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Dreizehntes Kapitel.
Der Lombardo.

Marseille, die prächtige Hafenstadt, sonnte sich im hellen Glanze eines Septembertages; auf den Straßen das bunte und laute Gewühl des Südens, auf dem Meere die heilige, nie von Menschen gestörte Ruhe.

Eine Barke, worin eine Dame mit zwei Begleiterinnen und einem Diener saß, glitt rasch durch die endlosen Schiffsreihen dahin. Wohl eine halbe Stunde mußten die Bootsleute rudern, bis sie zur Seite des mächtigen Dampfers anlegen konnten, an dessen Bord die Dame verlangte. Es war der Lombardo, eines der größten und besten Schiffe der französisch-neapolitanischen Gesellschaft. Der Capitän, ein Sicilianer, mit breiter Brust und dunklem Teint, empfing oben die Dame und sagte, daß die Abfahrt des Dampfers sehr bald bevorstehe. Sie nahm das eine junge Mädchen unter den Arm und ließ sich eine besondere Cajüte zeigen, die sie oben [210] auf dem Verdeck gemiethet. Es waren deren zwei solche besondere Räume vorhanden.

»Ist die andere Cajüte auch genommen?« frug sie den Capitän.

»Ja wohl, ein liefländischer Baron, der heute Morgen hier war, hat sie gemiethet.«

Die Dame, von der man wohl erräth, daß es Dina war, mußte den Kopf wegwenden, um die glühende Röthe ihres Gesichts zu verbergen, – sie wußte nur zu gut, wer ihr Nachbar hier oben sein werde, – ihn sollte also für die ganze Reise nur eine dünne Bretterwand von ihr trennen.

Mariechen und Lieschen schliefen unten in der großen Damencajüte, und dahin begab sich auch Dina jetzt mit ihnen, weil die Sonne ihr oben zu glühend auf den Scheitel brannte und sie auch vorzog, mit Felix erst zusammenzutreffen, wenn das Schiff schon in Bewegung war.

Kurze Zeit nachher kamen wieder Passagiere, ein junger, hochgewachsener Mann und ein zierliches Mädchen. Der junge Mann betrachtete mit dem lebhaftesten Interesse das Schiff und seine Einrich [211]tungen, während seine Begleiterin auf einem Feldstuhle Platz nahm und in melancholischen Gedanken versunken in den blauen Spiegel starrte, bis sie auf einmal vor dem Klange einer Stimme, wie elektrisch getroffen, in die Höhe fuhr.

»Baron Walram!«

»Lori!« rief er hinwiederum, ihr herzlich die Hand reichend, »wie kommen Sie hierher?«

»Ich fahre nach Messina.«

»Allein?«

»Nein, Paul ist bei mir.«

»Und bei mir,« sagte Felix stockend, »rathen Sie nicht, wer bei mir ist?«

»Wohl eine schöne, junge Frau?« frug Lori mit etwas zitternden Lippen.

»Nicht doch, Joseph Huber!«

»Jesus Maria!«

»Ja, es ist schlimm! Was soll ich nun anfangen? Wenn er Sie sieht, wird er toll, und wenn Sie ihn sehen, – nun, freuen werden Sie sich nicht über seinen Anblick, – dort unten steht er!«

[212] »Wie!« rief Lori, »die zusammengesunkene Gestalt mit den bleichen Wangen, die Mütze tief in die Augen gedrückt, das wäre der flotte Seppi?«

»Er ist's!«

»Mein Gott, was ist ihm denn?«

»Er hat sein ganzes Vermögen und seine halbe Vernunft verloren, – er ist ein armer Narr! Ich schleppe ihn mit mir herum, weil er mich dauert, wie ein herrenloser Hund!«

»Spricht er noch von mir?« frug Lori athemlos.

