Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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8.

Die Einquartierung.

Oskar und Helene hatten einen Spaziergang durch die kleine Stadt gemacht, um sich an dem Gewirre der frisch eingetroffenen Fremden zu amüsiren, und waren, dessen müde geworden, nach Hause zurückgekehrt.

Sobald Helene ihr Zimmer betrat, konnte ihr natürlich die daselbst vorgenommene Aenderung nicht entgehen. Die Serviette fehlte von ihrem Toilettentische und die darauf geordnet gewesenen Sachen standen wild zerstreut umher; zwei Stühle fehlten außerdem, auf die sie gewohnt gewesen war, ihre Sachen abzulegen. Sie klingelte ihrem Mädchen, um zu erfahren, wer in ihrem Zimmer gewesen sei. Dorothea hatte aber in der ganzen Zeit ihre Küche nicht verlassen und konnte ihr deshalb nicht die geringste Auskunft geben.

Oskar suchte indessen sein Gemach, warf seine Mütze in eine Ecke, sich selber auf das Sopha und rauchte in dieser Lage seine Cigarre weiter, als er in dem über ihm liegenden Zimmer die schweren Schritte eines Mannes hörte. Das Haus war nur leicht gebaut, und es klang so deutlich zu ihm herunter, daß er sich endlich aufrichtete und horchte.

»Wer zum Henker ist denn da oben?« brummte er endlich leise vor sich hin – »dem Jeremias bin ich doch eben mit seinem leeren Karren in der Stadt begegnet, und die Dorothea hat keinen solchen Schritt.«

Er horchte noch eine Weile; da es sich aber gar nicht verkennen ließ, daß da oben jemand Fremdes sei, sprang er endlich auf und stieg die Treppe hinauf. Die Thür der sonst immer leer stehenden Kammer war offen und nur angelehnt, und neugierig, wer da oben etwas zu thun haben könne, stieß er sie noch etwas weiter auf und sah hinein.

Herr von Pulteleben war gerade mit Waschen fertig und stand vor einem der geöffneten Fensterflügel, den er vorläufig als Spiegel benutzte, um sich die wohlgeölten Haare, so gut das eben gehen wollte, zu ordnen. Als er aber das Knarren der Thür hörte, drehte er den Kopf herum, und sah kaum den hereinschauenden Oskar, als er ausrief:

»Ah, da ist doch noch jemand Lebendiges in dem Hause! Wohnen Sie hier?«

»Guten Morgen,« sagte Oskar, der, auf's Aeußerste erstaunt, einen Fremden hier zu finden, bald auf ihn, bald auf seine Koffer und Kästen starrte – »ja wohl wohne ich hier!«

»Wo ist denn nur der Lump von Aufwärter hingekommen?«

»Der Aufwärter?« sagte Oskar, noch immer seinen Augen nicht trauend – »der Jeremias etwa?«

»Ich weiß nicht, wie er heißt; er wollte ja gleich wiederkommen. Gehen Sie wieder hinunter?«

»Ich hatte die Absicht,« erwiderte Oskar.

»Oh, dann seien Sie doch so gut und schicken mir ein Glas Wasser zum Zahnputzen herauf. Es ist ja noch gar nichts eingerichtet. Das scheint eine schöne Wirtschaft hier zu sein!«

»Bitte,« sagte Oskar, der aus seiner Verwunderung gar nicht herauskam, »geniren Sie sich nicht – mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?«

»Von Pulteleben,« sagte der junge Mann, seinen Locken eben den letzten Strich gebend – »um wie viel Uhr wird hier gegessen?«

»Um ein Uhr,« sagte Oskar, durch die Ruhe des Fremden immer mehr darin bestärkt, daß er jedenfalls ein Gast seiner Mutter sein müsse, wenn er auch keinen denkbaren Zusammenhang dazu finden konnte. Wer hätte der Fremde aber sonst sein können?

»Haben Sie eine richtig gehende Uhr?« fragte dieser endlich weiter.

»Ja,« erwiderte Oskar, indem er danach sah; »es wird gleich zwölf Uhr sein.«

»Oh, desto besser, dann kann ich vorher noch zum Direktor hinübergehen. Bitte, vergessen Sie nicht, mir das Glas Wasser gleich zu schicken.«

»Mit dem größten Vergnügen,« erwiderte Oskar, drückte die Thür wieder in's Schloß, schickte das Mädchen von unten mit einem Glas Wasser hinauf, und ging dann zu seiner Mutter in's Zimmer, um sich nach dem Fremden zu erkundigen.

Die Frau Gräfin schloß eben ihren letzten Brief, als Oskar das Zimmer betrat, und sah sich nach ihrem Sohne gar nicht um.

