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Warum sich meine Frau unmittelbar nach unsrer soeben vollzogenen Vermählung wieder von mir scheiden läßt, fragen Sie mich. Sie hat ihre abergläubischen Gründe.
Es ist lange her, daß ich noch an Zufälle glaubte. Ich schalte jeden Zufall aus meinem Leben aus. Gerade sogenannte Zufälle sind eben das Allerbedeutsamste, wenn man nicht erst auf Winke mit Zaunpfählen wartet. Versuchen Sie's doch: achten Sie mal auf das sprechende Benehmen aller «leblosen» Gegenstände, mit denen Sie vertraut sind! Es sind Orakel, welche nur Narren unbeachtet lassen. Ihre Streichholzschachtel fällt plötzlich merkwürdig hin, bleibt auf der Schmalseite stehen; Ihre Schere bohrt sich, fallend, mit der Spitze in die Diele und zittert von geheimnisvoller Spannung. Sie erwachen aus tiefem Schlafe und spüren, denn das «Leblose» lebt und meldet sich an, welcher Brief im Kasten liegt. Erschließen Sie sich den schwer zu öffnenden Sinn für die Bedeutsamkeit anscheinender Zufälle! Jeder Tag wird Ihnen dann mehrmals predigen, wie sehr der Zufall an Ihrem Schicksale absichtlichen Anteil nimmt. Schließlich beginnen Sie einzusehen, daß der Fensterladen, der Ihnen gegen die Schläfe fuhr; der Windstoß, der ihn bewegte; die Sonnenwärme, die das Wasser in Wolken umwandelt: daß das Universum, indem es Ihrer Schläfe jenen harten Kuß aufdrückte, ganz speziell Ihnen etwas ganz Bestimmtes sagen wollte. Ermüden Sie nicht in der Übung, solche stumme Telegramme immer richtiger verstehen zu lernen! Erinnern Sie sich: im selben Momente, in dem der Stoß gegen Ihre Schläfe geschah, fiel Ihnen Ihr alter Erbonkel Menzel ein. Fünf Minuten später erhalten Sie die Nachricht seines Todes und – Ihrer Enterbung. Es wäre ein Irrtum, so etwas für selten zu halten; es ist nicht nur häufig, sondern die Regel. Wer aber diese Regel nutzbringend an sich erfahren will, muß darauf achten: unser Wissen und 114 Wollen sind Koeffizienten des Geschickes, und zumal solcher An- und Vorzeichen. Und nicht nur das!
Ich übernehme mich nicht in der Behauptung, alles Üble läßt sich vermeiden, wenn man seine Sinne für dessen Voranmeldung ausbildet; vor allem aber dadurch, daß man nicht abergläubisch wird. Sie erstaunen? Offenbar mißverstehen wir uns. Aller Aberglaube ist Angstprodukt. Man sei nicht furchtsam, sondern voller Vertrauen auf die Welt und voller Selbstvertrauen; man basiere dieses Vertrauen nicht auf irgendwelche Garantien, sondern umgedreht sämtliche Garantien auf dieses unabhängig grundlose Vertrauen –: und alles Drohende wird bei der Annäherung in lauter Wohlgefallen aufgelöst werden. Ihr Onkel Menzel enterbte Sie – prüfen Sie Ihr Gemüt! –, weil Sie sich der Furcht (Hoffnung ist eine umgekehrte Furcht), er werde Sie enterben, nicht erwehren konnten. An dieser Ihrer Furcht nahm Ihre Umgebung, so auch der Fensterladen, innigsten Anteil . . . ergo! Die Brautmutter von Messina ängstigt sich vor dem Orakel und beschwört erst durch ihre Furchtsamkeit dessen Eintreffen herauf. Weder fürchten noch hoffen, sondern mit unabhängigem Vertrauen sicher gehen – ist die einzige Schutzmaßregel gegen alle drohenden Übel. Bemühen Sie sich ebenso kräftig, alle Zeichen wahrzunehmen, wie ihnen überlegen zu sein. Vor allem also, leugnen Sie sie nicht mehr! Die echte Aufklärung von allem Aberglauben besteht nicht darin, dessen Zeichen und Wunder zu verachten; sondern darin, die fürchtend-hoffende sklavische Abhängigkeit zu verachten, in welche das Gemüt durch diese Zeichen so leicht gerät. Überwinden Sie also den Aberglauben wirklich durch Freiheit von Furcht und nicht durch die Leugnung anmeldender Zeichen.
