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4. Die Plaza von San Francisco

Die Plaza oder der Hauptplatz von San Francisco, jetzt ein mit prachtvollen und massiven Gebäuden umgebener Platz, zeigte im Sommer des Jahres 1849 noch eine bunte Ansammlung von Holzbaracken und Zelten, wie sie die ersten Einwanderer nur schnell aufgeschlagen hatten.

Die obere Front nahm das alte Gerichtsgebäude ein. Es war aus ungebrannten Backsteinen, sogenannten ›adobies‹, unter mexikanischer Herrschaft erbaut worden. Sonst war aber in den wenigen Monaten seit der Entdeckung des Goldes der spanische Charakter der Stadt schon ganz verschwunden. Dafür war ein Stadtteil entstanden, der in seiner merkwürdigen Mischung mit keinem anderen Ort der Welt vergleichbar war. Nur an der unteren Front, dem Courthouse gerade gegenüber, stand ein einzelnes, mehrstöckiges Holzgebäude. Es war das schon erwähnte Parkerhaus, das ein Amerikaner namens Parker aufgebaut hatte. Jetzt erzielte er durch die Spieltische, die Wirtschaft und die Gästezimmer eine enorme Miete.

Dicht daneben befand sich das ›El Dorado‹, später eine der prachtvollsten Spielhöllen der Welt – damals nur ein großes, weitgedehntes Zelt. Rechts und links reihten sich andere kleinere Zelte und Holzschuppen an, in denen fast nur gespielt und getrunken wurde. Sie hatten auch keinen anderen Zweck, als ihren Insassen ein Dach zu bieten. Die Plaza bildete den eigentlichen Mittelpunkt der Stadt. Während sie von den Hauptstraßen gekreuzt wurde, konzentrierte sich hier der eigentliche Verkehr San Franciscos. Wer von den Fremden in die Stadt kam, suchte vor allen Dingen diesen Ort auf oder wurde von den Menschenmassen dorthin gedrängt. Sämtliche Hausierer glaubten auch, hier den besten Platz zum Ausstellen ihrer Waren zu finden. Sie boten sie teilweise in tragbaren Körben, aber auch auf rasch hingestellten und beweglichen Tischen an. Eine Kontrolle über diese Leute fand natürlich noch nicht statt. Wer etwas verkaufen wollte, suchte sich den Platz dafür selbst aus. War er dabei dem freien Verkehr im Wege, drängte ihn die Menschenmasse schon selber beiseite. Der Hauptstrom dieser Menge wogte aber an den Häusern dahin. Die meisten schlenderten nur von einem Spielzelt in das andere, oder sie gingen auf der dort vorüberführenden Straße ihren Geschäften nach. Auf der Plaza sammelten sich nur hier und da kleine Gruppen, oder einzelne kamen quer herüber, um den Weg nach einer der Wasserstraßen abzukürzen.

Dort hatte Siftly seinen wiedergefundenen Freund verlassen. Hetson blieb, als die bunte Zarape des Amerikaners schon lange in dem Gedränge der Fußgänger verschwunden war, noch immer wie träumend auf derselben Stelle stehen und starrte vor sich nieder. Die Trostgründe, die Siftly für ihn gehabt hatte, schienen seine Unruhe eher vermehrt als vermindert zu haben. Hatte er nicht ziemlich fest angenommen, daß der gefürchtete Nebenbuhler ihm folgen würde? Schon der Gedanke daran trieb ihm das Blut rasend schnell durch die Adern und ließ sein Herz stärker klopfen. Es war der Gedanke an den möglichen Verlust seiner Frau. Er durfte ihn nicht weiter verfolgen, wollte er nicht wahnsinnig werden. Vergeblich kämpfte er auch selbst mit allen Vernunftsgründen dagegen an, vergeblich sagte und wiederholte er sich, daß ihn Jenny liebe, daß sie ihn nicht wieder verlassen würde. Ein tückischer Geist flüsterte ihm wieder und wieder ins Ohr, daß die erste Liebe das Herz eines Menschen nie verlasse. Seine krankhaft erregte Einbildungskraft malte ihm dabei den Nebenbuhler mit allen Vorzügen aus. Er brauchte nur zu erscheinen, um Jennys Herz wieder ganz zu gewinnen.

