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Als Marie am ersten Morgen auf dem Schiffe die Augen aufschlug, sah sie sich mit Verwunderung in dem Gemache um. Die erste Damencajüte ge [224]währte einen komischen Anblick, – die Wände, nichts als Betten, immer drei übereinander und in jedem dieser Betten eine verschieden costümirte und drapirte Gestalt. Auf den Tischen und Divans lagen in bunter Unordnung die Garderobestücke der achtzehn Damen, die hier übernachtet, und als eine nach der andern in dem Schlafrock oder Ueberwurfe, Mantel oder Kassaweika, alle Damentrachten waren vertreten, sich aufrichten wollte und nicht konnte und jammernd zurücksank, mußte die junge Frankfurterin das Lachen verbeißen, bis es ihr selbst eben so ging.
In der Nacht halte sich nämlich ein ziemlich starker Sturm erhoben, der alle Damen in tiefen Schlaf geschaukelt, aber zugleich sie gerüttelt, bis sie, ohne es zu ahnen, alle steife Glieder davongetragen.
Eine unternehmende Pariserin war die Erste, welche die Macht über ihren widerspenstigen Rücken wiederfand. Die übrigen Damen folgten, je nach der Stärke ihrer Willenskraft. Die Toilette ging sehr langsam von Statten, denn da das Schiff noch [225] heftig schaukelte, war es höchst mühsam, sich auf den Füßen zu erhalten, – die Meisten gaben es ganz auf, denn sie wurden darüber seekrank und krochen wimmernd zurück in ihre schmalen Betten.
Marie und Lieschen aber, Eine auf die Andere gestützt, erstiegen siegreich die Treppe, und oben, wo die frische Meeresluft ihnen entgegen wehte, fühlten sie sich bereits wie halb genesen.
Aus ihrer Cajüte trat Dina ihnen strahlend entgegen, – sie fühlte kein Leid, keinen Schmerz und ihr heiterer Muth beschämte die beiden jungen, kleinlauten Mädchen.
Felix hatte Paul am Morgen angeredet, um durch offenes Entgegenkommen jeden aufsteigenden Verdacht wegen seiner Mitwirkung bei Lori's Verschwinden im Keime zu ersticken, und war auch herzlich und offen, wie es in der Weise des jungen Mannes lag, von ihm begrüßt worden.
Bei dem Frühstück stellte Felix der Gräfin und Marie den jungen Rheinländer vor; der gute Tact des jungen Mannes war ihm Bürge, daß er selbst der vornehmen Dame gegenüber sich richtig zu be [226]nehmen wissen werde, und er hoffte ihn durch die Bekanntschaft dieser anmuthigen Frauen für die Vereinsamung zu entschädigen, zu welcher er selbst, wenn auch gegen seinen Willen, beigetragen, und ihn von den traurigen Gedanken an Lori zu zerstreuen.
Nach dem Frühstück, dessen Ende übrigens die wenigsten Damen erlebten, da der Sturm nicht nachließ und Eine nach der Andern seekrank wurde, blieb Felix mit der einzig verschonten Dina allein und unterhielt sich mit so ungestörtem Vergnügen, wie lange nicht, mit ihr, während Paul die kaum ihm bekannt gewordene Marie in ihrer Hülflosigkeit auf das Verdeck brachte, und Joseph das wirklich plötzlich todtkranke Lieschen von einer Stelle zur andern geleitete, da sie immer meinte, anderswo sei es besser, und überall sich doch nur immer übler und übler befand.
Welche Freude hatte das arme, blasse Lieschen gehabt, seinen Wohlthäter hier wieder zu finden, der es ihr jetzt in den Qualen der Seekrankheit zum zweiten Male wurde.
[227] Was aber mußte Lori empfinden, als sie von ihrem Fenster aus die drei jungen Männer so beschäftigt sah! Felix führte Dina in heiterm Gespräche auf den schwankenden Brettern auf und ab. Paul hatte Mariechen auf Stühle und Mäntel gebettet und hatte sich ihr zu Füßen ausgestreckt und hielt ihren Schirm, während Huber mit Lieschen die Bank unmittelbar vor Lori's Cabine eingenommen hatte. Mit dem Arme das leidende Geschöpf stützend, dessen bleiches Haupt mit geschlossenen Augen an seiner Schulter ruhte, saß er geduldig Stunde um Stunde.
