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Dina saß wieder in ihrem rosenrothen Cabinet und vor ihr stand Lieschen, die Näherin. Das Mädchen hatte mit besonderer Sorgfalt sein dunkelblondes Haar gescheitelt, das schwarze Orleanskleid war sauber, und zierlich stand es ihrem schlanken Wuchse. – Man sah es Dina's Augen an, – das Mädchen machte ihr auch äußerlich mit seiner demüthig bescheidenen Miene einen angenehmen Eindruck.
»Ich habe gestern Abend dem Baron Walram gesagt, daß ich Sie in meine Dienste zu nehmen bereit bin. Es fragt sich nun, zu welcher Stelle Sie durch Ihre Kenntnisse sich besonders eignen. Was verstehen Sie?«
[93] »Sticken, nähen, bügeln, waschen, auch frisiren habe ich gelernt und mehrere Jahre bei einer Kleidermacherin gearbeitet.«
»Das ist ja vortrefflich! So kann ich Sie zu meiner persönlichen Bedienung verwenden. Können Sie gleich eintreten?«
»Entschuldigen Sie, gnädige Frau, ganz und gar in Ihr Haus ziehen kann ich nicht! Meine Mutter lebt noch und ist schwach und kränklich, – sie kann nicht ohne mich bestehen, – wenigstens Abends und Morgens muß ich für sie sorgen. Aber den ganzen Tag könnte ich hier sein.«
»Nein, das geht nicht an!« sagte Dina, und zog die Stirne in Falten; »Sie müssen ganz hier sein. Ich brauche keine Arbeiterin, sondern eine Dienerin, die Tag und Nacht bereit ist, auch mich auf Reisen begleiten kann.«
»Mit Ihnen reisen, gnädige Gräfin, das könnte ich auch nicht, – ich hätte keine Ruhe! Jeden Morgen muß ich meiner kranken Mutter das Bett machen, jeden Abend ihr ein Kapitel aus der Bibel vorlesen, sonst geht's nicht –!«
[94] »Ich will Jemand zur Aufwartung Ihrer Mutter bezahlen; ein Mädchen, die sorgsam ihr dieselben Dienste leistet wie Sie.«
»O gnädige Frau Gräfin, das kann Keine! – Die alte Frau würde kein Auge zuthun, wenn eine Andere, als ich, sie gebettet! Nein, nein, Frau Gräfin, meine Mutter ist das Einzige, was ich auf der Welt habe; ich bin ihr Einziges, denn meine Brüder sind ihr entfremdet, auf langen Reisen! Und wer sollte ihr des Morgens ihren Kaffee machen? Wie gut schmeckt der ihr, wenn ich ihn ihr eingeschenkt habe, und wenn sie dann sagt: ›Lieschen, nun geh, sonst kommst Du zu spät, – Gott behüte Dich!…‹ der Tag, an dem ich Morgens das nicht gehört, wäre mir kein guter, – Sie sehen, Frau Gräfin, es geht nicht!«
»Deine erste Sorge sollte aber doch sein, Geld zu verdienen und Deiner kranken Mutter ein bequemes Alter zu verschaffen, – und der Lohn, den ich Dir gebe –«
»Ich weiß, ich weiß, Frau Gräfin; der Herr Baron hat mir's gesagt, Sie wären sehr gut, sehr [95] großmüthig und sehr reich! Aber, – meine arme Mutter braucht nicht viel, – wenn sie mich hat, ist sie zufrieden mit der allerschlechtesten Kost. Wir haben viel zusammen gelitten, – mein Vater, ach, ich mag gar nicht von ihm reden!«
»So lebt er noch?«
»Freilich! und daß meine Mutter noch lebt, das hat sie allein mir zu danken, weil ich nicht eher geruht habe, bis sie von ihm ging. Er weiß gar nicht, daß sie hier in Frankfurt ist; er glaubt, sie sei nach ihrer Heimath, nach Schwaben und dort gestorben; denn sonst würde er zu ihr kommen und ihr Alles nehmen, um es zu vertrinken und zu verspielen. Ich gehe nie ohne Bangen über die Straße, denn wenn er mich sähe –«
»Wie heißt er und was ist er denn?«
»Er heißt Wurmbrand. Und was wird er sein? Nichts! Er hat eine Schwester, die ihm hin und wieder Geld giebt, damit es kein Familienscandal setze, und dann schicke ich ihm, was ich missen kann.«
»Nun, wie ist es, Lieschen? Kannst Du Dich nicht entschließen, in meine Dienste zu treten?«
[96] »Von Morgens acht bis Abends acht will ich thun, was Sie wollen!«
»So geht's nicht!« sagte Dina kalt. »Ueberlegen Sie es noch einmal, ich werde mit dem Baron darüber sprechen. Adieu!«
Lieschen verbeugte sich schüchtern, und ohne weiter Etwas zu sagen, verließ sie mit ruhigem und entschlossenem Herzen dies Haus des Reichthums, um zu ihrer armen, alten, kranken Mutter zurückzukehren und wußte doch nicht, woher sie das Geld nehmen sollte, um morgen den Kaffee für diese Mutter zu kochen!