Über die Plaza kam eine wunderliche, uns nicht unbekannte Gestalt. Selbst die an Ungewöhnliches gewöhnten Amerikaner blieben vereinzelt stehen und sahen ihr kopfschüttelnd nach. Es war Ballenstedt mit seinem erbsengelben Kragenmantel, die Hose hochgekrempelt, die Stiefel frisch geschmiert, den Hut etwas nach hinten auf den Kopf gedrückt, in der linken Hand ein Bündel und unter den linken Arm den grünbaumwollenen Regenschirm geklemmt. In der rechten Hand hielt er eine Schaufel. Langsam und bedächtig kam er über die Plaza und schien sich nicht ganz einig, welche abzweigende Straße er eigentlich wählen sollte. Er blieb manchmal stehen, sah in die verschiedenen Himmelsrichtungen und konnte dabei zu keinem rechten Resultat gelangen.

Endlich hatte er die Stelle erreicht, an der Hetson noch immer verloren stand. Er ging auf ihn zu, berührte sachte mit dem Griff des Spatens seinen Ellbogen und sagte:

»Hören Sie einmal, können Sie mir nicht sagen, wo ich hier am schnellsten in die Minen komme?«

Hetson drehte sich rasch und fast erschrocken nach dem Mann um. Als der jedoch seinen Reisegefährten erkannte, fuhr er enttäuscht und ziemlich unbekümmert, ob er ihn verstand oder nicht, fort:

»Ach, herrje, Sie sind ja auch von uns, ja, da werden Sie auch noch nichts wissen. Na, nehmen Sie's mir nicht übel. Gehen Sie auch in die Minen?«

Hetson schüttelte unwillig mit dem Kopf zum Zeichen, daß er nicht verstand, was der Fremde sagte. Er erkannte ihn noch nicht einmal in dem entsetzlich weiten Mantel. Dann drehte er sich rasch von ihm ab und schritt jetzt entschlossen dem Courthouse entgegen, um in die Fremdenlisten Einblick zu nehmen.

»Na, der ist grob!« brummte Ballenstedt mürrisch vor sich hin. »Trag du meinetwegen die Nase so hoch, wie du willst, in vier Wochen tausch ich nicht mehr mit dir. Soviel weiß ich!« Damit packte er seinen Spaten wieder fester und wollte eben seinen Weg fortsetzen, als er von ein paar lauten Stimmen angerufen wurde.

»Ballenstedt, he, hallo, Ballenstedt!«

Er blieb stehen und drehte sich nach den Rufern um. Es war ihm allerdings wenig daran gelegen, von alten Schiffsgenossen angesprochen und aufgehalten zu werden. Er hatte keine Zeit mehr zu vertrödeln, und je eher er in die Minen kam, desto besser. Wohin er wanderte, brauchte außerdem niemand zu wissen.

»Ballenstedt, Junge!« rief jetzt einer der Männer, die auf den Reisegefährten zueilten und lachend bei ihm stehenblieben. »Donnerwetter, wo soll die Reise nun hingehen? Doch nicht zum Buddeln?«

Es war Lamberg, der offensichtlich der Flasche ein wenig zugesprochen hatte und den Hufner begleitete.

