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Aini

1
Aini-Lehrzeit

Kabylen

Zwei Burschen waren miteinander sehr befreundet, sie wohnten aber nicht in dem gleichen Dorf, sondern in zwei verschiedenen, die weit voneinander entfernt lagen. Der eine, Ahmar, sagte eines Tages zu dem anderen: »Wir wollen doch nicht mehr so weite Wege machen, wenn einer von uns dem anderen einmal etwas zu sagen hat. Wir wollen in das gleiche Dorf ziehen.« Der andere war einverstanden. Als die beiden Burschen heirateten, sagte Ahmar: »Wenn der eine von uns eine Tochter, der andere aber einen Jungen hat, dann sollen unsere Kinder sich heiraten.« Der andere war einverstanden.

Als sie nun einige Monate miteinander im gleichen Dorf gewohnt hatten, war es dem Ahmar leid geworden, daß er mit dem anderen das Abkommen der Verehelichung ihrer Kinder getroffen hatte. Als dem anderen nun also einige Zeit darauf ein Sohn, ihm aber ganz kurze Zeit darauf eine Tochter geboren wurde, da sagte er: »Meine Frau hat geboren. Ihr Kind soll Aini heißen. Aini ist ein Junge und kein Mädchen.« Darauf ließ der Vater den Aini in Jungenkleidern gehen, so daß alle Welt glaubte, Aini sei ein Junge.

Aini und der Sohn des anderen freundeten sich aber von Kindheit auf an. Der Junge und Aini trafen sich am Morgen bis zum Abend. Sie spielten zusammen. Sie aßen zusammen. Der Junge wußte stets, wo Aini war, und Aini wußte stets, wo der Junge war. Das nahm so seinen Fortgang, bis sie beide begannen heranzuwachsen.

Aini war ein recht großes Mädchen. Der Bursche spielte mit Aini. Eines griff das andere. Der Bursche packte Aini um die Schultern, griff ihr auf die Brust. Der Bursche sagte: »Aini, weshalb hast du eine so hohe Brust? Aini, sieh, meine Brust ist ganz flach.« Aini sagte: »Ich weiß es nicht, laß das!« Eine alte Frau kam vorbei. Sie lachte und sagte zum Burschen: »Dein Freund ist eben ein Mädchen.« Aini ging fort. Der Bursche folgte ihr. Aini ging in den Wald. Aini weinte. Aini setzte sich auf einen Baumstamm. Der Bursche setzte sich neben Aini. Sie sprachen miteinander. Sie schworen, sich einander später zu heiraten. – Von dem Tage an spielten Aini und der Bursche nicht mehr miteinander. Aini und der Bursche vermieden es, sich in Gegenwart anderer zu treffen. Die Leute sahen das.

Die Leute kamen zu Ainis Vater und sagten: »Höre, dein Sohn Aini ist nicht mehr so vergnügt wie früher. Aini drückt sich mit seinem Freund immer in den Winkeln umher. Die beiden Freunde sind so wie ein Bursch und ein Mädchen, die sich heiraten wollen.« Ahmar sagte bei sich: »Hooo! also so geht diese Freundschaft! Da will ich eine Änderung treffen.« Und Ahmar nahm Aini in eine Kammer und gab Aini Beschäftigung in der Kammer und erlaubte Aini nicht mehr, das Gehöft zu verlassen. Aini saß nun also immer daheim, und wenn der Bursche, Ainis Freund, an das Gehöft klopfte und fragte, ob er Aini nicht sprechen oder sehen könnte, wurde ihm stets gesagt: »Aini ist zu beschäftigt.«

Der Bursche ging aber abends um das Gehöft und horchte an den Mauern, um zu hören, in welcher Kammer Aini lebte. Nach kurzer Zeit wußte er, wo Aini wohnte, und als alle schliefen, warf er Steine in das Fenster. Ein Stein traf Aini. Aini erhob sich, sah zum Fenster heraus und erkannte den Burschen. Aini sprach mit dem Burschen. So sprachen sich Aini und der Bursche viele Tage lang jeden Abend, ohne daß die Eltern Ainis es gewahr wurden. Der Bursche sah aber, daß er auf diesem Wege Aini nicht zur Frau gewinnen würde.

Eines Abends kam der Bursche wieder an Ainis Fenster. Er warf ein Steinchen herein und Aini kam an das Fenster. Der Bursche sagte: »Aini, ich will heute Abschied nehmen. Ich will weggehen und sehen, ob ich es an einem anderen Ort zu etwas bringen kann, um dich nachher zur Frau gewinnen zu können. Wenn ich etwas Großes bringen kann (soll heißen eine hohe Brautgabe), dann wird dein Vater dich mir geben.« Aini sagte: »So glaube ich, wird es werden.« Der Bursche sagte: »Ich schwöre aber, daß wenn du stirbst, dann will ich auch sterben, und nun schwöre du mir, daß, wenn ich sterbe, du auch sterben willst. Wir wollen nur eines mit dem andern leben. Willst du mir das schwören?« Aini schwor. Aini und der Bursche nahmen Abschied.

Der Bursche ging am anderen Tage von dannen. Er ging so seiner Wege dahin; da traf er einen alten Mann. Der alte Mann fragte den Burschen: »Wo gehst du hin?« Der Bursche sagte: »Ich gehe dahin, wo ich Brot finde.« Der Alte sagte: »Dann komm mit zu mir. Ich will dein Vater sein. Sei du mein Sohn.« Der Bursche war einverstanden. Er zog zu dem älteren Mann. Der alte Mann war sehr freundlich zu ihm. Sprach mit ihm, aß mit ihm, sorgte für ihn. Eines Tages nun aber kam der Alte dazu, wie der Bursche mit den anderen Burschen des Dorfes spielte. Er hörte, wie der Bursche den Namen seiner Aini rief. – Nun hatte der Alte vor einigen Jahren aber wieder geheiratet, und seine junge Frau hieß Aini. Als der Alte nun hörte, daß der Bursche »Aini« rief, glaubte er, damit meine er seine eigene junge Frau.

Da wurde der Alte mißtrauisch. Er war nun nicht mehr freundlich zu dem Burschen und sprach nun überhaupt nicht mehr mit ihm. Er ließ den Burschen seine Wege gehen. Der Bursche sagte bei sich: »Es ist hier nicht mehr wie früher, ich will weitergehen und werde es an einem anderen Ort versuchen. Vorher will ich aber noch einmal zum Dorf meines Vaters gehen und sehen, wie es Aini geht.«

Der Bursche ging zu dem Alten und sagte: »Ich möchte morgen einmal in das Dorf meines Vaters gehen und sehen, wie es da steht.« Der Alte sagte: »Ich werde dich begleiten, denn ich will dort Öl einkaufen.« Sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Als sie nahe dem Dorfe des Burschen waren, kamen sie über den Kirchhof. Sie sahen da ein neu errichtetes Grab. Der Alte fragte einen Hirten, der am Kirchhof seine Herde weidete: »Wer ist hier begraben?« Der Hirt sagte: »Sie haben hier soeben das Mädchen Aini begraben, das gestern gestorben ist.«

Der Bursche sagte bei sich: »Nun ist also Aini gestorben und begraben. Nun will ich auch sterben.« Der Bursche sagte zu dem Alten: »In unserem Lande begraben sie die Toten anders als in eurem. Ich will es dir zeigen. Komm, wir wollen einmal die Steinplatten aufheben.« Der Bursche hob die Steinplatten auf. Aini lag tot in der Grube. Der Bursche sagte: »Nun bist du tot, Aini; ich werde aber kommen.« Der Bursche legte sich zu der toten Aini in die Grube und sagte zu dem Alten: »Nun decke die Platten wieder über das Grab. Geh dann hin und kaufe dein Öl ein. Kehr du dann heim zu deiner Aini. Ich aber werde hierbleiben bei meiner Aini.« Da deckte der Alte das Grab zu und ging in den Ort, um Öl einzukaufen.

Am Tage, nachdem Aini begraben war, kam Asrain (der Richtengel), um über die verstorbene Aini zu richten. Als er an das Grab Ainis kam, fand er aber neben der toten Aini den lebenden Burschen. Da sagte Asrain zu dem Burschen: »Was tust du neben der toten Aini? Du lebst! Mit dir habe ich nichts zu tun. Geh von der toten Aini und aus dem Grabe.« Der Bursche sagte: »Es ist mir alles gleich. Aini ist gestorben. Nun will ich auch sterben. Ich bleibe hier im Grabe bei Aini.«

Asrain kehrte um und ging zu Gott. Asrain sagte: »Etwas Derartiges ist mir noch nicht vorgekommen. Ich ging hin, um die tote Aini aufzusuchen, und fand neben der toten Aini einen lebenden Burschen, und der Bursche sagte, Aini sei gestorben, nun wolle er auch sterben. Der Bursche will das Grab nicht verlassen.« Gott hörte es und sagte zu Asrain und dem Burschen: »Dieser Bursche hatte noch vierzig Jahre zu leben. Wenn er nun hiervon Aini die Hälfte abgeben will, so wird er nur noch zwanzig Jahre leben, aber Aini wird auch noch zwanzig Jahre leben.« – Der Bursche lachte im Grabe. Aini schlug die Augen auf. Aini sah den Burschen neben sich. Aini sagte: »Ich danke dir!«

Am anderen Tage kam der Alte vom Ölkauf zurück. Er sagte, als er in die Nähe des Grabes kam: »Ich möchte doch wissen, ob der Bursche, der sich zu der toten Aini ins Grab gelegt hat, noch lebt, oder ob er auch gestorben ist.« Er ging zu dem Grab, legte sein Ohr an die Platten und horchte. Da hörte er, daß der Bursche mit Aini sprach. Der Alte sagte: »Sie leben beide.« Der Alte nahm die Steinplatten auf. Aini und der Bursche lachten. Aini und der Bursche stiegen aus dem Grab, dankten dem Alten und verabschiedeten sich von ihm. Aini und der Bursche gingen von dannen.