»Wer ist denn der Herr, Mama, den Du uns da oben einquartiert hast?« fragte Oskar jetzt; »das scheint ja ein komischer Kauz zu sein!«

Die Gräfin, welche gerade eine Adresse schrieb, drehte erstaunt den Kopf über die Achsel und sagte:

»Und das fragst Du mich? Erst bringst Du mir, ohne die geringste Erlaubniß vorher einzuholen, einen wildfremden Menschen in's Haus, und dann weißt Du selber nicht einmal, wer er ist? Oskar, es wird mit Dir jede Woche schlimmer, und ich fürchte, daß es so nicht mehr lange dauern kann.«

»Ich habe einen Fremden in's Haus gebracht?« rief aber Oskar jetzt seinerseits erstaunt und mit einer gewissen Genugthuung, daß er endlich einmal an einem ihm aufgebürdeten Vergehen vollkommen unschuldig sei – »ich bin mit Helenen spazieren gegangen und habe den Menschen, der da oben Toilette macht, in meinem ganzen Leben nicht gesehen.«

Es war jetzt an der Gräfin, erstaunt zu sein, und sich ganz gegen Oskar drehend, rief sie aus: »Aber Helene kann ihn doch nicht eingeladen haben!«

»Helene – Unsinn! – Helene war ja den ganzen Morgen bei mir, und wir haben mit keiner Seele gesprochen, den Baron ausgenommen.«

»Aber der Jeremias hat ja doch sein Gepäck in's Haus gebracht und sagte mir, daß Alles in Ordnung sei.«

»Der Jeremias?« wiederholte Oskar, der nur immer noch verwirrter wurde.

»Und Du hast keine Ahnung, wer der Fremde ist?«

»Er sagte mir, er heiße von Pulteleben.«

»Und woher?«

»Das weiß Gott – ich kenne ihn nicht, und der Jeremias – aber zum Henker noch einmal, was zerbrechen wir uns den Kopf ganz unnöthiger Weise; wir werden doch wahrhaftig den fremden Herrn, der sich so sans façon bei uns einquartiert hat, fragen dürfen, wo er herkommt und was er will!« Und mit den Worten schoß er auch ohne Weiteres zur Thür hinaus und wollte eben die Treppe hinauf, als er unten Jeremias in den Vorsaal treten sah.

»Jeremias,« rief er hinunter, »komm einmal herauf – aber rasch!«

»Ich fliege schon,« erwiderte dieser, der sich keineswegs dabei beeilte, denn er wußte recht gut, was ihn jetzt erwartete.

Oskar stand oben an der Treppe, und sowie der Alte nur so weit heraufgekommen war, daß er ihn mit der Hand erreichen konnte, erwischte er ihn bei dem einen Ohre und zog ihn dem Zimmer seiner Mutter zu.

»Donnerwetter, junger Herr!« rief der Alte leise, »Sie reißen mir ja den linken Löffel aus – was ist denn das nur für ein zärtlicher Empfang?«

»Warte, Du Schlingel,« rief Oskar, »er soll noch zärtlicher werden! Jetzt nur herein mit Dir und gebeichtet, was Du für verfluchte Streiche heute gemacht hast! Da bring' ich ihn, Mama – jetzt auf die Kniee nieder, Halunke, und nun gestehe, was das für eine Geschichte mit dem Fremden ist!«

»Aber so schreien Sie doch nur nicht so,« flüsterte Jeremias, der sich nicht im Geringsten außer Fassung bringen ließ – »die ganze Stadt braucht's doch nicht zu wissen, was wir hier mit einander reden, und der Fremde da oben hat Ohren wie ein Hirsch.«

»Wer ist der Fremde, und wo kommt er her?« fragte die Gräfin streng.

»So lassen Sie doch nur mein Ohr los,« bat Jeremias, »ich laufe Ihnen ja nicht mehr davon, und es stört in der Unterhaltung.«

»Wer ist der Fremde? will ich wissen,« wiederholte die Gräfin, indem Oskar das Ohr des Alten losließ, ihm aber den Ausweg verstellte.

»Kann Ihnen nicht dienen, Frau Gräfin,« antwortete achselzuckend der alte Spitzbube – »fand ihn heute auf der Straße zwischen einem ganzen Berge von Koffern und Hutschachteln, und da er kein Unterkommen finden konnte, wir dagegen Platz haben und er mir gefiel, so brachte ich ihn mit nach Hause.«

»Dir gefiel. Du Galgenstrick,« rief Oskar, »Dir gefiel! Und was für ein Recht hast Du, fremde Gäste hier in das Haus zu führen?«

»Jetzt seien Sie einmal vernünftig,« sagte Jeremias, ohne sich auch nur im Geringsten aus seiner Ruhe bringen zu lassen. »Der fremde junge Mensch ist jedenfalls ein vornehmer Herr, denn er hat ein paar ganz ausgezeichnete Lederkoffer, die ein schmähliches Geld gekostet haben müssen. Außerdem ist er aber auch reich wie Butter und wirft mit den Milreis nur so um sich.«

»Aber was geht das uns an?« rief Oskar, während die Frau Gräfin vor Erstaunen noch immer nicht zu Worte kommen konnte.

