Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war schon Mitternacht, als Felix die Gesellschaft verließ, um Dina's Auftrag zu erfüllen. Er [80] that es heute mit einer gewissen Beklemmung und nicht mit dem freudigen Gefühl, mit welchem er sonst solche Gänge antrat.
Er richtete seine Schritte zuerst nach einer kleinen Schenke, wo er schon mehrere Male seine Wohlthätigkeitscandidaten aufgefunden; den Hut in die Stirne gedrückt, den Mantel fest um die Schultern geschlagen, schritt er durch die belebten Straßen nach dem armen und einsamen Quartier, wo die Schenke lag, die selbst um diese Stunde nicht leer von Gästen war.
Das Haus war niedrig und hatte in der Fronte zwei Fenster und eine Thüre, aus welcher aber schon dem eintretenden Felix ein unerträglicher Tabaksdampf entgegenqualmte. Der Wirth erkannte ihn und empfing ihn mit einem tiefen Bückling im Flur.
»Noch Gäste da, Herr Hopfner?« frug Felix an der Thüre zum Gastzimmer, dessen Klinke der Wirth in der Hand hatte, stehen bleibend.
»Nur wenige noch: der alte Stamm, Wurmbrand und Böckmann. Und dann noch ein junges Individuum, das ich nicht kenne.«
[81] »Oeffnen Sie und besorgen Sie mir ein Glas Grog!«
Das Zimmer war schlecht beleuchtet von einer einzigen Lampe, die in der Ecke hing. Nur mit Mühe erkannte man am Tische vier Gestalten. Die Decke und die Wände waren schwarz geräuchert; auf den ehemals blauen Tapeten hingen ein Paar Lithographien unter Glas: Napoleon, Kaiser Nicolaus, Kossuth und Rinaldo Rinaldini! Niemand aber unter den Gästen hatte, ebensowenig wie der Wirth, der diese sinnreiche Ausschmückung besorgt, hierbei einen schlimmen Gedanken gehabt. Die Fenster waren mit dem stehenden Wirthshausschmuck, rothen baumwollnen Vorhängen, verziert. Das war aber auch Alles außer Tischen und Stühlen.
Felix stieß sich nicht an diese Umgebung, sondern nahm rasch einen Stuhl am Tische, wo die vier Gäste saßen, ein.
»Guten Abend, meine Herren!« sagte er freundlich zu den drei älteren Männern; der jüngere starrte von ihm abgewandt mit bleichen Wangen in sein Glas.
[82] »Guten Abend, mein Herr!« sagte Wurmbrand, der älteste und rascheste im Reden; »Sie haben lange nicht unsere Societät beehrt, mein verehrtester Herr, und Sie wissen doch, wie sehr wir nur dem feinsten gesellschaftlichen Tone Spielraum gewähren und rüde Sitten verabscheuen.«
Felix antwortete nur durch eine Bewegung seines Hauptes, denn der junge Mann fesselte seine ganze Aufmerksamkeit und Wurmbrand kannte er schon. Dieser war ein ausgemacht schlechtes Subject, führte aber immer erhabene und feine Redensarten im Munde. Er hatte seine Frau beinahe todt geprügelt, so daß seine Kinder sie weggebracht und, um ihr Leben zu retten, ihm dann ihren Tod vorgespiegelt; – jetzt sprach er nur mit Thränen im Auge von dem ihm vorangeeilten, verklärten Engel; – seine Kinder, von ihm verlassen, hatten sich in die weite Welt zerstreut, um Brod zu finden; – er nannte sich einen armen, kinderlosen Greis und bedeckte die Augen, wenn man ein Kind hereinbrachte, weil er behauptete, dieser Anblick sei zu erschütternd für sein verwaistes Vaterherz. Früher Schreiber [83] bei einem Advocaten hatte er in dessen Namen Gelder eincassirt und dankte es nur seiner Güte, daß er nicht gerichtlich deßhalb zur Verantwortung gezogen worden. Er lebte jetzt von den Almosen einer verheiratheten Schwester und seiner ältesten Tochter, die Näherin war. Er konnte unglaubliche Quantitäten Weins vertragen und vertrug sie auch, sprach aber immer nur von seinem »Gläschen« Wein.
Stamm, ebenfalls ein alter Trinker, war Junggeselle und halb verrückt. Er hatte in seiner Jugend studiren sollen, es aber wegen mangelnder Geisteskräfte nicht durchführen können, wollte aber nun doch in seiner Redeweise stets den gelehrten Anlauf, den er einmal genommen, kund thun und war deshalb beinahe unverständlich. Alles, was er sagte, sagte er möglichst langsam, weitschweifig und unnatürlich, und man mußte ihn lange kennen, um den Sinn seiner himmelstürmenden Worte zu finden.
