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In einer ziemlich schlecht und unordentlich aussehenden Mansardenstube in der Vorstadt St. Antoine standen zwei sehr verschiedene weibliche Wesen einander gegenüber. Die Eine schwarz, verblüht, mager und bösartigen Ausdrucks, die Andere blond, jung, schön [190] und gutmüthig, mit einem Worte, ein ächt germanisches Blut, – während die Aeltere ihre gallische Abkunft nicht verläugnen konnte.
»Sie haben mich offenbar zum Besten,« sagte die Jüngere, weinend und in nicht besonders reinem Französisch. »Sie denken nicht daran, mir eine Gouvernantenstelle zu verschaffen, und hier bleibe ich nicht länger! – Ihr Bruder ist mir unausstehlich!«
»Ist es meine Schuld, wenn Niemand eine deutsche Gouvernante sucht?« entgegnete die Andere, mit dem vollen Gewichte einer Pariserin und einer alten Jungfer, – »ist es meine Schuld, wenn Ihrem deutschen Geschmacke mein Bruder nicht convenirt, der doch einer der ausgezeichnetsten Virtuosen von Paris ist?«
»Wenn er das ist, warum spielt er denn im Orchester des Variétés die Baßgeige?«
»Weil in Paris so viel bedeutende Leute sind, ja weil Paris aus weiter gar Nichts besteht, als aus der Creme aller Künste und Gewerbe, – so können also die unbedeutenderen Stellen auch nur [191] von Genies besetzt werden, weil es in Paris nichts Anderes giebt!«
»Da ich aber kein Genie bin, so hätten Sie mich in Frankfurt lassen sollen und mich nicht durch allerlei Vorspiegelungen aus dem Hause meiner Eltern locken!«
»Also ich habe Sie gelockt? Haben Sie mir nicht mit bitteren Thränen geklagt, daß man Sie gegen Ihren Willen mit dem alten Weinhändler in Mainz verheirathen werde, – haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie lieber mit Ihrer Hände Arbeit Ihr Brod verdienen wollten, und ist nicht meine unsägliche Gutmüthigkeit allein daran schuld gewesen, daß ich Ihnen anbot, heimlich das Haus Ihrer Eltern zu verlassen und mit mir nach Paris zu kommen, da mein Bruder, dessen Frau gestorben, mich zur Erziehung seiner geliebten Kinder hierher berufen?«
»So verschaffen Sie mir eine Stelle und ich will Ihnen auch jetzt noch dankbar sein!«
»Sobald sich Etwas findet,« sagte Mademoiselle Hermione mit stolzer Bewegung und verließ den Salon, wie sie es nannte, um auf dem Vorplatze [192] der Bereitung des Diners einige Sorgfalt zu widmen.
Das junge Mädchen aber, Marie Wittich, die Pathin der Gräfin Dina Waterford, aus der Mainzer Straße in Frankfurt, setzte sich in eine düstere Ecke und weinte bitterlich.
Nicht lange währte es, so kam auch Herr Couture, Bruder Hermionens, nach Hause. Couture war das ächte Abbild eines Franzosen und ganz besonders eines Parisers: eitel, prahlerisch, geschwätzig und dabei häßlich und klein, mit einer noch nicht ganz ausgebildeten Anlage zur Corpulenz. – Lächelnd und seine weißen Zähne zeigend, ging er auf Marien zu und beachtete durchaus nicht ihre Kälte und Zurückhaltung.
Er erzählte ihr alles Mögliche, was sie nicht interessirte und wollte dabei immer ihre Hand ergreifen, die sie aber ängstlich zurückzog.