»Jeden Tag, jede Stunde! Ach, Lori, es war doch nicht recht, daß Sie den armen Jungen verließen, – ich weiß nicht, was aus ihm werden soll!«

»Hören Sie, – ich darf nicht mit ihm zusammentreffen, – denn er würde gewiß nicht schweigen?«

»Es giebt kein Mittel, ihn dazu zu bewegen. Sein Geist ist viel zu schwach geworden, um irgend Etwas zu begreifen, was Ueberlegung fordert. Sobald er Sie sieht, fällt er Ihnen vor der ganzen Schiffsmannschaft um den Hals. Ich kann weiter Nichts thun, als ihn in die Cabine einsperren, die ich hier auf dem Verdeck gemiethet habe, denn ich [213] mochte nicht immer mit Joseph zusammen sein. Ich wollte ihn mit Stanislaus, für den ich um Huber's willen den ersten Platz genommen, unten in der großen Herren-Cajüte schlafen lassen.«

»Nein, nein, er würde mich doch einmal treffen – und Paul, Paul, der so eifersüchtig ist!«

»Sind Sie schon lange verheirathet?«

»Ich bin noch gar nicht verheirathet, denn ich konnte meine Papiere nicht aus Wien kommen lassen, mein Schwiegervater durfte nicht erfahren, daß ich das uneheliche Kind einer Choristin bin. Paul weiß Alles, aber er hat seinem Vater gesagt, da die verlangten Papiere nicht eingetroffen, so wolle er ohne sie mit mir abreisen und der alte Herr solle sie uns nach Messina nachschicken. Er hoffte, dort einen Mönch zu finden, der uns ohne Papiere traute, oder wenn man sie auch dort verlangte, wollte er sie sich dorthin kommen lassen. Aber das ist jetzt Alles nicht nöthig! Dies Zusammentreffen mit Huber ist mir ein Fingerzeig des Himmels, daß ich niemals Paul's Weib werden kann! Gott sei Dank, daß ich es noch nicht bin!«

[214] »Was wollen Sie denn thun?«

»Mein unnützes Leben dem armen Joseph widmen, der doch nicht ohne mich leben kann! Paul wird sich trösten, er ist ein Mann, Joseph ist ein Kind!«

»Ach,« sagte Felix, »Sie wissen nicht, in welchem Grade er es jetzt ist!«

»Wissen Sie kein Mittel, mich mit ihm zu vereinigen und mich von Paul zu trennen?«

»Bleiben Sie Beide hier zurück, Huber und Sie.«

»Es ist das Beste! Rufen Sie Huber, ich will einstweilen schnell in eine der Barken steigen, die noch am Schiffe liegen, schicken Sie ihn zu mir.«

»Haben Sie denn Geld?«

»Nichts!«

»So nehmen Sie!«

Aber in diesem Augenblicke schrie der Capitän und der Schiffsjunge, der zwischen ihm und dem Maschinenraume über der Luke stand, wiederholte: »Avanti!« Die Räder schlugen ein; es war zu spät.

»Giebt es denn kein Mittel,« rief Lori händeringend, »mich auf dem Schiffe allen Augen zu [215] verbergen? – Wenn Joseph mich sieht, läßt er nicht von mir, und wenn Paul mich mit ihm sieht, tödtet er ihn und mich!«

Felix folgte dem ersten Eindrucke des Mitleids mit dem Jammer Lori's, er ergriff des Mädchens Hand, sie standen vor seiner Cabine, er öffnete rasch die Thüre mit dem Schlüssel, den ihm der Capitän übergeben, und Lori rief ihm zu: »Vergelt es Ihnen Gott!« und war verschwunden.

Paul, der offenbar nach Lori suchte, – das Schiff und seine Einrichtung hatte bisher all seine Aufmerksamkeit gefesselt, – ging, ohne Felix zu erkennen, an ihm vorüber.

Nach einer Weile hörte Felix leises Klopfen an der Cabinenthüre, vor welcher er noch immer, in Gedanken über dies Zusammentreffen verloren, stand; er öffnete, Lori reichte ihm einen Zettel heraus und flüsterte: »Lassen Sie das durch einen Matrosen an Paul geben.«

Felix ging und suchte einen Schiffsjungen auf, dem er ein paar Franken in die Hand drückte, und nachdem er ihm Paul gezeigt, gab er ihm auf, jenem [216] Herrn das Billet in einer Viertelstunde zu überbringen und zu sagen, daß eine vom Schiffe abfahrende Dame es ihm zur Besorgung zurückgelassen.

Joseph kam jetzt zu Felix; Beide standen vor der Cabine, worin Lori eingeschlossen war, und, das Gesicht an den Vorhang des kleinen Fensters gedrückt, konnte die Unglückliche Beide sehen und verstehen.

