Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)
Alwin
Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)

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Dreizehntes Kapitel.

Alwin gewann immer mehr und mehr von der Stille, welche ihm Walter empfahl. Er empfand die wohlthätigen Spuren der ewig leitenden und schützenden Liebe, seine Unfälle gingen an ihm vorüber, das Vergängliche an dem Bleibenden, und wenn es ihm weh that, daß er von Mathilden so ganz vergessen blieb, von seinen Freunden verlassen, von den liebenden Aeltern verwaist, so blickte der unvergängliche Friede tröstend in sein kleines Leben herein. Er empfand nicht nur die Sicherheit eines künftigen Heiles, er spürte es schon reg' und wach in seinem Gemüth, so daß er zu 282 den eignen Schmerzen lächeln konnte, und sich ihnen liebreich ergab, dem Sinne des Traumes gemäß, wo er seine Mutter neben sich gesehn hatte, ihm die Leiden des Lebens als eine bittre, aber rettende Arznei reichend.

Er saß eines Abends vor der Thür des Forsthauses, und fühlte seine Blicke unwiderstehlich von der sinkenden Sonne angezogen, weil sie als ein so klarer, unverkennbarer Ausfluß der höchsten Liebe, als ein rechtes Gottesauge vom Himmel herunter sah, um auch zum äußern Sinne vom wahrhaften Dasein, vom einzigen Kern aller Freude zu sprechen. Es funkelte vor ihm von den blendenden Lichtern, und er schaute, sich gern erhohlend, auf den demüthigen, thauleuchtenden Rasen nieder, als eine freundliche Stimme dicht neben ihm sagte: Guten Abend, lieber Alwin. Es war Raimund, der sich so 283 unversehens über seinen Schüler hinbeugte, und beide Freunde schwelgten in allen Wonnen des Wiedersehens.

Was sie entfernt gehalten hatte, schienen sie absichtlich zu vergessen, des feindseeligen Florismarte ward mit keinem Worte gedacht, nach kurzer Zeit waren sie dabei, sich von ihren poetischen Gebilden und ausgeführten Gedichten vorzureden, Alwin sprach allerhand über die wunderlichen Waidmannsbücher des Försters, und über die mündlich vernommnen Sagen, und Raimund erzählte ihm, wie zur Vergeltung folgendes Mährchen:

Es spielten einmal zwei Kinder zusammen auf einer Wiese. Sie konnten sich selbst nicht recht besinnen, wie sie eigentlich dahin gekommen waren, aber sie befanden sich eben wohl, und pflückten Blumen, der Knabe für das Mädchen, das Mädchen für den Knaben. 284 Wenn sie nun mit den Kränzen zusammen kamen, setzten sie dieselben Eins dem Andern auf's Haupt, faßten sich bei den Händen, und tanzten im Kreise herum. Einmal aber hielt der Knabe im Tanzen inne, und sagte: sieh Dich doch um. Hinter Dir steht eine alte Burg, oder es kann auch ein Berg sein. Aber gar herrlich ist's. Wir wollen dahin laufen. Nein, sagte das Mädchen, sieh lieber hinter Dich zurück. Da steht ein neuer Pallast, wohl besser als Dein verfallner Bau.

Sie liefen in diesem Augenblick bei einander vorbei, und kaum hatten sie sich getrennt, so zog eine dichte Wolke zwischen sie hin. Auf der Seite des Knaben warf sie einen tiefen Schatten über die ganze Gegend, auf der Seite des Mädchens blitzte ihr heller Saum blendende Lichter bis an die fernsten Gebirge hin. Es wird so dunkel, sagte der Knabe 285 weinend; es wird so lustig und frisch, sagte das Mädchen, indem sie immer schneller nach dem neuen Pallaste zurannte, ohne zu hören, wie der Knabe nach ihr rief der zuletzt still weinend in die Schatten zurück sank, und sein Angesicht in dem feuchten Grase verbarg.

Das Mädchen lief indeß nach dem blanken Ziele hin; wenn es müde werden wollte, hoben die Strahlen das leichte Gewand flügelähnlich empor, und zuletzt sproßten ihr zwei Schmetterlingsfittige aus den zierlichen Schultern. Nun ging's erst recht im Fluge fort. Sie traf auf die Gärten des neuen Pallastes, da ging ein stattlicher Pfau vor den Thoren auf und nieder. Er grüßte das Mädchen freundlich, und sagte, daß es seine Schuldigkeit sei, hier den Kammerherren zu machen; und sie zu präsentiren. Damit erhob er den 286 rechten Flügel, und nöthigte sie, ihre Hand drauf zu legen, denn also zieme es sich. Unterweges trafen sie noch auf allerhand wunderliche Thiere, die gleichfalls sprachen, und wovon einige voraufliefen, um der durchlauchtigen Eule die Ankunft der Fremden zu melden.

Schlechterzogne Vögel, sagte Einer der Zurückbleibenden, versagen unsrer erhabenen Fürstin die gebührende Ehrfurcht, ja, sie unterstehn sich sogar, wenn's eben heller Tag ist, auf Ihre Durchlaucht loszuhacken, aber wir sind civilisirt, und um unser böses Naturell nicht zu reitzen, wohnt die kluge Regentinn lieber in einer anständigen Dämmerung.