»Soll ich mich etwa erst noch hier einmieten und Geld ausgeben?« sagte aber Ballenstedt, der eine weitere Begrüßung für unnötig hielt. »Ich habe keine Zeit übrig, denn ich muß in zehn Monaten wieder in Deutschland sein.«

»In zehn Monaten?« sagte lachend Lamberg. »Da wirst du aber verwünscht wenig da oben herausschaufeln können, denn fünf mußt du für die Rückreise rechnen!«

»Das schadet nichts«, erwiderte aber Ballenstedt ruhig. »Ich brauche auch nur zwanzigtausend Taler.«

»Zwanzigtausend Taler? So? Mehr nicht?« rief Lamberg verwundert. »Und das sagt der Mensch da mit einer Ruhe, als ob er das Papier in der Tasche hätte und nur auf die Bank zu gehen brauchte, um es ausgezahlt zu bekommen. Und was willst du mit der kleinen Summe machen, Alterchen?«

»Den neuen Hof in Hesselbach kaufen«, sagte Ballenstedt, »der kostet gerade soviel.«

Glauben Sie denn wirklich, daß Sie in der kurzen Zeit soviel Gold herausgraben können, Herr Ballenstedt?« erkundigte sich da Hufner, dem die Zuversicht des Mannes imponierte.

»Ob ich das wirklich glaube?« antwortete Ballenstedt verwundert. »Na, wenn ich das nicht sicher wüßte, weshalb wäre ich denn da die vielen tausend Meilen hier nach Kalifornium gekommen, he?«

Lamberg lachte laut auf. »Ballenstedt ist göttlich!« Aber Hufner wurde durch Zeit und Summe wegen seiner eigenen Zwecke außerordentlich angesprochen. Er sah wohl auch nebenbei in den derben Fäusten des Burschen eine Garantie für die Erdarbeit, der er sich doch nicht so recht gewachsen fühlte. Deshalb sagte er:

»Wenn das so sicher ist, Herr Ballenstedt, dann hätte ich große Lust, gleich mit Ihnen zu gehen. Zu zweit arbeitet es sich auch immer besser als allein, und morgen früh wollte ich sowieso aufbrechen. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«

»Wer? Ich? Nein!« sagte Ballenstedt.

»Ich meine, nur höchstens zehn Minuten«, drängte aber Hufner. »Das können Sie mir schon aus alter Kameradschaft zuliebe tun. Meine Sachen sind bereits zusammengeschnürt, und ich brauche sie nur da drüben in der Stadt abzuholen. Nicht wahr, Sie warten einen Augenblick auf mich?«

»Sie sind wohl nicht klug?« rief da Lamberg, dem dieser rasche Entschluß dann doch zu weit ging. »Ballenstedt kennt doch auch die Stellen nicht, wo das Gold liegt!«

»Nicht wahr, Sie bleiben hier einen Augenblick?« rief aber Hufner noch einmal. Ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, daß er einen glücklichen Moment erwischt hatte, den er beim Schopf fassen müsse. Ohne eine Antwort Ballenstedts abzuwarten, lief er über die Plaza in die Kearney Street. Lamberg, der ihm den Entschluß noch ausreden wollte, folgte ihm, so rasch er konnte.

»So?« brummte aber Ballenstedt leise vor sich hin. »Mitgehen, nicht wahr? Auf dem Schiff hat sich der Herr den Henker um mich gekümmert. Jetzt, wo ihm das Gold in die Nase sticht, bin ich auf einmal gut genug. Na, ich will ihm nur wünschen, daß er mich wiederfindet.« Kaum sah er die beiden um die nächste Ecke biegen, als er auch in eine andere Straße einbog und sich nicht wieder blicken ließ.

Eine gute Viertelstunde mochte vergangen sein, als von der Bai herauf ein Karren mit Gütern kam. Hinter ihm ging mit gebücktem Kopf eine Frau, an jeder Hand ein Kind. Neben ihr ging ein älterer, gut gekleideter Herr, der ein drittes Kind auf dem Arm trug. Er schien sich aber in dieser Situation nicht besonders behaglich zu fühlen. Trotz des neuen Bildes um ihn herum sah er weder nach rechts noch links, als ob er damit die Aufmerksamkeit der Entgegenkommenden von sich ablenken könnte. Das half ihm jedoch nur wenig, denn gerade als der kleine Zug die Mitte der Plaza erreicht hatte, rief ihn eine bekannte Stimme an:

»Assessor – Donnerwetter, wo wollen Sie hin?«

Assessor Möhler drehte etwas scheu den Kopf zu der Seite, von der die Stimme kam, und erkannte seinen alten Schiffskameraden, den Justizrat. Er hatte wie stets die lange Pfeife im Mund und kam hinter ihnen her.

