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Vier Tage waren nach den oben beschriebenen Vorfällen verflossen; die Frau Gräfin hatte an diesem Morgen noch nicht vollständig ihre Toilette beendet, als draußen auf dem Vorsaal schwere Tritte laut wurden und gleich darauf ein Mann mit Dorothea sprach. Jetzt klopfte diese an die Thür und rief:
»Frau Gräfin, der Meister Spenker ist draußen und wünscht die Frau Gräfin zu sprechen.«
»Soll später wieder kommen,« lautete die Antwort – »ich bin noch nicht fertig angezogen.«
»Ach, machen Sie keine Umstände, Frau Gräfin,« sagte der Bäckermeister, der die Antwort gehört hatte – »ich habe meine Frau auch schon oft im Negligé gesehen – bin ja ein verheiratheter Mann und kann nicht so lange von Hause fort bleiben. Es giebt jetzt schmählich viel zu thun, denn die vielen neuen Mäuler im Ort wollen doch alle satt werden und Brod haben.«
»Aber weshalb kommen Sie denn so früh – ich kann jetzt nicht.«
»Früh?« sagte der ehrliche Bäckermeister erstaunt, der seit vier Uhr an der Arbeit war – »es hat eben Elf geschlagen, und bei uns drüben sagen wir nicht einmal mehr ›Guten Morgen‹ – es wird gleich zu Mittag gegessen. Wenn Sie aber wollen, kann ich Ihnen hier gleich durch die Thür melden, was mich hergeführt – ich glaubte nur, es wäre Ihnen angenehmer, wenn ich Sie allein spräche.«
Es entstand eine kleine Pause und der Bäckermeister lächelte leise vor sich hin – endlich sagte die Gräfin von innen heraus:
»Ich komme den Augenblick – gehen Sie in das andere Zimmer.«
»Sehr wohl, Frau Gräfin,« erwiderte der Meister kopfnickend und wußte auch ganz genau, in welches, denn er hatte schon sehr viele derartige Conferenzen mit der Dame gehabt. Er brauchte indessen nicht sehr lange zu warten, denn kaum zehn Minuten später ging die Thür auf und Frau Gräfin Baulen, einen großen Shawl umgeschlagen, trat herein und sagte eigentlich viel freundlicher, als man nach der erzwungenen Audienz hätte vermuthen sollen:
»Guten Morgen, Meister! Was wünschen Sie?«
»Guten Morgen, Frau Gräfin – nichts als die alte Geschichte, die wir schon einige Mal verhandelt haben: Geld – meine Miethe.«
Die Gräfin warf ungeduldig den Kopf auf die Seite.
»Aber Sie wissen ja doch, daß meine Wechsel, die ich jedenfalls mit dem nächsten Dampfer erwarte, noch nicht angekommen sind – ich habe Ihnen das schon das letzte Mal gesagt, als ich das Vergnügen hatte, Sie zu sehen.«
»Bitte,« sagte der Mann – »ja, und das vorletzte Mal auch, und das vorvorletzte; aber es ist ein merkwürdiges Ding um einen Wechsel, der nie ankommt, wenn er am nothwendigsten gebraucht wird.«
»Und ist das etwa meine Schuld?« sagte die Gräfin piquirt.
