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Tobias Bachhuber! Als deine Taufpaten beschlossen, daß du Tobias heißen solltest, haben sie deinem Leben und ihren eigenen Enkeln schlechte Dienste geleistet. Denn wer diesen Namen führt, wird vom Schicksal genötigt zu erleben, was niemals günstiger benamten Menschen zugemutet werden darf. Wann hat der Vogel Schwalbe gegen andere gewagt, was er dem ersten Besitzer deines Namens durch unwürdiges Beschmeißen antat? Wer hat eine so elende Brautfahrt erlebt, als der arme Sohn des Blinden, Tobias der jüngere? Denn mußte dieser nicht fasten, die Gebetschnüre halten und mit einem mörderischen Geist kämpfen, gerade in den Stunden, in welchen sonst jedem Sterblichen geistiger Kampf höchlich verübelt wird? Auch an dir, seliger Bachhuber, hat sich das Unglück des Namens greulich bewährt. Ob vielleicht der ganze blutige Schwedenkrieg deshalb entstand, weil dem Schweden ein Gelüst nach deinem Kodex ankam, soll hier nicht erörtert werden; man darf vertrauen, daß neue Geschichtsforschung auch noch diesen geheimen Beweggrund ans Licht ziehen wird. Aber unleugbar bist du selbst in dem Kriege jämmerlich draufgegangen, ja sogar an deinem Schatz, den du verstecktest und gleichsam deponiertest, hängt noch der Fluch deines Namens. Allen, welche damit zu tun haben, werden die Augen geblendet, und ein böser Geist würgt ihre Hoffnungen.
Auch den Professor quälte die Blindheit und ängstigte der Dämon. Er hatte nichts gefunden. Mancher wäre ermüdet und hätte abgelassen, ihm wurde der Eifer gemehrt. Denn er suchte keineswegs kopflos, er wußte sehr wohl, daß der Fund an einer langen Kette von Zufällen hing, welche sich jeder Berechnung entzogen. Aber er wollte tun, was in seinen Kräften stand; seine Aufgabe war, der gelehrten Welt die Sicherheit zu geben, daß Archive, Sammlungen und Wirtschaftsverzeichnisse des Fürsten gründlich durchsucht seien. Diese Gewißheit wenigstens vermochte er besser zu erlangen als jeder andere, und er tat damit seine Pflicht gegen den Fürsten und seine Wissenschaft. Aber die innere Ungeduld wurde heftiger, die heitere Spannung der ersten Zeit steigerte sich zu unbehaglicher Aufregung, die lange Erwartung, immer getäuscht, störte ihm auch die Stimmung des Tages. Wieder saß er oft in sich gesunken, ja, er sprach täglich von dem Schatze und Ilse konnte es ihm nicht recht machen, ihre Einwürfe, selbst ihr Trost verletzten ihn, denn ihm war sehr ärgerlich, daß sie seinen Eifer gar nicht teilte. Er wußte genau, wie die Handschrift aussehen würde, dick, großes Quadrat, sehr alte Buchstaben, vielleicht aus dem sechsten Jahrhundert, verblichen, manche Blätter halb zerstört, er verbarg sich durchaus nicht, daß die Bosheit der Zeit, des Wassers und der Ratten arges Spiel damit getrieben hatte.
Heut trat der Professor mit geröteten Wangen in das Arbeitszimmer der Prinzessin.
»Endlich vermag ich gute Nachricht zu bringen. In einem kleinen Aktenbündel des Marschallamtes, das mir unbegreiflicherweise bis jetzt entgangen ist, fand ich auf einem einzelnen Blatt eine verlorene Notiz. Die Truhen, welche der Beamte von Bielstein im Anfange des vorigen Jahrhunderts nach dem verschwundenen Schlosse sandte, werden drin kurz als Nr. 1 und 2 bezeichnet, mit dem Vermerk, daß sie Manuskripte des Klosters von Rossau, außerdem alte Armbruste, Bolzen usw. enthalten. Es waren also zwei Truhen, und Handschriften des Klosters lagen darin.« Die Prinzessin sah neugierig auf das Blatt, welches er vor ihr hinlegte.
»Es war Zeit, daß diese Nachricht kam,« fuhr der Professor fröhlich fort, »denn ich gestehe Ew. Hoheit, das Gespenst verfolgte mich bei Tag und Nacht. Dies ist eine wertvolle Bestätigung, daß ich auf richtigem Wege bin.«
»Ja,« rief die Prinzessin, »ich bin überzeugt, wir finden den Schatz. Wenn ich nur ein wenig helfen könnte! Wäre er durch Beschwörung zu gewinnen, wie gern wollte ich den Zaubergürtel umbinden und Frau Hekate anrufen. Leider ist dieser Weg, Geister zu gewinnen, veraltet, und die geheime Kunst, durch welche die Herren Gelehrten ihre Schätze heben, ist schwer zu erlernen.«
»Auch ich bin jetzt wenig besser als ein unglücklicher Geisterbanner,« antwortete der Professor. »Schlecht wäre ich empfohlen, wenn Ew. Hoheit meine Arbeiten nach der Tätigkeit beurteilen wollten, welche ich hier durch Aufrühren des alten Staubes beweise. Man freut sich und wird getäuscht wie ein Kind. Es ist ein Glück, daß das Schicksal uns Bücherschreiber selten durch solche Gaukeleien neckt; was wir etwa für andere gewinnen, hängt nicht mehr vorzugsweise von zufälligem Funde ab.«
»Ich aber ahne etwas von dem Ernst der Arbeit, welche ich nicht sehe,« sagte die Prinzessin, »Ihre Güte hat mir wenigstens ein kleines Guckfenster geöffnet, durch welches ich in die Werkstatt der schaffenden Geister blicken kann. Ich begreife, daß die Arbeit der Gelehrten für jeden, der zu ihrer stillen Gemeinde gehört, einen unwiderstehlichen Reiz ausüben muß. Ich möchte die Frauen beneiden, denen das Glück wird, solcher Tätigkeit durch ihr ganzes Leben nahe zu sein.«
»Wir sind kühne Eroberer am Schreibtisch,« erwiderte der Professor, »aber dem Eroberer und seiner Umgebung wird oft das Mißverhältnis zwischen innerer Freiheit und äußerer Unbehilflichkeit fühlbar. Wer das wirkliche Leben mit uns durchmacht, der wird uns leicht übersehen und unsere Einseitigkeit schwer ertragen. Denn, Hoheit, die Gelehrten sind selbst wie die Bücher, welche sie schreiben. In der Mehrzahl stehen wir schlecht gerüstet in dem Wirrwarr der Geschäfte, zuweilen hilflos in der vielgestaltigen Tätigkeit unserer Zeit. Wir sind treue Freunde solcher Stunden, in denen der Mensch neue Kraft sucht für den Kampf des Lebens, aber in dem Streit selbst sind wir häufig ungeübte Helfer.«
»Dachten Sie bei Ihren Worten an sich selbst?« fragte die Prinzessin schnell.
