Ihre in Kalifornien sehr kostbare Zeit mit vollkommen nutzlosen Ausrufen verschwenden, werde ich mich Ihrer annehmen und Ihnen selber etwas zu essen bestellen. Ich hoffe, Sie sind damit zufrieden. Wenn Sie nachher die Preise erfahren, werden Sie merken, daß wir hier keineswegs spaßen, sondern bitteren Ernst machen.«
Der junge Mann ging lachend zum Buffet zurück. Der Doktor saß noch immer stumm und starr vor Staunen an seinem Tisch, denn so hatte er sich Kalifornien doch eigentlich nicht gedacht.
Baron Lanzot – oder besser Emil mit seinem Kellnernamen – kam bald wieder zurück, servierte sehr geschickt und blieb dann an der anderen Seite des Tisches vor dem Gast stehen.
»Aber, bester Baron...«
»Emil, wenn ich bitten darf...«
»Es geht nicht, Baron, es geht wirklich nicht!« rief aber der alte Mann verzweifelt aus. »Bedenken Sie, ich bin noch kein Kalifornier.«
»Das entschuldigt allerdings vieles«, erwiderte Emil. »Ich kann Ihnen übrigens versichern, daß Sie da noch manches erleben werden, wovon Sie im Augenblick nicht zu träumen wagen. Hier in Kalifornien sind alle Bande des gesellschaftlichen Lebens, die wir im alten Vaterland nur zu oft für unumgänglich nötig für jede Existenz halten, gelöst. Jeder lebt für sich, so gut oder so schlecht er kann – der Nebenmann kennt ihn nicht oder kümmert sich nicht um ihn. Wenn er oben schwimmt. hat er es nur allein sich selbst zu verdanken. Wir leben zwar unter den Gesetzen einer zivilisierten Nation, aber auch nur dem Namen nach. Keine Kraft ist ausreichend, um sie aufrechtzuerhalten. Deshalb blüht das Faustrecht wieder so wunderbar und herrlich hier wie bei uns daheim im Mittelalter.«
»Aber weshalb sind Sie nach Kalifornien gegangen?«
»Fragen Sie das Jahr 1848«, sagte achselzuckend der junge Mann. »Es gibt nichts Entsetzlicheres als einen Bürgerkrieg, und da ich die Wahl hatte, zog ich diese Verhältnisse vor. Ob sie mir auch auf Dauer zusagen werden, ist eine andere Sache, über die ich mir aber noch nicht den Kopf zerbreche. Jetzt bin ich in Kalifornien, und mit den Wölfen – Sie kennen wohl das Sprichwort. Wohnen Sie hier im Hause?«
Der Doktor nickte nur und arbeitete sich in die ihm vorgesetzten Speisen hinein. Dabei schüttelte er aber ständig den Kopf und schmeckte gar nicht, was er aß. Emil wurde in diesem Augenblick abgerufen, und das Gespräch war zunächst unterbrochen.
Hetson ging inzwischen in den Spielsalon, wohin ihn Siftly bestellt hatte. Als er den interessanten Raum betrat, vergaß er einen Augenblick, was ihn hergebracht hatte.
Es war ein nicht sehr hoher, aber wohl fünfzig bis sechzig Schritt langer und vierzig Schritt breiter Saal. Die Wände ziemlich kahl und nur hier und da mit schlechten Ölgemälden bedeckt. Man darf wohl kaum sagen ›geschmeckt‹, denn sie waren schlecht in der Motivwahl wie in der Ausführung. Sie sollten auch nicht dem Schönheitssinn der Besucher dienen, sondern ihre Sinne reizen und sie einige Zeit fesseln, und das erreichten sie auch.