Der Bursche sagte: »Aini, wir wollen weitab von den anderen Menschen im Wald uns ein Haus bauen und da die zwanzig Jahre, die uns zu leben erlaubt sind, verbringen.« Aini war einverstanden. Der Bursche baute im Wald ein Haus, das war stark und fest und hatte sieben Türen, so daß von außen niemand hereinkam, wenn es zugeschlossen war. In dem Haus wohnte der Bursche mit Aini. Tagsüber ging der Bursche auf die Jagd und schloß stets die sieben Türen ab. Aini konnte dann nicht aus dem Haus heraus, und es konnte außer dem Burschen, der den Schlüssel hatte, auch niemand in das Haus herein. Aini saß dann aber am Fenster und blickte in den Wald oder zum Himmel empor.

Eines Tages kamen zwei Jäger, die der Agellid der benachbarten Ortschaft täglich zur Jagd sandte, an dem Hause der Aini vorbei. Sie sahen zum Fenster empor und sahen Aini. Sie blieben stehen und betrachteten Aini. Aini war so schön, daß die Jäger sich von dem Anblick nicht trennen konnten. Sie gingen nicht weiter zur Jagd, sondern blieben bis zum Abend stehen und betrachteten Aini. Erst abends kehrten sie in das Dorf des Agellid zurück. Der Agellid fragte die Jäger: »Weshalb kommt ihr heute ohne Jagdbeute zurück?« Die Jäger sagten: »Wir kamen im Wald an einem Hause vorbei. Eine Frau sah zum Fenster heraus, die war so schön, daß wir uns nicht entfernen konnten, sondern sie immer anschauen mußten. Keiner von uns beiden hätte vorher geglaubt, daß es etwas so Schönes auf der Erde gibt. Auch du, Agellid, hast nie etwas so Schönes gesehen.« Der Agellid sagte: »Ich werde morgen mit euch gehen und sehen, ob ihr die Wahrheit gesprochen habt. Dann will ich euch verzeihen, daß ihr heute so lässig wart.«

Am anderen Tage ließ der Agellid sich von den Jägern den Weg zu dem Hause Ainis zeigen. Der Agellid kam zum Hause Ainis. Aini sah zum Fenster hinaus. Aini sah, daß der Agellid ein sehr schöner Mann war. Der Agellid sah Aini und blieb stumm. Er schaute Aini an und konnte nichts sagen. Er blieb bis zum Abend stehen. Als es Abend war, sagte Aini: »Mein Mann wird sogleich von der Jagd nach Hause zurückkehren. Wenn er dich trifft, wird er dich töten.« Der Agellid sagte: »Kann ich dich nicht einmal besuchen?« Aini sagte: »Mein Mann schließt das Haus jeden Tag mit den Schlössern an den sieben Türen ab; es kann daher niemand hinein. – Geh jetzt, mein Mann wird sogleich kommen.« Der Agellid ging.

Der Agellid rief am anderen Tage alle Männer seines Dorfes zusammen und sagte: »Grabt mir ein Loch und einen Gang in dieser Richtung.« Der Agellid ließ vom Boden seiner Kammer aus einen Gang graben, der bis unter die Kammer Ainis unter dem Hause im Wald führte. Als der Bursche eines Morgens in den Wald zur Jagd gegangen war und die sieben Schlösser an den sieben Türen hinter sich abgeschlossen hatte, kam der Agellid durch den Gang und trat in die Kammer Ainis. Aini erschrak und fragte: »Weshalb bist du gekommen?« Der Agellid sagte: »Deine schöne Gestalt hat mich hierher geführt.« Aini sagte nichts mehr. Aini sah wieder, daß der Agellid ein schöner, starker Mann war. Der Agellid führte Aini zu ihrem Lager. Der Agellid legte sie nieder. Aini sagte nichts. Der Agellid beschlief Aini. Aini sagte nichts. Der Agellid lag ihr mehrmals bei. Aini sagte: »Nun geh, denn mein Mann kommt bald wieder. Schließe Freundschaft mit meinem Manne.« Der Agellid ging.

Am anderen Tage begab sich der Agellid auf die Jagd. Der Agellid traf den Burschen und sah ihm eine Weile zu. Dann sagte er: »Du scheinst die Jagd ausgezeichnet zu können.« Der Bursche sagte: »Ich verstehe einiges davon.« Der Agellid sagte: »Lehre mich die Jagd. Alles was ich so erlege, soll dein sein.« Der Bursche jagte mit dem Agellid den Tag über. Sie gewannen viel Beute. Der Agellid gab seinen Anteil dem Burschen. Der Bursche kehrte mit reicher Beute heim. Aini sah, daß ihr Mann mehr Beute heimbrachte als sonst und fragte: »Woher kommt es, daß du heute so großen Erfolg hast?« Der Bursche sagte: »Unterwegs traf ich einen Agellid, mit dem jagte ich. Ich zeigte ihm alles. Da ließ er mir seinen Anteil an der Beute.« Aini sagte: »Das ist ein guter Verkehr für dich. Diesen Umgang solltest du pflegen.«

Der Bursche traf an einem anderen Tag den Agellid wieder im Wald. Der Agellid sagte: »Wir wollen heute einmal nicht jagen. Komm zu mir in mein Dorf und in mein Haus. Wir wollen zusammen spielen.« Der Bursche war einverstanden. Der Agellid führte den Burschen in seine Kammer und spielte mit dem Burschen Jammut (Dame). Der Bursche paßte gut auf. Der Agellid verlor im Anfang des Spiels. Der Agellid verlor weiterhin noch mehr. Der Agellid verlor alles, was er besaß. Es blieb dem Agellid nichts übrig. Der Bursche ging wieder nach Hause.

Als der Bursche am anderen Tage zur Jagd gegangen war, kam der Agellid durch den Gang unter der Erde zu Aini und sagte: »Ich habe gestern mein ganzes Vermögen an deinen Mann im Jammutspiel verloren.« Aini sagte: »Ich werde es einrichten, daß du alles wiedergewinnst. Lade dir meinen Mann morgen noch einmal zum Spielen ein.« Der Agellid sagte: »So werde ich all das Meine verlieren.« Aini sagte: »Das soll meine Sache sein.«

Am anderen Morgen traf der Agellid wieder den Burschen im Walde. Der Agellid sagte: »Komm noch einmal mit zu mir. Ich habe noch einiges zum Spielen.« Der Bursche sagte: »Warte, ich will nur schnell meine Waffen nach Hause tragen, dann komme ich.« Der Bursche ging nach Hause, schloß das Haus auf, ging hinein, hängte die Waffen an den Haken an der Wand und ging. Er schloß die sieben Türen, kehrte zu dem Platze im Wald zurück, an dem er den Agellid zurückgelassen hatte, und sagte: »Ich bin bereit. Wir können zu dir gehen und wieder Jammut spielen.« Der Agellid und der Bursche machten sich auf den Weg in das Dorf.

Als der Bursche die sieben Türen von draußen abgeschlossen hatte, um den Agellid im Walde wieder zu treffen, ergriff Aini die Waffen, die der Gatte eben an die Wand gehängt hatte, nahm sie herab und rannte mit ihnen fort durch den Gang. Sie kam durch den Gang in die Kammer des Agellid. Sie hängte die Waffen an die Wand, und zwar gerade gegenüber dem Platz, an dem der Gast sitzen mußte, also im Rücken des Platzes des Agellid. Dann lief Aini wieder davon.

Nachdem Aini einige Zeit fort war, kam der Agellid mit dem Burschen vom Walde her in seinem Dorf an. Der Agellid führte den Burschen in seine Kammer und sagte: »Setze dich nieder, ich werde das Jammut holen.« Der Bursche setzte sich. Er sah auf. Er sah zu der Wand, die ihm gegenüber war. Er sagte bei sich: »Das sind doch meine Waffen!« Er sagte bei sich: »Das können ja nicht meine Waffen sein, denn meine Waffen habe ich eben bei mir zu Hause an die Wand gehängt, und dann habe ich die sieben Türen hinter mir verschlossen. Die Schlüssel habe ich aber bei mir in der Tasche. Es können nicht meine Waffen sein!« – – Der Agellid kam zurück.

Der Agellid sagte: »Hier ist das Jammut. Nun wollen wir spielen.« Der Agellid spielte. Der Bursche spielte. Der Bursche dachte aber nicht an das Spiel. Der Bursche dachte: »Das sind doch meine Waffen. Das können nicht meine Sachen sein.« Der Bursche spielte schlecht. Der Bursche sah nach der Wand. Er sah nach den Waffen. Der Bursche verlor mehr und mehr. Er dachte immer: »Das sind meine Waffen! Das können nicht meine Sachen sein.« Der Bursche verlor alles, was er gestern dem Agellid abgewonnen hatte. Der Bursche stand auf und ging. Er machte sich auf den Heimweg durch den Wald.