»Nein,« versetzte der Professor, »ich trug ein Bild im Sinne, das ich mir aus den Zügen vieler Berufsgenossen zusammengesetzt hatte, aber wenn Ew. Hoheit nach mir fragen, auch ich bin nach dieser Richtung ein regelrechter Gelehrter. Denn ich habe oft Gelegenheit gehabt zu bemerken, wie unfertig mein Urteil in allen Fragen ist, bei denen nicht mein Wissen oder meine sittlichen Empfindungen mir Sicherheit geben.«
»Das ist mir gar nicht recht, Herr Werner,« rief die Prinzessin und lehnte sich würdevoll auf dem Sessel zurück. »Meine Phantasie war im besten Fluge, ich saß als Gebieterin der Welt da, bereit, meine Völker zu beglücken, und ich machte Sie zu meinem Minister.«
»Das Zutrauen tut mir wohl,« entgegnete der Professor, »aber wenn Hoheit einmal in die Lage kommen, einen Gehilfen der Herrschaft zu suchen, so könnte ich diese Würde nur dann mit gutem Gewissen annehmen, wenn Ew. Hoheit Insassen vorher alle in der Presse des Buchbinders zurechtgeschnitten wären, wenn sie ein Röckchen aus Pappe trügen und auf ihrem Rücken einen Zettel, der deutlich besagt, was jeder für einen Inhalt hat.«
Die Prinzessin lachte, aber ihr Auge ruhte innig auf dem ehrlichen Antlitz des Mannes. Sie sprang auf und trat vor ihn hin. »Immer sind Sie wahrhaft und klar, und hoch das Haupt.«
»Dank für die Beurteilung,« versetzte der Professor fröhlich. »Selbst Ew. Hoheit behandeln mich wie einen Geist, der in einem Buche steckt, Sie rühmen mich so offen, als ob ich die Worte nicht verstände, die man über mich spricht. Ich bitte um Erlaubnis, auch Ew. Hoheit meine Gefühle in einer Rezension vorzutragen.«
»Wie ich bin, will ich von Ihnen nicht hören,« rief die Prinzessin, »denn Sie würden trotz der Harmlosigkeit, die Sie an sich loben, am Ende soviel aus mir herauslesen, als wenn auch ich Goldschnitt und einen Saffianrücken trüge. Aber mir ist ernst zumute, wenn ich Sie rühme. Ja, Herr Werner, seit Sie bei uns sind, geht mir ein besseres Verständnis für den Wert des Lebens auf. Sie wissen, welcher Gewinn für mich ist, einen Geist zu beobachten, der, unbekümmert um das kleine Treiben seiner Umgebung, nur seiner hohen Göttin der Wahrheit dient. Uns bedrängt der Lärm des Tages, uns verwirrt die Begehrlichkeit; die Menschen, von denen ich umgeben bin, auch die guten, sie alle denken und sorgen behaglich um sich selbst und schließen bequeme Verträge zwischen ihrem Pflichtgefühl und ihrem Egoismus. Hier aber erkenne ich eine Selbstlosigkeit und eine unablässige Hingabe des eigenen Daseins an die höchste Arbeit des Menschen. Dies ist etwas so Großes und Gewaltiges, daß mich die Bewunderung weich macht, wenn ich Sie ansehe. Ich fühle den Wert solches Daseins wie ein neues Licht, das in meine Seele fällt. Nie habe ich bis jetzt gewußt, daß andere neben mir einhergehen, begeistert, den Himmel im Herzen. Das ist meine Rezension über Sie, Herr Gelehrter, sie ist vielleicht nicht gut geschrieben, aber sie kommt vom Herzen.«
Das Auge des Gelehrten strahlte, als er dem Fürstenkinde in das gerötete Antlitz sah, aber er schwieg. Es war eine lange Pause. Die Prinzessin wandte sich ab und neigte sich über die Bücher. Endlich begann sie mit leiser Stimme: »Sie gehen zu Ihrer Tagesarbeit, ich will es auch. Bevor Sie mich verlassen, bitte ich Sie, mein Lehrer zu sein, ich habe in der Kunstgeschichte, die mir Ihre Güte aus der Bibliothek brachte, eine Stelle bezeichnet, welche mir nicht verständlich war.«
Der Professor nahm das aufgeschlagene Buch zur Hand und lachte. »Dies ist die Theorie einer andern Kunst, es ist nicht das rechte Buch.« Die Prinzessin las: »Blancmanger zu machen.« Sie schlug den Titel auf. »Geistreiches Kochbuch der alten Nürnberger Köchin.« Erstaunt wandte sie das Buch um, es war derselbe einfache Bibliothekband. »Wie kommt dies hierher?« rief sie ärgerlich und schellte ihrer Kammerfrau. »Es ist niemand hier gewesen,« beteuerte diese, »als vorhin die Prinzen.«
»Ja dann,« rief die Prinzessin kleinlaut, »da ist nichts zu hoffen. Wir stehen jetzt unter der Herrschaft eines schadenfrohen Kobolds und müssen warten, ob unser Buch sich findet. Leben Sie wohl, Herr Werner, wenn der Kobold das Buch herausgibt, rufe ich Sie zurück.«
Als der Professor entlassen war, kam die Kammerfrau erschrocken und brachte die verlorene Archäologie in trübseligem Zustande. »Das Buch lag im Käfig des Affen, Jocko hat emsig darüber studiert, er war wütend, als ich ihm den Band fortnahm.«
Zu derselben Stunde stand der Kammerherr vor dem Fürsten. »Ihre Freunde von der Universität haben sich bei uns eingelebt; ich setze voraus, auch Sie tun das Ihre, ihnen unsere Stadt lieb zu erhalten.«
»Professor Werner scheint sehr befriedigt,« entgegnete der Kammerherr mit Zurückhaltung.
