Gustav Freytag
Die verlorene Handschrift
Gustav Freytag

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Drittes Kapitel

Die Reise ins Blaue

Wer aus höheren Regionen auf die Gegend von Rossau herniederblickte, der konnte an einem sonnigen Erntemorgen des August zwischen den Weiden der Landstraße eine Bewegung wahrnehmen, welche den Toren der Stadt zustrebte. Für nähere Betrachtung wurden zwei wandelnde Männer erkennbar, ein größerer und ein kleinerer, beide in hellen Sommerkleidern, welchen durch die Gewitterregen des letzten Tages aller Glanz abgespült war, beide mit ledernen Reisetaschen, welche am Riemen von der Schulter hingen; der größere trug einen breitkrempigen Filzhut, der kleinere einen Strohhut.

Die Wanderer waren Fremdlinge, denn sie hielten zuweilen an und beobachteten Tal und Hügel mit Genuß, was den Eingeborenen des Landes selten einfiel. Die Gegend war von Vergnügungsreisenden noch nicht entdeckt, in den Wäldern waren nirgend glatte Pfade für die Zeugstiefel der Städter gebahnt, selbst der Fahrweg war keine Kunststraße, in den ausgefahrenen Wasserlöchern stand das Regenwasser, die Glöckchen der Schafherde und die Axt des Holzfällers wurden nur von den Bewohnern der Umgegend gehört, welche auf dem Felde arbeiteten oder zwischen zwei Orten ihrem Geschäft nachgingen. Und doch war die Landschaft nicht ohne Anmut, die Umrisse der waldigen Hügel schwangen sich in kräftigen Linien, hier und da ragte Gestein zutage, ein Steinbruch zwischen Ackerflächen, ein Felshaupt zwischen den Bäumen des Waldes. Von den Bergen am Horizont zog ein kleiner Bach in gewundenem Lauf dem fernen Flusse zu, umsäumt von Wiesenstreifen, hinter denen sich die Ackerbeete bis zu den belaubten Höhen hinaufzogen. Fröhlich lag die einsame Landschaft im Morgenlicht, seitab von der großen Völkerstraße.

In der Niederung vor den Reisenden erhob sich rings von Hügeln umgeben der Ort Rossau, ein Landstädtchen mit zwei plumpen Kirchtürmen und dunkeln Ziegeldächern, welche über die Stadtmauer ragten wie Rücken einer Rinderherde, die sich gegen ein Rudel Wölfe zusammengedrängt hat.

Die Fremden schauten von der Höhe mit warmer Teilnahme auf Schornsteine und Türme hinter der alten Mauer, welche mißfarbig, geborsten und geflickt vor ihnen lag. Dort war einst ein Schatz bewahrt worden, der wiedergefunden die ganze zivilisierte Welt beschäftigen und Hunderte zu begeisterter Arbeit aufregen würde. Die Landschaft sah durchweg aus wie andere deutsche Landschaften, der Ort durchweg wie andere arme Städtchen. Und doch war irgendein kleiner Zug in der Gegend, der den Reisenden eine fröhliche Hoffnung nährte. War es der lustige Zwiebelaufsatz, welcher die dicken alten Türme krönte? oder war es das Torgewölbe, welches gerade vor den Reisenden den Eingang zur Stadt in lockendes Dunkel hüllte? oder die Stille des leeren Talgrundes, in welchem der Ort ohne Vorstadt und Außenhäuser lag, wie auf alten Karten die Städte abgebildet werden? oder die Viehherde, welche aus dem Tore ins Freie zog und aus dem Anger leichtfertige Sprünge machte? oder war es vielleicht die kräftige Morgenluft, welche den Wanderern um die Schläfe wehte? Beide empfanden, daß etwas Merkwürdiges und Vielverheißendes in dem Tale schwebte, welches sie als Suchende betraten.

»Denke die Landschaft, wie sie sich einst dem Auge bot,« begann der Professor, »der Laubwald schloß sich in alter Zeit enger um den Ort, er formte die Hügel höher, das Tal tiefer, wie in einem Fessel lag damals das Kloster mit den Hütten seiner abhängigen Landleute. Hier im Süden, wo das Gelände sich steil hinabsenkt, haben die Mönche sicher einst ihren Klosterwein gebaut. Um das Kloster schlossen sich allmählich die Häuser der Stadt. Nimm den Türmen die Mütze, welche ihnen vor hundert Jahren aufgesetzt wurde, und gib ihnen die alten Spitzen zurück, an die Mauern setze hier und da einen Turm, und du hast einen hübschen Steinkasten, der ein geheimnisvolles Stück Mittelalter einschloß.«

»Und auf demselben Weg, der uns hierher geführt, zog einst ein gelehrter Mönch mit seinen Handschriften in das stille Tal, um hier die Brüder zu lehren oder sich vor mächtigen Feinden zu verbergen«, sagte hoffnungsvoll der Doktor.