»Glaube kaum,« lächelte der Bäckermeister – »nur die Schuld der Leute, die eben keinen schicken wollen.«
»Aber sie sind abgeschickt,« rief die Gräfin ungeduldig, »und können jetzt jede Stunde eintreffen. Sie denken doch nicht etwa, daß ich Ihnen die Unwahrheit sagen würde?«
»Nein,« sagte der Bäckermeister kopfschüttelnd, »es wäre wenigstens nicht hübsch; aber damit kommen wir nicht weiter. Das Kurze und Lange von der Sache ist einfach das, daß ich nicht länger auf die Wechsel warten kann, und es thut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, Frau Gräfin. Ich bin nur ein Handwerker, und was ich brauche, muß ich mir sauer genug verdienen; außerdem habe ich Kinder, die versorgt sein wollen, und das kostet, wie Sie ebenfalls recht gut wissen, viel Geld. Deshalb muß ich das Meinige zusammenhalten – Sie sind eine zu vernünftige Frau, um das nicht einzusehen, und ich kann die Milreis nicht hundertweis außenstehen lassen.«
»Aber, lieber Freund, ich kann Sie ja doch nicht eher bezahlen, bis mein Wechsel kommt,« sagte die Gräfin ungeduldig – »was hilft aber all' das Reden? So nehmen Sie doch nur Vernunft an!«
»Eben weil ich lieber auf die Vernunft hören will, als viele Reden machen, bin ich heute Morgen hergekommen,« sagte der Meister ruhig, »und wollte Ihnen denn nur anzeigen, Frau Gräfin, daß ich mein Geld in dieser Woche haben muß und will, Wechsel oder keine Wechsel, die mich eigentlich gar nichts angehen. Ich werde Sie nicht zu sehr drängen und gebe Ihnen noch bis Samstag Zeit, das ist aber auch, das schwöre ich Ihnen, der allerletzte Termin, den Sie von mir herausdrücken können; denn die Geschichte spielt jetzt fünfzehn Monate, und ich will mich nicht länger zum . . . na, ich meine, ich kann eben nicht länger warten.«
»Ich will sehen, was in meinen Kräften steht,« sagte die Gräfin gleichgültig und, wie es schien, mit dem Wunsche, das Gespräch abzubrechen – »erzwingen läßt sich aber so etwas nicht.«
»Oh, doch wohl,« meinte Meister Spenker, den die vornehme Gleichgültigkeit zu ärgern anfing – »es läßt sich auch erzwingen, Frau Gräfin, wenn es mir auch sehr leid thun sollte, etwas Derartiges zu thun. Der ganze Ort ist jetzt voll Leute, die Logis suchen und eine solche Wohnung, wie das Haus hier, mit Vergnügen noch höher als Sie und gleich baar bezahlen würden; überall fragen sie an, ob nichts Derartiges zu bekommen sei. Außerdem haben Sie selber schon einen Aftermiether in's Haus genommen, der Sie doch auch bezahlt, und ich sehe gar nicht ein, weshalb ich das nicht selber verdienen und sonst nichts auf der Welt davon haben soll, wie leere Versprechungen.«
»Der Herr,« sagte die Gräfin doch etwas verlegen, »ist – ist ein Verwandter von mir und zahlt mir also keine Miethe.«
»Na, das geht mich nichts an,« sagte der Bäcker, »ob er Ihnen etwas zahlt. Wenn er bei mir wohnte, würde er zahlen. Also nichts für ungut, aber wenn ich bis Samstag mein Geld nicht bekomme, so muß ich Sie, so leid mir das thun sollte, auf die Straße setzen und mich an dem schadlos halten, was Sie mir für meine zweihundert Milreis an Pferden oder Möbeln zurücklassen können.«
»Herr Spenker,« rief die Gräfin auffahrend, »eine solche Sprache verbitte ich mir! Wenn Sie sich in Ihrem Rechte gekränkt glauben, so wenden Sie sich an die Gerichte, und wir wollen dann sehen, ob mir nicht jeder Kaufmann selbst bezeugen muß, daß in einem solchen Winkel der Erde, wie wir ihn hier bewohnen, die Ankunft eines Wechsels verzögert werden kann – aber so lange Sie in meiner Stube sind, vergessen Sie nicht die mir schuldige Achtung.«
»Ach was,« sagte der Mann mürrisch – »Sie vergessen auch immer die mir schuldigen zweihundert Milreis, und mit dem vornehm – aber wir wollen uns nicht zanken,« brach er kurz ab, »deshalb bin ich nicht hergekommen. Ich mag mit keinem Menschen Streit haben, am wenigsten mit meinen Miethsleuten – so weit's eben geht – also nochmals, nichts für ungut, Frau Gräfin, und sorgen Sie dafür, daß wir die Sache am Samstag in's Klare kriegen, sonst läßt sich's eben nicht länger vermeiden und müßte Ihnen doch fatal sein. Wünsche Ihnen einen recht angenehmen Morgen!« – und mit einer kurzen Verbeugung und einer Schwenkung des rechten Armes drehte er sich um und stieg langsam wieder die Treppe hinunter.