»Ich werde Sie nach Tische spazieren führen, nach dem Palais Royal, oder wohin Sie wünschen, ich habe mir heute im Theater einen Remplaçant genommen, um Ihnen endlich einen [193] Abend widmen zu können, belle et cruelle Allemande!«
»Ich danke Ihnen,« sagte Marie schnippisch, »ich gehe nicht des Abends mit Ihnen spazieren!«
»Hermione soll mitgehen, wenn Sie finden, daß mit mir allein zu gehen Sie compromittirt.«
Marie gab jetzt ihre Einwilligung, denn das arme Ding, das nun schon einige Wochen hier wie im Käfig saß, sehnte sich wirklich, einmal frische Luft einzuathmen, sei es auch selbst am Arme des unausstehlichen Wittwers.
Die liebenswürdigen Kinder, wegen deren Erziehung Hermione nach Paris zurückberufen worden, kamen nach Hause, das eine mit einer Flasche Wein, das andere mit etwas Zucker, und Hermione deckte den Tisch und trug die Speisen auf. Einen Vorzug vor ihren Landsleuten mußte Mariechen den Franzosen nach kurzer Erfahrung schon zugestehen: sie waren mäßiger, als die Deutschen. Das kleine Schüsselchen Suppe mit Fleisch, wovon hier fünf Personen essen sollten, wäre gerade für ihren Herrn Vater in Frankfurt eine passende Portion zum Nacht [194]essen gewesen. Als dieses Gericht mit viel Anerkennung von Seiten des Virtuosen und der Kinder verzehrt war, holte Hermione aus einem alten Eckschranke Etwas, das zwischen deutschem Zwieback und französischem Biscuit die Mitte hielt und das so trocken war, daß man die Zähne daran zerbeißen konnte; aber Hermione frug mit viel Pathos: » Ne prenez-vous rien du dessert?« Der jungen Frankfurterin war diese Art von Prahlerei bei dieser Armuth unaussprechlich zuwider. – Diese über Lumpen geworfene Toga ekelte sie an, aber sie wußte durchaus keinen Entschluß zu fassen, um sich von dieser Umgebung zu befreien. An ihre Eltern, denen sie entflohen, wagte sie nicht zu schreiben, und ihr kleiner Geldvorrath reichte auch nicht mehr zur Rückreise. Es blieb ihr also nichts übrig, als die Hoffnung, daß Hermione ihr Wort halten und ihr eine Gouvernantenstelle verschaffen werde.
Dazu hatte aber Hermione nicht die mindeste Lust; denn sie hatte Marien nur zum Mitgehen verlockt, damit diese ihres Bruders Frau werde, ein Loos, welches sie übrigens für sehr beneidenswerth [195] hielt. Als Hermione vor zehn Jahren nach Deutschland ging, hatte sie beschlossen gehabt, de s'allier avec un riche Allemand. Da die Ausführung dieses Vorsatzes auf einige uns unbekannte Schwierigkeiten gestoßen, so wollte sie doch wenigstens ihrer Familie ein Kleinod dieser Art mitbringen, und wenn auch keinen reichen Mann für sich, so doch eine reiche Frau für ihren Bruder.
Die Vermögensverhältnisse von Mariens Eltern behagten ihr vollkommen, und daß diese nicht der einzigen Tochter ewig zürnen und sie enterben würden, besonders wenn sie an der Hand von Monsieur Hector Couture, als dessen glückliche Gattin, ihre Verzeihung erflehte, glaubte sie wohl annehmen zu dürfen.
Hector war entzückt von der Speculation seiner Schwester und zweifelte keinen Augenblick, daß Marie, sobald er Ernst mache, mit Freuden die Seinige werden und er aus ihr eine höchst reizende Pariserin mit der Zeit heranbilden werde.
Als Marie am Abend am Arme von Monsieur Hector Couture die hellerleuchteten Straßen betrat, mußte er mit ihr vor jedem Laden stehen bleiben, [196] denn was war Frankfurt's glänzendste Handelsstraße, die Zeil, gegen diese Lädenreihen! – Im Palais Royal angekommen, kannte ihr Entzücken vollends keine Grenzen. Da hörte sie plötzlich Jemand in ihrer Nähe in deutscher Sprache sagen: »Sie ist es, verlassen Sie sich darauf!«
Sie wandte rasch den Kopf und hinter ihr stand der ihr wohlbekannte Kammerdiener der Gräfin Waterford.