»Was das Sie angeht?« wiederholte Jeremias in vollkommener Seelenruhe – »das will ich Ihnen sagen. Die Stube oben . . .«

»Heh, Wirthschaft!« rief es in diesem Augenblicke laut von oben herunter; »läßt sich denn Niemand blicken? Das ganze Haus ist ja wie ausgestorben – heh, holla!«

Jeremias, der seine Rede unterbrochen hatte, wie er oben die Stimme hörte, öffnete die Thür ein wenig, steckte den Kopf hinaus, rief laut: »Komme gleich!« und schloß sie dann wieder, wonach er, ohne eine Miene zu verziehen, ruhig fortfuhr:

»stand doch außerdem leer und wurde nicht benutzt.«

Oskar lachte gerade hinaus, denn das Ganze fing an, ihm unendlich komisch vorzukommen.

»Ich möchte jetzt nur eigentlich wissen,« sagte die Gräfin mit einem finstern Blick auf Oskar und Jeremias, »wer noch Herr hier im Hause ist. Sie werden jedenfalls dafür sorgen, Jeremias, daß der fremde Mensch augenblicklich unser Haus wieder verläßt und eine andere Wohnung bezieht.«

»Giebt's gar nicht,« sagte Jeremias ruhig; »hören Sie mich nur an. Was haben Sie denn von dem leeren Kasten da oben? Der Fremde ist ein anständiger junger Mensch, der Ihnen eine gute Miethe bezahlt und außerdem hätte auf der Straße logiren müssen.«

»Aber wer hat Ihnen denn die Erlaubniß gegeben, das zu vermitteln?« fragte die Gräfin.

»Nur praktisch,« meinte Jeremias, »das ist die Hauptsache. Außerdem sind Sie ja nicht mit einander verheirathet, und wenn er Ihnen nach zwei oder drei Monaten nicht mehr gefällt, können Sie ihn ja immer noch wieder ausquartieren.«

»Nach zwei oder drei Monaten?« rief die Gräfin erstaunt.

»Oder noch später,« meinte Jeremias trocken; »aber jetzt muß ich wahrhaftig hinauf und sehen, was der junge Herr will; er wird mir sonst ganz ungeduldig und am Ende gar noch grob« – und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer und stieg die Treppe hinauf.

»Eine solche Unverschämtheit ist mir aber doch noch nicht vorgekommen,« lachte Oskar, »und das Einfachste wird sein, ich gehe hinauf und ersuche den Herrn, seine Sachen augenblicklich wieder zusammen zu packen und das Haus zu räumen.«

»Warte noch einmal,« sagte seine Mutter, die indessen nachdenkend am Fenster gestanden hatte, indem sie die Hand gegen ihn ausstreckte; »wie sagtest Du, daß der Herr hieß?«

»Er nannte sich von Pulteleben.«

»Wie alt etwa?«

»Nun vielleicht drei- oder vierundzwanzig Jahre.«

»Hm – und er scheint aus guter Familie? Da dürfen wir doch wenigstens nicht ungezogen gegen ihn sein, denn aller Wahrscheinlichkeit nach glaubt er sich hier in seinem vollen Rechte zu befinden und würde schwerlich eingezogen sein, wenn er wüßte, wie sich Alles verhält.«

»Er fragte wenigstens schon ganz naiv, um welche Stunde bei uns gespeist würde,« lachte Oskar.

Die Gräfin ging im Zimmer auf und ab und blieb endlich wieder vor ihrem Sohne stehen.

»Die Sache kann nicht so bleiben,« sagte sie, »denn einen Miethsmann läßt man sich eben nicht mit Gewalt in das Haus bringen. Da aber der junge Fremde hier wahrscheinlich in der Colonie bleibt, so ist es auch eben so klug gehandelt, sich nicht in Unfrieden, sondern in Frieden wieder zu trennen. Gehe hinauf und lade ihn für heute Mittag ein, unser Gast zu sein – wir sind doch allein – und bei Tische mag er dann erfahren, auf welche außergewöhnliche Art er bei uns eingeführt wurde. Es bleibt ihm dann der ganze Nachmittag sich nach einem andern Quartiere umzusehen.«

»Der Jeremias ist ein göttlicher Kerl!« sagte Oskar lachend.

»Und je eher Du den wieder fortschickst, desto besser ebenfalls,« meinte seine Mutter, »denn ich bin doch nicht gesonnen, mich der Gefahr auszusetzen, von einem so eigenmächtigen Hausknecht in noch Gott weiß was für unangenehme Situationen gebracht zu werden. Mit einem so stockdummen Menschen ist außerdem gar nichts anzufangen – ich will lieber mit einem Schurken zu thun haben, denn vor dem kann man sich in Acht nehmen.«

Oskar hatte seine Zweifel, was Jeremias' Dummheit betraf, aber die Sache mit dem Fremden ging ihm im Kopfe herum, und das Zimmer verlassend, wollte er eben zu ihm hinauf, als er aus seinem Zimmer wieder den Jeremias kommen sah, der auf dem Kopfe einen Lehnstuhl, in der linken Hand einen Stiefelknecht und in der rechten einen kleinen Handspiegel trug.

