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Alfred Tennyson

Der Bach.

Eine Idylle.

»Am Bach hier schieden wir, nach Indien ich,
Und nach Italien er – zu spät, zu spät!
So einer war er, den die starken Söhne
Der Welt verachten: Reime seine Stocks,
Und weiche Rhythmen mehr ihm als Prozente.
Auch konnt' er nicht begreifen, wie Geld heckt;
Hielt's für ein totes Ding, und konnte selbst doch
Das Nichts zu einem Etwas machen. – O,
Hätt' er gelebt! In unsern Büchern heißt's
Von solchen, deren Haupt dem Schwarm entragte:
Sie blühten dann und dann. Doch in ihm schien
Das Leben kaum zu blüh'n: es grenzte nur
Un solch 'ne Zeit, wie sie dem Laub vorausgeht,
Wenn rings der Wald in grünem Dufte steht,
Und nichts vollkommen ist. – Den Bach doch liebt' er,
Nach dem auch ich – in den brandmarkenden Sommern
Bengalens, oder in der süßen, halb-
Englischen Luft der Nil-Gerris sogar –
Auslechzte, scheint es, nun ich neu ihm lausche,
Wie er des Knaben Primelphantasien
Mir, der den Knaben liebte, vorschwatzt. Denn,
»O Bach,« sagt er, »o Plauderbach,« sagt Edmund
In seinem Reim, »von wannen kommst du, Bach?«
Worauf der Bach, warum nicht? so erwidert:

        Wo Rohrhuhn nistet, Reiher baut,
        Da komm' ich hergesprungen,
        Und sprüh' hinaus durchs Farrenkraut,
        Und halt' ein Tal umschlungen.

        Ich stürm' und schlüpfe, nimmer matt.
        Längs dreißig Hügelrücken,
        Seh' zwanzig Dörfer, eine Stadt,
        Und ein halbhundert Brücken.

        Bis ich, wo Philipps Bäume stehn,
        Zum vollen Fluß mich wende.
        Denn Menschen kommen, Menschen gehn –
        Ich rinne fort ohn' Ende.

»Der arme Junge! Nach Neapel reisend.
Starb er zu Florenz, ganz erschöpft. Sieh', dort
Ist Darnley-Brücke! wie voll Efeu, seit
Ich sie zuletzt sah! Dort der Fluß! und dort
Ist Philipps Hof. wo Bach und Fluß sich treffen.

Ich schwatz' in Dur und in Diskant –
O Nötchen, zarte, feine!
In Wirbeln platz' ich an den Strand,
Und plappre durch die Steine.

Ich krümme mich, und Feld und Rain
Grüß' ich mit Tropfensalven;
Manch Elfen-Vorland fass' ich ein
Mit Weidenlaub und Malven.

Ich plaudre, ohne stillzustehn,
Wie ich zum Fluß mich wende,
Denn Menschen kommen, Menschen gehn –
Ich rinne fort ohn' Ende.

»Doch Philipp schwatzte mehr, als Bach und Vogel,
Der alte Philipp: rings im Feld vernahmst du
Taglang sein Zirpen, wie der trocknen, hoch-
Ellbogigen Grille, die das Gras durchstelzt.

Ich mache schnell mich von der Stell',
Mit manchem Blütensegel,
Mit hier und da 'ner Lachsforell',
Und mit 'ner Äsche kregel;

Mit hier und da 'ner Flocke Schaum
Auf Antlitz und Gewande,
Wo silbern sich der Woge Saum
Bricht über gold'nem Sande;

Und alle heiß' ich mit mir gehn,
Wie ich zum Fluß mich wende,
Denn Menschen kommen, Menschen gehn –
Ich rinne fort, ohn' Ende.

»O Käthe Willows, Philipps einzig Kind!
Ein Mädchen uns'rer Zeit, doch still und sanft;
Tochter der Wiesen, aber keine Bäurin;
Schlank/ doch geschmeidig, wie 'ne Haselrute;
Ihr Aug' ein schamvoll Himmelblau, ihr Haar
In Glanz und Farbe die Kastanie, wenn
Die Schale dreifach platzt, die Frucht zu zeigen.

»Das herz'ge Kind! einst tat ich ihr 'nen Dienst –
Ihr selbst und ihrem Vetter und Verlobten,
Dem Jakob Willows, mit ihr eines Namens
Und eines Herzens. Zwanzig Jahre sind's –
Die Woche, eh' ich schied vom armen Edmund.
Ich kam hierher, ich überschritt den Bogen
Der alten Brücke, die, in Trümmern damals.
Noch jetzt, als finst're Augenbrau, dem Schimmer
Jenseits sich wölbt, wo sich die Wasser treffen.
Ich überschritt sie, in den Tag hinein
Vom »süßen Doon« die alte Weise pfeifend.
Und stieß an Philipps Gartentor. Das Tor,
Halb los von seiner schwachen, keifenden Angel,
Ließ sich nicht öffnen. »Lauf!« vom Fenster rief er
Der Käthe zu, die irgendwo im Garten;
»Lauf, Käthe!« Sie lief niemals. Hergewallt
Kam sie des Gartens duft'ge Geißblattgänge,
Ein wenig scheu, das Augenlid gesenkt,
Ihr Antlitz Apfelblüte, sanft errötend
Um eine Gabe.