Die Reisenden schritten am Anger vorüber, der Hirt sah gleichgültig nach den Fremden, aber die Kühe stellten sich an dem Grabenrand auf und starrten auf die Wanderer und das halbwüchsige Volk der Herde brummte ihnen fragend zu. Sie traten durch die dunkle Torwölbung und sahen neugierig die Gassen entlang, welche hier zusammenliefen. Es war eine kleine ärmliche Stadt, nur die Hauptstraße war mit schlechten Feldsteinen gepflastert. Unweit des Tores ragte hoch der schräge Balken eines Ziehbrunnens, daran hing eine lange Stange mit dem Eimer. Von Menschen war wenig zu sehen, wer nicht in den Häusern arbeitete, war auf dem Feld beschäftigt. Denn die Halme, welche in den Steinritzen der Torwölbung hingen, verrieten, daß Erntewagen die Feldfrucht zu den Höfen der Bürger fuhren; neben vielen Häusern waren hölzerne Tore geöffnet, dann sah man in die Hofräume, in die Scheuern und über Düngerstätten, aus denen kleines Federvieh pickte. Die letzten Jahrhunderte hatten so wenig als möglich an dem Orte geändert, noch standen die niedrigen Häuser mit dem Giebel gegen die Straße, zuweilen streckte sich eine hölzerne Dachrinne über den Weg, statt der Schilder reichten noch die Zeichen der Handwerker, aus Blech und Holz geschnitten, farbig bemalt, in die Straße hinein, ein großer hölzerner Stiefel, ein Greif, welcher eine ungeheure Schere in der Hand hielt, ein schreitender Löwe, der eine Brezel anbot, und als schönstes Stück ein regelmäßiges Sechseck, aus bunten Glasrauten zusammengesetzt.

»Hier hat sich vieles erhalten«, sagte der Professor.

Die Freunde kamen auf den Marktplatz, einen unregelmäßigen Raum, dessen kleine Häuser sich durch bunten Anstrich herausgeputzt hatten. Dort starrte von einem unansehnlichen Gebäude ein rotbemalter Drache mit geringeltem Schwanz, aus einem Brett geschnitten, von einer Eisenstange gehalten, in die Luft. Darauf stand mit übelgeschwungenen Buchstaben: Gasthof zum Lindwurm.

»Sieh,« sagte Fritz, auf den Lindwurm weisend, »die Phantasie des Künstlers hat ihm einen Hechtkopf mit dicken Zähnen ausgeschnitten. Der Wurm ist der älteste Schätzehüter unserer Sage. Es ist merkwürdig, wie fest die Erinnerung an dies Sagentier überall im Volke haftet, wahrscheinlich stammt auch dieses Schild aus einer Überlieferung des Ortes.«

So stiegen sie auf ausgetretener Steintreppe in das Haus, ohne zu ahnen, daß sie schon längst von scharfen Augen beobachtet wurden. »Wer mögen die sein?« fragte den dicken Wirt ein Bürger, der seinen Morgentrunk einnahm, »wie Geschäftsreisende sehen sie nicht aus, vielleicht ist einer der neue Pastor vom Kirchdorfe.«

»So sieht kein Pastor aus«, entschied der Wirt, welcher Menschen besser kannte. »Es sind Fremde, zu Fuß, kein Wagen und keine Sachen.«

Die Fremden traten ein, setzten sich an einen rotgestrichenen Tisch und bestellten das Frühstück. »Eine hübsche Gegend, Herr Wirt,« begann der Professor, »kräftige Bäume im Walde.«

»Bäume genug«, versetzte der Wirt.

»Die Umgegend scheint wohlhabend«, fuhr der Professor fort.

»Die Leute klagen, daß sie nicht genug verdienen«, antwortete der Wirt.

»Wieviele Geistliche haben Sie am Orte?«

»Zwei«, sagte der Wirt höflicher. »Der alte Pastor ist aber gestorben. Es ist unterdes ein Kandidat hier.«

»Ob der andere Pfarrer zu Haus ist?«

»Ist mir unbekannt«, sagte der Wirt.

»Sie haben doch ein Gericht hier?«

»Einen Ortsrichter, er ist jetzt auf dem Amt, es ist heut Gerichtstag.«

»Hat nicht vorzeiten ein Kloster in der Stadt gestanden?« nahm der Doktor das Verhör auf.

Der Bürger und der Wirt sahen einander an. »Das ist lange her«, versetzte der Herr der Schenke.

»Hier in der Nähe liegt das Schloß Bielstein?« fragte Fritz weiter. Wieder sahen der Bürger und der Wirt einander bedeutungsvoll an.

»Es liegt so etwas hier in der Nähe«, erwiderte der Wirt zurückhaltend.

»Wie lange geht man bis zum Schloß?« fragte der Professor, geärgert durch die kurzen Antworten des Mannes.

»Wollen Sie dorthin?« entgegnete der Wirt, »kennen Sie den Gutsbesitzer?«

»Nein«, antwortete der Professor.

»Haben Sie denn etwas bei ihm zu tun?«

»Das ist unsere Sache, Herr Wirt«, versetzte der Professor kurz.

»Der Weg geht eine halbe Stunde durch den Wald, er ist nicht zu fehlen«, schloß der Wirt die ungemütliche Unterhaltung und verließ die Stube. Der Bürger folgte ihm.

»Viel haben wir nicht erfahren,« sagte der Doktor lächelnd, »ich hoffe, der Pfarrer und Richter sind redseliger.«

»Wir gehen geradezu nach dem Gute«, entschied der Professor.

Draußen steckten der Wirt und der Bürger die Köpfe zusammen. »Wer die Fremden sein mögen?« wiederholte der Bürger, »geistlich sind sie nicht, und an dem Richter war ihnen auch nicht viel gelegen. Hast du gemerkt, wie sie nach dem Kloster und dem Schlosse frugen?« Der Wirt nickte. »Ich will dir meinen Verdacht sagen«, fuhr der Bürger eifrig fort: »sie kommen nicht umsonst her, sie suchen etwas.«

»Was sollen sie suchen?« fragte der Wirt nachdenkend.

