Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)
Alwin
Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

Die beiden Jünglinge waren außerordentlich vergnügt über ihr Zusammentreffen; sie scherzten, lachten und sangen; wo irgend ein ernstes Wort aufkommen wollte, ward es so gleich durch Anselmo's Witz unterdrückt, man hatte fast gänzlich vergessen, wie man eigentlich an einander gekommen war. Dieser lustige Geist schien sich der ganzen Schaar mitzutheilen; die gefangenen Italiäner weit umhergezogne Kriegsleute, ertrugen leicht ein Unglück, daß ihnen nicht ungewöhnlicher 232 war, als zu andrer Zeit Glück und Beute; und spotteten in ihrer Sprache einander aus. Ueber ihre Fragen und über ihre Lustigkeit lachten alsdann die Halberstädter, indem sie auf gut Deutsch sich diejenigen mit Fingerzeigen bemerkten, die ihnen am spaßhaftesten vorkamen, worüber wieder die Italiäner sich außerordentlich ergötzten, so daß der Zug unter beständigem Gelächter und Geplauder beinah bis an's Lager gerückt war, als ein alter Reiter gegen Alwin herankam, und zu ihm sagte:

Gestrenger Junkherr, wir reiten aber allesammt beinah wie die Narren; darüber brach Anselmo von Neuem in ein unauslöschliches Lachen aus; der Alte aber ließ sich nicht stören, sondern fuhr fort.

Wir sind doch hier die Meister geblieben, und brauchten eben nichts von den fremden 233 Manieren anzunehmen; am wenigsten, wo wir mit unsern Gefangnen in's Lager rücken wollen, dran eigentlich alle Haufen ihre Freude haben müssen, und Muth und Zutrauen schöpfen aus unserm Gelingen. So aber möchten sie glauben, es sei ein Aufzug gleichsam von Gauklern und wilden Thieren, und das taugt einmal gar nicht für deutsches Blut und ist auch nach deutscher Sitte ganz unerhört.

Ganz Recht, alter Vater, sagte Alwin, und wandte sein Pferd, indem er laut zurückrief: Richt't Euch! Er blieb halten, ernsthaft, mit kriegrischem Anstand, die Halberstädter setzen sich soldatisch und grad in ihren Sätteln zurecht, und sahen rechts nach ihrem jungen Anführer, die Italiäner auch wurden still, und ritten zwischen den Siegern ruhig einher. Alwin jagte wieder an die Spitze des Zuges, und Anselmo sagte das war ein braver alter Kamrad und hatte vollkommen recht, so wunderlich er anfangs seine Meinung vorbrachte. Auch mich hat seine Mahnung erinnert, daß ich noch kein männliches und verständiges Wort mit Dir gesprochen habe, und doch sind wir schon dicht an Euern Gezelten. Vernimm also nur vorläufig ganz im Kurzen, wie wir einander eben hier treffen und auf diese Weise. Euer Land mag gut seyn, nicht sowohl für den, der drin geboren ist, denn das bin ich selbst, sondern für den vielmehr, der mit Wurzel und Baum seit ein drei bis vier Jahrhunderten drin fest steht. Mir taugts nicht. Das fühlt' ich schon in Braunschweig, und gedachte Alinen und Dich und was Du nothwendig mitnehmen müßtest, mit mir hinüber zu locken in die glücklichen Gegenden, wo die 235 rechte Liebe zu Haus ist, die echte Lebenslust. Deswegen vorzüglich trat ich meine Reise nach Italien an. Aber noch geht es nicht. Die Welt ist zu voll von Krieg und allerlei Wirrwarr, und da schloß ich mich vorläufig an Italiänische Söldner an, an einen lustigen, kecken Hauptmann, den die Rache verschmähter Liebe in diesen Gegenden festhält.

Doch nicht der Flaminien's Schloß bestürmt hat? fragte Alwin.

Der nämliche, erwiederte Anselmo. Ach, ich verstehe! Du bist der hübsche Reiter, der öfters dorthin streift, und Nachrichten hohlt, und wer weiß was noch mehr. Der Hauptmann ist sehr bös auf Dich.