»Wie geht es Ihnen, Huber?« frug Felix, »thun Ihnen die Wellen nichts?«

Huber schüttelte den Kopf, dann sagte er spöttisch: »Wenn ich nur seekrank würde, das wäre doch einmal eine Veränderung in meinem Elende!«

Paul kam jetzt wieder vorüber und sah sich nach allen Seiten um. Doch mochte er wohl denken, Lori könne in die Damencajüte gegangen sein, und so nahm er in der Nähe der beiden jungen Männer auf einem Feldstuhle Platz und rauchte ruhig seine Cigarre. Felix konnte ihn nicht ohne tiefes Mitleid betrachten; dies heitere Antlitz, von dem er wußte, daß es in einigen Minuten unfehlbar von tiefem Schmerz entstellt sein werde.

[217] Als Felix den Schiffsjungen mit dem Billet von Weitem kommen sah, klopfte ihm das Herz, als sei er selbst allein am Kummer schuld, den der junge Mann empfinden sollte.

Paul nahm betroffen das Billet; als er die Adresse, mit Bleistift von Lori's Hand geschrieben, sah, erschrak er, aber er frug den Jungen nichts und dieser entfernte sich schweigend.

Das Billet, das Paul rasch von einander riß, enthielt die wenigen Zeilen:

»Noch zu rechter Zeit, lieber Paul, kommt mir die klare Einsicht, daß Du eine bessere Frau verdienst, als ich bin! Ich tauge zu weiter Nichts, als einem Unglücklichen, der mich in seinem Glücke geliebt hat, der Trost zu sein, der ich ganz allein ihm sein kann! Vergiß mich! – Du hättest mich nie treffen sollen! Der Himmel segne Dein gutes, edles Herz und mache Dich durch eine Andere glücklich!«

Paul wurde todtenblaß, Lori sah aus ihrem Versteck, wie er aufsprang und den Schiffsjungen suchte, der ihm die Unglückszeilen überbracht hatte.

[218] Währenddeß durchschnitt der Lombardo mit kühnem Schaufeln die himmelblaue Bahn; ruhig und stolz lag das Meer und ruhig und stolz glitt er darüber hin und kümmerte sich wenig um die gebrochenen Herzen, die er am Bord mit sich führte.

Felix suchte, als es anfing zu dämmern, die große Cajüte auf; Männer und Frauen saßen da in buntem Gemisch, und er nahm mit Huber, der ihm, wie sein Schatten, überall hin folgte, nahe am Eingange Platz, ohne die Gesellschaft viel zu mustern, denn die Begegnung mit Lori hatte ihn tief verstimmt und erfüllte ihn mit Sorgen. Er überlegte, daß er mit dem Capitän reden müsse, mit den Kellnern, daß sie Essen dahin brächten, und daß er auch Huber sagen müsse, er habe seine Cabine an eine kranke Dame abgetreten.

Endlich erhob er sich wieder; Joseph, ebenfalls aufstehend, frug: »Wollen Sie hinaufgehen?«

»Ja!« antwortete er ungeduldig, »doch bleiben Sie hier, ich habe oben mit Jemanden zu sprechen.«

Joseph setzte sich wieder; Felix ging hinauf, um Alles, was Lori bedurfte, zu besorgen; doch kaum [219] hatte er einen Kellner angeredet, als er sich am Arme gezupft fühlte und beim Umblicken Huber wieder neben sich stehen sah.

»Ich habe Sie doch ausdrücklich gebeten, mich endlich einen Augenblick in Ruhe zu lassen!« sagte er jetzt ernstlich böse.

Joseph, ohne im Mindesten gereizt zu werden, denn er schien alle Spannkraft verloren zu haben, sagte trotzdem ganz freundlich: »Ich komme nur, um Sie zu benachrichtigen, daß sich unten eine gute Bekannte von Ihnen befindet. Die Gräfin von Waterford aus Frankfurt.«

»Dina, Dina unten? Es ist nicht möglich!« rief nun Felix in so großer Aufregung, daß es selbst den geblendeten Augen des armen Joseph auffiel.

»Kommen Sie nur mit und sehen Sie selbst!«

Felix schob Joseph auf die Seite und stürzte die kleine, gewundene Schiffstreppe hinab.

Als er über die Schwelle des Salons trat, stand sie vor ihm, im ganzen Glanze ihrer Schönheit, – zitternd, erröthend und erbleichend.