Böckmann war nur dadurch merkwürdig, daß es beinahe gar keine bürgerliche Stellung gab, die er nicht einmal ausgefüllt zu haben behauptete und [84] seine Sätze begannen immer: als ich Koch war, als ich Portier war, als ich Schneidermeister, als ich Kutscher, als ich Friseur war.
Wurmbrand behauptete, »obgleich er Böckmann seit zehn Jahren kenne, wisse er noch lange nicht, was für Metiers er alle getrieben.« Jetzt gehörte Böckmann zur Lumpensammler-Gilde. Wurmbrand nannte das: »Sein Elend mästen von dem abgeworfenen Elend der Andern.«
Stamm, den man einmal nach dem Metier seines Freundes frug, sagte von ihm: »Er muß seinen Kreislauf ausfüllen und seine Lebensthätigkeit bekräftigen, indem er aus contrairen Gegenden dasjenige absorbirt, was Andere der Straße retour verabfolgen als unnütz.«
Dieses edle Kleeblatt war jeden Abend hier zu finden. Felix frug leise Wurmbrand, wer der junge Mann sei.
»Er erregt mein tiefstes Mitgefühl,« sagte mit einem Augenzwinkern, welches Felix glauben machen sollte, daß er weine, der Alte. »Wer das Unglück so kannte, wie ich, vermag nicht ohne tiefe Rührung [85] einen solchen Jüngling zu sehen. Er gemahnt mich an einen meiner lieben Söhne.«
Felix wandte sich nun geradezu an den Jüngling: »Wollen Sie nicht ein Glas mit mir trinken, junger Mann?«
»Soll das heißen, daß Sie es bezahlen wollen?« rief gereizt auffahrend der Fremde. »Steht es mir denn an der Stirne geschrieben, daß ich ein armer Teufel bin?«
»Sein Sie ruhig!« sagte mit sanftem Tone Wurmbrand und legte ihm die Hand auf den Arm. »Sie sind hier bei lauter feinfühlenden Männern, die das schnöde Metall verachten. Wozu dient es anders, als der Tugend und Unschuld eine Falle zu stellen!«
»Still!« schrie der junge Mann und schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, »wer hat Ihnen denn auch das gesagt?«
Wurmbrand, der nie einen Ansatz zum Helden gehabt, fuhr sammt seinem Stuhle mehrere Schritte vor den wüthenden auf ihn gerichteten Blicken des jungen Mannes zurück; Stamm aber, der keine [86] Gelegenheit versäumte, um seine wohlgesuchten Reden anzubringen, versetzte:
»Wie Ihnen hier, uns in's Auge fassend, zu beobachten die Gelegenheit geboten wird, so sind wir vereinigte Genossen es auch im Punkte der Verachtung dessen, was im gemeinen Leben den Hebel der niedern Triebe vorstellt, nämlich Gold!«
Böckmann aber sagte: »Wäre ich noch Portier bei Rothschild und gäbe Sie für meinen Freund und einen von ›seinen Leuten‹ aus, vielleicht würde Ihnen geholfen.«
Der junge Mann sah die drei alten Menschen der Reihe nach an und wandte sich dann zu Felix:
»Sie scheinen diese Exemplare zu kennen und vielleicht auch zu verstehen. Mir ist es heute zu duselig im Kopf, als daß ich mir Mühe geben könnte, das Zeug, was sie vorbringen, zu fassen. Es wird aber auch kein großes Unglück sein, denke ich mir, – denn mir helfen sie doch nicht. – Herr Wirth, eine Flasche, eine neue Flasche!«
»Sie scheinen ein Schiffer zu sein,« frug Felix, den nackten, gebräunten Hals des Jünglings [87] sehend, – »doch wohl von weiter her, als auf dem Main?«
»O, wäre ich nie weiter gefahren, als das gelbe Wasser reicht! Aber der verfluchte Golddurst! … ich wollte sie heirathen, – und hatte nichts, – und nun bin ich ein Jahr auf der See gewesen, – und habe doch nichts!«
Felix stand auf, sein Punschglas zurückschiebend. »Kommen Sie einen Augenblick mit mir vor die Thüre, – ich will Ihnen einen Vorschlag machen,« sagte er zu dem jungen Manne, dessen Gesicht sein Wohlwollen vollkommen gewonnen hatte.
Felix, der die Nadel nicht dem Schiffer geben wollte, und den ungefähren Werth davon in Gold bei sich trug, nahm draußen auf der Straße die Summe heraus und frug den jungen Mann, der ihm zwar gefolgt war, aber mürrisch vor ihm stand:
»Um des Geldes willen sind Sie auf der See gewesen, ein Jahr lang und haben nichts heimgebracht?«
»Warum fragen Sie mich?«
[88] »Weil ich Ihnen helfen will! Hier ist Gold so viel, daß es hinreichen wird, – führen Sie mit diesen Schätzen ihren Schatz heim, aber Ihren Dank –«
Doch weiter konnte er nicht reden, denn mit wüthender Geberde schleuderte der Schiffer das Gold, das er ihm in die Hand gelegt, von sich.