»Hat Ihre Schwester Malwine die Bekanntschaft der Frau Professorin gemacht?«
»Leider ist meine Schwester genötigt, unsere kranke Tante auf dem Lande zu pflegen.«
»Das ist schade,« versetzte der Fürst, »sie mag Ursache haben, diesen Zufall zu bedauern. – Vor einiger Zeit haben Sie gegen mich die Ansicht ausgesprochen, daß dem Erbprinzen eine praktische Tätigkeit wohltun werde; der Gedanke hat mich beschäftigt. Es wird notwendig, im Bezirk von Rossau die Möglichkeit eines zeitweisen Aufenthalts zu schaffen. Die alte Oberförsterei ist dafür nicht übel eingerichtet. Ich habe mich entschlossen, das Haus durch einen Umbau in ein wohnliches Jagdschloß zu verwandeln. Der Erbprinz soll diesen Bau an Ort und Stelle ganz in seinem Sinn anordnen, Sie werden ihn begleiten. Der Baudirektor hat Anweisung, die Pläne nach den Befehlen des Erbprinzen zu zeichnen. Nur bei dem Kostenanschlag wünsche ich mitzusprechen. Unterdes wird der Erbprinz sich mit den Zimmern begnügen, welche in der Oberförsterei mir vorbehalten sind. Da aber der Bau nicht die ganze Zeit in Anspruch nehmen wird, so mag er seine Muße benutzen, in der Wirtschaft des Herrn Bauer einen Einblick in unsern Landbau zu erwerben. Er soll die Feldarbeiten und die Buchführung kennen. Das Jahr ist bereits vorgeschritten und macht schnellen Aufbruch wünschenswert. Es ist Befehl erteilt, die Zimmer einzurichten, rüsten Sie sich zur Reise. Ich hoffe, daß diese Anordnung einen Wunsch erfüllt, den Sie wohl längst gehegt haben. Die schöne Landschaft und der stille Wald werden auch Ihnen nach dem Treiben des Winters eine Erfrischung sein.«
Der Kammerherr verbeugte sich erschrocken vor seinem Herrn, der so gnädig die Verbannung vom Hofe aussprach, er eilte zum Erbprinzen und berichtete das Unheil. »Es ist Exil,« rief er außer sich.
»Treffen Sie schnell Ihre Anstalten,« antwortete der Erbprinz ruhig, »ich bin bereit, noch in dieser Stunde fortzugehen.«
Der Erbprinz ging zu seinem Vater. »Ich werde tun, was du befiehlst, und mir Mühe geben, deine Zufriedenheit zu verdienen. Wenn du, mein Vater, diesen Aufenthalt an entlegenem Ort für nützlich hältst, so sage ich mir, du verstehst besser als ich, was meiner Zukunft dient. Aber,« fuhr er zögernd fort, »ich darf nicht von hier scheiden, ohne eine Bitte auszusprechen, die mir sehr am Herzen liegt.«
»Sprich, Benno,« sagte der Fürst gnädig.
»Ich flehe dich an, entlaß den Professor und seine Frau so schnell als möglich aus der Nähe des Hofes.«
»Was soll das?« fragte der Fürst rauh.
»Der Aufenthalt ist hier für Frau Werner nachteilig. Ihr Ruf wird durch die ungewöhnliche Lage, in welche sie gekommen ist, gefährdet. Ich bin ihm und ihr zu großem Dank verpflichtet, ihr Glück ist mir teuer, und mich quält der Gedanke, daß ihr Verweilen in unserer Gegend den Frieden ihrer Tage zu stören droht.«
»Und weshalb fürchtet deine Dankbarkeit eine Störung des Glückes, das dir so teuer ist?« fragte der Fürst.
»Man nimmt an, daß der Pavillon ein verhängnisvoller Aufenthalt für eine ehrbare Frau sei,« erwiderte der Erbprinz entschlossen.