»Es sind verkleidete Jesuiten, sie sehen mir sehr apropos aus.«

»Nun, wenn sie mit den Leuten auf dem Gute anbinden wollen, die sind Manns genug, mit ihnen fertig zu werden.«

»Ich habe mit dem Inspektor zu tun, ich will ihm doch einen Wink geben.«

»Menge dich nur nicht in Geschichten, die dich nichts angehen«, warnte der Wirt. Der Bürger aber drückte die Stiefel fester, die er unter dem Arm trug, und fuhr um die Ecke.

Schweigend schritten die Freunde aus der gemeinen Nüchternheit des Lindwurms auf die Straße. Sie erfragten von einem Mütterchen am entgegengesetzten Stadttor den Weg nach dem Schlosse. Hinter der Stadt erhob sich der Pfad vom Kiesbett des Baches zu einer waldigen Höhe. Sie traten an einen Schlag Buschholz, aus dem einzelne hohe Eichen emporragten. Der Regen des letzten Abends lag noch in Tropfen auf den Blättern, das dunkle Grün des Sommers glänzte im Sonnenstrahl einzelne Vogelstimmen, das Hämmern des Spechts unterbrachen die Stille.

»Das gibt eine andere Stimmung«, rief der Doktor erfreut.

»Es gehört wenig dazu, ein gut besaitetes Menschenherz in neuer Melodie klingen zu machen, wenn nicht gerade das Schicksal mit rauher Hand darauf spielt. Etwas Baumrinde mit grauem Flechtenbart, eine Handvoll Blüten im Grunde und wenige Noten aus der Kehle eines Vogels«, versetzte der Professor weise. »Horch, das ist kein Genuß, den die Natur dem Wanderer gönnt«, unterbrach er sich lauschend. Von fern klangen menschliche Stimmen, ein leiser Choral tönte wie aus den Baumwipfeln in ihr Ohr.

»Höher hinauf«, rief der Doktor, »zu der geheimnisvollen Stätte, wo alte Kirchenlieder aus den Eichen rauschen.«

Sie stiegen noch einige hundert Schritt in die Höhe und standen auf einer Terrasse des Waldhügels, die an der Seite von Bäumen umschlossen, in der Mitte gelichtet war. In der Lichtung stand eine kleine hölzerne Kirche, von einem Friedhof umgeben, dahinter erhob sich auf einem massigen Felsblock ein langes altes Gebäude, das Dach durch viele spitze Giebel gebrochen.

»Das fügt sich gut zusammen,« rief der Professor und sah neugierig über die Waldkirche nach dem Schlosse hinauf.

Aus der Kirche scholl ein Trauergesang stärker in das Ohr. »Laß uns hineingehen«, sagte der Doktor, auf die geöffnete Pforte des Friedhofes weisend.

»Mir ist gottseliger hier draußen zumute,« erwiderte der Professor, »und mir widersteht's, unberufen in Freude und Leid Fremder einzudringen. Das Lied ist zu Ende, jetzt kommt des Pfarrers Sprüchlein.«

Fritz aber war auf die Steine der niedrigen Mauer geklettert und betrachtete die Kirche. »Sieh die massiven Strebepfeiler. Es ist der Rest eines alten Baues, sie haben ihn durch Tannenholz ergänzt, Turm und Holzdach blau vor Alter, es lohnt das Innere zu sehen.«

Der Professor hielt die lange Ranke eines Brombeerstrauches, welche über die Mauer herabhing, in der Hand und sah bewundernd auf weiße Blüten, grüne und gebräunte Beeren, welche in dicken Büscheln beieinander standen. Undeutlich drangen die Laute einer Männerstimme an sein Ohr, und unwillkürlich neigte er das Haupt, den Sinn aufzufassen.

»Laß uns doch hören«, sagte er endlich und betrat mit dem Freunde den Friedhof. Sie zogen die Hüte und öffneten leise die Kirchtür. Es war ein sehr kleiner Raum, der Ziegelbau des alten Chores von innen weiß getüncht, das übrige von gebräuntem Holz, die Kanzel, eine Galerie, wenige Bänke. Vor dem Altar stand ein offener Kindersarg, die Gestalt darin ganz mit Blumen bedeckt, wenige Landleute in schmuckloser Tracht daneben, auf den Stufen des Altars ein alter Geistlicher mit weißem Haar und treuherzigem Gesicht, am Haupt des Sarges aber die schluchzende Frau eines Arbeiters, die Mutter des Kleinen. Und neben ihr eine kräftige Frauengestalt in städtischer Tracht, sie hatte den Hut abgenommen, hielt die Hände gefaltet und sah auf das Kind unter den Blumen hernieder. So stand sie regungslos, die Sonne fiel schräg auf das gelockte Haar und die regelmäßigen Züge des jungen Gesichts. Fesselnder aber als der hohe Wuchs und das schöne Haupt war der Ausdruck tiefer Andacht, welche über sie ausgegossen war. Unwillkürlich faßte der Professor den Arm des Freundes, ihn zurückzuhalten. Der Geistliche sprach sein Schlußgebet, die stattliche Frau neigte das Haupt tiefer, dann beugte sie sich noch einmal zu dem Kleinen herab und legte einen Arm um die Mutter, welche sich weinend an die Trösterin lehnte. So stand die Fremde und sprach leise über dem Haupte der Mutter, während ihr selbst die Tränen aus den Augen herabrollten. Wie Geisterlaut klang das Murmeln der tiefen Frauenstimme an das Ohr der Freunde. Dann hoben die Männer den Sarg vom Boden und folgten dem Geistlichen, der auf den Friedhof führte. Hinter dem Sarge ging die Mutter, das Haupt an der Schulter ihrer Führerin. Die Frau schritt bei den Fremden vorüber, verklärt vor sich hinschauend, sie flüsterte ihrer Gefährtin Bibelworte zu. »Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. – Lasset die Kindlein zu mir kommen«, vernahmen die Freunde. Die Mutter hing gebrochen am Arme der Fremden und, wie durch den leisen Ton fortgeführt, wankte sie zu dem Grabe. Ehrfürchtig schlossen sich die Freunde dem Zuge an. Der Sarg wurde in das Grab gelassen, der Geistliche sprach den Segen, jeder der Anwesenden warf drei Handvoll Erde auf das geschwundene Leben. Dann traten die Landleute auseinander und machten der Mutter und ihrer Begleiterin den Weg frei. Die Fremde reichte dem Geistlichen die Hand und geleitete die Mutter langsam über den Friedhof auf den Weg, der zum Schlosse führte.