Am Abend legte das Schiff vor dem unvergleichlichen Genua an. Als es in den Hafen einlief, den auf grünen Hügeln die città superba umschließt, sagte Dina zu Felix:
»Jedesmal, wenn ich solch eine Stadt der Schönheit sehe, frage ich mich mit Verwunderung: Warum wohnt hier nicht alle Welt?«
»Weil,« sagte Felix lächelnd, »Niemand thut, was gut ist und Niemand liebt, was schön ist, – es ist immer etwas Anderes dabei, was den Men [228]schen anzieht, während er glaubt, nur diesen beiden Mächten zu opfern.«
»Ich liebe das Schöne mit Inbrunst!« sagte Dina warm.
»Auch ich!« sagte Felix.
Dina schüttelte den Kopf und sagte, indem sie in ihren alten Fehler, die Coquetterie, zurückfiel: »Sie sind viel zu vernünftig, zu tugendhaft, zu überlegt, um sich um etwas so Unnützes, wie die Schönheit, zu kümmern, das thun so unnütze Leute wie ich.«
»Ich glaubte,« sagte Felix mit einer gewissen Härte, »Sie rechneten sich nicht mehr dazu, zu den unnützen Leuten!«
Dina sah ihn lange an, dann sagte sie bitter: »An Ihnen ist wahrhaftig ein Hofmeister verdorben.«
»Und an Ihnen eine Königin!« sagte nun wieder heiter Felix, indem er sich vor ihr verbeugte.
Sie wollte von etwas Anderm reden und sagte nun: »Wissen Sie, Herr von Walram, daß ich diese Nacht mich ordentlich gefürchtet habe? Ich hatte eine Nachbarin, die unaufhörlich weinte und schluchzte.«
[229] »Vielleicht die Seekrankheit!« sagte Felix etwas verlegen, was Dina nicht entging.
»Nein, nein, es war Kummer, Nichts als Kummer. Wissen Sie nicht, wer die Dame ist? Die Thüre und das Fenster blieben heute den ganzen Tag geschlossen.«
»Ich weiß es nicht!« sagte Felix gequält und ging weg, denn ihm fiel ein, daß er, da er mit der übrigen Gesellschaft die Nacht in Genua zubringen wollte, Lori davon benachrichtigen mußte.
Als er von seinen Bekannten Niemand in der Nähe sah, schlüpfte er schnell in die Cabine. Lori saß in stummer Verzweiflung da.
»Haben Sie's gesehen?« frug sie bitter, »Paul hat mich schon vergessen! Mit dem jungen Dinge ist er den ganzen Tag herumgezogen und hat sie geführt, getragen und gehütet, und es sind kaum vier und zwanzig Stunden, daß er noch mein Bräutigam war!«
»Das müssen Sie nicht so ernsthaft nehmen, liebe Lori! Das Kind war sehr krank und hatte Niemand, der sich seiner annahm. Die Seekrank [230]heit macht schneller mit einander bekannt, als ein Jahr gewöhnlichen Umgangs.«
»Das sehe ich! Denn auch Joseph, um dessentwillen ich dieses Opfer gebracht habe, hat sich mit der Elenden, die mich verrathen hat, auf das Innigste zusammengeschlossen. Er, der ehemals so hochmütige Mann, … mit einer Kammerjungfer!«
»Lieschen ist nicht, wofür Sie sie halten. Sie wissen, daß Huber sie schon früher kannte und schon in Frankfurt ihr Wohlthäter war. Uebrigens hat Lieschen Sie nicht verrathen, im Gegentheil sich für Sie aufgeopfert. Das werde ich Ihnen einmal später erzählen. Aber jetzt komme ich, um Sie zu fragen, ob Sie, da wir Alle für die Nacht und einen halben Tag das Schiff verlassen, darauf bleiben wollen, oder ob ich Ihnen in der Dämmerung eine Barke schicken soll, welche Sie an's Land bringt?«
»Was hülfe es mir,« sagte Lori bitter, »ich müßte mich dort ja auch einschließen! Nein, ich will hier bleiben; wenn Ihr alle fort seid, kann ich hier frei herumgehen.«
[231] »Das können Sie! So leben Sie wohl bis morgen!«
Lori sagte trotzig, ohne ihn anzusehen: »Leben Sie wohl!«
Als Felix heraustrat, stand er vor Dina.