»Du bist doch ein ganz niederträchtiger, abgefeimter Halunke!« sagte Oskar; »wer hat Dir denn erlaubt, mein ganzes Zimmer auszuplündern?«

»Machen Sie keine Geschichten,« erwiderte Jeremias, mit den Augen blinzelnd; »das ist ein prächtiger junger Mensch, und thut schon so, als ob er ganz zu Hause wäre.«

Oskar, dem die Sache Spaß machte, sprang jetzt die Treppe voran hinauf. Als er die Thür öffnete, stand Herr von Pulteleben schon fertig angezogen, nur mit ein Paar glanzledernen Stiefeln in der Hand, mitten in der Stube.

»Na, kommen Sie – ah, Sie sind's – entschuldigen Sie, ich glaubte, es wäre der Strick, der Aufwärter; der bleibt eine Ewigkeit.«

»Er kommt dicht hinter mir,« sagte Oskar; »Herr von Pulteleben, ich soll Ihnen melden, daß pünktlich um ein Uhr gegessen wird.«

»So? Sehr angenehm, ich werde auf meinem Zimmer essen.«

»Dazu ist die nöthige Einrichtung doch noch nicht getroffen,« erwiderte Oskar; »ich habe den Auftrag, Sie zu ersuchen, mit uns zu diniren.«

»Hm,« sagte von Pulteleben, der sich schon zu Hause vorgenommen hatte, der amerikanischen »Freiheit und Gleichheit« soviel als möglich aus dem Wege zu gehen, und nicht gleich mit sich im Klaren war, ob er vielleicht seiner künftigen Stellung in der Colonie etwas vergeben würde, wenn er mit der »Bäckerfamilie« speiste, – »ich esse viel lieber allein.«

»Dann lassen Sie sich's heute wenigstens einmal bei uns gefallen,« lachte Oskar, »morgen werden Sie jedenfalls allein essen können.«

»Nun gut,« erwiderte von Pulteleben – »na endlich,« wandte er sich dann an den eben eintretenden Jeremias, indem er ihm den Stiefelknecht abnahm und seine bestaubten Stiefel auszog – »setzen Sie den Stuhl nur dahin – aha, und auch ein kleiner Spiegel. Das muß ich gestehen, lieber Freund, auf Gäste scheinen Sie hier im Hause nicht eingerichtet zu sein. Die Unordnung ist wirklich bodenlos und die Bedienung noch schlechter. Wie heißen Sie, heh?«

»Jeremias, zu Befehl,« sagte dieses würdige Individuum in steifer Haltung und warf einen etwas unruhigen Blick auf Oskar hinüber, von dem er nicht wußte, wie er das Urtheil über die Wirtschaft aufnehmen würde. Dieser aber amüsirte sich vortrefflich, und während der junge Mann seine Stiefel wechselte und dann seinen Hut nahm, saß er verkehrt auf dem einen Stuhle, stützte sich mit beiden Armen auf die Lehne und sah ihm lächelnd zu. Endlich hatte von Pulteleben seine Toilette beendet, schloß seine Koffer, sah sich noch einmal im Zimmer um, ob er nichts vergessen hätte, und sagte: »So – wenn's gefällig ist; ich möchte zuschließen.«

»Aha, mit Vergnügen,« rief Oskar aufspringend – »wollen Sie den Schlüssel mitnehmen oder da lassen?«

»Hm – ich werde ihn da lassen, damit das Mädchen nachher aufräumen kann – man hat doch nichts zu befürchten?«

Jeremias sah wieder Oskar bestürzt von der Seite an, dieser aber erwiderte lächelnd: »Nicht das Geringste – aber Sie sind pünktlich?«

»Wenn ich irgend kann, gewiß.«

Damit verließ er das Zimmer, wo hinaus ihm die Beiden folgten, und stieg die Treppe hinab, während Oskar zu seiner Mutter hineinsprang, um ihr Bericht abzustatten.

Gerade als von Pulteleben nach der untern Treppe zu ging, öffnete sich dort die nächste Thür, die in Helenens Zimmer führte, und die Comtesse trat heraus. Kaum aber gewahrte sie den Fremden, der sie überrascht und höflich grüßte, als sie sich mit einer halben und flüchtigen Verbeugung wieder zurückzog.

»Alle Wetter,« wandte sich von Pulteleben leise zu dem dicht hinter ihm dreinkommenden Jeremias, »das ist ja ein wunderschönes Mädchen; das war doch nicht die Bäckerstochter?«

Jeremias, ob er die Frage falsch verstanden oder absichtlich seinen Spaß daran hatte, den Fremden im Irrthume zu lassen, nickte nur, vor Vergnügen grinsend, mit dem Kopfe, und von Pulteleben stieg, mit der Entdeckung sehr zufrieden, die Stiege hinunter, um noch vor Tische seine Aufwartung bei dem Herrn Director zu machen. Er war jetzt fest entschlossen, die Stunde des Mittagessens pünktlich einzuhalten.