Die Gräfin hatte seinen Gruß sehr kalt erwidert und blieb, als er schon lange das Zimmer verlassen, noch immer in finsterem Brüten auf derselben Stelle stehen. Sie hatte die Arme gekreuzt und starrte nieder vor sich auf den Boden, als eine Seitenthür aufging und Helene eintrat.
Sie ging still an der Mutter vorüber zu dem nächsten Fenster, wo ein Buch lag, das sie nahm und aufschlug – aber sie las nicht darin. Ihre Blicke hafteten wohl auf dem Drucke, doch ihre Gedanken schweiften zu anderen Scenen, als den hier geschilderten. Endlich sagte sie leise:
»Und was soll nun werden?«
Die Mutter schrak ordentlich bei der Frage empor, die nur das in Worten aussprach, worüber sie selber eben erst nachgedacht.
»Du hast gehört, was der Mensch sagte?« fragte sie, ohne ihre Stellung zu verändern.
»Ja.«
»Alles?«
»Jedes Wort – aber Dein Wechsel muß jetzt kommen; der Dampfer ist schon seit vier Tagen fällig und bleibt nur in seltenen Fällen über diese Zeit.«
»Und wenn er kommt?« erwiderte die Gräfin mit einem bittern Lächeln, »was dann? Ja, ich bin mit den wenigen hundert Thalern im Stande, unsere Hauptschulden zu decken, aber wovon weiter leben? Helene, Helene, Dein starrer Sinn wird uns noch theuer zu stehen kommen!«
»Mein starrer Sinn?« fuhr die Tochter auf; »etwa deshalb, weil ich nicht auf die Anträge jenes schurkischen Portugiesen hören wollte, der mir seine Hand anbot? Hast Du nicht jetzt selber den Beweis, was für eine gemeine Creatur es war, wo er die Frau des Schuhmachers entführte, als er die Grafentochter nicht bekommen konnte? Der Mensch war als ein Wüstling in der ganzen Stadt bekannt und verachtet, und Du, Mutter, Du konntest mir zu einer Verbindung mit ihm rathen, ja, wirfst mir jetzt noch meinen Starrsinn vor!«
Helene stand mit leuchtenden Augen ihrer Mutter gegenüber, und die Frau schlug fast scheu den Blick vor ihr zu Boden.
»Du denkst nur an Dich,« sagte sie aber trotzdem, wenn auch nur mit halblauter Stimme – »was aus Deiner Mutter wird, kümmert Dich nicht.«
»Und hab' ich den Vorwurf wirklich von Dir verdient?« erwiderte Helene, und ein eigener wehmütiger Zug zuckte um ihre Lippen – »hab' ich ihn auch da verdient, als ich des wackern Vollrath Bewerbung ausschlug, der mich mit einem gebrochenen Herzen verließ und dessen ganze Liebe ich besaß? Dachte ich auch da nur an mich, wo ich im Stande war, mir eine bescheidene Heimath zu gründen, aber Dich auch hätte hülflos zurücklassen oder in Verhältnisse hinein ziehen müssen, von denen ich vorher wußte, daß Du Dich darin unglücklich gefühlt und Vollrath unglücklich gemacht hättest?«
»Nein – nein – ich weiß, Du bist ein gutes, vernünftiges Kind,« sagte die alte Gräfin, von dem Vorwurfe getroffen – »ich war vielleicht zu hart gegen Dich, aber – sollte die Zeit kommen, wo Du Dich gut versorgen kannst, so bedenke auch, daß Du – nicht zu lange damit säumen darfst. Unsere Stellung wird hier mit jedem Monate unhaltbarer, wenn nicht bald Etwas geschieht, der Sache eine andere Wendung zu geben.«
»Und was könnte geschehen?« sagte Helene, und ein ganz eigenes Gefühl beengte ihr die Brust.