»Ah, Herr Justizrat«, sagte der Assessor freundlich. »Ist mir sehr angenehm, Sie auf festem Land begrüßen zu können. Wie Sie sehen, gehe ich mit der armen Frau Siebert in die Stadt hinauf, in das Gasthaus, in dem ihr Mann gestorben ist.«

»Hm ja, hab's gehört, tut mir leid. Eigentlich verfluchte Geschichte«, brummte der Mann des Gerichts in einem leisen Anflug von Mitgefühl. »Na, schadet weiter nichts«, setzte er dann aber auch gleich, gewissermaßen als Trost, hinzu. »Können dann Erbschaft gleich antreten und mit nächstem Schiff wieder umkehren. Heilloses Land, das Kalifornien, fordern einem für ein Pfund schlechten Knaster sieben Dollar ab – noch gar nicht dagewesen. Wie kann eine Frau da existieren?«

Die arme Frau antwortete keine Silbe. Der Schmerz und Schreck hatte sie niedergebrochen. So zuversichtlich und selbstbewußt, wie sie an Bord dem Leben in Kalifornien entgegengesehen hatte, so niedergedrückt und unempfindlich für alles um sie herum war sie jetzt. Der Justizrat nahm weiter keine Notiz von ihr und erkundigte sich bei dem Assessor nach dem Gasthof. Er hatte selbst das Schiff nur verlassen, um sich einen Wohnplatz auszusuchen, ehe er sein Gepäck an Land schaffte. Da er seine Worte in der gewöhnlichen, barschen Art herauspolterte und dabei dicht neben dem Assessor ging, fing das kleine Kind wieder an zu schreien und wollte sich nicht beruhigen lassen. Den Justizrat konnte das allerdings nur wenig davon abhalten, in seinen Meinungsäußerungen über das Land, von dem er eigentlich noch gar nichts gesehen hatte, fortzufahren. Der kleine Einwanderer schien aber entschlossen zu sein, das Wort zu behalten. Je lauter der Justizrat sprach, desto mehr schrie das Kind, und die Leute auf der Straße blieben schon stehen und sahen ihnen nach. War doch selbst ein kleines Kind etwas Ungewöhnliches in Kalifornien.

Besonders dem armen Assessor war seine Lage jetzt sehr peinlich. Einige Male warf er einen halbverzweifelten Blick auf den neben ihnen fahrenden Güterkarren, ob er nicht vielleicht dort seine kleine, unruhige Last absetzen könne. Das ging aber doch nicht an, die Mutter nahm nicht die geringste Notiz von ihrem Kind, das sie gut aufgehoben wußte, und dem Mann blieb so nichts anderes übrig, als eben auszuharren.

Die Umstehenden hätten sich vielleicht noch mehr mit dieser wunderlichen kleinen Karawane beschäftigt, hätte nicht San Francisco zu dieser Zeit ständig Neues und Sonderbares geboten. Die Aufmerksamkeit der Leute wurde jetzt auch auf einen anderen Trupp gelenkt, der sie allerdings auch mehr verdiente. Die Gerüchte, die damals im Ausland über Kalifornien verbreitet wurden, schilderten das Land kaum besser als eine Art großer Räuberhöhle, in der man ständig mit gespannter Pistole seinen Sack voll Gold und sein Leben schützen mußte. Daß in einem noch so wilden Land zuweilen ungesetzliche Handlungen vorfielen, ließ sich allerdings nicht leugnen. Die ganzen Zustände waren ungesetzlich – wenn auch nicht in dem Maße, in dem sie geschildert wurden. Deshalb hatten sich auch die meisten Einwanderer, die sich ein Land ohne Polizei nicht denken konnten, mit allen möglichen, tragbaren Waffen ausgerüstet. Gewehre, Dolche und Pistolen spielten bei dem Minengepäck eine bedeutende Rolle. Das Nonplusultra dieser fast krankhaften Selbstschutzmanie bot aber ein kleiner Trupp von Leuten, die in diesem Augenblick über die Plaza zogen.