Rechts war ein Buffet angebracht für alkoholische Getränke, im Hintergrund ein ziemlich rohes Gerüst aufgebaut, auf dem eine Anzahl Individuen saß und Musik machte. Sie bildeten zusammen zwar eine Art Orchester, und die entsprechenden Instrumente waren alle vertreten. In ihrem Zusammenspiel blieb aber immer mehr guter Wille als wirkliche Kunst erkennbar. Wenn man ihnen wenige Minuten zuhörte, fand man bald, daß sie sich über ein bestimmtes Stück geeinigt hatten und nun jeder nach Gehör seinen Einsatz gab. Wer dann zufällig aus dem Takt kam, wartete nur einen Augenblick, bis er die anderen wieder ›erwischen‹ konnte. Nachdem sie die verschiedenen Stücke auf diese Weise drei-, viermal durchgearbeitet hatten, ließ sich ganz gut unterscheiden, was sie eigentlich spielen wollten.
Es kam aber hier auch nicht darauf an, ordentlich zu musizieren. Es sollte nur Musik gemacht werden. Die wenigen amerikanischen Lieblingslieder und Nationalmelodien, die im Lande überall bekannt waren, lernte das Orchester auch bald spielen. Dazu gehörte vor allem der ›Yankee-doodle‹, dann ›Washingtons Marsch‹, das ›Sternenbanner‹ und ein sehr mittelmäßiger Marsch, den sie merkwürdigerweise ›Napoleons Rückzug‹ nennen. Diese Melodien sang und stampfte das Publikum hier und da mit. Dabei war es bescheiden genug, sie wieder und wieder anzuhören, ob sie nun auf einem wirklich kunstvollen Instrument oder auf einer Maultrommel vorgetragen wurden. Die Musik lockte die Vorbeigehenden in den Saal, die Bilder hielten sie dort, damit sie ihr Geld am Trinkstand ausgaben und an den Spieltischen versuchten. War das eigentliche Hasardspiel erst einmal versucht, waren Musik und Bilder nicht mehr nötig, um sie zu halten. Diese Spieltische bildeten auch deshalb das Zentrum des Saales. Hetson blieb überrascht auf der Schwelle stehen, denn in dieser Ausdehnung hatte er sich die ›Spielhöllen‹, von denen er früher schon soviel gehört und gelesen, doch nicht gedacht.
Etwa dreißig verschiedene Tische standen ungeordnet, wie es der Raum zwischen den Säulen gestattete, bunt durcheinander. Dazwischen war gerade genug Platz für die hindurchführenden Passagen. Jeder Tisch verfolgte seine eigenen Interessen, hatte sein eigenes Kapital und spielte auch oft sein eigenes Spiel.
Zwischen den Tischen drängten sich die Müßiggänger der Stadt hindurch, von denen es selbst in San Francisco genügend gab. Amerikaner und Deutsche, Franzosen und Engländer, Mexikaner und Kalifornier, alles in buntem Gemisch. Einzelne waren elegant gekleidet, andere in zerlumpter, abgerissener Minerkleidung, mit zerknickten Hüten und schiefgetretenen Schuhen. Wer aber achtete auf die Kleidung? Das Gold, das auf den Tischen lag, ebnete alles. Und wenn die abgerissenen Burschen, was oft der Fall war, nur tüchtige Lederbeutel mit Goldstaub unter den zerrissenen Hemden trugen, war hier niemand, der ihre Gesellschaft beanstandete. Karten, Würfel, Roulette und alles, was sonst Glücksspiel heißt, fand sich hier vertreten. Bedeutende Summen wechselten ständig von einer Hand in die andere, ohne eine Äußerung der Leidenschaft hervorzurufen – einen leise gemurmelten Fluch manchmal ausgenommen.
Zuviel Neues wurde Hetson hier geboten, und er wäre noch eine Stunde dort stehengeblieben, wenn ihn nicht Siftly aus seinen Träumen geweckt hätte.
»Na, bist du da?« lachte er. »Hier kannst du nun auch gleich die Quintessenz kalifornischen Lebens und Treibens kennenlernen. Hier konzentriert sich das ganze wunderbare Schaffen in den Bergen draußen. Diese Tische hier sind unser Barometer in San Francisco, wie der Reichtum im Landesinneren steigt und fällt. Sind die Tische schlecht besetzt, dann darfst du auch sicher sein, daß die Ausbeute in den Minen ungünstig ausfiel, durch welche Umstände auch immer. Drängt sich aber auch am Tage alles herein, wie das heute geschieht, so haben die Leute ›vortrefflich ausgemacht‹, wie sie sagen, und das Gold wandert lustig von Hand zu Hand. Hast du dein Glück schon an einem der Tische probiert?«
»Ich spiele nie«, sagte Hetson ruhig.