Von Millionen Beispielen dafür, daß es diese Zeichen gibt, nenne ich nur noch zwei frappante. 1915 zog ich «zufällig» ein Heft aus meinem Bücherschrank, worin sich ein Porträt Mesmers befand. Eine Sekunde später überzeugte ich mich nach dem Kalender, daß ausgerechnet sein 115 hundertster Todestag war. Eine weitere Sekunde später klingelt es an meiner Haustür: eine alte Frau verkauft mir ein Schächtelchen Stiefelwichse, welches sonderbarerweise die Marke «Gottliebin» trug –: Mesmer aber starb zu Gottlieben (in Mähren) . . . voilà! – Ein zweites Beispiel: Ich bin seit meiner Geburt leidenschaftlicher Polarist. 1916 morgens gegen acht Uhr lese ich Bahnsens Einleitung zur Realdialektik. Während ich lese, höre ich eine Postsache dumpf durch den Briefkastenschlitz fallen. Ich finde ein kleines Bücherpaket, abgesandt von L. Fernau, Leipzig. Der Name macht mich stutzig – kurz vorher hatte ich ihn ebenfalls gelesen – aber wo? . . . Mechanisch sehe ich auf den Umschlag des Bahnsenschen Werkes und lese: L. Fernau, Leipzig, 1882. Aber damit noch nicht genug! Ich löse das Bücherpaket aus der Umhüllung. Diese ist bedrucktes Papier, es enthält nichts anderes als eben Bahnsens Einleitung zur Realdialektik. Zwischen 1882 und 1916 ist immerhin ein gewisser Abstand, welcher jede ordinäre Kausalität ausschließt; hier funktioniert so geheimnisvoll wie offenbar eine magisch zu nennende Art des Zusammenhangs. Mesmer und Bahnsen machen einem uralten Polaristen ihre ermutigende Visite. Sich der Suggestion derartiger wirklich existenter Omina zu entziehen, ist schwer; es muß aber geschehen, wenn man nicht dem Aberglauben verfallen will. –
Soviel glaubte ich, vorausschicken zu sollen, um die Absicht meiner soeben erst mir Angetrauten, sich von mir zu trennen, motivieren zu können. Meine Ehefrau war ein liebes fettes Mädchen von . . . zig Jahren . . . «zu alt, um nur zu spielen, zu jung, um ohne Wunsch zu sein». Sie legte in rührendster Weise Wert darauf, unser künftiges Heim behaglich zu gestalten, und hatte es dabei wunderlicherweise besonders auf unser gemeinsames Schlafzimmer abgesehen. Das eheliche Lager glich in Riesengröße einem Salon. Warum es Rollen hatte, werde ich gleich sagen; fand es sofort verdächtig und unpraktisch. Es hing aber auch wie eine Equipage in schwingenden Federn. Und weshalb gingen 116 schmiedeeiserne Ketten von dem Bettpfosten aus bis zur Zimmerdecke? Meine Braut erklärte mir das: im Falle man die Bettbeine, sagte sie, abschraubte, könnte man das Bett an diesen Ketten schaukeln. Diese Eröffnung ließ mich nicht kalt. Das versprach ja ein angenehmes Beisammensein zu werden. Über dem Bett befand sich ein Himmel mit schwebendem Amor, dessen Pfeil recht locker auf der Sehne zu sitzen schien. Er ist auch abschießbar, sagte meine Frau; man braucht nur hier auf dieses Knöpfchen zu drücken. Ich tat's, und, hast du nicht gesehen, flog der vergoldete Korkpfeil mitten in die Kissen. Amor bewegte die Glieder und tat einen neuen aus dem Köcher auf die Sehne. Allerliebst! Aber wozu diese Kinkerlitzchen? Sie amüsierte sich damit, und das genügte mir. Sie lächelte verliebt und sagte mir, das Bett wäre wie ein Automobil beweglich und lenkbar vermittelst eines elektrischen Akkumulators; man könnte durch alle Zimmer rollen. «Mein süßes Lieb!» schrie ich etwas gequält auf. Ich gestehe, mir wurde ein wenig schlecht. Die Schlafzimmerampel war ebenfalls ein köstliches Spielzeug: eine von innen mit ihren runden Augen glühende Eule, die auf Knopfdruck mit entfalteten Flügeln durch die Luft sauste und sich auf den Türsims niederließ. Eulen bedeuten freilich Unheil; aber ich bin ja nicht abergläubisch. Meiner Braut will ich es abgewöhnen, dachte ich, und das wird um so leichter sein, als sie, wenn ihr etwas gefällt, es ohne alle Rücksicht auf die ominöse Bedeutung gutheißt und sich damit umgibt. Das arme Närrchen freute sich so sehr mit diesem reichlich spaßhaften Schlafzimmer. Ich mochte ihr den Spaß nicht gleich verderben, nahm mir aber vor, nach den Flitterwochen erzieherisch auf sie einzuwirken!