Als der Bursche weggegangen war, kam Aini durch den Gang, nahm die Waffen von der Wand und trug sie in ihr Haus, das durch sieben Schlösser an sieben Türen geschlossen war. Aini hängte die Waffen zu Hause so an die Wand, wie der Bursche sie hingehängt hatte, ehe er zu dem Agellid zum Spielen ging. – Nach einiger Zeit kam der Bursche zu seinem Haus. Er öffnete die sieben Schlösser an den sieben Türen und trat hinein. Er schaute an die Wand, dahin, wo er heute morgen seine Waffen aufgehängt hatte, und sah, daß sie noch ebenso dort hingen. Der Bursche schlug sich vor die Stirn und sagte: »Ich war ein Narr! Ich war ein Narr!« Aini fragte: »Was hast du, was ist dir? Wo warst du?« Der Bursche sagte: »Ich war bei dem Agellid und spielte mit ihm Jammut. Es hingen da Waffen an der Wand, die sahen aus wie die meinigen. Da dachte ich immer an die Waffen und nicht an das Spiel. So kam es, daß ich alles, was ich dem Agellid gestern im Spiel abgewonnen hatte, heute wieder an ihn verloren habe.«

Aini sagte: »Dann mußt du eben morgen noch einmal mit dem Agellid spielen und mußt sehen, ob du das heute Verlorene nicht noch einmal wiedergewinnen kannst. Denke nur morgen nicht an deine Sachen und nicht an mich. Denke immer nur an das Spiel. Dann wirst du schon gewinnen.« Der Bursche sagte: »Du hast recht. Ich werde es versuchen.« Am andern Morgen ging er in den Wald, dahin, wo er den Agellid traf, und sagte: »Wollen wir heute jagen oder spielen?« Der Agellid sagte: »Mir ist es gleich.« Der Bursche sagte: »Dann wollen wir heute noch einmal spielen. Warte, ich trage meine Waffen schnell nach Hause und komme dann wieder hierher.« Der Bursche lief nach Hause, hängte seine Waffen an die Wand, sagte Aini Lebewohl und verschloß, hinausgehend, die Türen eine nach der anderen hinter sich. Dann ging er in den Wald, holte am Treffpunkt seinen Freund, den Agellid, ab und ging mit ihm in sein Dorf und in seine Kammer. Der Agellid sagte: »Setze dich, ich gehe und hole das Jammut.« Der Agellid ging. Der Bursche schaute sich im Zimmer um. Es war nichts da, was ihn störte. Der Bursche sagte: »Heute werde ich an nichts anderes denken als an das Spiel. Ich will heute dem Agellid alles Seine abgewinnen.«

Der Agellid kam mit dem Jammut. Er setzte sich. Sie begannen zu spielen. Der Bursche dachte nur an das Spiel. Der Bursche gewann. Er hatte schon einen Teil des Besitzes des Agellid wiedergewonnen, als Aini durch den Gang aus ihrem Hause kam. Sie trat in die Kammer, in der der Agellid mit ihrem Manne spielte. Sie setzte schweigend den Tee zwischen beide Männer und ging wieder hinaus. Dann eilte sie durch den Gang wieder in ihr eigenes durch sieben Schlösser an sieben Türen verschlossenes Haus. Der Schatten Ainis fiel, als sie den Tee niedersetzte, auf die Hände des Burschen. Er schlug die Augen auf und sah Aini. Er sagte bei sich: »Es ist nicht möglich.« Er sagte bei sich: »Es muß Aini gewesen sein.« Er blickte auf. Aini war wieder gegangen. Der Bursche dachte: »Das muß Aini gewesen sein. Ich habe sie doch aber in dem Hause mit den sieben Schlössern an den sieben Türen eingeschlossen gehalten. Nein, es kann nicht Aini gewesen sein.« Der Bursche dachte nicht mehr an das Spiel. Der Agellid begann mehr und mehr zurückzugewinnen. Der Bursche dachte nur noch: »War das Aini, oder war das nicht Aini?« Er dachte nicht mehr an das Spiel. Der Agellid gewann alles Seine zurück. Er begann dem Burschen das abzugewinnen, was diesem gehörte. Der Bursche dachte aber nicht an das Spiel, er dachte nur: »War das Aini, oder war das nicht Aini?« Der Bursche verlor alles, was ihm gehörte. Es blieb ihm nichts mehr, und der Agellid hatte nun nicht nur das Seine gerettet, sondern das Vermögen des Burschen dazugewonnen. Der Bursche ging. Der Bursche lief aus dem Dorfe nach Hause. Der Bursche besah die Schlösser an den sieben Türen. Sie waren alle gut verschlossen. Der Bursche betrat das Haus. Er sah Aini, die auf ihrem Lager ausgestreckt war. Er schlug sich vor die Stirn und sagte: »Du Narr, du Narr, du Narr!«

Aini fragte: »Was hast du? Hast du das Vermögen des Agellid zurückgewonnen?« Der Bursche sagte: »Nein, ich habe es nicht zurückgewonnen. Ich bildete mir ein, dich im Hause des Agellid zu sehen, und ich dachte nur noch, ob du dort sein könntest oder nicht, und so verlor ich nicht nur das, was ich dem Agellid schon wieder abgenommen hatte, sondern ich verlor noch mein ganzes Vermögen dazu.« Aini sagte: »So besitzt der Agellid nun dein und sein Vermögen?« Der Bursche sagte: »So ist es.« Aini sagte: »Du hast verspielt.«

Am anderen Tage ging der Bursche zur Jagd. Kaum war er fortgegangen und hatte die Türen abgeschlossen, so kam der Agellid durch den Gang zu Aini. Aini sagte: »Du hast nun meinem Mann alles abgewonnen und bist nun wohlhabender als früher?« Der Agellid sagte: »So ist es.« Der Agellid sagte zu Aini: »Komm mit mir. Dein Mann hat nun nichts mehr. Komm als meine Frau mit zu mir.« Aini ging mit dem Agellid. Der Agellid brachte Aini in sein Haus.

Der Bursche kam am Abend von der Jagd zurück. Er öffnete die Türen und rief: »Aini!« Aini antwortete nicht. Er rief nochmals und nochmals. Der Bursche suchte Aini im ganzen Hause. Er fand Aini nicht. Er setzte sich auf Ainis Lager und sagte: »Das hat der Agellid getan. Aini ist zu ihm gegangen.« Der Bursche dachte nach. Der Bursche sagte: »Ich habe ihr zwanzig Jahre meines Lebens gegeben. Ich werde sie ihr wieder nehmen.«

Der Bursche schloß sich ein. Er blieb vierzig Tage eingeschlossen. Während vierzig Tagen kam er nicht aus seinem Hause. Vierzig Tage lang sah er nicht die Sonne. Vierzig Tage lang aß er nichts und trank er nichts. Nach diesen vierzig Tagen erkannte niemand ihn wieder. Er war ganz mager. Die Augen waren leer. Er ging gebückt. Er sah aus wie ein Toter. Er sah nicht mehr aus wie ein Lebender. Nach vierzig Tagen kam der Bursche aber aus dem Hause. Er öffnete die sieben Türen, trat vor sein Haus und sagte: »Ich werde mir die zwanzig Jahre wiedergeben lassen, und es soll kein Jahr vergehen, ohne daß ich mich nicht sattgegessen hätte an den besten Gerichten, die Gott der Erde gegeben hat. Es scheint so, daß Gott seine besten Gerichte nicht dem Ehrlichen gibt, sondern den Klugen. Da mich Gott aber nicht dumm gemacht hat, sondern klug, so darf ich meinen Löffel so gut in die besten Gerichte stecken wie andere.«

Der Bursche sah so elend aus, daß niemand ihn wiedererkannte. Der Bursche kam zu dem Agellid. Der Agellid erkannte ihn auch nicht wieder. Der Bursche sagte: »Darf ich bei dir arbeiten?« Der Agellid sagte: »Du wirst zu schwach sein zur Arbeit.« Der Bursche sagte: »Ich war nur kank. Laß mich nur einige Zeit arbeiten und mich sattessen, dann wird mein Zustand sich ändern.« Der Agellid stellte den Burschen an. Der Bursche arbeitete und nährte sich. Nach einiger Zeit sah er schon besser aus.

Der Bursche arbeitete einen Monat lang bei dem Agellid. Da sah er frischer und stärker und schöner aus als früher. Alle Frauen und Mädchen sahen ihm nach. Er arbeitete dann noch einen Monat und sättigte sich und ward so schön und stark, daß niemals vorher ein so schöner und starker junger Mann auf der Erde gewesen war.

Die Mutter des Agellid kam zu dem Burschen auf den Acker und sagte: »Mein Bursche, besuche mich heute nacht auf meinem Lager!« Der Bursche sagte: »Ich will das schon ganz gerne tun. Ich fürchte mich nur vor dem Agellid! Dein Sohn wird es merken, und er wird mich töten. Ja, wenn dein Sohn tot wäre, dann könnte ich dich ja überhaupt heiraten.« Die Mutter des Agellid sagte: »Dann hätte ich dich für immer.« Der Bursche sagte: »Ja, dann hättest du mich für immer.« Die Mutter des Agellid sagte: »Ich werde dann meinen Sohn gleich heute abend mit dem Abendessen vergiften. Iß du also von dem Brei nicht!«

Abends saß der Bursche beim Agellid. Das Essen wurde hereingebracht. Der Agellid nahm seinen Löffel und schöpfte aus dem Brei. Der Agellid wollte den Löffel zum Munde führen. Der Bursche hielt seinen Arm fest und sagte: »Warte, iß dies noch nicht. Rufe erst deinen Hund und gib diesen Brocken deinem Hunde.« Der Agellid tat es. Der Hund fraß und starb auf der Stelle. Der Agellid erschrak und sagte: »Wie ist das denkbar? Meine Mutter macht doch selbst meine Speisen!« Der Bursche sagte: »Warte, ich habe zuerst gelernt, jetzt lerne du zu zweit. Weißt du, wer ich bin?« Der Agellid sagte: »Was soll das? Du bist mein Arbeiter.« – Der Bursche schüttelte den Kopf.

Der Bursche sagte: »Du irrst dich. Ich bin nicht dein Arbeiter, sondern ich bin dein Lehrer, und außerdem bin ich der Mann der Aini.« Der Agellid wollte aufspringen und seine Waffen holen. Der Bursche sagte: »Laß das. Hätte ich mich an dir für den Raub der Aini rächen wollen, so hätte ich dich doch nur die vergiftete Speise, die deine Mutter bereitet hat, um dich zu töten und mich nachher heiraten zu können, essen zu lassen brauchen. Ich habe das aber nicht getan. Ich will mich nicht rächen. Ich will auch deine Mutter nicht heiraten. Ich will nur die Jahre zurückerstattet haben, die ich Aini geschenkt habe. Ich verlange Aini von dir. Ich will dich aber nicht töten. Du hast nun das gleiche erlebt mit deiner Mutter, was ich mit Aini erlebt habe. Gib mir beide Frauen. Ich will sie verbrennen.«

Der Agellid gab dem Burschen Aini. Er gab ihm seine Mutter. Der Bursche entzündete ein großes Feuer. Der Bursche sagte zu Aini: »Ich habe dir, als du gestorben warst, die Hälfte meines Lebens, ich habe dir zwanzig Jahre gegeben. Als Dank dafür bist du von mir gelaufen und zu dem gegangen, der reich und Agellid war, während ich noch ein armer Jäger war. Du hast die zwanzig Jahre, die ich dir geschenkt habe, nicht so verwendet, wie wir beide es uns seinerzeit zugeschworen haben. Deshalb verlange ich von dir jetzt die zwanzig Jahre zurück. Das ist alles.« Der Bursche verbrannte Aini und die Mutter des Agellid.