Arno von Pulteleben war ein guter, ehrlicher Mensch, der nur mit einem ganz unbestimmten Begriffe nach Brasilien gekommen war, wie er das Land überhaupt finden werde, und was er – wenn er es gefunden – da eigentlich wolle. Es geht einer großen Menge von Auswanderern so, die auch nur zu häufig weder wissen, was man von ihnen fordern könnte, noch was sie im Stande wären zu leisten, und die dabei nur allein in dem Namen Amerika den Inbegriff aller erfüllten Hoffnungen und Träume sehen. »Nur erst einmal in Amerika,« sagen diese, »und das Andere findet sich Alles von selber.« In etwas haben sie Recht, denn es findet sich in der That; nur freilich manchmal ganz anders, wie sie es sich gedacht hatten.

Mit einer solchen unklaren Idee war auch Herr von Pulteleben herübergekommen. Er trat übrigens dabei mit vollkommener Sicherheit auf, denn er war sich bewußt, seinen Weg bezahlen zu können. Er hatte Geld bei sich, ein Capital von wenigstens tausend spanischen Dollars, und daß er Speculationsgeist genug besaß, dasselbe im Laufe von einigen Jahren vielleicht zu verzehnfachen, daran zweifelte er selber keinen Augenblick. Sein Grundsatz dabei war, »den Moment zu erfassen« – »frisch gewagt, ist halb gewonnen!« und wie derartige vortreffliche Sprüchwörter alle heißen. Jedenfalls hatte er vollends Selbstvertrauen, und da er schon in Deutschland einmal eine Fußpartie gemacht und dabei zwei Nächte hintereinander auf der Streu geschlafen hatte, so hielt er sich auch allen Entbehrungen, die ihm hier etwa aufstoßen konnten, vollkommen gewachsen.

Herr von Pulteleben fand sich übrigens etwas überrascht, als er im Directionsgebäude seine Karte abgegeben hatte und von dem Director die Antwort zurück erhielt: »Es würde ihm sehr angenehm sein, die Ehre ein anderes Mal zu haben, heute sei er aber so ausschließlich beschäftigt, daß er keinen Besuch empfangen könnte.«

»Hm – angenehm,« brummte er vor sich hin, als er seine weißen Glacéhandschuhe auszog, zusammenrollte, in die Tasche steckte und wieder hinaus in's Freie ging; »Herr Director Sarno scheinen verwünscht wenig Umstände zu machen, und die Artigkeit hätte doch wenigstens verlangt, daß er . . . aber was thut's – ich habe jetzt doch meine Schuldigkeit gethan, und wenn er nun meine Bekanntschaft zu machen wünscht, ist die Reihe an ihm.«

Mit diesem beruhigenden Gefühl schlenderte er durch die Straßen der Stadt und fand eine Menge bekannter Gesichter – Leute, die mit ihm in einem und demselben Schiffe über See gekommen waren und alle Gefahren gemeinschaftlich getheilt hatten, aber – sie waren im Zwischendeck gereist und Herr von Pulteleben in der Kajüte – eine Entfernung, die in ihrer Räumlichkeit wohl kaum zehn Schritt betragen mochte, aber doch ausreichte, beide Theile vollständig fern von einander zu halten.

Als er auf seinem Spaziergange die sehr einfache Kirche passirte, zeigte die Uhr gerade zehn Minuten vor Eins, und er gerieth etwas in Verlegenheit, da er den Namen des Bäckermeisters vergessen hatte, in dessen Haus er abgestiegen.

Glücklicher Weise besaß er Ortskenntniß genug, wenigstens die Richtung behalten zu haben; es war überhaupt nicht schwer, sich in dem kleinen Orte zurecht zu finden, und mit dem Schlage Eins entdeckte er vor sich das Haus, das sich überdies vor allen in der Nachbarschaft durch den kleinen aufgebauten Erker auszeichnete. An der Treppe empfing ihn schon Oskar, der sich das Vergnügen nicht wollte entgehen lassen, ihn einzuführen.

»Ah, Herr Baron, das ist schön, daß Sie Wort halten!« rief er ihm entgegen. »Eben wird die Suppe aufgetragen und Mutter und Schwester erwarten Sie mit Ungeduld.«

»Mutter und Schwester?« dachte Herr von Pulteleben, »ist denn das der Sohn des Bäckers?« Oskar sah ihm dazu eigentlich zu elegant aus, aber es blieb ihm keine lange Zeit zur Ueberlegung, und wenige Minuten später sah er sich der stattlichen Gestalt der Frau Gräfin und ihrer reizenden Tochter gegenüber und schaute jetzt wirklich verlegen nach seinem Begleiter um, denn daß er sich hier in anderer als der vermutheten Gesellschaft befand, mußte er wohl fühlen.

»Mein bester Herr,« sagte er zu Oskar, »ich muß dringend bitten, daß Sie mich hier vorstellen, ich – ich weiß selbst noch nicht einmal Ihren Namen.«

»Oh, mit Vergnügen,« lachte Oskar, indem er mit einer etwas förmlichen und muthwilligen Verbeugung sagte: »Herr von Pulteleben, liebe Mutter, – Herr von Pulteleben, ich habe hier die Ehre, Ihnen die Frau Gräfin Baulen und Comtesse Helene, meine Schwester, vorzustellen. Mein eigener Name ist Oskar.

»Frau Gräfin Baulen?« stammelte der junge Mann, während über Helenens Züge ein leises, spöttisches Lächeln zuckte.