In einiger Entfernung folgten die Freunde, ohne einander anzusehen. Der Professor fuhr sich über die Augen: »Dergleichen macht immer weich«, sagte er traurig.

»Wie sie am Altar stand,« rief der Doktor, »eine Seherin der Vorzeit, als trüge sie einen Eichenkranz auf dem Haupt. Sie zog das arme Weib sich nach durch ihr Murmeln. Es waren zwar unsere ehrlichen Bibelsprüche; aber jetzt verstehe ich, was das Wort raunen in alter Zeit bedeutete, wo man auch den Worten eine zauberische Kraft zuschrieb. Sie beherrschte der Trauernden Seele und Leib, und ihre Stimme regte auch mir das Herz auf. Wer war dieses Weib, war es Mädchen oder Frau?«

»Es ist ein Mädchen«, erwiderte der Professor nachdrücklich. »Sie wohnt im Schloß und wir werden sie dort treffen. Laß sie voraus und uns am Fuß des Felsens warten.«

Sie saßen lange auf einem vorspringenden Stein, der Professor wurde nicht müde, ein Büschel Moos zu betrachten, er bürstete es mit der Hand und legte es bald nach der einen, bald nach der andern Seite. Endlich stand er schnell auf. »Was auch kommen möge, jetzt gehen wir.«

Sie stiegen einige hundert Schritt bis zur Höhe. Die Landschaft vor ihnen war plötzlich verwandelt. Zur Seite lag das Schloß mit einem gemauerten Hoftor und großen Wirtschaftsgebäuden, vor ihnen neigte sich eine weite Fläche Ackerlandes von der Höhe hinab in ein flaches Tal. Das einsame Waldbild war verschwunden, um die Wanderer rührte sich kräftig das Leben des Tages, der Wind trieb Wellen durch das Ährenmeer, Erntewagen fuhren auf den Feldwegen heran, Menschenstimmen riefen, die Peitsche knallte und die Garben flogen von starker Hand geschwungen über die hohen Leiterbäume.

»Holla, was suchen Sie hier?« fragte hinter den Fremden eine tiefe Baßstimme in befehlendem Ton. Die Freunde wandten sich schnell um. Vor dem Hoftor stand ein mächtiger breitschultriger Mann mit kurzgeschorenem Haar und sehr energischem Ausdruck im sonnenbraunen Gesicht. Hinter ihm steckten Wirtschaftsbeamte und Knechte neugierig die Köpfe durch das Tor und ein großer Hund fuhr bellend gegen die Fremden. »Zurück, Nero«, rief der Landwirt und pfiff den Hund zu sich, dabei sah er mit kaltem Polizeiblick auf die Fremden.

»Herr Gutsbesitzer Bauer?« fragte der Professor grüßend.

»Der bin ich, und wer sind Sie?« gab der Gutsherr die Frage zurück.

Der Professor nannte die Namen und den Ort, von dem sie kamen. Der Wirt trat einen Schritt näher und prüfte das Aussehen der beiden von oben herab.

»Dort wohnen ja wohl keine Jesuiten«, sagte er; »wenn Sie aber hierher kommen, Verborgenes zu finden, so war die Reise unnütz, hier finden Sie nichts.«

Die Freunde sahen einander an, sie standen nahe am Hause, aber fern vom Ziel.

»Sie machen uns fühlbar,« erwiderte der Professor, »daß wir ohne Vermittlung eines Dritten an Ihre Wohnung treten. Obgleich Sie aber über den Zweck unseres Herkommens bereits eine Vermutung ausgesprochen haben, ersuche ich Sie doch, uns deshalb eine Erklärung vor weniger Zeugen zu gestatten!«

Die feste Haltung des Professors verfehlte nicht ganz die Wirkung. »Wenn Sie in der Tat ein Geschäft zu mir führt, so werden wir das allerdings besser im Haus abmachen. Folgen Sie mir, meine Herren.« Er lüftete ein wenig seine Mütze, wies mit der Hand nach dem Tor und schritt voraus. »Nero, Teufelshund, kannst du nicht Ruhe halten!«