Dann ging der Bursche in ein anderes Land.

 

2
Die Töchter des Agellid – Gesellenübung

Der Bursche war sehr schön und stark und klug. Jeder Mann wollte ihn gern in seinen Diensten haben. Er kam in das Land eines Agellid, der überall bekannt war als weiser Richter. Der Bursche war bei dem Agellid einige Tage, als dieser zu ihm sagte: »Ich muß oft hierhin und dorthin, um Streitigkeiten zu regeln. Dann habe ich niemand, der mich hier vertritt. Deshalb frage ich dich, ob du bei mir bleiben und solche Vertretung in meinem Hause übernehmen willst, denn du bist der erste, den ich für klug genug halte, solches Amt zu übernehmen. Überlege es dir bis morgen.« Nachdem der Agellid dies gesagt hatte, ging er weg, und der Bursche blieb im Gehöft zurück.

Er ging im Hof auf und ab und überdachte das, was der Agellid ihm gesagt hatte. Er sagte vor sich hin: »Soll ich bleiben, oder soll ich nicht bleiben?« Zwei Stimmen sagten hinter ihm: »Wenn du nicht ein Tor bist, bleibst du.« Der Bursche wandte sich um. Er sah zwei sehr schöne erwachsene Mädchen. Die Mädchen gingen in das Haus. Es waren die Töchter des Agellid. Im Haus lachten sie. Der Bursche sagte bei sich: »Das ist eine schöne Doppelspeise für einen Klugen.« Abends kam der Agellid zurück. Der Bursche sagte: »Ich will es mir nicht lange überlegen. Ich habe mich entschlossen, deinen Vorschlag anzunehmen und als dein Stellvertreter hierzubleiben.«

Am anderen Morgen verreiste der Agellid schon. Kaum war er weggeritten, so kamen die beiden schönen Töchter des Agellid zum Burschen, lachten und sagten: »Bursche, willst du mit uns wetten? Du bist ein so schöner und starker Mann, daß es für Frauen eine Freude ist, mit dir in Händel zu geraten. Sag also, ob du mit uns wetten willst!« Der Bursche sagte: »Ich bin einverstanden. Sagt mir die Wette.« Die beiden schönen Mädchen lachten und sagten: »Wir wollen dir fünfzig Goldstücke geben, wenn du uns zwanzigmal hintereinander schwächen kannst. Du gibst uns fünfzig Goldstücke, wenn du es nicht kannst.« Der schöne Bursche lachte und sagte: »Wir wollen keine Zeit verlieren und anfangen.« Der Bursche beschlief die beiden Mädchen zwanzigmal. Er schwächte sie auch zwanzigmal. Beim letztenmal versagte aber seine Kraft. Die beiden schönen Mädchen sagten: »Du bist ein schöner und starker Mann, aber die fünfzig Goldstücke bekommst du nicht. Die fünfzig Goldstücke mußt du uns zahlen. Du hast uns allerdings zwanzigmal geschwächt, aber du selbst bist das zwanzigstemal schwach geworden.« Der Bursche sagte: »Das ist eine schwierige Sache, die nur ein Richter entscheiden kann. Ich schlage euch vor, daß wir dem Agellid, eurem Vater, die Sache zur Entscheidung vorlegen.«

Die beiden schönen Mädchen schrien auf. Sie sagten: »Wo denkst du hin! Unser Vater tötet uns ja, wenn er hört, daß wir so etwas taten. Er zerschlägt uns ja in kleine Stücke, wenn er hört, daß wir dir diese Wette vorgeschlagen haben. Du darfst auf keinen Fall mit unserem Vater darüber sprechen. Lieber schenken wir dir die fünfzig Goldstücke.« Der Bursche sagte: »Ihr braucht euch nicht zu ängstigen. Ich habe nicht vor, eurem Vater zu erzählen, daß wir miteinander diese Sache vorhatten. Ich will überhaupt von solchen Dingen mit ihm nicht sprechen. Aber da hier ein Streit vorliegt und ich mit dem Amte des Richtens in diesem Hause beauftragt bin, so muß ich seine Entscheidung hören.«

Die beiden schönen Mädchen ängstigten sich so, daß, als der Vater kam, sie sich im Viehstall neben der Wohnkammer versteckten. Der Agellid war noch nicht lange angekommen, da trat auch schon der Bursche ein, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und sagte: »Es waren gestern zwei Leute bei mir, die hatten miteinander eine Wette gemacht und stritten sich nun darum, wer von ihnen sie gewonnen habe. Der eine war der Besitzer eines starken Pferdes. Der hatte fünfzig Goldstücke gewettet, daß sein Pferd zwanzig Bündel Korn zu sich nehmen könne. Der andere war ein Kornhändler, der hatte fünfzig Goldstücke gewettet, daß das Pferd die zwanzig Bündel Korn nicht zu sich nehmen könne. Dann waren sie an die Ausführung gegangen. Das Pferd fraß neunzehn Maß Korn hintereinander. Das zwanzigste Bündel nahm es in sein Maul. Es zermalmte das Korn im Maul und ließ es dann wieder herausfallen. Der Kornhändler sagte nun, das Pferd habe die zwanzig Maß Korn nicht zu sich genommen und verlangte vom Pferdebesitzer fünfzig Goldstücke. Der Pferdebesitzer sagte, das Pferd habe alle zwanzig Bündel Korn zu sich genommen und damit die Aufgabe erfüllt. Wenn das Pferd nachher das zwanzigste Bündel wieder heraustat, so war das seine Sache. Der Pferdebesitzer verlangte deswegen vom Kornhändler fünfzig Goldstücke.« Der Agellid sagte: »Welcher Meinung bist du selbst?« Der Bursche sagte: »Ich meine, der Pferdehändler hat die Wette gewonnen. Denn sein Pferd hat die zwanzig Bündel tatsächlich zu sich genommen. Somit hat der Kornhändler die fünfzig Goldstücke dem Pferdebesitzer zu zahlen.« Der Agellid sagte: »Ich hätte gerade so entschieden wie du. Ich sehe, du hast die gleiche Auffassung von Recht und Unrecht wie ich, und du hast ein scharfes Urteil. Ich freue mich, daß du so weise bist, und werde meine nächste Reise um so ruhiger antreten.«

Am Abend kamen die beiden schönen Mädchen in die Kammer des Burschen und gaben die fünfzig Goldstücke ab. Sie lachten ganz leise und sagten ganz leise: »Wir danken dir. Der Verlust der fünfzig Goldstücke schmerzt uns nicht, da du uns reichlich gegeben hast. Wir wollen aber, sobald der Vater wieder verreist, eine andere Wette mit dir versuchen, die wir gewinnen wollen.«

Einige Tage später verreiste der Agellid abermals. Sobald er fortgeritten war, kamen die beiden schönen Töchter des Agellid zu ihm und sagten: »Bursche, du bist so klug, so schön und so stark, daß wir dich bitten müssen, dich nochmals in Händel mit uns einzulassen. Willst du noch einmal mit uns eine Wette eingehen?« Der Bursche sagte: »Ja, ich bin dazu bereit. Was wünscht ihr?« Die beiden schönen Mädchen lachten und sagten: »Wir beide wollen uns ganz nackt ausziehen. Du sollst dann vom Abend bis Mitternacht hinter uns herlaufen, uns fangen und uns auf unser Lager werfen. Wenn es dir gelingt, dieses Spiel von Abend bis Mitternacht mit uns zu treiben, ohne auf uns zu fallen und uns zu schwächen, so wollen wir dir fünfzig Goldstücke auszahlen. Wenn du aber dabei auf uns fällst und dich nicht enthalten kannst, uns zu schwächen, dann sollst du uns fünfzig Goldstücke auszahlen.« Der Bursche sagte: »Ich gehe darauf ein. Ich sage euch aber vorher, daß ihr eure fünfzig Goldstücke verlieren werdet.« Die beiden Mädchen lachten und sagten: »Das verschmerzen wir, wenn du nur nach Mitternacht noch bei uns bleibst und dann bei uns schlafen willst.«

Als es Abend war, zogen die beiden schönen Mädchen sich nackt aus. Der Bursche ging aber in seine Kammer und band sich das Glied am Bein mit einem Tuch fest. Nach einiger Zeit kamen die nackten Mädchen und zupften den Burschen. Der Bursche sprang auf, lief hinter ihnen her, fing sie, trug sie zu ihrem Lager und warf sie auf ihr Lager hin. Er drückte sie nieder, stand dann, ohne ihnen sonst etwas anzutun, auf und ließ auch sie aufspringen. Die Mädchen liefen fort, ließen sich wieder fangen und hinwerfen und niederdrücken. Das ging eine lange Zeit so, und die Mädchen erreichten das, was sie beabsichtigten, nicht. Einmal, nicht lange vor Mitternacht, fühlten aber die Mädchen, daß der Bursche sich das Glied festgebunden hatte. Da knoteten sie, während er sie auf das Lager rollte, ihm das Tuch ab. Als nun das Glied des Burschen frei war, mäßigte er sich nicht mehr, sondern er fiel auf sie und begann sie alle beide, noch ehe es Mitternacht war, zu schwächen.