Die Frau Gräfin war aber nicht gesonnen, den jungen Mann weiteren Verlegenheiten auszusetzen.

»Herr Baron,« sagte sie freundlich, »Sie sind durch die Ungeschicklichkeit unseres Hausknechtes oder Dieners in die wunderliche Lage gekommen, sich in einer Familie einzuquartieren, der selbst Ihre Ankunft vollkommen fremd geblieben war.«

»Gnädige Frau, ich will doch nicht hoffen!« rief Pulteleben erschreckt.

»Beruhigen Sie sich,« unterbrach ihn die Gräfin, »ich weiß, daß Sie nicht die geringste Schuld tragen. Das Ganze war ein mißverstandener Diensteifer von Seiten jenes Burschen, der über eine Localität unseres Hauses verfügte, ohne auf Sie oder auf uns Rücksicht zu nehmen.«

»Aber man sollte doch kaum glauben, daß so etwas möglich wäre!« rief von Pulteleben entsetzt, denn erst jetzt trat ihm die seltsame Situation vor Augen, in der er, als reiner Eindringling, den Damen gegenüberstand; »meine Seele konnte ja an etwas Derartiges nicht denken, oder Sie müßten überzeugt sein, daß ich . . .«

»Bitte, keine Entschuldigungen weiter,« lächelte die Gräfin; »Brasilien erzeugt gar sonderbare Zustände, die Sie ebenfalls noch mit der Zeit näher kennen lernen werden. Jedenfalls hat uns Jeremias, wie jener unglückliche Mensch heißt, Gelegenheit gegeben, Ihre Bekanntschaft zu machen; alles Andere läßt sich nachher mit Leichtigkeit arrangiren, und nun bitte ich, daß Sie Platz nehmen, denn die Suppe wird sonst kalt.«

Herr von Pulteleben befand sich noch immer in einem gemäßigten Grade von Verzweiflung, denn der Gedanke, sich bei einer solchen Familie auf eine solche Art eingeführt zu haben, trieb ihm fast die Haare zu Berge. Außerdem blieben ihm noch eine Menge Dinge unklar – die Geschichte mit dem Bäckermeister zum Beispiel, und daß ihm der junge Mensch nicht gleich einen Wink gegeben, wo er sich eigentlich befände. Sehr rasch im Denken war er außerdem nicht, und es bedurfte einer neuen Aufforderung der Gräfin, Platz zu nehmen, bis er sich so weit sammeln konnte, ihr den Arm zu bieten und sie zur Tafel zu führen.

Da sich die Gräfin aber einmal vorgenommen hatte, ihm weitere Verlegenheiten zu ersparen, so wußte sie auch bald geschickt in ein Gespräch einzulenken, das ihm seine Unbefangenheit wiedergeben konnte – ein Gespräch über die eben zurückgelegte Seereise, an dem sie ebenfalls Interesse nahm, da sie noch mit Entsetzen ihrer eigenen Fahrt und der damit verbunden gewesenen Seekrankheit gedachte.

In das Capitel eingelenkt, fühlte sich auch von Pulteleben bald wieder behaglicher, und das Einzige, was ihn noch dann und wann genirte, war der etwas sarkastische Zug um der Comtesse Mund, wenn sie einem Blicke ihres Bruders begegnete und sein Auge gerade auf ihr ruhte – und sein Auge ruhte sehr oft auf ihr, denn von Pulteleben erinnerte sich nicht, je in seinem Leben schon ein schöneres Mädchen gesehen zu haben.

Mochte es sein, daß es ihm nur so vorkam, weil er gerade durch die lange Seereise dem geselligen Umgange mit dem schönen Geschlecht hatte völlig entsagen müssen, oder fühlte er sich gerade von dieser Form der Züge besonders gefesselt, wie das ja oft im Leben der Fall ist, aber er konnte sich nicht satt an dem lieben Antlitz sehen, und eben so wenig entging Helenen selber, mit welcher Aufmerksamkeit er sie behandelte. Freilich war sie daran gewöhnt, ihren Zoll von Bewunderung überall einzuernten, aber trotzdem fühlte sie einen gewissen Grad von Genugthuung, und ihr Antlitz, das im Beginnt der Tafel seine volle Strenge bewahrt hatte, wurde etwas freundlicher gegen den jungen Gast. Sie wich wenigstens Oskar's Blicken aus und schien nicht mehr gesonnen, sich über ihn lustig zu machen, ja, nahm sogar Theil an der Unterhaltung.