Die kleine Gesellschaft bestand aus fünf Personen. Ihr Anführer hatte eine fast riesengroße Gestalt, trug einen krausen, schwarzen Bart, mächtige Schultern und schritt gravitätisch voran. Der Mann, der sicher seine sieben Fuß maß, trug einen breitrandigen weißen Filzhut, ein grünes Hemd und helle Hosen. Um den Körper in einem etwa zehn Zentimeter breiten, weißen Ledergurt hing ein riesiger Degen, der hinter ihm klirrend den trockenen Staub aufwühlte. Neben dem Degen hing aber noch ein mächtiger Hirschfänger mit Hirschhorngriff, wahrscheinlich für ein engeres Handgemenge bestimmt. Daneben wieder ein etwa dreißig Zentimeter langer ›Nickfänger‹ zum Zusammenklappen, ebenfalls in einer Scheide. Rechts im Gürtel steckte außerdem ein Dolch mit Pistolenläufen daran, und zwei doppelläufige Pistolen füllten den vorderen Raum aus. Zugleich hing ihm über der Schulter eine leichte Vogelflinte mit enormem Kaliber. Trotzdem paßte zu dieser wirklich verzweifelten Ausrüstung das Gesicht des Mannes keineswegs. Mit seinen roten Backen und seinen treuherzigen, blauen Augen sah er gutmütig und freundlich aus und schien ein wenig erstaunt sich umzusehen. Möglich, daß er geglaubt hatte, er müßte bei seiner Landung jeden Zollbreit des Bodens mit der blanken Waffe erkämpfen. Nun schien er überrascht zu sein, nirgends auch nur auf den geringsten Widerstand zu stoßen. Komisch wurde aber sein Erscheinen durch die vier Begleiter. Dazu hatte er sich vielleicht sogar absichtlich den kleinsten Menschenschlag herausgesucht. Die vier kleinen Burschen, die ihm folgten, trugen die gleichen Bärte und Bekleidung wie er. Allerdings fehlte ihnen der Degen, ihre Bewaffnung begann bei dem Hirschfänger, der auch besser zu ihrer Statur paßte. Sonst waren sie auch reichlich mit Dolchen und Pistolen versehen und zogen dabei einen kleinen, vierrädrigen Handkarren, auf dem wahrscheinlich ihr Gepäck lag. Es standen nämlich vier kleine und ein großer Koffer darauf, daneben lagen Schaufeln, Spitzhacken, Blechpfannen, Kochgeschirr und Regenschirme. Die vier kleinen Riesen, von denen wohl immer zwei abwechselnd den Karren zogen und die anderen als Wache mitgingen, folgten dem großen vertrauensvoll, wohin er sie führen würde.

Es waren übrigens unverkennbar Deutsche. Schon die baumwollenen Regenschirme verrieten das, wenn nicht schon ihre Gesichter oder ihre Kleidung. Schweigend und ohne sich um jemand zu kümmern, schritten sie über die Plaza und verschwanden bald in einer der nach Westen führenden Straßen.

In diesem Augenblick erschien Hufner wieder auf dem Schauplatz, schweißgebadet und sich ängstlich nach Ballenstedt umsehend. Der war aber nirgends mehr zu finden. Auf einige in mittelmäßigem Englisch vorgetragene Fragen an Vorübergehende schickte man den bestürzten jungen Mann rasch hinter dem kleinen Trupp der Bewaffneten her. Hier erkannte Hufner allerdings bald, daß er sich geirrt hatte. Ballenstedt war aber in diesem Menschengewirr nicht mehr aufzufinden, und die Deutschen, an die er sich wandte, konnten ihm auch keine Auskunft geben. Der Schaden ließ sich jedoch leicht ersetzen, ja, vielleicht konnte er seine Aussichten sogar noch verbessern, wenn er sich dieser Karawane anschloß. Dadurch würde er auch sein schweres Bündel, das ihm schon so Mühe machte, auf einen Karren bringen. Ohne weiteres wandte er sich deshalb auch an den Führer des kleinen Trupps.