»Ich meinte,« sagte sie sehr spöttisch, »Sie wüßten nicht, wer in der Cabine sei?«
»Der Capitän hat mich gebeten, da er kein Englisch spricht, die kranke Dame zu fragen, ob sie auf dem Schiffe bleiben will.«
»Ist die ›kranke Dame‹ jung?« frug Dina noch immer in demselben Tone.
»Ich habe das nicht bemerkt, sie war so eingehüllt.« –
»Warum schickt denn der Capitän nicht den Kellner, der vortrefflich englisch spricht?«
Felix zuckte die Achseln. Glücklicherweise hielt das Boot an der Seite des Schiffes und die ganze Gesellschaft wurde aufgefordert, hineinzusteigen.
In Genua wies man unseren Reisenden ein ächt italienisches Wirthshaus an, d. h. einen ehemaligen Palast, worin auch noch die Einrichtung [232] und Möbel aus der Zeit seines Glanzes sich befanden. In den unendlich hohen Zimmern Damastvorhänge, von Herzogskronen gehalten, und Herzogskronen über den Betten, in denen jetzt meistens englische Plebejer, französische Handlungsreisende oder halbwilde Russen schliefen. Welch ein Contrast zu den edlen Bewohnern von Einst, jenen königlichen Edelleuten von Genua!
»Genua trägt vor allen großen Städten den Stempel des Vornehmen und Romantischen,« sagte Felix zu Dina, als sie am folgenden Morgen die Runde in den merkwürdigsten Palästen machten.
Diese weißen Marmorpalais, mit den Cypressenwäldchen und Springbrunnen dahinter, in die man aus den rückwärtsgelegenen Zimmern des ersten Stockes tritt, da Genua meistens hügeligtes Terrain hat, die vergoldeten Säle, mit unschätzbaren Gemälden geziert, die zu erhalten der höchste Stolz dieser alten und edlen Familien ist, – in welch Entzücken versetzte das Alles die schönheitdurstige Dina, – und dazu an seinem Arme gesehen; sie hatte die Ueberzeugung, heute den glücklichsten Tag ihres Le [233]bens zu feiern. Und vielleicht war dem auch so, denn das Glück kann sich ja nur in dem Maße geltend machen, als man für das Glück empfänglich ist.
Auch Felix, der schon vor mehreren Jahren in Genua gewesen, erschien heute Alles ganz anders, – es war ihm, als sei die Sonne über Genua aufgegangen.
Mariechen hatte zuweilen vor Freude über die unvergleichliche Natur und die erhabenen Kunstdenkmäler und den Zauber der großen Erinnerungen, die an jedem Steine Genua's haften, die hellen Thränen in den Augen, und ihr frisch aufjauchzendes Entzücken weckte in der Brust ihres Begleiters, des ehrlichen Paul, verwandte Klänge. Genua wurde an dem einen, einzigen Tage für sein verdüstertes Gemüth die klare Fluth, woraus es schlacken- und kummerfrei sich erhob. Die dunkeln Zauberbande, die Lori um ihn geschlungen, fielen vor dem hellen Zauber der italienischen und einer reinen deutschen Natur, – Mariechen war die gute Fee, die ihren ehrlichen Landsmann befreite, aber ihr einziger [234] Zauber war ihre Unschuld, – und es ist ja von Alters her bei allen Verzauberungen die rührende und schöne Regel, daß nur eine unschuldige Jungfrau oder ein reiner Jüngling die bösen Geister bannen kann.
Auch in Genua, wie auf dem Schiffe, sorgte Joseph Huber nur für Lieschen und zeigte und erklärte ihr mit der größten Geduld Alles, – der Contrast zwischen ihren Kenntnissen war übrigens nicht so groß, wie man es von dem Neffen eines reichen Banquiers und der Tochter einer armen Näherin hätte erwarten sollen. – Der gute Joseph wußte nicht viel, und Lieschen im Gegentheil hatte Kenntnisse gesammelt, wo es sich thun ließ, und wußte unendlich viel mehr, als die Meisten ihres Standes.