Dadurch gewann von Pulteleben endlich seine ganze Fassung wieder, und als das Diner, bei dem Dorothea ihr Möglichstes geleistet hatte, beendet war, wandte er sich an seine freundliche Wirthin und sagte:

»Frau Gräfin, wenn ich auch jenem unglücklichen Jeremias und meinem Schutzgeiste danke, diese mir so liebe Bekanntschaft gemacht zu haben, so fühle ich doch recht gut, daß ich hier, als Ihr Gast, eine sehr unerquickliche Rolle spiele, und je eher ich der ein Ende mache, desto besser. Gestatten Sie also, daß ich mich entferne, um mich nach einem andern Quartier umzusehen, und erlauben Sie mir nur – Ihre Güte hat ja meiner Unverschämtheit schon verziehen – daß ich damit nicht gezwungen bin, diese für mich so ehrenvolle und liebe Bekanntschaft ganz abzubrechen. Ich werde mich jedenfalls längere Zeit in Santa Clara aufhalten und würde Ihnen unendlich dankbar sein, wenn Sie mir wenigstens gestatten wollten, Ihnen manchmal meine Aufwartung zu machen.«

»Da Sie nun einmal unser Hausgenosse geworden sind,« lächelte die Gräfin, »so übereilen Sie auch wenigstens nichts. Es wird Ihnen überdies schwer werden, für den Augenblick eine passende Wohnung in Santa Clara zu finden; bis Sie die aber gefunden haben, bitte ich Sie, unser Haus als das Ihrige zu betrachten.«

»Gnädige Frau Gräfin!« rief Pulteleben erstaunt aus.

»Bitte, machen Sie keine Umstände,« fuhr die Gräfin ruhig und freundlich fort, »wir sind hier in Brasilien, wo der Fremde nur zu häufig einzig und allein auf die Gastfreiheit der Bewohner angewiesen bleibt, und es existiren deshalb hier ganz andere Verhältnisse, wie in der alten Heimath. Außerdem sagten Sie uns vorher, daß Sie verschiedene Pläne für Ihre Zukunft hätten?«

»Allerdings,« versicherte der junge Mann, »aber es fehlt mir da freilich noch Kenntniß des Landes, um mein Capital gleich mit Vortheil anlegen zu können, und ich sammle lieber erst Erfahrung.«

»Das ist sehr vernünftig von Ihnen gedacht,« erwiderte die Gräfin; »wo ich Ihnen aber dabei mit Rath an die Hand gehen kann, bitte ich ganz über mich zu disponiren.«

»Sie sind zu gütig, gnädige Frau Gräfin!«

»Wir wohnen schon eine Reihe von Jahren in diesem Lande, und man ist gezwungen, die Verhältnisse genau kennen zu lernen, oft sogar gegen unsern Willen. Doch Sie wünschen jedenfalls eine Cigarre zu rauchen – Oskar, führe den Herrn in den Garten; wir kommen dann ebenfalls hinunter, um dort gemeinschaftlich Kaffee zu trinken.«

Damit standen die beiden Damen auf, grüßten freundlich und verließen das Zimmer, während Herr von Pulteleben in einem wahren Taumel von Seligkeit zurückblieb und jetzt gar nicht oft genug zu Oskar sagen konnte, wie glücklich er sich fühle, diese Bekanntschaft gemacht zu haben, wenn er es auch der größten Dummheit verdanke, deren er sich in seinem Leben schuldig gemacht.

»Na nu, werden Sie nicht langweilig,« meinte Oskar höflich. – »Apropos, haben Sie etwa eine vernünftige Cigarre bei sich? das Zeug, was man hier bekommt, ist kaum zu rauchen.«

»Ich kann Ihnen mit einer Havanna dienen,« sagte Herr von Pulteleben, erfreut, dem Bruder jenes Engels nur in etwas angenehm sein zu können.

»Das ist gescheidt,« meinte Oskar – »sie sind doch nicht zu schwer?«

»Nein, sicher nicht – ich selber rauche nie schwere Cigarren.«

»Gut, dann kommen Sie jetzt in den Garten, hier ist eine Hitze, nicht zum Aushalten,« – und seines neuen Freundes Arm ergreifend, schlenderte er mit ihm hinab, um dort die Damen zu erwarten.

Diese zögerten auch nicht lange, und hatte sich Herr von Pulteleben schon gegen das Ende der Mahlzeit in seiner Umgebung wohl gefühlt, so entzückte ihn jetzt, im wahren Sinne des Wortes, die Natürlichkeit und Liebenswürdigkeit Helenens, die allen Zwang abgeworfen zu haben schien und nach Herzenslust lachte und plauderte.

Helene war wirklich bildschön. Es gab Zeiten, wo ihre so regelmäßigen Züge von einem düstern Ernst beschattet wurden, der ihren Augen etwas Unheimliches, ja Abstoßendes geben konnte. Ihr Mund, wenn fest geschlossen, sah dann ebenfalls, der etwas schmalen Lippen wegen, unschön aus. Wenn aber das lebendige Auge in Scherz, ja Uebermuth leuchtete, wenn ihre Zähne, die zwei Reihen aufgezogener Perlen glichen, sichtbar wurden, wenn sich das Grübchen tiefer in ihr Kinn einschnitt und das Lachen auf dem gar so lieben Antlitz spielte, wie das Sonnenlicht auf einem murmelnden Bache, dann konnte man sich wahrlich nicht satt sehen an dem Mädchen, und sie war sich auch ihres Sieges stets so sicher bewußt, daß sie mit ihrer Umgebung machte, was sie eben wollte.