»Was nur mocht'es sein?
Empfindsam weniger, als verständig, war sie;
Nicht unbelesen, keine doch von denen,
Die, in dem Quell erdichteter Tränen plätschernd.
Und aufgefüttert mit dem Mehlbrei süßer
Philanthropien, den Bund der Ehe scheiden,
Drin das Gefühl dem Handeln sich gesellt.

»Sie sprach sich aus: sie zankten, sie und Jakob. –
Warum? der Grund? – Gar keiner! sagte sie. –
Er hätte keinen Grund! – Doch als ich drängte,
Hört' ich, daß Jakob eifersüchtig sei;
Das kränkte sie. – Wer kränkte Jakob? – sagt' ich
Doch sie zog rasch ihr Aug' von meinem ab,
Und auf den Kies mit spitzem Füßchen malend
Ein Zeichen wie 'nes Zaubrers Drudenfuß,
Ließ sie mein Wort, in jäh errötendem Schweigen,
Wie ungehört vorbeigehn, bis ich frug,
Ob Jakob käme. »Alle Tage käm' er,«
Gab sie zur Antwort, »möchte sich erklären,
Doch immer führ' ihr Vater ihm dazwischen
Mit 'ner Geschichte, irgend einer langen,
Und Jakob schiede, bös mit ihm und ihr.«

Wie könnt' ich helfen? – »Wollt' ich – wär' es unrecht?«
(Gefalt'ne Händ' und süßer Siebenzehn
Anflehende Anmut unterwarfen mich,
Noch eh' sie sprach), – o, wollt' ich ihren Vater
Für eine Stunde, eine halbe nur,
Beiseite nehmen, und ihn reden lassen?«
Und als sie sprach noch, sah ich Jakob, wie
Er herschritt, gleich 'nem Water in der Brandung,
Jenseits des Bachs, gurttief in Wiesengeißbart.

»O Käthe, was um deinetwillen litt' ich!
Denn ich trat ein, und rief den Alten, mir
Den Hof zu zeigen. Willig stand er auf,
Durch seiner Weizenvorstadt duftende Gäßchen
Hinaus mich führend, schwatzend, wie er ging.
Er pries sein Land mir, pries mir seine Pferde,
Pries Pflüge, Kühe, Hunde, Schweine – alles;
Pries seine Hennen, seine Gänse, seine
Perlhennen auch, und seine Tauben, die,
In voller Sitzung rings auf ihren Dächern,
Ihm Beifall gaben, sich vor ihren eignen
Verdiensten neigend. Von der Brust sodann
Der klagenden Hündin nahm er ihre Jungen,
Die blinden, zitternden, – jedwedes nennend,
Und auch die Freunde, die sie haben sollten.
Dann übern Weideplatz nach Darnley-Wildbahn,
Sir Arthurs Rehe mir zu zeigen. Rings
In Busch und Farnkraut zahllos zwinkert' es,
Ohren und Schwänzchen. Auf den Wurzeln dann,
Den Schlangenwurzeln, einer Buche sitzend,
Wies er ein weidend Füllen mir und sprach:
»Das vier Jahr alte, das dem Squire ich zuschlug!«
Und nun die ganze lange Kaufgeschichte: –
Wie daß der Squire das Füllen weiden sah,
Und wie's das Pferd just, das die Miß sich wünschte;
Und wie der Vogt geschickt ward, nach dem Preis
Sich zu erkund'gen; welchen Preis er nannte,
Und wie der Vogt ihm zuschwor, er sei toll;
Doch er blieb fest; er ließ die Sache gehn,
Er ließ sie zappeln;, und fünf Tage später
Fand er den Vogt im goldnen Vließe sitzen,
Der dort und damals etwas mehr ihm bot;
Doch er blieb fest, er ließ die Sache gehn;
Er kannte seinen Mann, das Füllen holte
Gewißlich seinen Preis; er ließ sie zappeln;
Bis endlich, ganz durch Zufall (war es Mai
Oder April, er wußt' es nicht, vielleicht
Den ersten Mai, den letzten des April),
Der Vogt am Hof vorbeiritt und vom Füllen
Zu sprechen anfing; alsobald ins Haus
Zog er den Mann, taucht' ihm das Herz in Ale,
Bis, Hand in Hand, sie Handels einig wurden.