»Wenn durch die Wohnung gefährdet wird, was du Ehrbarkeit nennst,« sagte der Fürst bitter, »dann wird diese Tugend leicht verloren.«
»Es ist nicht die Wohnung allein,« fuhr der Erbprinz fort. »Die Damen des Hofes haben sich ganz zurückgehalten, die Fremden werden viel besprochen, Geschwätz und Verleumdung sind tätig, ihr schuldloses Leben falsch darzustellen.«
»Ich höre mit Erstaunen,« entgegnete der Fürst, »wie lebhaft deine Sorge für die fremde Frau ist, du selbst hast ihr doch, wenn ich recht vernahm, während dieser Wochen nur wenig von ritterlicher Aufmerksamkeit gegönnt.«
»Ich habe es nicht getan,« rief der Erbprinz, »weil ich mich verpflichtet fühlte, wenigstens für meine Person zu vermeiden, was ihr schaden konnte. Ich sah die spöttischen Blicke unserer Herren, als die Fremden ankamen, ich hörte geringschätzige Worte über die neue Schönheit, die in jenem Hause eingeschlossen sei, und mir drehte sich vor Scham und Zorn das Herz um. Deshalb habe ich mich mit Schmerzen bezwungen, ich habe vor meiner Umgebung Gleichgültigkeit geheuchelt und habe ihr selbst eine kalte Miene gezeigt, aber, mein Vater, es ist mir schwer geworden, und die letzten Wochen waren für mich voll bitterer Sorge, denn ich habe die glücklichsten Stunden meiner akademischen Zeit in ihrem Kreise verlebt.«
Der Fürst hatte sich abgewandt, er zeigte jetzt dem Sohne ein lächelndes Antlitz. »Das also war der Grund deiner Zurückhaltung! Ich hatte vergessen, daß du in den Jahren sanfter Regung stehst und geneigt bist, in deinem Verhältnis zu Frauen mehr schwärmerisches Gefühl anzuwenden als für einen Mann gut ist. Und doch möchte ich dich darum beneiden. Leider gönnt das Leben so weicher Empfindung keine Dauer.« Er trat vor den Prinzen und fuhr gütig fort: »Ich leugne nicht, Benno, daß ich die Ankunft dieser Fremden in deinem Interesse anders ansah. Für einen Prinzen von deiner Anlage ist vielleicht nichts so bildend als zarte Neigung zu einer Frau, welche keine Ansprüche an das äußere Leben des Freundes macht und ihm doch den Reiz eines innigen Seelenbundes gewährt. Dir sind Liebeleien mit den Damen des Hofes oder mit anspruchsvollen Intrigantinnen gefährlich, du hast dich zu hüten, daß nicht eine Frau, der du dich hingibst, mit dir spielt und dich selbstsüchtig für ihre Zwecke benutzt. Nach allem, was ich wußte, war dein Verhältnis zu der Dame im Pavillon gerade, was du für deine nächste Zukunft brauchtest. Aus Grundsätzen, denen ich die volle Anerkennung nicht versage, hast du vermieden, diese idyllischen Beziehungen wieder aufzunehmen. Du selbst hast nicht gewollt, was ich dir in guter Meinung bereitete; mir scheint deshalb, du hast das Recht verloren, in dieser Angelegenheit noch überhaupt etwas zu wollen.«
»Vater,« rief der Erbprinz und rang erschreckt die Hände, »daß du mir dies sagst, ist unbarmherzig. Ich hatte die dunkle Ahnung, daß die Einladung zu uns in geheimer Absicht geschehen sei, ich habe diesen Verdacht niedergekämpft und mich darum gescholten. Jetzt aber stehe ich entsetzt vor dem Gedanken, daß ich selbst die Schuld an dem Unglück guter Menschen trage. Deine Worte geben mir das Recht, meine Bitte zu wiederholen: entlaß sie so schnell als möglich, oder du machst deinen Sohn unglücklich.«
»Ich lerne dich von ganz neuer Seite kennen,« versetzte der Fürst, »und ich bin dir dankbar für den Einblick, den du mir endlich in dein schweigsames Wesen gestattest. Du bist entweder ein überspannter Träumer oder du bist mit einem Talent für Diplomatie versehen, das ich dir niemals zugetraut hätte.«
»Ich bin dir gegenüber nichts als wahr,« rief der Erbprinz.
»Soll die Frau nach dem Hause Bielstein kommen, um gerettet zu werden?« fragte der Fürst höhnend.
»Nein,« erwiderte der Erbprinz leise.
»Deine Forderung verdient kaum eine Antwort,« fuhr der Fürst fort. »Die Fremden sind hergerufen für eine gewisse Zeit, der Mann steht nicht in meinem Dienst, ich bin weder in der Lage, sie fortzuschicken, denn sie haben mir keinen Grund zur Unzufriedenheit gegeben, noch sie wider ihren Willen hier zu halten.«
»Verzeihung, mein Vater,« rief der Erbprinz, »du selbst hast durch die gnädige Aufmerksamkeit, welche du der Frau täglich zuteil werden läßt, durch artige Sendungen und öfteren Besuch dem Hof die Meinung erregt, daß du ihr eine besondere persönliche Beachtung zuwendest.«
»Ist der Hof so beflissen, dir vorzutragen, was mir, gegenüber dem unziemlichen Benehmen anderer, schicklich erscheint?« fragte der Fürst.
»Mir wird wenig von dem gesagt, was unsere Umgebung spricht, sei überzeugt, daß ich kein offenes Ohr für ihre Vermutungen habe, aber es ist unvermeidlich, daß auch ich zuweilen hören muß, was alle beschäftigt und in Harnisch bringt. Denn man wagt sogar zu behaupten, daß sich jeder deine Ungnade zuziehe, der ihr nicht Aufmerksamkeit beweist; und man hält bereits für besonders achtungswert und charakterfest, ihr Artigkeiten zu versagen. Dich wie sie bedroht die Verleumdung. Vergib mir, mein Vater, daß ich es geradeheraus sage, du selbst hast durch deine Gnade die Frau in die gefährliche Lage gebracht, und deshalb liegt dir ob, sie daraus zu befreien.«
»Der Hof wird immer tugendhaft, wenn sein Herr eine Dame auszeichnet, welche nicht in die Hofkreise gehört; auch du wirst lernen, solche Sittenstrenge gering zu achten,« versetzte der Fürst. »Es ist eine ungewöhnliche Neigung, Benno, die dein furchtsames Wesen an die Grenzen der Redefreiheit treibt, welche dem Sohn gegen den Vater gestattet ist.«