»Ich habe doch jetzt Hoffnung,« sagte ihre Mutter, »daß sich mein Plan noch wird realisiren lassen.«
»Du meinst mit der Cigarren-Fabrik?«
»Ja.«
»Und glaubst Du wirklich, daß etwas dabei gewonnen werden kann?«
»Wenn es richtig angefaßt wird, gewiß.«
»Aber wirst Du im Stande sein, das zu thun? Gehören nicht zu einem solchen Geschäfte praktische Erfahrungen?«
»Liebes Kind, glaubst Du nicht, daß ich mir in meinem Leben Menschenkenntnisse genug gesammelt habe, auch mit Menschen umzugehen?«
»Aber das ist eine Sache, wo Du weniger Menschen- wie Waarenkenntnisse brauchst, und wie leicht kannst Du darin betrogen werden.«
»Waarenkenntnisse, Du lieber Gott!« sagte die Gräfin; »das Material ist so einfach, daß sich das gewiß in wenigen Monaten vollständig erlernen läßt. Aber weißt Du selber etwas Besseres?«
»Ich? Du mein Himmel!« seufzte Helene – »wie sollte ich Dir rathen können, der noch nie verstattet wurde, in das praktische Leben der Menschen einzugreifen, ja, sie nur bei demselben zu beobachten? Lange schon hätte ich Unterricht im Französischen und Englischen gegeben, um mich nur in Etwas nützlich zu machen, aber selbst das hast Du mir ja nicht einmal gestattet.«
»Weil es sich mit unserer Stellung nicht verträgt,« sagte die Gräfin finster – »mit welchem Gesicht hätte ich nur dem Baron entgegentreten können, wenn die »Comtesse« den Bäcker- oder Schusterkindern da drüben Unterricht gegeben hätte? – Das verstehst Du nicht, Kind.«
»Und Cigarren machen für Bäcker und Schuster?« sagte das junge Mädchen traurig.
»Das ist etwas ganz Anderes, wir lassen sie machen,« erwiderte die Gräfin rasch – »wir leiten nur die Fabrikation, und wenn wir selber ›zum Spaße‹ dann und wann und auf unserer Stube ebenfalls arbeiten, so ist das etwas ganz Anderes. Auch Damen der höchsten Stände in Europa haben zu ihrer Unterhaltung Handarbeiten betrieben, Blumen, Pappsachen, Verzierungen auf Glas- und Holzwaaren und tausend andere Dinge gemacht. Wir hier brauchen solche Sachen nicht, und wenn wir dafür Cigarren machen, kann Niemand etwas Ungehöriges darin sehen. Selbst der Baron fand das in der Ordnung.«
»So hast Du schon mit ihm darüber gesprochen?«
»Ja,« sagte die Gräfin nach einigem Zögern – »vor mehreren Tagen kam einmal das Gespräch darauf.«
»Und wird er sich dabei betheiligen?« fragte Helene schnell.
»Nein,« erwiderte die Gräfin wieder zögernd; »der Mann war stets zu unpraktisch. Er hat nicht den geringsten Sinn für ein wirklich nutzbringendes Unternehmen, und da ist es auch viel besser, daß man gar nicht mit ihm beginnt; man hätte sonst ewig nur Klagen und Vorwürfe zu hören.«
»Und wer sonst – meinst Du – würde auf einen solchen Plan eingehen?« fragte die Tochter und sah ihre Mutter scharf dabei an.
Die Gräfin hatte sich halb abgewendet und beschäftigte sich an ihrem Nähtische damit, ein aufgerolltes Knäuel schwarzer Seide wieder in Ordnung zu bringen.