Die Mädchen lachten und sagten: »Wir sind sehr zufrieden. Fahre so fort. Denn nun haben wir das, was wir wünschen, und die fünfzig Goldstücke mußt du uns auch zahlen.« Der Bursche sagte: »Ihr seht, ich bin euch gerne zu Willen, denn ihr seid ein paar schöne Mädchen. Die fünfzig Goldstücke habt ihr mir aber zu zahlen, denn ihr habt mir mein Tuch abgebunden, und deshalb habe ich das Recht auf meiner Seite. Wenn ihr mir nicht zustimmen könnt und die fünfzig Goldstücke nicht gutwillig zahlen wollt, werde ich, wie das vorige Mal, den Agellid um seine Meinung befragen.« Die Mädchen lachten und sagten: »Nein, wir wollen dir die fünfzig Goldstücke nicht zahlen, wir verlangen vielmehr von dir die fünfzig Goldstücke. Wenn du es so geschickt anfängst, sind wir damit einverstanden, daß du den Agellid, unseren Vater, um die Entscheidung angehst, und wir werden uns, wie das vorige Mal, seinem Richterspruch fügen. Jetzt bleibe aber noch bei uns.«

Am anderen Morgen kam der Agellid von seiner Reise zurück. Die beiden Mädchen versteckten sich im Viehstall, und der Agellid kam alsbald in seine Kammer. Der Bursche suchte den Agellid in seiner Kammer auf und sagte: »Während deiner Abwesenheit waren der Pferdebesitzer und der Kornhändler wieder hier und haben in einer schwierigen Streitfrage eine Entscheidung verlangt. Sie hatten wieder miteinander gewettet.

Der Pferdehändler sollte sein Pferd an eine bestimmte Stelle stellen, und der Kornhändler wollte zwei Kübel voll Korn, einen zur Rechten und einen zur Linken des Pferdekopfes hinstellen. Das Pferd sollte so vom Morgen bis zum Mittag stehen. Der Pferdebesitzer verpflichtete sich, dem Kornhändler fünfzig Goldstücke zu zahlen, wenn das Pferd das Korn in den beiden Kübeln vor Mittag anrühre. Der Kornhändler verpflichtete sich, dem Pferdebesitzer fünfzig Goldstücke zu zahlen, wenn das Pferd, nachdem es einmal hingestellt war, bis zum Mittag das Korn nicht fresse. Die Wette sagte beiden zu. Der Pferdebesitzer band das Pferd mit einem Strick an der bezeichneten Stelle fest. Der Kornhändler stellte rechts und links von dem Kopfe des Pferdes je einen Kübel mit Korn hin. Das Pferd stand lange so da und rührte das Korn nicht an. Als es nahe bis Mittag war, schlich der Kornhändler aber hin und schnitt heimlich den Strick, an dem das Pferd angebunden war, durch. Das Pferd lief nun frei umher. Es sprang auf den einen Kübel mit Korn und fraß ihn leer, und es sprang auf den anderen Kübel und fraß ihn leer, gerade, als es Mittag war. Nun verlangte der Kornhändler fünfzig Goldstücke, weil das Pferd das Korn nicht nur berührt, sondern auch aufgefressen hatte, und der Pferdebesitzer verlangte fünfzig Goldstücke, weil der Kornhändler den Strick heimlich durchgeschnitten und so die Sache verwirrt hatte.« Der Agellid sagte: »Sage mir, wie du die Sache als mein Stellvertreter entschieden hast!« Der Bursche sagte: »Ich habe gesagt, der Kornhändler hatte nicht das Recht, noch kurz vor Mittag, nachdem das Pferd so lange, ohne das Korn zu berühren, dagestanden hatte, die Schnur durchzuschneiden. Denn der Pferdebesitzer hatte sein Tier gelehrt, derart still zu verharren, solange es am Kopfe angebunden war. Indem der Kornhändler die Schnur durchschnitt, raubte er dem Pferdehändler den Einfluß auf sein Pferd und nahm dem Pferd den Verstand. Deshalb hat der Kornhändler dem Pferdebesitzer die fünfzig Goldstücke zu zahlen.« Der Agellid sagte: »Du hast sehr klug entschieden. Ich hätte nicht besser entscheiden können. Ich freue mich darüber, daß du mich während meiner Abwesenheit so gut vertrittst.«

Als es Abend war, kamen die beiden schönen Töchter des Agellid in die Kammer des Burschen, lachten leise und sagten leise: »Hier sind die fünfzig Goldstücke. Wir danken dir. Wir wollen noch etwas bei dir bleiben.«

Nach einiger Zeit waren die beiden schönen Mädchen des Agellid schwanger. Trotzdem hörten sie nicht auf, den Burschen zu besuchen. Der Bursche sagte eines Tages bei sich: »Diese Übung will ich nun beenden. Sie nimmt mir zuviel Kraft. Die Speise ist sehr gut für einen Klugen, aber ehrlich ist sie nicht. An dieser Sache habe ich gelernt, daß die besten Sachen zwar für die Klugen sind, daß sie aber auf die Zeit doch nur bekommen, wenn sie zu einem rechtlichen Genuß führen. Ich habe nicht vor, mir hier den Magen zu verderben.«

Der Bursche packte eines Nachts, nachdem die beiden schönen Mädchen des Agellid ihn über die Gebühr lang in Anspruch genommen hatten, seine Sachen und ging, ohne Abschied zu nehmen, von dannen.

 

3
Die Frau des Kaffeewirts – Meisterschaft

Der Bursche wanderte hinfort und kam weit hinein in das Land. Er fragte überall nach der Art der Menschen und nach der Art der Frauen. Als er in eine andere Gegend kam, hörte er von der Tochter eines Agellid, die besonders schön und klug sein sollte. Alle Leute, die von ihr sprachen, erzählten, daß ihr Vater ihr ein eigenes Haus geschenkt habe, in welchem sie wohne. Sie erzählten, daß dieses Mädchen außerordentlich klug sei und zugesagt habe, sie wolle es an Klugheit mit allen Männern aufnehmen. Die Leute erzählten, dies Mädchen habe sich bereit erklärt, irgendeinen Mann zu heiraten, sie wolle ihn aber nur behalten, wenn er ihr an Klugheit überlegen sei. Die Leute erzählten nicht, daß das Mädchen inzwischen einen Kaffeewirt zum Manne genommen hatte, denn die Leute wußten das nicht. Die Leute erzählten nicht, daß das Mädchen dem Kaffeewirt gesagt habe, daß sie ihn nur nähme, um zu sehen, was an einem Mann dran sei, daß sie ihn aber wieder aus ihrem Hause und der Ehegemeinschaft ausweisen würde, wenn ein Mann käme, der sich klüger und tapferer als er, der Kaffeewirt, und sie, die Tochter des Agellid, erwiese. Die Leute erzählten es nicht, denn die Leute wußten es nicht. Sie erzählten dem Burschen nur immer von der Klugheit und Schönheit der Tochter des Agellid. Der Bursche sagte: »Diese Tochter des Agellid ist anscheinend die Frau, die ich suche.« Der Bursche machte sich wieder auf den Weg und begab sich in den Ort, in dem die kluge Tochter des Agellid wohnen sollte.

Der Bursche kam in den Ort. Der Bursche legte seine Sachen bei einem Kaffeewirt nieder. Der Bursche wußte nicht, daß dieser Kaffeewirt gerade derjenige war, den die kluge Agellidtochter ausgewählt hatte, um kennenzulernen, was an einem Mann dran sei. Der Bursche lebte nun in dem Kaffeehaus und unternahm nichts. Der Bursche sagte: »Ich will nichts fragen und nichts tun. Es wird alles ganz allein so gehen, wie es gehen muß. Ich werde warten, bis man mir den Weg zu meiner zukünftigen Frau zeigt.«

Einen Monat lang war der Bursche in dem Kaffeehaus. Er tat nichts und sagte wenig. Der Kaffeewirt sagte bei sich: »Ich muß herausbekommen, was dieser Bursche hier will. Ich will das wissen, denn die Leute fragen mich danach, und ich kann ihnen keinen Bescheid geben.« Der Kaffeewirt kam eines Tages zu dem Burschen, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und sagte: »Du bist nun schon einen Monat lang hier bei mir.« Der Bursche sagte: »So ist es. Ich hoffe, daß ich immer mein Lager, mein Essen und mein Getränk bezahlt habe.« Der Kaffeewirt sagte: »Gewiß hast du stets alles bezahlt. Du mußt wohlhabend sein, daß du stets alles immer bezahlen kannst, ohne einen Beruf zu haben. Denn anscheinend arbeitest du nicht.« Der Bursche sagte: »Nein, ich arbeite nicht. Gott hat mich so klug, so schön und so stark gemacht, daß mir immer das, was ich brauche, zuteil wird.« Der Kaffeewirt sagte: »Glaubst du, daß du hier am Ort auch alles bekommen wirst, was du brauchst?« Der Bursche sagte: »Das glaube ich, wenn es hier nämlich kluge Frauen gibt. Ich glaube aber nicht, daß es hier kluge Frauen gibt.« Der Kaffeewirt sagte: »Du irrst dich sehr. Es gibt hier sogar sehr kluge Frauen. Ja, man sagt, in diesem Orte gäbe es die klügste Frau des ganzen Landes. Dort drüben in jenem Hause lebt z. B. eine junge Frau, die Tochter unseres Agellid, die ist klüger als alle Frauen. Sie hat sich vor einiger Zeit einen Mann genommen, der tagsüber beschäftigt ist. Damit sie nun ganz sicher ist, daß in der Zeit seiner Abwesenheit kein Mann zu ihr eindringen kann, hat sie ihr Haus mit sieben Türen verschlossen und nur einen Schlüssel machen lassen, den hat sie ihrem Mann gegeben, der ihn immer bei sich trägt. Die kluge Frau hat nun ihrem Mann geschworen, daß nur der in das Haus hineinkommen dürfe und von ihr empfangen würde, der den Schlüssel hat, der zu den sieben Schlössern paßt. Sie empfängt nicht einmal mehr ihre eigenen Verwandten. Diese Frau ist sehr klug.«

Der Bursche sagte bei sich: »Das Mädchen des Agellid hat also einen Mann genommen. Sie hat gesagt, daß sie nur den empfängt, der den Schlüssel zu ihrem Haus hat. Ich werde mir den Schlüssel zu ihrem Haus machen lassen. Ich werde zu ihr gehen und werde sehen, ob sie wirklich so klug ist, wie alle Leute sagen. Wenn sie so klug ist, dann werde ich ihr zeigen, daß ich ihr und ihrem Mann an Klugheit überlegen bin, und ich werde sie dann heiraten. Ihr Haus hat der Kaffeewirt mir ja nun gezeigt.« Als es Abend war, ging der Bursche zu dem Haus der Tochter des Agellid. Er nahm einen Klumpen Wachs mit sich und drückte auf einen Teil des Wachses die Form der Öffnung der Schlösser ab. Dann drückte er einen zweiten Teil Wachs innen in das Schloß. Der Bursche ging wieder heim. Als es Nacht war, ging der Kaffeewirt hinüber zu dem Haus seiner Frau. Er steckte einen Schlüssel in die Öffnung und öffnete. Als er den Schlüssel wieder herauszog, fand er, daß sich eine Wachsschicht in die Zacken gedrückt hatte. Der Kaffeewirt sagte: »Wie kommt denn das Wachs in meine Tasche und an meinen Schlüssel?« Er dachte aber nicht weiter darüber nach, sondern zog die Wachsschicht vom Schlüssel und warf sie auf die Straße. Dann ging er durch die anderen Türen zu seiner Frau hinein und verließ das Haus am anderen Morgen, nachdem er die Türen wohl verschlossen hatte.