Nach einem heitern Mahle, wobei Felix, Paul, Joseph und Maria Dina's Gäste waren, brach man auf, um dem »Lombardo« wieder zuzuschiffen. Dina und Maria in der heitersten Laune der Welt, Felix und Paul etwas gedrückt. Felix war der Lombardo durch Lori's verschleierte Gegenwart und die Lügen, [235] in die sie ihn dort verwickelt, unheimlich geworden; Paul, weil dort der Schauplatz der Katastrophe war, welche ihn noch die vorige Nacht hindurch so unglücklich gemacht hatte. Als sie das Schiff bestiegen und es die Anker bei dem letzten Glühen der Sonne gelichtet, stand Felix mit Paul im Gespräche vor Lori's Cabine. Da hörte er klopfen und wurde verlegen.
Paul sagte ruhig einem vorübergehenden Kellner, die kranke Dame klopfe, er möge nachsehen.
Der Kellner lächelte spöttisch und ging hinein, kam aber gleich wieder heraus und sagte zu Felix:
»Die Dame wünscht Sie zu sprechen.«
Felix ging, während Paul mit einem verwunderten Gesichte ihm nachsah.
»Aber Lori!« rief Walram, sorgfältig die Thüre hinter sich schließend: »Wie können Sie mich so compromittiren! – Ich sprach ja gerade mit Paul!«
»Niemand kümmert sich um mich!« sagte trotzig die Wienerin. »Mir ist jetzt Alles einerlei. Mein Edelmuth ist an Euch verschleudert, wie das Gold an die Krähen!«
[236] »Aber, liebe Lori, ich habe Ihren Edelmuth für meine Person nie in Anspruch genommen!«
Lori sagte Nichts auf diese milde Zurechtweisung, und es schien wirklich, als habe sie ganz vergessen, daß Felix ihr ein Opfer gebracht, indem er ihr seine Cabine abgetreten und sich um ihretwillen in ein vollständiges Lügensystem seinen Freunden gegenüber verwickelt hatte.
»Wünschen Sie Etwas, Lori?«
Statt aller Antwort brach das Mädchen in Thränen aus.
»Ich bin ein unglückliches Geschöpf! Aller Welt zur Last, von Niemandem, gar Niemandem auf Erden geliebt!«
Felix war hier mit all seiner Ruhe und Sicherheit zu Ende, diesem leidenschaftlichen Weibe gegenüber; er wußte in aller Welt nicht, was er thun solle, und zum ersten Male jetzt dämmerte ihm die Einsicht, daß sie ihn liebe, ja schon in Frankfurt geliebt habe, auf.
Gewöhnliche Männer macht solch eine Entdeckung bei einem ungeliebten Mädchen hart, edle [237] aber weich und mitleidig. Er fühlte wie ein Unrecht gegen sie.
»Nun, Baron Felix, können Sie mir gar Nichts zum Troste sagen? Erzählen Sie mir wenigstens, was Sie am Lande getrieben.«
»Die Gräfin –«
»Ich will von der Gräfin Nichts wissen! Nichts von der Gräfin, Nichts von der blonden Kleinen und noch weniger von dem bleichen Scheusal, das mich verrathen hat.«
»Ich habe Ihnen schon ein Mal gesagt, daß Sie Lieschen Unrecht thun. Von wem soll ich denn erzählen?«
»Von Ihnen, von Paul, von Joseph!«
»Von welchem am Meisten?« frug mit einem Humor, der ihm sonst fremd war, der Liefländer.