[220] »Ist es möglich! Sie hier?« rief er in heller Freude, und Dina wurde so gerührt von diesem rückhaltlosen Jubel, daß sie kaum ihre Thränen verbergen konnte.

»Wohin gehen Sie?« frug er, an ihrer Seite Platz nehmend.

»Nach Rom, mit meiner kleinen Pathe hier, die Sie ja schon einmal in Frankfurt bei mir getroffen haben. Sie wissen, ich will ein neues Leben anfangen, aber zuerst mein altes Leben mit der Erfüllung eines Lieblingswunsches beschließen, einer Reise nach Rom, nach Neapel.«

»Man kann nirgends ein neues Leben besser anfangen, als in Rom, ja man thut das dort unbewußt, wenn man nicht ein rettungslos verkommener Philister ist, und das ist ja die glorreichste Seite Ihres Geschlechts, daß es keine Philister unter Ihnen giebt!«

»O doch!« sagte Dina lachend, »die Frauen, von deren verwaschenem, verbügeltem und verkochtem Leben Jean Paul spricht, das sind ächte Angehörige des Geschlechts, welches leider nicht [221] ganz und gar von Simson unter dem Schutt des Tempels begraben wurde! Wohin reisen Sie denn jetzt?«

»Nach Rom, um mir den dritten Orden zu holen!« sagte Felix mit unaussprechlich bitterer, aber nur ihm selbst verständlicher Ironie.

Dina frug nicht weiter, denn sie bemerkte eben Huber, der sich bisher in bescheidener Entfernung gehalten und begrüßte ihn so freundlich, wie sie es früher nie gethan. Sie hatte in Frankfurt am Tage ihrer Abreise von seinem Verluste gehört, ahnte aber Nichts von dem schrecklichen Einfluß, den das Unglück auf seinen Geist geübt, und konnte das auch jetzt nicht bemerken, denn als sie den Aermsten so freundlich bewillkommnete, thaute er förmlich an den warmen Strahlen ihrer Augen auf und benahm sich vollkommen so, wie es passend war. Er beantwortete ihre Fragen ruhig und bescheiden, und die ängstliche, melancholisch-scheue Miene, mit welcher er sonst dazusitzen pflegte, ließ sich diesen ganzen Abend nicht wieder bemerken. Es war offenbar, er nahm sich zusammen, und als Dina sich bald [222] zurückzog, frug er Felix ganz stolz: »Heute Abend waren Sie doch mit mir zufrieden?«

Felix drückte ihm wehmüthig die Hand; er dachte an die arme Lori, die um dieses Menschen willen ein heitres und glückliches Loos von sich gestoßen!

Paul bekam er erst spät wieder zu Gesichte. Als beinahe alle Männer sich schon in ihren schmalen und niedern Betten, unter Fluchen und Schelten und Aechzen und Stöhnen, es möglichst bequem gemacht, sah er Paul's hohe Gestalt gebückt durch die niedere Thüre eintreten.

Sein Haar hing ihm über die Augen und die Blässe seiner Wangen war zum Erschrecken. Er blieb nicht im Saale. Nachdem er aus einem kleinen Necessaire, das vor seiner Schlafstelle lag, eine in dunklen Saffian gebundene Brieftasche genommen, stieg er wieder langsam und wortlos aufs Verdeck, um da oben vom Winde, der sich ziemlich stark erhoben, den Sturm in seiner starken Brust übertäuben zu lassen. Hatte Lori ihn diese Nacht gesehen, wie seine große, sonst so aufrechte Gestalt über Bord sich beugte, und Thräne um Thräne im Schutze der [223] dunklen Nacht sich zu den salzigen Wellen da unten mischte, sie hätte es nicht in ihrer engen Kammer ausgehalten und wäre zu ihm gestürzt und hätte seine Kniee umklammert und ihm Alles gestanden und ihr Schicksal in seine Hände gelegt.

Als aber der Morgen heraufkam und sie ihn von ihrem Fenster aus wieder auf- und niederwandeln sehen konnte auf dem Verdeck, hatte sich der Sturm in seinem Innern gelegt.

Ein Gemüth, wie das des jungen Paul, kämpft seine starken Schmerzen rasch darnieder, nur weichliche Menschen finden in der Verlängerung des Grames um unersetzlich Verlornes (und das war ihm Lori, da sie ihm schrieb, daß sie sich von nun an einem Andern weihe) eine Genugthuung.



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