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In dem Zimmer der Frau Gräfin stand Helene am Fenster, sah hinaus und trommelte dabei ungeduldig mit den Fingern an die Fensterscheibe.
Die Gräfin hatte noch nicht Toilette gemacht – sie saß in ihrem Lehnstuhl, ein Buch in der Hand, ohne jedoch darin zu lesen, den rechten Fuß, von welchem der Pantoffel heruntergefallen war, über den linken geschlagen, in einem weißen, nicht frisch gewaschenen Morgengewand, auch die Haare noch nicht in Ordnung, und außerdem nicht in der besten Laune.
Helene selber dagegen sah aus, wie der frische, junge Morgen da draußen vor den Fenstern. Die Wangen geröthet von einem Frühritt, den sie schon gemacht, ein paar duftende Orangenblüthen und eine Rose im Haar stand sie da, und selbst in den Augen, wie der funkelnde Thau da draußen noch auf den Blüthen lag, ein paar blitzende Tropfen, die aber mehr der Unmuth als der Schmerz ausgepreßt haben mußte, und die sie zu stolz war wegzuwischen, damit die Mutter die Bewegung nicht etwa sah.
»Laß nur um Gottes willen das schreckliche Fenstertrommeln,« sagte die Mutter endlich – »Du machst mich ganz nervös, und – schicke mir dann die Dorothea herein, denn ich muß mich jetzt anziehen – es ist wahrhaftig schon zehn Uhr vorbei.«
Helene hörte allerdings mit ihrem Marsch auf der Fensterscheibe auf, aber sie rührte sich nicht von der Stelle und sagte endlich erregt:
»Du treibst mich noch zu einem verzweifelten Schritte, Mama, mit Deiner grenzenlosen Ruhe und Gleichgültigkeit.«
»Gleichgültigkeit?« fragte die Gräfin zurück – »Du nennst das Gleichgültigkeit, was vorsichtige Ueberlegung und Berechnung ist – und was kannst Du überhaupt dagegen einzuwenden haben? Pulteleben ist ein anständiger, hübscher junger Mensch aus guter und wohlhabender Familie – er liebt Dich leidenschaftlich und ist in seinen Forderungen auch nicht unbescheiden. Er will ja gar nicht, daß die Hochzeit gleich sein soll – er will nur die feste Zusicherung Deiner Hand – nur eine vorläufige Verlobung, weiter nichts, und – lieber Gott – nachher könnt Ihr ja noch immer thun, was Ihr wollt. Es ist schon manche Verlobung rückgängig geworden, ohne daß beide Theile darüber gestorben sind.«
Helene drehte sich rasch und scharf nach der Mutter um.
»Und wenn ich mich weigere?« sagte sie, und der Blick, mit dem sie die Mutter dabei ansah, zeigte viel mehr Trotz als Liebe.
»Es ist ganz vernünftig,« sagte die Gräfin ruhig, ohne jedoch zu ihr aufzusehen, »daß wir die Sache von beiden Seiten betrachten; wir wissen dann Beide gleich besser, woran wir sind. Wenn Du Dich also weigerst, wird Herr von Pulteleben augenblicklich ausziehen und das Geschäft aufgeben – das versteht sich von selbst. Sowie er aber aus dem Hause ist, kannst Du auch versichert sein, daß unsere Gläubiger wie ein Rabenschwarm über uns herfallen, und das Resultat ist dann sehr einfach: wir müssen ausziehen – wohin? wirst Du vielleicht angeben können – unsere Möbel und Sachen werden öffentlich verauctionirt, und Deine Mutter verläßt mit ihren Kindern in Schande und Spott einen Platz, in dem sie bis jetzt wenigstens eine achtbare Stellung gehalten. Hab' ich Recht oder nicht?«
»Oh, wärest Du mir nur gefolgt!« rief Helene leidenschaftlich – »hätten wir uns nur eingeschränkt, wie ich Dich bat und wieder bat, und mit dem Wenigen, was wir hatten, Haus gehalten, es wäre nie und nimmer so weit gekommen!«
»Liebes Kind, das verstehst Du nicht,« sagte die Gräfin, ungeduldig mit dem Kopf schüttelnd, – »wir mußten standesgemäß leben, oder die Leute hätten den Augenblick gemerkt, daß wir – mit unserem Einkommen beschränkt sind. Es giebt gar kein mißtrauischeres Volk als diese Bauern.«
»Aber kann es denn auf die Länge der Zeit verheimlicht bleiben?«
»Zeit gewonnen, Alles gewonnen, ist ein altes, gutes Sprichwort, und wir haben Alles gewonnen, wenn Du nur Deiner Mutter zu Liebe nachgiebst und nicht mit dem alten Starrkopf Recht behalten willst.«
»Aber ich liebe den Mann nicht!« rief Helene; ihre Augenbrauen zogen sich dabei fest zusammen und ihre kleine Hand ballte sich.