Dem Erbprinzen rötete sich das bleiche Antlitz. »Ja, mein Vater,« rief er, »höre, was jedem andern Ohr Geheimnis bleiben wird. Ich liebe die Frau so warm und von ganzem Herzen, daß ich ihr mit Freude das größte Opfer bringen würde. Die Macht, welche Schönheit und Unschuld des Weibes auf einen Mann ausübt, habe ich bei ihr gefühlt, mehr als einmal habe ich mich an ihrem lauteren Gemüt aufgerichtet. Ich war selig in ihrer Nähe und unglücklich, wenn ich nicht in ihre Augen sah. In dem ganzen Jahr habe ich in der Stille an sie gedacht, in diesem schmerzvollen Gefühl bin ich zum Mann herangewachsen. Daß ich jetzt den Mut habe, vor dich zu treten, verdanke ich dem Einfluß, den sie auf mich geübt. Ich weiß, mein Vater, wie unglücklich solche Leidenschaft macht, ich kenne die Qual, das geliebte Weib für immer zu entbehren. Was mich erhoben hat in den bittersten Stunden des sehnsüchtigen Verlangens, das war allein der Gedanke an den Frieden ihrer reinen Seele. Jetzt weißt du alles, mein Geheimnis habe ich zu deinen Füßen niedergelegt, ich flehe, mein Herr und Vater, schone dies Vertrauen. Hast du bisher für mein Wohl gesorgt, heut ist die Stunde, wo du mir den höchsten Beweis deiner Treue geben kannst. Ehre die Frau, welche dein unglücklicher Sohn liebt.«
Das Antlitz des Fürsten hatte sich unter den Worten des Sohnes verändert, der Prinz erschrak vor dem feindlichen Ausdruck. »Suche dir für deine Poesie das Ohr eines fahrenden Ritters, der begierig das Wasser hinuntertrinkt, in welches seine Dame ein Tränchen geweint hat.«
»Ja, ich suche deine ritterliche Hilfe, mein Fürst und Herr,« rief der Erbprinz außer sich, »ich beschwöre dich, laß mich nicht vergebens werben, ich rufe dich zu einem Dienst für mich und sie, als Prinz unseres erlauchten Hauses und als Mitglied derselben Genossenschaft, deren Wahlspruch wir beide tragen. Versage nicht deinen Beistand in ihrer Gefahr.«
»Wir stehen nicht im Ordenssaal,« versetzte der Fürst kalt, »und die Phrase klingt widerwärtig in die Stimmung des Werkeltages. Ich habe dein Vertrauen nicht begehrt, zu dreist hast du mir's aufgedrungen, wundere dich nicht, daß der Vater über die vermessene Rede zürnt und der Fürst dich ungnädig entläßt.«
Der Erbprinz erblich und trat zurück. »Der Zorn des Vaters und die Ungnade meines Herrn sind ein Unglück, welches ich tief fühle; aber noch furchtbarer ist mir der Gedanke, daß hier am Hofe ein Unrecht gegen eine Unschuldige verübt wird, ein Unrecht, an welchem auch ich teilhaben soll. Wie schwer dein Zorn mich treffe, ich sage dir doch, du selbst hast die Frau der Mißdeutung ausgesetzt, und solange ich dir gegenüberstehe, werde ich dir das sagen und [nicht] ablassen mit der Bitte: entferne sie von hier, um ihrer Ehre und um unserer Ehre willen.«
»Da deine Worte endlos um dasselbe Trugbild flattern,« antwortete der Fürst, »so ist es Zeit, dieser Unterredung ein Ende zu machen. Du wirst auf der Stelle abreisen, du wirst der Zeit überlassen, ob sie mich vergessen läßt, was ich heut von dir erfahren. Bis dahin magst du in der Einsamkeit darüber nachsinnen, daß du ein Tor warst, als du den Vormund Fremder spielen wolltest, welche vollständig in der Lage sind, für ihr eigenes Heil zu sorgen.«
Der Erbprinz verneigte sich. »Hat mein durchlauchtigster Herr noch einen Befehl für mich?« fragte er mit zuckenden Lippen.
Finster entgegnen der Fürst: »Dir bleibt nur noch übrig, daß du selbst die Fremden gegen deinen Vater aufregst.«
»Ew. Hoheit wissen, daß mir dergleichen nicht geziemen würde.«
Der Fürst winkte mit der Hand, der Sohn schied mit stummer Verbeugung.
Der Prinz rief nach seinem Wagen und eilte zu seiner Schwester. Die Prinzeß sah ängstlich in sein verstörtes Gesicht: »Du sollst fort?«
»Lebe wohl,« sagte er, ihr die Hand reichend, »ich gehe aufs Land, uns noch ein neues Schloß zu bauen, wenn wir einmal die Szene wechseln wollen.«
»Wann kehrst du zurück, Benno?«
Der Erbprinz zuckte die Achseln. »Sobald der Fürst befiehlt. Ich habe jetzt den Auftrag, ein wenig Baumeister und Landwirt zu werden, auch dies ist eine nützliche Tätigkeit. Lebe wohl, Sidonie. Sollte der Zufall dich einmal mit Frau Werner zusammenführen, so würde ich dir verbunden sein, wenn du nicht auf das Geschwätz des Hofes achten, sondern daran denken wolltest, daß sie eine wackere Frau ist, und daß ich ihr von früher großen Dank schuldig bin.«
»Bist du unzufrieden mit mir, mein Bruder?« fragte die Prinzessin ängstlich.
»Mache gut, Siddy, was du noch gutmachen kannst, lebe wohl.«
Prinz Viktor begleitete ihn zum Wagen. Der Erbprinz faßte ihn an der Hand und sah bedeutungsvoll nach dem Pavillon hinüber, Viktor nickte. »Es ist mein eigener Vorteil,« sagte er. »Ehe ich nach der Garnison gehe, besuche ich dich im Lande des Farnkrauts, ich erwarte, dich als Bruder Klausner zu finden mit langem Bart und einer Mütze von Baumrinde. Lebe wohl, Ritter Toggenburg, und lerne dort, daß die beste Philosophie auf Erden ist, jeden Tag für verloren zu halten, an dem man keinen dummen Streich gemacht hat. Besorgt man dies Geschäft nicht selbst, so übernehmen andere die Mühe. Es ist immer lustiger, Hammer zu sein als Amboß.«
Der Fürst war heut während der Hoftafel so finster und schweigsam, daß es den meisten Anwesenden auffiel, nur kurze Bemerkungen fielen von seinem Munde, zuweilen ein herber Scherz, dem man anmerkte, daß die Seele des Fürsten nach Fassung rang; der Hof verstand, daß diese unheimliche Stimmung mit der Abreise des Erbprinzen zusammenhing, und jeder hütete sich, den Verstörten zu reizen. Der Professor allein genoß den Vorzug, dem Fürsten ein Lächeln abzunötigen, als er gutlaunig von dem verzauberten Schloß Solitude erzählte. Nach der Tafel sprach der Fürst neben dem Professor mit einem Adjutanten, der Professor wandte sich an den Obersthofmeister, und obgleich er die unzugängliche Artigkeit des Mannes sonst mied, tat er heut doch eine gleichgültige Personenfrage. Der Obersthofmeister antwortete verbindlich, daß der nahe Hofmarschall sicher die beste Auskunft geben könne, und veränderte seinen Platz. Gleich darauf trat der Fürst, quer durch die Gesellschaft schreitend, an den Obersthofmeister, zog sich mit diesem in eine Fensterreihe zurück und begann: »Sie haben mich auf meiner ersten Reise nach Italien begleitet und, wenn mir recht ist, ein wenig meine Liebhaberei für Altertümer geteilt. Unsere Sammlung wird neu geordnet, an einem Katalog fleißig gearbeitet.«
Der Obersthofmeister sprach seine Anerkennung der fürstlichen Opferwilligkeit aus.