Der Professor und der Doktor folgten, an sie schlossen sich Wirtschaftsbeamte und Knechte und der knurrende Hund. So wurden die Fremden in einem ungemütlichen Zuge nach dem Wohnhaus geführt. Trotz ihrer mißlichen Lage sahen sie doch mit Neugierde auf den großen Hof, auf die Arbeit des Einscheuerns, auf einen Trupp Gänse, welcher, durch den Zug gestört, breitbeinig und schnatternd über den Weg schritt. Dann überflog ihr Auge das Wohnhaus, die breiten steinernen Stufen mit Bänken an beiden Seiten, die gewölbte Tür, das übertünchte Wappen am Schlußstein. Sie traten in einen geräumigen Hausflur, der Gutsherr hing seine Mütze auf einen Kleiderrechen, drückte mit schwerer Hand die Klinke der Wohnstube und machte wieder eine Handbewegung, welche höflich sein sollte und die Fremden zum Vortritt einlud. »Jetzt sind wir allein,« begann er, »womit kann ich Ihnen dienen? Sie sind mir bereits als zwei Schätzesucher angekündigt. Wenn Sie das sind, so muß ich Ihnen rundheraus erklären, daß ich von solchen Torheiten nichts wissen will. Im übrigen bin ich bereit, mich Ihrer Bekanntschaft zu freuen.«

»Nun, Schatzgräber sind wir nicht,« entgegnete der Professor, »und da wir den Zweck unserer Reise überall als Geheimnis bewahrt haben, so begreifen wir nicht, wie Sie etwas Entstelltes über die Veranlassung unseres Kommens hören konnten.«

»Der Schuster meines Hofverwalters hat ihm die Nachricht mit zwei versohlten Stiefeln zugetragen, er hat Sie im Gasthofe der Stadt gesehen und aus Ihren Fragen Verdacht geschöpft.«

»Er hat mehr Scharfsinn angewandt«, erwiderte der Professor, »als bei unsern harmlosen Fragen nötig war. Und doch hat er nicht ganz unrecht gehabt.«

»Also ist etwas daran,« unterbrach der Landwirt finster, »in diesem Fall muß ich die Herren bitten, sich selbst und mich nicht weiter zu bemühen. Ich habe keine Zeit für dergleichen Narrheiten.«

»Vor allem haben Sie die Güte, uns anzuhören, ehe Sie uns in so kurzer Weise das Gastrecht aufkündigen«, versetzte der Professor ruhig. »Unser Kommen hat keinen andern Zweck, als Ihnen eine Mitteilung zu machen, über deren Wert Sie dann selbst entscheiden mögen. Und nicht nur wir, auch andere könnten Ihnen einen Vorwurf daraus machen, wenn Sie unser Gesuch ohne Prüfung abweisen. Die Sache geht Sie mehr an als uns.«

»Natürlich,« sagte der Wirt, »diese Redensarten kennt man.«

»Doch nicht ganz,« entgegnete der Professor, »es ist ein Unterschied, wer sie braucht und welchem Zweck sie dienen.«

»Nun denn, in des Teufels Namen, sprechen Sie, aber verständlich«, rief der Landwirt ungeduldig.

»Nicht eher,« fuhr der Professor fort, »als bis Sie sich bereit zeigen, eine ernste Angelegenheit so anzuhören, wie sie verdient. Es ist eine kurze Auseinandersetzung nötig, und Sie haben uns noch nicht einmal zum Sitzen eingeladen.«

»So nehmen Sie Platz«, versetzte der Landwirt und rückte einen Stuhl.

Der Professor begann: »Durch Zufall habe ich vor kurzem in einem geschriebenen Buche unter andern handschriftlichen Aufzeichnungen der Mönche von Rossau einige Bemerkungen gefunden, welche für die Wissenschaft, der ich diene, möglicherweise wichtig sind.«

»Und welches ist Ihre Wissenschaft?« unterbrachen der Landwirt ungerührt.

»Ich bin Philolog.«

»Das bedeutet alte Sprachen?« fragte der Landwirt.

»So ist es«, fuhr der Professor fort. »Die Notiz eines Mönches in dem erwähnten Bande meldet, daß um das Jahr 1500 eine wertvolle Handschrift, welche die Geschichtserzählung des Römers Tacitus enthielt, in dem Kloster vorhanden war. Das Werk des berühmten Geschichtschreibers ist uns in einigen andern wohlbekannten Handschriften nur sehr trümmerhaft erhalten, es scheint, daß die damals in dem Kloster vorhandene Handschrift sein Werk vollständiger enthielt. Eine zweite Notiz desselben Buches meldet aus dem April des Jahres 1637, daß damals die letzten Mönche des Klosters in schwerer Kriegszeit Kirchengerät und die Handschriften des Klosters an einer hohlen und trockenen Stelle des Hauses Bielstein vor den Schweden verborgen haben. – Das sind die Worte, die ich gefunden, weitere Tatsachen habe ich Ihnen nicht mitzuteilen. Die Echtheit der beiden Bemerkungen ist für uns zweifellos, ich habe Ihnen eine Abschrift der betreffenden Stelle mitgebracht, das Original bin ich bereit, Ihrer eigenen Einsicht zu unterwerfen oder der eines sachverständigen Beurteilers, den Sie wählen wollen. Ich füge nur noch hinzu, daß wir beide, mein Freund und ich, sehr gut wissen, wie ungenügend die Mitteilungen sind, welche wir Ihnen machen, und wie unsicher die Aussicht, daß sich jetzt nach zwei Jahrhunderten noch etwas von dem damals vergrabenen Eigentum des Klosters vorfinde. Und doch haben wir eine Ferienreise dazu benutzt, Ihnen Nachricht von dieser Entdeckung zu geben, selbst auf die naheliegende Gefahr einer vergeblichen Untersuchung. Wir haben uns aber zu dieser Reise verpflichtet gefühlt. Nicht vorzugsweise um Ihretwillen, obgleich die Handschrift, wenn sie sich fände, von sehr hohem Wert sein würde, sondern zunächst im Interesse der Wissenschaft, denn nach dieser Richtung wäre ein solcher Fund in der Tat unschätzbar.«