Der Bursche ging aber nachts hin, suchte die Wachsschicht, die der Kaffeewirt weggeworfen hatte, auf und nahm sie mit nach Hause. Am Tage ging er zu einem Schmied und ließ sich nach dem Wachsabdruck des Kaffeewirts die Zapfen schmieden. Danach ging er in die Farmen vor dem Ort, schnitt sich ein gutes Stück Holz und schnitzte daraus nach dem selbstgenommenen Wachsabdruck das Schlüsselholz und setzte die Zapfen ein. Gegen Abend ging er zu dem Haus der klugen Tochter des Agellid, versuchte seinen Schlüssel und fand, daß er paßte.

Der Bursche öffnete die sieben Türen und schloß sie. Der Bursche trat in die Kammer der Tochter des Agellid. Die Tochter des Agellid kam ihm entgegen und fragte: »Wie bist du hereingekommen?« Der Bursche sagte: »Alle Leute haben mir gesagt, daß du klug bist. Die Leute haben mir gesagt, daß du nur den empfängst, der den Schlüssel zu deinen Türen hat. Hier ist der Schlüssel.« Die junge Frau besah den Schlüssel und sagte: »Es ist nicht der Schlüssel meines Mannes.« Der Bursche sagte: »Den Schlüssel deines Mannes zu nehmen, wäre sehr einfach; man brauchte ihn nur totzuschlagen und ihm den Schlüssel wegzunehmen. Die Leute erzählten mir, du habest gesagt: Du wollest als Gatten den behalten, der klug ist. Also mußte ich mit der Herstellung eines eigenen Schlüssels den ersten Beweis meiner Klugheit erbringen.« Die Tochter des Agellid gab ihm den Schlüssel wieder und sagte: »Setze dich!« Der Bursche setzte sich.

Der Bursche betrachtete die Tochter des Agellid. Sie war sehr schön und stark. Die Tochter des Agellid betrachtete den Burschen. Er war sehr schön und stark. Die Tochter des Agellid sagte: »Was willst du von mir?« Der Bursche sagte: »Erst will ich bei dir schlafen. Dann will ich sehen, ob es gut sein wird, wenn wir einander heiraten.« Die Tochter des Agellid sagte: »Mein Mann wird aber nachher kommen.« Der Bursche sagte: »Die Zeit bis dahin können wir nutzen. Wenn er kommt, rollst du mich in eine Matte ein und läßt mich eingerollt in der Ecke liegen. Ich werde in der Matte sehr gut schlafen, und er scheint mir, da er nicht merkte, wie ich das Schlüsselwachs eingedrückt habe, zu dumm zu sein, um auf mich zu achten.« Die Tochter des Agellid lachte. Der Bursche trat zu ihr und sagte: »Du bist schön.« Die Tochter des Agellid sagte: »Du bist schön und stark und klug.« Sie schliefen beieinander. Die Tochter des Agellid sagte: »Beweise mir deine Klugheit. O, wärest du doch so klug, wie ich es wünschte. Wärest du doch der klügste und tapferste aller Menschen!« – Der Bursche lachte. Die Tochter des Agellid lachte.

Sie schliefen beieinander, bis der Mann der Tochter des Agellid die Türen öffnete. Da ließ der Bursche sich in die Matte wickeln und in die Ecke rollen. Dort schlief er sogleich ein. Der Kaffeewirt kam herein und wollte sich neben seine Frau legen. Die Tochter des Agellid sagte: »Du schläfst heute nicht bei mir. Du wirst in diesen Tagen deine ganze Klugheit nötig haben, und da darfst du dich nicht schwächen. Vergiß nicht die Bedingungen, unter denen ich dich zum Manne genommen habe.« Der Kaffeewirt sagte: »Ich verstehe dich nicht.« Dann ging er auf sein Lager und streckte sich aus. Als es Morgen war, erhob er sich und verließ ärgerlich sein Haus. Als er in seinem Kaffeehaus angekommen war, sagte er ärgerlich: »Was mag meine Frau nur wollen? Was mag meine Frau nur meinen? Wozu soll ich denn meine ganze Klugheit notwendig haben?«

Einige Zeit, nachdem der Kaffeewirt das Haus verlassen hatte, erwachte der Bursche, steckte seinen Kopf ein wenig zur Matte heraus, sah, daß das Lager des Ehemannes verlassen und die Tochter des Agellid allein war, rollte sich aus seiner Matte aus und kam hervor. Die Tochter des Agellid sagte: »Hast du meinen Mann gesehen?« Der Bursche sagte: »Nein, dazu hatte ich keine Zeit. Ich habe geschlafen.« Die Tochter des Agellid sagte: »Komm und plaudere mit mir!« Sie sagte dem Burschen aber nicht, wer ihr Gatte war.

Der Bursche kam erst gegen Mittag in sein Kaffeehaus zurück. Der Kaffeewirt war gewöhnt, daß der Bursche stets da war. Der Kaffeewirt fragte: »Was hast du heute nacht gemacht? Du hast in dieser Nacht nicht dein Lager berührt und kamst erst gegen Mittag nach Hause. Du warst sicherlich bei einem schönen Mädchen!« Der Bursche sagte: »Nein, ich war nicht bei einem schönen Mädchen. Ich war bei einer schönen Frau. Ich habe dir doch gesagt, daß ich das, was ich brauche, immer von klugen Frauen erhalte, und du hast doch gesagt, daß die Tochter des Agellid, die dies Haus da drüben bewohnt, klug ist. Da habe ich denn eben sogleich die gestrige Nacht bei der klugen Frau zugebracht.« Der Kaffeewirt sagte: »So hast du da drüben bei der klugen Frau geschlafen?« Der Bursche sagte: »Natürlich!« Der Kaffeewirt sagte: »Wie bist du denn hineingekommen?« Der Bursche sagte: »Du hattest mir doch gesagt, daß die kluge Frau nur den empfängt, der den Schlüssel hat. Da habe ich mir von dem Mann der Frau eben einen Abdruck in Wachs machen lassen, indem ich Wachs in das Schlüsselloch steckte, das der Mann, der ein wahrer Esel sein muß, denn auch abdrückte und auf die Straße legte. Ich habe mir nach dem Wachsabdruck den Schlüssel gemacht. Ich bin hierauf gestern abend an das Haus gegangen, habe die sieben Türen aufgemacht und habe dann bei der Frau geschlafen. Es ist eine sehr schöne und kluge Frau. Als der Ehemann kam, habe ich mich von der Frau in die Fußmatte wickeln und in die Ecke rollen lassen. Als der Mann endlich heute morgen seine Frau verließ, bin ich aufgewacht, habe mit der Frau noch eine Zeitlang geplaudert und bin dann wieder hierher zurückgekehrt. Du hast ganz recht, es ist eine sehr kluge und sehr schöne Frau. Ich wiederhole dir aber, daß der Mann in Wahrheit ein Esel sein muß.« Der Kaffeewirt sagte: »So hat die kluge Frau dir nicht gesagt, wer ihr Mann ist?« Der Bursche sagte: »Nein, das hat sie nicht gesagt. Weshalb sollte sie mir das auch sagen?« Der Kaffeewirt sagte: »So hast du auch die kluge Frau nicht gefragt, wer ihr Gatte ist?« Der Bursche sagte: »Nein, wie soll ich dazu kommen, danach zu fragen? Es wäre der klugen Frau doch nur unangenehm gewesen, mit mir über den dummen Gatten zu reden, und mich geht er doch gar nichts an.« Der Kaffeewirt sagte: »Was sagst du? Der Mann der Frau, mit der du schläfst, geht dich nichts an?« Der Bursche sagte: »Nein, der geht mich nichts an. Das ist Sache der Frau. Der Mann wird es schon früh genug merken, wenn ich seine Frau heirate.« Der Kaffeewirt sagte: »Was sagst du? Du willst diese Frau heiraten?« Der Bursche sagte: »Ich denke, ja. Ich habe mich aber noch nicht fest entschlossen.« Der Kaffeewirt sagte: »So wirst du diese Nacht wieder zu der klugen Frau gehen, um mit ihr zu schlafen?« Der Bursche sagte: »Natürlich werde ich gehen.« Der Kaffeewirt sagte: »Versäume es ja nicht, heute nacht wieder zu der Tochter des Agellid zu gehen. Die Gelegenheit, bei einer so klugen und schönen Frau zu schlafen, ist sehr selten.« Der Bursche sagte: »Da hast du sehr recht. Ich danke dir jedenfalls dafür, daß du mich auf sie aufmerksam gemacht hast.« Der Kaffeewirt ging hinaus, schlug sich vor den Kopf. Dann ging er in seine Kammer, nahm einen Säbel hervor und schliff ihn. Er schliff den Säbel und sagte dabei immer vor sich hin: »Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! Warte, Bursche, heute nacht werde ich dich treffen, und dann wird der wahre Esel dich lehren, seine Frau zu heiraten.«