»Hört einmal, Landsleute, ich habe eben meinen Kameraden verloren, mit dem ich in die Minen wollte. Wenn es euch recht ist, so bleibe ich bei euch, und wir können dann ›da oben‹ zusammenarbeiten.«

»Und wo haben Sie Ihre Waffen?« erkundigte sich da der Riese, der zu Hufners Erstaunen eine ganz merkwürdig feine und weiche Stimme hatte.

»Meine Waffen?« sagte er deshalb etwas verblüfft. »Waffen habe ich keine, mein Brotmesser ausgenommen und eine kleine Pistole. Sie ist aber nicht geladen, denn ich fürchte, daß sie mir einmal in der Tasche losgeht. In Bremen ist neulich so ein Unglück passiert.«

»Keine Waffen?« rief da der Riese und drehte sich vor lauter Erstaunen ganz zu ihm herum. »Womit wollen Sie sich denn da verteidigen?«

»Ja...«, stotterte Hufner, »ist es... ist es denn so gefährlich in den Minen da oben? Ich dachte...«

»Gefährlich?« wiederholte der Riese mit einem fast mitleidigen Achselzucken. »Sehen Sie uns einmal an. Glauben Sie, wir hätten uns bis an die Zähne bewaffnet, wenn es nicht gefährlich wäre?«

»Aber Ballenstedt hat nur einen Regenschirm und eine Schaufel bei sich«, sagte Hufner bestürzt.

»Armer Mann«, seufzte leise der Riese. »Wer weiß, unter welchem Baum seine Knochen in den nächsten Tagen bleichen werden. Wir werden uns jeden Abend richtig verschanzen. In ein paar Stunden können wir fünf schon einen richtigen Wall aufwerfen. Wir sind auch bereit, noch mehr tüchtige Besatzung zu uns stoßen zu lassen, aber wehrhafte Männer müssen wir haben. Mit dem Schirm können Sie sich nicht verteidigen, und selbst Ihr Terzerol ist nicht ausreichend. Unter diesen Umständen tut es mir also leid, Sie nicht meiner kleinen Schar einverleiben zu dürfen, es ist gegen unsere Vorschriften.«

»Aber da kann ich doch nicht ganz allein...«

»Bedaure sehr«, unterbrach ihn der Gewaltige. »Hier in Kalifornien muß jeder selbst für sich sorgen. Achtung, Leute! Ordnung beibehalten – vorwärts – marsch!« Damit hob er freundlich und huldvoll zu Hufner die linke Hand, machte eine militärische Schwenkung, warf den rechten Arm in die Höhe und stellte sich wieder an die Spitze des Zuges, der im nächsten Augenblick seinen unterbrochenen Weg fortsetzte.

Unschlüssig blieb Hufner noch an derselben Stelle stehen. Er hatte den Gedanken, ihnen zu folgen und sich wenigstens den Schutz ihrer Nähe zu sichern. Seine angeborene Bescheidenheit hinderte ihn aber, und er kehrte schließlich in sein altes Quartier zurück. Unter diesen Umständen konnte er es natürlich nicht wagen, allein in die Minen zu wandern. Es blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, als sich Waffen anzuschaffen und sich dann einer anderen Gesellschaft anzuschließen.