»Ich glaube,« sagte sie und wandte dabei den Kopf lächelnd der Tochter zu – »der Himmel selber hat uns einen Bundesgenossen gesandt, der am Ende der rechte Mann dazu sein dürfte.«
»Unser Gast?«
»Derselbe. Er wünscht sehnlichst, wie er mir wieder und wieder gesagt hat, irgend etwas in Brasilien zu beginnen, wodurch er nicht allein eine Beschäftigung findet, sondern auch Geld verdienen kann, und ich denke fast, daß mein Plan für alle beide von Nutzen sein könnte. Meinst Du nicht?«
»Ich weiß nicht,« sagte Helene, »es ist mir ein Gefühl, als ob wir der Sache keinen rechten Ernst entgegenbringen könnten – als ob eigentlich andere Kräfte dazu gehören müßten, etwas Aehnliches zu beginnen.«
»Aber ich begreife Dich gar nicht.«
»Und wie wird sich Oskar hineinfinden?«
»Wie ihn die Notwendigkeit zwingt,« sagte die Gräfin entschieden. »Ich habe ihm seinen Leichtsinn jetzt lange genug nachgesehen, aber meine Kräfte sind erschöpft. Ich bin nicht mehr im Stande, sein müßiges Leben zu unterstützen, und er muß eben arbeiten, wenn er existiren will. Dafür sind wir nun einmal in Brasilien.«
»Er wird schwer an eine regelmäßige Beschäftigung zu gewöhnen sein,« seufzte Helene; »es ist ihm zu viel die ganzen langen Jahre hindurch nachgesehen worden.«
»Das muß eben anders werden,« sagte die Gräfin, »und ich habe die feste Hoffnung, daß er das selber fühlt, indem er schon sein Reitpferd verkauft hat. Das Geld dafür ist allerdings nur ein sehr kleines Capital, aber es ist immer ein Capital und kann auf weit nützlichere Weise verwandt werden.«
Ein lauter, jubelnder Ruf von der Straße aus unterbrach sie hier, und als Beide an das Fenster traten, sahen sie, wie Oskar eben einen sehr hübschen Rappen, der unter ihm sprang und tanzte, gerade vor dem Fenster parirte und ihn auf und ab galoppiren ließ.
»Da hast Du die Anlage des neuen Capitals,« sagte Helene ruhig – »ich kenne das Pferd; es hat früher dem Director gehört und ist von ihm um hundertsechzig Milreis verkauft worden. Billiger hat es Oskar auf keinen Fall bekommen und wahrscheinlich noch Sattel und Zaum besonders bezahlt. Das sind die neuen Ersparnisse.«
»Ich will doch nicht hoffen!« rief die Gräfin, wirklich erschreckt. Oskar aber war indessen aus dem Sattel gesprungen, hatte sein Pferd, das noch ungeduldig den Boden scharrte, an den Baum unten befestigt und kam jetzt mit flüchtigen Sätzen die Treppe herauf und in's Zimmer.
»Nun, wie gefällt Euch mein neues Pferd?« rief er hier triumphirend aus – »nicht wahr, das ist ein Prachtrappe? Jetzt, Helene, wollen wir wieder einmal zusammen reiten, und Du sollst sehen, wie ich Dir mit dem da unten davonlaufe. Sowie Jeremias kommt, soll er Deinen Schimmel satteln, und dann können wir's gleich versuchen.«
»Und das Pferd hast Du gekauft?« fragte die Mutter erschreckt.
»Nun, glaubst Du, daß es mir Jemand geschenkt hätte?« lachte Oskar – »aber es ist spottbillig. Denke Dir, Helene, ich habe nur sechzig Milreis mehr dafür gezahlt, wie ich für meinen Braunen bekommen habe – sechzig Milreis und Sattel und Zaum dazu, für das Prachtthier! Es ist der beste Renner in der Colonie – aber was habt Ihr denn nur um Gottes Willen? Ihr steht ja Beide da, als ob irgend ein Unglück geschehen wäre!«
Die Gräfin hatte sich auf den nächsten Stuhl gesetzt und seufzte tief auf, Helene aber sagte ruhig:
»Und wovon willst Du diese sechzig Milreis bezahlen, wenn man fragen darf?«
»Fragen darf?« sagte Oskar trotzig – »fragen darf man schon, aber wenn ich Dir nun antworte: Was geht Dich das an?«
»Und wenn ich Dich nun frage, mein Herr Leichtfuß?« rief die Gräfin, indem sie mit zusammengezogenen Brauen zu ihm aufsah; »ich hoffe doch, daß ich wenigstens das Recht dazu habe.«
»Allerdings, Mama,« lachte Oskar, »denn Du bist ja mein Kassirer – dann werde ich Dir also einfach antworten, das macht Alles meine gütige Mutter ab.«
»Und darin könntest Du Dich dieses Mal verrechnet haben!« rief die Gräfin rasch und ärgerlich; »Deine Verschwendung geht in das Bodenlose, und ich habe nicht länger Lust, mich Deinethalben nur immer in neue Sorgen und Verlegenheiten zu stürzen.«
»Huih!« sagte Oskar, erstaunt von Mutter zu Schwester und wieder zurücksehend – »da bin ich ja, wie es scheint, zu sehr unrechter Zeit in eine Familienberathung über Wirthschaftsangelegenheiten hineingekommen, wo aller Wahrscheinlichkeit nach ein neuer Hausplan entworfen wird. Bitte tausendmal um Entschuldigung, daß ich gestört habe« – und seine Mütze aufgreifend, sprang er, so rasch er gekommen, die Treppe wieder hinab, machte unten sein Pferd los, setzte sich auf und galoppirte im nächsten Momente wieder, in voller Flucht und was das Pferd laufen konnte, die Straße hinab.