»Liebe – Liebe,« sagte die Frau Gräfin, sich hin und her wiegend – »in unserem Stand wird selten eine Heirath aus Liebe geschlossen. Hast Du eine andere Wahl, so nenne sie – hast Du sie nicht, so sei vernünftig.«
»Warum läßt Du mich nicht Stunden geben?« fragte Helene rasch – »ich habe Dich so oft darum gebeten.«
»Damit könntest Du Dich selber am Leben erhalten, und was wird dann aus mir, was aus Oskar? Aber thu es – thu es nur – was kümmerst Du Dich um Deine Mutter; die mag dann untergehen und verkümmern, wie sie will – es ist ja nur die Mutter!«
Helene hatte sich auf den Stuhl an's Fenster gesetzt, stützte den Kopf auf ihre linke Hand und sah, von ihren Gedanken gequält, hinaus in's Leere. Endlich stand sie auf, ein schwerer Seufzer hob ihre Brust, und sie sagte leise:
»Thu' was Du willst, Mutter – den Vorwurf sollst Du mir wenigstens nicht machen können.«
»Und morgen Abend haben wir die Gesellschaft?« fragte die Gräfin und ein triumphirendes Lächeln zuckte über ihre Züge.
»Richte es ein, wie Du willst,« wehrte Helene ab – »ich sage Dir ja, ich füge mich Allem, aber – quäle mich nicht weiter!« und mit raschen Schritten verließ sie das Zimmer, um ihre eigene Stube aufzusuchen.
Herr von Pulteleben saß oben, eine Treppe höher, noch in seinem Morgenanzuge vor dem geöffneten Koffer und überzählte seinen Kassenbestand.
»Das weiß doch der Henker,« murmelte er dabei vor sich hin – »ob ich mich um fünfzig Milreis verzählt habe, oder wo sie hingekommen sind – die Frau Gräfin hat doch den Schlüssel gehabt und das Schloß war unbeschädigt – na ja, das fehlte auch noch, daß das Geld auf die Weise weggeht, es wird so dünn genug, und wenn die versprochenen Wechsel jetzt nicht bald eintreffen, so sitzen wir hier Alle miteinander auf dem Trocknen. Verfluchte Geschichte mit der Cigarrenfabrik – ganz verfluchte Geschichte, und ich will nur wünschen, daß die Leute bald anfangen, sich um unsere Produkte zu reißen, sonst steh' ich für nichts.«
Er stützte seinen Ellbogen auf's Knie und schaute lange in tiefen Gedanken in den Koffer hinein. Endlich sagte er, diesen zuschließend und wieder aufstehend:
»Aber was thut's – Thorheit! – ich habe noch die alte Aengstlichkeit von Europa mitgebracht, welche sich erst hier in Brasilien verlieren muß. Eine kleine Weile hält's noch aus – bis dahin kommen ebenfalls Gelder ein, und da meine gnädige Schwiegermutter in spe ihr Capital für das Rittergut mit dem nächsten fälligen Dampfer schon erwartet, so wär' ich ja ein wahrer Thor, wenn ich mir ganz unnöthiger Weise Sorgen machen wollte. Glück muß ein junger Mensch haben, und der Zufall – oder vielmehr dieser verzweifelte Jeremias, der mir heute Morgen meine Kleider noch nicht rein gemacht hat – scheint mich in dieser Familie dem Glück mitten in den Schooß geworfen zu haben; daß ich das aber beim Schopfe ergreife, versteht sich von selber.«
»Der Jeremias ist aber wirklich ein Lump,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort, indem er seinen Rock hernahm und ihn selber ausbürstete – »nicht der geringste Verlaß mehr auf den Menschen und wenn ich ihm nicht wirklich so viel Dank schuldig wäre, ich jagte ihn heutigen Tages zum Teufel!«
Draußen an seiner Thür klopfte es an.