Lori bedachte sich eine Weile, und sagte dann, ihn voll ansehend: »Von Ihnen!«
»Weshalb? Ich stehe Ihnen doch am Fernsten, Lori!«
Ohne den Ernst, mit dem er diese Worte sprach, zu beachten, fuhr Lori fort:
[238] »Ja, von Ihnen, denn Sie sind der Einzige, von dem ich noch Etwas in der Zukunft hoffe. Joseph, der mich elend gemacht und den ich jetzt im Unglück stützen wollte, verliebt sich am ersten Tage in die erste Kammerjungfer. Paul – Paul ist mir langweilig. Er hat mich vom ersten Augenblick angebetet, wie eine Heilige, und geliebt, wie ein Kind, aber ein Mann, der mich vom ersten Augenblick an vergöttert, den liebe ich nicht!«
»Sie sind also eine Coquette?«
»Nein, aber ein Mädchen, das einen Mann lieben möchte, den es nicht übersieht!«
»Wir Männer sind alle dumm!« sagte Felix mit heiterem Lachen, indem ihm immer klarer wurde, was der Beweggrund von Lori's ganzem Handeln war.
Als er endlich von Lori sich losmachte und ging, bemerkte er wieder Dina, that aber nicht, als ob er sie sehe, während Paul ihn frug: »Wer hat Sie denn rufen lassen?«
»Eine kranke Dame, welcher ich diese Cabine abgetreten habe.«
[239] Am andern Tage war Livorno erreicht. Wieder, während der Lombardo Waaren aus- und einschiffte, bestiegen die meisten Passagiere eine Barke und segelten nach der berühmten Hafenstadt, wo es aber wenig zu sehen gab: Grade, schmutzige Straßen, unendlich viel Juden, deren Synagoge auch das einzige Gebäude war, von dem man Felix versicherte, daß es der Mühe werth sei, es zu besuchen, und Bettler. Schon nach ein paar Stunden wurde also der Lombardo wieder aufgesucht, der auch alsbald seine Schaufeln in Bewegung setzte.
Je weiter die Reise vorschritt, desto mehr wurde Dina's Stimmung gedrückt. So gerne Felix bei ihr weilte, so klar wurde es ihr doch, daß er noch immer nicht ganz in ihren Fesseln war. Eines Morgens sagte er ihr sogar:
»Ich wollte ursprünglich die Reise bis Neapel ausdehnen, aber ich werde jetzt schon in Civita Vecchia das Schiff verlassen, da Paul so gut sein will, sich Huber's anzunehmen, der ohnedem jetzt wieder beinahe selbständig ist. Paul hat mir versprochen, daß er zu Joseph's Tante gehen und sie [240] auf ihres Neffen Ankunft vorbereiten will. Ist sie und ihr Mann hartherzig gegen ihn und wollen ihn nicht bei sich aufnehmen, dann bleibt freilich nichts Anderes übrig, als daß er zu mir nach Rom kommt.«
Dina, die Anfangs nur bis Rom gehen wollte, und sich auf Felix' Zureden entschlossen hatte, erst Neapel zu sehen, konnte nun doch nicht um seinetwillen ihren Plan nochmals ändern, dazu war sie zu stolz. Aber unbeschreiblich verletzte und kränkte sie, daß er sie jetzt so allein weiter reisen ließ und sich eher von ihr trennte, als es nöthig war.
»Ich werde wohl noch das Glück haben, Sie in Rom zu sehen, Frau Gräfin?« frug er.
»Schwerlich werden wir uns in Rom sehen, denn ich gehe vielleicht bis Messina.«
»Mir liegt jetzt nichts Anderes im Sinne als Rom und die Zwecke, die ich dort verfolgen will. Mir brennt der Boden unter den Füßen, bis ich dort bin, – es ist meine letzte Hoffnung!«
Eines lag Felix schwer auf der Seele: was er mit Lori beginnen sollte. Er mußte sie fragen, ob [241] sie in Rom aussteigen, oder bis Neapel fahren und dort sich Joseph zu erkennen geben wollte.
Stolz entgegnete sie: »Ich werde in Neapel aussteigen und dort von meiner Hände Arbeit mich ernähren; ich habe Putzmachen gelernt.«
»Wie Sie wollen, Lori! Werden Sie sich denn dem armen Joseph gar nicht zeigen? Denn Sie thun ihm unrecht, er liebt Sie immer noch.«
»Wir werden das sehen!«
Und damit war die Unterhaltung zu Ende. Kalt war Lori's Lebewohl, doch Felix konnte nicht ohne tiefe Besorgniß sie verlassen, – sein einziger Trost für das launige Wesen war die Kraft ihrer Seele, er dachte, nur Schwachsinnige könnten untergehen,
Civita-Vecchia tauchte schon von ferne auf, da kam Paul, Marien am Arme, langsam daher gewandelt und blieb vor Lori's halbgeöffnetem Fenster stehen.