»Pah, das darf man hier in Kalifornien nicht sagen«, lachte sein Freund. »Daß du selber Gold graben willst, kann ich mir nicht denken, und dem Glück muß man selber ein Pförtchen öffnen, wenn es uns nicht ganz im Stich lassen soll. Ich zum Beispiel habe mir alles, was ich eigentlich besitze, an den Tischen da geholt, und mit einiger Vorsicht denke ich mir auf diese Art ein kleines Vermögen zusammenzulegen und dann nach den Staaten als reicher Mann zurückzukehren.«
»Und wenn du wieder verlierst, was du gewonnen hast?«
»Dem Kühnen lächelt das Glück, Freund!« rief der Amerikaner und warf den Kopf trotzig zurück. »Ja, es gibt sogar Mittel, das Glück zu zwingen, uns zu gehorchen. Wenn du Lust hast, unterrichte ich dich vielleicht einmal in dieser Kunst. Jetzt aber wollen wir unsere Zeit hier nicht nutzlos versäumen, sondern einmal einen Gang durch den Saal machen. Ich muß dir doch Kalifornien erst vorstellen.«
Ohne auch weiter eine Antwort abzuwarten, zog er Hetsons Arm in seinen und schlenderte mit ihm in einen der Gänge hinein, die zwischen den Tischen hinführten. Einzelne waren eben unbesetzt, d. h., es standen keine Fremden daran, denn zwei Spieler sitzen an jedem einander gegenüber. Zwischen ihnen war ein größerer oder kleiner Haufen Silberdollar, Goldstücke und Goldstaub in kleinen Lederbeuteln oder einzelnen ›Klumpen‹ aufgehäuft. Die müßigen Spieler mischten dann meistens ihre Karten, hoben ab und probierten mögliche Erfolge, bis ein Vorbeikommender auf eine der Karten setzte und dann auch meistens andere nach sich zog.
An verschiedenen Tischen standen dagegen die Spieler und Zuschauer so dichtgedrängt, daß man kaum vorüberkommen konnte. Das war dann ein sicheres Zeichen, daß hohe Einsätze das Interesse der Leute erregt hatten. Kopf an Kopf drängte sich über- und nebeneinander, und nicht selten standen dort sehr bedeutende Summen auf dem Spiel.
An einem der gerade nicht benutzten Tische saßen sich zwei Leute kartenmischend und stumm gegenüber. Vielleicht erregten sie durch ihren Kontrast Hetsons Aufmerksamkeit. Der eine von ihnen war ein kleiner, rotbäckiger, dicker Mann mit ein paar entsetzlichen Vatermördern, die ihm selbst die Ohren halb bedeckten. Wenn er den Kopf zur Seite drehte, konnte er gerade über diesen Kragen hinwegsehen. Der andere war das Gegenteil. Lang und knochendürr, zeigte er nicht eine Spur frischer Wäsche, die sonst im amerikanischen Anzug eine Hauptrolle spielt. Der enganliegende braune Rock war so fest zugeknöpft, wie er seine schmalen Lippen geschlossen und die kleinen braunen Augen zusammengekniffen hielt. Auch den hohen schwarzen Hut, den er selbst im Saal trug, hatte er sich tief in die Stirn gedrückt. Es sah so aus, als wollte der Mann sowenig wie möglich von seiner Person sehen lassen.
»Ein paar merkwürdige Gestalten«, flüsterte Hetson seinem Begleiter zu und deutete auf die beiden. »Welch verschiedene Menschen doch das Schicksal zusammenführt!«
»Nicht wahr?« antwortete Siftly und lächelte. »Komm, wir wollen einmal an ihren Tisch treten, ich habe den beiden übrigens schon manchen Dollar abgewonnen. Ich glaube fast, es sind nicht eben die durchtriebensten Spieler im Saal, scheinen auch gerade keine besonderen Geschäfte zu machen!« Ohne weiter die Zustimmung des Freundes abzuwarten, blieb er neben dem Tisch stehen, nahm eine Handvoll Dollars aus seiner Tasche und setzte sie auf die nächste Karte. Kein weiteres Wort wurde dabei gewechselt, die Spieler zogen die Karten ab – und Siftly hatte gewonnen.
