Friedrich Gerstäcker
Die Colonie
Friedrich Gerstäcker

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3.

Bei der Frau Gräfin.

Die Frau Gräfin Baulen hatte des Direktors Haus etwas in Aufregung verlassen und der Gedanke daran, oder etwas Anderes auch vielleicht, lag ihr schwer auf dem Herzen, als sie ihrer eigenen Wohnung wieder zuschritt. Sie ging wenigstens mit auf den Boden gehefteten Blicken und erwiderte den Gruß etwa Begegnender nur mit einer leisen Beugung des Kopfes, ohne zu ihnen aufzusehen

So erreichte sie endlich das kleine freundliche Gebäude, das, von einem Garten umschlossen, an der äußersten Grenze der Ansiedelung lag, und wollte eben dasselbe betreten, als die beiden Reiter, ihr Sohn und ihre Tochter, wie sie durch den ganzen Ort geflogen waren, mit donnernden Hufen die Straße herabkamen und dicht vor dem Hause ihre Thiere so rasch herumwarfen, daß sie die alte Dame fast gefährdet hätten.

»Aber Helene, aber Oskar!« rief sie entsetzt, indem sie rasch das Gartenthor zwischen sich und die Pferde brachte – »Ihr reitet ja wie die Wahnsinnigen und seht gar nicht, wohin Ihr rennt! Daß Ihr die Thiere dabei ruinirt, scheint Euch ebenfalls nicht im Mindesten zu kümmern!«

»Nicht böse, Mütterchen, nicht böse,« lachte Helene, indem sie den Hals ihres noch immer tanzenden und courbettirenden Schimmels klopfte; »Oskar behauptete aber, daß sein Rappe flüchtiger wäre als meine Sylphide, und da habe ich ihm eben das Gegentheil bewiesen – aber Sylphide – ruhig, mein Herz, ruhig – wie wild sie nur geworden ist, weil ich sie die beiden letzten Tage nicht geritten habe!«

»Du hattest von Anfang an einen Vorsprung,« rief Oskar, »sonst wärest Du mir wahrhaftig nicht vorgekommen; und dann verlor ich gleich beim Abreiten einen von meinen Sporen, was mich aufhielt.«

»Einen von Deinen silbernen Sporen?« rief die Frau Gräfin.

»Ja – aber er wird sich schon wiederfinden,« sagte der junge Bursche gleichgültig. – »He, Gotthelf! Gotthelf! Wo der nichtsnutzige Schlingel nur wieder steckt – Gotthelf!«

»Ja – komme schon,« antwortete eine Stimme, die dem ungeduldigen Rufe des jungen Mannes in keineswegs entsprechender Eile zu sein schien.

Gleich darauf schlenderte auch ein Bauernbursche, dessen reines, grobleinenes Hemd allein an ihm den Sonntag verkündete, beide Hände in den Taschen, um die Hausecke und kam langsam näher.

»Na, Du fauler Strick, kannst die Beine wohl nicht ein bischen in die Hand nehmen?« rief ihm der junge Graf entgegen – »es wird wahrhaftig immer besser. Soll ich Dich etwa in Trab bringen?«

»Brrrrrr!« erwiderte Gotthelf mit unerschütterlicher Ruhe, indem er seine Schritte nicht im Geringsten beschleunigte; »gehen Sie nur nicht durch, junger Herr, und machen Sie die Pferde nicht scheu.«

»Willst Du noch unverschämt werden, Halunke!« rief der junge Graf in aufloderndem Zorne, indem er seine Reitpeitsche fester packte und hob. Gotthelf aber, nicht im Geringsten dadurch eingeschüchtert, trat dicht zu dem Pferde heran und sagte:

»Na, so schlagen Sie doch! – Warum langen Sie denn nicht zu? Mein Buckel wäre doch, dächt' ich, breit genug.«

Graf Oskar schlug aber nicht; der junge, allerdings sehr breitschulterige Bauernjunge hatte heute etwas in seinem Auge, was ihm nicht gefiel. Deshalb nur mit einer verächtlichen Kopfbewegung aus dem Sattel steigend, sagte er, indem er Gotthelf den Zügel hinreichte:

»Da – ich will mich mit Dir nicht befassen. Führe die Pferde herum und reibe sie nachher trocken ab.«

Gotthelf nahm aber nicht einmal seine Hände aus den Taschen, und die beiden Pferde nacheinander betrachtend, sagte er kopfnickend:

»Ja – Herumführen werden sie wohl brauchen, denn geritten sind sie wieder, daß es eine Schande ist; aber der Gotthelf wird Ihnen das schwerlich besorgen, denn mit ›Halunke‹-Schimpfen werden die Leute nicht fett, und wo es außerdem weiter nichts giebt, nicht einmal Lohn, da lohnt's eben nicht, daß man sich die Nägel von den Fingern arbeitet. Suchen Sie sich einen andern Gotthelf, aber ich glaube kaum, daß sie noch einen so dummen finden, der Ihnen drei Monate nur der Ehre wegen den Schuhputzer macht.« – Und sich damit scharf auf dem Absätze herumdrehend, schlenderte er wieder in's Haus zurück, ging auf sein Zimmer, packte seine Sachen zusammen und verließ eine halbe Stunde später in der That, ohne weiteres Abschiedswort, die gräfliche Familie.

»Das hast Du nun von Deiner Heftigkeit,« sagte die Gräfin, drehte sich ab und schritt würdevoll in das Haus hinein.

