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Nein, nein, da war nichts mehr zu machen. Tagelang, wissen Sie, Sand und Himmel. Man rühmt zwar die Schönheit des Wüstenhorizontes, aber man rühmt sie gewiß mit sattem Magen. Gehen Sie mir doch! Was nützt mich die illustre blaue Linie, welche man angeblich, wo Sand und Himmel aneinander grenzen, sehen soll, wenn ich hungere. Drei Mann, ein Kamel und eine Dame hoch, hungerten wir seit einer halben Woche in der afrikanischen Wüste, die sich vor Ägyptens Toren auftut. Uns war der Mundvorrat ausgegangen, und sicherlich mochte es noch eine halbe Woche dauern, bevor wir etwas Oasenähnliches erreichten. Frau Professor Böhm zeterte nicht schlecht. Der Ägyptologe Ritter v. Borscht wider Borscht biß sich die Fingerspitzen blutig. Mein Gedärm raschelte wie Herbstlaub und unser junger Diener Mustafa ben Mentscher war nur noch ein lechzender Schlund.
Endlich, endlich! – nur Frau Böhm saß auf einem Kamel, und wir hätten dieses am liebsten geschlachtet – endlich also wurde die Horizontlinie von einem auffallenden Gebilde, mochte es ein Hügel, eine Ansiedlung sein, durchschnitten. Drauf zu! Aber es war kein Hügel, keine Oase, sondern eine ungeheure Sphinx. Borscht wider Borscht schien baß erstaunt; ich sah ihm an, daß er diese Sphinx unter seinen wissenschaftlichen Erinnerungen nicht wiederzufinden vermochte. Auf mich hinwiederum macht eine ehrliche Sphinx in der Wüste gar keinen Eindruck mehr. Eine Wüste ohne Sphinx wäre wie ein Schachbrett ohne Königin oder wie das O in Hôtel ohne accent circonflexe. Die Böhm ließ sich von Mustafa aus dem Sattel heben und wir stapften auf die Sphinx zu. Borscht zog einiges Handwerkszeug aus den Taschen und klopfte und hämmerte an der Sphinx herum. Er kratzte mit einem Schaber ein wenig Substanz vom Hinterteil des Gebildes und roch daran. Der Duft schien ihm 122 aufzufallen. Man hörte ihn «köstlich, köstlich!» murmeln, und siehe da, er kostete auch wirklich mit der Zungenspitze und prüfte den Geschmack. «Aber das ist ja das herrlichste Beef!» rief er plötzlich. Mustafa verzog sein Maul bis an die Ohren. Ich dachte tief nach, kriegte meinen philosophischen Anfall. Die Böhm aber, in Köchinnenattitüde, probierte wieder und wieder das, wie es schien, wohlschmeckende Sphinxpulver. «Weiß der Himmel, lieber Borscht, ich glaube mit der vollen Autorität einer Hausfrau versichern zu können: es ist Fleischgeschmack und zwar der allerauserlesenste. Wenn man nur eine Manier hätte, es gar zu machen? In dieser rohen Form mag ich es nicht genießen.» Aber Mustafa hatte begriffen. Er bat flehentlich um den Schaber, schüttete sich das pulverisierte Sphinxfleisch in den Schlund und klopfte sich den Bauch vor Wohlbehagen. «Kulinarisch gelöstes Mythologieproblem», erwiderte ich. Plötzlich sprang Borscht einen Meter hoch und lachte herzlich: «Ich habe ja», jauchzte er, «eine elektrische Batterie und einen Brater bei mir.» Er eilte zum Gepäck auf dem Kamelsattel, schnallte eine Tasche auf und kramte darin. Dann erschien er mit einer Pfanne und den nötigen Apparaten. «Wir wollen die Sphinx in ihrem eigenen Fette schmoren!» frohlockte er; «Kinder, jetzt mache ich eine Bombenhitze, zum Steinerweichen.» Er hieb mit dem Hammer ein mächtiges Stück vom Hinterteile los, legte es auf die Pfanne, auf die er einen Deckel schraubte, und schloß sie an den Strom seiner elektrischen Batterie an. Lange Zeit merkte man nichts. Wir paßten gespannt auf. Endlich hörte man ein Summen, ein Brodeln, Zischen und Prietzeln, das immer stärker wurde. Jetzt drangen Rauchwolken aus dem Gefäß und ein Bratenduft schwängerte die Luft. Uns wässerte der Mund. Mustafa weinte Freudentränen. Borscht schaltete den Strom aus und schraubte den Deckel ab: das knusprigste Sphinxsteak schimmerte uns an, und schon griff man zu den Bestecken, welche Mustafa rasch herbeigeholt hatte. In Windeseile war serviert und ein Wüstenpicknick eingenommen. Man hörte 123 nichts als das Schmatzen Mustafas, der aber die Menschlichkeit hatte, auch dem Kamel ein paar Bissen zu geben. Und Wunder! Kamele fressen sonst nie Fleisch – aber dieses Sphinxfleisch mundete dem