In einem Entzücken, das zu begreifen man in Mariens Lage gewesen sein muß, das ihr aber keine Ueberlegung ließ, riß sie sich los vom Arme ihres Begleiters und auf Philipp zustürzend rief sie jubelnd: »Seid Ihr hier? Ist am Ende auch die Frau Gräfin hier?«
»Ja wohl, Fräulein Mariechen, und bloß wegen Ihnen ist sie hier, – sie will Sie Ihren armen Eltern, die schier verzweifeln, wieder bringen, – ich bin nur ausgegangen, um Sie zu suchen!«
So viel hatte Hermione doch während ihres zehnjährigen Aufenthaltes in Deutschland profitirt, daß sie diese Reden verstehen konnte. Sie über [197]setzte sie ihrem Bruder. Hector begriff rasch, daß er jetzt Gefahr laufe, seine schöne, kleine Beute, die er bereits als seine Braut ansah, zu verlieren. Entschlossen ging er auf sie zu und nahm ihren Arm, mit den Worten: »Kommen Sie jetzt mit uns!« Aber Mariechen klammerte sich an Philipp an und rief unter Thränen: »Schützen Sie mich vor dem Ungeheuer, oder ich sterbe!«
Es bedurfte bei Philipp nicht dieser Aufforderung, hatte er doch jetzt Gelegenheit, seinen nationalen Vortheil, die Körperkraft, geltend zu machen, gegenüber dem schwächlichen Franzosen. Mit einem raschen Stoße schleuderte er, ihn weit von sich, und währenddem Herr Hector Couture aus Leibeskräften » Au meurtre, à l'assassin« schrie, eilte er, Mariechen am Arme, zum nächsten Fiaker, schob sie hinein und setzte sich selbst zum Kutscher auf den Bock. Seine andere Begleiterin, die Kammerfrau der Gräfin, hatte er ganz und gar vergessen, – die mußte, allein zurückgelassen, zu Fuße den Weg in ihr Hotel suchen, was ihr auch nach mannichfachen kleinen, aber glücklich bestandenen [198] Abenteuern gelang. Diese Kammerfrau war Niemand anders, als die uns wohlbekannte Näherin Lieschen, der Schützling Huber's. Sie hatte unmittelbar nach Walram's Abreise von Frankfurt ihre Mutter verloren und war nun gerne in Dina's ihr so dringend angebotenen Dienste gegangen, – und Dina hielt ihren Eintritt in ihr Haus für ein Zeichen des Himmels, daß er ihre wohlthätigen Bemühungen nicht ferner vereiteln werde und nahm das arme, tieftrauernde Mädchen mit einer Freude und Güte auf, welche die Verlassene mild über die erste Zeit des Schmerzes hinweghob.
Einen größern Contrast hat wohl kaum je ein Wesen in zwei aufeinanderfolgenden Stunden in der Physiognomie seiner Wohnungen erlebt, als Mariechen. Die Mansarde Couture's und das Zimmer der Gräfin!
Dina empfing sie mit offenen Armen.
»Endlich ein gutes Werk, das mir gelingt!« rief sie mit kindischer Freude.
Mariechen war außer sich, sie küßte der Gräfin Hände und rief ein um's andere Mal: »Ach, wie glücklich bin ich! wie glücklich!«
[199] Sie mußte nun ihrer Beschützerin erzählen, wie es ihr ergangen, und Dina konnte nicht, ohne zu lächeln, die Schilderung des Virtuosen aus dem Munde ihrer kleinen, rosigen Pathe vernehmen.
Nach einer Weile begann Mariechen die Gräfin beschämt nach ihren Eltern auszufragen und erfuhr, daß sie sich zwar wohl, aber sehr betrübt ob ihrer Flucht befänden und mit Recht sich den größten Besorgnissen wegen ihres Aufenthaltes in Paris hingegeben.
