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Sechszehntes Kapitel.
Pius der Neunte.

Felix war währenddem mit seinen ernsten, großen Plänen beschäftigt, und hätte die arme Lori gewußt, wie wenig sie in seinen Ideenkreis trat, sie wäre noch viel unglücklicher gewesen. Selbst daß Dina mit dem Verdacht, daß er ein Liebesverhältniß mit Lori gehabt, nach Neapel gegangen, kümmerte ihn wenig, er stand eben an der Schwelle, seine Lebensaufgabe zu erreichen, und davor trat bei dem ernsten, sein Ziel beharrlich verfolgenden Manne alles Andere in den Schatten.

Er hatte durch den russischen Gesandten um eine Audienz bei Pius dem Neunten nachsuchen lassen und auch die Zusicherung einer solchen erhalten.

Er schrieb an seinen Freund in Paris: »Die Politik ist in meiner Angelegenheit ihrer Religion untreu geworden, laß sehen, ob die Religion nicht von ihrer Politik dahin getrieben wird, wo ich sie sehen möchte.«

[253] Bei der Audienz rechnete Felix besonders auf zwei Dinge, auf Pius des Neunten einst so warmes Herz, über das sich freilich jetzt eine Eisdecke gelegt haben sollte, und auf die offenliegende Selbstlosigkeit seiner Wünsche; denn Felix hörte von Allen, daß ein großes Mißtrauen das Herz des Papstes jetzt der Menschheit entfremdet halte. Ueberdem gab ihm seine vollkommene Gewandtheit, in fremden Sprachen sich auszudrücken, ein Talent, was er im höchsten Grade besaß, einige Sicherheit.

Die breiten Treppen des Vaticans stieg er ruhig hinauf. Im Vorzimmer der Schweizer konnte er aber doch nicht ohne Gemüthsbewegung die deutschen Laute der Wächter hören, die hier, wie in Neapel, in fremdem Solde stehen, weil ihre Treue die erprobteste ist.

Im zweiten Zimmer waren einige Nobelgardisten mit Spielen beschäftigt: lauter düster aussehende, bartlose, hagere Gesichter.

Im dritten erst trat ihm in spanischer Tracht der Cameriere segreto entgegen, der ihn zum Papst geleiten sollte. Er ging mit ihm durch mehrere [254] offen stehende Gemächer, dann öffnete er eine angelehnte Thür, deutete mit einer Verbeugung auf eine zweite, verschlossene Thüre und zog sich zurück.

Felix dachte, das ist symbolisch, ich muß mir selbst die Thüre öffnen, die zum Papste führt, Keiner thut es für mich.

Als die hohe, schwere Thüre sich auf seinen Druck in ihren Angeln bewegte, erblickte er in einem kleinen Gemache Pio Nono, das Antlitz ihm zugewendet, an einem bis zur Erde mit Schiebfächern ausgefüllten Schreibtische sitzen, so daß Felix nur den Oberkörper des Papstes gewahren konnte und ihm als Protestant die Verlegenheit erspart wurde, den Pantoffel zu küssen, der ihm verborgen war.

Oft hatte er den Papst gesehen, oft sein schönes, regelmäßiges Profil, seine hohe, edle Gestalt, seine unnachahmliche Würde bewundert, aber nie war ihm so, wie heute, in nächster Nähe das eigentlich Charakteristische im Antlitz des Kirchenoberhauptes aufgefallen, – der klare, helle Eindruck dieses Kopfes, mit den schönen blauen Augen, der nordisch weißen [255] Haut und dem dichten, hellgrauen Haupthaar. – Durchsichtig wie von Wachs waren diese Züge, im Vergleiche mit den Bronceköpfen seiner Landsleute, mit einem Worte, – Pius' Haupt war wie verklärt. Der Anzug des Papstes war ganz weiß, der Hausanzug des sichtbaren Oberhauptes der Kirche, ein wollenes, bis auf die Füße fallendes Gewand mit rundem Kragen und ein kleines, ebenfalls weißes Käppchen.