Graf Oskar biß wüthend die Zähne zusammen und hätte seinen Zorn gern an irgend Jemandem ausgelassen; aber es war Niemand da, von dem er vermuthen durfte, daß er es sich gefallen lassen würde. Sein Sattel allein mußte es entgelten, den er selber abschnallte und dann völlig rücksichtslos über den Gartenzaun, mitten zwischen die Blumen hineinwarf; – dann führte er sein Pferd in die kleine Umzäunung, wo die Thiere gewöhnlich gefüttert wurden, nahm ihm den Zaum dort ab und ließ es laufen. Von Herumführen oder Abreiben war keine Rede mehr.

Comtesse Helene indessen war einigermaßen in Verlegenheit, denn da sich ihr Bruder in seinem Ingrimm gar nicht um sie bekümmerte, wußte sie nicht gleich, wie sie aus dem Sattel kommen sollte. Als sie den Kopf die Straße hinabdrehte, sah sie einen jungen Mann dicht hinter sich, der stehen geblieben war und sie betrachtet hatte. Unter anderen Umständen würde sie auch kaum von ihm Notiz genommen haben, denn trotz seiner anständigen Kleidung sah er etwas verwildert aus, und um das sonnengebräunte, von einem leichten, schwarzgekräusten Barte halb beschattete Gesicht hingen ihm die langen, schwarzen Haare unordentlich und wirr herab. Auch in den dunkeln Augen, mit denen er das wirklich bildschöne Mädchen betrachtete, lag ein eigenes, unheimliches Feuer, und erst als ihr Blick auf dem seinen haftete, milderte sich der Ausdruck in seinen Zügen.

Es konnte ihm aber auch nicht entgangen sein, daß sie Hülfe brauche – die Straße war außerdem, als an einem Sonntag-Nachmittag, fast menschenleer und sich ordentlich gewaltsam dazu zwingend, trat er endlich näher, sah zu der Jungfrau auf und sagte:

»Erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen meinen Arm zu bieten?«

Helene sah ihn im ersten Augenblicke mißtrauisch an; sie war viel zu selbständig aufgewachsen, oder hatte sich vielmehr selber so erzogen, um irgend Furcht vor einem fremden Manne zu zeigen; aber ein gewisser Instinct warnte sie, sich Jemanden zu irgend einem Danke zu verpflichten, der damit vielleicht einmal Mißbrauch treiben könne. Das Benehmen des Fremden war aber so achtungsvoll und ehrerbietig und das Anerbieten wurde mit so viel natürlichem Anstande gemacht, daß sie nach kaum secundenlangem Zögern lächelnd die Hand ausstreckte, sich auf den vorgehaltenen Arm des Fremden stützte und leicht aus dem Sattel sprang.

Der Fremde hatte dabei zugleich den Zügel des Pferdes in einer Art ergriffen, die deutlich zeigte, daß er mit ihm umzugehen wisse, machte der Comtesse, als sie glücklich unten angelangt war, eine leichte Verbeugung, und führte dann das ganz erhitzte Thier zu dem nächsten Aste, an dem er den Zügel befestigte und den Sattel nachher durch Aufschnallen des Gurtes etwas lüftete. Das Alles geschah rasch und anscheinend ohne die geringste Anstrengung, und ehe Comtesse Helene nur recht mit sich einig war, ob sie abwarten, bis sich der Fremde entfernt habe, oder lieber gleich in das Haus gehen solle, war dieser schon fertig, verbeugte sich wieder leicht gegen sie, und wandte sich dann rasch und ohne sich umzusehen die Straße hinab, so daß sie ihm für seine Dienstleistung nicht einmal danken konnte.

Comtesse Helene war bei ihrem Range und wirklich reizenden Aeußern, noch dazu in der bescheidenen Umgebung einer deutschen Colonie, allerdings daran gewöhnt worden, die Huldigungen und Galanterien der jüngeren wie älteren Leute als eine Art von Tribut fast gleichgültig hinzunehmen. Die Aufmerksamkeit dieses wunderlichen Fremden, der sich außerdem fast ängstlich jedem nur möglichen Danke entzog, hatte aber doch etwas so Eigentümliches, daß sie, frappirt davon, auf der Schwelle des Gartens stehen blieb und sich erst in das Haus zurückzog, als ihr Bruder, eben nicht in der besten Laune, zurückkam. Außerdem läutete auch in diesem Augenblicke die Glocke oben, welche zum Mittagessen rief, und sie durfte keine Zeit versäumen, wenn sie noch ihr Reitkleid ablegen und überhaupt ein wenig Toilette machen wollte.

In dem Wohnzimmer der Frau Gräfin Baulen hatten sich indessen schon vor der Ankunft der Wirthin zwei auf heute geladene Gäste eingefunden.

Der Eine von ihnen war der nämliche Herr, welcher Könnern und dem Director auf ihrem Wege durch die Stadt begegnete: der ausgewanderte Baron Jeorgy, den eine unglückliche romantische Ader zu seinem jetzigen sehr großen Bedauern nach Brasilien getrieben. Er hatte eine nicht unbedeutende Summe Geldes mit herübergebracht und es in sechs Jahren möglich gemacht, den größten Theil seines Capitals nicht gerade durchzubringen, aber doch auszugeben, was sich im Resultat allerdings vollkommen gleich blieb.

Der Andere war ein junger, erst kürzlich herübergekommener Künstler, Namens Vollrath, der einen Empfehlungsbrief an den Baron mitgebracht hatte und dadurch auch bei der Frau Gräfin eingeführt war. Er spielte mit der Comtesse manchmal Clavier, aber die Frau Gräfin sah seinen Besuch nicht gern. Er erwies nämlich Helenen mehr Aufmerksamkeit, als ihrer Mutter lieb schien, und war außerdem blutarm – aber so lange er sich in seinen Schranken hielt, konnte man ihn eben nicht zurückweisen. Die Frau Gräfin hatte indessen schon ernsthaft mit ihrer Tochter über ihn gesprochen.