»Wollen Sie mich verspotten? Oder sind Sie vielleicht selbst der Elende, der mich um sie betrog, – und nun mich mit Geld ablohnen will, wie er sie mit Geld berückt hat? Reden Sie, oder nehmen Sie Ihren Schädel in Acht!« schrie er noch lauter, indem er Felix am Arm faßte.
»Wahnsinniger Mensch, ich verstehe Sie nicht!« rief Felix, sich hoch aufrichtend, »aber drohen Sie mir nicht mehr, oder ich will Sie Sitte lehren!« und er schüttelte ihn ab wie ein Kind.
In der mondscheinerleuchteten, öden Straße stand der Schiffer, hell blitzte in seiner Hand das kurze Messer, das er hervorgezogen hatte; aber er senkte den Arm und frug nur, düster auf das zerstreute Gold deutend: »Warum das?«
[89] »Weil ich Sie für unglücklich hielt und von einer edlen Dame den Auftrag erhalten, mit dieser Summe einen Glücklichen zu machen!«
Der Schiffer lachte bitter auf. »Einen Glücklichen! Ja, diese vornehmen Leute glauben, wenn sie nur den Beutel ziehen, – so ist der Canaille geholfen! Geben Sie Ihrer edlen Dame ihr Geld zurück und sagen Sie ihr, entweder, sie hätte mir vor einem Jahre diese Summe geben sollen, oder nicht dulden sollen, daß ihr Vetter oder Bruder oder ihr Mann, oder wer es ist, mein Mädchen in meiner Abwesenheit zu Grunde richtete!«
Und dann ging er in's Wirthshaus zurück und trank ruhig und schweigend seine Flasche aus. Der Wirth aber, der im Schatten des Hauses die Unterredung belauscht, trat hervor und hob dienstfertig die zu Boden gefallenen Goldstücke wieder auf und händigte sie Felix ein, der sie kaum annehmen mochte und langsam weiter ging in der Gasse, betrübt und gedemüthigt von dieser Scene.
Nicht lange, so hörte er eilige Schritte hinter sich. Er blieb stehen und sah sich um. Mit fliegendem [90] Mantel kam die verödete Gasse herab ein weibliches Wesen daher; sie schoß rasch an ihm vorüber und einige Schritte weiter verschwand sie in einem der nächsten Häuser.
Als Felix, der ihr folgte, dies Haus erreicht hatte, sah er, daß sie die Thüre hinter sich offen gelassen. Er trat sachte über die Schwelle.
Felix sah auf der Flur eine Oellampe stehen, die Frau nahm sie eben auf und öffnete eine Stubenthür. Unwillkürlich gefesselt blieb Felix stehen, – hier – sagte ihm eine Ahnung – würde er eine Stelle finden für Dina's Geschenk.
Plötzlich erscholl ein herzzerreißender Aufschrei aus dem Zimmer, – Felix eilte hinein, – er sah die Frau über ein kleines Bette in einer dunklen Ecke geworfen und hörte sie Jammertöne ausstoßen. Dann rief sie, auf die Kniee fallend:
»Du strafst die Armuth bitter, o großer Gott! weil ich keinen Groschen hatte, Arzt und Apotheker zu bezahlen und auf Deine Hülfe rechnete, läßt Du mir mein Kind sterben! O Ihr Reichen! Ihr Reichen!« Und sie schlug erbarmungslos auf ihre [91] eigene Brust. Felix, den dieser Anblick in tiefster Seele ergriff, trat vor und mit sanfter Stimme sagte er zu ihr:
»Verzweifelt nicht, arme Frau! – die Hülfe ist da!« und das vom Schiffer verschmähte Gold hervorziehend, reichte er es ihr dar.
Die Frau fuhr auf, sie wandte sich zu ihm mit ihrem bleichen, vom wildesten Schmerz entstellten Gesicht, aber zugleich auch fuhr sie vor dem hingehaltenen Gelde wie entsetzt zurück:
»Was!« schrie sie gellend, »auch noch Hohn? Jetzt, wo mein armes, einziges Kind todt ist, kommst Du mit ›Hülfe‹! Weg, höhnischer Teufel, wenn eine verzweifelnde Mutter Dir nicht die Kehle zuschnüren soll!«
Felix Walram schauderte vor diesem Bilde der Leidenschaft.
Da trat ein alter Mann hinter Felix hervor und frug mit ruhiger Stimme die Frau: »Wo ist das kranke Kind?«
»Hier, Du hülfreicher Doktor!« rief die Mutter mit gräßlichem Hohngelächter und die Lampe in [92] hocherhobener Hand, zerrte sie die Decke weg von dem Lager, wo der Leichnam ihres einzigen Kindes lag.