Nur dann und wann verließ sie manchmal die Laube, und von Pulteleben würde noch mehr entzückt gewesen sein, wenn er gewußt hätte, daß sie gerade in dieser Zeit Anordnungen traf, sein Zimmer etwas wohnlicher einzurichten und ein Bett darin aufzustellen. Es hatte das seine Schwierigkeiten, denn die Gräfin war nur nothdürftig auf solchen Besuch eingerichtet, aber es ging doch, und ein paar rasch und geschickt improvisirte Gardinen machten das kleine Gemach noch so viel freundlicher.

Die Zeit, wo der junge Fremde mit der Frau Gräfin allein blieb, wurde von dieser benutzt, ihm einen kurzen Ueberblick über die hiesigen Verhältnisse zu geben, der Herr von Pulteleben außerordentlich befriedigte. Er ersah nämlich daraus, daß in diesem Lande wirklich nur ein kleines unbedeutendes Capital dazu gehöre, um mit kluger Benutzung des Augenblicks ganz erstaunliche Erfolge zu erzielen. Die Frau Gräfin wußte ihm eine Menge von Beispielen zu nennen, nach denen Leute durch kleine, aber richtige Speculation in Stand gesetzt waren, unbedeutend begonnene Geschäfte auf das Großartigste auszudehnen und sich dann mit einem erworbenen Vermögen nach Deutschland zurück zu ziehen, um es dort in Ruhe zu verzehren.

»Sehen Sie, Frau Gräfin.« rief Herr von Pulteleben, durch diese Mittheilungen zu einem vollen Grade von Aufrichtigkeit getrieben, »das ist's gerade, was ich will. Zu Hause haben sie mir immer vorgeworfen, daß ich unpraktisch wäre, daß ich nie im Stande sein würde, mir aus mir selber eine Carrière zu schaffen. Jetzt will ich doch einmal sehen, ob es nicht möglich ist, sie Lügen zu strafen. Sie sollen erleben, mit welcher Energie ich Alles angreife, was ich unternehme. – Wenn ich nur erst wüßte was!«

»Uebereilen Sie sich darin nicht, junger Freund,« sagte die Gräfin. »Es giebt zwar eine Menge von Wegen, die zum Ziele führen, aber der eine ist länger wie der andere, und wenn man denn doch noch die Wahl hat, warum soll man nicht suchen, den kürzesten zu nehmen? Uebrigens seien Sie versichert, daß ich selber schon ein wenig herumhorchen will. Sie sind uns nun einmal auf so abenteuerliche Weise zugeführt, daß ich ein gewisses Interesse daran nehme.«

»Gnädige Frau Gräfin sind unendlich gütig.«

»Lassen Sie das; will ich aufrichtig sein, so ist es vielleicht sogar Egoismus von mir selber; denn Sie glauben gar nicht, wie langsam die Zeit verstreicht, wenn man so gar nichts auf der Gotteswelt zu thun hat. Eine kleine Beschäftigung, eine bestimmte Thätigkeit wird zuletzt wirklich zum Bedürfnis, und ein wenig Sorgen und Umschauen gehört mit zu unserem Leben.«

»Aber durch was habe ich verdient, daß Sie sich meiner gerade so unendlich freundlich annehmen?«

»Lieber Gott, wir sind hier einmal in Brasilien, leben in Verhältnissen, die mit denen der alten Welt auch nicht die entfernteste Ähnlichkeit haben, und da gestaltet sich Manches oft rasch und wunderbar. Doch Sie werden das Alles noch viel besser kennen lernen, wenn Sie erst einmal selber längere Zeit im Lande sind.«

Oskar hatte sich bei dem Gespräch gründlich gelangweilt, denn er haßte nichts mehr auf der Welt, als wenn von einem bestimmten Lebenszweck die Rede war – und seine Mutter hielt ihm dieses Capitel sehr häufig vor. Dafür gönnte er es jetzt aber auch von Herzen seinem neuen Hausgenossen und amüsirte sich die Zeit über, mit seinem Blasrohr von einem erhöhten Stand der Hecke aus nach vorbeilaufenden Hunden zu schießen. Wenn er sie traf, nahmen sie gewöhnlich den Schwanz zwischen die Beine und rannten in wilder Flucht die Straße hinab und Oskar wollte sich dann halb todt darüber lachen.

Um das Angenehme übrigens mit dem Nützlichen zu verbinden, nahm er Herrn von Pulteleben nachher mit zu seinem Pferde hinaus, von dem er ihm schon viel erzählt und ihm auch die Ueberzeugung beigebracht hatte, daß ein Mann ohne Pferd in Brasilien gar nicht existiren könne – nicht einmal eine Frau, und da Herr von Pulteleben erfuhr, daß es früher Helenens Lieblingspferd gewesen sei, die sich jetzt einen etwas ruhigeren Grauen – der Graue war das wildeste Pferd in der Ansiedelung – angeschafft habe, kaufte es der junge Fremde zu einem, wie er glaubte, außerordentlich mäßigen Preise (Oskar hatte auch in der That höchstens hundert Procent daran verdient) und schwelgte dabei in der Hoffnung auf morgen, denn Helene hatte ihm versprochen, mit ihm spazieren zu reiten.



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