Die Gräfin selber schien ihre Toilette schon vor dem Ausgange gemacht zu haben; Oskar, obgleich eben von dem scharfen und staubigen Ritte zurückgekehrt, hielt es nicht der Mühe werth, des Barons wegen die Wäsche zu wechseln – und der Andere war ja nur ein Clavierspieler.

Comtesse Helene dachte nicht so. Von dem wilden Ritte war ihr reiches, schweres Haar gelöst und in Unordnung gerathen; ihren Anzug mußte sie ebenfalls wechseln, und da ihr dazu keine Kammerjungfer zu Gebote stand, bedurfte sie längerer Zeit, um sich der Gesellschaft, so klein diese auch immer sein mochte, zu zeigen. Oskar, überhaupt heute nicht in der besten Laune, war entsetzlich ungeduldig geworden und hatte den Klöppel der Klingel schon fast ausgeschlenkert, um die, wie er glaubte, saumselige Schwester dadurch etwas rascher herbeizurufen.

Während Graf Oskar so im Zimmer herumlief und seinem Aerger durch verschiedene Ungezogenheiten Luft machte, die Gräfin mit dem Baron Jeorgy an einem der Fenster stand, das eine freundliche Aussicht über die Stadt gewährte, und ein Beider Interessen sehr lebhaft in Anspruch nehmendes Gespräch führte, hatte sich Vollrath an das Instrument gesetzt und intonirte leise einige Lieblingsmelodien Helenens, theils im einfachen getragenen Thema, theils in geschickt und künstlerisch durchgeführten Variationen.

»Es ist ein trauriges Land,« sagte endlich der Baron mit einem tiefen Seufzer, indem er, ohne die Melodie selber zu beachten, den Tact dazu unbewußt auf dem Fenster trommelte – »ein sehr trauriges Land, dieses ausgeschrieene Brasilien, und ich fürchte fast, daß uns ein böser Stern an diese Küste geführt hat, von der ich, aufrichtig gestanden, gar kein rechtes Fortkommen mehr sehe. Ich begreife wenigstens nicht recht, wie man in Europa je, ohne die gehörigen Mittel, wieder standesgemäß auftreten könnte.«

»Sie dürfen den Muth nicht verlieren, Baron,« bemerkte die in dieser Hinsicht viel resolutere Gräfin. »Ich fange jetzt selber an einzusehen, daß wir alle Beide doch möglicher Weise zu viel Standesvorurtheile mit herübergebracht haben, um das Leben hier an der richtigen Stelle anzugreifen.«

»Aber, beste Frau Gräfin . . .«

»Ich sehe wenigstens eine Menge Menschen,« fuhr die Gräfin fort, ohne die Unterbrechung gelten zu lassen, »die nicht allein ihr Fortkommen auf höchst geschickte Weise finden, sondern auch noch Capital auf Capital zurücklegen, und es fällt mir gar nicht ein, ihnen mehr Verstandeskräfte zuzutrauen, als wir Beide auch besitzen, lieber Baron.«

»Aber, beste Frau Gräfin,« beharrte der Baron, »der Art Leute sind von Jugend an auf ihre Fäuste angewiesen, und Sie wollen doch nicht voraussetzen, daß wir Beide etwas Derartiges auch nur annähernd leisten könnten?«

»Ich denke gar nicht daran,« sagte die Gräfin mit einem vornehmen Zurückwerfen des Kopfes; »wo aber die rohe Kraft nicht ausreicht, da muß eben der Geist des Menschen eintreten, die Intelligenz, und wir finden es überall bestätigt, daß die Erstere, die rohe Kraft meine ich, immer nur für die Speculation arbeitet und diese eigentlich den Nutzen von jener erntet.«

»Aber auch der Kaufmann braucht praktische Erfahrung,« seufzte der Baron, der seine Erfahrung schon außerordentlich theuer hatte bezahlen müssen – »und wir sind Beide zu alt, die noch zu lernen.«

»Bah,« sagte die Frau Gräfin, den Kopf mit Geringschätzung wiegend, »der Kaufmann ist nicht der einzige Speculirende, auch der Fabrikant speculirt, indem er sich weniger die Waaren als die Kräfte der Menschen selber dienstbar macht.«

»Aber, verehrte Frau Gräfin, Sie scheinen ganz zu vergessen, daß auch Capital dazu gehört, ja, und noch ein viel bedeutenderes Capital vielleicht, als zu einer einfachen Speculation in Kaufmannsgütern, und wenn man das Letzte dann darauf gesetzt hätte und es schlüge fehl – was dann? – Denken Sie sich eine Existenz, selbst hier in einer brasilianischen Colonie, ohne die Mittel, zu leben – denken Sie sich die Möglichkeit, daß man bei diesen frechen und übermüthig gewordenen Bauern gezwungen sein sollte, ein Anlehen zu erheben; es wäre fürchterlich!«

Die Frau Gräfin schien nicht die Angst vor einer derartigen Calamität zu theilen, deren sogenannte »Furchtbarkeit« sie außerdem schon erprobt hatte, ohne daran zu sterben; aber der Baron brauchte das gerade nicht zu wissen, und sie fuhr wie überlegend fort: »Dafür ist aber auch dem Menschen der Verstand gegeben, daß er ihn richtig gebraucht und anwendet, und sollten die höheren Stände mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln nicht besonders da mehr bevorzugt sein, eine größere und gediegenere Kraft in die Wagschale zu werfen, als der rohe und ungebildete Bauer es im Stande wäre?«

»Der rohe und ungebildete Bauer,« erwiderte der Baron achselzuckend, »hat von dem Schöpfer eine Art von Instinct bekommen, der gerade da anfängt, wo sein Verstand aufhört, und mit oft unbewußter Benutzung desselben macht er zu Zeiten die erstaunlichsten und unbegreiflichsten Dinge möglich.«

»Sie sind eingeschüchtert, lieber Baron,« sagte die Gräfin lächelnd, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte.