»Wer ist da?«
»Ich bin's,« sagte die Dorothea – »ich bringe das zerrissene Zeug wieder – der Schneider ist die Nacht nicht nach Haus gekommen – er ist auf einem Ball über Land – soll ich's zu einem andern tragen?«
»Aber das versteht sich doch von selbst!« rief Herr von Pulteleben ärgerlich – »so gescheidt hätten Sie doch gleich sein können.«
»Na, dann mag's auch unten liegen bleiben, bis der Jeremias kommt,« brummte die Alte leise vor sich hin, indem sie die Treppe wieder hinunterstieg – »ich hätte Zeit, den ganzen Morgen in der Stadt herum zu laufen!«
»Schöne Wirthschaft das bei den Handwerkern,« dachte indessen Herr von Pulteleben, indem er seinen Rock anzog und dann in die noch ungewichsten Stiefeln fuhr – »muß ihnen doch hier verwünscht gut gehen, daß sie so übermüthig werden – die Nacht auf einem Ball über Land – es wird wahrhaftig alle Tage besser!«
Es war Abend geworden – die Sonne neigte sich schon den westlichen Gebirgen zu und in seinem Zimmer, in Bohlos' Hotel, ging Könnern bereits Stunden lang mit untergeschlagenen Armen auf und ab, jedesmal an's Fenster springend, wenn der Huf eines Pferdes auf der harten Straße hörbar wurde. – Und Günther kam noch immer nicht, trotzdem daß er seit zehn Uhr Morgens fort war, und oft schon hatte der junge Mann selber in den Hof gewollt, um sein eigenes Pferd zu satteln und ihm entgegen zu reiten, jedoch immer wieder seine Ungeduld bezähmt. Jetzt litt es ihn nicht länger mehr; er griff seinen Hut auf und wollte eben fort, als die Thür aufging und der längst Ersehnte eintrat.
»Endlich, endlich!« rief Könnern ihm entgegen – »wo sind Sie nur so lange geblieben? – und ich habe nicht einmal Ihr Pferd gehört.«
»Ich bin zu Fuß gekommen.«
»Zu Fuß? Und ist Alles geordnet?«
»Das war ein böser Nachmittag, Freund,« seufzte Günther, seinen Hut auf den Tisch werfend – »und wär' es nicht Ihnen zu Liebe gewesen, ich hätte mich dem im Leben nicht unterzogen. Aber welchem Fremden hätten wir es anvertrauen können, ohne den Klatsch augenblicklich durch die ganze Colonie getragen zu haben. Nun – jetzt ist es Gott sei Dank überstanden, und Sellbachs – oder Meiers, wenn Sie wollen – sind abgereist.«
»Fort!« sagte Günther ruhig – »und – es war das Beste, was sie thun konnten. Wir bekamen heute außerdem die Gewißheit, daß sich die unglückliche Frau noch in der nämlichen Nacht in den Strom gestürzt und ihrem Leben dadurch auf gewaltsame Weise ein Ende gemacht hat; die Leiche wird natürlich nie gefunden werden, denn die zahlreichen Alligatoren darin machen das hoffnungslos.«
»Und Elise?« sagte Könnern leise und scheu.