Du lieber Gott! Nach den Flitterwochen. Die Sache nahm schon im Beginn ein Ende, zwar nicht mit Schrecken, aber mit . . . Erschreckungen. Wir Neuvermählte verschwanden sacht aus dem Kreis der Hochzeitsgäste und suchten das oben geschilderte Gemach auf. Die Diskretion verbietet 117 mir gewisse Schilderungen; ich gebe keinen lückenlosen Bericht der fatalen Vorgänge. Nur soviel. In hyperkritischen Momenten schossen stets Amors wohlgezielte Pfeile in meine empfindliche Hüfte. Meine Liebste wollte sich fast totlachen. Ich wurde aber ernst. Ich hielt ihre Hand fest, mit der sie immer wieder auf den verd . . . Knopf drückte. Sie riß sich los, drückte aber so heftig und mehrmals, daß die Hemmung des Mechanismus versagte und ein Hagel von Pfeilen mich über und über traf. Ich wurde fast böse. Sie rief: «Du bist schuld; warum verstehst du keinen Spaß!» Endlich hatte Amor seine Pfeile verschossen, und ich hoffte zu meinem nicht näher zu erläuternden Zwecke zu gelangen; da bat sie mich rührend, «Laß uns doch schaukeln!» Na! Ich schraubte dem Bett die Beine ab. Es pendelte schon leise hin und her, sie jauchzte. Als ich mich aber wieder in die Betten schwang, rissen plötzlich diagonal zwei Ketten, und an den andern beiden schlingerte das Bettgestell so scheußlich, daß wir, sie auf der einen, ich auf der andern Seite hinauskugelten. Sie schrie ein wenig, dann kehrte ihre Munterkeit wieder. Die Ketten waren nur aus ihren Ringen an den Bettecken geglitten, und sie verlangte, ich sollte sie wieder befestigen. Während ich aber das Bett balancierte, um den Schaden zu reparieren, versetzte sie die Eulenampel ins Spiel. Das gläserne Ungeheuer schlug mir, da ich oben auf dem Bette stand, um die Ketten auf ihre Festigkeit zu prüfen, mitten ins Gesicht und überhagelte, berstend, unser Lager mit Glassplittern. Es war noch ein Wunder, daß das Ding auf den Türsims gelangte, um dort weiterzuleuchten. Der angenehm dämpfende Schirm war aber zerbrochen. Die Situation war grell beleuchtet. Jetzt lachte sie auch nicht mehr; die Beleuchtung war ihr zu schonungslos. An irgendwelche Zärtlichkeiten dachte einstweilen niemand. Wir waren emsig beschäftigt, Kissen, Decken und Laken von Splittern zu befreien.