»Und habe alle Ursache dazu,« seufzte der Baron.

»Sie haben durch eine Reihe von widrigen Zufälligkeiten nicht unbedeutende Verluste erlitten,« fuhr die Gräfin fort, »das hat Sie kopflos gemacht – Oskar, ich bitte Dich um Gottes willen, laß das furchtbare Getöse mit der Glocke, ich werde wahrhaftig noch ganz nervös – verlieren Sie jetzt den Muth, so ist alles verloren, unwiederbringlich. Bewahren Sie sich aber die Elasticität Ihres Geistes, so können Sie mit einem Schlage alles Verlorene nicht allein wieder einbringen, sondern auch verdoppeln, ja, vielleicht verdreifachen.«

»Das ist's eben, was ich bezweifle,« versicherte der Baron; »aber, verehrte Frau, haben Sie vielleicht einen Plan? Denn Ihr ganzes Benehmen scheint mir nach einem gewissen Ziele hinzustreben – und wollen Sie mich zu Ihrem Vertrauten machen, so könnte ich Ihnen, wenn auch möglicher Weise mit weiter nichts, doch vielleicht mit gutem Rathe zur Seite stehen, der oft in nur zu vielen Fällen die Stelle des Capitals vertritt.«

»Ich habe allerdings einen Plan,« erwiderte die Gräfin, »der aber schon so weit gediehen ist, daß er des Raths kaum mehr bedarf, denn er basirt auf Thatsachen, auf Zahlen, auf genauer Kenntniß der Grundlagen. Wenn ihn deshalb noch etwas fördern kann, so ist es einzig und allein Capital. Doch davon später, lieber Baron, denn ich höre eben meine Tochter kommen, und Oskar entwickelt heute eine so liebenswürdige Ungeduld, daß wir das Essen nicht länger warten lassen dürfen.«

Der Baron war zu viel Weltmann, um seiner eigenen Ansicht über »Oskars Ungeduld« einen selbstständigen Ausdruck zu geben. Er machte deshalb nur eine stumme Verbeugung gegen die Gräfin, reichte ihr dann den Arm und führte sie, wie in seinen schönsten Tagen daheim, die drei Schritte bis zu dem einfachen Tannentische. Ueber diesen war aber ein kostbares Damasttuch gebreitet, auf dem neben den weißen Steinguttellern schwere englische Löffel und Gabeln lagen, die im Besitze einer Gräfin recht gut für echtes Silber angesehen werden konnten.

Comtesse Helene betrat in diesem Augenblicke das Zimmer, und Vollrath hatte sein Spiel beendet und das Instrument geschlossen.

Helene war wirklich ein schönes Mädchen von nicht zu hohem, aber schlankem und üppigem Wuchse, mit vollem, fast goldblondem Haar und dabei dunkeln, brennenden Augen, einem verführerischen Grübchen im Kinn und Hand und Arm vollkommen makellos. Das fest anschließende, lichtgraue Kleid von allerdings nur einfach wollenem Stoffe hob ihre Büste so viel mehr hervor, während die selbst schon hierher gedrungene Crinoline nur dann und wann einer kleinen, sehr zierlichen Fußspitze gestattete, an's Tageslicht zu kommen.

»Das gnädige Fräulein sind heute wieder einmal gar nicht fertig geworden,« empfing sie Oskar, dessen Laune dadurch nicht gebessert schien, daß Niemand weiter Notiz von ihm genommen. Helene beachtete aber auch den Vorwurf nicht, begrüßte ziemlich förmlich den Baron, nickte Vollrath freundlich zu und ging dann, ehe dieser mit sich einig geworden schien, ob er ihr den Arm bieten solle oder nicht, rasch zu ihrem Platze am Tische, an dem sie sich, mit einladender Bewegung für die Uebrigen, zuerst niederließ.

Das Diner war sehr einfach, wie es das Leben in einer solchen Colonie und die Arbeit einer einzelnen Köchin, die zugleich alle anderen Hausdienste verrichten mußte, mit sich bringt: Suppe, ein Braten mit zweierlei Gemüse und etwas eingekochtem Obste und zum Dessert die vortrefflichen Orangen und Granatäpfel des Landes.

Niemand machte hier auch größere Ansprüche oder war an Weiteres gewöhnt, und das Gespräch drehte sich während der Tafel hauptsächlich um die neu erwarteten Einwanderer, da sich das Gerücht über deren Ankunft schon durch die ganze Colonie verbreitet hatte. Ist es doch auch immer ein Moment für solche Ansiedelung, einen neuen Zuschuß von Fremden zu bekommen, von denen ein kleiner Theil stets in der Stadt selber bleibt und vielleicht einen neuen Umgang bilden kann, denn bekannt wird man ja mit Allen.

Nur Vollrath, der neben Helenen saß, war still und einsilbig und schien sich nicht einmal für Oskar's Ansichten, die dieser über brasilianische Pferde entwickelte, zu interessiren; Oskar sprach überhaupt nur über Pferde.