»Versuch du es jetzt einmal, Hetson«, ermunterte er ihn. »Wer weiß, was dir in Kalifornien noch für ein Glück blüht, und den ersten Tag im Land sollte man nicht ungenutzt vorübergehen lassen.«
Hetson zögerte. Er hatte bis dahin wirklich noch nie gespielt. Aber das viele Geld überall auf den Tischen, das lockende Klingen der Münzen, der rasche Gewinn des Freundes – das alles reizte ihn. Er nahm einen halben Adler – ein Fünfdollarstück – aus der Tasche, setzte es und – gewann.
»Laß es stehen, die Sache geht...«, flüsterte sein Gefährte.
Es wurde wieder abgezogen, aber diesmal verlor die Karte.
»Ich würde auf das As setzen«, sagte Siftly.
»Ich habe zu der Sieben mehr Vertrauen«, meinte Hetson und setzte jetzt zehn Dollar auf diese Karte. Wieder und wieder verlor er aber, und fünfzig Dollar waren in wenigen Augenblicken aus seinem Besitz in den der beiden Spieler übergegangen.
»Das weiß der Henker«, flüsterte Siftly mit einem noch kräftigeren Fluch. »Ich glaube, die beiden Halunken betrügen doch; aber warte, ich werde ihnen auf die Finger sehen. Setz jetzt fünfzig auf den Reiter – der hat dreimal hintereinander verloren und muß gewinnen.«
»Ich danke«, erwiderte aber ruhig der junge Mann. »Ich habe dir jetzt den Gefallen getan und für mich genug Lehrgeld bezahlt. Den beiden Herren gönne ich meine fünfzig Dollar, aber mehr Geld habe ich nicht für sie und werde auch nicht mehr spielen.«
»Unsinn! Du wirst ihnen doch nicht wirklich die fünfzig Dollar lassen, ohne wenigstens einen Versuch zu machen, sie wiederzubekommen?« rief aber Siftly empört.
»O doch«, erwiderte Hetson und drehte sich vom Tisch ab. »Denn der Versuch könnte mich mehr als das kosten. Aber was ist das für ein wunderbarer Ton, der auf einmal den Saal erfüllt? Eben noch dieses schauderhafte Lärmen mit allen möglichen Blas- und Streichinstrumenten und jetzt plötzlich diese himmlische Melodie. Wie kommt diese Musik in eine Spielhölle?«
Siftly hatte, von Hetson unbemerkt, mit dem hageren Spieler einen raschen, verstohlenen Blick gewechselt. Jetzt brummte er nur kurz und klimperte verdrießlich mit seinen Silberdollars in der Tasche. »Das ist das spanische Mädchen, das hier täglich zwei Stunden spielt – eine Stunde nachmittags und eine Stunde abends. Sie heißt, glaube ich, Manuela. Mir behagt ihr Gefiedel nicht besonders, und auch unsere Landsleute machen sich nichts daraus. Die Señores sind aber wie toll dahinter her. Sowie sie anfängt, wird der Saal gleich bunt von ihren farbigen Zarapen. Siehst du, wie sie dort schon hereinkommen? Ihnen zuliebe läßt man es sich schon eine kurze Zeit gefallen, denn die Burschen haben alle Gold und sind alle leidenschaftliche Spieler.«
Hetson blieb wie gebannt auf seiner Stelle, so mächtig ergriff ihn das Spiel des spanischen Mädchens, das er jetzt oben auf der Tribüne mit einer Violine stehen sah. Die anderen ›Musiker‹ fühlten wohl auch, daß ihre Instrumente nicht würdig waren, dieses seelenvolle Spiel zu begleiten. Lautlos horchten sie den Tönen, die wie aus den Saiten einer Äolsharfe in der Luft zitterten. Aber auch nur die in der unmittelbaren Nähe der Künstlerin konnten einen Genuß davon haben, denn unten im Saal wogte die Menschenmasse genauso laut und lärmend durcheinander wie vorher. Was kümmerte sie die fremde Melodie! Und wenn es Engelsharfen gewesen wären – das Klimpern des Goldes hatte für sie einen besseren Klang.