»Professor Werner ist sehr tätig,« fuhr der Fürst fort, »es ist erfreulich, wie schnell er einen Überblick zu geben versteht.« Der Obersthofmeister blieb stumm.
»Sie erinnern sich, Exzellenz, wie belustigend uns in Italien die Sammler waren, welche den Fremden durch Lohndiener in ihre Kabinette zogen und um eine erloschene Inschrift endlos Mund und Arme bewegten. Wie die meisten Menschen an einer fixen Idee leiden, so auch unser Gast. Er argwöhnt, daß in einem Hause unseres Fürstentums eine alte Handschrift verborgen liege, deshalb hat er die Tochter des Hausbesitzers geheiratet, und da er trotzdem seinen Schatz nicht gefunden, sucht er jetzt in der Stille dieses Nebelbild auf allen Böden der Residenz. Hat er nie gegen Sie darüber gesprochen?«
»Ich habe noch keine Veranlassung gehabt, sein Vertrauen zu suchen,« erwiderte der Obersthofmeister.
»Da haben Sie etwas verloren,« fuhr der Fürst fort, »er spricht in seiner Weise gut und gern darüber; es wird Sie unterhalten, einmal diese Art von Narrheit näher zu betrachten. Kommen Sie nachher mit ihm in mein Arbeitszimmer.«
Der Obersthofmeister verneigte sich und meldete beim Aufbruch dem Professor, daß der Fürst ihn noch zu sprechen wünsche.
Die Herren traten bei dem Fürsten ein, diesem eine erheiternde Unterhaltung zu schaffen.
»Ich habe Seiner Exzellenz erzählt,« begann der Fürst, »daß Sie bei uns noch ein besonderes Interesse als Jagdliebhaber verfolgen. Wie steht's mit der Handschrift?«
Der Professor berichtete über seine neue Entdeckung und die beiden Truhen. »Der nächste Jagdgrund, worauf ich hoffe, sind die Böden und Kammern im Sommerschloß der Frau Prinzessin; weigern auch diese eine Beute, so weiß ich mir kaum noch eine undurchsuchte Stätte.«
»Es soll mich freuen, wenn Sie recht bald zum Ziele kommen,« sagte der Fürst und blickte zu dem Obersthofmeister hinüber. »Ich nehme an, daß es auch für Ihr eigenes Leben von Wichtigkeit sein würde, diese Handschrift zu finden. Sie werden sich ja wohl dazu verstehen, dieselbe durch den Druck bekanntzumachen.«
»Es wäre die höchste Aufgabe, die mir werden könnte,« versetzte der Professor, »vorausgesetzt, daß Ew. Hoheit Huld mir dies Werk anvertrauen wollte.«
»Sie sollen die Arbeit übernehmen und kein anderer,« erwiderte der Fürst lächelnd, »soweit ich ein Recht habe, darüber zu bestimmen. Also das unsichtbare Buch würde für Ihre Wissenschaft in Wahrheit große Bedeutung haben?«
»Die größte Bedeutung. Aber der Inhalt wäre für jeden Gebildeten von hohem Wert, ich meine, er würde auch Ew. Hoheit fesseln,« sagte der Professor arglos und freudig, »denn der Römer Tacitus ist in gewissem Sinne ein Hofschriftsteller, Mittelpunkt seiner Erzählung sind Charaktere der Kaiser, welche in dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung die Geschicke der Alten Welt bestimmt haben. Es ist freilich im ganzen ein trübes Bild.«
»Er ist ein Schriftsteller der Unzufriedenen?« fragte der Fürst.
»Er ist der große Berichterstatter über eine eigentümliche Verbildung der Charaktere, welche bei den Herren der antiken Welt eintrat, wir verdanken ihm eine Reihe von psychologischen Schilderungen der Krankheit, welche sich damals auf dem Throne entwickelte.«
»Das ist mir neu,« versetzte der Fürst, sich auf seinem Stuhl bewegend.