Daß er mir nur nicht in den Weg kommt! rief Alwin. Rath's ihm, wenn Du ihn wieder siehst.

Ruhig, ruhig, sagte Anselmo. Er ist 236 weder mein Freund, noch Oheim, noch Vetter, noch Schwager. Viertheile ihn, wenn's Dir gefällt, und sich's grade so treffen will. Ich mag Dir kein böses Blut machen, um so weniger, da wir schon fast im Lager sind, und ich zweierlei von Dir zu verlangen habe: guten Wein, und Verschwiegenheit meines Hierseins gegen den alten Brummbart Balderich.

Alwin verhieß ihm lächelnd Beides, und sie rückten unter dem lauten Jubel des Kriegsvolkes ein. Der Zug ging zuerst nach Alwin's Zelte, wo dieser seinen Freund absteigen hieß, ihm eine Flasche edlen Weins reichte, und einem geprüften Halberstädter die Sorge für seine Sicherheit übergab. Darauf eilte er zu den drei Feldobersten, die er bei Adalbert versammelt fand. Nachdem sie ihn wegen seiner Expedition gelobt hatten, fing Balderich an:

237 Jetzt haben wir den Schlüssel in Händen zu allen Entwürfen des Feindes, und wollen schon durchbrechen. Führt Euern vornehmsten Gefangnen her, Alwin.

Wozu? fragte dieser.

Seltsam! rief Balderich. Zum Beichten. Wir wollen ihn so gut dazu bringen, als Einer seiner welschen Pfaffen. Sprechen soll er, oder sterben.

Er ist ein Edelmann, und mein persönlicher Gefangner, sagte Alwin. Ich leid' es nicht.

Hoho, junger Mensch, rief Balderich lachend aus, Ihr seid schnell herangewachsen, aber Ihr wachst mir nicht über den Kopf; dafür will ich schon sorgen. Den Gefangenen her!

Ich leid' es nicht, wiederhohlte Alwin 238 kaltblütig dem Tone nach, aber Augen und Wangen glühten wie Feuer.

Balderich erhob sich von seinem Sitze. Der alte Kriegsheld, an keinen Widerspruch gewöhnt, stand im Begriff, zürnend und verderblich loszubrechen, aber Adalbert nahm ihm das Wort vom Mund, indem er zu ihm sagte:

Besinnt Euch auf das, was Ihr selbst an Alwins Stelle thun würdet. Wen ich einfange, ich selbst mit eignem Arm und Schwerdt, der ist mein, und Niemand hat was drein zu reden, wie ich ihn halten will, wie hoch seine Ranzion anschlagen, oder ob ich ihn gar laufen lasse, umsonst, und weil mir's eben so hehagt. Und was hülf' es uns (ich bitt' Euch, überlegt es mit Euch selber), was hülf' es uns, die anerkannten Gerechtsame jedes Soldaten an einem unsrer edelsten Mitstreiter 239 zu verletzen? Ist sein Gefangner ein Ehrenmann, so beantwortet er unsre Fragen mit Schweigen, und jegliche Drohung gleitet machtlos an ihm ab, ja selbst den Tod würd' er nur erleiden zu seiner Glorie und unsrer nutzlosen Schmach. Doch bin ich weit entfernt zu glauben, wir adliche, kampfgewohnte Männer ließen es wirklich zu solcher unwürdigen Extremität kommen. Und wozu mit dem drohen, was man nicht halten kann, noch will? Wär' es aber ein elender, feiger Bursch, der sich durch Todesfurcht aus seiner Ehre aufschrecken ließe, welchen Bürgen könnte er uns stellen, daß er, ein Schuft, der sich eben als solchen bewiese, nicht auch uns mit Lügen äffe? Laßt unsern Alwin mit seinem Gefangnen in Ruh. Wir wollen dafür die gemeinen Söldner vornehmen, bei denen ehr durch Verheißung und Drohung was 240 auszurichten ist, und deren mannigfache Aussagen wir mit einander vergleichen können, so daß aus ihnen, wo nicht die Wahrheit, doch mindestens die Wahrscheinlichkeit hervorgehn muß.