»Das muß anders werden,« seufzte die Mutter, »das muß anders werden, oder der Junge richtet uns vollständig zu Grunde.«
»Noch vollständiger?« sagte Helene, und ein bitteres Lächeln zuckte um ihre Lippen.
»Die einzige Möglichkeit,« fuhr die Mutter fort, »ist, ihn durch eine regelmäßige Beschäftigung zu binden. Er soll und muß erst einmal lernen, was es heißt, sich sein Brod selber zu verdienen. Hat er das, dann wird er auch das Geld mehr zu Rathe halten – er wird geizig werden und sparen – Du glaubst es nicht? Du sollst sehen, ich bringe ihn noch dahin, daß er ein Zwanzigerstück dreimal in der Hand herumdreht, ehe er es ausgiebt.«
»Und wann soll diese Arbeit beginnen?« fragte Helene, die nur zu oft schon die guten Vorsätze ihrer Mutter, was die Erziehung des Bruders betraf, hatte anhören müssen und ihre vollkommene Gehaltlosigkeit zur Genüge kannte.
»Ich will heute noch mit Herrn von Pulteleben sprechen,« sagte die Gräfin, selber gern bereit, das trostlose Thema abzubrechen; »er hat mich ja sogar dringend gebeten, ihm eine Anlage für ein Capital zu rathen; ich bin es ihm sogar schuldig, daß ich ihn von unserem Plan in Kenntniß setze, und ich zweifle keinen Augenblick, er wird mit Freuden zugreifen. Wäre er doch auch ein Thor, wenn er es nicht thäte, denn nicht jedem jungen Fremden wird eine solche Aussicht geboten, wie er nur kaum das fremde Land betreten hat.«
»Es ist gut,« seufzte Helene, »gehe nur um Gottes willen sicher in der Ausführung, daß der Fremde nicht später glauben könnte, Du habest nur sein Geld zu Deinen Zwecken benutzt; es wäre fürchterlich, wenn es fehlschlüge.«
»Es schlägt nicht fehl, Helene, oder ich müßte zum ersten Mal in meinem Leben in – doch, es ist nicht nöthig, Weiteres darüber voraus zu bereden. Laß mich jetzt allein, mein Kind, ich werde das Mädchen hinausschicken und unsern Gast ersuchen lassen, zu mir zu kommen. In einer Stunde ist Alles abgemacht. Noch Eins,« fuhr sie fort, als sich Helene schweigend wandte, um ihr eigenes Zimmer aufzusuchen – »wer ist denn jener unverdrossene Violinspieler, der Dir fast jeden Abend ein kurzes Ständchen bringt?«
»Gott weiß es!« sagte Helene achselzuckend – »ich wenigstens kenne ihn nicht. Er spielt übrigens vortrefflich!«
»Von den Neuangekommenen kann es Niemand sein, denn wenn ich nicht irre, war er schon den Abend vorher unter Deinem Fenster. Er muß also jedenfalls in die Ansiedelung gehören.«
»Möglich.«
»Und hat Dir Niemand hier besondere Aufmerksamkeit erwiesen?«
»Niemand.«
»Sonderbar – Oskar, der Uebermuth, hat sich neulich um den Garten geschlichen, um den nächtlichen Musikanten zu entdecken, aber ich weiß nicht, was ihm geschehen sein muß, denn er kam ganz still wieder zurück und sagte, er hätte ihn nicht gefunden, was eigentlich kaum möglich ist. Diese Aufmerksamkeit fängt an, mir lästig zu werden; ich werde sie mir nächstens einmal verbitten.«
Helene antwortete nicht, sondern nahm ihr Buch auf und schritt ihrem eigenen Zimmer zu.