Dem Mädchen begann zu grauen; es kam ihr vor, als sei sie in das Tollhaus der Vögel gekommen, aber Viele davon thaten auch 287 wieder so artig und zierlich, daß sie ihrer Angst bald entledigt ward.

Bei der Eule sah' es kurios aus. Sie hatte sich hinter schwere Vorhänge postirt, und glotzte nur bisweilen mit den starren Augen hervor. Es wußte aber auch Niemand, wie er eigentlich mit ihr daran sei, und selbst die schnatterndsten Vögel hielten sich daher schweigend im Halbzirkel umher.

Mit einem Male schnarrte die Eule, sie wolle aus Nachsicht ein wenig schlafen, und man könne derweilen einen kleinen Tanz beginnen. Das geschah denn auch. Das Mädchen fand die besten und flüchtigsten Tänzer. Zeisig, Falke, Habicht, Sperling, und wie sie alle hießen, flogen bald zierlich, bald wild mit ihr durch die schwirrenden Reihen hin. Sie ging sehr ermüdet zu Bett, welches ihr einige Gänse aus ihren eignen 288 besten Daunen bereiter hatten, und schlief ein. In der Nacht aber wachte sie auf, und weil sie eben von der Wiese, und von ihren Spielen darauf geträumt hatte, rief sie nach dem freundlichen, bisher vergessnen Knaben. Niemand antwortete. Sie stand endlich auf und ging ängstig durch den Pallast hin, immer laut und lauter nach dem Ausgang fragend. Da zwitscherten die Spatzen, da schnatterten die Dohlen, da krächzten die Raben, da flog's scheltend und schwirrend von allen Seiten über sie hin, und um sie her, und weinend sank sie auf ihre Knie. Ach, seufzte sie, nur einen menschlichen Laut. Es giebt doch dergleichen auf der Welt. Mein süßer Spielgefährte kannte ihn wohl.

Vor ihr stand eine leuchtende Frauengestalt. Der Vögel Geschwirr und Gekrächze schwieg.

289 Ich bin Euer Beider Schützerinn, sagte sie. Wie konnte Euch nur die zweigestaltete Wolke so lang' von einander entfernen? Komm mit, wir wollen den Liebling suchen, den guten, verlassenen Knaben.

Der war indeß in den Berg hineingegangen, und hatte mancherlei schöne Sachen gefunden: goldne Harnische und blanke Schwerdter, und wunderlich geformte Streitäxte, auch vielerlei Schmuck, als goldne Ketten, und mit Steinen besetzte Armbänder. Er trieb damit sein stilles Spiel, aber dazwischen kam ihm doch oftmals seine Gefährtin in den Sinn. Dann ließ er alle die hübschen Dinge aus den Händen fallen, und fing an zu weinen.

Als das auch einmal geschahe, blitzte ein heller Strahl durch die Thränen in sein Auge. Er blickte empor; am Eingange des Berges 290 stand die leuchtende Frauengestalt, und winkte ihn freundlich zu sich heraus. Ohne sich lange zu besinnen, folgte er, aber als er aus dem Berge trat, war die Erscheinung verschwunden. Die Wiese lag hell und klar vor ihm, von keiner Wolke mehr getrübt. Durch den Wald, der sie von der andern Seite begränzte, drang der Abendsonne mildes Gefunkel, Alles, wie Du es eben jetzt vor Dir siehst, und eben so kam auch zwischen den Blättern eine Gestalt heran, lieblich und zart, wie die sich uns eben nähert, so daß Du Deine beweinte Gefährtin alsbald erkennen mußt, Du frommer, vielgetreuer Knabe.

Alwin sah staunend in die Höhe. Mathilde kam aus dem Walde, und wie an jenem ersten Abende beim Kloster, ging er ihr im halben Traum entgegen. Aber er sank nicht vor ihr auf's Knie, er fühlte, daß sie sein 291 war, und es fortan bleiben wollte, auch schmiegte sie sich weinend in seine ausgebreiteten Arme, und lehnte den schönen Kopf an seine Brust. Heisse Küsse drückte er ihr auf Stirn und Wangen, und Raimund sagte:

Sie ist der höfisch tollen Vögel überdrüssig geworden, und sehnt sich nach dem süßen menschlichen Laut ihres Gefährten zurück.

Nimmst Du mich denn nun noch an, Du liebes, frommes Kind? fragte Mathilde, mit holder Beschämung zu ihrem Freunde aufblickend. Die hochmüthige Thörin ergiebt sich Dir, und Deiner stillen, sinnigen Liebe. Komm nur mit mir, von dem kriegzerrissnen, blutigen Lande fort, wo Gemüther wie Deines, an keiner Parthei ihre Freude haben können. Auf der Insel Rügen, dem abgeschiednen, dem der Vorwelt heiligen Boden, erwartet uns zwei und Raimunden ein ruhiges 292 Leben. Da sollst Du die alten Heldengestalten heraufbeschwören, und mühlos leben und ungestört, der heillosen Gegenwart fremd.

Walter trat zu ihnen, und indem er die Hände seegnend auf beider Liebenden Häupter legte, sprach er Amen! Zieht mit Gott, Ihr Frommen. Eine schlimme Zukunft steigt unserm Vaterlande auf, aus der mich bald der ewige Friede abrufen wird, Euch die irdische Liebe und Ruhe, um Euch später mir nach zu geleiten. Vergeßt nicht über dem schönen Wege des schönern Zieles. 293


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