Dina blieb in übler Laune sitzen. Sie begriff nicht, daß der Einfall, Lieschen als Kammerfrau um sich zu haben, ihr nicht durchgehen sollte. Sie hatte seit Jahren die Ansicht in sich aufgenommen, daß mit Geld sich Alles dieser Art zwingen lasse. Die Mutter, die sie erzogen, und die schon seit mehreren Jahren im Grabe ruhte, hatte im Ganzen keinen guten Einfluß auf Dina's ursprünglich durchaus reinen und edlen Charakter gehabt, – denn nur einen Fehler hatte sie, der ihr angeboren war, – [97] die Gefallsucht. Und selbst darüber durfte man nicht den Stab brechen, denn obgleich sie zwei und zwanzig Jahre zählte, hatte sie doch den Läuterungsproceß noch nicht durchgemacht, die Probe, wonach erst sich zeigt, ob das Herz eines Weibes von ächtem oder unächtem Metall ist. Ist es Gold, so fallen dann alle Schlacken von selbst ab; ist es unächt, dann wird es darnach nur noch kleiner zusammenschrumpfen. Daß dieser Probirstein die Liebe ist, braucht wohl nicht erst gesagt zu werden.
Dina aber hatte noch nicht geliebt. Mit ihrer Mutter in sehr beschränkten Verhältnissen lebend, hatte sie, die eben wegen dieser kleinen Verhältnisse noch gar keine Gelegenheit gehabt, die Welt kennen zu lernen, die Hand des alten Earl of Waterford angenommen. Der alte Herr hatte nun neben der jungen, schönen Frau den Jugendlichen spielen wollen und sogar noch einmal seine alten, schwachen Glieder aufs Pferd gesetzt, um mit ihr auszureiten, weil sie Vergnügen daran fand. Nach einem solchen Ritte verschied er plötzlich an einem Nervenschlag, und Dina, die um dieselbe Zeit ihre Mutter verlor, war [98] nun ganz unabhängig und nach deutschen Begriffen unermeßlich reich. Das, was ihre Mutter ihr von Kindheit an als die Essenz aller Glückseligkeit gepriesen, besaß sie nun. Sie kaufte sich dafür schöne Möbel; als die Trauer weniger tief wurde, schöne Kleider, und zuletzt schöne Gemälde, Kunstsachen und Bücher. Denn von jeher war ein lebhafter Sinn für Kunst und Wissenschaft bei ihr hervorgetreten, den sie früher natürlich nicht befriedigen konnte; – sie hatte mehrere Sprachen erlernt und drückte sich mit Leichtigkeit darin aus; ihr gutes Englisch hatte ihr zuerst das Herz des alten Lords gewonnen.
Heute nun, zum erstenmale seit so langer Zeit, sollte ihr ein Wunsch nicht befriedigt werden – ein Wunsch, an dessen Erfüllung sie nicht im Traume gezweifelt hatte. Sie sollte ihre Laune der Laune einer armen Näherin unterordnen! Denn als Laune erschien ihr nur des Mädchens kindliche Liebe. Ihr Groll warf sich auf Walram, er mußte helfen, er mußte das Mädchen überreden, er mußte sie dazu zwingen.
[99] Da wurde er gemeldet.
»Guten Morgen, Baron, nun was bringen Sie mir?«
»Ich will mir nur Etwas ausbitten, nämlich das Etui Ihrer Nadel.«
»Wie? ist die arme Seele, die damit beglückt worden, so pretentiös wie ich, der auch ein Schmuck ohne elegantes Etui gar keine Freude macht?«
»Ach nein! Das Etui bitte ich mir aus, um die Nadel hinein zu legen, und sie Ihnen dann wieder zu überreichen! Ich habe sie nicht anbringen können!«
»Wie, Herr Baron? Was soll das heißen? Ich will die Nadel nicht mehr! Machen Sie damit, was Sie wollen, ich will sie nicht mehr sehen!«
»Ach, Gräfin, die arme Nadel hat zwei traurige Scenen mit erleben müssen, und mir wäre lieb, Sie steckten sie wieder vor, daß sie Ihnen mittheilte ein Stück von dem Elend der Armuth, vor dem Ihre rosagefütterten Mousselinwände Ihnen ein so undurchdringlicher Vorhang sind! Ich gäbe viel darum, wenn Sie gestern bei mir gewesen wären!«
[100] »Warum nahmen Sie mich nicht mit? Ich wäre mit Ihnen gegangen.«
»Mit mir allein, um Mitternacht?«
»Sie sind unerträglich, Baron! Ein Mann, wie alle andern, die immer daran denken, wie gefährlich, wie compromittirend ihr Umgang für eine Frau ist!«
»Aber, Gräfin! habe ich diesen Vorwurf von Ihnen verdient? Ich bin kein Geck, aber leider vier und zwanzig Jahre alt, und Sie –«
»Achtzig!« sagte Dina und warf sich zurück und nahm ein Album zur Hand. »Ja, achtzig!« setzte sie zornig hinzu, »denn ich habe das Leben, die Gesellschaft und vor Allem die Männer so satt, wie nur eine achtzigjährige Frau!«
»Und auch mich, Frau Gräfin,« lächelte Walram, »mich ganz besonders; und dennoch müssen Sie aus meiner Hand Ihr Kleinod zurücknehmen.«
»Ich will nicht! Und wenn Sie wagen, es hier zurückzulassen, schicke ich es in Ihr Hôtel.«
»So will ich Ihnen erzählen, wie es mir damit gegangen; da das meine Rechtfertigung ist, so sind Sie mir schuldig, mich in Geduld anzuhören.«
[101] »Ich höre,« sagte Dina mit der Miene eines trotzigen Kindes, und Felix schilderte ihr nun seinen Gang um Mitternacht. Erst die drei Kumpane, worüber sie gezwungen wurde, zu lachen, so sehr sie sich auch Anfangs sträubte, dann den Matrosen, worüber sie wieder sehr ernst wurde, und zuletzt die unglückliche Mutter, worüber sie Thränen vergoß.