»Ew. Hoheit würden, ich bin überzeugt, mit dem größten Anteil die verschiedenen Formen dieser Seelenkrankheit betrachten, und Höchstdieselben würden in andern Zeiträumen der Vergangenheit, ja in früheren Zuständen unseres eigenen Volkes viele bedeutsame Seitenbilder finden.«
»Sie nehmen also eine besondere Krankheit an, welche nur die Regenten befällt?« fragte der Fürst, »die Mediziner werden Ihnen für diese Entdeckung besonderen Dank wissen.«
»In der Tat,« rief der Professor eifrig, »ist die furchtbare Bedeutung dieser Erscheinung noch viel zu wenig gewürdigt, keine andere hat auf das Schicksal der Nationen so unermeßlichen Einfluß geübt. Was Pest und Krieg verdarben, ist wenig gegen die verhängnisvolle Verwüstung der Völker, welche durch dies besondere Leiden der Herrscher angerichtet wurde. Denn diese Krankheit, welche noch lange nach Tacitus unter den römischen Imperatoren wütete, ist kein Leiden, welches auf das alte Rom beschränkt war, sie ist zuverlässig so alt, wie die Despotien des Menschengeschlechts, sie befiel auch später in den christlichen Staaten zahlreiche Herrscher, sie brachte in jeder Zeit anders geformte, groteske Gestalten hervor, sie war durch Jahrtausende der Wurm, welcher, in der Hirnschale eingeschlossen, das Mark des Hauptes verzehrte, das Urteil vernichtete, die sittlichen Empfindungen zerfraß, bis zuletzt nichts übrigblieb als der hohle Schein des Lebens. Zuweilen wurde es Wahnsinn, den auch der Arzt nachweisen kann, aber in zahlreichen anderen Fällen hörte die bürgerliche Zurechnungsfähigkeit nicht auf und der geheime Schaden barg sich sorgfältig. Es gab Zeiträume, wo nur einzelne festgefügte Seelen sich billige Gesundheit bewahrten, und wieder andere Jahrhunderte, wo ein frischer Luftzug aus dem Volke die Häupter, welche das Diadem trugen, frei erhielt. Ich bin überzeugt, wer den Beruf hat, die Zustände späterer Zeit genau zu untersuchen, wird im Grunde denselben Verlauf der Krankheit selbst noch in den milderen Formen unserer Bildung erkennen. Meinem Leben liegen diese Beobachtungen fern, auch zeigt der römische Staat allerdings die abenteuerlichsten Formen der Krankheit, denn dort sind die größten Verhältnisse und eine so mächtige Entfaltung der Menschennatur in Tugend und Verkehrtheit, wie seitdem selten in der Geschichte.«
»Den Herren Gelehrten aber macht das besondere Freude, diese Leiden früherer Herrscher ans Licht zu stellen?« fragte der Fürst.
»Sie sind gewiß lehrreich für alle Zeiten,« fuhr der Professor sicher fort, »denn sie prägen durch furchtbare Beispiele die Wahrheit ein, daß der Mann, je höher er steht, um so stärkere Schranken nötig hat, welche die Willkür seines Wesens bändigen. Ew. Hoheit freies Urteil und reiche Erfahrung werden schärfer als jemand aus meinem Lebenskreise beobachten, daß diese Krankheitserscheinungen sich stets da zeigen, wo der Regierende weniger zu scheuen und zu ehren hat als ein anderer Sterblicher. Was den Menschen in gewöhnlicher Lage gesund erhält, ist doch nur, daß ihm eine strenge und unablässige Kontrolle seines Lebens in jedem Augenblick fühlbar wird, seine Freunde, das Gesetz, die Interessen anderer umgeben ihn von allen Seiten, sie fordern gebieterisch, daß er Denken und Wollen der Ordnung füge, durch welche andere ihr Gedeihen sichern. Zu jeder Zeit ist die Gewalt dieser Fesseln bei dem Regenten minder stark; was ihn einengt, vermag er leichter niederzuwerfen, eine ungnädige Handbewegung scheucht den Warnenden für immer von seiner Seite, vom Morgen bis zum Abend ist er mit Personen umgeben, welche ihm bequem sind, ihn mahnt kein Freund an seine Pflicht, ihn straft kein Gesetz. Hundert Beispiele lehren, daß frühere Herrscher selbst bei großen äußeren Erfolgen an innerer Verwüstung litten, wo nicht eine starke öffentliche Meinung und kräftige Teilnahme des Volkes am Staat sie unablässig zwang, sich selbst zu behüten. Es liegt nahe, an die riesengroße Kraft eines Feldherrn und Eroberers zu denken, den die Erfolge und Siege des eigenen Lebens ins Wüste und Maßlose getrieben haben, er war ein furchtbarer Phantast geworden, Lügner gegen sich selbst, Lügner gegen die Welt, bevor er gestürzt wurde, und lange bevor er starb. Doch dergleichen zu untersuchen, ist, wie gesagt, nicht mein Beruf.«
»Nein,« sagte der Fürst tonlos.
»Die entfernte Zeit,« begann der Obersthofmeister, »welche Sie im Auge haben, war aber nicht nur für die Regenten, auch für die Völker eine traurige Epoche. Wenn mir recht ist, war das Gefühl des Absterbens allgemein, auch bewunderte Schriftsteller taugten nicht viel, mir wenigstens sind solche Männer wie Apulejus und Lucian als eitle und kläglich gemeine Menschen erschienen.«
Der Professor sah überrascht auf den Hofmann.
»In meiner Jugend las man dergleichen häufiger,« fuhr dieser fort. »Ich verdenke den Besseren jener Zeit nicht, wenn sie sich mit Widerwillen von solchem Treiben abwandten und sich in das engste Privatleben oder in die Thebanische Wüste zurückzogen. Deshalb, wenn Sie von einer Krankheit der römischen Imperatoren sprechen, möchte ich entgegnen, daß sie nur Folge einer ungeheuern Erkrankung der Völker ist, obgleich ich sehr wohl einsehe, daß sich während diesem Verderb der einzelnen ein großer Fortschritt des Menschengeschlechts vollzogen hat, die Befreiung der Völker aus abschließendem Volkstum zu einer Kultureinheit, und der neue Idealismus, welcher durch das Christentum auf die Erde kam.«
»Zuverlässig ist die Form des Staates und die Form der Bildung, welche die einzelnen Kaiser vorfanden, entscheidend für ihr Leben gewesen. Jedermann ist in diesem Sinne Kind seiner Zeit, und wenn es gilt, das Maß ihrer Schuld zu bestimmen, dann wird vorsichtiges Abwägen ziemen. Aber was ich die Ehre hatte, Sr. Hoheit als besonderen Vorzug des Tacitus anzuführen, ist auch nur die Meisterschaft, mit welcher er die eigentümlichen Symptome und den Verlauf des Zäsarenwahnsinns schildert.«
»Sie waren alle wahnsinnig,« unterbrach der Fürst mit heiserer Stimme.