»Nahm die Nachricht viel ruhiger auf, als ich erwartet hatte,« fuhr Günther fort – »Sie haben Recht, Könnern, das Mädchen ist ein Engel und jeder ihrer Gedanken nur eine Sorge um den Vater. Mit einer fast unheimlichen Gewalt bezwang sie dabei ihren Schmerz, und obgleich ich ihr erklärte, daß ich selber nicht den geringsten Auftrag und für mich selber keineswegs die Absicht habe, gegen ihren Vater des Geschehenen wegen vorzugehen – daß er selber, wenn er wolle, ein Abkommen mit seinen Gläubigern in Deutschland treffen möge, ja daß ich ihm, wenn er dies wünsche, mit Freuden die Hand zu einer Vermittelung bieten würde, wies sie Alles ruhig, aber fest zurück. Sie behauptete dabei, daß sie im bestimmten Auftrage ihres Vaters handle, der seine Schuld allerdings nicht mehr ungeschehen machen könne, wie er aber die That bereue, so auch Alles thun wolle, was jetzt noch in seinen Kräften stehe, den erlittenen Verlust zu ersetzen. Er könne freilich nichts weiter thun, als Alles hergeben, was er habe, und sie bäte mich daher, nicht allein Haus und Grundstück mit Allem, was es enthielt, sondern auch noch eine sehr bedeutende Summe von Werthpapieren zu übernehmen, welche sie mir einhändigte. Das Einzige, was sie bat mitnehmen zu dürfen, sei das Notwendigste für sich und den Vater an Wäsche.
»Ich versuchte Alles, sie zu überreden, sich nicht von allen Mitteln zu entblößen – ich stellte ihr vor, daß, wenn ich als Stellvertreter der Gläubiger hier handeln solle, um ihr Vermögen zu übernehmen, ich auch das Recht haben müsse, zurückzuweisen, was ich für überflüssig halte – umsonst! Sie sei jung und kräftig, erwiderte sie mir und könne und wolle arbeiten und kein Milreis, auf dem ein Fluch hafte, solle in ihrem Besitze bleiben, um ein neues Leben damit zu beginnen. Das Einzige, was ich sie endlich anzunehmen vermochte – und das auch nur nach Stunden langer Überredung und ihres Vaters wegen, der einen langen Marsch nicht ausgehalten hätte – war mein eigenes Pferd – und vor zwei Stunden etwa, der alte Mann im Sattel mit dem kleinen Bündel Gepäck hinter sich, die Jungfrau zu Fuß an seiner Seite – so zogen die Unglücklichen in den Wald hinein.«
Könnern, der bleich wie ein Todter, die Augen von Thränen gefüllt, dem einfachen Bericht gelauscht, sank jetzt auf einen Stuhl, barg sein Gesicht in den Händen und saß lange stumm und regungslos. – »Und darf ich sie ziehen, darf ich sie ihrem Schicksale so überlassen?« stöhnte er endlich – »es kann – es kann nicht sein!«
»Wie ich das Mädchen heute habe kennen lernen,« sagte Günther ernst, »so würden Sie ihr durch ein Nachfolgen nur noch einmal die Schmerzen des Abschiedes bereiten – weiter nichts – und das arme Kind hat Leid und Schmerzen genug gehabt. Seien Sie nicht grausam; Anderes würden Sie nicht damit bezwecken.«
»Und ohne Mittel – ohne das Nöthigste, sich am Leben zu erhalten, auf fremde Menschen – auf ihrer eigenen zarten Hände Arbeit angewiesen – Hände, die nie gewohnt waren, eine schwere Arbeit zu verrichten, mit einem Körper, der solchen ungewohnten Anstrengungen erliegen muß, selbst wenn ihr Geist das Furchtbare erträgt – Günther, Günther, der Gedanke allein kann mich zur Verzweiflung treiben! Und wenn sie nun krank, nun selber hülfsbedürftig wird, wer soll ihr beistehen, wo der alte Mann ja schon Hülfe und Pflege für sich gebraucht?«