Als es gegen Abend war, ging der Bursche hinüber zum Haus der klugen Tochter des Agellid. Er verschloß die sieben Türen wieder hinter sich und suchte die kluge Frau auf. Die Frau fragte ihn: »Hast du jemand erzählt, daß du vorige Nacht bei mir geschlafen hast?« Der Bursche sagte: »Ja, ich habe es dem erzählt, der es am schnellsten zu Ohren deines Mannes bringen wird, damit der möglichst bald beginnt, sich mit mir zu messen.« Die Frau sagte: »Wem hast du es denn erzählt?« Der Bursche sagte: »Ich habe es meinem Freund, dem törichten Kaffeewirt, erzählt.« Die Frau sagte: »Wem hast du es erzählt?« Der Bursche sagte: »Meinem Freund, dem Kaffeewirt. Wer sollte mir sonst bequemer gekommen sein?« Die kluge Frau lachte, sie lachte und lachte. Der Bursche sah sie an und sagte: »Dann ist also der Kaffeewirt dein Mann? Das ist bedauerlich.« Die Frau lachte und sagte dann: »Weshalb ist es denn bedauerlich?« Der Bursche sagte: »Weil ich es lieber mit einem Klügeren aufgenommen hätte.« Die Frau sagte: »Komm, setze dich zu mir.« Der Bursche blieb bei der klugen und schönen Frau, bis draußen der Kaffeewirt den Schlüssel in das Schlüsselloch der äußersten Tür steckte. Der Bursche hörte es und sagte: »Rolle die Matte zusammen, wie gestern, ich werde in die Holztruhe kriechen. Sie ist lang genug. Ich werde gut darin liegen und schlafen.«

Der Kaffeewirt trat bei seiner Frau ein. Er hatte den Säbel mitgebracht. Er legte ihn nieder und wollte sich neben seiner Frau auf dem Lager ausstrecken. Seine Frau, die kluge Tochter des Agellid, sagte ihm: »Du schläfst heute und auch die nächsten Tage nicht bei mir. Du wirst in diesen Tagen deine ganze Klugheit notwendig haben, und da darfst du dich nicht schwächen. Ich erinnere dich noch einmal daran. Vergiß nicht die Bedingungen, unter denen ich dich geheiratet habe.« Der Kaffeewirt konnte seine Wut nicht beherrschen. Er ergriff den Säbel mit beiden Händen und begann mit aller Gewalt auf die in der Ecke liegende Matte einzuschlagen. Er zerschlug die Matte mit dem Säbel in ganz kleine Streifen und Stücke und sagte dabei immer vor sich hin: »Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! Warte, Bursche, jetzt habe ich dich aber erwischt, und jetzt wird dich der wahre Esel lehren, seine Frau heiraten zu wollen.« – Nachdem die Matte vollkommen zerfetzt und zerhackt und der Säbel stumpf geschlagen war, legte der Kaffeewirt sich nieder, schlief bis zum anderen Morgen und ging dann wieder hinüber in seine Kaffeewirtschaft.

Als es gegen Mittag war, kam auch der Bursche in die Kaffeewirtschaft. Der Kaffeewirt sah ihn erstaunt an und sagte: »Bursche, wo kommst du denn her?« Der Bursche sagte: »Ich? Wo ich herkomme? Das weißt du doch! Ich habe dir doch gestern gesagt, ich wollte wieder zu der klugen, schönen Frau gehen!« Der Kaffeewirt sagte: »Und du warst wieder da und hast wieder bei ihr geschlafen?« Der Bursche sagte: »Gewiß, ich habe auch ein großes Vergnügen gehabt. Als es spät war, kam der Mann der Frau und wollte sich neben ihr auf dem Lager ausstrecken. Seine Frau verbot es ihm aber für diesen und die nächsten Tage; sie sagte ihm, er dürfe seine Klugheit nicht schwächen und erinnerte ihn an die Bedingungen, unter denen er sie geheiratet hatte. Da packte den Mann, der in Wahrheit ein selten törichter Esel sein muß, eine unbeschreibliche Wut. Er ging auf die Matte, die von voriger Nacht her noch aufgerollt in der Ecke lag, los. Er dachte wahrscheinlich, ich würde zwei Nächte hintereinander an der gleichen Stelle liegen, und zerhackte sie mit seinem Säbel kurz und klein. Dabei sagte er immer: ›Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! – Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! – Der Mann muß in Wahrheit ein Esel sein! Warte, Bursche, jetzt habe ich dich aber erwischt, und jetzt wird der wahre Esel dich lehren, seine Frau heiraten zu wollen.‹ Nachdem der Mann die Matte und den Säbel zerschlagen hatte, legte er sich nieder. Es war sehr gut, daß er sich niederlegte, denn ich lag derweilen in der langen Truhe, die neben der Matte steht, und es wurde mir sehr schwer, mir das Lachen zu verhalten. Der Druck, der mir durch das Verhalten des Lachens entstand, war zuletzt so groß, daß mir fast etwas Unanständiges passiert wäre, und daß ich beinahe die Truhe angewässert hätte. – Aber, sage selbst, Freund Kaffeewirt, ist dies nicht ein sehr schönes Erlebnis?« Der Kaffeewirt sagte: »Gewiß! Ein sehr schönes Erlebnis! Sehr schön! Aber sage mir doch, mein Freund, wirst du heute nacht nicht wieder zu der schönen und klugen Frau gehen, um bei ihr zu schlafen?« Der Bursche sagte: »Gewiß werde ich das tun. Du hast mir als erfahrener Mann doch selbst gesagt, die Gelegenheit bei einer so klugen und schönen Frau zu schlafen, sei selten! Außerdem gedenke ich die Frau ja zu heiraten, und ich will nun sehen, ob ich auf die Dauer auch gut mit ihr auskomme und ob ich ihr an Klugheit auch gewachsen bin. Denn sie will ja einen klugen Mann heiraten. Der jetzige scheint ihr ja viel zu dumm zu sein!« Der Kaffeewirt sagte: »Hat die Frau das etwa gesagt?« Der Bursche sagte: »Was denkst du? Ich werde der armen Frau doch nicht das Herz schwer machen, indem ich mit ihr über die Dummheit des Mannes rede, mit dem sie zur Zeit noch verheiratet ist!« Der Kaffeewirt sagte: »Wie denkst du denn aber, daß es mit diesem jetzigen Mann der Tochter des Agellid werden soll? Wie denkst du denn den Mann wegzuräumen, damit du seine Frau heiraten kannst?« Der Bursche sagte: »Weshalb soll ich den Mann wegräumen? Der Mann ist so töricht, daß er sich zweifellos selbst beseitigen wird.« Der Kaffeewirt sagte nichts. Er rannte hinaus. Er schlug sich vor die Stirn und brüllte vor Zorn. Er nahm ein Beil und schlug auf einen Holzblock ein, bis er in ganz kleine Splitter gehackt war. Dann nahm er das Beil, trug es zum Schmied und sagte auf dem Weg immer vor sich hin: »Ist das nicht ein sehr schönes Erlebnis? Ist das nicht ein sehr schönes Erlebnis? Ist das nicht ein sehr schönes Erlebnis? – Und der Mann ist so töricht, daß er sich sicherlich selbst beseitigen wird.« – Beim Schmied angekommen, gab er den Auftrag, das Beil sehr scharf zu schmieden und zu schärfen. Er blieb daneben hocken und sah der Arbeit zu. Dabei sagte er immer vor sich hin: »Ein sehr schönes Erlebnis. Ein sehr schönes Erlebnis. Ein sehr schönes Erlebnis!« Er ging nach Hause und verrichtete zu Hause seine Arbeit. Er sagte aber immer vor sich hin: »Ein sehr schönes Erlebnis! Ein sehr schönes Erlebnis! Ein sehr schönes Erlebnis!«

Als es Abend war, ging der Bursche wieder hinüber zu dem Hause der klugen Tochter des Agellid, öffnete, schloß hinter sich die sieben Türen und suchte die Frau in ihrer Kammer auf. Die Frau fragte: »Wie geht es meinem Manne?« Der Bursche sagte: »Ich habe ihm alles erzählt, was sich vorige Nacht hier ereignet hat, ohne ihm zu sagen, daß ich weiß, daß er dein Mann ist. Er ist nun schon so weit, daß nur noch ein Tag nötig ist, ihn selbst der Sache ein Ende bereiten zu lassen.« Die Frau sagte: »Wie willst du der Sache ein Ende machen?« Der Bursche sagte: »Ich habe dabei nichts zu wollen. Das wird der Mann ganz allein tun. Er ist von der Art der Fliegen, die sich selbst totstechen, wenn ihr Zorn so groß wird.«

Die Frau sagte: »Er wird heute das ganze Haus nach dir absuchen. Ich weiß aber ein gutes Versteck. Setze dich nachher, wenn er kommt, in den großen Brutkasten der Tauben und halte in jeder Hand eine Taube an den Beinen fest. Wenn er den Deckel hochhebt, läßt du die Tauben fliegen, dann wird er sicher sagen, daß, wenn heute schon jemand den Kasten geöffnet hätte, keine Tauben mehr darin sein können, und wird ihn wieder schließen. – Nun komm aber noch zu mir und plaudere mit mir.«