«Laß bitte die Ketten», sagte sie geduldig, «schraube lieber die Beine wieder an. Wir wollen schlafen. Ich bin ganz 118 einfach müde geworden.» Das kläglich lahm schaukelnde Bett erwies sich als geradezu tückisch widerspenstig. Wie ein zerbeulter Ringkämpfer erhob ich mich, nachdem mir endlich das Werk gelungen war. Das Bett stand wie vorher auf seinen Beinen – oder vielmehr Rädern. Als meine Dame mich wehmütig und zerschunden wieder einsteigen sah – ich verbiß meinen Ärger – lachte sie laut auf, klatschte in die Hände und hänselte mich in unschönster Art. «Laß uns jetzt schlafen», riet ich düster. «Aber erst noch eine kleine Spazierfahrt», bat sie neckisch; und ehe ich es verhindern konnte, drückte sie auf die Maschinerie. Freilich hatte sie vergessen, daß das Bett noch an zwei Ketten befestigt war. Wie ein Raubtier, mit einem fürchterlichen Ruck rollte das Bett los, die schweren Ketten zerreißend. Die eine schlug mir gegen die Nase, die sofort zu bluten begann; die andere kostete meiner Frau zwei künstliche Vorderzähne. Wir stöhnten wie Teufel. Das Bett aber fuhr gegen unseren herrlichen Kleiderschrank und ratterte dann noch zehn Minuten lang wie ein Lastauto; der facettierte Spiegel in der Schranktür zerklirrte mit einem Knall; ich fühlte mich mit Glasscherben gespickt, und ich habe Grund anzunehmen, daß es meiner Frau nicht besser erging.
Mir riß plötzlich der Geduldsfaden. Ich wütete wie ein gereizter Eber gegen diese infamen spaßhaft sein sollenden Hochzeitsnachtüberraschungen. Es fielen von mir aus Worte wie: «Närrische Gans», «idiotischer Lebensleichtsinn», «Profanation des Heiligsten», «kindische Unreife», «Mangel an jeglichem Taktgefühl», «Symptom barer Herzensarmut», «Talmiesprit», ja ich verstieg mich zu: «Kokottenraffinements!» Meine Frau weinte laut auf. Schon wollte ich, schmerzlich bedauernd, einlenken, da trocknete meine Frau ihre Tränen, sah mich starr an und sprach in schneidendem Ton das Wort aus: «Scheidung!» «Ih! Ih!» rief ich erschrocken, «gleich Scheidung? – Dazu gehören zwei!» «Und diese beiden sind wir», bestimmte sie kaltblütig. «Folge mir!» – sie winkte mir hoheitsvoll und schritt 119 mir voran durch eine Reihe von schönen Gemächern über einen Korridor. Sie öffnete eine Tapetentür, welche mir noch gar nicht aufgefallen war. Und, Himmel! was sah ich! Ein schlicht bürgerliches, den gesittetsten Anstand atmendes Eheschlafzimmer ohne alle Schikane.
«Ich vermag», sagte sie ruhig wie ein Engel, «deine Vorwürfe zu entkräften. Ich habe dich auf die Probe gestellt, und du hast sie übel bestanden. Ich wünschte mir so sehnlich, gleich in der ersten Nacht dein Gemüt, den Grad deiner Geduld, deiner Geschicklichkeit, deiner Anpassung an schwierige Umstände genau zu erfahren. Es fiel mir nichts Besseres und zugleich (eventuell!) Lustigeres ein, als ein recht bockbeiniges Ehebett. Ich präparierte mir, da ich gar nicht leugnen will, sehr abergläubisch zu sein, eine Menge Omina – und sie sind alle von schlimmster Vorbedeutung durch dich geworden. Jedes legte gegen unsre Vereinigung den entschiedensten Protest ein.» «Aber wir sind ja doch einmal verbunden. Deinen Aberglauben solltest du überwinden, sonst entkräftest du einige meiner Vorwürfe keineswegs!» Ich redete aber vergebens auf sie ein. Sie bestand unerbittlich auf Scheidung. –
Also gut denn! Die Menschheit bleibt leider auch weiterhin in zwei Parteien gespalten: in die Sklaven und in die Herren alles Aberglaubens. Vielleicht ist das der markanteste Unterschied in der Lebenshaltung? –
Heute morgen ist unsre Scheidung gerichtlich ausgesprochen worden. Dem Amtsschreiben lag eine Rechnung über eingestoßene Zähne bei. –
Was mag aus dem fahrbaren, an Ketten schaukelnden Amorschießscheiben-Brautbett geworden sein? Wahrscheinlich eine Falle für die folgenden Bräutigame meiner ehemaligen Frau? – Vivant sequentes! 121