Es mag drum sein, erwiederte Balderich, um so mehr, da wir doch den ganzen Vortheil unserm kecken Junkherrn hier verdanken, und seiner Gestrengen nicht böse machen müssen. Zudem bin ich Heut außerordentlich gut aufgeräumt, und möchte mir den Abend nicht gern durch einen Zank verderben. Kommt her, Alwin, stoßt mir nur an. Vergeben und Vergessen!

Ihr macht mich stolz, mein Feldoberster, antwortete der Jüngling, und leerte den blinkenden Pokal.

Wir dürfen ihn nicht länger aufhalten, sagte Adalbert. Er will seines Gefangnen pflegen.

241 Alwin stand bereits am Ausgang des Zeltes, als Balderich ausrief: Heut Becher auf Becher! Meine Nachrichten sind erquicklich wie der Wein. Aline, mein schönes Töchterchen, ist wohl nun schon Frau, und ich erwarte sie in einigen Tagen hier mit Thorwald; sie soll unter unserm Schutze nach dem Wohnplatze ihres Mannes reisen, sobald die Pässe frei sind. Er ist ein sehr reicher Graf, seine prächtigen Schlösser –

So weit hatte Alwin noch gehört, starr und steif wie eine Bildsäule am Eingang des Zeltes verharrend, nun ward's ihm Alles wie Sturmgesaus und Wolkenflug, wild durch einander, unverstanden, wie er sich selbst, und tolle Träume stiegen ihm wunderlich herauf wachenden Muthes, so daß er sich nur immer einer flackernden Flamme bewußt blieb, 242 die vor ihm herzog, und welcher er mechanisch folgte.

Wir sind an Euerm Zelte, sagte Adalberts Edelknabe, der ihm bis dahin geleuchtet hatte. Alwin sagte ein Paarmal stammelnd: ich danke! danke! und trat unter sein leinenes Dach.

Hier ward's ihm erst wieder klar und erkennlich, er fing an zu begreifen, was geschehn war. Anselmo saß hinter der Flasche und sang; unvernommene Worte für seinen Wirth, bis auf die Verse:

Und wenn ich reime,
Ahnend Keime
Günst'ger Zeit,
Die immer bereit
Zum traulichen Wandeln
Zum lust'gen Verhandeln,
Lied sich bildet aus Leid, 243
Aus Zank sich Frieden befreit;
So hab' ich mein Liebchen wiedergefunden,
Kann sie allwärts in Freuden erkunden,
Schaue beständig die himmlische Miene,
Werde zum Echo, das ewig ihr diene.
Aline' Aline! Aline!

Da fuhr Alwin empor wie aus tiefem Schlummer, und Anselmo sang:

Merkst Du nun, siehst Du nun?
Wachtest wohl kaum?
Töne die walten
Fliegen im lustigen Raum,
Nach Dir, ein lockender Traum,
Woll'n Dich zum Leben gestalten,
Merkst Du nun? Siehst Du nun?

Du machst mir meine Rolle auch zu sauer, fuhr er in Prose fort. Weißt Du noch, wie Du mich, ein neuer Orphens, erziehn solltest? Wir spaßten darüber am ersten Abende in Braunschweig. Nun muß ich an Dir 244 meine Mühe verlieren. Warum übernahm ich auch Dein Geschäft, und warum spielst Du mit einemmale den trüben Waldsohn?

Es wird bald Zeit, sagte Alwin. Um Mitternacht gehst Du aus dem Lager. Jetzt fangen sie an, Deine Reiter auszufragen, und könnten endlich dahinter kommen, wer Du bist.

Wer ich bin? Wer ich bin? sang Anselmo.

Einer, leicht und froh an Sinn,
Einer sehr verliebt in Wein,
Mehr in schöner Augen Schein.

Sprich doch ernsthaft, sagte Alwin.

Anselmo sang:

  Ich thue mehr als sprechen,
Ich sing' noch obenein,
Und wollt' es Jemand rächen,
Müßt's ein Stummer sein.
  Und wär' er stumm an Seel' und Leib,
So nennt' ich ihm ein edles Weib, 245
Und löst' ihm Zung' und Miene:
Aline! Aline! Aline!

