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Daß die lutherische Kirche den Namen der singenden Kirche erhielt, verdankt sie dem Reformator und seinen Gefährten. Denn Luther war nicht nur der tapfere Bekenner, sondern auch ein Gott begnadeter Sänger der süßen Wundertat Gottes und sang mit seinen kindlichen, einfachen und doch so tief im Worte Gottes gegründeten Liedern das Evangelium, für das er täglich sein Leben aufs Spiel setzte, in des deutschen Volkes Herz hinein. Darum heißt er billig die Wittenberger Nachtigall. Daß aber die lutherische Kirche die singende Kirche geblieben ist, daran hat einen großen Anteil Paulus Gerhardt, dessen sämtliche Lieder hiermit in einer Jubiläumsausgabe dem deutschen Volke wieder dargeboten werden. Paulus Gerhardt ist ein Sänger der lutherischen Kirche, der Kirche des reinen Wortes und Sakraments. Wie Luthers und seiner Zeitgenossen und Schüler, eines Speratus, Nik. Hermann, Joh. Matthesius, Nik. Selnecker u. a. Lieder, enthalten Gerhardts Lieder die reine Lehre, die Lehre des göttlichen Wortes. Obwohl in ihnen das subjektive Moment stärker sich geltend macht, indem der Dichter länger bei dem verweilt, was wir Menschen gegenüber den göttlichen Heilstaten empfinden, und das mehr hervorhebt, was Gott in uns wirkt und durch uns ausrichtet, und schier für alle Lagen und Verhältnisse des menschlichen Lebens besondere Lieder gedichtet hat, so sind seine Lieder doch ebenso fern von dem Spielen mit menschlichen Gefühlen, wie es sich in den pietistischen Liedern findet, als von der trockenen Art, mit welcher die rationalistischen Lieder auf die besonderen Verhältnisse Bezug nehmen. Fest ruhen die Gerhardtschen Lieder auf Gottes klarem und wahrem Wort. Fern sind sie von jeder Abweichung von dem heilsamen Vorbilde der apostolischen und prophetischen Worte. Man hat zu behaupten gewagt, Gerhardt, der unbeugsame Bekenner und Dulder gegenüber den Unionsbestrebungen des Kurfürsten, habe durch seine Lieder die Union mehr befördert als der Kurfürst. Denn viele seiner Lieder seien derart, daß sie auch von Reformierten gesungen werden könnten. Wohl ist das wahr in betreff der Lieder, die allgemein christliche Wahrheiten behandeln. Aber daß ein Reformierter Gerhardts Lieder von der Taufe und vom Abendmahl ehrlicherweise sollte singen können, ist undenkbar, weil darin wohl vor allem der herrliche Nutzen der Sakramente gepriesen wird, dieses aber doch nur geschieht auf dem Grunde des deutlich ausgeprägten Bekenntnisses zum Wesen derselben. Und auch die verschiedenen Lebenslagen und Stände der Menschen samt ihren Pflichten werden nicht in vernünftelnder Weise besprochen, sondern aus Gottes Wort gepriesen und mit Gottes Wort beleuchtet.
Paulus Gerhardt ist eben in besonderem Maße der Sänger der lutherischen Kirche aller Zeiten und schier aller Orten. Seine Lieder sind so voll Poesie und Melodie, daß sie jedermann gern singt und sie sich daher ungemein schnell eingebürgert haben, wozu freilich auch die Arbeit des Komponisten, des Kantors Johannes Crüger, viel beigetragen hat. Doch war diese Arbeit eben durch die melodische Weise der Gerhardtschen Dichtungen sehr erleichtert. Und weil Gerhardts Lieder wahrhaft poetisch sind, so haben sie auch von den Verbesserungs- und Verwässerungsversuchen späterer Zeiten verhältnismäßig weniger gelitten als andere Lieder, und so sind sie beinahe in ihrer ursprünglichen Gestalt noch heute im Volke lebendig. Wenigstens gilt dies von einer Anzahl derselben, die sozusagen den eisernen Bestand jedes Gesangbuches bilden. Und eine ganze Anzahl Gerhardtscher Lieder sind in fremde Sprachen übersetzt, zum Teil in demselben Rhythmus.
Im März nächsten Jahres (der Tag läßt sich nicht mehr feststellen, meist wird der 12. März angegeben) sind es 300 Jahre, daß dieser Gott begnadete Sänger geboren wurde. Man wird dieses Jubiläum vielerorten festlich begehen. Damit es aber nicht ohne bleibenden Segen vorübergehe, gibt es nichts Besseres, als daß seine Lieder, alle seine Lieder, wieder recht bekannt werden. Dies zu ermöglichen, ist der Zweck dieser billigen Jubiläums-Volksausgabe seiner Lieder. Möge der Zweck erreicht und dies Büchlein mit seinem schönen Inhalt vielen ein Begleiter werden durch gute und böse Tage, heitere und trübe Stunden! Mögen des wohlgeprüften Kreuzträgers Gesänge ein Balsam sein für viele wunde Herzen!
So gehe hinaus, liebes Büchlein, und hilf in dieser letzten betrübten Zeit dem Christenvolke deutscher Zunge Den preisen, von dem Gerhardt singt:
»Mein Trost, mein Schatz, mein Licht und Heil,
Mein höchstes Gut und Leben«,
und mit solchem Lobpreis fortfahren, bis dahin, wo wird
»Mein Weinen lauter Wein,
Mein Aechzen lauter Jauchzen sein!«
O. Willkomm.