Der Landwirt hatte aufmerksam zugehört, das Papier, welches der Professor vor ihn auf den Tisch legte, ließ er unberührt. Jetzt begann er: »Daß Sie mich nicht täuschen wollen und daß Sie die Wahrheit nach allen Seiten mit guter Meinung sprechen, sehe ich ein. Ihre Auseinandersetzung ist mir verständlich. Ihr Latein vermag ich nicht zu lesen; und das ist auch nicht nötig, denn was die Tatsachen betrifft, so glaube ich Ihnen. Aber«, fuhr er lächelnd fort, »die Herren Gelehrten haben in der Ferne eines nicht gewußt, daß dieses Haus das Unglück hat, in der ganzen Gegend für den Ort zu gelten, an welchem alte Mönche ihre Schätze vermauert haben.«

»Das war uns allerdings nicht unbekannt,« fiel der Doktor ein, »und es konnte uns die Bedeutung der schriftlichen Notizen nicht verringern.«

»Da waren Sie in großem Irrtum. Es liegt doch auf der Hand, daß ein solches Gerücht, welches durch mehrere Menschenalter in einer Gegend geglaubt wird, fortwährend abergläubische und gewinnsüchtige Personen in Bewegung gesetzt hat, diese vermeinten Schätze aufzuspüren. Wie können Sie annehmen, daß Sie die ersten sind, welche auf den Gedanken kommen, nachzusuchen? Dies ist ein altes festes Haus, aber es würde fester sein, wenn es nicht vom Keller bis unter das Dach Spuren zeigte, daß man in früherer Zeit Löcher hineingeschlagen und die Schäden nachlässig ausgebessert hat. Erst vor wenigen Jahren habe ich Kosten und Mühe gehabt, einen neuen Dachbalken einzuziehen, weil Dach und Decke sich senkte, und die Untersuchung ergab, daß gewissenlose Menschen ein Stück des Balkens ausgesägt hatten, jedenfalls um in einen Winkel des Daches hineinzugreifen. Und ich sage Ihnen geradeheraus, wenn mir etwas das alte Haus verleidet, in dem ich seit zwanzig Jahren Glück und Unglück erfahren habe, so ist es dies widerwärtige Gerücht. Gerade jetzt wird in der Stadt die Untersuchung gegen einen Schatzgräber geführt, der Narren durch das Vorgeben betrogen hat, er könne aus diesem Berge einen Schatz beschwören. Noch wird seinen Mitschuldigen nachgespürt. Ihren Fragen in der Stadt haben Sie zuzuschreiben, daß die Leute dort, welche viel von dem Betruge reden, Sie für Helfer des eingezogenen Gauners gehalten haben. Daher auch mein rauher Gruß. Ich mache Ihnen deshalb meine Entschuldigung.«

»Und Sie wollen sich nicht dazu verstehen,« fragte der Professor unzufrieden, »unsere Mitteilung zu weiterer Nachforschung zu benützen?«

»Nein,« versetzte der Landwirt, »ich will mich nicht selbst zum Narren machen. Wenn Ihr Buch nichts weiter meldet, als was Sie mir gesagt haben, so dient diese Nachricht zu gar nichts. Haben die Mönche hierherum irgend etwas versteckt, so ist hundert gegen eins zu wetten, sie haben es in ruhiger Zeit selbst wieder herausgeholt. Wäre aber gegen alle Wahrscheinlichkeit das Versteckte damals an seiner Stelle geblieben – es sind seitdem einige hundert Jahre vergangen –, so hätten es längst andere hungrige Leute herausgegraben. Das sind, verzeihen Sie mir, Ammengeschichten, nur gut für Spinnstuben. Ich habe einen Widerwillen gegen solches Gelüst, das an den Mauern wühlt. Der Landwirt soll im Acker schaufeln und nicht in seinem Hause. Unter Gottes Sonne liegen seine Schätze.«

Dem Professor wallte das Blut über die kalte Art des Mannes, er bezwang mit Mühe den ausbrechenden Zorn, indem er an das Fenster trat und einem Haufen Sperlinge zusah, die heftig gegeneinander schrien. Endlich begann er, sich umwendend: »Ihre Weigerung ist ein Recht des Hauseigentümers. Wenn Sie darauf bestehen, so werden wir Sie allerdings mit dem Bedauern verlassen, daß Sie die mögliche Bedeutung unserer Mitteilung nicht zu würdigen wissen. Ich habe diese Begegnung nicht vermieden, obgleich mir wohlbekannt war, wie zufällig die Eindrücke sind, welche bei einer ersten Unterredung mit Fremden den Entschluß bestimmen. Sie würden vielleicht mehr Rücksicht auf unsre Nachricht genommen haben, wenn sie Ihnen durch Vermittlung Ihrer Regierung zugleich mit der Forderung, genaue Nachsuchung anzustellen, zugegangen wäre.«

»Reut Sie, daß Sie diesen Weg nicht eingeschlagen haben?« fragte lächelnd der Landwirt.