»Das Einzige, was wir thun können,« sagte Günther, »ist, unter der Hand nachzuforschen. Ein so auffälliges Paar kann in unseren Colonien nicht spurlos verschwinden; man wird immer in der Nähe Nachricht von ihnen bekommen können, und sollte dann Hülfe nöthig sein, so läßt sie sich vielleicht indirect und ohne daß Elise etwas davon weiß, vermitteln. Nahen dürfen Sie ihr aber jetzt nicht, wenn Sie nicht Alles verderben wollen, das ist meine feste Ueberzeugung. – Aber gönnen Sie mir eine Stunde Zeit; ich muß diese Papiere ordnen und gleich nach Hause berichten, denn übermorgen früh bin ich gezwungen, meine Arbeiten wieder zu beginnen und zu beenden. Morgen werde ich deshalb die Auction der Sellbach'schen Sachen halten und dafür ist es nöthig, gleich noch ein Paar Anzeigen für die Gasthäuser und öffentlichen Plätze zu schreiben. Jeremias, dem ich eben begegnet bin, wird dann die weitere Verbreitung noch heut Abend übernehmen. In einem solchen Neste, wie dies, ist ein derartiges Ereigniß gleich allgemein, und wir haben das unglückselige Geschäft dann abgemacht, ehe das Publikum nur Zeit gehabt hat, sich seine Vermuthungen mitzutheilen – es muß Alles Schlag auf Schlag folgen. Die Einkassirung der in der Auction gelösten Gelder werde ich dann hier dem Kaufmann Rohrland übertragen. Apropos,« setzte er hinzu, als er eine Anzahl Papiere aus seiner Tasche nahm und ein paar ziemlich umfangreiche Karten auf den Tisch warf – »da hat mir der Jeremias auch ein paar Einladungen auf morgen Abend zu der Frau Gräfin mitgebracht. Sie giebt, glaub' ich, eine Art Soirée, oder etwas Derartiges. Es ist auch eine für Sie dabei.«
»Für mich? Ich kenne die Frau Gräfin gar nicht,« sagte Könnern gleichgültig.
»Ich auch nicht,« sagte Günther; »die Einladung ist wahrscheinlich eine Art von Erkenntlichkeit für den Dienst, den wir ihrer Tochter vorgestern Abend geleistet haben. Wie doch oft kleine, unbedeutende Ursachen so furchtbare Wirkungen haben – dachten wir damals daran, daß das durchgehende Pferd in zweimal vierundzwanzig Stunden ein Menschenleben kosten und eine Familie von Haus und Hof treiben könnte?«
»Kann ich Ihnen bei Ihren Papieren helfen?«
»Nein; aber wenn Sie mir einen Gefallen thun wollten, so könnten Sie sich einmal nach einem neugefundenen Freund und neuen Kameraden, dem jungen Grafen Rottack, umsehen. Er ist wahrscheinlich hier im Hause und ich habe mit ihm zu reden. Für ihn ist übrigens auch eine Einladung gekommen; da sie aber seinen Namen nicht wußten, steht er mit auf meiner Karte.«
Die Sonne ging unter und die Straße von Zuhbel's Chagra herein kam unser alter Bekannter Köhler und hielt an des Schneiders Justus Haus. Es war finster in der Arbeitsstube Kernbeutel's; aber der junge Mann ritt dicht an das Fenster und klopfte mit der Hand an eine der Scheiben. Niemand antwortete und er klopfte stärker. Endlich ging in der Stube eine Thür auf und die Frau kam herein.