»Hetson«, sagte da endlich ungeduldig der Amerikaner, »ich dachte, du wolltest mir etwas sagen. Ich habe weder Lust noch Zeit, dem Gefiedel da oben zu lauschen. Wenn du nicht einmal mehr spielen willst, so rück heraus mit dem, was du hast, oder ich gehe meiner Wege.«
»Du hast recht«, sagte Hetson rasch, griff seinen Arm und zog ihn zum Eingang. »Ich war ein Narr, mich so lange den fremden Eindrücken hinzugeben. Komm mit mir ins Freie, und du sollst alles wissen.«
»Hoho, hast du schon Geheimnisse, kaum daß du den Fuß auf unseren Boden gesetzt hast?« erkundigte sich Siftly lachend.
»Geheimnisse nicht gerade, wenn ich dich auch bitten werde, mit niemand weiter darüber zu sprechen«, antwortete Hetson. Mit einiger Mühe drängte er zur Tür und erreichte endlich das Freie. »Aber ich brauche deinen Rat, und den wirst du mir wohl geben.«
Die beiden Männer hatten jetzt die Plaza wieder betreten und schritten Arm in Arm über den offenen Platz. Das ärgste Gedränge der hier auf- und abwogenden Menschen ließen sie dabei hinter sich. Als sie etwa die Mitte des Platzes erreicht hatten, blieb Hetson stehen und sagte:
»Existiert hier eine Stelle, wo man die Fremdenlisten einsehen kann?«
»Fremdenlisten?« wiederholte Siftly erstaunt. »Was willst du denn damit? Wer kümmert sich denn hier um die, die kommen oder gehen?«
»Werden überhaupt Fremdenlisten geführt?«
»Ich glaube, ja. Wenn man auch die Leute selber nicht mit Fragen belästigt, müssen die Kapitäne doch ihre Passagierlisten einreichen, soweit ich gehört habe. Nur über die Tausende, die aus den Staaten über die Berge kommen, wird aus dem einfachen Grund keine Kontrolle geführt, weil das unmöglich wäre.«
»Die Schiffslisten genügen, wo kann ich sie einsehen?« sagte Hetson rasch.
»Ich glaube, im Courthouse, wo ein Fremdenbüro eingerichtet ist. Aber du hast doch wohl keine Angst vor einem Gläubiger? Hahaha, der müßte viel Geld mitbringen, wenn er in dieser Zeit eine Klage gegen einen Amerikaner durchsetzen will. Ja, wenn du ein Fremder wärst! Außerdem bist du, soviel ich weiß, Anwalt, und...«
»Es ist kein Gläubiger«, unterbrach Hetson finster den Redenden. »Die Sache, in der ich dich um deinen Rat bitten wollte, betrifft weder Geld noch Gut, sondern die Ruhe meines ganzen Lebens.«
»Was hast du?« rief Siftly erstaunt. »Du bist ja ganz außer dir! Wen erwartest – oder wen fürchtest du?«
»Fürchten – du hast das richtige Wort genannt«, rief Hetson rasch, ergriff den Arm des Mannes und sah scheu über seine Schulter, ob das gefürchtete Schreckensbild schon vor ihm auftauchte.
»Ach was, fürchten!« zischte aber der Amerikaner verächtlich zwischen den Zähnen hindurch. »Wenn es ein Wesen ist, dem man mit Pulver und Blei oder kaltem Stahl beikommen kann, was hast du da zu fürchten? Ich fürchte den Teufel nicht!«
Hetson sah wild und stier in seine Augen. Es war, als ob in ihm ein Hoffnungsstrahl dämmerte.