Felix ließ sich, von wirklicher Ehrfurcht ergriffen, vor dieser Lichtgestalt halb auf ein Knie nieder, aber Pius winkte ihm sogleich mit der Hand, sich zu erheben. Dabei umzog den festgeschlossenen Mund des einst so vergötterten, so leidenschaftlich geliebten Kirchenfürsten ein schmerzliches Lächeln – und die Augen, die einst die Idole Italiens gewesen und Licht und Segen darüber ausgestrahlt, sahen forschend aus ihren tieferen Höhlen nach dem jugendlichen Fremden.

»Was wünschen Sie, mein Sohn?« frug er mit jener Stimme, durch deren Wohlklang er bei seinem ersten öffentlichen Erscheinen alle Herzen an sich riß.

[256] »Nichts für mich, Heiliger Vater! Ich komme im Namen der gesammten Menschheit zu dem einzigen sichtbaren Oberhaupte eines Theiles derselben. Ich selbst bin Protestant, an unsere Fürsten, die auch die Häupter unserer Kirche sind, habe ich mich vergebens gewandt! Eure Heiligkeit ist meine letzte Zuflucht auf Erden!«

»Dann werde ich wohl auch Nichts thun können!« sagte Pius, ihn verwundert anblickend.

»O, heiliger Vater, nehmen Sie mir nicht die Hoffnung, ehe Sie mich gehört!«

»So reden Sie!« sagte, sich zurücklehnend, der Papst.

Felix begann, sein Herz auszuschütten. Er schilderte mit heißen Farben die traurigen Verhältnisse der Gegenwart, die alle das Resultat haben, die Last des Bedrückten schwerer, die Noth des Dürftigen größer, das Elend des Armen unerträglicher zu machen; er schilderte, diesen Thatsachen gegenüber, die eiserne Härte des Weltlaufs. »Das Elend auf Erden ist grenzenlos!« schloß er, »Hunger und Kummer bei einer Arbeit, die unabläßiger Pein gleich [257]kommt, sind beinahe das einzige Erbtheil der arbeitenden Classen, – o, rufen Sie, heiliger Vater, die katholischen Fürsten der Erde auf, sich ihrer Armen anzunehmen! Auch für das leibliche Wohl der Menschen zu sorgen, auf daß die Menschen wieder mit Ruhe und Dankbarkeit auf das Wohl ihrer Seele achten können, ist ja des geistlichen Vaters der Menschheit Pflicht! Ein Mann, der täglich fürchten muß, daß Weib und Kinder vor Hunger nicht das Auge schließen, kann unmöglich an jedem Abende inbrünstig beten, – denn aus Verzweiflung und Hunger wird er nur einmal, – aber nicht öfter zu Gott rufen! In Frankreich, in England fängt die Regierung jetzt an, ihre Verpflichtung gegen ihre Arbeiter einzusehen. In Deutschland denkt Niemand an sie, – und doch sind unsere Arbeiter die fleißigsten, nüchternsten und sittenreinsten. Unsere Regierungen geben sich ja alle als die Väter, die Vormünder, die Herren ihrer Völker. Nun wohl, so mögen sie wie der Vater an seinem Kinde, der Vormund an seinem Mündel, der Herr an seinem Diener handeln, – für sie sorgen!«

[258] Pius erhob den Finger mit schmerzlichem Lächeln, ohne zu sprechen.

»Ich bin kein politischer Reformator! Eure Heiligkeit können fest überzeugt sein, daß nie dahin mein Streben gegangen, – man muß erst selbstständig sein, ehe man frei sein will, und Niemand ist unselbstständiger, als der Bettler!«

»Aber Deutschland wird mir ja von allen Seiten als ein wohlhabendes Land geschildert. Also auch dort?«

»Auch dort, heiliger Vater, herrscht das Elend!«

»Aber was kann ich thun, mein junger Freund!« frug nach einer kleinen Pause, melancholisch mit der Hand die Augen deckend, der Hohepriester.