»Na,« sagte sie, »was giebt's? Wer klopft da?«
»Ist der Justus zu Hause?«
»Der Lüdrian!« keifte die Frau; »wer weiß, wo der die Nacht trunken gelegen hat und jetzt seinen Rausch ausschläft. Oh, Du mein Herrgott, wie oft habe ich die Stunde schon verschworen, wo ich das nichtsnutzige Mannsbild zum ersten Mal mit Augen gesehen habe – aber ich mag die Wirtschaft auch nicht länger mit ansehen und gehe aus dem Hause!«
»Was, der ist noch nicht von seinem Ball zurück?« rief Köhler ärgerlich. »Da ist mein Rock auch noch nicht fertig, und er hat sich verschworen, daß ich ihn heute Morgen haben sollte!«
»Wer hätt' ihn sollen fertig machen – ich?« knurrte die Frau – »weiter fehlte auch nichts mehr; die Schinderei hab' ich so schon allein, soll ich auch noch die Arbeit für den Lumpen thun?«
»Ist er denn bei Zuhbels oben?«
»Ja was weiß ich, wo er sich umhertreibt!« sagte die Frau und schlug ärgerlich die Thür wieder hinter sich zu.
»Schöne Wirthschaft das,« brummte Köhler vor sich hin, als er sein Pferd wieder zurück auf die Straße und heimwärts lenkte; »aber soll mich Dieser und Jener holen, wenn ich bei dem liederlichen Halunken auch je wieder ein Stück arbeiten lasse!« –
In dem kleinen Käfterchen, das Bux in Buttlich's Hause mit seiner Familie bezogen, saß die Familie Bux beim Abendbrot. Die Frau hatte das jüngste Kind, das wieder recht unruhig war, an der Brust und saß auf einer kleinen Kiste neben der Holzlade, die als Tisch dienen mußte, während an dem andern Ende Bux selber rittlings Platz genommen. Rechts und links von ihm kauerten die beiden älteren Kinder, und ein Stück gekochtes Rindfleisch mit schwarzen Bohnen, wie außerdem eine Flasche Schnaps, der Bux schon ziemlich lebhaft zugesprochen, standen in der Mitte.
»So freßt Euch heute einmal satt!« lud Bux die Familie ein; »wer weiß, wann's wieder Fleisch in den Topf giebt. Und Du, bring' einmal den Balg zum Schweigen, oder ich werf ihn, Gott straf' mich, vor die Thür hinaus – und Dich mit!«
Bux hatte nicht seinen beau jour; er sah wüst und wild um die Augen aus, deren eines roth unterlaufen war wie nach einer Schlägerei. Auch ein paar Schrammen trug er in dem ungewaschenen Gesicht und um die linke Hand einen schmutzigen Lappen gebunden. Der häufig genossene Branntwein war ihm dazu schon etwas in den Kopf gestiegen und immer wieder aufs Neue hob er die Flasche an die Lippen.
»Ach Du lieber Gott!« stöhnte die Frau, indem sie von ihrem langersehnten Mahl aufstand und das Kind in der Stube herumtrug – denn es wollte die Brust nicht mehr nehmen, die ihm ja doch keine Nahrung bot – »ich wollte, Du würfst uns Beide nur hinaus und gleich in's Wasser, da wärst Du uns mit einem Mal los, und uns – wär's auch wohl da unten!«
»Halt's Maul und mach' mir den Kopf nicht wild,« schrie der Mann – »heute wollen wir lustig sein und ich will die Heulerei nicht haben! Hast Du mich verstanden?«
Die Frau schwieg und suchte das Kind zu beschwichtigen, das jetzt, so lange es auf und ab getragen und geschüttelt wurde, auch ruhiger war und der Mann fuhr, seine Gabel vor sich hin auf die Lade werfend, mit zusammengebissenen Zähnen fort:
»Gott verdamm' mich, nicht einmal das bischen Fr– kann man in Ruhe verzehren, mit so einer himmelhundischen Last am Bein! Macht mir den Kopf nicht warm, das sag' ich Euch, denn ich bin heute gerade guter Laune und will mir den Abend nicht verderben lassen!« – Und dabei sprach er wieder fest der Flasche zu. Dann aber schnitt er das Fleisch in kleine Stücke und schob es den Kindern hin, die scheu und stumm darüber herfielen, denn der Vater saß ihnen zu nahe, als daß sie hätten wagen dürfen, ein Wort einzuwerfen. Auch die Frau kam endlich wieder herzu, denn das Kind war ihr im Arm eingeschlafen und sie legte es leise auf die im Winkel zusammengeschobenen Lumpen, die ihm zum Bettchen dienten.