»Offen gesagt, nein. Ich habe in solcher Angelegenheit kein Vertrauen zu einem Beamtenprotokoll.«

»Ich auch nicht«, versetzte der Landwirt trocken. »Wir stehen unter einem kleinen Landesherrn, aber er ist fern, wir sind von fremdem Gebiet umschlossen. Bei Hofe habe ich nichts zu tun, es vergehen Jahre, ehe ich nach unsrer Residenz komme; die Regierung plagt uns nicht übermäßig und in meinem Bezirk leite ich die Polizei. Wenn meine Regierung Ihren Wünschen Wichtigkeit beilegte, so würde sie wahrscheinlich von mir einen Bericht einfordern, und das würde nur einen Bogen Papier und eine Stunde Schreiberei kosten. Vielleicht, wenn Sie laut zu trommeln verstehen, sendet sie mir auch eine Kommission in das Hans. Die meldet sich bei mir zum Mittagessen und ich führe sie nach Tisch in die Keller, sie pocht der Form wegen ein wenig an die Wände und ich lasse unterdes einige Flaschen aufkorken. Zuletzt wird schnell ein Papier beschrieben und die Sache ist wieder abgemacht. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie diesen Weg nicht eingeschlagen haben; im übrigen vertrete ich mein Hausrecht auch gegen den Landesherrn.«

»Es ist, so scheint mir, vergeblich, zu Ihnen von dem Wert zu sprechen, den die Handschrift haben würde«, warf der Professor ihm finster entgegen.

»Es wäre verlorene Mühe«, sagte der Landwirt. »Ob eine solche Seltenheit, auch wenn sie in meinem Eigentume zutage käme, für mich selbst einen wesentlichen Wert hätte, ist fraglich. Und den Wert für Ihre Wissenschaft kenne ich nur aus Ihrer Versicherung. Aber für mich und für Sie rühre ich keinen Finger, weil ich nicht glaube, daß ein solcher Schatz auf meinem Eigentum verborgen ist, und weil ich nicht den Willen habe, um etwas Unwahrscheinliches ein Opfer zu bringen. Dies, Herr Professor, ist meine Antwort.«

Der Professor trat wieder schweigend an das Fenster. Fritz, der sich in stiller Empörung zurückgehalten hatte, empfand, daß es Zeit war, dieser Unterredung ein Ende zu machen, er erhob sich zum Aufbruch: »Und Sie haben uns wirklich Ihre letzte Meinung gesagt?«

»Ich bedaure, Ihnen keinen andern Bescheid geben zu können«, versetzte der Landwirt und sah mit einer Art Mitleid auf die beiden Fremden. »Es tut mir in der Tat leid, daß Sie den Umweg zu mir gemacht haben. Verlangen Sie meine Wirtschaft zu sehen, jede Tür soll Ihnen geöffnet sein. Die Mauern meines Hauses öffne ich niemandem. Ich bin übrigens bereit, Ihre Mitteilung als Geheimnis zu bewahren, um so lieber, da dies auch in meinem Interesse liegt.«

»Ihre Weigerung, irgendwelche Nachforschungen auf Ihrem Eigentum anzustellen, macht ein ferneres Geheimhalten dieser Nachricht unnötig,« entgegnete der Doktor, »meinem Freunde bleibt jetzt nichts übrig, als seine Entdeckung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu berichten, er hat dann seine Pflicht getan, vielleicht daß andere Ihnen gegenüber glücklicher sind als wir.«

Der Landwirt fuhr auf. »Donnerwetter, Herr, sind Sie des Teufels? Sie wollen die Geschichte in der Zeitung Ihren Kollegen erzählen? Wahrscheinlich werden diese ebenso denken wie Sie.«

»Zuverlässig werden Hunderte die Sache genau so ansehen wie wir, und Ihre Weigerung ebenso beurteilen wie wir«, rief der Doktor.

»Herr, wie Sie mich beurteilen, ist mir ganz gleichgültig, ich muß Sie bitten, mich so schwarz zu schildern, als Ihre Wahrheitsliebe irgend zuläßt«, rief der Landwirt unwillig. »Aber ich sehe voraus, daß das alles nichts helfen wird. Verwünscht seien die Mönche und ihr Schatz! Jetzt habe ich jeden Sonntag und jede Stunde Ihrer Ferien einen Besuch wie den Ihren zu erwarten, fremde Gesichter mit Brillen und Regenschirmen, welche den Anspruch erheben, unter das Holzgestell meines Milchkellers zu kriechen und in der Schlafstube meiner Kinder an der Decke herumzuklettern. Zum Teufel mit diesem Tacitus!«

Der Professor ergriff seinen Hut: »Wir empfehlen uns Ihnen«, und ging nach der Tür.