Der Bursche unterhielt sich mit der jungen Frau bis in vorgeschrittener Nacht. Endlich hörten sie, daß der Kaffeewirt draußen den Schlüssel in das Schlüsselloch der äußersten Tür steckte. Dann gab die junge Frau dem Burschen die beiden Tauben in die Hand und hieß ihn in die Taubenbrutkiste steigen, die sie über ihm schloß. Die junge Frau streckte sich auf dem Lager aus. Der Kaffeewirt trat mit dem Beil in der Hand herein. Er ging sogleich auf die große Truhe zu und zertrümmerte sie mit einem Schlage. Er zerschlug die großen Urnen. Er schlug gegen die Wand. Er schlug auf den Boden. Er zerschlug die Axt. Er ging überall umher und suchte nach dem Burschen. Dabei sagte er immer vor sich hin: »Ein sehr schönes Erlebnis! Ein sehr schönes Erlebnis! Ein sehr schönes Erlebnis!« Er sagte: »Vielleicht ist er in der Taubennistkiste versteckt.« Er ging darauf zu. Er öffnete den Deckel. Die beiden Tauben flogen heraus und ihm ins Gesicht. Er ließ den Deckel fallen und sagte: »Wenn er dahineingekrochen wäre, hätten jetzt keine Tauben mehr herausfliegen können! Ein sehr schönen Erlebnis. Ein sehr schönes Erlebnis. Ein sehr schönes Erlebnis.« Er ging überall umher und fand den Burschen nirgends. Er warf sich zuletzt auf sein Lager und schlief ein. Am anderen Morgen erhob er sich und ging hinüber in seine Kaffeewirtschaft. Als es gegen Mittag war, kam auch der Bursche. Der Kaffeewirt begrüßte ihn und fragte ihn: »Warst du wieder bei der klugen und schönen Frau, der Tochter des Agellid?« Der Bursche sagte: »Gewiß war ich dort. Ich komme doch eben von dort.« Der Kaffeewirt fragte: »War denn der Gatte der Frau auch wieder da?« Der Bursche sagte: »Natürlich war er auch wieder da. Er lief mit einem Beil umher und zerschlug erst die Truhe, in der ich in der Nacht vorher gelegen hatte, dann zerhieb er alles, was ihm in den Weg kam, bis das Beil am Boden zerschlagen war. Dabei sagte er immer vor sich hin: ›Ein sehr schönes Erlebnis! Ein sehr schönes Erlebnis! Ein sehr schönes Erlebnis! ‹« Der Kaffeewirt sagte: »Wo warst du denn versteckt?« Der Bursche sagte: »Ich war im Taubenbrutkasten versteckt und hatte in jeder Hand eine Taube. Als der Mann den Deckel der Kiste öffnete, ließ ich ihm die beiden Tauben ins Gesicht fliegen. Da meinte er, wo noch Tauben darin wären, könne sich nicht erst vor kurzem ein Mensch versteckt haben! So ließ er den Deckel wieder fallen. Dieser Mann ist wirklich zu dumm!«

Der Kaffeewirt sagte bei sich: »Warte, mein Bursche! Ich will dich bei deiner Schwatzhaftigkeit packen und der eigene Vater deiner Geliebten soll dich als Richter verurteilen. Warte!« Der Kaffeewirt sagte zu dem Burschen: »Da wir nun Freunde sind, will ich dich auch in der Familie meines Schwiegervaters einführen. Ich bin dort heute zum Abendessen eingeladen. Meine Frau wirst du dort auch kennen lernen, denn sie geht schon über Mittag hin, weil die jüngste Frau meines Schwiegervaters unpäßlich ist und meine Frau das kleine Kind dort warten wird. Also, mein Freund, komm mit mir und iß dort mit mir zusammen.« Der Bursche sagte: »Das will ich sehr gerne tun.«

Der Kaffeewirt machte sich mit dem Burschen auf den Weg zum Schwiegervater, dem Agellid. Der Kaffeewirt brachte den Burschen in die linke von drei Kammern, die nebeneinander lagen und nur durch dünne Wände voneinander getrennt waren. In der mittleren Kammer befand sich die kluge Tochter des Agellid und wartete da das Kind der jüngsten Frau ihres Vaters. Nachdem der Kaffeewirt den Burschen in der linken Kammer untergebracht hatte, ging er hinüber zu der rechten, in der sich der Agellid befand.

Der Kaffeewirt begrüßte den Agellid und sagte dann zu ihm: »Ich habe dir heute einen Mann mitgebracht, der im ganzen Lande die jungen Frauen verführt und deshalb nach unserem Gesetz getötet werden muß.« Der Agellid sagte: »Es muß aber, um ihn zu töten, nach unserem Gesetz ein Mann da sein, der ihn des Ehebruchs wegen hier bei mir anklagt, und dann muß ein vollkommener Beweis dafür erbracht werden, daß der Ehebruch verübt wurde. Wie steht das?« Der Kaffeewirt sagte: »Den Beweis für den Ehebruch wird dir der Bursche selbst erbringen. Denn er erzählt alles ganz genau und prahlt mit seinen Erfolgen.« Der Agellid sagte: »Das genügt. Wer übernimmt nun die Anklage?« Der Kaffeewirt sagte: »Die Anklage übernehme ich.« Der Agellid sagte: »Tue dies nicht. Laß die Sache der anderen Leute. Denn es ist doch nicht deine Sache?« Der Kaffeewirt sagte: »Nein, nein, nein, es ist nicht meine Sache.« Der Agellid sagte: »Dann laß die Sachen. Denn wenn du den Beweis nicht voll erbringen kannst, muß ich dich nach den Gesetzen unseres Landes als Verleumder anklagen und bestrafen. Und du weißt, hieraufhin wird ebenso der Tod verhängt wie für Ehebruch.« Der Kaffeewirt sagte: »Das ist mir gleich. Ich klage den Burschen an.« Der Agellid sagte: »Wenn du darauf bestehst, muß ich es übernehmen. Die Folgen wirst du tragen.«

Der Agellid ging mit dem Kaffeewirt hinüber aus der linken Kammer, an der mittleren vorüber zu der rechten Kammer. Die kluge Tochter des Agellid blieb in der mittleren Kammer, in der sie alles hören konnte. Der Kaffeewirt begleitete den Agellid hinüber und sagte zu ihm: »Das ist der Bursche, der so schöne Geschichten zu erzählen weiß. Erzähle uns etwas, mein Freund!« Der Bursche sagte: »Ich weiß keine Geschichte zu erzählen.« Der Kaffeewirt sagte: »So erzähle doch das, was du mir in den letzten Tagen von deinen nächtlichen Abenteuern erzählt hast.« Der Bursche sagte: »Das wird dem Agellid ganz gleichgültig sein.« Der Agellid sagte: »Nein, es ist mir nicht ganz gleichgültig. Erzähle es nur!«

Der Bursche sagte: »Neulich sagte mir ein Mann, es sei eine sehr schöne und kluge Frau hier im Orte. Die sei an einen Mann verheiratet, der immer den einzigen Schlüssel zum Haus seiner Frau bei sich trage, so daß niemand anders zu ihr käme. Da drückte ich den Wachs in das Schlüsselloch und ließ den Mann selbst dadurch, daß er den Schlüssel hineinsteckte und den Abdruck hierauf wegwarf, mir das Modell des Schlüssels anfertigen. Ich ging hinein, schlief bei seiner Frau und ließ mich endlich von ihr in eine Matte wickeln und an die Wand rollen. So schlief ich die Nacht in der Kammer, auch als der Mann kam. In der folgenden Nacht zerhackte der Mann die Matte; ich lag aber in der Truhe. In der dritten Nacht setzte ich mich, als der Mann dazukam, in den Taubennistkasten und hielt in jeder Hand eine Taube. Als der Mann den Deckel öffnete, ließ ich die Tauben gegen sein Gesicht fliegen. Der Mann ließ, als er mich so beinahe ergriffen hatte, den Deckel über mir fallen.«

In der mittleren Kammer sagte, als der Bursche so weit gekommen war, die kluge Tochter des Agellid laut zu dem Kinde der jungen Frau: »Schweig! Laß das! Du bereitest dir Unheil!« Der Bursche hörte, was die junge Frau sagte. Der Bursche verstand sie.

Der Bursche sagte laut: »Als der Ehemann den Deckel der Taubenbrutkiste über mir fallen ließ, erwachte ich.« Der Agellid sagte: »Wieso erwachtest du?« Der Bursche sagte: »Nun aus meinem Traum!« Der Agellid sagte: »So ist das Ganze ein Traum?« Der Bursche sagte: »Natürlich ist es ein Traum.« Der Agellid sagte: »Du bist aber angeklagt, daß du dies wirklich getan hast.« Der Bursche sagte: »Wer hat mich angeklagt?« Der Agellid sagte: »Hier, dieser Kaffeewirt.« Der Bursche sagte: »Wie wird es in diesem Lande mit der Verleumdung gehalten?«

Der Agellid sagte zum Kaffeewirt: »Nun sage, wie es steht. Wo hast du deine Beweise?« Der Kaffeewirt verlor den Verstand und sagte: »Was soll ich sagen! Was soll ich sagen! Ich kann dir nicht sagen, daß es deine Tochter war, mit der er den Ehebruch getrieben hat!« Der Agellid wurde zornig und sagte: »Was unterstehst du dich? Wagst du es, meine Tochter in diese Sache zu ziehen? Ein Verleumder, ein ganz dummer Verleumder bist du!«

Der Agellid ließ den Kaffeewirt hinrichten. Der Bursche heiratete die kluge und schöne Tochter des Agellid. Am Tage, als er heiratete, gab er seiner Frau den Schlüssel zum Hause und sagte: »Behalte du den Schlüssel des Hauses. Ich weiß jetzt, was ich davon zu halten habe.«

Der Bursche und die kluge und schöne Tochter des Agellid lebten glücklich und ungestört. Als der Bursche seine Zeit verbraucht hatte und er nun sterben sollte, weil er Aini einige der letzten seiner Lebensjahre geschenkt hatte, bat die kluge Tochter des Agellid Gott darum, ihrem Gatten einige der ihren abtreten zu dürfen, und Gott gewährte es.

Dann starben der Bursche und die kluge Tochter des Agellid an einem Tag. Es geschah also so, wie der Bursche damals, als er vom Leben noch nichts wußte, es erhofft hatte mit Aini abschließen zu können.


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