Obwohl sich die Sonne mehr und mehr dem Horizont zuneigte und ihre rote Scheibe schon hinter dem Rand der Küstenberge verschwand, ließ das geschäftige Treiben auf der Plaza noch nicht nach. Von allen Seiten wogten die Menschen herüber und hinüber, und schwerbeladene Karren kamen ununterbrochen vom Ufer herauf. Sie brachten das Passagiergepäck in die verschiedenen Gasthäuser – oder vielmehr Gastzelte. Gerade zu dieser Zeit war die Einwanderung beträchtlich. Die Nachrichten vom Reichtum der Goldfelder hatten in der ganzen Welt gewirkt. Aus allen Erdteilen kamen die Abenteurer herbeigeströmt, um die fabelhaften, in ihrer Einbildung noch gesteigerten Schätze zu heben. Zehn bis zwölf Schiffe pro Tag waren völlig normal. Behinderte der Wind einmal ihre Einfahrt, stieg die Anzahl am nächsten Tag gleich über zwanzig. Die Mehrzahl sah aber San Francisco nur als ersten Landungsplatz an, wo sie keine bleibende Unterkunft suchten. Die Berge waren ihr Ziel, dem sie so schnell wie möglich entgegenstrebten. Sie hätten vielleicht noch nicht einmal die erste Nacht in einem Gasthof geschlafen, vor dessen hohen Preisen sie sich fürchteten. Aber das eigene Gepäck war ihnen im Wege. Wohin damit? Ihre Koffer und Kästen konnten sie nicht mit in die Minen schleppen, und sie mußten deswegen schon irgendwo einen Unterschlupf finden. So waren die meisten Passagiere der ›Leontine‹ den ganzen Nachmittag herumgelaufen, um eine sichere Aufbewahrung für ihr Gepäck zu finden, aber ohne Erfolg. Die Wirte erklärten sich allerdings bereit, das Gepäck aufzuheben, aber mehr als Schutz vor Regen konnten sie nicht bieten. Eine Aufsicht war unmöglich, trotzdem betrug die Lagermiete einen Dollar für den Koffer pro Monat, zwei Dollar für eine Kiste.

Es half aber nichts. Die Leute hatten sich zu Hause von Verwandten und Freunden und allem losgerissen, an dem ihr Herz hing. So konnten sie sich hier nicht von einem Koffer oder einer Kiste festhalten lassen! Deshalb wurde das Gepäck in irgendeinen angewiesenen Verschlag aus Leinwand oder Brettern geschleppt, der Wirt stellte einen Zettel aus, daß er das Stück erhalten habe, aber weiter nicht dafür hafte. Dann zogen die Goldlustigen in die Minen, ohne sich um ihr Gepäck weiter zu kümmern – und in wie wenig Fällen sahen sie es wieder.

»In die Minen!« hieß der allgemeine Ruf. Die wenigen in San Francisco noch erscheinenden Zeitungen steigerten die Hast täglich neu durch immer tollere Berichte von frisch entdeckten Schätzen. Jede Stunde, die die ›Goldwäscher‹ hier noch ausharren mußten, hielten sie für verloren. In rastloser Ungeduld durchstreiften sie die Stadt, als ob sie damit die Zeit betrügen könnten. Gerade diese Tausende, die so ohne Beschäftigung in San Francisco waren und am nächsten Tag bereits durch andere ersetzt wurden, füllten die zahlreichen Spielsäle. Einmal konnten sie sich dort die Zeit am besten verkürzen, dann blieb es zugleich ein Beginn des Goldlandes, ein Probierstück, wie günstig ihnen das Glück in den Minen sein würde. »Jedenfalls müßte man Fortuna einmal die Tür öffnen und ihr Gelegenheit geben hereinzukommen«, hieß es allgemein. So opferte fast jeder fünfzehn bis zwanzig Dollar oder sogar mehr an den Spieltischen. Daß dort falsch gespielt wurde, wollte natürlich niemand wahrhaben. Die Leute sahen so ehrlich aus, das Spiel ging einen so geregelten Gang, ein Betrug konnte da ja kaum vorkommen! Und doch verschwand ihr Geld. »Es hat nicht sein sollen«, trösteten sie sich dann, und wohl ihnen, wenn sie damit aufgaben.


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