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Die Berge drohten am dunklen Horizont, wie wenn eine Urweltartillerie aufgefahren wäre. Der Fluß rauschte breit und dämmerig, an seinen Ufern starrten die Gebüsche wie finstre Geister; ein Plätschern ward hörbar, ein Bleiches erschien im Wasser – das war die weiße Squaw.
Wigwamglanz, der stolze Indianer, bestieg weit hinten in der Ferne sein schmales Kanoe und trieb nun dahin, gerade auf die Stelle zu, wo die weiße Squaw badete; sein feines nervöses Lächeln war keinem Auge sichtbar; der Tag erst plaudert die Geheimnisse der Nacht aus. Aber beide, das junge bleiche Weib und der stolze kerngesunde Indianer witterten die gegenseitige Nähe. Dem Weibe war es, als ob das Wasser seine Haut mehr erwärmte, und der Indianer dachte urplötzlich an den Großen Geist seiner Urwälder. Das Weib schwamm lautlos auf dem Rücken: Wigwamglanz und sein Kanoe waren wie Schatten; keines verriet sich dem anderen, doch spürte jedes eine süße Gefahr. Da war es dem Indianer, wie wenn das Wasser ihn lockte, zu sich rief: er entledigte sich seines Federschmucks und seiner Mokassins und glitt ohne Ton in die nächtige Flut. Jetzt schwammen die beiden Leiber dicht im selben Element, ohne sich zu hören, zu berühren, aber mit einer Empfindung und Ahnung ihres Zusammenhangs und zugleich mit der rätselhaften Absicht, ihn zu vergessen, zu vermeiden. Es liegt im Wesen der Natur, die Katastrophe stets in Bereitschaft zu haben, selten zu betätigen. So nun waren auch hier von der Katastrophe des Geschlechts alle Dinge durchtränkt. Wie drohte das Gebirg! Wie schwer und liebend atmete die sehnsüchtige Luft! Wie geisterhaft verlangend standen die Gebüsche; das Wasser aber sang unhörbar ein wahnsinniges Lied, aus dem der Indianer den Reim von Skalp auf Leidenschaft heraushörte, sein Lächeln ward noch feiner, noch nervöser, er reckte seinen Hals, seine ganze Gestalt in einem 40 irren Wunsch nach Blut und Zärtlichkeit. Über allem verschwieg der Nachthimmel ein lächerlich leicht lösbares Geheimnis.
Wigwamglanz der Stolze beherrschte spöttisch seine eigne Aufregung, er sah ihr zu, gleich wie er, gemartert, den Regen der Pfeile und Schmerzen höhnisch erlitten hätte! Dieser Stolz verhinderte ihn, die weiße Squaw anders als bloß mit den schwachen und heißen Fingern der gewissesten Ahnung zu betasten. Denn jetzt hatte die weiße Squaw ihn entdeckt: «es ist Wigwamglanz», murmelte das Weib in sich hinein, die süßeste Angstpein durchdrang sie, sie kannte ihn und seinen Stolz. Ihr Wunsch kämpfte mit ihrer Furcht; aber sie beschloß, den Stolzen zu demütigen. Lautlos schwamm sie zum Ufer, ergriff mit der einen Hand ihren geladenen Revolver, nahm ihre Kleider unter den Arm und trieb still wie ein gelähmter Schwan nach dem Kanoe; in dieses legte sie ihr Kleiderbündel nieder und erreichte wieder das Ufer. Dort schoß sie den Revolver ab und verschwand.
Wigwamglanz sprang wie ein geflügelter Fisch in sein Kanoe und schoß stromabwärts dahin. Er lächelte nicht mehr, der Stolz überzog sein Antlitz mit einer ehernen Maske, sein Herz arbeitete gegen den Aufruhr seiner Gefühle, aber ein wütender Kriegsschrei drang dennoch aus seiner Kehle, seinem Willen zum Trotz; ein silbernes Echo lachte aus der Ferne, und dieser kaum wahrnehmbare Hall stürzte seinen Stolz in eine unbegreifliche tiefe Scham; sein Stolz wurde so fraglich, seine ganze Haltung erschüttert. «Weiße Squaw?» murmelte er sanft und zürnend.
Aber herrlich und herrlicher rollte der Morgen herauf, und beim ersten zagen Strahle hielt Wigwamglanz ein weiches Bündel in der Hand, aus dem ein rosa Strumpfband ins Wasser fiel – wie reizend ward es geschaukelt. Wigwamglanz warf ihm das ganze Bündel nach; der Stolze hob sein Haupt zur Sonne, und in seine Augen kamen Tränen . . . 41