Das Diner ging so vorüber – Oskar plauderte in einem fort, ob ihm Jemand zuhörte oder nicht – der Baron und die Gräfin, in deren Gespräch sich Helene nur manchmal mischte, unterhielten sich lebendig, und nur Vollrath schwieg hartnäckig still. Ein paar Mal schien er freilich den Mund öffnen zu wollen – aber es blieb eben immer nur bei dem Versuch, und Helenen war es nicht entgangen, daß er irgend etwas auf dem Herzen trage, was ihn beenge – wußte sie, was es war? Aber so unbefangen sie sich stets gegen ihn gezeigt, so unbefangen blieb sie auch heute, und als das Diner beendet und die kleine Gesellschaft in den Garten gegangen war, legte sie ruhig und lächelnd ihren Arm in den seinen und sagte: »Kommen Sie, Herr Vollrath, wir wollen ein wenig auf- und abgehen. – Oskar ist heute unausstehlich, weil ich ihm in unserem Wettrennen vorgekommen bin, und Mama hat, wie es scheint, mit dem alten, steifen Baron eine so hochwichtige Besprechung, daß sie alles Andere, was um sie her vorgeht, zu vergessen scheinen.«

Vollrath schoß das Blut in Strömen in's Gesicht, aber er verbeugte sich leicht, nahm den Arm und schritt mit der jungen Schönen den Garten entlang. Helenen aber genügte der beschränkte Raum heute nicht; war es die Aufregung des scharfen Rittes, war es der Aerger über den Bruder, kurz, sie stieß die Gartenpforte auf, die an dieser Seite gerade nach den zu einer Art von Promenade umgewandelten Büschen hinausführte, und wanderte langsam mit ihrem Begleiter den schmalen Weg entlang, der, immer in Sicht der Häuser, sich fast um die Ansiedelung schlängelte.

Oskar hatte sich in die Laube auf eine Bank gelegt und rauchte, ein Bein über das andere gelegt, seine Cigarre, und die Gräfin ging mit dem Baron wieder im eifrigem Gespräche im Garten auf und ab.

»Aber, verehrte Frau,« sagte der Baron jetzt, »Sie rücken noch immer nicht mit Ihrem Projecte heraus. Sie reden nur fortwährend von glänzenden, sorgenfreien Aussichten, von Rückkehr in die Heimath, von – ich weiß selber kaum was, und den eigentlichen Kern dieser Frucht halten Sie im Dunkel. Sie glauben doch sicher nicht, daß ich einen Mißbrauch damit treiben und als Ihr Concurrent in irgend einer glücklichen Speculation auftreten könnte?«

»Mein lieber Baron – nein, das nicht,« sagte die Gräfin nach einigem Zögern, »und ich habe auch den Entschluß jetzt gefaßt, Sie zu meinem Vertrauten zu machen – vielleicht werden wir doch noch Compagnons,« lächelte sie dazu.

»Ich bin auf das Aeußerste gespannt,« sagte der Baron.

»Sie müssen bemerkt haben,« fuhr die Gräfin fort, »daß mir sowohl wie Helenen eine Beschäftigung in diesem Lande fehlt.«

Des Barons Blick suchte unwillkürlich die junge Dame, die er gerade noch durch eine Lücke der Bäume mit ihrem Begleiter erkennen konnte.

»Helene besonders,« fuhr die Gräfin fort, »hat mich schon lange gebeten, eine leichte Arbeit aufzufinden, mit der sie die langen Tage besser hinbringen könne, denn immer Lesen und Clavierspielen geht ja doch auch nicht, noch dazu in einer so prosaischen und sogenannten praktischen Umgebung, wie die ist, in der wir uns befinden.«

»Ich werde immer gespannter,« versicherte der Baron, und er hatte die Augenbrauen schon bis unter den Hut hinaufgezogen.

»Wenn man nun unter so praktischen Leuten fortwährend lebt,« lächelte die Gräfin, »so ist es wohl ganz natürlich, daß ein klein wenig davon auch an unserer Natur hängen bleibt, und ich habe denn auch schon das ganze letzte Jahr nach der und jener Seite hinüber gehorcht, an was man im rechten Augenblicke und mit den rechten Mitteln die Hand legen könnte – ich glaube, ich habe jetzt gefunden, was ich suchte.«

»Sie hätten wirklich?«

»Ich habe gefunden und außerdem die genauesten Erkundigungen deshalb eingezogen,« fuhr die Gräfin fort, »daß hier im Lande eine ganz enorme Quantität von Cigarren verbraucht wird, die man sämmtlich mit einem, zu den Kosten des Rohtabaks in gar keinem Verhältnisse stehenden hohen Preise bezahlt.«

»Cigarren?« fragte der Baron erstaunt.

»Nun sind gerade gegenwärtig eine Menge junger Leute hier in der Colonie – und es werden mit dem Schiffe noch mehr erwartet – von denen viele, besonders alle aus Bremen stammende, Cigarren zu drehen verstehen. Hier auf diesem Zettel finden Sie außerdem den Preis guten Blättertabaks genau zusammengestellt, ebenso die Löhne für die Fabrikarbeiter, die nach dem Hundert oder Tausend bezahlt werden. Eine Cigarre nur einigermaßen guten Tabaks ist aber hier nicht unter zwanzig Reis das Stück zu bekommen, und nun berechnen Sie selber, welcher enorme Nutzen dem Fabrikherrn werden muß, wenn die Sache nur ein klein wenig in's Große getrieben wird.«

»Hm,« sagte der Baron, der aber doch nur einen flüchtigen und zerstreuten Blick über das Papier warf, »und mit etwas Derartigem wollten Sie sich befassen?«