»Da, trink einmal,« sagte der Mann endlich und schob ihr, als die Mahlzeit schon fast beendet war, die Flasche hin.
»Ich kann nicht,« lehnte die Frau ab – »der Schnaps ist mir zu scharf – er brennt mir den Hals entzwei und – möchte auch dem Kinde schaden.«
»Kinde schaden,« brummte der Mann unwirsch – »so laß es bleiben – soll Dir sie auch wohl noch eingießen, die Gottesgabe« – und er hob die Flasche an den Mund und leerte den noch darin befindlichen Rest auf Einen Zug.
Die Frau sah ihm ängstlich zu, sagte aber kein Wort; sie wußte recht gut, daß sie ihn in diesem halbtrunkenen Zustande nicht reizen durfte, und Bux schien wirklich heut Abend guter Laune, denn er schob die Flasche zurück, nahm seinen Pfeifenstummel aus der Tasche, stopfte sich denselben, und legte sich dann, den blauen Dampf in das Dunkel hineinqualmend, in die Ecke auf sein Lager.
»Ist der Junge beim Justus drüben gewesen und hat ihn eingeladen, uns zu besuchen?« fragte er endlich; »hätt's beinahe ganz vergessen und von dem Lumpengesindel sagt Einem auch Keins Antwort, wenn man einmal 'was bestellt.«
»Ich war drüben, Vater,« sagte der Knabe, »aber der Mann war noch nicht nach Haus gekommen; wenn er käme, wollt's ihm die Frau bestellen.«
»So? – hm – hahaha,« lachte Bux vor sich hin – »lüderlicher Strick, wo der sich wieder einmal herumtreibt! – Sonst war Niemand da, der nach mir gefragt hätte, wie ich da vorhin lag und schlief?«
»Niemand als der Fleischer, der sein Geld haben wollte,« sagte die Frau.
»Soll zum Teufel gehen!« brummte der Mann und qualmte immer stärker.
Dann war Alles ruhig. Die Frau räumte die Lade ab und stellte das Geschirr in einen Winkel, um morgen mit Tagesanbruch wieder aufzustehen und es aufzuwaschen. Sie hätte den Mann gern gefragt, ob er heute Morgen, als er aus war, irgend eine Beschäftigung oder Aussicht auf Erwerb gefunden, denn vorgestern schon war das letzte Stück Geld ausgegeben gewesen, und jetzt schien er doch wieder etwas bekommen zu haben; aber sie wagte es nicht. Das Kind schlief gerade, und wenn er böse wurde und auffuhr, konnte er es wieder wecken und sie dann die halbe Nacht mit ihm im Zimmer herumlaufen, wie gestern und vorgestern.
Der Mann war auch ruhig. Das starke Getränk übte seine betäubende Wirkung. Er hatte die Pfeife ausgeraucht und hielt sie noch leer in der Hand, während er schon schwerfällig mit dem Kopfe zu nicken anfing. Ein paar Mal fuhr er wieder in die Höh' und sah sich scheu um, dann sank sein Kopf zurück auf das Kissen; er begann zu schnarchen und die Frau winkte den Kindern, vorsichtig zu Bett zu gehen, löschte das Licht aus und legte sich dann selber neben dem Kleinsten nieder, um dieser Nacht vielleicht ein paar Stunden Schlaf abzuringen.