Tierchen. Überhaupt muß ich sagen, hatte man über die Stillung des Hungers das Erstaunliche der Tatsache vergessen, daß die Sphinx eßbar war. Nun aber begann auch Borscht zu grübeln, keineswegs philosophisch, sondern mehr fachwissenschaftlich. «Sollte darin das Rätsel der Sphinx nicht nur, sondern vielleicht auch des Obelisken und der Pyramide bestehen?» «Goldig, lieber Borscht», lachte die schwer gesättigte Amanda Böhm und blickte aus ihren seelenvollen braunen Augen auf das scharfe Gelehrtenprofil, «goldig wär's, wenn die Obelisken Konfektgeschmack hätten, und die Pyramiden wie Fürst-Pückler-Bomben schmeckten. Ach, wäre das ein Dessert!» «Erinnern wir uns», bemühte ich mich tiefsinnig, «des deutschen Philosophen, der alles Unorganische, die rohe Materie, das Mineral aus dem Organischen ableitete. Bekennt man sich zu dieser paradoxen Auffassung, so ergibt sie vielleicht eine gewisse Lösung des Rätsels. Setzen wir also den Fall, es wäre eigentlich die ganze Materie Fleisch, nicht wahr; so hätte das im engeren Sinne leibliche Fleisch vor dem Fleisch im weiteren und weitesten Begriffe allerdings die bequemere Koch- und Eßbarkeit voraus. Dabei fällt mir sehr gelegen der wonnige Seufzer unseres trunkenen Novalis ein: ‹Oh! daß in duftiges Fleisch aufquölle der Fels!› Ist nicht die Materie das ‹Fleisch› gewordene ‹Werde!› Gottes?» Die Böhm sagte matt lächelnd: «Abstrus wie stets! Ach Philosophie! Philosophie! Sie verdirbt mir ordentlich den Geschmack; sie ist kein Nachtisch.» Borscht fragte, heftig kauend: «Auf was wollen Sie denn hinaus?» «Ja, überlegen Sie doch! Wenn eigentlich nichts mechanisch ist, alles organisch, so kommt vielleicht dieses Organische dort, wo es mechanisch und bloß Mineral scheint, desto organischer heraus, je besser man ihm von außen her die organische Leibesform aufprägt wie hier dem Stein die der 124 Sphinx.» Die Böhm schlußfolgerte rasch und schrie entsetzt auf: «Gespickter Apoll von Belvedere, geräucherte Venus von Milo, gesülzter Dornauszieher, Myrons Kuh in der Düte – na, brrrr!» Sie schüttelte sich. Borscht guckte aufmerksam durch die goldene Gelehrtenbrille auf mich; er bewegte, zugleich kauend und sprechend, seine eckigen Kinnbacken: «Sie glauben, wenn man einem Stein die Leibesform aufzwingt, daß man ihn dadurch tatsächlich organisiert? Eine merkwürdige Kühnheit!» «Merkwürdig wohl, aber gar nicht so kühn, wenn Sie voraussetzen, es gehe nirgends rein mechanisch zu. Denn dann kann ich ganz einfach gar nichts nur mechanisch formen, kneten, bosseln, sondern übertrage unwillkürlich meinen Leib und Leben auf das scheinbar Tote, das ich lebendig behandle.» «Aha!» strahlte die üppige Amanda mich an, «es bleibt beim in Burgunder gesottenen Merkur.» Unbeirrt schloß ich weiter: «Beachten Sie bitte den Kult vor Götzen- und Heiligenbildern und die grausame Behandlung wächsener Abbilder in der Magie zum Zwecke der Tötung ihrer leibhaftigen Originale.» «Sie machen mir Bauchweh», ächzte Amanda. «So einfach kann doch die Sache nicht sein», näselte Borscht von oben herab. «Wenn Stein versteinertes Fleisch ist, so wird diese Versteinerung doch nicht dadurch aufgehoben, daß es rein äußerlich die Gestalt irgendeines Leibes annimmt.» «Aber ich leugne ja eben, daß es eine solche reine Äußerlichkeit geben könne. Sie können gar nichts rein äußerlich verändern. Nein! Sie verändern es eben durch und durch. Und scheint es nicht wirklich so, als ob dadurch, daß man einer Masse die Form gerade der Sphinx aufdrückt» «. . . Diese Masse sich besonders dazu hergibt, gebraten und verzehrt zu werden!! Ja, dies ist das gaumenkitzelnde Geheimnis der Sphinx. Und darum Philosophie und Ägyptologie aufgeboten. Eine Amanda Böhm lacht euch aus!» «Und läßt es sich gut schmecken», sagte ich nicht ohne Hohn. Mustafa leckte sich die Finger.
Sollten Prof. Steindorff oder Mechtild Lichnowsky 125 wieder mal nach Ägypten kommen, so sind sie gebeten, die teilweis aufgegessene Sphinx nicht nur ästhetisch in sich aufzunehmen, sondern sie materiell einzuverleiben. Auch dem Kamel, Mustafa, uns allen ist die Sache ausgezeichnet bekommen. – Wie märchenhaft ist doch mitunter die Wirklichkeit! – 127