»Ich habe gethan, was ich konnte, das sehen Sie, Gräfin!« schloß Felix, »ich hätte Ihnen so gern ein dankbar Herz gewonnen!«
»O,« rief Dina, ihrer Rührung sich schämend, – »Sie müssen es jetzt gut sein lassen, – Sie sehen, der Himmel will mich nicht die Krone der Wohlthätigkeit erringen lassen, – ich habe kein Glück als barmherzige Schwester! Wenn ich es auch nur durch Ihre Vermittlung versuchte, – ich bin dazu bestimmt, im Egoismus zu leben und zu sterben.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Warum nicht? Auch Lieschen will nicht in meinen Dienst treten, – mir nicht die Morgen- und Abendstunden opfern, die sie gewohnt ist, bei ihrer Mutter zuzubringen. Ich hatte mir vorge [102]nommen, dem Mädchen eine recht gute Herrin zu sein, wie ich es bisher nicht war, denn obgleich ich meinen Leuten selten einen Verweis gebe, so kümmere ich mich doch auch nicht um ihre Wohlfahrt; freilich, es sind lauter habsüchtige Geschöpfe, die mich plündern, wo sie können. Gegen Lieschen wollte ich aber gut sein, und Ihnen gab ich meinen liebsten Schmuck, um ihn den Armen zu schenken. Lieschen, der Matrose und die Frau werfen mir meine Wohlthaten vor die Füße, – nun gut, ich gebe es auf, es ist klar, je n'ai pas la vocation!«
»Als ob irgend ein Mensch auf Erden die nicht hätte! – Gräfin, Sie kommen mir vor, wie ein kleines Kind, dem die Puppe nicht Ordre parirt und das sie zerschlägt!«
Diese Aeußerung nahm ihm Dina sehr übel. Thränen traten von Neuem in ihre Augen.
»Sie beleidigen mich, Herr von Walram!«
»Da sei Gott vor!« sagte warm Felix, »aber glauben Sie denn, daß es so leicht sei, Verdienst und Dank sich zu erwerben, seien es auch nur Verdienste und Dank um die Armuth! Jeder Ruhm, jede [103] Befriedigung will verdient sein, und das Unglück ist stolzer als das Glück; die Armuth unnahbarer als der Reichthum, denn Dünkel ist leichter zu verdrängen, als Selbstgefühl. Um wohlthätig zu sein, ist es viel nöthiger, daß man ein reiches Herz, als einen reichen Beutel mitbringe.«
»Warum sagen Sie mir das Alles, Baron Walram?«
»Weil es mich glücklich machen würde, Sie, die vom ersten Augenblick an, zu meiner Verwunderung, in der Reihe der gewöhnlichen Frauen stand, den Thron einnehmen zu sehen, der Ihnen gebührt!«
»Welchen Thron?« frug Dina mit blassen Lippen.
»Den Thron der Barmherzigkeit!«
Dina faßte sich an die Stirn. Träumte sie? Wer redete so zu ihr, der Weltfrau, hier, in ihrem Boudoir? – War der Apostel jener junge Mann im eleganten Anzuge, der vor ihr stand, mit seinen dunklen Augen sie durchbohrend?
Da trat der Diener ein und meldete den Legationsrath von Lavallon, der eben von einer Reise zurückgekehrt sei.
[104] »Der Mann meiner besten Freundin,« hauchte Dina, aber Felix hatte schon seinen Hut ergriffen und mit einer stummen Verbeugung sich entfernt, denn jetzt war es ihm unmöglich, eine gewöhnliche Salon-Unterhaltung zu führen.
Lavallon, der den Erhitzten im Vorzimmer bei dem Vorübergehen verwundert betrachtete, trat bei Dina ein.
»Wer war der junge Mann?« frug er neugierig.
Sie wollte antworten, aber ihr Mund zitterte; Thränen stürzten aus ihren Augen, und Herr von Lavallon wußte nichts Anderes zu thun, als auf ihren Wink zu schellen und sich dann zu entfernen.