Die heirathet einen reichen Grafen, sagte Alwin, und wahrscheinlich ist die Hochzeit schon gewesen.

Anselmo ward plötzlich still, alle Freude schien vor seinen Augen weggebannt, der Wein ließ er aus dem eben gefüllten Becher langsam auf die Erde tröpfeln. Alwin saß ihm schweigend gegenüber.

Nun kann ich freilich nicht mehr singen, lieber Alwin, sagte er endlich, und zwei große Thränentropfen rollten dem verschütteten Weine nach. Nun bin ich stumm geworden, ich armes Kind.

Da brach Alwin's weiches Gemüth in erst verschloßner Rührung hervor, und er fiel seinem Freunde weinend in den Arm.

246 Laß gut sein, sagte Anselmo nach einiger Zeit; laß gut sein. Du siehst, ich habe ausgeweint, und ich bin doch die Hauptperson gewesen in der Tragikomödie. Weißt Du noch was Du einmal bei Gelegenheit der Bäckerstochter sagtest. Ich lachte Dich aus, und Du hattest doch so vollkommen Recht. Schaff uns noch Wein, lieber Bruder. Diesen hab' ich so schändlich verschüttet, und um gar nichts.

Um gar nichts, ja wohl! rief Alwin, indem er die Becher von Neuem füllte. Und bald hätt' auch ich: um gar nichts noch süßre Freude verschüttet, noch unwiederbringlichre. Zum Glück bin ich bei Zeiten klug geworden. Grüß Deinen Hauptmann, und sag' ihm, Flaminia solle mein werden.

Sie tranken bis gegen Mitternacht, aber der Wein zündete nicht die gewohnte 247 Freudigkeit in ihren Herzen an; es brannte dunkel, und matt bei ihnen auf, der Kerze ähnlich, die auf dem Feldtische vor ihnen hin und her wehte im Sturm, als er sich mit der Nacht erhoben hatte, und durch die dünnen Zeltwände pfiff.

Wie es Zeit ward zur Flucht für Anselmo, tiefe Dunkelheit draußen, Schnarchen der schlafenden Reiter umher, nur hin und wieder Roßgebraus, die Feuer der Feldwachten mehr und mehr zu Kohlen sinkend, da machten sie sich auf. Alwin führte seinen Schimmel am Zügel, um ihn Anselmo mit zu geben, und dessen rothen Barberhengst dafür zu behalten. Die weißen Pferde passen sich nicht mehr für mich, sagte er; sie erinnern zu sehr an alte Romanzen, wo die Ritter drauf hinaussprengten zu Thaten zarter Lieb' und Treue.

248 Es ging im Dunkeln den Hügel hinab, tief in's waldige, labyrinthische Thal; wenn die Posten anriefen, gab ihnen Alwin die Losung dumpf zurück, der Schimmel ward öfters scheu vor dem Lichte der Wachtfeuer, und vor den alten Baumstämmen, die immer wunderlicher gestaltet durch die Waldung blickten. Plötzlich ging eine lange Gestalt an ihnen vorüber. Mehr links! murmelte sie, und war im Gebüsch verschwunden. Sie folgten dem Gebot fast unbewußt, und hörten bald darauf des alten Balderichs Stimme, der auf dem Wege, den sie ohne jene Warnung eingeschlagen hätten, die Posten beritt.

Nun waren sie außerhalb der Feldwachten. Anselmo setzte sich schweigend auf den Schimmel, und drückte seinem Freunde die Hand. Wer war denn das, der uns warnte? fragte er noch. Gott weiß es, antwortete 249 Alwin. Wohl der Nachtmohr, sagte Anselmo. Grüß den alten Gesellen von mir. Er hatte scherzen wollen, aber das Grausen der Nacht überfiel sie unvermuthet Beide, daß sie, wie vor sich selbst scheu, hier und dorthin aus einander flogen. Alwin sah das weiße Pferd gleich einer Erscheinung noch durch die fernen Büsche leuchten, und heimliche Schrecken gaben ihm das Geleit bis an sein Zelt.


 << zurück weiter >>