»Und warum denn nicht?« sagte die Frau Gräfin, indem sie einer leichten Verlegenheit Meister zu werden suchte. »Wir müssen in der That eine Art von Beschäftigung haben, wenn wir hier nicht vor Langerweile sterben sollen, und Helene sehnt sich so danach, ja selbst Oskar, der jetzt vor lauter Muthwillen gar nicht weiß, was er für Tollheiten angeben soll.«

Der Baron Jeorgy war in der That nichts weniger als ein praktischer Charakter, der auf einen gewissen Ueberblick Anspruch machen konnte, um wirklich Ausführbares von bloßen Chimären zu unterscheiden. Hatte er aber schon zu viele bittere Erfahrungen mit ähnlichen Projecten gehabt, oder war es ihm vollkommen unmöglich, sich die Comtesse Helene und den jungen wilden Grafen Oskar als ehrbare Cigarrenmacher zu denken, – er schüttelte ganz ernsthaft und bedenklich mit dem Kopfe und sagte:

»Aber, gnädigste Frau Gräfin, haben Sie sich den« die Sache wirklich schon recht genau überlegt, und vermuthen Sie, daß Sie einen, alle dem Aerger und der Schererei entsprechenden Nutzen daraus ziehen könnten?«

»Mein lieber Baron,« erwiderte die Gräfin lebhaft, »das können Sie sich doch wohl denken, daß ich ein solches Unternehmen nicht entriren würde, wenn ich mich nicht vorher gründlich damit bekannt gemacht. Helene brennt ordentlich darauf, zu beginnen, und Oskar selber hat versichert, daß es ihm ungeheuern Spaß machen würde, selber Cigarren zu drehen.«

»So? In der That? Hm! Und haben die beiden jungen Herrschaften also darin schon einen Versuch gemacht?«

»Jetzt schon – wo denken Sie hin?« lachte die Gräfin. »Das selber Cigarrenmachen muß doch auch immer nur Nebenbeschäftigung bleiben, wenn es viel mehr darauf ankommt, eine große Anzahl von Arbeitern zu überwachen. Aber es ist nöthig, daß es Jeder von uns versteht, um etwa vorkommende Fehler andeuten und rügen zu können und deshalb wollen wir auch Alle ordentlich mit zugreifen.«

Der Baron, die Hände auf den Rücken gelegt, nickte langsam und bedächtig mit dem Kopfe und manchmal schüttelte er ihn auch ganz in Gedanken, aber er sagte kein Wort. Es entstand dadurch für die Gräfin eine etwas peinliche Pause, denn sie hatte erwartet, daß der Baron die Enthüllung dieses Planes mit mehr Enthusiasmus aufnehmen würde. Der Baron blieb aber vollkommen kalt und schien nicht die geringste Lust zu haben, auch nur eine Bemerkung zu machen.

»Und was sagen Sie dazu?« unterbrach endlich die Gräfin das ihr lästig werdende Schweigen. – Der Baron zuckte die Achseln.

»Ja, lieber Gott, was kann ich dazu sagen? Ich verstehe nicht das Geringste von Tabak oder Cigarren, das ausgenommen, daß ich beim Rauchen eine gute von einer schlechten unterscheiden kann. Wenn Sie aber fest dazu entschlossen sind und das nöthige Capital dazu besitzen, so – weiß ich in der That nicht . . .«

»Aber das gerade hab' ich noch nicht,« unterbrach ihn die Gräfin etwas gereizt, »wenigstens nicht in diesem Augenblicke und meine Ungeduld, die mich jeden neugefaßten Plan mit voller Energie ergreifen läßt, war die alleinige Veranlassung, daß ich Ihnen Gelegenheit gab, sich bei dem Unternehmen zu betheiligen. Sie zweifeln doch nicht etwa an dem Erfolg?«

»Beste Frau Gräfin,« betheuerte der Baron, der, stets voller Rücksichtnahmen, schon vor der Idee eines Widerspruchs zurückschreckte; »ich erlaube mir nicht im Geringsten daran zu zweifeln und hoffe von ganzer Seele, daß Sie ein außergewöhnlich günstiges Resultat erzielen werden, aber –«

»Aber?«

»Aber,« fuhr der Baron, sich verlegen die Hände reibend, fort, – »ich besitze kein Capital, um mich dabei zu betheiligen.«

»Sie besitzen kein Capital?« sagte die Gräfin erstaunt.

»Ich besitze allerdings ein kleines,« verbesserte sich der Baron, »was ich aus dem Verkaufe meiner Chagra und meines Viehes, besonders meiner Pferde, gelöst habe, aber ich brauche das nothwendig zu meinem unmittelbaren Leben und wenn ich dasselbe angreife, bin ich am Ende genöthigt, mir noch auf meine alten Tage mein Brod mit Handarbeit zu verdienen.«

»Und glauben Sie nicht, daß Sie das Drei–, ja vielleicht Vierfache Ihrer jetzigen Zinsen bei einem solchen Unternehmen herausschlagen könnten?« lächelte die Gräfin.