»Verzeihung, gnädiger Herr,« entgegnete der Professor arglos. »Augustus wurde auf dem Throne ein besserer Mann, und nach der Zeit, in welcher Tacitus schrieb, haben noch manche gute und maßvolle Herrscher gelebt. Etwas von dem Fluch, welchen übel beschränkte Macht auf die Seelen ausübte, mag an der Mehrheit der römischen Kaiser erkennbar sein. In den besseren aber lag er wie eine Kränklichkeit, welche, nur selten bemerkbar, immer wieder durch Tüchtigkeit oder gute Natur gebändigt wurde. Eine Anzahl freilich verdarb durchaus, und in ihnen entwickelte sich die Krankheit nach einer bestimmten Stufenfolge, deren innere Gesetzlichkeit wir wohl begreifen.«
»Sie wissen also auch, wie den Leuten zumute war?« fuhr der Fürst auf, den Professor scheu anblickend.
Der Obersthofmeister trat in eine Fensternische.
»Der Verlauf der Krankheit ist im allgemeinen nicht schwer zu verfolgen,« versetzte der Professor, erfüllt von seinem Gegenstande. »Die Übernahme der Regierung wirkt zunächst erhebend. Der höchste Erdenberuf steigert auch beschränkte Menschen wie den Claudius, verdorbene Buben wie den Caligula, Nero und Domitian während der ersten Wochen zu einem gewissen pathetischen Adel. Lebhaft ist das Bestreben, zu gefallen, beflissen die Arbeit, sich durch Gnade festzusetzen; die Scheu vor einflußreichen Persönlichkeiten oder vor dem Widerstreben der Masse zwingt zur Vorsicht. Die Herrschaft aber hat den Menschen zum Sklaven gemacht, und der Sklavensinn trägt eine Verehrung entgegen, welche den Kaiser äußerlich über andere Menschen hinausstellt, er ist von den Göttern besonders begnadigt, ja seine Seele ein Ausfluß der göttlichen Kraft. In dieser knechtischen Unterwürfigkeit aller und der Sicherheit der Herrschaft wuchert bald der Egoismus. Die zufälligen Forderungen eines ungebändigten Willens werden rücksichtslos, die Seele verliert allmählich das Urteil über Bös und Gut, der persönliche Wunsch erscheint dem Regierenden sofort als Bedürfnis des Staates, jede Laune des Augenblicks heischt Befriedigung. Das Mißtrauen gegen Unabhängige führt zu kopflosem Argwohn, wer sich nicht fügt, wird als Feind beseitigt, wer sich geschmeidig anzupassen versteht, ist sicher, eine Herrschaft über den Herrscher auszuüben. Die Familienbande reißen, die nächsten Verwandten werden als geheime Feinde umlauert, der gleißende Schein eines herzlichen Vertrauens wird bewahrt, plötzlich durchbricht eine Missetat den Schleier, mit welchem Heuchelei ein innerlich hohles Verhältnis umzogen hat.«
Der Fürst rückte mühsam seinen Sessel von dem Kaminfeuer in das Dunkel.
Der Professor fuhr eifrig fort: »Die Idee des römischen Staates verliert sich zuletzt ganz aus den Seelen, ja sie wird als feindselig gehaßt, nur persönliche Anhänglichkeit wird gefordert, treue Hingabe an den Staat erscheint als Verbrechen. Diese Hilflosigkeit und das Schwinden des Urteils über die Tüchtigkeit, ja über die wirkliche Ergebenheit der Menschen bezeichnen einen Fortschritt der Krankheit, durch welchen bereits die Zurechnungsfähigkeit beeinträchtigt wird. In dieser Zeit werden die Bildungselemente immer beschränkter und einseitiger, das Wollen immer eitler und kleinlicher. Ein kindisches Wesen wird sichtbar, Freude an elendem Tand und eitlen Possen, daneben eine bubenhafte Tücke, welche zwecklos verdirbt, es wird Genuß, nicht nur zu quälen, auch die Qualen anderer zu schauen, unwiderstehlich wird das Gelüst, Hervorragendes in das Gemeine herabzuziehen, ja auch Gleichgültiges zu vernichten. Sehr merkwürdig ist, wie mit dieser Abnahme der Denkkraft eine unruhige und zerstörende Sinnlichkeit überhandnimmt. Ihre dunkle Gewalt wird übermächtig. Während sonst die Würde des höheren Alters auch dem Schwachen Haltung gibt, verletzt hier das widerliche Bild bejahrter Wüstlinge wie Tiberius und Claudius. In einer schamlosen und raffinierten Hingabe an Lüste wird die letzte Lebenskraft zerstört.«
»Das ist sehr merkwürdig,« wiederholte tonlos der Fürst.
Der Professor schloß: »So vollendet sich der Verderb in vier Stufen, zuerst maßlose Selbstsucht, dann Argwohn und Heuchelei, dann knabenhafte Unvernunft, das letzte tut widerwärtige Ausschweifung.«
Der Fürst erhob sich langsam von seinem Sessel, er strauchelte, der Obersthofmeister trat ängstlich näher, aber der Fürst preßte die Hand auf die Lehne und wandte sich dem Professor zu; ohne ihn anzusehen sagte er verabschiedend: »Ich danke den Herren für eine vergnügte Stunde.« Man hörte den Worten die Anstrengung an, welche sie ihm kosteten. Im Hinausgehen fragte der Professor leise den Obersthofmeister: »Ich habe den Fürsten gewiß durch die gedehnte Erörterung gelangweilt?«
Der Obersthofmeister sah erstaunt in das freundliche Antlitz des Gelehrten: »Ich zweifle nicht, der Fürst wird Ihnen sehr bald beweisen, daß er aufmerksam zugehört hat.«
Als sie auf der Treppe waren, klang ein heiserer Mißton aus der Ferne, der alte Herr fuhr zusammen und lehnte sich an die Wand.
Der Professor lauschte, alles war still. »Das war wie der Schrei eines wilden Tieres,« sagte er.
»Es klang von der Straße,« versetzte der Obersthofmeister.