»Bald steigen Sie auch vom Schiff und ich muß weiter nach Messina,« sagte er traurig zu dem Mädchen, »und Sie werden nicht mehr an den Reisegefährten denken, der Ihrer Bekanntschaft doch so [242] viel Freude und einen Trost verdankt, von dem Sie Nichts ahnen!«
»Ich werde Sie gewiß nicht vergessen!« sagte Marie herzlich und reichte ihm die Hand.
Sie standen in der Ecke, welche die Cabine, worin Lori sich befand, bildete; Niemand, als die Bewohnerin dieser Cabine, konnte ihre Züge sehen, ihre Worte hören.
Paul nahm Mariens dargebotene Hand, führte sie an die Lippen und sagte weich: »Gott segne Sie dafür!«
Ein alter Schriftsteller sagt: »Frauen sind immer Engel, oder Teufel!« In Lori war etwas Dämonisches. – Dieser Zug trieb sie auch jetzt. Weit riß sie das Fenster auf, zeigte dem tödtlich erschrockenen Paul, der ein Gespenst zu sehen glaubte, ihr hohnlachendes Gesicht und rief ihm gellend in die Ohren: »Ich gratulire!« Dann schlug sie das Fenster wieder zu.
Paul stand einen Augenblick wie geblendet. Dann, mit dem Ausrufe: »Teufel! Er soll mir's büßen!« stürzte er fort von der entsetzten Marie.
[243] Am andern Ende des Schiffes stand Felix mit Dina. Auf ihn stürzte der wüthende Paul, dem zu beiden Seiten Alles auswich, als er in seinem Zorn daherschoß. Felix hatte den Kopf nach dem Meere gewandt und sah ihn nicht kommen, und ehe er noch eine Hand heben konnte, hatte Paul ihn mit dem Ausrufe: »Elender Verführer! Erbärmlicher Lügner!« an der Brust gepackt und rücklings über Bord geschleudert.
Dina sah, wie die weißgepeitschten Wellen über ihm zusammenschlugen, sie wandte sich um Hülfe – regungslos standen Alle, – ihr zunächst Stanislaus, Felix' getreuer Diener. Den faßte sie am Arme, und in die Fluth deutend, rief sie: »Ihr Herr!« Und als mahne ihn der Engel Gottes, so augenblicklich folgte der muthige Mann dem Rufe und sprang in's Wasser – zu seinem Herrn.
Nun gerieth Alles in Bewegung. Die Matrosen kamen mit Tauen herangestürzt, das kleine Boot wurde gelöst und zwei Leute sprangen hinein.
Da erscholl ein Jubelruf, denn hinter dem Schiffe, da, wo es seine weißen Furchen zurückge [244]lassen, sah man den treuen Diener mit einem Arm rudern, in dem andern hielt er den leblosen Felix.
Pfeilschnell schoß das Boot zu dem erschöpften Manne, der, als er seinen Herrn auf dem Grunde des Bootes niedergelegt, halb leblos neben ihn sank.
Auch auf dem Schiffe gab es Ohnmachten; Dina wurde von ihrem alten Philipp ohnmächtig in ihre Cabine getragen.
Felix kam nicht wieder auf's Schiff, denn als sein Diener sich etwas gefaßt, gebot er den Matrosen, schnell an's Land zu rudern, das jetzt beinahe eben so nahe wie der Lombardo war. Er bedachte, daß für seinen geliebten Herrn, der kein Lebenszeichen von sich gab, doch auf jeden Fall in Civita Vecchia's bestem Gasthofe mehr gethan werden konnte, als auf dem Schiffe.
Tragikomisch war, daß die Hafenpolizei den leblosen Körper nicht einlassen wollte, weil er ohne Paß war; nur die Versicherung eines der Bootsmänner, daß der Ertrunkene ein principe russiano [245] sei, bewog den Commissär, bis zum Abende Geduld zu haben mit dem Paß, wo Stanislaus heilig versprach ihn abzuliefern.