»Woher wußten denn meine Eltern, daß ich nach Paris gereis't sei?«
»O mein Kind, das combinirten wir schnell genug! Am selben Tage, wie Mademoiselle Couture, warst Du verschwunden, man hatte Dich in der letzten Zeit viel mit ihr heimlich reden sehe«.« –
»So kommt also doch Alles heraus! Aber, Frau Gräfin, darf ich gleich eine recht einfältige Frage an Sie richten?«
»Frage, mein Kind, ich gebe Dir carte blanche!«
»Warum sind Sie so unendlich, so ganz ungewöhnlich einfach gekleidet? Schon im ersten Augen [200]blicke war ich erstaunt, Sie in einem dunkeln Thybet-Ueberrocke zu sehen, – Sie, – der doch Sammt und Atlas so wohl kleidet und die nie etwas Anderes trug, als die herrlichsten Stoffe?«
Dina lächelte. »Kindisches Mädchen, erscheint Dir das so wichtig, daß Du es gleich bemerktest?«
»Nicht wahr, Sie putzen sich wieder? Niemand ist so zu Glanz und Luxus geschaffen, wie Sie!«
Dina schüttelte den Kopf. »Ich habe das abgeschworen, – Du wirst noch Manches bei mir sehen und hören, was Dich verwundern wird.«
»Sie sind doch keine Beguine geworden?«
»Nein, für mich hat Louis le Bègue keinen Orden gestiftet, aber wohl ein Anderer, von dem ich Dir erzählen werde, wenn Du eine Zeitlang bei mir bleibst. Willst Du?«
»Mein Leben lang!«
»Auf ein Jahr haben Deine Eltern Dich mir für den Fall, daß ich Dich fände, übergeben. Sie wünschen, daß man in Frankfurt Deinen tollen Streich vergesse und hoffen, daß, wenn Du nach Jahr und Tag als eine große, vernünftige Person [201] wiederkehrst, man es Dir als einen Kinderstreich anrechnen und verzeihen werde. Mir mußt Du jetzt gehorchen!«
Mariechen jubelte laut auf. Bei Dina zu bleiben, hieß die Erfüllung ihres heißesten Wunsches, – und mit kindlicher Unterwürfigkeit erfüllte sie am nächsten Morgen deren Begehren, einen Verzeihung flehenden Brief an ihre Eltern zu schreiben.
Dina schlief noch, während ihr Schützling diese Pflicht erfüllte. Obgleich sie die Abende wenig ausging, hatte sie doch schon die Pariser Sitte, lange zu schlafen, angenommen. Am Morgen, als sie erwachte und auf der Uhr neben ihrem Bette nachsah, war es schon zehn Uhr.
»Was wird Mariechen denken, daß ich so lange geschlafen!« sagte sie ganz erschrocken, und anstatt ihrer Kammerfrau zu schellen, wie sie gewöhnlich zu thun pflegte, stand sie rasch allein auf, warf ihren türkischen Schlafrock um und öffnete die Thüre ihres Salons. Sie hörte lautes Gespräch und blieb unwillkürlich stehen: die Thüre in das Vorzimmer war [202] nur angelehnt, und hier wurde die Unterhaltung zwischen Philipp und Lieschen geführt.
»Stanislaus? Wer ist denn das?« frug Lieschen.
»Ja so, Sie kennen ihn nicht,« sagte Philipp. »Es ist der Kammerdiener des Herrn von Walram, der in Frankfurt viel in unser Haus kam. Ich möchte wohl an Stanislaus' Stelle sein, sein Herr nimmt ihn mit nach Rom. Am ersten October segeln sie von Marseille ab. Möchten Sie nicht auch Rom und den Papst sehen, Jungfer Lieschen?«
Lieschen sagte eintönig: »O ja!«
Dina ging eben so leise, wie sie gekommen, wieder in ihr Schlafzimmer zurück, schloß unhörbar die Thüre und warf sich zitternd in einen Sessel.