»Halt, meine Herren,« rief der Wirt unruhig, »nicht so schnell. Lieber will ich noch mit Ihnen beiden zu tun haben, als mit einer unablässigen Wallfahrt Ihrer Kollegen. Weilen Sie noch einen Augenblick, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie selbst sollen durch mein Haus gehen, Sie mögen den alten Bau vom Boden bis zum Keller untersuchen. Es ist eine harte Zumutung für mich und meine Hausgenossen, ich will das Opfer bringen. Finden Sie eine Stelle, die Ihnen Verdacht einflößt, so reden wir darüber. Dagegen versprechen Sie mir, daß Sie gegen meine Hausleute von dem Zweck Ihres Hierseins schweigen. Meine Arbeiter sind ohnedies aufgeregt; wenn Sie dem unseligen Gerücht neue Nahrung geben, so kann ich nicht dafür stehen, daß nicht meine eigenen Leute auf den Einfall kommen, mir an einer Ecke des Hauses die Grundmauer durchzustoßen. Mein Haus ist Ihnen den ganzen Tag geöffnet, solange Sie meine Gäste sind. Dann aber, wenn Sie mündlich oder schriftlich über die Sache reden, fordere ich den Zusatz, es sei von Ihnen das mögliche geschehen, mein Haus durchsucht, aber nichts gefunden worden. Wollen Sie diesen Vertrag mit mir eingehen?«

Der Doktor sah zweifelnd auf den Professor, ob der Stolz des Freundes sich solcher Bedingung beugen werde. Wider Erwarten flog ein Strahl von Freude über das Antlitz des Gelehrten, und er erwiderte artig: »Sie haben uns in einem Punkt mißverstanden. Nicht wir beanspruchen die verborgene Handschrift aus Ihrem Eigentum herauszuholen, sondern wir sind nur gekommen, um Sie selbst für den Versuch zu gewinnen. Daß wir in einem fremden Hause, unbekannt mit den Räumen und ungeübt in dieser Art Nachforschung, nichts finden werden, ist uns sehr deutlich. Wenn wir dennoch die lächerliche Lage, in welche Sie uns versetzen, nicht vermeiden und Ihr Anerbieten annehmen, so tun wir dies nur in der Hoffnung, daß uns in den Stunden unseres Hierseins gelingen wird, Ihnen selbst ein größeres Interesse an dem möglichen Funde beizubringen.«

Der Landwirt bewegte abweisend das Haupt auf den hohen Schultern. »Ich habe nur das Interesse, die Sache so schnell als möglich in Vergessenheit zu bringen. Sie mögen tun, was Sie für Pflicht halten. – Meine Geschäfte verhindern mich, Sie zu begleiten, ich übergebe Sie meiner Tochter.«

Er öffnete die Tür des Nebenzimmers und rief: »Ilse!«

»Hier, Vater,« antwortete eine klangvolle Altstimme. Der Landwirt ging in das Nebenzimmer. »Komm hervor, Ilse, ich habe heut einen besondern Auftrag für dich. Da drin sind zwei fremde Herren von einer Universität. Sie suchen ein Buch, das vor alten Zeiten in unserm Hause versteckt sein soll. Führe sie durch das Haus, schließ ihnen alle Räume auf.«

»Aber Vater –« unterbrach ihn die Tochter.

»Tut nichts,« fuhr der Landwirt fort, »es muß sein.« Er trat näher an sie heran und sprach leiser: »Es sind zwei Gelehrte, sie haben einen Sparren –« er wies nach dem Kopfe. »Was sie sich einbilden, ist verrückt, und ich gebe ihnen nur nach, um in Zukunft Ruhe zu haben. Sei vorsichtig, Ilse, ich kenne die Leute nicht. Ich muß aufs Vorwerk, dem Hofverwalter will ich sagen, daß er sich in der Nähe des Hauses hält. Sie scheinen mir zwei ehrliche Narren, aber der Teufel mag trauen.«

»Ich fürchte mich nicht, Vater,« erwiderte die Tochter, »das Haus ist voll Menschen, wir werden schon mit ihnen fertig werden.«

»Sorge dafür, daß die Mägde nicht herumstehen, während die Fremden an den Wänden klopfen und messen. Sie sehen mir übrigens nicht aus, als ob sie viel finden würden, wenn auch alle Wände aus Büchern gemauert wären. Aber daß sie irgendwo einschlagen und die Wände beschädigen, das leidest du nicht.«

»Recht, Vater«, sagte die Tochter. »Bleiben sie über Mittag?«

»Jawohl, dein Dienst geht bis zum Abend. In der Molkerei wird dich die Mamsell vertreten.«

Durch die Tür hörten die Freunde Bruchstücke der Unterredung, sie gingen nach den ersten Worten der Anweisung schnell an das Fenster und sprachen laut miteinander über eine große Strohanhäufung am First der Scheuer, die nach der Behauptung des Doktors ein Storchnest war, während der Professor die Ansicht vertrat, daß Störche nicht auf solchen Höhen nisteten. Dazwischen sagte der Professor leise: »Es ist unbequem, in dieser demütigen Lage anzudauern. Aber wir vermögen nur durch unser Beharren den Hauswirt zu überzeugen.«

»Vielleicht entdecken wir doch etwas«, antwortete der Doktor. »Ich habe einige Erfahrung in Maurerarbeit, als Knabe fand ich beim Bau unseres Hauses Gelegenheit, schöne Kenntnisse in Statik und Balkenklettern zu erwerben. Gut, daß der Tyrann uns allein läßt. Unterhalte du die Tochter, ich will derweile an den Wänden klopfen.«

Wer jemals einer undeutlichen Spur nachgegangen ist, der weiß, wie schwierig in der Nähe erscheint, was in der Ferne so leicht dünkt. Während zuerst die trügende Göttin Hoffnung alle guten Möglichkeiten mit hellen Farben malt, regt die Arbeit des Suchens selbst jeden Zweifel auf. Die lockenden Bilder verbleichen, Kleinmut und Ermüdung werfen ihre Schatten. Zuletzt wird pflichtmäßige Ausdauer, was im Anfange ein frisches Wagen war.


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