»Na, wer ist es?« erkundigte sich Siftly mit ruhiger Stimme, während das verächtliche Lächeln noch immer um seine Lippen spielte.
»Der Bräutigam meiner Frau!« flüsterte Hetson.
»Hahaha, das ist allerdings eine herrliche Verwandtschaft. Bist du denn der nicht selbst gewesen?«
»Hör mir zu«, sagte Hetson mit vor Aufregung fast heiserer Stimme. »Meine Frau war verlobt, ehe sie mich kennenlernte. Sie hielt ihren Verlobten für tot, heiratete mich und erhielt erst nach unserer Trauung die Nachricht, daß er noch lebe und sie aufsuchen wolle.«
»Und woher weißt du das?«
»Sie hat es mir selber gesagt und den Brief gezeigt.«
»Sie selbst? Hm, dann ist die Sache auch nicht so gefährlich. Sie will dann jedenfalls von ihm nichts mehr wissen.«
»Ich fürchte, sie liebt ihn heißer als je zuvor!« flüsterte aber Hetson. »Sie tut nur das, was sie für ihre Pflicht hält!«
»Und weiß er, wo sie ist?«
»Ich hoffe, nein. Ich habe ihn jedenfalls auf eine falsche Fährte gesetzt, falls er nachforschen sollte. Aber wenn er nun doch...«
»Du quälst dich mit einem Hirngespinst«, sagte kopfschüttelnd der Amerikaner. »Wozu die vielen ›Wenn‹ und ›Aber‹? Laß ihn doch erst kommen, nachher ist immer noch Zeit, ihn beiseite zu schaffen, falls er gefährlich werden sollte. Ist er ein Landsmann?«
»Nein, Engländer.«
»Ein Engländer? Puh – und dafür soviel Aufhebens!« lachte der Mann und machte sich von Hetson los. »Ich hätte dich für vernünftiger gehalten. Ist er klug, so folgt er euch nicht nach. Kommt er wirklich, wollen wir es ihm austreiben, im fremden Revier zu jagen. Aber jetzt sag mir doch mal, was dir überhaupt eingefallen ist, mit einer Frau nach Kalifornien zu kommen! Was um Gottes willen willst du hier mit ihr tun, und wo willst du bleiben? In der Stadt?«
»Ich weiß es selbst noch nicht«, sagte Hetson. »Ich wollte nur weg – fort aus der Gegend, wo ich jeden Augenblick befürchten mußte, auf meinen Nebenbuhler zu treffen. Da war Kalifornien...«
»Das unglücklichste Land der Welt, das du dir aussuchen konntest!« unterbrach ihn Siftly. »Später mag es möglich sein, daß Frauen und Familien hierherkommen, aber jetzt ist das ganze Land nur ein rauher Staat für Männer. Du könntest deine Frau wie eine Fürstin in jedem anderen Land leben lassen von dem Geld, das ihr hier nur für die nötigsten Dinge braucht. Aber das ist deine Sache, die du mit dir selbst abmachen mußt. Ach, wie heißt eigentlich jener englische Herr, vor dem du so einen Respekt hast? Nur für den Fall, daß ich einmal mit ihm zusammentreffen sollte.«
»Golway – Charles Golway.«
»Gut, ich werde mir den Namen merken«, nickte Siftly.
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Du? Nichts. Warte ab, bis er wirklich kommt, dann erkläre ihm ganz einfach, daß du ihm ohne weitere Warnung eine Kugel in den Kopf schießt, sowie er nur ein einziges Wort mit deiner Frau wechselt. Nachher machst du deine Drohung wahr. Die Gesetze brauchst du nicht zu fürchten. Sie schützen dich, wo du so auffallend in deinem Recht bist, und täten sie es nicht, sind wir selber Manns genug, um das zu besorgen. Jetzt aber muß ich fort, ich habe viel zu lange hier mit dir geplaudert. Heute abend findest du mich wieder im Saal des Parkerhauses.«
»Aber das Courthouse?«
»Ist das lange Gebäude dort drüben«, sagte Siftly. Er deutete mit dem Arm über die Plaza, nickte Hetson zu und schritt rasch die zur Bai führende Straße hinab.