Er war hier, er athmete eine Luft mit ihr. Und nun trat die Versuchung vor sie, sollte sie ihm folgen, ein paar Tage in seiner Gesellschaft glücklich sein? – Sie konnte es thun, ohne sich zu compromittiren, und sie widerstand auch nicht. Binnen einer Viertelstunde hatte sie in ihrem energischen Sinne Alles geordnet, und als sie jetzt Lieschen schellte, konnte das Mädchen gewiß nicht bemer [203]ken, welche Gemüthsbewegung ihre Dame eben empfunden.
»Ich habe leider vergessen, Dir gestern Abend zu sagen, daß Du mich bei Zeiten wecken solltest. Denn wir haben heute wenig Zeit, Lieschen, weil wir noch diesen Abend mit dem letzten Eisenbahnzuge nach Chalons gehen werden.«
Lieschen sagte weiter nichts, als: »Wie Sie befehlen, gnädige Frau Gräfin.«
»Thut es Dir nicht leid, Paris schon so bald zu verlassen?«
Lieschen sagte mit einer Ruhe, die manchen Philosophen beschämt haben würde: »Was liegt mir an Paris!«
Die Gräfin befahl nun, Mariechen zu rufen. Als sie dem Kinde erklärte, daß sie sie mit nach Rom nehmen wolle, wußte diese ihre Dankbarkeit gar nicht genug an den Tag zu legen – und Philipp, Philipp konnte es gar nicht begreifen, daß sein Wunsch von heute Morgen schon in Erfüllung gehe. – »Ich bin ein Glückskind!« sagte er triumphirend zu Lieschen.
[204] Es war zwar erst der vierte des Monats September und Dina hätte, um mit Felix auf dem Schiffe zusammenzutreffen, nicht nöthig gehabt, so schnell Paris zu verlassen, aber sie wollte ihm hier um keinen Preis mehr begegnen und fürchtete, daß ebenso, wie sie durch ihren Diener seine Anwesenheit in Paris erfahren, ihm durch den seinigen die ihrige kund werden möchte.
Stanislaus wußte aber nicht, daß die Gräfin Waterford seinem Herrn interessanter sei, als jede andere Frau und sprach nicht von ihr, und so erfuhr Felix nichts von Dina's Anwesenheit in Paris.
Er hatte seine Abreise von dort so lange aufgeschoben, weil er immer noch hoffte. Huber auf irgend eine Weise in Paris unterbringen zu können. Aber den Gedanken, den jungen Wiener hier zu verlassen, ließ ihn bald seine Gutmüthigkeit aufgeben, obgleich er ihm eigentlich fürchterlich zur Last war. Denn Joseph war in Paris wieder viel unglücklicher und haltloser, als er in Cöln gewesen. Paris, das er einst als glänzender, reicher, an die ersten Banquierhäuser empfohlener, junger Mann [205] gesehen, – da hielt er sich jetzt als der Begleiter und Gesellschafter eines Andern auf und konnte an Nichts Theil nehmen, woran früher sein ganzes Herz gehangen. Denn zu seiner Ehre sei es gesagt, daß er Walram's ihm immer offenen Beutel nur mit der allergrößten Discretion benutzte, und trotz allem Leichtsinn und aller Schwäche doch noch zu viel Stolz besaß, um sich auf Kosten seines großmüthigen Freundes zu vergnügen. Jeden Abend ließ ihm Felix ein Billet in ein Theater holen, obgleich er ihn nur selten begleitete, denn er hatte in Paris zu viele Bekannte, die ihn in Anspruch nahmen und bei denen er Huber nicht einführen konnte.