»An den Kaiser, die Könige, die Fürsten Gesandten schicken und sie auffordern lassen, nur den entschiedenen Willen zu fassen, der Armuth in ihren Staaten einen Damm entgegenzusetzen.«

»Einen Damm entgegensetzen! Das ist leicht ausgesprochen! Wie, – auf welche Weise denken Sie sich das?«

[259] »Ich habe in diesem Memoire verschiedene Mittel gegen den Pauperismus angegeben; eines der Hauptmittel ist Verminderung der stehenden Heere.«

»Aber die Revolution?«

»Die kann ein einziges europäisches Heer, wie wir jetzt deren vielleicht zehn besitzen, niedertreten, sobald die Fürsten zum Besten ihrer darbenden Völker einen unauflöslichen Friedensbund schließen, wie sie jetzt ein Schutz- und Trutzbündniß zu ihrem eigenen Besten geschlossen haben. Die zahllosen Eisenbahnen haben Europa zusammengezogen zu der Ausdehnung eines einzigen, mäßig großen Landes. Könnte man nicht deshalb mit Leichtigkeit jenes europäische Coalitionsheer augenblicklich dahin bringen, wo es Noth thut, wenn es an den großen Knotenpunkten der Verkehrsstraßen aufgestellt würde?«

»Welch ein Heer müßte das sein!«

»Wir besitzen in Europa beinahe drei Millionen Soldaten; sollte Eine nicht genügen?«

»Und was denken Sie noch?« frug Pius.

»An eine ganz andre Ausbeutung des Staatseigentums, um dadurch vor Allem gesunde, billige [260] Wohnungen, wohlfeile Kost, Gerechtigkeitspflege und Arzt unentgeltlich für den Arbeiter, Fürsorge für Kinder kranker Eltern, für Verwundete, Leidende und das arbeitsunfähige Alter beschaffen zu können. – Eure Heiligkeit werden in den Grundzügen und Principien dieser Schrift Manches vermissen, was Ihre höhere Weisheit und Erfahrung Ihnen eingiebt, aber sicher nicht den guten Willen, das rastlose Grübeln über einen Gegenstand, den sich ein zwar junges, aber redliches Herz zum Lebensvorwurf genommen.«

»Das ist Alles recht schön,« sagte sanft der Kirchenfürst, »aber glauben Sie denn, auf meine Aufforderung würden alle die Herrlichkeiten, deren Werth ich durchaus nicht verkenne, aus dem Boden erstehen?« Und indem er die Hand nach dem Memoire ausstreckte, das Felix ihm überreichte, setzte er schmerzlich hinzu: »Ich habe kein Glück, was Reformen betrifft, wenden Sie sich an einen Glücklicheren, junger Mann! Ich beneide den Fürsten, dem es von der Vorsehung gestattet wird, zum materiellen Segen seines Volkes wirken zu dürfen, – mir sind die Hände gebunden, – ich kann Nichts [261] für Sie thun! Es ist so der Wille Gottes! Er hat mir und meinen Brüdern in seinem Dienste eine andere Mission gegeben. Die Dürftigkeit der Reichen, die Armuth der Mächtigen, die Gottentfremdung des ganzen Menschengeschlechts dieser Zeit, die ist es, welche meine Sorge bilden soll, welche dringendere, furchtbarere Mahnungen für mich hat, als die Noth des Leibes!«

Und Pius erhob sich; Felix war verabschiedet.

Als er sich tief verbeugte, streckte Pius, wie segnend, die Hand gegen den Häretiker aus. War es die alte Gewohnheit, oder hielt er diesen jungen Ketzer wirklich seines apostolischen Segens werth?



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