Der Baron hätte um sein Leben gern ›Nein‹ gesagt, aber er riskirte es nicht; die etwas hitzige Gräfin hätte sich beleidigt fühlen können, und er erwiderte nur achselzuckend:

»Ich bin zu alt zur Speculation, meine Gnädigste, und – außerdem ist mir die Sache auch wirklich noch zu neu – zu fremd – es kam mir zu überraschend. Gestatten Sie mir, daß ich mich vorher ein wenig informire und wir können ja dann später mit Muße darüber sprechen.«

»Aber die Zeit drängt, mein bester Baron,« versicherte die Gräfin; »ich habe die nicht unbegründete Vermuthung, daß sich Andere mit einer ähnlichen Idee tragen, und es ist in der That seltsam, daß ein solches auf der Hand liegendes Unternehmen nicht schon lange mit Begierde aufgegriffen ist. Was also geschehen soll, muß rasch geschehen. Ich habe dabei von Anfang an auf Sie gerechnet, da ich Sie als alten, lieben Freund meines Hauses kannte, und ich hoffe nicht, daß Sie mich jetzt im Stiche lassen werden.«

Dem Baron kam es allerdings etwas wunderlich vor, daß die Frau Gräfin gerade auf ihn von Anfang an gerechnet haben sollte, während sie ihn erst im letzten entscheidenden Augenblicke davon in Kenntniß setzte. So groß seine Höflichkeit aber auch sein mochte, der Trieb zur Selbsterhaltung war doch noch größer und mit viel mehr Entschiedenheit, als er bis jetzt gezeigt und überhaupt der Gräfin gegenüber für möglich gehalten hätte, sagte er, indem er seine Tabaksdose in allen Taschen suchte:

»Man soll eine Dame nie im Stiche lassen, meine Gnädigste, aber – ich bitte tausendmal meiner Hartnäckigkeit wegen um Entschuldigung – ich muß doch darauf bestehen, vor allen Dingen mir eine größere Kenntniß über den Betrieb dieser Angelegenheit zu verschaffen. Apropos – sollte sich der Director Sarno nicht am Ende bewogen finden, ein so gemeinnütziges Unternehmen aus Regierungsmitteln zu fördern?«

Ein ganz eigener Ausdruck von Zorn und Verachtung zuckte um die Lippen der Dame, als sie erwiderte:

»Ja, wenn ihm einer der Bauern den Vorschlag gemacht hätte.«

»So haben Sie schon mit ihm darüber gesprochen?« rief der Baron, von dieser Wendung sichtlich überrascht.

Die Gräfin hatte sich in ihrem Unmuthe verleiten lassen, mehr zu sagen als sie eigentlich wollte. Was noch gut zu machen war, that sie.

»Fällt mir nicht ein,« sagte sie wegwerfend; »der Herr Direktor und ich stehen nicht auf einem so freundschaftlichen Fuße zusammen, ihm eine solche Mittheilung zu machen, und ich werde mich hüten, mit der brasilianischen Regierung etwas Derartiges zu beginnen, die mir vielleicht fünfzehn oder zwanzig Procent für meine Mühe ließe. Doch Sie verlangen Zeit, mein lieber, ängstlicher Freund, und seien Sie versichert, daß ich Sie nicht drängen möchte. Ueberlegen Sie sich also die Sache, sagen Sie mir aber bis spätestens morgen früh Antwort, oder« – setzte sie hinzu, indem sie lächelnd mit dem Finger drohte – »ich halte mich an kein Versprechen mehr gebunden und sehe mich nach einem andern Compagnon um.«

Der Baron machte eine stumme, dankende Verbeugung, schien aber von dieser direkten Drohung keineswegs so eingeschüchtert, wie es die Wichtigkeit der Sache hätte sollen vermuthen lassen. In diesem Augenblicke bekam er aber auch Succurs, denn ihr Gespräch wurde durch jenes wunderliche Individuum, Jeremias, unterbrochen, der plötzlich in den Garten kam, ohne Weiteres auf die Frau Gräfin und den Baron zuging, und Beiden, ehe sie es verhindern konnten, auf das Cordialste die Hand schüttelte. Oskar, der Zeuge dieser Scene war, lag noch immer in der Laube auf der Bank und wollte sich jetzt ausschütten vor Lachen.

Oskar war auch in der That die eigentliche Ursache dieser plötzlichen Begrüßung gewesen, denn während er in der Laube seine Siesta hielt, da ihn die Projecte der Frau Mutter wenig interessirten, hatte er nur über seinen heutigen Verlust, den Pferdejungen, nachgedacht, der sich auf so grobe Weise empfohlen, und dabei hin und her überlegt, wie er denselben wohl ersetzen könne. Da ging Jeremias, ebenfalls auf einem Sonntag-Nachmittag-Spaziergange begriffen, an der Laube vorüber, und Oskar, der den sonderbaren Burschen schon kannte und sich oft über ihn amüsirt hatte, glaubte in ihm einen passenden Ersatz gefunden zu haben und rief ihn auch ohne Weiteres an und herein.

»Guten Tag, Frau Gräfin,« sagte Jeremias indessen, durch das etwas erstaunte Zurückfahren der Dame nicht im Mindesten beirrt – »schönen guten Tag, Herr Baron – prächtiges Wetter heute – wie bei uns im Sommer – nur ein bischen heiß – Herr Gott, wie man schwitzt!«

»Und was wollen Sie?« fragte die Gräfin, wie in Gedanken die eben erfaßte Hand mit ihrem Batisttuche abwischend. Jeremias war das auch nicht entgangen; er betrachtete ebenfalls seine eigenen arbeitharten Fäuste und sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Aber er nahm weiter keine Notiz davon, sondern sagte nur, freundlich ihr zunickend:

»Der junge Herr da hinten hat mich gerufen; will einmal zu ihm gehen und sehen, was er wünscht – amüsiren Sie sich gut« – und mit einer Art von Kratzfuß drückte er den Hut wieder in die Stirn und wandte sich dorthin, wo Oskar schon wieder sein: »Jeremias, hierher!« herüberrief.