Felix hatte noch eine letzte Hoffnung für Huber. Joseph hatte ihm nämlich erzählt, daß eine Tante von ihm in Neapel mit ihrem Manne, der dort eine Fabrik angelegt habe, etablirt sei und hatte viel von der Liebenswürdigkeit und dem Reichthume dieser Tante gerühmt. Wenn diese Frau ihn in ihr Haus ausnähme, dann konnte Felix über sein Schicksal ruhig sein; er beschloß also, ihn erst dahin zu bringen und dann zu Lande nach Rom zu reisen, denn [206] gerade in Rom, welches er von einem frühern Aufenthalte her schon kannte, war ihm Joseph besonders lästig. Im alten, heiligen Rom konnte er nur einsam oder mit gleichfühlenden Menschen leben, und es gab keinen größern Contrast, als Felix und Joseph, obgleich nur der Erste das einsah und Joseph von jeher sich für einen ganz passenden Gesellschafter des Baron Walram gehalten, wenn er auch Felix' höhere Natur gern anerkannte.
Alle Versuche, die Felix angestellt, um dem jungen Wiener eine ernstere Lebensanschauung beizubringen, waren gänzlich gescheitert. Als er noch im Besitze seines Vermögens war, hatte er Felix geradezu ausgelacht, wenn dieser irgend eine ernste Lebensansicht, ein religiöses Bedenken, eine moralische Auffassung der gesellschaftlichen Verhältnisse verrieth. Jetzt freilich lachte er nicht, aber das geschah nur, weil er überhaupt nicht mehr lachte und immer in tiefe Melancholie versunken da saß; aber er achtete, ja er hörte es gar nicht, wenn Walram ihm beweisen wollte, daß man, auch ohne reich zu sein, das Leben genießen und zwar von einer edlern [207] Seite genießen könne, als dies je durch die Hülfe des Goldes möglich sei. Seine Auffassung war eine ganz gewöhnliche, und dennoch hielt er sie nicht dafür, denn er sagte sehr naiv: »Ich will nicht Geld um des schnöden Metalls willen besitzen, ich bin kein Geizhals, ich möchte es nur besitzen und betraure nur seinen Verlust, weil es mir jetzt nicht erlaubt ist, damit mir und Andern das Leben zu verschönern.«
Felix frug ihn einmal: »Wem haben Sie es denn verschönert? Doch nicht Lori, die eigentlich nur um Ihres Geldes willen Sie verlassen hat?«
»Nur um meines Geldes willen?« frug Joseph mit weit aufgerissenen Augen.
»Ja, denn wären Sie nicht so reich gewesen, so hätten andere leichtsinnige Frauen Ihnen nicht so viel Avancen gemacht, Ihre Festigkeit wäre nicht so auf die Probe gestellt worden und Sie wären Lori nicht so oft untreu gewesen!«
»Wegen meiner Untreue hat mich Lori nicht verlassen, sie machte sich gar Nichts daraus!«
»Glauben Sie das nicht,« sagte Felix ernsthaft, »keine Frau, auch die allernachsichtigste, ja selbst die, [208] die für sich die größte Freiheit in Anspruch nimmt, ist gleichgültig gegen die Untreue ihres Mannes oder ihres Geliebten, denn es verletzt zu sehr ihren Stolz und ihre Eitelkeit. Der höchste Ruhm einer Frau besteht darin, wenn der, den sie vor Allen erwählt, ihr treu bleibt, – und die größte Schmach ist es für sie, wenn er ihr eine andere vorzieht. Für die gewöhnlichen Weltmänner ist es nur Ehrensache, wenn ihre angetraute Frau keinen Andern begünstigt, außerdem aber liegt ihnen nicht viel daran.«
»Sie haben sonderbare Begriffe,« sagte Huber kopfschüttelnd, »Sie, ein Weiberfeind, sollten eigentlich gar nicht über die Frauen sprechen, – was wissen Sie denn davon! –«
»Meinen Sie?« frug Felix. Aber er nahm seinen Hut und ging hinaus, denn wie Joseph ihm nicht gestatten wollte, von den Frauen zu reden, weil er sie zu wenig kenne, eben so konnte er es nicht ertragen, von Joseph etwas über das andere Geschlecht äußern zu hören, – vor Joseph's Erfahrungen und Ansichten schauderte ihm.