»Drauf, als ich schon im Angesicht des Hafens
Aufatmend dasaß, fing er – armer Kerl,
Konnt' er es ändern? – wieder an von vorn,
Und lief den ganzen Füllenstammbaum durch:
Den wilden Will, die schwarze Beß, Tantivy
Und Tallyho, Reform, die weiße Rose,
Bellerophon und die Kokette; dann
Arbaces noch und Phänomen, was weiß ich,
Bis ich, als Hörer nicht zu sterben, aufstand,
Und Philipp mit mir, stets noch schwatzend. – So,
Die Stirnen abwärts kehrend von der Sonne,
Der sinkenden, und unsern Schatten folgend,
(Dreimal so lang, als da sie uns von Philipps
Türschwelle folgten) kamen wir nach Haus,
Wo neu die Sonne der Zufriedenheit
In Käthes Augen schien, und alles gut war.

Durch Wiesengrün und Haseln dicht
Schleich' ich, und durch die süßen,
Die zitternden Vergißmeinnicht,
Die für Verliebte sprießen.

Ich hüpf' und schlüpfe, tausendmal
Gestreift von meinen Schwalben;
Ich tanze mit dem Sonnenstrahl
Am Wehr und allenthalben

Ich murmle unter Mond und Stern,
In Brombeerwüsteneien;
Um meine Kressen zaudr' ich gern,
Und meine Kiesbankreihen.

Bis wieder doch, ohn' Stillestehn,
Ich mich zum Flusse wende,
Denn Menschen kommen, Menschen gehn –
Ich rinne fort ohn' Ende.

»Ja, Menschen kommen, Menschen gehn; und diese
Sind all' gegangen – alle! Edmund schläft,
Der teure Bruder, – nicht an seinem Bach,
Beim lieben Dorfkirchturm, – nein, fern am Arno,
Bei Brunelleschis Dom, – und schläft in Frieden.
Und Philipp – ach, von allen seinen Worten
Blieb nichts, als nur das magere P. W.
Auf seiner Gruft, von dem ich heut das Moos
Abkratzte; – Käthe wallt am langen Flutschlag
Südlicher Meere, australasischer,
Fern ab, und hebt ihr Haupt zu andern Sternen,
In andern Jahreszeiten. – Alle gingen!«

So, sitzend auf 'nem Steg der langen Hecke,
Verlorne Reime wälzend im Gemüt,
Und übern Bach das kahle Vorhaupt neigend
Des ernsten Vierzigers, sann Lorenz Aylmer, –
Sann und war stumm. Auf einmal ließ ein Hauch,
Ein leises Atemholen in der Hecke
Der Windenranke zarte Glöckchen zittern,
Und er sah auf. Ein Mädchen war's, den Steg
Zu überschreiten. Ganz erschrocken starrt' er:
Ihr Aug' ein schamvoll Himmelblau, ihr Haar
An Glanz und Farbe die Kastanie, wenn
Die Schale dreifach platzt, die Frucht zu zeigen.
Dann, wundernd, frug er: »Bist du vom Gehöft?«
»Ja,« sagte sie. »Ein einzig Wort! verzeih!
Dein Name?« »Käthe!« »Das ist sonderbar!
Und die Familie?« »Willows.« »Nein!« »So heiß' ich!«
»Ei, in der Tat« – Und so verwirrt nun stand er,
Daß Käthe lacht' und lachend rot ward, bis
Er selber lachte, doch wie wer im Traume,
Eh' er erwacht, was Fremdes tagen fühlt.
Dann, sie anseh'nd: »Zu glücklich, frisch und schön.
Zu frisch und schön in dieser trüben Welt
Lieblichster Blüte wandelst du einher,
Ihr Geist zu sein, die deinen Namen trug
Auf diesen Wiesen – zwanzig Jahre sind's.«

»Wißt Ihr es nicht? wir kamen heim,« sprach Käthe,
»Kauften den Hof, den früher wir gepachtet.
Gleich' ich ihr so? sie sagten's auf dem Schiff.
Herr, kanntet meine Mutter Ihr in ihren
Englischen Tagen (wie's denn scheint!) – den Tagen,
Von denen sie am liebsten spricht, kommt mit mir!
Mein Bruder Jakob ist im Erntefeld:
Doch sie – o, sie wird froh sein! – kommt herein!«

Wiegenlied.

(Aus » The Princess.«)

Süß und sacht, sachte weh',
Wind du vom westlichen Meer;
Sacht, sacht wispre und weh',
Wind du vom westlichen Meer!
Über die rollenden Wasser geh',
Komm vom sinkenden Mond, und weh',
Weh' ihn wieder mir her;
Nun mein holdestes, nun mein Herzenskind schläft!

Schlaf' und ruh', schlafe du fest,
Vater ja kommt zu dir bald;
Fest, fest, ans Herz mir gepreßt,
Vater ja kommt zu dir bald;
Vater kommt suchen sein Bübchen im Nest;
Unter dem silbernen Mond aus West
Silber segelt und wallt:
Schlaf', mein holdestes, schlaf', mein Herzenskind, schlaf!


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