»Hat ihm schon,« antwortete Jeremias, als er in die Laube trat, sich ohne Weiteres auf die andere Bank setzte und vergnügt mit den kurzen Beinen schlenkerte; »hier ist's hübsch kühl; wenn man jetzt hier ein Maß baierisch Bier und einen Handkäs hätte, könnte man's eine ganze lange Weile aushalten.«

Oskar hatte sich das Benehmen seines künftigen Pferdejungen wahrscheinlich anders gedacht; mit den Sonderbarkeiten des Burschen aber schon bekannt, beachtete er es nicht weiter und fragte ohne Umschweife:

»Willst Du Geld verdienen, Jeremias?«

»Immer,« lautete die kurze, bündige Antwort.

»Kannst Du Pferde warten?«

»Kann ich!« sagte Jeremias in Selbstvertrauen.

»Und wie viel verlangst Du monatlich?«

»Hm,« meinte der Bursche, den brennend rothen Schopf kratzend, der sich jetzt, als er dazu den Hut abnahm, als eine alte, ziemlich abgetragene Perrücke auswies, »je mehr, je besser – was lohnt's denn eigentlich?«

»Sechs Milreis.«

»Und sonst noch 'was?«

»Stiefelputzen –«

»Ne, so mein' ich's nicht,« sagte Jeremias, »ob noch sonst etwas bei den sechs Milreis wäre, wie Schnaps, Frühstück, Trinkgeld oder dergleichen.«

»Wenn Du Dich gut hältst, gewiß,« sagte der junge Graf.«

Jeremias schob beide Hände, so tief er sie bekommen konnte, in seine Hosentaschen und spitzte den Mund, als ob er ein Liedchen pfeifen wolle. Er pfiff aber nicht, sondern sah nur nachdenklich vor sich nieder. Endlich sagte er, indem er die Hände wieder aus den Taschen nahm und seine Perrücke zurechtschob:

»Na, ich will Ihnen etwas sagen, junger Herr, wir wollen's einmal einen Monat zusammen versuchen, wöchentliche Kündigung natürlich von beiden Theilen, wenn ich Ihnen nicht gefallen sollte oder Sie mir nicht – außerdem gegenseitige Hochachtung und ein Milreis Handgeld – sind Sie das zufrieden?« – und er hielt dabei Oskar die Hand in so drolliger Weise zum Einschlagen hin, daß der junge Bursche, der bei Erwähnung des Milreis Handgeld einen Augenblick gestutzt hatte, lachend einschlug und ausrief:

»Gut, Jeremias, so wollen wir es denn, wie Du sagst, einmal zusammen versuchen – hier ist Dein Milreis und nun beginne Dein Geschäft gleich damit, daß Du vor das Haus gehst und das dort stehende Pferd meiner Schwester hereinführst und absattelst.«

»Donnerwetter, das geht geschwind!« meinte Jeremias, »und eigentlich wäre heute Sonntag. Das arme Thier kann aber auch nicht da draußen stehen bleiben – also, junger Herr, wir sind jetzt für einen Monat mit einander zusammen gegeben, wie der Pfarrer sagt.«

Dabei nahm er das Milreisstück, betrachtete es einen Moment aufmerksam, schob es dann in die Tasche, machte eine kurze, nicht ungeschickte Verbeugung und verließ rasch den Garten, um den überkommenen ersten Auftrag auszuführen.

Aber auch der Baron hatte diese kleine, ihm sehr gelegene Unterbrechung benutzt, dem ihm unangenehm werdenden Gespräche mit der Gräfin eine andere Wendung zu geben, und als jetzt auch die Comtesse zurückkehrte, die Vollrath aber nur bis an die Gartenthür begleitete, worauf er sich empfahl, schützte er plötzliches Kopfweh vor und beurlaubte sich ebenfalls mit der gewohnten Förmlichkeit bei den Damen.

Die Gräfin hatte indessen Vollrath ankommen und wieder gehen sehen, und wenn sich ihr Geist auch gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigte, war ihr doch das auffallend bleiche und niedergedrückte Aussehen des jungen Mannes nicht entgangen. Sie warf einen forschenden Blick auf ihre Tochter, aber Helenens Antlitz, wenn ihre Augen auch einen ganz ungewohnten Glanz hatten, verrieth durch nichts einen in ihr aufsteigenden, plötzlichen Verdacht. Nur, als das junge Mädchen den Kopf abwandte – vielleicht um ihr Antlitz dem mißtrauischen Auge der Mutter zu entziehen – und sich dem Hause zuwandte, sagte die Dame leise:

»Helene!«

»Mutter?« fragte die Tochter und wandte sich halb nach ihr um.

»Was ist denn mit Vollrath vorgegangen? Er hatte, als er Dich verließ, keinen Blutstropfen in seinem Gesichte.«

»Wirklich nicht? Ich habe es nicht beachtet.«

»Und Du bist auch so sonderbar.«

»Ich, Mutter?«

»Ja – Du – Helene, ich will nicht hoffen, daß Du . . .«

»Was, Mutter?« sagte Helene, und ihr Auge haftete kalt und ernst auf den strengen Zügen derselben.

»Es ist gut, mein Kind,« sagte die Gräfin, die sie einen Moment aufmerksam betrachtet hatte. »Ich glaube, ich kann mich fest auf Dich verlassen und Du bedarfst keiner Wächterin.«

»Ich denke nicht, Mutter,« sagte Helene, indem ein leichtes zorniges Roth ihre Wangen färbte. Dann wandte sie den Kopf wieder ab und schritt, ohne der Mutter Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben, rasch in das Haus und hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich einschloß und an dem Abend nicht mehr zum Vorschein kam.



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